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Mila Superstar - Wiedersehen in Fujimigahara

Reuinion 2000
von

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Kapitel 8: Das, wovor du flüchtest (Teil 2)

„Es gab mal eine Zeit, da wollte ich es so gut haben wie die anderen“, sagte Mila nach einer Episode des Schweigens. Sie hatte sich sanft auf der Schaukel hin- und her gependelt. Nun hielt sie inne und umklammerte die Ketten fester. „Ich habe auch ein Kind, weißt du!“

Schlenina bemühte sich um Fassung, spürte aber selbst, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wisch. Unter Einsatz der größten Mühe verbarg sie die Bestürzung in ihrer Stimme, als sie mit gedämpfter Stimme nachhakte, um sicher zu gehen, dass ihr ihre Fantasie keinen Streich gespielt hatte:

„Du hast ein Kind?“

Mila nickte.

„Aber seit wann denn?“ fragte ihre russische Freundin weiter.

„In einem Monat sind es dreizehn Jahre.“

„Das bedeutet…du hast ein Kind, aber niemand weiß davon?“

„Ja und nein. Es gibt Leute, die davon wissen. Aber das sind sehr wenige. Du bist nun eine davon.“ Mila schaute zum Clubhaus, in dem noch Licht brannte. „Sie alle haben keine Ahnung. Außer Sanyo, und die wird schweigen wie ein Grab. Sie ist mehr oder weniger unfreiwillig dahinter gekommen.“

„Mila – dieses Kind, wo ist es heute?“ wollte Schlenina wissen.

„Bei seinem Vater. Er war nie bei mir. Und ich möchte, dass er auch dort bleibt.“

„Aber vermisst du denn dein eigenes Kind nicht?“ fragte Schlenina nun schon energischer.

Mila sah zu ihren Füßen. „Das Kind sollte behütet aufwachsen. Fernab von all dem Rummel, den es um mich gab. Ich bin dauernd umgeben von Presse und Öffentlichkeit. Es vergeht kaum eine Woche, in der mein Bild nicht in einer Zeitung auftaucht.“ Sie sagte dies nicht frei von Wut und zitierte die Schlagzeilen: „Mila Ayuhara – barbarische Trainingsmethoden, Die ersten Bilder aus dem geheimen Trainingscamp – so übel werden unsere Mädchen zugerichtet, Exklusive Story: Geflohene Nationalspielerinnen packen aus, Spielerin nach B-Probe positiv, Mila Ayuhara – Wer ist der Mann an ihrer Seite, Mila Ayuhara beschissen angezogen, Korruptionsverdacht…“

„Hör mal“, unterbrach Schlenina sie, um auf das Wesentliche zurückzukommen. Sie kannte selbst zu gut die Boulevardpresse und wusste, dass man kein Wort davon ernst zunehmen brauchte. „Das Kind – dein Sohn – weiß es, wer seine Mutter ist?“

„Natürlich nicht“, antwortete Mila, als könne man sich das von selbst erklären. „Das würde nur alles unnötig erschweren.“

„Demnach bist du auch nicht mit dem Vater zusammen“, schloss Schlenina.

Mila schüttelte energisch den Kopf. „Für eine Beziehung bleibt keine Zeit. Ich habe einen vollen Trainerplan, wenn ich dich daran erinnern darf. Wir werden bei den Olympischen Spielen dabei sein und die spielen sich nicht von selbst. Weiterhin soll ich Sportministerin werden, schon vergessen? So ein Amt bedarf längerer Zeit Vorbereitung.“ Sie stöhnte. „Außerdem sollen demnächst eine Biographie und eine Verfilmung meines Lebens anstehen. Die Castings beginnen in drei Wochen. Ich soll ihnen beiwohnen, aber-“

„Mila!“ fiel Schlenina ihrer Freundin eindringlich ins Wort. „Wie hast du es geschafft, deine Schwangerschaft zu verbergen?“

„Nun, ich war zum Zeitpunkt der Geburt im Ausland. Du erinnerst dich sicher, dass ich vor vielen Jahren die togolesische Damenmannschaft trainieren sollte. Ich war auf Togo. Aber nicht, um dort zu trainieren. Das war ein für die Medien inszeniertes Alibi. Bei der Umsetzung half mir Inokuma.“

„Inokuma also. Er ist nicht gestorben, richtig?“

Mila hob die Schultern. „Jedenfalls nicht bei einem Flugzeugabsturz. Wenn jemand seinen eigenen Tod inszenieren kann, dann Inokuma. Seine Privatmaschine, die da brennend ins Meer gestürzt ist, hat er in nordkoreanischen Gewässern selbst angesteckt. Wie du weißt, hat er deren Damenmannschaft trainiert, kurz bevor sich unsere Wege zum ersten Mal kreuzten. Ich schätze, dass er sich dahin auch wieder abgesetzt hat. Er wollte nichts mehr zu tun haben mit dem Ganzen. So ist er eben – er geht, ohne dass wir wissen können, wann und ob er je wiederkommt.“

Schlenina sprang auf. „Aber er ist doch nicht etwa der Vater deines…“

„Blödsinn“, quittierte Mila empört und errötete. „Wie kommst du nur auf so etwas Abwegiges? Trotzdem hat er mir in dieser schwierigen Zeit sehr geholfen, die Schwangerschaft zu verbergen. Er hat mich zu dieser Zeit heimlich trainiert, nur so konnte ich in Form bleiben und musste meine Karriere nicht aufgeben. “

„Das traue ich ihm zu, eine Schwangere zu trainieren“, knurrte Schlenina, doch Mila schüttelte den Kopf. „Nein, Schlenina. Es kam zum Eklat zwischen uns. Er weigerte sich, mich weiter zu trainieren je mehr es auf die Geburt zuging. Er nannte mich fanatisch, geistesgestört. Tja, irgendwann war denn weg.“

„Wie schön“, sagte Schlenina beinahe erleichtert. „Dann ist Trainer Inokuma also doch noch einmal vernünftig geworden. Aber das erklärt auch, warum Sanyo es weiß. Als seine Schwester hat sie es wohl herausgefunden, nicht wahr?“

Mila nickte. „Aber sie tut, als hätte sie nie etwas erfahren. So wie auch ich nie etwas über die Verwandtschaftsverhältnisse der beiden erzählte.“

Schlenina ließ sich wieder neben Mila auf die Schaukel herab und sah zum Nachthimmel hinauf. Es war keine leichte Wahrheit, die sie erfahren hatte, und in diesem Moment war ihr noch nicht klar, wo sie Milas Einstellung eigentlich einsortieren sollte.

„Ich könnte mir das nicht vorstellen“, sagte Schlenina, den Blick gen Mond gerichtet. „Meine Kinder nicht aufwachsen zu sehen. Ihnen nicht zu sagen, dass ich ihre Mutter bin.“

Sie fühlte, dass Mila diese Worte etwas kränkten. Ihre japanische Freundin war etwas zusammengesungen und kniff ihre etwas ausgedünnten, aber noch immer wohl geschwungenen Lippen zusammen, wie sie es schon in ihrer Teenagerzeit getan hatte. Schlenina kannte diese Haltung Mila noch zu gut. Es war die Haltung einer Verliererin, wie ein König, der in der Schlacht zum letzten Mal seine Truppen an sich zerrte. So stand sie immer da, wenn sie auf dem Spielfeld besiegt worden war.

„Es geht ihm gut, da wo er ist“, sagte sie leise, kaum hörbar.

„Aber seine Mutter, die ist nicht da!“ rief Schlenina dafür um so lauter.

„Was spielt das für eine Rolle? Er ist bei seinem Vater, das ist doch besser als gar nichts.“

Schlenina machte nun keinen Hehl mehr aus ihrer Auflehnung: „Besser als nichts? Hörst du dich eigentlich selbst reden? Du hattest doch selbst eine Mutter und musst wissen, wie wichtig sie ist für ein Kind!“

„Du musst so etwas sagen, weil du dich dazu entschieden hast, ein Heimchen am Herd zu werden. Du verstehst nichts davon, wie es ist, wenn man nicht eben sagen kann: Ich bin dann mal weg aus der Öffentlichkeit und mache jetzt auf glückliche Familie“, sagte Mila kühl.

„Genau das habe ich gesagt!“ erwiderte Schlenina. „Und ich bin glücklicher denn je.“

„Das ist schön für dich, dann akzeptiere, wenn für andere Glück etwas anderes bedeutet.“

Schlenina sprang so heftig auf die Füße, dass die Halterung der Schaukel knarzte, und Mila erschrocken aufsah. Ihre ehemalige Gegnerin kniff die Zähne zusammen, der Zorn loderte in ihren Augen. Wie damals, dachte Mila, als wir uns am Netz gegenüberstanden und sie auf keinen Fall bereit war, uns den Sieg zu überlassen.

Schlenina sah aus wie eine zu allem entschlossene Kriegsgöttin, als sie laut und fest sagte:

„Was ist das für ein Glück, mit dem du dich da zierst? Ein Glück zum Nachteil deines Kindes. Du hast es verlassen, weil du selbstsüchtig und erfolgsbetrunken bist. Pfui Teufel, Mila, wie widerlich! Schon damals warst du aufmerksamkeitssüchtig und furchtbar eitel, aber das übersteigt alles.“

„Unsinn!“ brüllte Mila zurück, stellte aber fest, dass ihre Stimme nicht ansatzweise so laut war wie die von Schlenina. „Ich habe niemanden verlassen! Ich habe es ernsthaft versucht. Aber während der Schwangerschaft wurde mir klar, dass ich nie eine Mutter oder Ehefrau sein würde.“

„Natürlich, da müsste man sich auch um andere kümmern als um sich selbst.“

„Damit hat es nichts zu tun! Der Vater wollte das Kind – ich aber nicht. Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen?“

Schlenina beugte sich ein Stück zu ihr herab. Dabei fiel Mila auf, wie viel größer sie eigentlich war.

„Willst du mir erzählen, du hättest nie eine andere Wahl gehabt, als für die Karriere einzutreten? Was für ein Glück ist das, das du gefunden hast? Sieh dich an: Du bist ein depressives Wrack, ein verwundetes Tier, das den Schmerz mit sich herumträgt, seine Familie verlassen zu haben, weil es selbstverliebt ist.“

Mila war an einem Punkt, den sie jahrelang tief weggeschlossen hatte, im Inneren, eine Ebene, zu der sie selbst sehr selten Zugriff hatte. Es waren gefährliche Tiefen in ihrer Seele, Schluchten, Risse und Narben, an dem dieser Punkt vergraben lag. Schlenina, die Kriegerin, war bis in die tiefsten Abgründe hervorgedrungen, weiter hinter alle tolerierbaren Grenze gegangen, und stach mit nahezu unverschämter Gnadenlosigkeit ihr Schwert in die tiefe Wunde. Eine Wut kochte in Mila hoch, die selbst kaum kontrollieren konnte. Sie konnte sich im Endeffekt auch nicht mehr erklären, was in ihr dazu führte, dass sie ihren rechten Arm, ihre stärkste Waffe, gegen Schlenina erhob, um auf das perfekte Gesicht vor ihr einzuschlagen. Milas Rechte war gefürchtet, nicht umsonst, die „eiserner Rechte“ hatte man ihren Arm genannt, der so viele Spiele für sich entschieden und einige Spielerinnen spielunfähig gemacht hatte.

Schlenina fing ihren rechten Arm mit der linken Hand ab, als handle es sich um einen Papierflieger. Entsetzt versuchte Mila, sich aus dem Griff ihrer Freundin zu befreien, doch so sehr sie zerrte und rüttelte, es gelang ihr nicht. Wie eine Katze, die in die Falle gegangen war. Schlenina blieb ganz ruhig. Sie öffnete schließlich ihren Griff und Mila stürzte ob ihrer eigenen Unbeherrschtheit zu Boden. Dort blieb sie setzen.

Schlenina beugte sich herab. Sie war Mila mitnichten böse, denn sie verstand zu gut, dass Schmerz viele Gesichter hatte. Die Tränen tropften vom Kinn ihrer Freundin.

„Ich habe sehr wohl für den Erfolg bezahlt“, schluchzte Mila nun wieder kleinlaut. „Alle, die es erfahren haben, wandten sich von mir ab. Sogar meine Eltern sprachen jahrelang keinen Ton mit mir. Sie stehen dem Vater dagegen sehr nah. Auch wenn sie sich ihrem Enkel wegen mir nicht offenbaren können.“

„Und der Vater des Kindes?“ fragte Schlenina. „Hat er sich wieder bei dir gemeldet?“

Mila schüttelte mit finsterem Blick den Kopf. „Ich kann Hongo verstehen, etwas anderes erwarte ich nicht. Schließlich habe ich das Kind sozusagen vor seiner Haustüre abgestellt. Du hast Recht mit dem, was du sagtest. Ich verdiene im Grunde kein Glück, und ich bin auch nicht glücklich.“

„Hongo…“, sagte Schlenina und unterdrückte den Impuls, laut aufzuschreien. „Aber…wie ist es nur dazu gekommen, dass ihr…ich meine…es geht mich natürlich nichts an, aber ich…“

Da huschte wieder ein schwaches Lächeln über Milas Gesicht, als sie Schleninas verblüfften Gesichtsausdruck wahrnahm. Sie trocknete ihre Tränen mit dem Handrücken. „Lange Zeit hielt ich nichts von Beziehungen. Meine große Liebe war Tsutomu. Sämtliche Interessen, mich mit jemandem zu binden, sind damals mit ihm gestorben. Ich hatte die Trauer nur im Ansatz überwunden, als Yushima kam. Aber der…nun ja, du weißt ja, er hat Yamamoto geheiratet.“

„Und dann entdeckst du deine flammende Liebe für deinen ehemaligen Lehrer?“ fragte Schlenina ungläubig.

„Nein, so war es nicht. Aber wir hatten diese spezielle Verbindung. Sie bestand schon damals, während der Schulzeit, aber nur auf geistiger Ebene. Ich kann es dir nicht so recht erklären. Ich kann dir nur sagen, dass ich darüber im Grunde genauso entsetzt bin, wie du.“

Schlenina begann zu lachen, und nachdem Mila darüber erst staunte, stimmte sie nach einer Weile in das Lachen ein.
 

***

Der Morgen kletterte über die Dächer der Stadt. Der Horizont war zunächst graublau, dann wurde er von einem kräftigen Rot abgelöst, ein Glühen, direkt hinter den Bergspitzen. Schlenina und Mila waren eine Weile durch die Stadt Fujimi spaziert. Auf dem Bahnsteig machten sie letztlich Halt.

„Nein, das irrsinnig“, sagte Mila widerwillig und sah bockig zu ihren Füßen. „Ich kann nicht einfach dort hinfahren und mich meinem Kind als Mutter vorstellen.“

„Und ob du das kannst“, machte Schlenina ihr Mut.

„Hongo spricht nicht mir, das bringt ohnehin nichts. Er wird mich sicher seines Hauses verweisen.“

„Das weisst du doch gar nicht, und du wirst es nie herausfinden, wenn du dich nicht dem stellst, vor dem du geflohen bist!“ widersprach Schlenina. Sie hatte Milas Schulterm umfasst.

Diese wagte den letzten Versuch eines Protests: „ Aber die anderen, sie…“

„Ich werde ihnen einfach sagen, dass du im Grunde nur auf der Zwischenreise warst, denn dein letztes großes Match wirst du noch bestehen“, meinte ihre russische Freundin.

„Nein. Sag ihnen bitte, wie es wirklich ist.“

Schlenina zog vor Überraschung die Brauen an. „Das möchtest du ernsthaft? Dann gibt es kein Zurück, das muss dir klar sein.“

„Ich möchte gar nicht zurück“ sagte Mila lächelnd. Sie drückte Schlenina ein letztes Mal sehr fest. Dann stieg sie in den Zug.
 

ENDE



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