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Mila Superstar - Wiedersehen in Fujimigahara

Reuinion 2000
von

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Das, wovor du flüchtest - Teil 1

Das Licht des Mondes tauchte das nächtliche Fujimi in ein friedliches Licht. Grillen zirpten, von der Teichanlage im botanischen Garten quakte eine Kröte, in der Ferne bellte ein Hund. Die Luft war geschwängert mit dem Duft frischer Minze, die es nur in ihrer Heimat gab, nassen Gras und Zedernholz. Hier, am Fuße des Fuji, war er noch sehr gut spürbar, der alte Geist Japans.

Der vorangegangene Regen hatte die Nachtluft selbst für eine Sommernacht gut abgekühlt, das tat gut, und der sanfte Wind, der ihre Wangen und ihr Haar umspielte trieb ein wenig ihre Beklemmung davon.

Mila und Schlenina saßen nebeneinander auf den Schaukeln, und alle Anspannung war von Mila gefallen, denn sie wusste, dass die beiden jetzt zum ersten Mal an diesem Abend sie selbst sein konnten. Sofort stellte sich zwischen den beiden eine gewisse Vertraut ein, die keiner großen Worte bedurfte.

„Wie schön meine Heimat ist“, sagte Mila nach einer ganzen Weile. „Ich hatte es um ehrlich zu sein schon ganz vergessen.“

Schlenina nickte. „Dieses Land ist sehr klein, aber es ist wirklich wunderschön. Die Berge, das Meer, die Wälder. Ich staune jedes Mal wieder darüber, wenn ich hier bin. Wie lange wirst du noch bleiben, Mila?“

„Nur diese Nacht. Ich breche gleich morgen früh wieder auf, denn schon im Nachmittag finden wieder Trainings statt.“

Schlenina war enttäuscht. „Was, schon morgen? Das ist wirklich bedauerlich, Mila, ich dachte, dass wir noch Zeit genug haben, über die alten Zeiten zu plaudern. Wir haben doch eine ganze Menge zu erzählen.“

„Es tut mir sehr leid, aber es geht nicht anders. Ich trainiere immerhin eine Nationalmannschaft, und schon nächste Woche findet ein Freundschaftsspiel statt. Ich kann meine Mädchen auch nicht im Stich lassen“, sagte Mila.

Schlenina seufzte und sah betreten zu ihren Füßen herab. Dann hob sie den Kopf und sah Mila direkt in die Augen, die ein wenig erschrak. Da war er wieder, dieser direkte, durchdringende Blick, der ungehalten in die dunkelsten Abgründe und Winkel der Seele blicken konnte. Das war schon früher so – Schlenina sah einen nur an und schien genau Bescheid zu wissen, sie durchschaute alles, nichts konnte man vor ihr verbergen. Sie wusste genau, welche Ängste ihre Gegner hegten, und das war ein Punkt, den sie immer hatte positiv für sich nutzen können auf dem Spielfeld.

„Sag mal Mila, findest du, dass Volleyball heute noch denselben Stellenwert hat wie damals, als wir uns bei der Weltmeisterschaft gegenüberstanden?“

„Selbstverständlich hat er das“, sagte Mila ein wenig empört. „Es mag sein, dass heute andere Sportarten populärer sind, Fußball oder Eishockey vielleicht, aber natürlich ist Volleyball noch wichtig.“

„Ach ja? Also ich habe kein Interesse am Fußball, kann dir aber sagen, wer die letzte WM gewonnen hat. Ich schaue keine Olympiade mehr, aber weiß, wer das Siegerland war. Volleyball? Wo finden denn heutzutage Volleyballturniere statt?“

Mila spürte, wie ihr Puls in die Höhe schoss. „Wie kannst du sowas sagen, Schlenina!“ rief sie ehrlich verletzt, und Schlenina glaubte schon, Tränen in ihren Augenwinkeln zu sehen. –„Wieso! Warum muss ich ausgerechnet DIR erklären, wie wichtig der Stellenwert von Volleyball ist!“

„Weil dieser Sport keine große Rolle mehr spielt“, sagte Schlenina absolut unbeeindruckt. – „Er hat als nationales Instrument ausgedient.“

„Als…als nationales Instrument?“ Mila war gleichsam verblüfft und außer sich. „Was soll das heißen? Was meinst du damit?“

„Sei doch mal ehrlich, Mila“, Schlenina holte tief Luft. „Das, was wir damals gespielt haben, war nicht nur einfach Volleyball. In Wahrheit war es ein Wettrüsten zwischen unseren Staaten, eine Machtdemonstration. Das hat sich auch auf alle anderen Sportbereiche ausgedehnt, aber damals war es besonders der Volleyball, bei dem international große Erfolge eingeholt werden konnten. Es ging nicht nur um den Sport an sich, es ging darum, wer der Beste ist, und das unter erstaunlich unsportlichen Methoden.“

„Dafür, dass du dich so beklagst, warst du damals aber ziemlich begeistert von diesem, wie du es nennst, nationalem Instrument! Wer war denn lange Jahre an der Weltspitze des Frauenvolleyballs? Du oder ich?“ erboste sich Mila.

Schlenina nickte. „Damals im Sowjet-Russland war Sport eine nationale Angelegenheit. Bei euch war es genauso, Mila. Ihr habt nach Hiroshima euer Bestes gegeben, mit den Westmächten mitzuhalten.“

„Jetzt gehst du zu weit!“ brüllte Mila.

„Nein, so ist es. Damals wurden gesundheitliche Spätfolgen beim Training gut und gerne in Kauf genommen. Wir waren Kanonenfutter im Kräftemessen zwischen den Mächten. Was zählten wir als Menschen?“

Mila antwortete nicht. Sie wusste, dass Schlenina gewissermaßen Recht hatte, doch davon wollte sie nichts hören. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen. Doch sie wollte mit ihrem damaligen Vorbild nicht im Schlechten auseinander gehen, so sehr sie ihre Worte auch kränkten.

„Wir hatten auch Vorteile von diesem System“, sagte Mila schließlich und bemühte sich um Ruhe.

„Ruhm, Ehre, Wohlstand – das haben wir uns erarbeitet. Ja, die Zeit war hart, aber es hat sich doch im Endeffekt gelohnt. Und wir haben unseren Heimatländern ein Stück Eigenständigkeit und Respekt zurückgegeben. Ist das denn nichts?“

„Keine Ahnung. Mein Heimatland gibt’s ja so gesehen nicht mehr“, sagte Schlenina müde.

„Du kannst den Volleyball nicht auf bloße Politik reduzieren!“ Mila deutete auf das Clubhaus. „Sie alle haben nichts in ihrem Leben so sehr geliebt wie den Volleyball. Wir haben gebrannt für diese Leidenschaft. Unsere ganze Jugend haben wir diesem Spiel gewidmet.“

„Wovon sie mittlerweile den Großteil wieder vergessen haben“, ergänzte Schlenina und setzte noch eins oben drauf: „Ich wette, dass heute nicht eine einzige dir den Ball auch nur hoch genug zuspielen könnte.“

„Schlenina!“ fauchte Mila. „Was ist mit dir? Hältst du dich für etwas Besseres, Überlegeneres?“

Schlenina begann herzzerreißend zu lachen, und Mila dachte nicht zum ersten Mal, dass ihr Gesicht fast jünger wirkte als damals. Ja, von den beiden war sie die Überlegene. Das hatte sich nicht geändert. Nicht einmal dieser eine Sieg über die Russen in Bulgarien hatte das je ändern können. Schleninas Lachen schwoll auf, türmte sich vor ihr auf wie eine übermächtige Woge vor ihr auf und brach dann über Mila herein, die – an einem empfindlichen Punkt getroffen – fühlte, wie ihr schwindelig wurde. Schlenina wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

„Es tut mir leid, Mila, wie unhöflich von mir“, sagte sie in einer Atempause. „Ich lache dich keineswegs aus. Ich finde es nur zum Totlachen, dass du die ganze Zeit keinen Ton herausbekommst, aber erst dann leidenschaftlich und kämpferisch wirst, wenn das Gespräch auf Volleyball kommt. Das ist wirklich typisch für dich.“

„Das scheint ja wirklich sehr lustig zu sein“, brummte Mila und verschränkte beleidigt die Arme. Die kleine Machtdemonstration hatte ihre Wirkung gezeigt: Schleninas Lachen war offener, lauter, ungezähmter. Es verriet, dass sie keine Person war, die sich von Regeln und Vorschriften einschränken ließ, sie war offen, gänzlich frei. Im Gegensatz zu ihr, Mila, die noch immer dem Volleyball der alten Schule hinterherrannte.

Schleninas Gesicht war nun sehr sanft. „Soll ich dir sagen, was ich nach der Perestroika* gemacht habe? Lange Zeit war ich Trainerin und habe im Ministerium für Sporttalente gearbeitet. Bis ich meinen Mann kennen gelernt habe. Er ist Gärtner.“

„Gärt…ner“, sagte Mila tonlos.

„Genau. Unser Sommerhaus in Listwjanka** ist voller Pflanzen, die du noch im Leben gesehen hast! Man kommt sich vor wie in einem Tropenhaus. Es ist wundervoll, zusammen etwas anzupflanzen und zu sehen, wie es wächst“, sagte Schlenina, und ihre Augen leuchteten beinahe genauso hell wie der Mond. „Wenn du uns mal besuchen kommen würdest, könntest du dich selbst überzeugen. Unsere Gurken-Magnolien sind übrigens preisgekrönt! Weißt du, mein Mann ist das Beste, was mir je passieren konnte. Neben unseren Kindern natürlich. Gewissermaßen muss ich sagen, dass ich das dem Volleyball zu verdanken habe, denn er war immer auf Tribüne, beobachtete mich beim Training. Selbst bei meinem Akrobaten-Training im Staatszirkus kam er tagtäglich. Natürlich war er dann auch beim Endspiel in Bulgarien dabei. Die oberste Behörde war aber damals nicht für unsere Verbindung, wir mussten also lange Zeit warten.“

Mila sagte: „Volleyball spielt also in deinem Leben keine Rolle mehr?“

„Nein, auf keinen Fall“, sagte Schlenina entschlossen, und Mila nickte traurig, als habe ihre jemand eine Todesnachricht überbracht. „Was natürlich nicht heißt, dass wir mal eine Runde spielen können. Nächstes Jahr wollen wir mit unserer jüngsten Tochter nach Spanien fliegen. Dort ist Beachvolleyball angesagt, wenn du also Lust hast, dann komm mit. Meine Tochter würde bestimmt gerne gegen dich antreten.“, sagte Schlenina und kicherte.

„Verstehe.“

„Sei nicht traurig, Mila, dass ich dir nicht die Antwort geben kann, die du hören wolltest.“ Schlenina nahm Milas Hand. „Uns hat ja nicht nur der Volleyball verbunden. Es war eine Freundschaft, zwischen der damals aber mehrere politische und geographische Grenzen lagen.“

Mila sagte eine Weile nichts. Sie sah zum Mond hoch und begann sanft hin und her zu schaukeln. Erst, als sie eine gewisse Fassung gefunden hatte, sagte sie: - „Soll ich dir sagen, was mich die ganze Zeit aufrecht erhielt, weiterzumachen? So dass mich selbst die Lügenmärchen in der Presse nicht einmal angerührt haben? Ich wollte sein wie du. Ich konnte nie über dich siegen. Auch damals nicht, selbst wenn wir vielleicht mehr Punkte hatten in Bulgarien. Aber in gewisser Weise gewinnst du einfach immer, auch jetzt. All die Jahre habe ich gesehen, wie sich alle dem Volleyball abwandten. Selbst Midori – sie war der einzige Mensch hier, den ich an meiner Seite gebraucht hätte. Alle ließen mich sitzen. Sie haben mich im Stich gelassen, weil sie sich mit Dingen wie Studieren und Beziehungen aufgehalten haben. Jede von ihnen stand bald lieber zu Hause am Herd, anstatt dem Volleyball an die Weltspitze zu verhelfen. Ich war alleine. Völlig auf mich gestellt. Niemand nahm diesen Sport mehr ernst. Und nicht nur die. Auch Hongo, Inokuma – alle waren der Meinung, ich sei fanatisch, krank im Kopf. Doch wenn ich mir in einem ganz sicher war, dann dass wenigstens du mich verstehen würdest. Ich dachte, dass du bestimmt immer deinen Weg gehen würdest, gegen alle Widerstände den Ball verteidigst. Und nun…“

„Und nun stellst du fest, dass es nicht so ist.“, ergänzte Schlenina.

„Ja“, sagte Mila. Sie schluchzte nicht, aber eine Träne kugelte über ihre geröteten Wangen. – „Ich habe diesem Sport nicht nur meine Jugendzeit geopfert, sondern auch…“

„Sondern auch was?“

„Nichts. Lass uns nicht darüber reden. Du bist ja nicht gekommen, um dir diese Kamellen anzuhören. Ich muss selbst damit zurechtkommen, was ich mir aufgebürdet habe.“

„Nun hör auf, dir selbst leid zu tun“, mahnte Schlenina. „Ich bin natürlich hier, weil ich an DIR interessiert bin, nicht an deinen Trainingserfolgen oder deinem Curriculum. Ich weiß längst, dass du einen größeren Schmerz mit dir herumträgst, das habe ich im ersten Moment gesehen. Was genau ist dir passiert, Mila?“
 

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* Perestroika: Glasnost Perestroika (гласность Перестройка) war der von M.Gorbatschow eingeleitete Umbau der Sowjetunion, die schließlich in deren Auflösung gipfelte. Es entstanden wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich unabhängige Einzelstaaten.

** Listwjanka: Ist eine Siedlung am schönen Baikalsee in Sibirien, sehr nahe an der Grenze zur Mongolei.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Terra-gamy
2010-05-24T20:09:35+00:00 24.05.2010 22:09
oh man
was muss das für ein Gefühl sein, wenn die ärgste konkurrentin ein sagt, dass vollyball nicht mehr den gleichenstellenwert hat wi früher. In ihren Leben keine Rolle mehr spielt. Das ist doch ein Schlag ins Gesicht.

Tsutomo >< nur wegen des vollyball tuniers ist er gestorben
Inoukuma war doch selber fanatisch^^
kennst du die realkverfilmung attack no 1 dazu?
Von: abgemeldet
2010-05-24T17:28:03+00:00 24.05.2010 19:28
Ist ja Bombe, echt. Wie immer eine Meisterleistung. Vielen Dank für deine mühselige Arbeit

gez. Ein treuer Leser


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