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My Lord...

von

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Second Port

Der Tag der Ankunft war gekommen.

Mein Herr hatte zwar häufig Besuch, doch selten von so bekannten und angesehenen Herrschaften wie dem Earl Cartwright. Aus diesem Grund begannen wir schon Tage vor seinem Eintreffen mit unseren Vorbereitungen: das Haus musste von Glanz auf Hochglanz gebracht werden, die Bäume wurden neu beschnitten, Bouquets wurden im Haus verteilt, die privaten Räume wurden hergerichtet und in der Küche hatte man so viel zu tun, wie in einem großen Restaurant in London! Doch, der Aufwand hatte sich gelohnt und sogar mich hatte irgendwann die allgegenwärtige Aufregung angesteckt und ich hüpfte aufgeregt auf meinem Platz auf und ab, als Lizzy versuchte meinen Haaren ein anständiges Aussehen zu verpassen.

„Verdammt Dawn!“, schimpfte sie, als ihr zum wiederholten mal eine Haarsträhne aus der Hand rutschte, mit der sie liebevoll versuchte mir einen Fischgräten- Zopf zu flechten. „Wenn du nicht sitzen bleibst, dann wird das nie was und wir müssen schon gleich da sein!“

Ich drehte mich leicht zu ihr um und guckte sie entschuldigend an. „Ich bleibe jetzt sitzen, tut mir leid, Liz! Vielen Dank, dass du dich überhaupt meiner annimmst!“ Und das Chaos auf meinem Kopf bändigst!, fügte ich in Gedanken hinzu.

„Jaja...“, murmelte sie. In letzter Zeit war sie häufig in Gedanken nicht ganz da gewesen und sie hatte häufig nicht reagiert, wenn ich sie angesprochen hatte.

Besorgt versuchte ich einen Blick in ihr Gesicht zu erhaschen, doch sie band nun meinen Zopf so fest, dass ich nicht das Bedürfnis verspürte mich umzudrehen und dabei das Risiko einer verflechtung zu riskieren, also fragte ich nur, während ich auf die gegenüberliegende Wand starrte: „Ist alles in Ordnung bei dir Liz, du bist in letzter Zeit so abwesend!“

Ich spürte wie mein Zopf auf meinem Rücken landete. „Alles gut“, lachte meine beste Freundin. „Ich wollte nur schnell mit dem Zopf fertig werden, da wir zumindest heute nicht zu spät kommen sollten, oder etwa nicht?“

Angesprochen biss ich mir auf die Lippe und zog meine Taschenuhr aus meiner Rocktasche; es war viertel vor acht, der Earl wollte in fünfzehn Minuten kommen. „Wir sollten uns beeilen!“, rief ich aufgeregt, „Es ist gleich acht!“

Schimpfend sprang Lizzy von meinem Bett auf, auf dem sie sich neben mir niedergelassen hatte. „Ich bin doch noch nicht fertig und so kann ich doch nicht dem Earl entgegen treten!“ Sie zeigte an sich herunter, doch ich konnte nichts erkennen, was nicht tadellos war; wie immer war in meinem Blick auch eine gewisse Portion Neid: Lizzy war klein und zierlich und nicht so hochgewachsen wie ich. Außerdem hatte sie schönes glattes blondes Haar, während meine roten Locken kaum zu bändigen waren, alles in allem wollte ich unglaublich gerne mit ihr tauschen; aufgrund ihres Aussehens und ihrem freundlichen Charakter war sie sowohl bei den anderen Angestellten, als auch bei gewissen Familienmitgliedern sehr gerne gesehen.

„Du siehst perfekt aus!“, erwiderte ich lächelnd.

Liz wandte ihren Kopf zum kleinen Spiegel über meinem Nachttisch und blickte sich nachdenklich an. „Ein wenig Röte in Lippen und Wangen wäre schon nicht schlecht...“, murmelte sie. „Wenn das Rouge nur nicht so unglaublich teuer wäre...“, seufzte sie und biss sich stattdessen auf die Lippen und kniff sich in die Wangen, um zumindest ein wenig Farbe in ihr sonst recht blasses Gesicht zubringen. Sie fand es furchtbar, ich beneidete sie wieder einmal darum, dass ihr Gesicht nicht so wie meines voller Sommersprossen war.

Zufrieden blickte sie noch einmal ihr Spiegelbild an. „Jetzt können wir los!“ Sie band sich ihre gestärkte Schürze um und lächelte mich an.

Gähnend erhob ich mich von meinem Bett. In der letzten Nacht hatte ich nicht sonderlich viel geschlafen, zu aufgeregt war ich aufgrund des bevorstehenden Tages. Gefühlte hundertmal hatte ich mir diesen so gut aussehenden Earl vorgestellt, in jeder möglichen Größe, mit jeder Haarfarbe, die mir einfiel, sogar eine Glatze war dabei, und in den edelsten Kleidungsstücken, die ich je gesehen hatte.

Als wir durch einige Nebentreppen und enge Gänge vor dem Anwesen angekommen waren, wehte ein kühler Wind über die weiten Gärten, die sich vor uns erstreckten.

„Verdammt!“, wütend rieb sich Elizabeth ihre Arme. „Wieso müssen wir in aller herrgotts Frühe hier raus, wenn doch der Besuch erst in einer halben Stunde kommen soll!“

Wir hörten ein lautes Räuspern hinter uns und drehten uns um. „Meine Damen“ Vor uns stand Mrs Dovan, die oberste Kammerzofe, in einem bodenlangen schwarzen Kleid und einem strengen dunkel braunen Dutt, starrte uns abschätzig an. „Für das Personal des Hauses van Dosh ist es äußerst wichtig, dass sie ihren Haushalt angemessen repräsentieren, nicht wahr?“ Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.

Ich schluckte trocken. Mrs Dovan konnte mich noch nie leiden, sie hatte relativ schnell bemerkt, dass ich ein wenig unpünktlich und manchmal auch in gewissem Maße tollpatschig war, Eigenschaften, die für ein Hausmädchen nicht sehr förderlich waren. „J.. Ja, Ma’am!“, stammelte ich.

Ein weiterer böser Blick, doch dann wand sie sich ab und zischte uns nur noch zu: „Und jetzt nehmt endlich Haltung an, Mädchen, die Kutschen könnten jede Minute ankommen!“

Als die Kammerzofe außer Hörweite war brach Liz neben mir in lautes Gelächter aus. „Oh man, Dawn, was hast du nur gemacht, dass dich die Dovan so wenig leiden kann?“ Sie grinste mich breit an. „Ich bin schon total aufgeregt, wie der Earl wohl ist! Und ob er genau so gut aussieht, wie ich ihn mir ausgemalt hab!“ Sie redete weiter und weiter, doch ich driftete in meinen Gedanken ab, denn etwas am Horizont hatte meine Aufmerksamkeit geweckt.

„Liz!“, zischte ich und kniff meiner besten Freundin leicht in den Arm. „Guck mal!“

Ich deutete auf den sich bewegenden Punkt am Ende des Weges und sie folgte meinem Blick. Man konnte förmlich sehen, wie ihr beinahe die Augen aus dem Kopf fielen.

Eine riesige geschmückte Kutsche näherte sich unserem Anwesen. Die zwei Schimmel, die sie zogen schnaubten unter der Last des Gefährts, das war sogar auf die Entfernung zu erkennen, doch der Kutscher auf dem Kutschbock trieb sie immer weiter an.

„Ruft die Stallburschen, sie sollen sich unverzüglich um Mister Cartwrights Pferde kümmern!“, wies Mrs Dovan harsch ein Mädchen an, das sofort in Richtung der Stallungen eilte.

Fasziniert von der glänzenden goldenenen Kutsche konnte ich nicht anders, als meinen Blick nicht von ihr abzuwenden. Welch ein edler Herr musste der Earl Cartwright sein, wenn er ein solches Gefährt schon sein Eigen nennen konnte?

Um mich herum war es still geworden, ob es daran lag, dass die anderen Mädchen und Diender genau so gefesselt waren wie ich, oder weil es dem Anstand gebührte, bei der Ankunft eines Gastes zu schweigen, vermochte ich nicht zu sagen.

Mit einer großen Staubwolke kam die Kutsche im Innenhof, vor uns, zu stehen. Vom Kutschbock aus ertönte ein unterdrücktes Fluchen, als der Kutscher versuchte durch den Staub vom Kutschbock zu finden, um seinem Herren die Tür zu öffnen.

Doch noch bevor der Kutscher den Boden betreten hatte, öffnete sich langsam und vorsichtig die Kutschentür, wie als ob der Öffner Angst hätte, sich dem Licht auszusetzen. Oder als würde er Eindruck schinden wollen..., überlegte ich.

Das Erste, was ich von unserem neuen Gast zu sehen bekam, waren einige Strähnen seines dunkelbraunen Haares. Im Licht der Morgensonne schimmerten sie in einer fast übermenschlichen Schönheit. Und plötzlich waren seine Haare nicht nur braun, sondern braunoker, kupfern, wie die meinen und an manchen Stellen gülden, wie die Sonne hinter ihm am Horizont. Überwältigt von diesem Lichtspiel blieb mir der Atem stehen, doch in dem Moment, als er endgültig die Kutsche verließ und sich in seiner ganzen Pracht zeigte, war mir eher danach, wieder nach Luft zu schnappen.

Seine Haare hingen ihm in kleinen Strähnen in sein Gesicht, unter denen strahlend blaue Augen hervor blitzen, die uns abschätzig einzeln nach einander musterten. Als sein Blick an mir hängen blieb, wurde seine eh schon porzellanweiße Haut noch ein Stückchen weißer, doch weiter zeigte sich keine Reaktion in seinem Gesicht. Hab ich mir das nur eingebildet?

Scheinbar hatte er nun seine Musterung abgeschlossen, denn nun bewegte er sich schnurstracks auf uns zu. Sein schwarzer Gehrock wehte unter seinen energischen Schritten und einen Moment fürchtete ich, sein Zylinder, den er sich scheinbar noch aufgesetzt haben musste, würde dem Wind und dem zügigen Gehtempo seines Trägers zum Opfer fallen und zu Boden wehen. Na die anderen Mädchen hätten sich sicher darum geschlagen, wer ihn dann aufheben darf...  

Aber dazu kam es nicht. Mit einer Hand elegant an der Hutkrempe, kam er auf uns zu. Nun, auf uns war vielleicht nicht ganz korrekt. Natürlich wusste ich, dass sich edle Herrschaften nicht mit dem niederen Volk, das wir in ihren Augen darstellten, abgaben, aber trotzdem hätte ich ihn zumindest gerne... persönlich begrüßt.

Lizzy schien meinen Gedanken zu teilen. „Ich würde gerne mal mit ihm reden...“, murmelte sie leise, ohne den Blick von ihm abzuwenden und ohne die Lippen richtig zu bewegen, damit uns Mrs Dovan nicht bemerkte.

„Ich auch“, antwortete ich ihr und versuchte genauso wenig dabei aufzufallen wie sie, doch scheinbar gelang es mir nicht im Entferntesten, denn ich spürte die Blicke meiner Kolleginnen auf mir ruhen. Leise seufzte ich und verdrehte die Augen gen Himmel. Heute war wirklich nicht mein Tag.

So in meine Gedanken versunken, bemerkte ich nicht, das der Earl schon mit meinem Herren das Haus betreten hatten und die Mädchen und Butler um mich sich ins Anwesen begaben, um den Brunch zu servieren.

Als Michael an mir vorbei ging zupfte ich ihn leicht am Ärmel. Überrascht zuckte er zusammen und drehte sich mit einem besorgten Blick zu mir um. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ist alles in Ordnung bei dir, Mick?“

Langsam nickte er und wollte sich schon wieder von mir abwenden, als ich ihn noch gerade so am Handgelenk zu fassen bekam. „Renn nicht weg!“, fauchte ich. „Ich wollte dich was fragen!“

Geistesabwesend blickte er mich an. „Was ist denn?“, seine Stimme klang brüchig und wenn ich genauer musterte wirkte er sehr übermüdet. Übermüdeter als sonst.

Verwirrt blinzelte ich, bevor ich es schaffte ihm zu antworten. Das er so fertig aussah war seltsam. Sehr seltsam. „Ich wollte wissen ob wir Mädchen beim Frühstück auch servieren sollen...“

„Nicht das ich wüsste“, er schüttelte leicht den Kopf und lief dann schnellen Schrittes den anderen hinterher und ließ mich alleine und reichlich verwundert stehen.

Warum benahm er sich so seltsam?

 

Das Dinner fand wie immer, wenn hoher Besuch anwesend war, im großen Speisesaal statt, der sich nicht nur in Größe und Form unterschied, denn er war wesentlich ausladender und rundlicher als der Frühstücksaal der Herrschaften, sondern auch im Interior große Unterschiede aufwies. Von den Wänden hingen schwere Brokat Vorhänge, die elegant die schon etwas abgenutzte Tapete dahinter versteckten und auf kleinen Beistelltischchen aus Walnussholz waren Vasen aus teurem Meißnerporzellan drapiert, in denen üppige Blumenbouquets blühten, die wir alle zwei Tage auszuwechseln hatten. Die goldenen Kerzenleuchter, die wie in der Luft zu schweben schienen, tauchten den Raum in ein warmes, aber zugleich auch schauriges Licht. Häufig gab es abfällige Kommentare gegenüber meinem Herren, dass es in seinem Haushalt noch kein elektrisches Licht gäbe, die er stehts mit einem geheimnisvollen „Mann muss der Natur auch ihre Mysterien lassen“ quittierte. Doch genauso häufig, wie über die Ansichten des Viscounts van Dosh hergezogen wurde, so oft wurde genau diese Einstellung von vielen hohen Persönlichkeiten mit einem Besuch oder einer Einladung in einen der teureren Clubs Londons honoriert. Ich für meinen Teil genoss es, dass die Modernisierung diese alten Gemäuer noch nicht im Griff hatte.

Nachdem der Morgen zur vollsten Zufriedenheit aller, wenn man von den deprimierten Mädchen absah, die sich Chancen beim Earl versprochen hatten, verlaufen war, wurde der Earl auf sein Zimmer geleitet. Es war eines der größeren Gästezimmer im zweiten Stock, weit entfernt von Küche und Angestelltentrakt, nahe Bibliothek und Herrenzimmer, ein Raum, in den sich die Herrschaften zurück zogen, um nach dem Dinner eine Zigarre zu rauchen oder Karten und Billard zu spielen. Nicht selten wurden an diesen Abenden im schummrigen Zimmer Geschäfte abgeschlossen, die bei Tageslicht und vor allem bei Anwesenheit der Gattinnen unvorstellbar gewesen wären.  

Nach einer kurzen Verschnaufpause von der Fahrt und dem Besichtigen der Ländereien um Lansworther Castle, der eigentliche Name des Anwesens, der aber häufig in Vergessenheit geriet, weshalb das Gebäude eher unter dem Namen „Das Schloss der van Dosh“ bekannt war, begleitete der Earl meinen Herren auf eine kleine Fasanjagd nahe den kleinen Sees, der an die Ländereien meines Herrn grenzte. Eine kleine Einstimmung auf den morgigen Tag, wie mir Mick erzählte, als er sich in der Küche neben mich fallen ließ. „Die Kammerdiener sollen mitreiten und die Herrschaften bei einem ausgefallenen Picknick bedienen... Und ich hatte gehofft, den Tag frei zu bekommen...“, jammerte er.

Aufmerksam beobachtete ich ihn. Er benahm sich nicht im geringsten mehr so, wie heute morgen, er war wieder so, wie ich ihn normal kannte, wenn ich von seinen blutunterlaufenen Augen einmal absah.

„Hör auf, dich zu beschweren!“, kicherte Liz und knuffte Mick in die Seite. „Du darfst dafür den wohl bestaussehendsten Herren des ganzen Hauses ankleiden und ihm überall hin folgen!“ Schon eine Weile hatte sie stumm neben mir gesessen und in einem Buch geblättert, dass sie beim letzten Wochenmarkt nahe unseres Hauses hatte mitgehen lassen. Natürlich hatte ich sie missbilligend angeblickt, als sie mir ihren Fund präsentiert hatte, doch insgeheim beineidete ich sie dafür, genug Schneid zu haben, einfach etwas zu klauen. Von jemandem der noch weniger hatte, als ein Hausmädchen.

Micks Erscheinen schien sie aus ihrer Starre gerissen zu haben und auch sie benahm sich wieder normal, was bei ihr entspannt, witzig und albern hieß.

Trotzdem verwunderte mich das Verhalten meiner beiden besten Freunde. Hatte es einen Grund, dass sie sich mir gegenüber so seltsam benahmen?

Theatralisch fasste sich Mick ans Herz und starrte Lizzy geschockt an. „Wie kannst du es wagen, in meiner Gegenwart so etwas zu sagen, Elizabeth Fortress? Neben mir solle doch jeder Jüngling wie eine welke Tulpe wirken, oder was meint Ihr, Lady Dawn?“
 

Kichernd stieg ich ihn sein Spiel ein. „Werter Herr, ich bedauere Ihnen mitteilen zu müssen, dass Lady Elizabeth mit ihrer Aussage lediglich eine wohl bekannte Tatsache für die Öffentlichkeit publik gemacht hat!“, antwortete ich. Es machte Spaß, mit den beiden herum zu albern und es lenkte mich von den verwirrenden Gedanken, denen ich seit Stunden nachging, ab.

Wieder keuchte Mick übertrieben auf und taumelte ein paar Schritte nach hinten. „Myladys, verzeiht meine rüpelhafte Ausdrucksweise, doch möchte ich Sie wissen lassen, dass Sie...“, er grinste uns frech an. „Zwei freche kleine Hühner sind!“, lachte er und sprang auf uns zu, um uns zu kitzeln.

Lachend versuchten wir seine Hände weg zu schlagen, doch obwohl wir zu zweit und er nur alleine war, konnten wir uns nicht aus seinem festen Griff befreien. „Lass mich los... Darry!“, keifte Lizzie zwischen zwei Lachern. „Das ist... nicht witzig!“

Grinsend betrachtete er sie. „Warum lachst du dann?“, sang er fröhlich.

Mit einem Mal wurde es totenstill im Raum, nur das laute Lachen von mir und meiner besten Freundin schallte durch das Tonnengewölbe, in dem sich die Küche befand, doch ich war zu sehr damit beschäftigt mir den Kammerdiener vom Hals zu halten, als dass ich mich darüber hätte wundern können.

„Na na“, hörte ich eine weiche Stimme hinter mir. „So geht man doch nicht mit zwei jungen Damen um!“ Mick vor mir erstarrte augenblicklich zur Salzsäule. Wer stand da hinter mir, dass er so eine Wirkung auf den jungen Diener hatte? Langsam wand ich mich um und starrte in das kristallblaue Augenpaar unseres jüngsten Gastes. Ich spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg und stolperte einen Schritt nach hinten, als ich gegen die harte Brust meines guten Freundes stieß, lachte in mir eine kleine, hämische Stimme, die mir zuflüsterte: du wolltest doch immer einmal eng zwischen zwei gutaussehende Jünglinge geraten, jetzt hast du doch was du wolltest. Sicher, unter anderen Umständen wäre die Situation mehr als nur verlockend gewesen, auch wenn mir bewusst war, dass man als junge Dame nicht solchen unzüchtigen Gedanken nach gehen sollte, so hatte ich in diesem Moment mehr den je das Gefühl, diesen zwei Herren – und den hämischen Blicken der Hausangestellten – zu entfliehen.

Lizzie neben mir hatte sich als erste gefangen, knickste einmal keusch und sprach zu Earl Cartwright mit gesenktem Kopf: „Verzeiht, mein Herr, dass wir Euch so unangebracht in unserer Küche empfangen, ich hoffe Ihr vergebt uns unser Fehlverhalten!“

Erheiterung und eine freundliche Wärme blitzten in seinen kalten Augen auf, als er uns neugierig musterte. Michael schien sich sichtlich unwohl zu fühlen, bei dieser eindringlichen Betrachtung, doch nicht nur das schien ihn zu beunruhigen. „Mein Herr“, meinte er und blickte den jungen Earl flehend an. „ich hoffe Ihr haltet mich jetzt nicht für zu unreif, um Ihnen die kommenden Tage als Kammerdiener zu dienen. Falls dem so sei, so bitte ich Euch nur…“

Earl Cartwright gab ihm mit einer Hand das Zeichen zu schweigen. „Das einzige Vergehen, was ich dir vorwerfen kann, ist, dass du es geschafft hast, gleich zwei so reizende junge Damen zum Lachen zu bringen und dass ohne deinen Geldbeutel zu zücken, ich denke, dass ich noch etwas von dir lernen kann!“, lachte er herzlich und auch die Umstehenden kicherten leicht. Mick strahlte über das ganze Gesicht und ich war mir sicher, wäre er ein Hund, würde er mit dem Schwanz wackeln und darauf hoffen, dass ihm der Adelsherr einen Knochen gab. Auch meine beste Freundin war dem Charisma des Earls erlegen, sie seufzte leise und blickte ihn mit roten Wangen aus glasigen Augen an.

Leise schnaubte ich auf. Wie kam es, dass dieser junge Mann, der teilweise selbst so viel jünger war, als die meisten hier im Raum, alle so leicht um den Finger wickeln konnte? Sicher, er war sehr charmant, doch es ziemte sich nicht für einen Herrn von Rang, sich mit dem Personal abzugeben. Oder zu lachen. Oder gar Komplimente zu machen.

Der Herr musste meine Abneigung gespürt haben, denn er wand sich mit einem ironischen Grinsen an mich. „Hat man dir die Zunge rausgeschnitten oder bist du gar ein Fisch?“, fragte er mich lachend. „Möchtest du nicht mit mir reden, Ginger?“ Ginger, mit diesem Spitznamen, eine Anspielung auf meine kupferrote Haarfarbe, machte er sich bei mir noch unbeliebter.

Um ihm nicht noch mehr Vorgaben zu geben, um mich aufs Hopps zu nehmen erwiderte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Mylord, meine Zunge ist noch vollständig in Takt und so weit ich weiß, befindet sich in meiner Familie kein fischartiges Wesen, wenn man davon einmal absieht, dass einer meiner Vorfahren, ein Seefahrer, eine enge Beziehung zu Sirenen gehabt haben soll...“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, so bereute ich meine kessen Worte schon wieder. Manchmal arbeitete meine Zunge gegen mich und ließ mich Dinge sagen, die mich Kopf und Kragen kosten könnten – und so leider auch jetzt. Als mir mein unverzeihlicher Fehltritt bewusst wurde, senkte ich reumütig den Kopf. „Mein Herr, verzeiht, was ich gesagt habe!“, murmelte ich. Wie konnte ich so dumm sein? Dem Gast meines Herren so frech gegenüber zu treten und damit meine Stelle als Hausmädchen, meine Existenzversicherung,  zu riskieren. Ich musste nicht aufsehen, um zu bemerken, dass Lizzie neben mir entsetzt den Kopf schüttelte.

Plötzlich spürte ich einen Finger unter meinem Kinn, der mich zum Aufsehen zwang. Der Finger gehörte zur behandschuhten Hand des Earls. „Warum so ängstlich, junges Fräulein?“ Ich ignorierte die Tatsache, dass er höchstens zwei Jahre älter gewesen sein konnte. „Ich mag es, wenn Frauen Schneid haben und mir auch mal Paroli bieten! Es ist mir viel angenehmer mich mit Frauen zu umgeben, die mir Kontra geben und nicht nur anhimmelnd neben mir sitzen“ Sein Blick fiel auf die Mädchen, die als er den Raum betreten hatte, in ihrer Arbeit erstarrt waren und ihre Augen bis zu dem Augenblick nicht von ihm lösen konnten, als ihnen die Botschaft hinter seinen Worten bewusst wurde. Verschämt wandten sie den Blick ab. Dem Earl schien es nicht zu gefallen, dass die Aufmerksamkeit der weiblichen Zuhörer nun nicht mehr komplett auf ihm zu ruhen schien, darum fügte er hinzu: „Was nicht bedeutet, dass ich diese Damen nicht auch in meinem Kreise begrüße!“, sagte er und lächelte strahlend in die Runde.

Die angespannte Stimmung löste sich augenblicklich auf und alle schienen wieder ihren gewohnten Beschäftigungen nach zu gehen, so als wäre der Earl bereits die Kellertreppe hinauf gestiegen und hätte damit den Arbeitstrakt verlassen. Sehr seltsam, dachte ich. Wieso ist allen jetzt der Earl so egal?

Earl Cartwright schenkte mir noch ein letztes breites Lächeln, als er sich zum Gehen wand und sich laut von allen verabschiedete. Vereinzelt gab es Reaktionen, doch die fielen nicht mehr aus, als die bei einem Angestellten, der zum Wochenendausflug nach Hause aufbrach.

Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, doch nichts schien ungewöhnlich zu sein: an den großen Waschschüsseln trockneten drei junge Mädchen das Geschirr ab, dass noch vom Frühstück stehen geblieben war, am hölzernen Tisch in der Mitte des Raumes polierte eine Zofe das Silberbesteck und beobachtete mit abwesendem Blick einen jungen Diener, der sich mit einem anderen unterhaltend in der Ecke stand und scheinbar Witze über die Magd riss, die die Fasane rupfte, welche die Herrschaften bei der Jagd erlegt hatten. Wie kam es also, dass alle plötzlich keine Notiz mehr vom Adelsherren zu nehmen schienen?

Vielleicht schlicht und ergreifend, weil er nicht mehr im Raum war, denn als ich mich umwand,  um ihn noch ein Mal zu betrachten merkte ich, dass er während meiner gründlichen Inspektion der Küche längst diese verlassen hatte.

Ich winkte meine Freudin heran. „Was war denn das eben, Lizzie? Warum haben sich alle so seltsam verhalten?“

Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. „Was weiß ich? Vielleicht ist ihnen einfach nur eingefallen, dass das Diner in gut zwei Stunden serviert wird und noch viel zu machen ist!“ Interessiert musterte sie mich. „Heute bist du komisch drauf, Dawn. Du wirkst den ganzen Tag schon so tief in deinen Gedanken versunken! Wenn irgendwas ist, sag es mir einfach und wir machen die Mistkerle fertig, die dich so beschäftigen!“, lachte sie und ließ die Fingerknöchel knacken.

Überrascht riss ich die Augen auf. Lizzie war sonst wesentlich weiblicher und würde nie auf die Idee kommen, mit ihren Fingern zu knacken, wie ein verschwitzter Boxer im Ring. Als sie meinen Blick bemerkte, lachte sie auf und sagte zwinkernd zu mir: „Keine Sorge, war nur ein Witz! Ich haue mich schon mit niemandem, das würde mir zu sehr leid für meine Gegner tun!“ Wieder grinste sie mich breit an.

„Dawn! Lizzie!“, hörte ich die Stimme Norberts aus der hinteren Ecke der Küche. Er war der Kammerdiener seiner Lordschaft und seine Familie diente der der Van Dosh bereits seit vier Generationen, für ihn war sein Beruf ernst und er duldete keine Nachlässigkeiten in seinem Personal.  „Wenn ihr euch zu einem gemütlichen Kaffeeplausch zusammen setzten wollt, könnt ihr hoch in den Salon gehen, die Ladyschaften versammeln sich gerade zum Tee!“

Innerlich fluchend biss ich mir auf die Lippe. Dass es Norbert neben Mrs Dovan auch noch auf mich abgesehen hatte, konnte ich nicht wirklich gebrauchen. „Verzeihen Sie, Norbert! Wir machen uns sofort an die Arbeit!“, rief ich zurück

In Windeseile hatte ich mir wieder meine Schürze umgebunden, die ich in meiner kurzen Pause beiseite gelegt hatte, und die Ärmel hochgekrempelt. Wenn das Essen perfekt werden sollte, wie von uns erwartet, dann musste ich mich an die Arbeit machen.

Für eine kurze Zeit waren meine Gedanken noch bei dem seltsamen Vorfall mit dem Earl und auch bei Micks komischen Verhalten, doch dann beanspruchte das Essen meine volle Aufmerksamkeit. 



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