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My Lord...

von

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Third Port

„Der werte Gast meint, dass er sich nicht wohl fühle und sein Frühstück aufs Zimmer gebracht haben möchte“, donnerte die tiefe Stimme Mister Widowsons durch das kleine Angestellten-Speisezimmer. Stühle wurden nach hinten geschoben und wir sprangen alle von unseren Plätzen auf, so wie es sich ziemte, wenn der oberste Butler den Raum betrat.

„Wie kommt es, dass der werte Earl Cartwright bereits zu so früher Stunde wach ist, Norbert? Es ist erst...“, sagte ich, nachdem wir uns wieder setzten durften, mein Blick wanderte zu der alten Uhr, die auf dem Geschirrschrank stand. „Kurz nach Sechs! Die Herren werden doch sicher gestern lange getagt haben, oder? Es ist ungewohnt, dass ein Herr, wie er es ist, sich bereits zu solch früher Stunde aus dem Bett bequemt!“, überlegte ich laut.

„Wir sind nicht dazu befugt, die Handlungen der Herrschaften in Frage zu stellen, Miss Longford“, wand er sich an mich. „Und die Privatsphäre derer zu wahren, die unser tägliches Einkommen sichern, sollten wir als Personal als unsere höchste Pflicht verstehen, nicht wahr, Miss Langford?“, wiederholte er mit Nachdruck.

Beschämt sackte ich auf meinem Stuhl zusammen. „Ja, Mister Windowson“, murmelte ich und blickte auf mein angebissenes Butterbrot, um den gierenden Blicken der anderen Bediensteten zu entgehen.

„Ich erzähle Ihnen das alles“, sagte der Butler nun an alle gewandt. „weil Mister Darry mit hohem Fieber im Bett liegt und so unmöglich seine Lordschaft einkleiden und das Frühstück servieren kann. Ich persönlich werde mich darum kümmern, dass seine Knöpfe alle geschlossen und die Schnürsenkel gebunden sind“, meinte er mit einem süffisantem Lächeln. „aber es müssen sich bitte zwei Mädchen finden, die dem Earl in spätestens einer Viertelstunde servieren, bis dahin sollte er seine erste morgendliche Toilette beendet haben.“

Verhalten räusperte ich mich. Jedes Mädchen würde vor Freude schreiend aufspringen, wenn es gefragt würde, ob es einem noch verschlafenen und recht gut aussehenden Herren das Frühstück servieren wollen würde, doch nicht während es beim Frühstück wäre.

Man kann nicht behaupten, dass wir im Haushalt der Van Dosh nicht genug zu essen bekämen, nur war es so, dass die einzige Mahlzeit, die wir bis zur Mittagsruhe der Herrschaften bekamen, nun ein Mal das Frühstück war. Und das war dank unser famosen Köchin auch noch so köstlich, dass ich in den ersten Monaten, in denen ich als Hausmädchen im Dienst war, von einem mageren und bleichen Gespenst, das wirkte, als würde der nächste Windhauch sie mit sich nehmen, zu einem stattlich gebauten jungen Mädchen, dem das Kleid an manchen Stellen gehörig in den Bauch zwickte.

Doch die paar Pfund, die ich mehr wog, nahm ich gerne in Kauf, wenn ich mir anhörte, was die Mädchen aus anderen Häusern zu essen bekamen. In der Nähe von Mountain Creek, dem Dörflein, das zu weiten Teilen von den Van Dosh gepachtet war, gab es noch drei weitere Adelsfamilien, die Lanwanstingtors, die MacGuyvers und die Ferrolis, eine ursprünglich aus Italien stammende Familie. Während Lord und Lady Lanwanstingtor von einer Renovierung der Küche, der Angestelltenräume und auch der Vorratskammer absahen und somit ihre Angestellten auf Holzkisten sitzend die fast schon vergorenen und verfaulten Lebensmittel speisen ließen, gingen die MacGuyvers so knauserig mit ihren Ersparnissen um, dass für die Bediensteten höchstens halbe Portionen gab. Einzig die Mädchen der Ferrolis wussten ein gutes Wort von ihren Hausherren und ihrem Essen zu erzählen: Mama Lotta schien eine fast so gute Köchin zu sein, wie unsere Mrs Pottage.

Es war in den letzten Jahren eine meiner liebsten Beschäftigungen geworden, am Samstagabend die anderen Bediensteten in meinem Alter hinunter ins Dorf zu begleiten, um mit den Angestellten aus den umliegenden Haushalten in der Dorfkneipe zu reden. Meistens wurde viel gelästert – sowohl über andere Angestellte, als auch über Adlige, wie Gäste auf unserem Hof oder unsere Herrschaften selbst – aber das war es nicht, was mich interessierte. Ich hoffte jedes Mal Informationen aufzuschnappen, wie es um London, den Rest von Groß Britannien, Europa, ja sogar die ganze Welt stand. Es war nicht so, als wäre ich in besonderem Maße am Weltgeschehen interessiert, um die Wahrheit zu sagen kümmerte es mich eigentlich herzlich wenig, aber es war toll zu hören, welche neuen Erfindungen gemacht wurden. Erst vor kurzem hatte es ein Mann geschafft, auf eine runde Scheibe Kratzer zu machen, die durch ein Ding, dass sich Grammophon nannte, Töne produzieren konnten. Ganz hatte ich noch nicht verstanden wie es funktionierte, aber ich war fasziniert von der Vorstellung, auch in meinem Zimmer ganz einfach Musik hören zu können, immer und so oft, wie ich wollte. Dieses Objekt, dieses Grammophon war, natürlich, in Amerika erfunden worden. Er musste einfach faszinierend sein, dieser Kontinent. So groß und vor allem...

So weit weg von allem...

Ein Rütteln an meiner Schulter holte mich aus meinen Gedanken.

„Dawn“, meinte Lara, eins der älteren Hausmädchen. „Mister Widowson hat doch gemeint, dass du und Charlotte euch um das Frühstück für den jungen Herrn kümmern sollt! Jetzt ist keine Zeit um tag zu träumen!“, ermahnte sie mich.

Verwundert blinzelte ich sie an. „Bitte was?“, fragte ich.

„Du sollst Frühstück servieren. Jetzt“, wiederholte sie langsam und blickte mich dabei an, als wäre ich in ihren Augen nicht ganz gescheit im Kopf.

Wann auch immer diese Entscheidung getroffen worden war, ich hatte sie nicht nur anscheinend verschlafen, irgendwie hatte ich auch noch unbewusst zugestimmt.

Na Klasse, Frühstück ade…

Seufzend und ohne noch etwas zu erwidern erhob ich mich. Es war logisch, dass ich da nun nicht mehr herauskam, schließlich hatte ich mich ja vorher nicht gewehrt. Ich stopfte mir die Scheibe Brot quer in den Mund und holte aus der Küche das Tablett mit dampfendem weißen Bohnen auf Weißbrot, an gebratenen Schinken und Würstchen, das das Frühstück für den Herren darstellte.

Vor Neid und Hunger lief mir das Wasser im Munde zusammen.

„Du denkst doch nicht etwa darüber nach, dir was von dem Speck zu mopsen?“, kicherte Charlotte, als sie meinen Blick bemerkt hatte. Auch sie gehörte zu den Mädchen, die bereits am Hause der Van Doshs war bevor ich kam. Mit ihrem strengen hohen Dutt wirkte sie jedoch mehr wie eine boshafte Geigenlehrerin, die einem bei jedem falschen Ton den Bogen über zog, als wie die liebevolle und führsorgliche junge Frau, die sie aber war. Sie wurde von allen als die große Schwester, die über uns Mädchen ihre schützende Hand hält gesehen und so kam es, dass sie oft diejenige war, die Tränen abtrocknen musste und Streitereien um das letzte Eclair klären durfte.

„Wenn mich nicht alles täuscht, dürften in der Küche noch zwei Scheiben liegen – wenn wir uns beeilen, dann können wir uns sicher darauf freuen!“, meint sie zwinkernd.

Peinlich ertappt nicke ich. Es war die Art von Peinlichkeit, die man empfand, wenn man sich nicht so reif vor der Person, die man bewunderte, verhielt, wie man wollte. „Da... Dann sollten wir uns beeilen, nicht w...“, setzte ich an, doch ein lautes Schimpfen aus der Küche unterbrach mich.

„Grundgütiger!“, hörte ich die aufgebrachte Stimme von Mrs Dovan. „Schafft es denn wirklich keines von euch Mädchen, das Silbergeschirr so zu polieren, dass auch wirklich jede angelaufene Stelle verschwunden ist? Ist das zu viel verlangt?“

Sie streckte ihren Kopf in den Gang und blickte Hilfesuchend zu Charlotte. „Miss Knox? Könnten Sie mir bitte helfen, den neuen Mädchen ein für alle Mal ordentliches Silberputzen zu zeigen?“ Was zwar eine Frage sein sollte, klang dank des Nachdrucks mit dem die Kammerzofe die letzten Worte sagte, aber vielmehr nach einer Aufforderung, der es nach zu gehen gehörte.

Gequält lächelte Charlotte mich an. „Entschuldige“, flüsterte sie. „Ich muss da jetzt hin! Schaffst du das auch alleine?“

Alleine zu dem jungen Lord? „Lotti... Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute...“

„Miss Knox?“, ertönte es ungeduldig. „Ich warte!“

Mit einem entschuldigenden Blick drückte mir Charlotte ihr Tablett in die Hand und wand sich zum gehen. „Du schaffst das schon!“, versicherte sie mir. „Ich rette dir auch den Schinken!“ Und damit war sie verschwunden und ließ mich mit zwei Tabletts voller Frühstück zurück.

Na dann, mir blieb nichts anderes übrig, als nun eben alleine das Frühstück zu servieren. Im Grunde würde mich das ja nicht stören, würde es sich nicht um die privaten Räume eines frechen jungen Mannes handeln, der mich seit gestern nicht mehr klar denken ließ. Und nicht aus irgendwelchen romantischen Gefühlen heraus, nein. Sein Verhalten an sich beschäftigte mich einfach: Sowohl der seltsame Vorfall in der Küche, als auch der Blick, mit dem er mich bei seiner Ankunft bedacht hatte, gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.

Als ich mich aus meinen Gedanken reißen konnte, bemerkte ich, dass ich anscheinend, während ich gegrübelt hatte, mich ganz instinktiv in Richtung des Zimmers bewegt hatte, in dem ich servieren sollte. Unschlüssig stand ich vor der Tür. Sollte ich einfach Klopfen und auf Antwort hoffen, oder warten, bis Mister Widowson mich hereinbat?

Ein lautes Klirren aus dem Zimmer des Earls nahm mir die Frage ab.

„Sir?“, rief ich. „Ist alles in Ordnung bei Euch?“ Ich horchte, doch erhielt keine Antwort. „Sir? Ich komme jetzt rein, wenn es Euch recht ist!“

Behutsam öffnete ich die Tür einen Spalt und lugte in das abgedunkelte Zimmer. „Ist alles in Ordnung bei Euch, mein Herr?“, fragte ich leise. „Ich habe es laut Scheppern gehört und war um Euer Wohlbefinden in Sorge...“

Als erneut vom Earl keine Antwort kam, betrat ich das Zimmer, stellte die Tabletts vorsichtig auf einer Kommode neben der Tür ab und bahnte mir meinen Weg in Richtung der Fenster, um etwas Licht in den Raum zu lassen.

Gerade in dem Moment, in dem meine Hände den schweren, alten Brokat-Stoff berührten, hörte ich ein röchelndes Geräusch aus Richtung des Bettes. „Kein... Licht...“, krächzte die trockene Stimme des Earls. „Mach... eine Kerze an...!“

Hektisch kramte ich in den Taschen meines Rockes, zog ein kleines Päckchen Streichhölzer heraus und entzündete mit einem die Kerze auf dem Nachttisch des Earls.

Im schwummrigen Schein der Lampe erblickte ich das aschfahle Gesicht des jungen Mannes. Die Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht und Schweißperlen waren auf seiner Stirn. Aus glasigen Augen blinzelte er mich an. „Meine... Medizin...“, murmelte er leise. „Gib sie mir!“

Sein schlechter Gesundheitszustand erschreckte mich. „Meint Ihr nicht, dass ich nicht lieber einen Arzt rufen sollte?“, fragte ich vorsichtig.

Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen und mit Nachdruck wiederholte er: „Meine Medizin. Jetzt.“ Er nickte in Richtung des ebenhölzernen Sekretärs am anderen Ende des Zimmers. „Porzellan Dose.“

Die Eindringlichkeit seiner Worte riss mich aus meiner Schockstarre, in die mich sein Zustand gebracht hatte. Ohne Widerworte nahm ich das kleine Döschen vom Tisch. „Soll ich Euch helfen, die Medizin ein zu nehmen?“, fragte ich vorsichtig und griff bereits nach der Bergkristallkaraffe, um ihm ein Glas Wasser ein zu schenken.



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