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The Demon Factor

Eine Rachel Morgan-Fanfic
von

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I

Nicht nur das Wetter war ein Desaster.

Detective Glenn stand knöcheltief im Schlamm, neben ihm eine halb versunkene Leiche.

Weiblich, um die zwanzig, mittelgroß, vielleicht blond und von oben bis unten besudelt mit Dreck, Eis- und Schneematsch und sowieso war die ganze Sache ziemlich eklig.

Die CW Bailey Bridge, von der das Opfer geworfen worden war, tat ihm nicht den Gefallen den penetranten Schneeregen, der ihn bis auf die Haut durchnässte, von ihm abzuhalten.

Dass die Tote von der Brücke geworfen worden war, daran bestanden aktuell die wenigsten Zweifel. Hätte die Gute bei Sturz und Aufprall noch gelebt, sie hätte geblutet wie eine angestochene Sau. Aber da war kein Blut.

Es war eine einfache Rechnung: wo kein Blut war, da war auch kein Leben. Hier ja sowieso nicht mehr.
 

Ansonsten tappte das FIB im Dunkeln.

Glenn hatte keinen Namen, noch nicht. Offensichtlich gab es bis jetzt keine passende Vermisstenanzeige und seine Kollegen brauchten Zeit, um die einschlägigen Datenbanken zu durchsuchen. Vielleicht ergaben die Fingerabdrücke irgendwas, aber er glaubte nicht recht daran. Es war ja nicht mal sicher ob es sich um einen Menschen oder einen Inderlander handelte – Schlamm und Schneeregen wuschen einfach alles fort.

Alles bis auf die feinen, aber charakteristischen Narben in der Halsregion.

Sichere Anzeichen dafür, dass er einen Schatten vor sich hatte. Und wo Schatten waren, da waren die dazugehörigen Vampire vermutlich nicht weit.
 

Das war übrigens auch der Grund, weshalb man ihn aus dem Bett geholt hatte. Er war der Inderlanderspezialist des FIB. Und Vampire waren Inderlander – sein Zuständigkeitsbereich. Und wenn das hieß, dass er um neun Uhr aus dem Haus musste, statt erst zur Spätschicht, und sich dabei fast alle Beine brach, weil der Schneeregen den Weg bis zu seinem Wagen in eine Rutschbahn verwandelt hatte. Nicht zu reden von dem beschissenen Verkehr...

Aber gut, er würde sich nicht beklagen: Ausnahmsweise war das FIB schneller als die IS, die sich wohl nur einmischen würde, wenn sich herausstellte, dass die Tote tatsächlich ein Inderlander war – und der Täter auch.

Der Fall gehörte ganz und gar ihnen. Und das würde Glenn sich nicht nehmen lassen.

Das hier würde ohne die Hilfe von Inderlandern ablaufen.

Und wenn er so auf die Angaben, die ihm einer der Officer ausgehändigt hatte, schaute, bestätigte sich dieser Beschluss nur noch. Gefunden hatte die Leiche Trent Kalamack, mit seinem Gefolge.

Rachel fiel als Hilfe aus. Und wie sie ausfiel...
 

Die Spurensicherung war mit ihrer Arbeit fertig und überließ dem Gerichtsmediziner, der die Leiche abtransportieren würde, das Feld. Detective Glenn verließ den Ort des Geschehens noch nicht.

Man hatte nur ein Bettelarmband in den Ästen gefunden, dass zur Leiche gehören mochte – oder auch nicht, aber sonst war das Ganze bis lang ziemlich hinweislos. Er hoffte ja kaum noch darauf, selbst etwas zu finden – seine Kollegen waren in der Regel zuverlässig – aber er wollte sich nicht vorwerfen lassen, dass er nicht ausreichend gesucht hatte, falls sich doch noch etwas fand.

Das ganze Areal war ein einziges Schlammfeld aus Dreck, tauendem Schnee der letzten Tage und verrottendem Gras des letzten Jahres, abgesteckt mit Flatterbändern. Hoffentlich war das der letzte heftigere Wintereinbruch, er wollte nicht noch im April seine Inderlander im Schnee suchen.

Aus dem Matsch ragten kahl und klagend die Bäume und Sträucher, die das Ufer des Ohios säumten. Er hörte von hier, wie sich das Wasser am Ufer brach. Wäre die Leiche ein paar Meter weiter links aufgeschlagen – sie hätten sie nie gefunden, nicht, bevor sie nicht irgendwo angeschwemmt wurde.

Die CW Bailey war gerade weit genug entfernt, damit die Leiche dort aufschlug, wo sie aufschlug. Physik war nicht seine Stärke, aber so weit, wie die Leiche von der Brücke entfernt war, musste sie ganz schön Schwung drauf gehabt haben...
 

Langsam stapfte er durch den Schlamm, warf den armen Schweinen, die das Opfer in einen Sarg hievten, nur einen kurzen Blick zu und suchte.

Es war erfolglos. Eigentlich war er nicht nur erfolglos, sondern auch nass, dreckig, halb erfroren und ziemlich frustriert. Natürlich.

Heilige Tomate, wie er es hasste.

Er hörte, Schritte hinter sich, drehte sich aber nicht um, als Dorothy ihn ansprach. „Was gedenkst du zu tun, Glenn?“

Die Frau hätte seine Mutter sein können und war die Güte in Person. Er war froh, dass sie ihm diese Frage stellte und keiner seiner anderen Kollegen. Seine Laune war auf dem tiefesten Tiefpunkt seit gefühlten Dekaden.

„Auf die Ergebnisse der Obduktion warten, vielleicht ergibt die ja was.“ Vielleicht aber auch nicht. „Fahr schon mal vor und gönn dir einen Kaffee, ich komme nach.“

Er würde noch einen Abstecher in die Hollows machen, bevor der Fall ihn auffraß und vor Ende der Woche nicht wieder ausspuckte.

Ein Blick auf die Uhr versicherte ihm, dass es noch nicht um zehn war – perfekt.

Rachel würde ihn hassen.
 

Die Klingel hallte so laut durch die alte Kirche, dass selbst Glenn es hörte.

Dennoch dauerte es erstaunlich lange, bis sich die Tür unter nur halb unterdrücktem Fluchen öffnete und sich ein kupferroter Busch durch den Spalt schob.

Eindeutig, Rachel Morgan hatte noch keine Zeit für den Badbesuch gehabt. Neben dem Krähennest von einem Haar sah er nur einen plüschigen rosafarbenen Morgenmantel.

„Betteln und Hausieren verboten. Verschwinden sie, wir haben zu tun“, murrte die junge Frau hinter der Mähne. Glenn konnte nicht einmal die Augen sehen – es war alles eine fließende Wolke besonders widerspenstiger Haare.

„Guten Morgen, Miss Morgan“, erwiderte er gelassen und ließ gerade genug Spott einfließen, damit es die Frau weckte.

Er erzielte die gewünschte Wirkung: Rachel Morgan hob den Kopf und strich sich zumindest einen Teil der störenden Mähne aus dem Blickfeld.

„Glenn, bist du das? Verdammt nochmal, weißt du, wie spät es ist?“

Er nickte. „Punkt zehn Uhr. Die perfekte Zeit zum Frühstück. Wo ist mein du-weißt-schon?“

Das räumte wohl alle Zweifel an seiner Identität in ihrem Inderlandergehirn aus dem Weg. Sehr schön.

„Glenn? Ich bring dich um.“

Trotzdem öffnete sie ihm einen Augenblick später die Tür.
 

Die Matten, mit denen der Boden des ehemaligen Hauptraumes der Kirche bei seinem letzten Besuch ausgelegt gewesen war, fehlten, was dem Raum ein weniger seltsames Erscheinungsbild verlieh. Statt der Matten irritierte ihn nun jedoch ein Schreibtisch – über und über mit Topfpflanzen zugestellt. Ein arbeiten darauf war wohl nur schwer möglich … Die Pixies, vielleicht. Obwohl es für Pixies erstaunlich leise war. Vielleicht hielten sie doch Winterschlaf oder was Pixies im Winter halt so taten...

„Ivy schläft?“

„Würde sie es nicht tun, wärst du jetzt tot.“

Das war wahr. Glenn erinnerte sich noch gut an seine erste Begegnung mit der lebenden Vampirin. Sie hasste Überraschungen. Ivy Tamwood war ungefähr so ausgeglichen wie Schwarzpulver vor der Erfindung des Dynamits (Nicht, das Vampire nicht ohnehin so gefährlich wie Sprengstoff waren,) so viel hatte er mittlerweile gelernt. Wenn man mit ihr auskommen wollte, musste man schnell lernen, wie ein Vampir tickte. Sehr schnell. Er fragte sich nur, wie Rachel das auf Dauer aushielt.
 

Rachel schlappte unterdessen in ihren pinken Plüschpantoffeln vorneweg in die Küche. Morgenmantel und Haare umwehten sie bei jedem Schritt. Ein Armband schwang mit. Es stand ihr nicht sonderlich, vermutlich war es ein Geschenk.

Glenn hatte nicht vor, die sich aufbauende Stille zu beenden, auch wenn sie unangenehm wurde. Er war unangenehme Stillen gewohnt und irgendwie hypnotisierten ihn die vielen klimpernden Anhänger an dem komischen Armband.

Die Küchentür öffnend übernahm Rachel diesen Part ohnehin. Anscheinend wachte sie langsam auf.

„Wir haben halb sechs Uhr abends ausgemacht. Du weißt, wann das ist, oder?“

„In neuneinhalb Stunden. Habe ich dich geweckt?“

Natürlich hatte er. Und er freute sich darüber diebisch, auch wenn er das Rachel mit Sicherheit nicht auf die Nase binden würde.

Sie riss die Kühlschranktür so heftig auf, dass die Ketchupflaschen klirrten, und drehte sich ruckartig zu ihm um. Die Plüschpantoffeln bebten.

„Du scheinst ja bester Laune zu sein“, erwiderte sie giftig.

„Ich hatte heute Morgen eine Leiche bei der CW Bailey, drei Beinahe-Unfälle, weil einige Autofahrer nicht zu verstehen scheinen, dass es bei Schneeregen glatt sein könnte, und bin nass bis auf die Haut. Gib mir den Ketchup, dann bin ich weg und du kannst weiter schlafen.“

Sie kramte missmutig nach zwei vollen Flaschen und wünschte ihm dabei vermutlich den T4 Angel-Virus an den Hals, drückte ihm aber schließlich den Ketchup wie Diebesgut in die Hand.

„Leiche? War sie hübsch? Brauchst du Hilfe?“

Um der Tomate Willen – Nein.

„Nein und nein. Sie war schlammig und ich brauche keine Hilfe. Nick hat sich beruhigt?“

Er wusste, dass er etwas falsches gesagt hatte, sobald er den Namen Nick ausgesprochen hatte. Rachel zog die Stirn kraus und warf ihm einen Blick zu, als sei er ihr nächster Snack.

„Nein.“

„Nein?“

„Ich gehe jetzt mit Kisten.“

„Felps?“

„Nimm deinen Ketchup und scher dich raus!“
 

Glenn würde Rachel nicht anrufen.

Oh nein, das würde er ganz sicher nicht.

Auch wenn er jetzt die ersten Ergebnisse der Untersuchungen auf dem Schreibtisch hatte.

Die Leiche war, wie erwartet, bereits vor dem Sturz gestorben. So weit so gut: Sie war nicht nur tot, sie war auch blutleer. Bis auf den letzten Tropfen. Gut, das hatte er bereits erwartet – wo Schatten waren, da waren Vampire nie weit – und trotzdem warf es mehr Probleme auf, als es löste: Die markanten Bissmale fehlten. Das, was sich an Bissen finden ließ, waren nur die üblichen Narben. Viele schon verblasst und die Jüngeren auch zu alt.

Er wusste nicht, ob Vampire Blut aus einem Körper saugen konnten, ohne Spuren zu hinterlassen, aber wenn sie es nicht konnten, dann hatte er ein Problem: Aus einer Schatten, die vermutlich von ihrem Vampir ein wenig zu stark ausgetrunken worden war, wurde eine Schatten, die von so halbwegs allem, was es auf dieser Welt an Inderlandern gab, umgebracht worden sein könnte.

Und er wusste nach wie vor nicht, um wen es sich bei der Leiche handelte.

Es handelte sich bei ihr um eine Hexe, die vermutlich mit Kraftlinien gearbeitet hatte. Vermutlich war sie Anfang bis Mitte zwanzig, tatsächlich blond und eben blutleer.

Oh und sie war ein unbeschriebenes Blatt. Das FIB hatte keine Fingerabdrücke von ihr. Keine Fotografien. Keine Einträge wegen Gewaltverbrechen, Diebstählen, Drogenmissbrauch oder Blutexessen in der Öffentlichkeit oder in einschlägigen Etablissements.

Vermisst wurde sie anscheinend auch nicht.
 

Trotzdem tippte Glenn nun die wichtigsten Fakten in ein Dokument auf seinem Rechner. Nicht, dass er sich nicht dennoch im Kreise drehte, so wie Rachel vermutlich auf ihrem neuen Drehstuhl an ihrem neuen Schreibtisch mit den Zimmerpflanzen.

Nicht, das er sie jetzt anrufen würde.

Er blätterte frustriert zur nächsten Seite. Ein recht gutes Foto des gefundenen Armbands.

Das Ding war nicht sonderlich hübsch mit vielen Anhäng-

Oh.

Viele Anhänger.

Er kannte das Ding. Er hatte es erst vor Kurzem gesehen – an Rachel Morgans Handgelenk.

Verdammt.

Er würde sie nicht anrufen.

Er würde sie ganz sicher nicht anrufen.

Trent Kalamack war vielleicht in die Sache verwickelt, es war nicht weise, sie anzurufen.
 

An der Tür klopfte es und ließ ihn zusammen zucken. Allerdings gab ihm das Klopfen die Zeit, sich zu sammeln. Es gab nur eine handvoll Mitglieder im FIB, die ihm den Luxus gönnten und anklopften – die meisten Platzen einfach rein, solange er nicht abschloss.

Glenn hatte eine gewisse Idee, um wen es sich handeln konnte. Tatsächlich war es Captain Edden, der eintrat, als er ihn herein rief.

Sein Vater hatte einen Stapel Papier in den Armen und schien eigentlich besseres zu tun zu haben. „Wie weit bist du?“

„Nicht weiter als vor zwei Stunden. Du?“

Der Mann nickte zu dem Stapel in seinen Armen. „Zwei weitere unidentifizierte Leichen.“

Na klasse.

Ihm schwante böses. Und vor allem viel, viel Arbeit. Und ein Gedanke, den er nicht denken wollte.

Er würde Rachel nicht anrufen. Ganz sicher nicht.

Die Augen schließend und schwer schluckend stellte er schließlich die Frage, die er fragen musste: „Weiblich, um die zwanzig, so ein Armband?“

Einen ausgiebigen Blick auf die Akte auf Glenns Schreibstisch werfend, blätterte Edden durch seinen Stapel und nickte schließlich.

„Eine von ihnen. Woher weißt du das?“

Oh verdammt.

II

Das Telefon bimmelte laut in ihren empfindlichen Ohren.

Ivy drehte sich unter dem feinen Knistern ihrer schwarzen Satinbettwäsche um und drückte sich den Stoff auf die Ohren. Sie würde da jetzt nicht ran gehen. Sollte das Rachel machen. Falls Rachel da war. Es roch überall nach ihr.

Egal.

Ivy schlief. Sie schlief tief und fest.

Gedämpft durch Decke und Tür hörte sie, wie der Anrufbeantworter ansprang. Nicks Stimme drang zu ihr. Vielleicht sollte sie Rachel dazu bringen, endlich einen neuen Text aufzusprechen – immerhin hatte sich Nick, dieser Idiot, aus dem Staub gemacht. So, wie sie es Rachel prophezeit hatte, übrigens.

Kisten hin, Kisten her, ihre Freundin sollte endlich loslassen – am besten beide.

Sie drückte noch fester zu – so sollte sie nicht denken. Rachel war ihre Freundin und Rachel war mit Kisten zusammen und mit Kisten glücklich. Die beiden konnten Sex und Blut trennen. Rachel war mit Kisten glücklich, glücklich, glücklich-

Nur wäre Rachel glücklicher mit ihr.

Nicks dröge Stimme verstummte, es piepte leise und dann hörte sie Glenn.

Halt.

Glenn?

„Hallo, Rachel? Ich bin es, Glenn. Ich habe mich geirrt. Ich brauche deine Hilfe. Kannst du ins FIB kommen? Es geht um deinen Freund.“

Ihren Freun-
 

Mit der Geschwindigkeit des lebenden Vampirs, der Ivy war, und Piscarys Blut in ihren Adern, hatte sie das Bett verlassen, die Tür aufgestoßen und den Telefonhörer an ihr Ohr gerissen, bevor Glenn auch nur auf die Idee kommen konnte, aufzulegen.

„Glenn!“, bellte sie in den Hörer.

Erleichtert stellte sie fest, dass ihre Stimme so klang, wie sie es wollte. Fest, nicht verunsichert, nicht panisch.

Aus dem Hörer drang mildes Rauschen. Darunter hörte Ivy die Geräusche aus der Zentrale des FIBs. Zwei der Beamten schienen um das nächste große Baseballspiel zu wetten. Glenn atmete und jemand anders im selben Raum atmete auch. Edden?

„Tamwood?“

Glenns Stimme klang krächzend. Sie hatte ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Sehr schön.

„Rachel ist nicht da?“

„Rachel ist nicht da.“

Mittlerweile erinnerte sie sich wieder an das Gespräch beim Abendbrot. Sie wollte sich mit David irgendeine abgefackelte Hütte ansehen, wegen Davids Versicherungsjob. Rachel war nicht da, nur Rachels Duft war überall. Würde sie nicht so gut riechen, Ivy hätte gesagt, dass es penetrant nach der jungen Frau stank.

„Was ist mit Kisten?“

Ivy roch und hörte es nicht, aber sie wusste, dass Glenn stumm mit sich und seinem Vater rang.

Sie gewann.

„Wir haben drei Leichen. Sie haben das gleiche Armband wie Rachel.“

Keine Frage. Eine Feststellung. Glenn wusste, wovon er sprach. Das war nicht gut.

„Du verdächtigst Kisten?“

„Nein.“

Die Antwort kam zu schnell. Außerdem hörte sie, wie sich Glenns Puls beschleunigte. Es gab kaum bessere Lügendetektoren als das Gehör eines Vampirs – bis auf Rachels Amulette, vielleicht.

„In Ordnung. Rachel ist mit ihrem Alpha unterwegs. Ich geb ihr Bescheid.“

Sie gab Glenn einen kurzen Augenblick, um sich zu entscheiden, dass er nicht darauf antworten wollte, verabschiedete sich und legte auf.
 

Ivy kannte Kistens Nummer auswendig.

Kisten, dieser Idiot.

Kaum, dass sie Glenn abgewürgt hatte, wählte sie die Nummer ihres Freundes. Oder Rachels Freundes. Oder wie auch immer. Kisten eben. Mister Ich-reite-mich-mal-wieder-in-die-Scheiße-Felps.

Mit Ungeduld wartete sie darauf, dass er abnahm und trommelte dabei mit ihren langen Fingernägeln auf dem Telefontischchen. Es dauerte. Sie roch, wie sich ihr Geruch nach Schlaf, Frustration, Blut – verdammtes Blut! - und ein wenig Angst mit den Gerüchen von Rachel und Kisten mischte. Anregend. Aber Kistens störte.

Es brauchte sie zwei Anläufe, um Kisten an den Hörer zu bekommen.

„Ja? Ich bin beschäftigt.“, antwortete er schließlich mürrisch am anderen Ende der Leitung.

Beschäftigt, hm? Wie nett. Beschäftigt war sie auch – damit, ihm in Gedanken den Hals umzudrehen.

Im Hintergrund raschelte es leise. Es folgte ein ebenso leises Wimmern. Treffer.

Ihr Freund saß mal wieder in der Scheiße.

„Was hast du nun schon wieder angestellt, Kisten?“

„Was soll ich angestellt habe, Ivy-Liebstes?“

Rachel hätte vielleicht nicht herausgehört, dass der Vampir unsicher war – Ivy tat es. Obwohl sie nicht sicher war, wie viel von der Unwissenheit gespielt war. Andererseits – es war Kisten.

„Das FIB hat Leichen. Leichen mit deinem Armband.“

Sie schüttelte ihren Fuß und ließ Kistens Kettchen klimpern, von dem Glenn vermutlich noch nichts wusste. Manchmal fragte sie sich, ob sie Kisten nicht allein aus Gründen des Prinzips zweimal pfählen sollte.

„Oh.“

Schweigen.

Anscheinend wusste er das noch nicht. Überraschung!

„Woher weißt du das?“

„Rachels Lieblingsbulle hat angerufen und mich gebeten, sie zu informieren. Ich werde sie anrufen, wenn du jetzt auflegst.“

Andererseits würde Ivy Rachel sowieso anrufen. Sie hörte ihren Freund schlucken. Im Hintergrund wimmerte es wieder. Vielleicht waren Handschellen im Spiel – es klang so. Entweder, das, was da gerade getrieben wurde, war eklig oder richtig widerlich. Da Kisten darin verwickelt war, vermutlich beides.

„Weiß er, dass die Armbänder von mir sind?“

„Was glaubst du?“

Pause.

Er atmete. Die arme Sau im Hintergrund wimmerte.

„Scheiße. Ich brauche deine Hilfe.“

Überraschung.

Dieser Kerl konnte wirklich nicht selbst auf sich aufpassen.

„Was ist passiert, Kisten?“

„Erkläre ich dir, wenn du hier bist.“

Na klasse.

Hatte sie ihm auch nur mit einem Wort gesagt, dass sie in diese Sache hinein gezogen werden wollte? Ach ja – es war Kisten. Kisten setzte so etwas voraus. Von allen. Vor allem dann, wenn man Piscarys Nachfolger war. Verdammter, dreckiger, widerlicher Mistkerl.

Kisten gab ihr eine Adresse und sie würgte ihn ab, bevor er sie endgültig um den Verstand bringen konnte.
 

Rachel rief Ivy erst an, als sie bereits fertig bekleidet war. Seide, Leder und alles in schwarz – es hätte ihr gefallen. Rachel gefielen Seide und Leder und Ivy wusste, dass ihr schwarz stand. Außerdem hatte sie längst mitbekommen, dass Rachel sie oft genug mit den Augen förmlich auszog und sie genoss es, auch wenn sie wusste, dass sie das auch oft genug bei allen anderen Wesen machten, die ihr unterkamen. Sogar bei Jenks.

Sie sollte es ihr endlich austreiben – bei den anderen.

Während Ivy die Handynummer wählte, schüttete sie den Kaffeesatz ihres Frühstücks in den Abfluss. Nichts ging über Frühstück mit Kaffee. Vor allem Kaffee.

Ihre Freundin ging nicht ran – typisch.

Gut, sie hatte keine Zeit, sie musste Kisten davon abhalten, etwas dummes zu tun. Also sprach sie Rachel nur auf die Mailbox.

„Rachel? Ich bin's, Ivy. Ruf Glenn an, der hat Sehnsucht. Ich bin bei Kisten. Er sitzt in der Scheiße und ich soll ihn raushauen. Sollte ich mich heute Nacht nicht melden, ich lasse dir ein paar Pflöcke unter meinem Bett. Bis später.“

Sie legte auf, schwang die Tasche mit dem Schwert und den übrigen Pflöcken über ihre Schulter und verließ das Haus.
 

Es war ein Wohnhaus, nicht so tief in den Hollows, wie sie erwartet hätte. Eigentlich war es sogar ziemlich nah beim Ohio. Rechts waren weitere Häuser, genauso schmutzig, wie Kistens Adresse. Links waren weitere Häuser, genauso schmutzig, wie Kistens Adresse.

Hier wohnten Inderlander, die sich entweder nichts besseres leisten konnten oder sich nichts besseres leisten wollten. Sie roch altes Blut aus einer der Seitenstraßen und irgendwo gab es hier einen kleineren Rohrbruch, um den sie sich nicht kümmern würde. Immerhin war sie hier, um Kisten den Arsch zu retten, nicht um Klempner zu spielen.

Eigentlich hätte sie eine Lagerhalle erwartet. Oder irgendetwas anderes, wo niemand irgendwelche Schreie hören konnte. Aber gut, hier wollte vermutlich niemand irgendwelche Schreie hören und würde schon allein deshalb nicht hinhören.

Und Kisten hielt nicht viel von Lagerhäusern und alten Fabrikhallen, es sei denn, es wurde richtig widerlich. Also bedeutete das hier entweder, dass es nicht allzu schlimm war oder aber dass er einfach keine Zeit gehabt hatte, sein wimmerndes Opfer in eine Halle zu verfrachten. Vielleicht sollte sie das übernehmen. Auch möglich.
 

Sie klopfte nicht an. Wäre die Tür abgeschlossen gewesen, sie hätte sie einfach eingetreten.

Für Förmlichkeiten wie Anklopfen war später Zeit. Außerdem sollte Kisten ruhig merken, dass sie sauer war.

Dennoch war sie froh, dass sie nicht zu diesen Mitteln greifen musste, obwohl es ihr Spaß gemacht hätte – eine Person, die roch wie ein Schatten und die vermutlich auch einer war, öffnete ihr die Tür. Männlich, jünger als sie. Er war selbst für einen Schatten ziemlich blass und sah so aus, als hätte er die letzte Zeit nicht wirklich viel geschlafen.

Und er gehörte nicht zu Kisten. Erstens kannte sie seine Blutquellen, zweitens ließ er in der Regel nicht zu, dass sie so sehr herunter kamen, immerhin gehörte er zu Piscary und hatte einen Ruf, den er behalten wollte und drittens hätte sie es gerochen, wie sie die Angst des Menschen roch. Letztere fand sie anregend.

„Ivy Tamwood?“

„Wo ist Kisten?“

Er nahm das wohl als Ja. Braver Schatten.

„Folgen Sie mir.“
 

Das Gebäude war genauso heruntergekommen, wie es die Fassade vermuten ließ. Entweder, der Besitzer hatte keinen Geschmack oder kein Geld – oder beides. Immerhin: Es war grün. Und zwar alles. Dreckiges, vergilbtes, matschiges Grün. Die Wände waren grün, die Bilder waren grün, die Möbel waren es auch – nur der Teppich war braun bis schwarz. Allerdings konnte sie die ursprüngliche Farbe vielleicht auch einfach nur nicht erkennen.

Kisten erwartete Ivy in etwas, das mal ein großes Wohnzimmer oder ein kleiner Salon gewesen sein mochte. Die Spuren auf dem Boden wiesen zumindest darauf hin, dass bis vor kurzem noch Möbel im Raum gestanden hatten. Vermutlich grüne Möbel. Vielleicht die von der Eingangshalle.

Jetzt stand da nur noch ein Stuhl in der Mitte. Dieser war alt und abgenutzt, mit Armlehnen. Kisten mochte Stühle mit Armlehnen, zumindest bei solchen Gelegenheiten, das wusste sie. Diese Art von Stühlen eignete sich hervorragend um willige – oder nicht ganz so willige – Opfer daran zu ketten, so wie er es aktuell mit dem Vampir, der Ivy anstarrte, als wolle sie ihn gleich fressen, getan hatte. Sie spürte, wie ihre Pupillen weit wurden. Der Vampir hatte Angst.

Und Kisten hatte wirklich Handschellen. Vermutlich von der IS geklaut. Wenn einer die Kontakte dazu hatte, dann er.

„Ah, Ivy! Die Vampirin des Tages! Wie geht es dir, meine Liebe?“

Ihre Pupillen wurden noch dunkler.

„Was hast du angestellt?“

Die Vampire zuckte zusammen – bei Kisten war es vermutlich gespielt.

„Ich?“, fragte er gedehnt, „Ich habe gar nichts angestellt. Das war mein Freund Eddy. Nicht, Eddy?“

Okay. Das war gespielt. Aber gut, das hätte vermutlich sogar Rachel bemerkt, auch wenn die vieles nicht bemerkte. Oder übersah. Oder übersehen wollte. So, wie Ivy besser für sie wäre, als Kisten.

Eddy wimmerte. Sie roch Blut unter seiner Angst, aber nicht zu frisch. Vermutlich hatte Kisten ihn nicht gebissen – aber ihm die Finger gebrochen.

„Okay. Was hat Eddy getan?“

„Zwei der Leichen des FIBs sind seine Schatten.“

Oh.

Anscheinend hatte sie die Tomatenpflanze im Garten gefunden. Jetzt würde sie auch reinbeißen. Und zwar genüsslich.

„Die mit den Armbändern?“

„Eine davon.“

„Du tauschst deine Schatten? Mit dem da?“

Igitt. Manchmal war Kisten widerlich. Gut, sie hatte ausreichend Pflöcke in ihrer Tasche. Vielleicht sollte sie sie wirklich verwenden.

„Abby war nicht mein Schatten!“

Die Entrüstung roch echt. Na gut, Kisten trug ja auch Kappen. Zumindest dann, wenn Rachel nicht gerade Hampelmänner machte.

„Also ist sie freiwillig gegangen?“

„Ja.“

Natürlich.

Vermutlich hatte Abby ihn mit einer anderen erwischt. Oder einem anderen. Und das wusste sie nicht, weil sie es roch oder hörte (obwohl sie auch das tat), sondern weil sie Kisten einfach kannte. Vermutlich zu gut.

„Und sie ist dann bei Eddy gelandet?“

Er nickte.

Ivy warf Eddy einen kurzen Blick zu. Der Junge war schlau, er hielt den Mund. Seine Angst roch gut, aber sie würde sich hier nicht vergessen. Kisten zuliebe. Und weil sie satt war.

„Die Anderen?“

„Freunde von ihr. Thomas war ebenfalls Eddys Schatten, Mary arbeitete mit ihr bei Piscarys. Vor der Sache mit Rachel.“

„War er es?“

Eddy zuckte in seinem Stuhl zusammen und verkroch sich in der Rückenlehne.

„Nein.“

Gut. Damit konnte sie leben.

„Was willst du dann von mir?“

III

Rachels Handy klingelte, als sie gerade auf allen Vieren durch einen verschmorten Schutthaufen kroch, der früher einmal ein Büro gewesen war.

Trent Kalamacks Büro. Wenn auch erst seit kurzem.

Der Herr Elf hatte das Firmengebäude erst vor kurzem erstanden. In ihm war der Handel mit Kaffee organisiert worden. Jetzt war es abgebrannt. Das Feuer war vor einer Woche im dritten Stock ausgebrochen, der Stock, in dem sie sich gerade befanden, und hatte sich dann in die anderen Etagen gefressen. Das Gebäude war zwar noch betretbar, auch wenn Rachel ihm das nicht ganz glaubte, – aber Kaffee würde hier nicht mehr gehandelt werden.

Aber darum waren sie auch nicht hier, er war nur der Dumme von der Versicherung.

David stand in etwas, das Ähnlichkeiten mit einem Türrahmen hatte, und sah seiner Alpha-Hexe beim Robben zu. Irgendwie fehlte da etwas. Fell zum Beispiel. Und der Schwanz. Vor allem der Schwanz, am besten leicht wedelnd.

Natürlich ging er nicht ran. Das Handy gehörte Rachel und er würde einen Vollmond tun, an ihre Sachen zu gehen. Außerdem glaubte er nicht, dass er das Telefon in dem Chaos überhaupt finden würde.

Rachel hörte ihn nicht und das Handy ebenso wenig. Sie war vermutlich zu sehr mit ihrer Aufgabe beschäftigt. Sie bewegte sogar stumm die Lippen, während sie nach etwas suchte, das er vielleicht übersehen hatte.

David glaubte nicht, dass sie etwas finden würde, auch wenn er es war, der sie um Hilfe gebeten hatte. Es galt einfach nur der Absicherung. Hier ging es darum, nichts zu finden und nicht darum, etwas zu finden.

Darum hatte er ihr auch nicht gesagt, wem das Gebäude gehörte. Rachel neigte dann und wann zu voreiligen Verdächtigungen...

Natürlich, Kalamack hatte das Gebäude erst frisch bei seiner Firma versichern lassen. David hatte prüfen sollen, ob es sich wirklich um einen technischen Defekt handelte. Bei Trent Kalamack war zumindest inoffiziell alles möglich und seine Versicherungsfirma würde ein hübsches Sümmchen verlieren, sollte es zur Auszahlung kommen.

Nicht, das Kalamack sich würde erwischen lassen, sollte er tatsächlich seine Finger im Spiel haben.

Aber gut. David wollte sich Mühe geben, also hatte er Rachel um Hilfe gebeten. Wenn auch, wie gesagt, unter einem gewissen … Auslassen an Fakten. Es mangelte ihr einfach an Objektivität und er wollte den Fall nicht entzogen kriegen.

Außerdem musste er zugeben, dass die junge Frau niedlich war, wenn sie auf allen Vieren über den Boden krabbelte, wie ein kleiner Welpe.
 

Sie kroch gerade aus dem Raum ins nächste Zimmer und aus seinem Blickfeld, während er bei den Taschen blieb, wie es sich für einen braven Wachwolf gehörte.

Das Telefon verstummte.

Sollte der, der etwas von Rachel wollte, halt auf die Mailbox quatschen, das war nicht sein Problem. Er wollte nur so lange wie unbedingt nötig in dem baufälligen Gebäude bleiben, daher würde er seine Partnerin jetzt mit Sicherheit nicht stören. Am Ende würde es nur zu einem Tagesausflug ausarten. Oder zu irgendetwas Lebensgefährlichem. Irgendwie erwischte Rachel immer die Situationen, die ihr über kurz oder lang irgendwann das Leben kosten würden.

Außerdem roch es immer noch widerlich nach einer Mischung aus verbranntem Irgendwas – Plastik, Papier, Holz – geschmolzenem Metall und Löschwasser.

Irgendwo rieselte und blubberte es bedrohlich.

Dem Vollmond sei dank waren sie mittlerweile bei den letzten Räumen angelangt. Sie würden hier bald verschwinden können. Hoffentlich.
 

Rachels Stimme klang viel zu laut in seinen Ohren, als sie nach ihm rief.

Vermutlich schrie sie gerade den ganzen Block zusammen.

Er packte ihre Tasche, die so rot und genauso geschmacklos wie ihre Lederjacke war, und seinen Rucksack und folgte ihrer Aufforderung gehörig – ebenfalls wie ein guter Wachwolf.
 

„David, komm endlich! Sieh dir das an!“, empfing sie ihn, noch bevor er den Raum betreten konnte. Es war übrigens der Letzte. Dem Vollmond sei dank.

Rachel stand bei einem der nun Glaslosen Fenstern, die Arme in die Hüfte gestemmt und mit einem Fuß wippend.

Ah, Miss Ungeduldig war anscheinend voll in ihrem Element. Als Wolf wäre sie keine angenehme Alpha. Eine gute – aber keine angenehme.

„Wovon redest du? Hast du was gefunden?“, erwiderte er ruhig. David würde sich nicht von ihr anstecken lassen, auch wenn ihn ihr möglicher Fund mehr aufwühlte, als er sich selbst eingestehen wollte. Gefunden? Bei Trent Kalamack?

Der Mann war zwar unzuverlässig, vor allem, wenn es darum ging, dass man ihm vertrauen sollte, aber er war es mit Sicherheit nicht, wenn es um seinen Profit ging.

„Kannst du wohl laut sagen!“

Sie wirbelte herum und ihr am Saum modisch ausgefranster Rock, den David eigentlich weniger modisch als viel mehr nuttig fand, wirbelte mit. „Da unten! Aus den anderen Etagen kannst du es nicht sehen, wegen der Bäume!“

Mit dem Blick folgte David ihrem Finger und sah – nichts.

Da waren Bäume, ja, und Büsche, vermutlich alle so geschnitten, dass es naturbelassen wirkte, auch wenn man das nicht vor Frühling würde sehen können und der ließ auf sich warten. Durch die winterkahlen Äste sah man bruchstückhaft den Boden, teilweise Erde, teilweise Betonpflaster, alles ziemlich hässlich – auch wenn das vielleicht jahreszeitlich bedingt war. Außerdem war diese Fläche zu dieser Jahreszeit unbenutzt.

Nur wieso sollte dort draußen etwas sein? Sie suchten hier drinn. Sie hatten den Brandherd schon untersucht. Da draußen war kein Feuer ausgebrochen.

Genau das wollte er Rachel gerade sagen und dann sah er es doch. Es war schwach und kaum zu sehen und halb verdeckt unter dem tauenden Schnee, aber es war da. Vermutlich war es auch tatsächlich nur von diesem Fenster aus sichtbar. Bei den anderen war der Winkel wahrscheinlich zu ungünstig, oder die Äste und Zweige im Weg.

Irgendwas war da unten auf die Pflastersteine geschmiert und nur schlampig fort gewischt worden.

„Was ist das?“

Rachel runzelte die Stirn, ohne zu ihm zu blicken. „Ein Pentagramm. Vermutlich mit Magnetkreide gezogen.“

„Weißt du, für was es verwendet wurde?“

Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Anscheinend fanden die Probleme mal wieder Rachel.

„Kann ich dir von hier oben nicht sagen, es ist zu sehr verwischt. Lass es uns genauer unter die Lupe nehmen.“
 

Sie stapfte voraus, anscheinend ihre Bedenken bezüglich der Statik des Gebäudes verdrängend. David folgte ihr nicht langsamer, ohne jedoch noch einmal das Wort an sie zu richten.

In seinem Kopf raste es. Er war keine Hexe, würde niemals eine sein, allein, weil ihm die Gene dazu fehlten, aber er hatte ein bestimmtes Grundwissen von der Materie. Pentagramme wurden für Kraftlinienmagie verwendet. Entweder, Kalamack war eine Hexe – oder er war nicht der Täter. Seiner Versicherung würde das nicht gefallen.

Kalamack vermutlich auch nicht.

Als Rachel die provisorische Tür auf stieß, schlug ihnen ein kalter Wind nasse Tropfen entgegen. Der penetrante Schneeregen, der getobt hatte, als er Rachel von ihrer Kirche abgeholt hatte, war einem nicht weniger penetranten Regen gewichen. Widerliches Wetter für Mitte März.

Und widerlicher Boden. Der ganze Weg zu diesem seltsamen Pentagramm war ein einziger Sumpf. Wenn David einen Fuß aus der Brühe hob, um einen weiteren Schritt zu machen, klang das, als wolle die braune Masse ihn nicht ziehen lassen. Wenn er auftrat, klang es wie ein schwerer Fehler.
 

Rachel, deren Geschwindigkeit sich, trotz Unbegehbarkeit des Terrains, erhöht hatte, gefühlt sogar verdoppelt, erreichte die Betonplatten vor ihm. Die Platten umfassten einen Brunnen und einen Weg, der von Kalamacks Ruine fort führte.

Als sie das Pentagramm erreichte und es eingehend musterte, wurde sie blass.

Leise begann sie zu stottern und es brauchte sie ein paar Versuche, um verständliche Worte über die Lippen zu bringen. „Dämo- Dreck auf Toast! … Das- Das ist zur Beschwörung von Dämonen! Nick hat mal ein Ähnliches benutzt!“

David konnte Nick nicht wirklich zuordnen, auch wenn er Sachen gehört hatte, diese und jene, nicht viele gute, aber getroffen hatte er ihn noch nicht. Die Fragen, welcher Idiot Dämonen rief und ob er nicht vielleicht schon mal vorsorglich die Arme ausstrecken sollte, für den Fall, das Rachel umkippte, erschienen ihm dringlicher.

„Du willst mir sagen, dass irgendein Trottel einen Dämonen gerufen hat, um das Gebäude abzufackeln?“

So dumm war Kalamack nicht. Zumindest hoffte David das.

Rachel nickte. „Ich glaube schon.“

Zitternd schlang sie die Arme um sich, als würde sie nicht nur vor Kälte und Nässe frieren. Zögerlich machte sie ein paar Schritte vor, um den Brunnen zu umrunden. Dabei machte sie einen großen Bogen um das zerstörte Pentagramm, als hätte sie Angst davor. „Sag mal, David? Was riecht hier eigent- Oh Scheiße – Ruf das FIB! Oh mein-“

Für einen Moment hielt sie inne, dann taumelte sie zurück und fiel in den Schlamm.

Sie schaffte es noch, sich zur Seite zu beugen, dann kotzte sie sich die Seele aus dem Leib.

David brauchte nicht zu sehen, was sie gesehen hatte, um zu wissen, was es war. Er hatte es längst gerochen, auch wenn er es bis jetzt verdrängt hatte. Übelkeit stieg auch in ihm hoch und nur die Sorge um seine Partnerin, neben der er keinen Augenblick später kniete, um sie zumindest ein wenig zu stützen, hielt ihn davon ab, es ihr gleich zu tun.
 

Der schwerste Teil von dem, was folgte, war, die schluchzende, wimmernde und würgende Rachel aus dem Dreck und in seinen Wagen zu bekommen. Irgendwie war die junge Frau recht schwer, wenn sie das wollte.

Die Nummer des FIB wählte sich hingegen relativ leicht, auch wenn er lieber die IS gerufen hätte. Allerdings konnte er Rachels Probleme mit der IS nachvollziehen und respektierte ihre Wünsche.
 

Man hatte ihn zu einem gewissen Edden durch gestellt, nachdem er erwähnt hatte, wer neben ihm auf dem Beifahrersitz saß. Irgendetwas schien da zu laufen, von dem er nichts wusste, doch er spielte mit und schilderte dem Captain die Situation.

Der wiederum zögerte nicht lange, schickte eine Truppe raus und beorderte Rachel und ihn ins FIB.

David wartete noch bis zum Eintreffen der Beamten, um diesen den Weg zur Leiche zu zeigen und versuchte gleichzeitig, Rachel wieder einigermaßen auf den Damm zu bringen. Er startete den Motor und ließ die Heizung an, um Rachel und sich selbst wieder durchzuwärmen und versprach ihr eine große Pizza mit allem drauf und dran, wenn sie nur zu heulen aufhörte. Daraufhin hatte sie ihn gequält angelächelte und ihm gedrohte, ihm auf den Anzug zu kotzen, sollte er weiter von Essen reden. Er nahm das als gutes Zeichen.

Als die Beamten sich mit ihrem Einsatzgerät in die Büsche schlugen, startete er den Motor, parkte er aus und trat das Gaspedal durch.

IV

Der Mensch auf der anderen Seite des Tisches gab sich alle Mühe, nicht zu zeigen, dass er sich beinahe vor Angst in die Hosen machte.

Detective Glenn.

Glenny.

Er hatte den Bullen schon allein damit aus dem Konzept gebracht, selbst beim FIB aufgetaucht zu sein, noch bevor die ihn hätten in die Zentrale zitieren können.

Gut.

Zugegeben, Ivy hatte ihm gedroht, ihn zweimal zu pfählen, sollte er es nicht tun und dabei einen Tonfall drauf gehabt, der ihm genug Angst einflößte, um es in die Tat umzusetzen.

Also hatte er den Bullen einen Auftritt allá Kist geliefert.

Jetzt saß er mit dem Menschen in einem dieser unpersönlichen Verhörräume, mit den grauen Wänden und dem Spiegel, von dem er vermutete, dass das halbe FIB dahinter saß. Nicht, das sie von dort würden eingreifen können, wenn er beschloss, Glenny die Kehle durchzubeißen. Sie hätten nur einen besonders schönen Blick darauf.

Er roch die Nervosität durch die Scheibe und die vom Detective sowieso.

„Hi Glenny. Lange nicht gesehen.“

Glenn versteifte sich noch ein wenig mehr, was Kisten grinsen ließ. Menschen.

„Ich heiße Glenn. Für dich Detective Glenn. Spar dir deine Witze, Felps.“

Uh, der Bulle wurde wütend. Kisten mochte wütende Bullen.

„Na klar, Glen- Detective Glenny. Weiß ich doch.“

Er war freiwillig zum FIB gekommen (na ja, fast), also würden sie nach bestimmten Regeln spielen.

Kistens Regeln.

Desto schneller die Bullen das begriffen, desto schneller würden sie hier Fortschritte machen. Obwohl er darauf hoffte, noch ein wenig Spaß zu haben, bevor er Ernst machte.

„Kennst du diese Personen?“, fragte Glenny, der nach wie vor nervös bis genervt roch, während er die Akten vor sich ordnete und ihm schließlich zuschob.

Drei Fotos schauten ihn an – Kisten schaute zurück.

Er brauchte einen Moment, um sie zuzuordnen, doch er fand die passenden Gesichter von den Fotos, die Eddy ihm gegeben hatte. Jetzt sahen die drei nicht mehr so hübsch aus.

„Ja. Abbigail Steinberg und Mary Smith.“

Während er sprach, versuchte er, besonders deutlich zu reden und drückte mit dem Zeigefinger erst auf das eine Foto, dann auf ein anderes.

Der Detective ignorierte sein Gehabe, auch wenn es ihn reizte. Kisten roch das.

„Woher kennst du die beiden Frauen?“

„Ich war mit ihnen im Bett.“

Glenny stockte.

Treffer.

Er hatte das dumme Gefühl, den Spiegel lachen zu hören. Das hier schien keine Vampir-dichte Zelle zu sein. Auch wenn es ihn verwundert hätte, wäre es eine gewesen.

„Und der Mann?“, fragte Glenn schließlich. Kisten glaubte nicht, dass der Detective das Lachen ebenfalls hören konnte – aber anscheinend konnte er es spüren, denn er warf einen finsteren Blick in diese Richtung.

„Thomas Wesson? Mit dem noch nicht. Werde ich wohl auch nicht mehr. Hätte ihn gerne mal durchgenommen.“

Treffer. Glenny saß mittlerweile stocksteif auf seinem Stuhl. Man hätte ihm einem Besen durchschieben können, ohne auf Widerstand zu stoßen.

„Die Armbänder sind von dir?“

„Ja“, erwiderte Kisten. Er spürte, wie sich die Gerüche mischten. Zu Glenns Angst kamen Frustration und unterdrückte Wut und Kistens eigener Duft. Vampirpheromone waberten durch den Raum. Er fand das toll – Glenny anscheinend nicht.

„Weißt du, ich schenke sie jedem, mit dem ich mal im Bett war. Willst du auch eines?“

Die Bedingung, die daran geknüpft war, sollte eindeutig sein.

Tatsächlich zog sich eine zarte Röte über Glennys Wangen und der Spiegel lachte. Kisten war sich sicher, dass der Spiegel lachte. Oder die Beamten dahinter.

„Nein, danke.“

Irgendwie klang der Arme pikiert.

Kisten leckte sich anzüglich über die Lippen und lehnte sich vor.

Die Runde ging an ihn.

Nur, dass Glenn nicht zurück zuckte, ärgerte ihn ein wenig.

„Also, Glenny. Mit dir über meine sexuellen Vorlieben“, er musterte ihn demonstrativ. Er fiel nicht in Kistens Beuteschema, aber nein sagen würde er zu ihm dennoch nicht, „zu plaudern macht zwar Spaß, aber deshalb bin ich nicht hier.“

Nicht nur, zumindest. Erst musste er Ivy besänftigen, dann konnte er sich vergnügen.

Kisten gab dem Detective einen Augenblick, um sich wieder zu fassen, allerdings kein Millisekündchen mehr.

„Ich weiß nicht, wer der Täter ist, noch nicht, aber ich weiß, wessen Arsch auf Grundeis geht, weil seine Schatten verschwinden. Außerdem mag ich es nicht, wenn meine Täubchen draufgehen, auch wenn ich sie schon abgeschossen habe. Darum werdet ihr FIB-Säcke eure Ärsche hochkriegen und den Mistkerl dingfest machen, kapiert? Das gilt auch für die Clowns hinter der Scheibe. Oh und Glenn? Halt Rachel da raus.“

Der Spiegel war genauso stumm, wie Detective Glenn. Genau die Reaktion, die er sich erhofft hatte.

Nur die Tür schwieg nicht.

Er hörte dumpfe Schwere Schritte und leisere, weniger plumpe, die sich näherten. Es waren vermutlich drei Personen. Dann klopfte es an der Tür. Einmal. Zweimal. Glenn wirbelte herum, er, Kisten, sah auf ohne seine Haltung zu verändern.

Captain Edden trat ein. Hinter ihm blieb eine Gestalt stehen, deren Silhouette fast wie Rachel aussah-

Fuck.

Sie sah nicht nur so aus, wie Rachel, sie gehörte tatsächlich zu Rachel.

So viel zum großen Wir-halten-Rachel-aus-der-Scheiße-raus-Plan.

Neben ihr kam ihr nach Eisenhut stinkender Werwolffreund.

„Glenn? Wir haben eine neue Leiche.“
 

Dafür, dass Rachel gerade eine stinkende Leiche gefunden hatte, war sie Kistens Meinung nach erstaunlich gefasst. Gut, er wusste nicht, was das Wölfchen ihr unter Umständen untergemischt hatte. Dennoch roch er weder Brimstone noch Eisenhut, auch wenn das nicht viel zu sagen hatte.

Unter den irritierten Blicken des FIBs – Glenn, Edden und dem lachenden Spiegel – hatte er sich erhoben und war mit der Geschwindigkeit eines lebenden Vampirs an Rachels Seite. Mit dieser Kraftdemonstration hatte er Erfolg: Niemand hatte ihn aufgehalten und sein Hexlein war zwar zusammen gezuckt, hatte ihn jedoch auch nicht abgewehrt, als er sie besorgt an sich drückte.

Man wies ihn auch nicht zurück auf seinen Platz. Gut. Man hätte ihn auch nicht zurückweisen können – Rachel wirkte zwar gefasst, aber sah selbst so bleich aus wie eine von den Leichen und roch noch dazu nach Erbrochenem. Er würde sie nicht loslassen, solange er nicht wusste, dass sie wirklich okay war.
 

Während der Werwolf – es handelte sich tatsächlich um David Hue, von dem Kisten zwar gehört, den er aber noch nicht getroffen hatte – schilderte, was geschehen war, ging er in Gedanken die Liste der Vermissten durch, die sich während seiner Suche nach Eddys Hexlein (und anschießend nach dessen Mörder) aufgetürmt hatte. Es blieb ein Mann übrig, der in der Gegend des Feuers zur Zeit des Feuers verschwunden war. Abby hatte Kisten von ihm erzählt. Der Mann war es gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie da gelandet war, wo sie gelandet war – Kisten dankte. Er hatte Abby gemocht.

„Jedenfalls stank die Leiche so sehr, dass wir davon abgesehen habe, sie uns näher anzusehen. Ich kann Ihnen nicht sagen, um wen es sich handelt, tut mir Leid.“

„Sie war blutleer?“, fragte Glenn, den Blick auf Edden gerichtet.

Dieser zuckte mit den Achseln. „Steht noch nicht hundertprozentig fest, aber wir nehmen es an.“

Das Geruchsbild hatte sich drastisch geändert. Er roch den Schlamm von Rachels und Davids Kleidung und eine gewisse Aufregung hatte alle Anwesenden erfasst. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er das erregend gefunden.

„Wir können davon ausgehen, dass wir es mit dem selben Täter zu tun haben? Ein Täter, der Dämonen beschwören kann? Klingt nach einer Hexe.“

Er spürte, wie Rachel sich ein wenig näher an ihn lehnte, fast, als ob sie Schutz und Halt bei ihm suchte. Er ließ sie gewähren, auch, weil es sich gut anfühlte.

„Aber wie hängt das alles zusammen?“, murmelte sie leise.

Das wusste Kisten nicht. Noch nicht und noch nicht ganz, obwohl er eine gewisse Ahnung hatte. Er vermutete Abbigail – aber das konnte noch nicht alles sein. Ihm fehlte die Verbindung zur letzten Leiche, bei der er sich nach wie vor nicht sicher sein konnte. Wenn es wirklich Abbys Freund war, hatte er die Puzzlestücke soweit zusammen, wenn jedoch nicht-

Glenn dachte scheinbar genauso. „Dank deines Freundes haben wir Anhaltspunkte, aber-“
 

Es war Edden, der das fehlende Puzzlestück brachte.

„Kalamack.“, warf er ein, bevor Glenn seinen Satz beenden konnte. „Nein, halt den Mund, Rachel, und höre mir zu. Die Leiche von heute morgen wurde von Kalamack-“

„Er hat sie umgebracht!“, rief Rachel laut und trat stürmisch vor. Kisten hielt sie nicht zurück. Rachel in solchen Phasen zurückzuhalten, war nicht sehr weise.

„Halt den Mund, verdammt nochmal! Er hatte einen Unfall am Tatort, der CW Bailey Bridge. Er wäre beinahe im Ohio ersoffen!“

Sie öffnete den Mund, doch der Blick des Captains brachte sie zum Schweigen.

„Ich meine es ernst, Rachel. Eine der anderen Leichen wurde in der Nähe eines seiner Parkplätze gefunden. Die Limousine, die auf den Parkplatz fuhr, flog gestern Abend in die Luft. Kalamack war nur durch Zufall nicht darin. Und das abgebrannte Gebäude...“

„Gehörte Kalamack seit kurzem. Rachel. Deswegen haben wir es untersucht. Tut mir leid, dass ich es dir nicht gesagt habe, aber-“

„Warum hast du mir das nicht gesagt?!“

„Weil du ihn verdächtigt hättest!“

„Natürlich hätte ich ihn verdächtigt! Dieser Mann ist ein Mörder und ein Drogendealer!“

„Er war es aber nicht!“

„Und woher willst du das wissen?“

„Wenn Kalamack seine Bude abgefackelt hätte, wäre er nicht so schlampig beim Aufräumen gewesen. Und wieso sollte er dazu Dämonen rufen? Er hat Zutritt zum Gebäude.“

„Aber...“

Seine Rachel sackte in sich zusammen, wie ein Luftballon, in den man einen Eckzahn schlug und verstummte.

Treffer. Eins zu Null für den Wolf.

Er mochte es, wenn seine Freundin so ungestüm war, vor allem, wenn er nicht in der Schusslinie stand, aber im Moment konnten sie das nicht gebrauchen. Er nahm Davids Sieg dankend hin.

Weiter im Text.

„Wenn wir das jetzt geklärt hätten, könnten wir uns der nächsten Frage widmen, richtig? Wenn es Kalamack nicht war...“, warf Edden ein und blickte Rachel bedeutungsschwer an, „Wer war es dann?“

Schlauer Bulle.

Aber noch schlauerer Kisten.

„Irgendjemand, der es auf Abbigail Steinberg inklusive Umfeld, und Trent Kalamack abgesehen hat? Irgendwelche Vorschläge?“

Kisten wusste, dass Hue den Mund aufmachen würde, bevor Hue es tatsächlich tat. Er roch die Veränderung in seiner Stimmung, die von frustriert zu verwirrt wechselte.

„Abbigail Steinberg?“, fragte der Werwolf schließlich. Er nahm seinen Rucksack von den Schultern und wühlte in irgendwelchen Akten.

„Kalamacks Firmengebäude gehörte einer gewissen Elizabeth Steinberg, bevor sie es an ihn verkaufte. Den Angaben hier zufolge, lebt sie allein, seit dem Tod ihres Mannes. Ihre Tochter hat sie vor einem Jahr verlassen. Seitdem ging es anscheinend abwärts.“

„Sie ist eine Kraftlinienhexe?“

Wölfchen nickte.

Stille.

Bedrücke, stinkende Stille.

Kalamack lebte noch.

Abby war zwar tot, aber ihr Vampir, Eddy, war ebenfalls noch am Leben.

Irgendetwas sagte Kisten, dass das ganz und gar nicht gut war...

„Sag mal, Kisten? Bevor ich es vergesse. Ivy hat mir vorhin auf die Mailbox gesprochen. Sie meinte, sie sei bei dir. Aber wenn du hier bist... Und Ivy nicht hier ist... Wo ist Ivy dann?“

Oh Scheiße.

V

Ich saß neben David in Glenns Wagen, Kisten auf dem Beifahrersitz, weil nur er wusste, wo es zu diesem verfluchten Haus ging und Glenn... Glenn fuhr wie eine besenkte Sau.

Ich hatte ihn noch nie so fahren sehen – aber sobald das hier vorbei war, wollte ich ihn auch nie wieder so fahren sehen.

Gut, dass ich mein Frühstück schon los war – in einigen der Kurven, die Glenn so nahm, hätte ich sonst sein Auto vollgekotzt.

Und Dreck auf Toast – Ivy.

Ich wusste, wo Ivy ihre Pflöcke aufbewahrte. Ich wusste auch, wie ich sie zu benutzen hatte. Und bei aller Liebe – niemand setzte meine Mitbewohnerin der Gefahr aus, einen Dämon auf den Hals gehetzt zu bekommen. Erst recht keinen Dämonen, der schon diverse Menschen auf dem Gewissen hatte.

Scheiße, bei Big Al wusste ich wenigstens, woran ich war. An nichts Gutem, zugegeben. Aber der wollte mir ans Leder – nicht meinen Freunden.

Kisten gab Glenn anscheinend eine kurze Anweisung, dann bremste dieser abrupt. Ich sah meinen Kopf schon gegen seinen Sitz knallen, doch dann verloren die Reifen den Halt und wir drehten uns um die eigene Achse. Statt gegen Glenns Sitz knallte ich gegen die Scheibe. Ein greller Schmerz durchzuckte mich. Ich wusste nicht, ob das ich war, der da schrie, aber es tat weh.

Dann fasten die Räder wieder raueren Untergrund und wir standen still. Mein Magen drehte sich weiter.

Glenn in sein verfluchtes Auto zu kotzen, war vielleicht doch keine so schlechte Idee.

Als ich aufblickte, ruhten drei Augenpaare auf mir. Hinter meiner Stirn pochte noch immer ein dumpfer Schmerz, aber er war erträglich. „Was?“

„Alles okay, Rachel?“

„Ich kotz gleich, aber ansonsten ist alles okay, ja. Glenn, du Idiot! Mach das nie wieder!“

Glenn verzog schuldbewusst das Gesicht. „Willst du Ivy retten, oder nicht?“

Okay, das war wahr.

„Ivy retten wird schwierig, wenn du uns zu Brei fährst!“

„Mädels, Luft anhalten. Wenn ihr weiter streitet, dann retten wir nix mehr. Oh, und Glenn, ich sagte, du sollst bremsen, nicht uns umbringen. Beim nächsten mal reiß ich dir die Kehle auf.“

Manchmal war Kisten toll. Ich nickte zustimmend. Aber er hatte Recht – wir mussten Ivy retten.

Zumindest ich wusste nicht, ob sie mit einem ausgewachsenen Dämon zurecht kam, Piscarys Blut hin, Piscarys Blut her. Also stieß ich die Wagentür auf, stand auf – und musste mich an der Tür festhalten, um nicht umzukippen. Verdammte Scheiße, war mir schlecht!

Ich atmete einmal tief durch, dann ging es wieder. Bevor einer der Männer auf die dumme Idee kam, mich aus Sicherheitsgründen zurück ins Auto so schicken – David warf mir schon besorgte Blicke zu – ließ ich das Blech wieder los. Igitt, Glenn sollte mal wieder sein Auto putzen.

Aber verdammt noch mal, ich würde da jetzt rein gehen und Ivy retten, wenn Ivy meine Hilfe benötigte, und ich würde mich nicht davon abhalten lassen. Ich knallte die Tür lauter als nötig zu, um diesen Entschluss zu unterstreichen.

Nicht, dass meine Begleiter das verstanden – Glenn schien wütend, ob immer noch oder schon wieder war mir herzlichst gleich, David verwirrt bis besorgt und Kisten zog eine Braue hoch.

Ja, okay. Also noch mal für Männer.

Ich stemmte die Arme in die Hüfte und sah zu den dreien. Meine Tasche baumelte beruhigend an meiner Seite. Auf einen solchen Einsatz war ich zwar nicht vorbereitet, aber wenigstens hatte ich meine Splat Gun mit acht Schuss Gute-Nacht-Tränken und ein paar Amulette bei mir. Ich wusste nur nicht, wobei mir jetzt ein Wahrheitsamulett helfen sollte.

„Okay. Gehen wir rein und holen Ivy da raus!“

Kisten nickte zustimmend und knackte bedrohlich mit den Fingern, als wäre er nicht der Idiot, der Ivy mit einem potenziellen Dämonenopfer allein ließ.

Glenn entsicherte seine Waffe (nicht, dass die ihm was bringen würde) und David legte seinen Rucksack sorgfältig auf die Rückbank.

Ich warf einen letzten Blick zum Himmel. Die Sonne war wahrscheinlich bereits seit ein paar Minuten nicht zu sehen.

Verdammte Scheiße.

Das wurde eng.
 

Ich hasste dieses Gebäude jetzt schon. Es war von außen dreckig und von innen war es noch schlimmer. Und es war grün. Überall. Bis auf den Teppich. Aber der schien ohnehin meine Schuhe fressen zu wollen.

Kisten hatte sich an die Spitze unseres Trupps gesetzt und David hatte darauf bestanden, ebenfalls vor mir zu gehen. Gut, bekamen die beiden Ivys Wut zu spüren, sollte Kisten sich irren. Nur Glenn hatte ich dazu überreden können, dass es besser war, wenn er hinter mir blieb – ich war diejenige, die eine Kraftlinie anzapfen konnte, um einen Schutzkreis zu errichten. Wenn es hier eine Kraftlinie gab.

Ein leichtes Kribbeln erfasste mich, das ich für einen Moment nicht einordnen konnte. Das fühlte sich an wie...

Mist.

Ich gab Glenn ein Zeichnen, stehen zu bleiben, dann schloss ich meine Augen und öffnete mich dem zweiten Gesicht. Das Jenseits formte sich vor meinen Augenlidern, grau, hässlich mit dem altbekannten roten Licht. Ich sah tatsächlich eine Kraftlinie. Eine kleine, so wie die bei meiner Kirche, aber eine Kraftlinie. Und sie verlief im Hinterhof. Na klas-

In dem Moment flammte noch etwas auf. Die Mauern der realen Welt waren verschwunden, sodass ich mich frei umsehen konnte. Neben der Kraftlinie und den Auren meiner Begleiter sah ich einen gottverdammten Schutzkreis!

Vampire konnten keine Schutzkreise ziehen. Ich riss die Augen wieder auf, ließ das zweite Gesicht und setzte mich wieder in Bewegung. „Irgendwer hat einen Schutzkreis gezogen!“

„Rede nicht, beeil dich!“, rief Kisten von vorn und verschwand hinter einer Ecke. Ich folgte seinem Befehl widerspruchslos und lief, um ihn einzuholen. Als ich ebenfalls um die Ecke bog, riss er bereits die Tür zu einem Zimmer auf. Es musste das Zimmer mit dem Schutzkreis sein.

In dem Moment flog Ivy durch die Tür an uns vorbei und knallte gegen die Wand des Flurs. Mir blieb das Herz stehen. Noch im selben Augenblick, wie es mir schien, war ich bei ihr. Ich fühlte Puls. Sie war K.O., aber sie lebte noch.

Kisten fluchte laut, was mich aufsehen ließ.

„Heilige Scheiße, wie kommt der hier her?“

Als ich an ihm vorbei durch die Tür sah, wusste ich, was er meinte.

Da stand eine Hexe, die vermutlich den Schutzkreis gezogen hatte, und neben ihr Trent Kalamack. Er schien nicht besonders zufrieden mit der Gesamtsituation. Ich wusste nicht, womit die Steinberg – sie musste die Steinberg sein, sie musste einfach – ihn bedrohte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er freiwillig dort stand wo er stand. Er blickte zur Tür. Zu mir.

Ich konnte mich irren, aber es sah fast so aus, als helle sich seine Miene ein wenig auf. Verdammt. Ich war nicht wegen dir hier, du Arsch.

Er ließ seinen Blick wieder von mir gleiten und starrte etwas außerhalb meines Blickfeldes an.

„Glenn, schaff Ivy hier weg. Beeil dich. Und nimm Rachel-“

Da war ich bereits an Kisten vorbei. Und sah ihn.

Es war nicht Big Al. Es war nicht Big Al.

Er war größer als ich und dünn, aber nicht schmächtig, und trug einen edlen Anzug. Er verbarg seine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille und Dreck auf Toast – er sah gut aus. Sein blondes Haar fiel ihm elegant in die Stirn, als er sich auf einen Stuhl lehnte, auf dem eine weitere Person saß. Vermutlich war das Eddy. Wenn es Eddy war, sah er jedenfalls so aus, als hätte er sich soeben in die Hosen gemacht. Ich sah ihn bis hier her Zittern. Für einen Vampir sah er aus, wie ein Weichei.

Aber gut. Es war ein anderer Dämon. Es war nicht Big Al. Und er verbeugte sich vor mir und grinste dabei.

„Rachel Marianna Morgan, nehme ich an? Ich fühle mich geehrt, Sie kennen zu lernen. Man redet viel über Sie, im Jenseits.“, sprach er höflich mit einer dunklen Stimme.

„Geh und wandel dich.“, knurrte ich, die Hand bereits bei meiner Splat und Schulter an Schulter mit Kisten. Wo zum Wandel war David?

Ich spürte den Windhauch, als Kisten den Dämon angriff. Doch der lachte nur und fing seinen Schlag ab. Mit einer fließenden Bewegung warf er Kisten durch den Raum.

Scheiße.

Okay. Als ich meine Splat zog, legte sich eine Hand um mein Handgelenk.

„Tse, Tse, Tse. Mädchen sollten nicht mit Waffen spielen.“, flüsterte eine leise Stimme. Wer auch immer hinter mir stand, riss meinen Arm so kräftig nach oben, dass ich schrie. Ich spürte, wie mir die Splat aus den Fingern glitt.

Ich keuchte, riss mich dann aber zusammen und trat nach hinten aus. Irgendetwas hatte ich getroffen. Es blieb mir keine Zeit, darüber nachzudenken. Stattdessen ließ ich mich fallen, riss an meinem Arm und trat erneut zu. Tatsächlich kam ich frei.

„Rhombus!“

Die Energie der Kraftlinie durchfuhr mich mit einem Schlag , als ich die Linie anzapfte und sich der Kreis schloss. Ich hörte es hinter mir schreien, als mein Angreifer gegen den Schutzkreis prallte – Treffer.

Der Schmerz in meiner Schulter ließ mich ein wenig in mich zusammen sinken, doch ich versuchte, ihn zu ignorieren. Heulen konnte ich später, wenn Ivy und Kisten sicher waren.

Ich drehte mich um und sah meinen Angreifer, der mich wütend anstarrte. Noch ein Dämon. Verfluchte Scheiße.

Er war ebenfalls größer als ich, aber nicht viel. Er trug eine seltsame dunkelblaue Robe, in der er dünn wirkte. Er trug langes, hellbraunes Haar und einen Ziegenbart in der selben Farbe. Oh, und er hatte Hörner. Er hatte eindeutig Hörner! Zusammen mit den ziegenartigen Augen sah er aus wie eine überdimensionale menschliche Ziege in dunkelblau. Ein unbestimmtes Gefühl sagte mir, dass ich vor ihm mehr Angst haben musste, als vor seinem Kollegen, der gerade meinen Freund vermöbelte.

Wenigstens stand Kisten wieder. Und er kämpfte. Ich wusste nicht, wie lange er das durchhalten würde, doch er kämpfte. Ich tastete nach meiner Splat und fand sie in meinem Schutzkreis. Tomate sei dank.

Dann hörte ich eine Stimme.

„Hör auf zu Spielen! Töte ihn!“

Es war die Hexe, die sprach. Die Frau musste kleiner als ich sein und sah aus, als sei sie in kurzer Zeit stark gealtert. Ihr Haar schien blond mit ersten grauen Strähnen, obwohl sie vermutlich erst fünfzig war. Sie trug ein hässliches Kostüm, vermutlich, weil sie nichts anderes im Schrank hatte. Alles in allem sah aus, wie jemand, der seine Arbeit lebte.

Sie zeigte auf Trent.

Der Dämon neben mir sah ebenfalls zu ihr, warf dann aber einen Blick zu dem Vampir auf dem Stuhl.

Plötzlich schrie Eddy. Es klingelte in meinen Ohren,

Noch schlimmer war es nur, als Eddy plötzlich verstummte. Im Augenwinkel sah ich, wie er auf seinem Stuhl zusammen sank. Ich wusste nicht, was da gerade geschehen war, doch ich glaubte nicht, dass Eddy wieder aufstehen würde. Nicht als lebender Vampir, jedenfalls.

Der Dämon neben mir leckte sich über die Lippen.

„Mit dir und deinen Freunden spiele ich vielleicht später, Kleine.“, raunte er mir noch zu.

Aber halt.

Er konnte ihn nicht umbringen. Trent war in diesem beschissenen Kreis der Hex-

Ich spürte, wie der Kreis zerbrach, als sie Trent einfach hinaus stieß.

Und dann war David da.

Als Wolf. Groß, mit schwarzem, seidigen Fell und tödlich. Die Entfernung zu Steinberg überbrückte er mit zwei kraftvollen Sprüngen mühelos, bevor es ihr gelang, erneut einen Kreis zu ziehen. Sie schrie auf, als er sich in ihrer Seite verbiss.

Allerdings war es Trent, der die größeren Probleme hatte. Ich sah, wie der Dämon sich auf ihn stürzte.

Scheiß auf meinen Schutzkreis.

Das würde ihn was kosten – ich wollte einen neuen Mantel.

Ich umfasste meine Splat Gun fester, zielte, ließ den den Schutzkreis fallen und schoss.

Natürlich traf ich nicht, aber ich erreichte, was ich erreichen wollte: Ich zog seine Aufmerksamkeit auf mich.

Genug Zeit für Kisten, seinem Dämon zu entkommen und sich auf Trents Angreifer zu stürzen. Es gelang ihm, Trent zu befreien. Gut, er schleuderte ihn durch den Raum, um ihn zu befreien, aber er befreite ihn. Irgendwie. Anscheinend hatten wir Mister Dämon genug gereizt, sodass er sich erst uns zuwandte.

Ich fragte nicht, sondern schoss wieder.

Zwar traf ich ihn nicht, aber Kisten zog ihm eins über, woraufhin er sich auf meinen Freund konzentrierte.

Glenn brüllte entfernt und Ivy schien ihn auszuschreien, doch sie waren beide außerhalb meines Blickfeldes. Dann sah ich Ivy. Anscheinend hatte sie sich erholt und stürzte sich nun auf Dämon Nr. 1. Ich hörte Glenn immer noch, doch ich ignorierte ihn. David jaulte auf der anderen Seite.

Ich blickte mich nicht um, sondern lief zu Trent. Noch war er bei Bewusstsein, auch wenn ihm wohl die Kraft fehlte, um sich aufzurichten.

Ein wenig schielend sah er sah mich an. „Rachel, du kommst gerade richtig.“, murmelte er.

„Halt die Schnauze. Wie kommst du eigentlich hierher?“

„Einer der Dämonen hat mich durch die Linie gezogen.“

Okay. Das erklärte das Fehlen gewisser Elfen.

Ich griff in meiner Tasche nach einem Amulett und dem Fingerstick. Routiniert aktivierte ich es mit den obligatorischen drei Tropfen meines Blutes und drückte es ihm in die Hand. Man konnte ihm förmlich ansehen, wie der Schmerz nachließ und er sich entkrampfte.

Glenn schoss, doch ich wusste, dass er nicht treffen würde. Hier spielten die großen Jungs, Menschen hatten hier nichts zu suchen.

„Glenn, hör auf zu spielen und schaff Trent hier raus!“, rief ich deshalb über meine Schulter und sah mich um. David lag winselt auf dem Boden. Die Hexe musste ihn erwischt und sich befreit haben, doch Kisten zog ihr gerade eins über, flog dann aber durch den Raum, als einer der Dämonen ihm einen kräftigen Tritt verpasste. Er stand nicht wieder auf.

Scheiße.

Ich hörte Ivy schreien, doch sie stand noch und griff wieder an.

Glenn war bei Trent und mir. Den Elf überließ ich nun einfach ihm. Meine Splat Gun ruhte fest in meiner Hand. Dann war ich wieder in Bewegung. Ich musste die Hexe ausschalten.

Was es für ein Zauber war, der mich traf, wusste ich nicht. Ich brannte. Ich sah nichts, aber ich wusste, dass ich brannte. Schmerz brannte durch meine Adern. Ich hörte mich schreien, doch es klang fremd.

Ächzend brach ich zusammen.

Der Schmerz flaute ab und ich kniff die Augen zu.

Ich krächzte heiser. Scheiße, das tat weh.

Ein Auge öffnend, sah ich mich um. Es tanzten Sterne vor meinem Blick. Dreck auf Toast. Dreck auf Trent. Dreck auf die ganze beschissene Situation.

Irgendetwas fegte über mich hinweg, dann schrie Glenn.

Scheiße.

Ich rappelte mich auf.

Wo war meine Splat? Scheiße, wo war meine Splat?

Ich fand meine Waffe nicht und warf das nächstbeste, das ich zur Hand hatte. Meine Tasche. Zu spät, als meine Amulette bereits leise klirrend auf dem Boden aufschlugen, wusste ich, dass das ein Fehler gewesen war. Ich traf den Dämon in der Hüfte. Nicht, dass das etwas brachte.

Ein Blick zu Ivy sagte mir, dass wir die Einzigen waren, die noch standen. Ein Blick zu Ivy sagte mir auch, dass sie in den Lebender-Vampir-und-Piscary-Nachkomme-Berserker-Modus geschaltet hatte.

Aber sie war mit dem anderen Dämon beschäftigt. Fuck.

Ich warf mich meiner Tasche hinterher, unterdrückte den Schmerz und umklammerte die Hüfte des gehörnten Dämons. Dieser ließ Trent nicht los. Diesmal nicht. Er packte meinen Arm, wieder, und zog daran. Ich schrie, ließ aber nicht los. Ein Tritt traf mich hart gegen mein Bein und ließ mich zusammenzucken. Ich verlor den Halt, als er wieder an mir riss. Seine Hand packte meine Kehle und drückte mich gegen die Wand. Scheiße. Ich brauchte einen Zauber. Aber ich kam nicht an. Scheiße, ich kam nicht an!

Mir ging die Luft aus und ich umklammerte seine Hand mit meinen, doch es gelang mir nicht, seinen Griff zu lösen. Wieder tanzten Sterne vor meinen Augen. Dann spürte ich, wie er mich anhob und warf. Den Aufprall spürte ich nicht.

Würgend kam ich wieder zu mir. Ich durfte jetzt nicht schlapp machen.

Scheiße, Trent.

Mein Rücken schmerzte, Wunden an meinem Kopf und meinem einen Bein pochten im Gleichtakt und der allesumfassende Schmerz, der durch mich geflutete war, brannte in meinen Adern nach und vereinte sich zu einer einzigen großen Welle des Schmerzes.

Dreck auf Toast.

Hastig blinzelte ich die Schwärze aus meinem Augenwinkel.

Ich war zu weit weg. Scheiße, ich war zu weit weg.

Und dann sah ich die Hexe.

David hatte sich aufgerappelt, sich erneut auf sie gestürzt und sie zu Boden geworfen. Sie formte einen Zauber, um ihn sich vom Leib zu halten, den ich nicht würde aufhalten können.

Spontan fasste ich einen Plan.

Vorsichtig rappelte ich mich auf und brachte meinen Plan fast zum scheitern, als ich über einen von Ivys Pflöcken stolperte.

Halt.

Ivys Pflock.

Und Ivy hatte mir gezeigt, wie man sie verwendete.

David heulte und winselte dann nur noch, doch darum konnte ich mich später kümmern. Ich hob den Pflock auf und überbrückte die Distanz zu Steinberg. Mit Wucht prallte ich gegen sie und begrub sie unter mir.

Das Stück Holz in meiner Hand mit all meinem übrig gebliebenen Mut umklammernd, versuchte ich, es ihr in die Brust zu stoßen. Mit einer Hand griff sie nach meinem Hals und drückte zu, mit der anderen versuchte sie, mir meine Waffe zu entreißen, doch ich ließ nicht los. Ich löste eine Hand vom Pflock und zog in ihren Haaren. Das ließ sie aufschreien und ihren Griff lockern. Diese Chance nutzend presste ich ihr den Pflock gegen das Herz. Schmerz flammte erneut durch mich und ich schrie, doch ich gab nicht auf.

Steinberg bewegte ihre Lippen, das sah ich, doch ihre Worte hörte ich unter meinen Schreien nur wie durch Watte.

„Azazel, hilf mir!“

Azazel? War das der Dämon? Azazel-

Oh scheiße.

Mir wurde schwarz vor Augen und ich spürte, wie meine Kraft nachließ. Doch dann ebbte der Schmerz ab. Ich sah noch immer nichts.

Etwas packte mich und warf mich neuerlich durch die Luft. Der Aufschlag presste mir das bisschen Restluft aus den Lungen, das ich noch hatte. Rasselnd sog ich die Luft wieder ein und blinzelte gegen die Schwärze. Mir war heiß und kalt gleichzeitig und alles tat mir weh. Ich hätte kotzen können.

„Wie hast du mich gerade genannt?“, fragte eine Stimme ganz weit weg.

Ich hatte doch niemanden irgendwie genannt...

„Wir hatten einen Vertrag.“

Ich hatte auch keinen Vertrag, oder? Dreck auf Toast, das war doch wohl nicht Big Al...

Irgendwer schrie. War das ich?

Etwas nasses berührte mein Gesicht.

Ich schreckte zusammen. Big Al? War das Big Al, der mich holen wollte? Ich kniff die Augen zusammen. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Da konnte nicht-

Nein!

Die Nässe kam wieder. Da war kein Schmerz, außer der, den ich schon kannte. Was war es dann?
 

Vielleicht war es doch nicht-

Aber der... die Dämonen! Trent! Ivy!

Ruckartig öffnete ich die Augen, kniff sie aber sofort wieder stöhnend zusammen. Scheiße. Licht.

Als ich es erneut versuchte, wurde es besser. Das Licht war weniger geworden. Irgendetwas musste zwischen mir und der Quelle sein. Ich sah auf und sah die Silhouette eines riesigen schwarzen Wolfs.

Als David sah, dass ich ihn sah, begann er zu hecheln – und sabberte mir dabei ins Gesicht.

Gut.

Wenn David mir ins Gesicht sabberte und dabei hechelte, dann war ich entweder tot oder noch in einem Stück. Dem Schmerz nach zu urteilen, von dem ich nicht ganz wusste, wo er gerade nicht war, war ich wohl noch in einem Stück.

„Ivy?“, krächzte ich heiser.

„Sie kotzt sich gerade aus. Du bist wieder wach?“

Nun...

Es schien fast so.

Vorsichtig setzte ich mich auf und zuckte daraufhin prompt zusammen. Das fühlte sich fast so, als hätte es ein paar Rippen erwischt.

Glenn saß neben mir. Ihn hatte es auch erwischt. Um sein rechtes Auge hatte sich ein Bluterguss gebildet, der wohl noch anschwellen würde. Seine zusammengesunkene Haltung bedeutete vermutlich, dass er noch mehr eingesteckt hatte.

David hechelte noch immer. Sabber tropfte auf meine Schulter. Ich hob die Hand, um es wegzuwischen und zuckte zusammen. Ah, die Schulter.

Ich sah mich um. Eddy saß nach wie vor zusammengesunken auf seinem Stuhl. Was immer der Dämon mit ihm angestellt hatte – es war ihm nicht bekommen. Ich sah weder Kisten noch Ivy. Durch die Fenster drangen erste, sanfte Sonnenstrahlen.

Ich musste weg gewesen sein. Und das für ne ganze Weile...

Scheiße.

„Wo sind die Dämonen?“

„Gegangen. Ich habe noch nicht ganz begriffen, was da los war, aber als die Hexe den Namen des einen genannt hatte, ist er auf sie losgegangen, von wegen Vertragsbruch und hat sie mitgenommen. Der, gegen den Ivy gekämpft hat, hat sich danach verzogen. Sah wohl keinen Sinn mehr darin, einen Auftrag auszuführen, zu dem es keinen Auftraggeber mehr gab.“

„Und Kisten?“

„Hilft Ivy beim kotzen, glaube ich.“

„Trent?“

„Ich lebe noch.“, sagte eine Stimme links von mir.

Ich drehte den Kopf zu David. Tatsächlich saß Trent hinter ihm. Er sah nicht besser aus, als ich.

„Danke, Rachel.“, fügte Trent hinzu. Er klang krächzend.

„Geh und wandel dich, Trent. Ich habe das nicht für dich getan.“

Gut ich klang genauso schlimm. Ich seufzte.

„Ich weiß. Dennoch, danke. Ohne dich und deine Freunde hätte mich diese Irre umgebracht.“

„Sie hat genug andere umgebracht.“

Eine feuchte Wolfszunge strich über mein Ohr. War das Davids Vorstellung von Trost? Na gut.

Ich sah zu ihm und versuchte ein Lächeln. Er schleckte mir über die Wange.

„Das gefällt dir wohl, he?“, murrte ich. „Weißt du, dass das ein wenig eklig ist?“

David hechelte nur selbstzufrieden.

Mistkerl. Oder Mistwolf. Wie auch immer.

Ich hörte, wie Ivy und Kisten streitend näher kamen. Als sie eintraten, folgten ihnen mehrere FIB-Beamten, darunter Edden und eine ältere Frau mit gutmütigem Gesicht, die Glenn und mir aufmunternd zulächelte.

„Wir haben also gewonnen?“

„Wir leben zumindest noch“, erwiderte Kisten, der plötzlich hinter mir stand und sein Gesicht gegen meine gesunde Schulter drückte.

Richtig. Wir lebten noch.

Aber wieso war das überhaupt so weit gekommen?

Wie kam es dazu, dass eine Mutter so von Rache getrieben sein konnte, dass sie dafür Leute umbrachte?

Und das alles nur, weil ihre Tochter ein neues Leben beginnen wollte und sie selbst es nicht konnte...



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Kommentare zu dieser Fanfic (17)
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Von:  Kim_Seokjin
2009-10-08T13:39:27+00:00 08.10.2009 15:39
Dacid der >>Wachwolf<<. *hihi*
Schön, ich finde ja er ist schön pragmatisch, trocken und süß. xD
Vorallem weile rnach seinen Richtlinien arbeitet und dabei Rachel über den Boden robben zusieht. ich kann mir das richtig gut vorstellen, vielleicht zuckden dabei sogar sein Mudnwinkel ein wenig nach oben oder so.
*grins*
Aber ich bin froh, dass die Leichte nicht beschrieben wurde.
Von:  Kim_Seokjin
2009-10-08T13:29:50+00:00 08.10.2009 15:29
Ivy ist herrlich. Schade ist, dass im Buch mal nciht aus ihrer sich beschrieben wurde. Wäre sicherlich mal interessant. Weil ich sie doch so herrlich komplex und kompliziert finde. *seufzt*
ich finde, du hast sie gut getroffen. Auf eienr Seitehasst sie Kisten dafür, dass er etwas mit Rachel hat, was sie nicht haben kann und andersherum kann sie ihn auch einfach nicht weiter in die Scheiße reiten lassen.
Von:  Kim_Seokjin
2009-10-08T13:21:54+00:00 08.10.2009 15:21
Oh man, hier meldet sich endlich, dein Wichtelchen mit den ausgiebigen Kommentaren. Ich weiß, dass ich viel zus pät dran bin und du darfst mich dafür weiß wie ich stark ind en Arsch treten. *drop*
Vor Ewigkeiten hatte ich ja schon geschrieben, dass ich die geschichte liebe und ich tu es immer noch.
Glenn ist dir herrlich gelungen. Wenn er so stoffelig sein will und wenn er nicht Rachel anrufen will und es ja schlussendlich doch tut. *grins*
Von:  Knoblauchgurke
2009-08-09T17:05:03+00:00 09.08.2009 19:05
>Die Entfernung zu Steinberg überbrückte mit zwei kraftvollen Sprüngen mühelos, bevor es ihr gelang, erneut einen Kreis zu ziehen.<

Da fehlt ein >er<.

>Irgendetwas musste zwischen mir und dem Quelle sein.<

Zwischen mir und der Quelle, ansonsten sind mir in der gesamten FF keine Fehler aufgefallen^^

Die Kampfszene wirkt anfangs etwas holprig, wird zum Ende hin aber immer besser. Actionszenen zu schreiben finde ich aber auch schwierig, meistens braucht man ein wenig Zeit, um richtig in Fahrt zu kommen.
Nur den Schluss der FF habe ich nicht ganz verstanden, was aber wahrscheinlich daran liegt, dass ich zwischenzeitlich etwas unkonzentriert war. Wessen Mutter war die Hexe, die den Dämon beschworen hat und wofür wollte sie sich Rächen?
Trent erscheint mir auch etwas zu nett, ansonsten hat es richtig Spaß gemacht, das Kapitel zu lesen. Dein Humor gefällt mir und passt wunderbar zur Buchvorlage ^_^
Von:  Knoblauchgurke
2009-08-09T16:23:29+00:00 09.08.2009 18:23
Diesmal schließe ich mich Nochnoi an ^^
Die Szene mit Glenn und Kisten im Verhörraum liest sich wunderbar, Kisten ist nunmal einfach ein Macho, da kann man sagen, was man will. Der arme Glenn, auch wenn seine Reaktionen niedlich sind XD
Nun bin ich wirklich auf das letzte Kapitel gespannt *g*
Von:  Knoblauchgurke
2009-08-09T15:56:59+00:00 09.08.2009 17:56
>David stand in etwas, das Ähnlichkeiten mit einem Türrahmen hatte, und sah seiner Alpha-Hexe beim Robben zu. Irgendwie fehlte da etwas. Fell zum Beispiel. Und der Schwanz. Vor allem der Schwanz, am besten leicht wedelnd.<

>Wenn David einen Fuß aus der Brühe hob, um einen weiteren Schritt zu machen, klang das, als wolle die braune Masse ihn nicht ziehen lassen. Wenn er auftrat, klang es wie ein schwerer Fehler.<

Deine Formulierungen sind einfach herrlich XD

Du hast es wieder geschafft, den Erzähler richtig zu charakterisieren, obwohl ich mir vorstellen kann, dass es nicht einfach ist, wenn man die Perspektive mit jedem Kapitel wechselt.
Nur an einer Stelle bin ich mir etwas unsicher. War es im Deutschen nicht "Mist auf Toast"? Genau erinnern kann ich mich nicht und habe hier nur die englische Ausgabe O.o
Von:  Knoblauchgurke
2009-08-09T15:33:19+00:00 09.08.2009 17:33
>Entweder, das, was da gerade getrieben wurde, war eklig oder richtig widerlich. Da Kisten darin verwickelt war, vermutlich beides.<

Wieder so ein schöner Satz *g*

Die geschmacklose Einrichtung des Hauses gefällt mir. Erinnert mich an meine WG, bloß, dass da alles braun ist *drop*
Jedenfalls hast du die Umgebung gut beschrieben, ich konnte alles richtig vor mir sehen. Ivy ist dir ebenfalls gelungen und ich kann Roryn nur zustimmen. Dass du einen anderen Erzähler verwendet hast, als im ersten Kapitel, ist interessant. Mal sehen, was mich in den nächsten Kapiteln erwartet.
Von:  Knoblauchgurke
2009-08-08T15:12:01+00:00 08.08.2009 17:12
>Nicht, dass er sich nicht dennoch im Kreise drehte, so wie Rachel vermutlich auf ihrem neuen Drehstuhl an ihrem neuen Schreibtisch mit den Zimmerpflanzen.<

Ich liebe diesen Satz <3

Überhaupt gefällt mir das erste Kapitel sehr gut, dein Stil passt zur Handlung und die Charaktere sind gut getroffen. Ich bin schon darauf gespannt, wie die Geschichte sich weiterentwickelt und was Kisten und Trent mit der Leiche zu schaffen haben. Mal sehen, wann ich dazu komme, weiterzulesen *g*
Von:  Nochnoi
2009-07-18T16:12:31+00:00 18.07.2009 18:12
Ein wunderschön langes Kapitel ^^

Und dazu auch noch aus Rachels Sicht! Ach ja, ich mag sie ;) Sie hat so einen tollen Humor!

Auf jeden Fall war das Kapitel sehr spannend! Ich finde, du hast die Atmosphäre und Dramatik ziemlich gut eingefangen. Ich habe zumindest stark mitgefiebert.
Und Trent hatte diesmal auch seinen Auftritt – auch wenn der arme Kerl mit der Gesamtsituation unzufrieden war XD (tut mir leid, das konnte ich mir einfach nicht verkneifen ;p)

Auf jeden Fall war schon der Auftakt irgendwie erheiternd ;) Zumindest weiß ich jetzt, dass ich mich nicht zu Glenn ins Auto setze, wenn er es eilig hat. Arme Rachel, hat eh schon einen angegriffenen Magen und muss dann noch sowas mitmachen.
Den Kampf fand ich sehr gut beschrieben. Besonders haben mir die Dämonen gefallen – ich steh einfach auf Dämonen ;)
Und David sei an dieser Stelle auch noch erwähnt ;p Irgendwie ist die Vorstellung süß, wie er Rachel quer übers Gesicht leckt und sie vollsabbert XDD Aber sie hat schon Recht, ein wenig eklig ist es schon *lach*

So, und sie haben nun gewonnen. Na ja, zumindest irgendwie. Wenigstens leben sie alle noch … aber wirklich zu Ende ist die ganze Geschichte sicher noch nicht, nicht wahr?
Ich freue mich jedenfalls aufs nächste Kapitel!

Liebe Grüße
Nochnoi

Von:  _Delacroix_
2009-07-13T12:01:00+00:00 13.07.2009 14:01
Ah, das Kistenkapitel^^
Man merkt, dass du Kisten magst und ich mag, wie er mit Glenn umspringt.
*gg*
Es geht langsam aber sicher dem Höhepunkt entgegen.
Sehr schön^^


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