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Symphonie der Welt

10 Geschichten zur Welt
von

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Freiheit

Leise drang das Piepsen an seine Ohren. Seit einer Ewigkeit hörte er dieses „Piep“. Bald schon hatte er heraus gefunden, dass es mit seinem Herzschlag synchron war. Gleichzeitig drangen Geräusche von Schritten, Menschen und anderen Maschinen, die offenbar außerhalb des Raums standen, in seine Ohren. Es waren die einzigen Geräusche, die er hörte. Wenn er es sich recht überlegte, war es der einzige Kontakt nach draußen. Er wusste nicht wo er war, wie er war, was er war. Er fühlte nicht das Medium um ihn. Stand er? Lag er? Wenn er lag, auf was? Bett? Brett? So lag er da und machte das einzige, was er tun konnte: Er hörte zu.

„....keine Besserung.... Gehirn schwer geschädigt... Heilung unwahrscheinlich...“ Es waren nur Sprachfetzen, Worte, die nur leise und gedämpft waren, so als würden sie vor einer Tür gesprochen. Und doch wusste er, was sie bedeuteten. Sie bedeuteten, dass er in einem Krankenhaus war. Denn es gab keinen anderen Ort, an dem er solche Sachen so emotionslos gehört hatte. Sprachen sie über ihn? Oder über jemanden anderen? Was macht er überhaupt in einem Krankenhaus? Er war doch immer gesund und munter gewesen. Gestern war er doch noch auf einer Party gewesen.

Plötzlich hörte er das Schleifen von Gummi auf Linol und Schritte näherten sich ihm. Eine tiefe Männerstimme erklärte: „Okay, schwere Hirnschäden vermutet. - CT, MRT, EEG vorhanden?“

„Ja, Professor.“ antwortete eine Frauenstimme.

„Geben sie mal bitte her.“ Das Rascheln von Papier war zu vernehmen. „Hm, merkwürdig... So etwas habe ich noch nicht gesehen. Offenbar scheint er nur noch zu hören. Die Gehirnregionen, die für das Denken und Kognitive zuständig sind, sind nur leicht betroffen.“

„Das heißt?“ fragte eine junge Männerstimme.

„Er hört und kann noch denken. Zudem dürfte er nicht sehr viel Gedächtnis verloren zu haben. So seltsam es klingt, wenn er wach ist, versteht er uns, hat nur keine Möglichkeit sich zu artikulieren.“

„Wird er es irgendwann wieder können oder wird er nie wieder Kontakt aufnehmen können?“

„Wenn sie Sprache, Gestik meinen, keine Chance. Könnten wir die Gehirnwellen und alles andere besser entziffern, wäre so etwas wie Gedankenlesen möglich. Doch bis das soweit ist...“

„Oh...“

„Ja, ein Mensch der noch versteht, aber nichts sagen kann. Ein grausames Leben. - Überprüfen sie die Blutwerte und alles weitere, dann kommen sie zu mir ins Büro.“ meinte der ältere Mann und verschwand aus dem Raum.

Er hatte so Recht. Ein grausames Leben ohne die Möglichkeit zu reden, nur dahin zu vegetieren. Sein erster Gedanke war, als er begriff, in welcher Situation er war, war: Tötet mich.
 

Viel Zeit verging. Wie viel, das vermochte er nicht zu sagen.

Die Tür öffnete sich wie schon tausende Male zuvor. „Und sie sind der Meinung, das geht in Ordnung?“ fragte eine Frauenstimme.

„Sie müssen es entscheiden.“ erklärte der Professor, dessen Stimme er bereits gut kannte.

„Ja, ich will ihn bei mir haben. Ihm soll es an nichts fehlen!“

Er lachte ihn Gedanken. Was ihm fehlte, war doch klar. Freiheit über sein Leben. Nur fünf Minuten Freiheit, um das Leben zu beenden. Es war so unmenschlich, abnormal, widerlich, langweilig, schrecklich....
 

Die Jahre vergingen. Sie sagte ihm immer, was für ein Tag war.

„Wie geht es ihm?“ fragte eine Stimme, die er nicht kannte.

„So wie immer.“

„Oh, das tut mir Leid. Es ist bestimmt hart für dich, ihn zu pflegen, ihm die Windeln zu wechseln, das Essen zu kochen und hinzurichten.“

„Ach, es geht. Er freut sich sicher, dass bald wieder Weihnachten ist.“

Er hasste Weihnachten. Immer sangen sie Lieder an seinem Bett, jedenfalls behaupteten alle, er sei in einem Bett. Und es gab Geschenke und alle taten so, als würde er irgendwelche Emotionen zeigen. Als ob er noch ein Kissen brauchte, als ob er sich über die Dekoration freuen würde. Er würde alles kriegen, würde die Zeit ewig dauern. Ein Geschenk bekommt er nicht: Die Freiheit zu sterben. Er musste auf Teufel komm raus leben.
 

Laut den Aussagen der Frau sind mittlerweile 15 Jahre vergangen. Er wurde nicht mehr von ihr gepflegt, sie kam nur noch zwei Mal die Woche. Jetzt waren es Pfleger, die nie ein Wort über die Lippen brachten, schweigsam wie die Berge. Und es war kein Ende in Sicht...
 

Nun kam die Frau gar nicht mehr, die Pfleger redeten von ihm, dem Alten, nur nur noch schlecht. Kein Mensch kümmerte sich noch um ihn als Mensch, nur noch sein Körper wurde am Leben gehalten. Ein menschenunwürdiges Leben, dass nicht zu Ende gehen wollte.
 

Langsam näherten sich die Schritte. Sie waren leise, aber sicher. Es waren die Schritte eines jungen Menschen. Vom Auftritt her, schätzte er ihn Anfang zwanzig.

„Sie kennen mich nicht, aber ich kenne sie. Ich bin hier ein Pfleger und habe ihre Akte gelesen. Grausames Schicksal, wenn das stimmt, was drin steht.“

Ein Mensch, der ihn verstand. Einer, der seine Ansichten teilte.

„Ich werde jetzt die Aktion tun, die schon längst überfällig ist. Bitte verzeihen sie mir, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie glücklich sind. Vielleicht sind sie glücklich, dann tut es mir Leid. Doch ich konnte nicht verstehen, warum ein solches Leben ein gutes Leben ist. Vielleicht haben sie die Weltformel entdeckt, vielleicht bahnbrechende Erfindungen gemacht, doch wer außer ihnen weiß das schon? Sie werden sich nie der Welt offenbaren können. Ich tue das, was ich will, das man mir tut. Genießen sie ihre Freiheit. - Ich werde die Maschinen jetzt abstellen. In sieben Minuten dürfte alles vorbei sein.“

Das Klicken eines Knopfes war zu vernehmen. Kurze Zeit später wurde seine Gedanken immer schwächer. Und er sah etwas seit Jahren wieder: Das Licht.

Armut-Reichtum

Der Wind trieb den Regen durch die Straßen, ließ jeden Regentropfen zu einem kleinen Geschoss werden. Dazu kam eine beißende Kälte, die jedem Menschen bis auf die Knochen gehen würde. Man sah kaum Menschen auf der Straße, alle hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, wie eine Schnecke. Die, die man sah, versuchten sich mit Schirmen und Jacken vor den Wassermassen zu schützen, was jedoch so gut wie immer schief ging. Selbst die beste Regenjacke war nicht dicht genug, um dem Wasser Einhalt zu gebieten. Wer sich zudem noch länger auf der Straße aufhielt, riskierte im besten Fall eine Erkältung, im schlimmsten Fall eine lebensgefährliche Lungenentzündung.

Und doch gab es ein paar Menschen, die noch auf der Straße waren. Zu ihnen gehörte Taipen, ein Mädchen von zehn Jahren, welche sich unter einem kleinen Balkon dicht an die Wand presste, um dem Unwetter zu entgehen. Es war sinnlos. Der Wind wurde durch die Häuser der Umgebung ständig abgelenkt, sodass er die Wassermassen auch unter den Balkon trieb, durch die Lumpen, direkt auf die Haut des Mädchen. Sie fror und zitterte. Doch war dies noch die beste Möglichkeit, sich vor dem Sturm zu schützen. Ihre Hütte, am anderen Ende der Stadt, mitten in einem Sumpfgebiet mit Moskitos, Gestank, Tod und Elend, war so dicht wie ein Sieb. Zudem wusste sie nicht, ob das Blech und die einfachen Holzbretter dem Sturm standhalten würden.

So stand sie dort, unter den Balkon, und starrte auf das Haus auf der anderen Straßenseite. Es war ein großes Haus, viel größer als die größten Hütten, die sie je gesehen hatte. Die Fassade strahlte trotz des Regens weiß und aus den Fenstern drang warmes Licht. Man konnte schemenhaft Personen erkennen, die hinter dem Fenster auf und ab gingen.

Wie wäre es doch, wenn ich doch jetzt in dem Haus wäre. Ich hätte ein Dach über dem Kopf, der regen würde mich nicht frieren lassen und der Hunger würde mich nicht verzehren. Ja, ein Haus ist was schönes. Es bietet Sicherheit, Schutz und Wärme. Ich hätte auch gerne eins. Die Mama sagt zwar immer, dass wir das auch bald haben, doch ich glaube das nicht. Sie sagt immer, dass es bald aufwärts geht, dass der Papa eine neue Arbeitsstelle hat, dass wir dann mehr Geld haben, dass ich dann in die Schule gehen kann, auch wenn ich nicht weiß, was das ist, dass wir dann vor dem husten keine angst mehr haben müssen, dass es der Oma dann besser geht, dass wir dann keinen Hunger mehr haben müssen, dass wir in die Häuser mit den vielen Lichtern im Innern der Stadt gehen dürfen, dass ich mir schöne Kleider kaufen kann, so wie die Frauen auf den Plakaten. Papa muss wohl sehr hart arbeiten. Die Mama sagt immer, dass er dann kommt, wenn wir schlafen und geht, bevor wir aufstehen. Sie sagt, dass wir schon bald wo anders leben,wieder glücklich sind. Ich hoffe, das stimmt. Dann sind wir so wie die Menschen in dem Haus, sicher und fröhlich. Bald. Wir müssen nur daran glauben, dann kommt das Geld schon, sagt die Mama. Bald werden wir keine sorgen mehr haben. Sagt die Mama. Wenn die Mama das sagt, wird das stimmen. Die Mama hat doch immer Recht.

Ihre Augen wurden immer größer, als sie durch die Regenmassen auf die Gestalten hinter dem Fenster blickte. Sie wünschte sich so sehr auch in dem Haus zu sein. Und wenn es nur für eine Nacht wäre. Dann würde sie nicht mehr frieren und es geht ihr sicherlich nicht mehr frieren. Zudem würden ihre Lungen nicht bei jedem Atemzug wie Feuer brennen. Und der Hustenreiz wäre auch sicherlich weg. Sie schloss die Augen und dachte daran, wie es wäre, in dem Haus zu sein.

Sie sah goldene Fliesen, sie fühlte die Wärme, hörte den Sturm ungefährlich vorbeiheulen, sah einem Mann, der sich vor ihr verneigte und sie bat, in das Bad zu folgen. Dort entkleidete sie sich und stieg in die riesige Badewanne, voller Schaumbad. Es war herrlich. Überall Wärme und Geborgenheit. Sie schloss im Traum die Augen und ließ sich gleiten... immer weiter gleiten... in das Herz des Schaums... sie fühlte sich als könnte sie schweben...
 

[...] Schwerste Stürme zogen über die Südsee und zerstörten weite Teile des Landes. Wieder waren die Ärmsten der Armen betroffen. Allein in der letzten Nacht sich mehr als 30 Menschen ums Leben gekommen, mindestens vier von ihnen waren noch nicht einmal 18 Jahre alt. Oft waren die Todesursache nicht die Trümmer, sondern die ungewöhnliche Kälte, die der Sturm mit sich getrieben hatte. Für uns berichtet live aus den betroffenen Regionen:[...]

Versagen

„Was machen wir hier eigentlich genau?“ fragte der junge Mann seinen älteren Kollegen.

„Wir suchen nach Beweisen.“ antwortete der Angesprochene.

„Das machen wir doch schon seit Stunden. Wir finden nichts. Rein gar nichts.“ beschwerte sich Daniel, der neu im Team war und mit Franz auf der Suche nach Beweisen für einen Mord war. Sie suchten seit Tagen den riesigen Wald nach einer Leiche oder sonstigen Hinweisen ab, ohne jeden Erfolg. Keine Leiche, keine Kleider, kein gar nichts. Es existierte nichts, was nach einem Hinweis aussehen könnte.

„Wir müssen weiter suchen. Irgendwo wird es was geben.“

„Und wenn es nichts gibt? Vielleicht ist das nur eine falsche Spur, wie so oft?“ Daniel war außer sich. Er hatte von Anfang an nicht das Gefühl gehabt, im Unterholz des dichten Waldes, der über mehrere Berge führte und teilweise sehr dunkel war, irgendetwas von der Frau zu finden, die seit rund fünf Wochen verschwunden war. Ginge es nach ihm, hätte er seine Kräfte nicht in den Wald geschickt, sondern die Personen im Umkreis befragt. Aber es ging ja nicht nach ihm. Er war nur ein kleiner Mann in der langen Kette der Ermittler, ein Statist.

„Mein Gefühl sagt mir, dass es hier etwas gibt.“ erklärte Franz ruhig, man merkte ihm keine Anspannung an.

„Gefühle lügen. Sie sind irrational.“

„Darum bist du noch ein Neuling und nur ein kleines Rad. Dir fehlt die Intuition.“

„Intuition, Intuition.... die hat uns bis jetzt auch nicht geholfen. Es ist bereits schon später Nachmittag. Lass uns nach Hause gehen.“

„Nein! Wir sind nicht Ermittler geworden, um zuhause zu schlafen, sondern um Fälle zu lösen. Wir bleiben hier, bis wir sie gefunden haben. Es kann nicht mehr lange dauern.“ Franz war dafür bekannt, jeden seiner Kollegen bis auf das Äußerste zu belasten. Nicht wenige haben deswegen den Dienst quittiert.

„Das sagst du schon seit Freitag. Und bisher habe ich pro Tag höchsten vier Stunden geschlafen. Das hält keiner auf Dauer aus. Zudem regnet es bald, sagt mir mein 'Gefühl'.“ Natürlich wusste Daniel, dass es Regen geben wird, die Wolken über ihnen waren dunkel, fast schon schwarz. Zudem wurde ein Unwetter für die Nacht angekündigt. Schon am Morgen hatte er Franz gefragt, warum sie bei solch einer gefährlichen Wetterlage überhaupt in den Wald gehen. Er erhielt keine Antwort.

„Ich dachte, du glaubst nicht an Gefühle? Und höre auf zu meckern, du klingst wie ein Schulmädchen.“ Franz war nie besonders gut darin gewesen, Sarkasmus oder versteckte Kritik ausfindig zu machen. Daniel schwieg und starrte zum Himmel, welcher sich immer weiter verdunkelte.

Bang! Mit einem Kanonenschlag von Donner und dem hellsten Blitz, den Daniel jemals gesehen hatte, ging das Unwetter los. Der Sturm zog schlagartig auf und ließ erste Äste von den Bäumen brechen. Blitze schlugen in der Nähe ein, so mancher Baum wurde glatt in der Mitte gespalten.

„Franz! Wir müssen zurück! Es ist lebensgefährlich!“ schrie Daniel seinem Kollegen entgegen.

„Nein! Wir müssen die Leiche finden! Es ist unser Auftrag!“

„Der Auftrag, der Auftrag! Lass von ihm ab und rette deine Haut! Wer weiß, wie lange das Gewitter gehen wird.“ Daniel hatte Mühe, sich in der Dunkelheit zu orientieren. Sie waren nur mit Taschenlampen und GPS-Empfänger ausgerüstet, sowie einer regenfesten Jacke. Kein Helm, keine Schutzbrille. Er starrte auf den GPS-Empfänger, der keinen Kontakt zu den Satelliten mehr hatte. „Franz, wir sind fast verloren! Lass uns umkehren!“

„NEIN! Wir werden sie finden, dich wird doch kein solch einfaches Unwetter davon abbringen, oder?“ Franz zeigte sich unbeeindruckt. Was in ihm vorging, konnte Daniel nicht herausfinden, er merkte nur, dass sein Kollege nicht mehr klar bei Sinnen war.

„Gott, vergib mir!“ flehte Daniel und zog seine Waffe aus seinem Halfter. Unterdessen redete Franz weiter.

„Wir werden die Leiche finden und siegreich nach Hause kommen. Wir werden das benötigte Beweisstück finden!“ Er suchte weiterhin den Boden mit seiner Taschenlampe ab. „Es wird kein Versagen geben! Ich dulde kein Versagen! Versagen ist für Versager, sind wir Versager?“

„Franz, ich bitte dich als Freund: Lass uns umkehren. Wir müssen nur rund 200 Meter nach Südosten, dort ist eine Straße, die zu einem Bauernhof führt. Dort sind wir sicher!“

„Und die Leiche allein lassen? Nein, Junge! Heute wird Kriminalgeschichte geschrieben!“ Daniel meinte, den Wahnsinn aus der Stimme seines Freundes heraus zu hören können. Seine Waffe war mittlerweile entsichert und er hielt sie mit beiden Händen, jedoch noch nach unten gerichtet.

„Franz! Ich bitte dich ein letztes Mal, höre auf mit dem Wahnsinn. Du bist besessen von einer unbewiesenen Idee. Lass sie nicht dich überrennen.“ Er merkte selber, wie verzweifelt er wurde. Sein Herz raste, er schwitzte, seine Hände zitterten. Den Gedanken an das, was jetzt drohte, versuchte er zu verdrängen, was ihm aber nicht gelang.

„Wahnsinnig ist der, der jetzt, fünf Meter vor dem Ziel das Handtuch wirft. Ich kann die Leiche schon fühlen! Sie ist ganz nah!“

Daniel schluckte. Er konnte es immer noch nicht. Er wollte nicht schießen. Gedanken an die Bilder des Irakkrieges, an die Bilder des Zweiten Weltkrieges und an vieles mehr kamen hoch. Er wollte nicht zum Mörder werden, er wollte Mörder zur Strecke bringen. Tränen schossen ihm in die Augen und Zweifel nagte an seiner Seele. Und der Sturm wurde schlimmer, immer schlimmer.

„Daniel, weißt du, ich habe eine Idee: Geh doch nach Hause und ich finde die Leiche. Dann ist jeder glücklich.“ Franz Stimmlage änderte sich und Daniel war geschockt. Er wusste, etwas stimmte doch er konnte nichts erkennen, das Unwetter wurde schlimmer.

„Aber wir sollen doch zusammen bleiben....“

„Ja, das sollen wir. Hier ist keiner, der kontrolliert... Wir werden sagen, dass du durch den Sturm von mir getrennt wurdest...“ erklärte Franz und stritt auf Daniel zu.

„Nein, das kann ich nicht! Franz, wir kehren sofort um!“ schrie Daniel und streckte seine Waffe in die Richtung Franzens. Just in dem Moment blickte er selber in den Lauf einer Pistole, die nur knapp einen Meter von seinem Gesicht entfernt war.

„Junge, du musst noch viel lernen. Niemand sagt mir, was zu tun ist! Du warst von Anfang an ein Taugenichts, warst mir nur im Weg! Jetzt hast du die Rechnung!“ meinte Franz und hielt die Waffe weiterhin vor das Gesicht von Daniel.

„Was ist mit dir los, Franz? Früher warst du noch nicht so.“ fragte Daniel mit Tränen in den Augen. Er hatte Todesängste, die durch den verheerenden Sturm nur noch bestätigt werden.

„Ich bin nicht in diesen Rang gekommen, um zu versagen. Ich werde diesen Auftrag erfüllen, so wie ich jeden Auftrag vorher erfüllt habe. Ich habe JEDE, wirklich JEDE Aufgabe in meinem Leben mit Bravour erfüllt. ICH habe die HÖCHSTE Aufklärungszahl in der Stadt, HUNDERT Prozent! ICH werde NICHT versagen! ICH werde den ERFOLG bekommen und DU wirst mich NICHT hindern!“ Franzens Stimme klang fremd und unheimlich, nicht so wie üblich. Zudem wackelte er mit der Pistole wie ein Wahnsinniger.

„Franz, ich...“

„Spar dir deine Worte, Wurm! JETZT rede ich!“ meine Franz. Doch er sagte nichts, sondern hielt nur weiterhin die Waffe in das Gesicht seines Kollegen.

Der Schuss übertönte selbst den Sturm, der nun die Ausmaße eines Hurrikan hatte, so werden es jedenfalls die Bauern der Umgebung später erzählen.

Daniel sackte tot zu Boden, mit einem Loch zwischen den Augen. Franz dagegen betrachtete die Leiche nur kurz, bevor er weiter in den Wald vordrang, auf der Suche nach der Leiche.
 

Die Leiche von Franz fand man nur fünf Meter von der Leiche der Frau entfernt, welche unter einer Plane versteckt war, welche selber nicht berührt worden ist. Man geht davon aus, dass Franz die Leiche nicht gefunden hat. Eine spätere Obduktion ergab, dass Franz in kurz vor dem Ende des Unwetters von einem Ast erschlagen wurde. Niemand brachte ihn mit dem Tot Daniels in Verbindung, da die Kugel nie gefunden wurde.
 

Am selben Tag, an dem auch Daniel erschossen wurde, gestand der Freund der Vermissten ihren Mord und erzählte, wo er sie versteckt hatte. Die restlichen Ermittler versuchten die ganze Zeit, Kontakt mit Daniel und Franz aufzunehmen, ohne Erfolg und ohne Wissen, warum.

Schmetterling

Das Laub der Bäume begann damit, sich orange zu färben. Die ersten bunten Blätter lagen auf den Straßen und den Wegen der kleinen Stadt. Ein letzter warmer Wind durchwehte sachte die Straßen, und die Sonne stand schon tief am Horizont, sodass der Himmel sich rot färbte und mit den Wolkenbändern eine schöne Komposition ergab, die jedoch auch gleichzeitig sehr melancholisch wirkte.

Die beiden Geschwister saßen auf der Veranda und starrten in den Abendhimmel. Lange Zeit sagte keiner der beiden etwas, doch dann regten sich die Lippen des kleinen Junges. „Glaubst du, sie kommt wieder?“ fragte er ängstlich und vorsichtig.

„Ja, sie wird wiederkommen, das verspreche ich dir. Es wird auch wieder alles gut werden und wir können bald schon wieder normal leben.“ antwortete das Mädchen, dass deutlich älter war. Sechzehn, vielleicht siebzehn Jahre war sie jung. Der Junge, der neben ihr auf den Treppenstufen in den Garten saß, war acht, vielleicht neun Jahre alt und wirkte so kindlich wie es sich für sein Alter gehörte, während seine Schwester oft für zwanzig geschätzt wurde.

„Aber ich habe dem Papa sagen gehört...“ begann der Junge, doch das Mädchen kam ihm dazwischen: „Glaube nicht alles, was der Papa sagt. Sie wird wiederkommen.“

„Was ist, wenn nicht? Wird sie dann ein Engel?“ fragte der Junge weiter und sah seine Schwester genau an. Sie wirkte matt und müde, als hätte sie seit Wochen nicht mehr vernünftig geschlafen. Ihre Augen schimmerten stark im roten Licht der Sonne, man konnte deutlich sehen, dass sie viel Wasser in den Augen hatte.

„Sie kommt zurück!“ erwiderte sie zornig und wandte ihren Kopf von ihm ab.

„Der Paul hat gesagt, dass wenn sie nicht zurück kommt, dass sie dann ein Engel wird. Und der erste Schmetterling, der uns begegnet, wird sie sein.“

„Sei doch verdammt noch mal ruhig!“ schrie sie ihren Bruder an. Er sah, dass sie weinte. „Sie kommt wieder!“

„Aber der weiße Mann, der sie immer besucht hat, hat zum Papa gesagt, dass sie nicht wieder kommt.“

„Die lügen alle!“ Sie wurde zornig und wütend über das, was ihr Bruder da erzählte. Wieso konnte er nur über so etwas reden? Waren Kinder in seinem Alter nicht noch trauriger als sie? Und warum wussten alle, was los war?

„Aber Mama hat gesagt, dass sie vielleicht nicht wieder kommt. Sie hat es mir gesagt und dann gesagt, dass ich sehr tapfer sein muss, dass ich jetzt ein Mann werde.“

„HÖR AUF!“ In ihrer Stimme lag ihre komplette Wut und Verzweiflung.

„Aber... aber... Papa... und Opa und Oma... sagen doch alle, dass Mama bald zu einem Engel wird und uns dann als Schmetterling besuchen kommt.“

„Verstehst du denn nicht?! Das sind doch alles nur Lügen, sie kommt wieder!“

„Der Papa sagt, sie kommt nicht wieder... Nur als Schmetterling. Dann wird sie sehen, dass ich ein richtiger Mann geworden bin! Wie Papa!“ Der Junge klang bei den letzten beiden Sätzen fröhlich, sie wusste nicht, ob er die Situation nicht verstand, oder ob er nur seine Gefühle gut verstecken konnte.

Dann schwiegen sie wieder, denn sie konnte nichts mehr sagen. Sie saßen da und schwiegen. Und ihre Tränen flossen. Es wurde immer stärker, als sie sah, wie der kleine Junge ein Blatt Papier sich geholt hatte und einen Schmetterling, einen großen Mann, ein mittleres Männchen mit langen Haaren, was wohl sie darstellen sollte, und ein kleines Männchen malte. Es waren bunte Farben, voller Leben.

Plötzlich kam ein Windstoß und wehte das Blatt weg...

Es flatterte lebhaft im Wind und das rot des Abends, welches nun am Kräftigsten war, strahlte es an und es wirkte so fröhlich wie ein Schmetterling....

Der Junge machte sich nicht die Mühe, ihm hinterherzulaufen, sondern sagte lächelnd: „Jetzt ist die Mama ein Schmetterling.“

Mut

Das Gebäude war groß. Sehr groß. Es hatte viele Fenster auf der Seite zur Straße hin und wirkte schick. Gleichzeitig erschlug die Größe jeden, der direkt vor den Stufen zum Eingang stand. Man fühlte sich klein und schwach, man hatte das Gefühl, dass man es niemals besiegen konnte. Die vielen Stufen, die zu der breiten Flügeltür führten und an beiden Seiten mit verschiedenen Figuren geschmückt waren, deren Gesichter so geformt und bemalt waren, dass man das Gefühlt hatte, dass sie einen anstarrten, ihn fast durchbohrten wie mit einem Speer, fügten der ganzen Szenerie ein weiteres Merkmal hinzu. Der große Engel, der vor der Tür von der Decke hängte, ein Schwert und eine Waage trug, sowie die Menschen mit seinem finsteren, düsteren Blick um den letzten Mut brachte, machte aus jedem Elefanten eine Mücke. Selbst die Wortgewandtesten fühlten das Nichts, das sie waren. Man war erschlagen, traute sich nicht in das Gebäude.

„Der Wahre fürchtet nichts.“ stand in goldenen Lettern über der Tür geschrieben und stand im Gegensatz zum Rest des Einganges. Die Tür war dunkel gestrichen, hatte keine Fenster und wirkte gewaltig, wie der Schlund eines Drachen. Manch einer stand davor und war erstarrt.

Doch W. war nicht so. Lange stand er vor der Tür, atmete tief. Er unterdrückte jede Regung seines abgemagerten Gesichtes, ließ keine Emotion nach außen durch. Dann griff er nach dem Türgriff aus schwarzem Stahl und drückte die schwere Tür, die sich jedoch geräuschlos öffnen ließ, in das Gebäude.

Schwärze umgab ihn, als er eintrat. Die Tür schloss sich hinter im und ein schwaches Licht durchwanderte den Gang. Es war ein langer Gang, dunkel, viele Türen gingen von ihm ab. Alle waren groß und dunkel. Der Boden war glatt, W. musste aufpassen, dass er nicht ausrutschte. Doch er führte langsam, aber bestimmt seine Schritte fort, gerade aus in die Schwärze.

Nach kurzer Zeit stand er vor einer weiteren Tür. Sie war genau so groß wie das Eingangstor und genau so furchteinflößend. Man hatte das Gefühl, dass man, wenn man hinter diese Türe trat, nie wieder zurückkommt. Doch im Gegensatz zum Eingang öffnete sie sich selber und offenbarte einen schwarzen Schlund, einen Eingang zur Hölle.

W. ging durch die geöffnete Tür. Keine Miene rührte sich.

Dann stand er vor einem Gatter, dem einzig beleuchten, schwach durch ein paar kleine Glühbirnen, Ort des Raumes. Es ging ihm etwa bis zur Hüfte und bestand aus dunklem Eisen. Zwar konnte der Mann nichts sehen, doch sein Gefühl sagte ihm, dass der Raum sehr groß war. Tief atmend wartete er.
 

„W.! Wissen sie, warum wir sie hier her einberufen haben?“ schallte eine tiefe Stimme aus dem Raum. W. konnte nicht sagen, woher sie kam.

„Ja.“ antwortete W. kurz.

„Erklären sie sich.“

„Ich werde nicht zusehen, was sie tun.“

Die Stimme lachte laut und böse. „W., was soll aus ihnen werden? Sehen sie ein, wir sind nicht zu besiegen. Wir sind allmächtig.“

„Allmächtig? Dass ich nicht lache.“ W. blieb ruhig und kühl.

„Sie wissen, was mit ihnen und ihrem Möchtegern-Mut passiert?“

„Ja.“

„Gut. Erklären sie ihren 'Mut'.“

„Warum? Es ändert doch nichts an meiner Situation.“

„Klug, W. Wirklich klug. Es scheint, als hätten wir uns ihn ihnen geirrt. Offenbar sind sie nicht so klein, wie sie scheinen.“

W. antwortete nicht, sondern stand ruhig vor dem Gatter. Seine Hände befanden sich in seinen Hosentaschen.

„Schade, dass sie so spät gekommen sind. Dann hätten sie noch Zeit gehabt, ihren Mut abzulegen und ordentlich zu verabschieden. Jetzt müssen sie auf das verzichten.“
 

Es klang, als würde ein Sack Kartoffeln auf den Boden fallen. Dann war Ruhe.

Augenblick

Das eisige Meer des Nordens umspülte das hölzerne Drachenboot, welches sich seinen Weg durch die sturmgepeitschte See bahnte. Eiseskälte durchzog die Luft, doch keiner von uns tapferen Männer zitterte auch nur ansatzweise. Die Eiskristalle des Sturms brannten auf meiner Haut, doch blickte ich ohne Unterschweif in Richtung der Fahrt. Was wird uns erwarten, wenn wir das ferne Land erreicht haben? Werden wir es überhaupt erreichen? Keiner wusste es genau, doch blickten wir alle gespannt dem fremden Ufer entgegen, nicht wissend, wo es sich befand oder wie es aussah. Lediglich unser Will und Glaube an Oden und Thor erwärmte uns.

Es kam uns vor, als würde der Sturm Ewigkeiten wüten, doch dann schwächte er ab und wir sahen das Land und eine breite Flussmündung. Die starken Winde trieben uns auf die Mündung zu. Warum wir nicht gleich landeten, war mir nicht bewusst, aber offenbar hatte unser Anführer einen Plan.

Das Land war fremd und unbekannt, eine feindliche Stimmung empfing uns, als wir das Schiff nach langem Segeln verließen. Es war das Land der Ru. Keiner hatte es zuvor gesehen und wir wurden gewarnt, dass es gefährlich sei. Es werden Kämpfe auf uns zukommen, sagte man uns. Doch keiner zeigte Angst. Oden füllte unsere Herzen mit Mut und Tapferkeit, da war kein Platz für Feigheit.

Ich blickte mich um. Nichts war zu erkennen in der Nacht. Kein Lebewesen, nicht mal ein Rabe schrie. Nur ein paar Bäume säumten das Flussufer, an dem wir gelandet waren. Und doch, wir hatten ein Gefühl, dass es noch andere Lebewesen gab. Das merkte auch unser Anführer und befahl, die Waffen bereit zu halten. Noch war nichts zu erkennen, doch man fühlte es ganz deutlich. Jede Muskelfaser meines Körpers spannte sich an, ich hielt mein Schwert fest in der rechten Hand und meinen Schild in der linken. Was auch immer kam, ich würde bis zum Ende kämpfen. Mit Oden an unserer Seite würden wir gewinnen.

Dann, wie aus der absoluten Dunkelheit schossen Pfeile und Brandpfeile durch die Nacht. Das Boot wurde getroffen, nun gab es kein zurück mehr. Wir stürmten vorwärts, in die Richtung des Feindes. Das brennende Schiff erhellte das Schlachtfeld. Und ich sah dem Feind. Bewohner dieses Landes, die sich gegen uns verteidigen wollten.

Ich kämpfte hart, tötete mehrere Gegner mit meinem Schwert und fing einige Hiebe mit meinem Schild auf. Der Kampf war im vollen Gange, jeder kämpfte um sein Leben, es gab nur die Auswahl zwischen dem Tod und dem Leben. An ersteres dachte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich sah, wie der Strand blutgetränkt war vom Blut unserer Feinde, sah, dass wir am Siegen waren. Und dann kam der Augenblick, in dem ich nicht aufpasste, der Augenblick, der mein Schicksal änderte.

Mit stechendem Schmerz stieß ein Speer durch meine Rüstung und traf mich tödlich am Rücken. In diesem Augenblick wusste ich, die Schlacht war für mich verloren, die Götter riefen mich zu ihnen nach Walhalla. Es war ein feindliches Land, mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Und dennoch kämpfte ich weiter, angetrieben von der Wut und dem Zorn über meinen sicheren Untergang.

Ich kämpfte und kämpfte, tötete viele Feinde, doch es war nicht für mich, ich wusste, dass ich sterben werde. Ich kämpfte für meine Kameraden, die am Siegen waren, angespornt durch das Wissen, dass sie erst ein neues Schiff brauchen, bevor sie mit Reichtümern beladen wieder nach Hause konnten.
 

Jetzt liege ich hier am Strand, mit meinem Schwert in der Hand. Die Wunde ist stark, ich fühle, wie das Blut aus ihr fließt. Es fließt wie der Fluss neben mir. Und ich schließe die Augen, denke ein letztes Mal an meine Heimat, an das Bier und die Schlachten, die ich geschlagen habe. Jetzt liege ich hier, sterbend wie so viele meiner Feinde. Nie hätte ich gedacht, dass ein einzelner Augenblick so viel verändern konnte.
 

Wenn ich tot bin, legt mich in einen Grabhügel, begrabt mich mit meinen Waffen. Errichtet einen Stein, in den Runen für die Erinnerung an mich geschnitzt sind. Ich weiß, meine Kameraden machen es mit mir. So wie wir es schon mit so vielen anderen gemacht haben, die für die Götter gestorben sind.
 

Noch einen Augenblick, dann ist es soweit. Der Tod legt seine eisige Hand auf mein Gesicht. Ein letzter Atemzug, dann ist der Augenblick gekommen. Ich bin tot.
 

Hinweis:

Dies ist eine Songfic zum berühmten Song "Runes to my Memory" der schwedischen Viking-Metal-Band Amon Amarth. Text u. Song finden sich im Netz, wenn bedarf besteht, stelle ich Links in die Kurzbeschreibung.

Perfektion

Die schwere Standuhr in der Ecke schlug bereits Mitternacht, der Nachtwächter drehte seine Runden und verkündete die Stunden. Alles schlief den Schlaf der Gerechten und den Schlaf der Gerächten. Die Nacht lag friedlich über der Stadt, alles war dunkel in den Gassen. Keine Licht fiel auf die Strassen, ausser das des vollen Mondes. Er erleuchtete die Stadt und ihre Umgebung im hellsten Licht. Und in einem kleinen Haus, abseits des Zentrums, beugte sich eine Gestalt über ein Blatt Papier.

Immer wieder tauchte sie die Feder in das Tintengläschen, immer wieder strich sie mit eiligen Bewegungen Textstellen durch. Anstrengung lag in der Luft, sodass man sie fühlen konnte. Und doch, das Genie des Schreibens, welches hier sein Wissen hervorbringen wollte wie der Alchemist den Stein der Weisen, wie der Maler das beste Gemälde der Welt, wie der Barde das schönste Lied, arbeitet weiter. Seine Feder bewegte er wie ein Dirigent seinen Stab, wie ein General seine Truppen in der Schlacht.

Sie flog über das Stück Papier wie ein Adler, der eine Maus erspäht hatte und nun alles daran setzte, diese auch zu erwischen, wissend dass dies die letzte Maus ist, die er je fangen wird.

Sie bewegte sich so grazil wie eine Prinzessin beim letzten Tanz auf dem Parkett des Ballsaals, wissend, dass dies der letzte Tanz ihres Lebens ist.

Sie glich einer Götterhand die den Menschen half, wohl wissend, dass dies die letzte Hilfe für die Menschen sein wird.

Ja, er fühlte sich wie der Adler, wie die Tänzerin, wie der Gott. Er fühlte ein unbeschreibliches Gefühl, ein Gefühl, etwas perfektes zu schaffen. Und doch wusste er auch über das Ende, darum gab er noch mehr Herzblut in das Schriftstück.

Doch die Wörter wehrten sich. Sie kamen nicht, waren nicht würdig genug. Immer und immer wieder warf er das Blatt in die ewigen Flammen des Kamins, welches diese begierig wie ein Drache die Jungfrau verschlang, auf dass diese unreinen Wörter niemals wieder gelesen werden.

Ein kalter Wind durchwehte das Zimmer und das Feuer des Kamins begann zu flackern, die Kerze auf dem Tisch erlosch. Es fröstelte den Meister und er schrie gen Himmel: „Möget ihr mich ewig zum Narren halten, ihr Wörter der Verderbnis, so möge es euer Untergang sein!“

Er entzündete die Kerze wieder und griff nach seiner Feder. Und die Entscheidungsschlacht begann.

Wieder und wieder, voller Zuversicht und Hoffnung, doch noch den Befreiungsschlag zu landen, ließ er die Feder auf das Papier sausen, über es tanzen, neue Wörter schaffen. Doch es gelang und gelang nicht. Immer war ein Wort nicht in Ordnung, doch hatte es solch eine Wirkung wie ein Wort eines Hexenmeisters in der Beschwörung, sodass es nicht zu ersetzen war. Dann wurde die Perfektion durch nicht klaren Fluss der Wörter gestört, als müssten sie wie ein Fluss um Inseln fließen, die ihren Lauf störten. Irgendwas hindere immer die Perfektion, doch er wollte nicht aufgeben.

Er überlegte, verwarf, holte Ideen zurück, doch nichts half.

Die Wörter, die das ausdrückten, was er wollte, kamen nicht. Er wollte doch nichts ausser Perfektion für solch ein Werk. Voller Wut, voller Enttäuschung über sein eigene Unfähigkeit, etwas Perfektes zu schaffen, warf er alle Versuche in das Feuer des glühenden Ofen, der schon so manches Werk für immer vernichtet hatte.

Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Angst vor dem Scheitern ergriffen ihn und in seiner totalen Verzweiflung griff er ein letztes Mal zur Feder, mobilisierte seine letzten Kräfte, um doch noch das zu erreichen, was er wollte. Er war der General, der seine Männer auf die letzten Minuten der Entscheidungsschlacht einschwor, der ihnen noch die letzte Kraft abrang, sie zum letzten Aufbäumen gegen den übermächtigen Feind überredete, wissend, dass sie den Tag nicht überleben werden.

Und die Feder gehorchte. Sie gehorchte wie die loyalen Soldaten, sie schrieb zum ersten Mal genau das, was er wollte. Nun hatte er keine Angst. Er wird es schaffen, jetzt, kurz am Abgrund der Verzweiflung hatte er die perfekten Wörter gefunden, die alles viel besser machen werden.

Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens kitzelten die Nase des Meisters. Nach getaner Arbeit war er körperlich und geistig ausgelaugt zusammengesunken und schlief den Schlaf der Gerechten, den Schlaf derer, die ihn sich verdient hatte.

Müde und voller Schmerzen erhob er sein Haupt und erblickte unter sich, auf dem Tisch, das Papier, an dem er so lange gearbeitet hatte und das ihn solche Schwierigkeiten gebracht hatte.

Das Papier lag ruhig da, wie das Schlachtfeld nach der Schlacht. Überall zeugten Striche und Kleckse von einer letzten, harten Schlacht zwischen den Wörtern, doch am Ende war der General, der hart gekämpft hatte, siegreich und begutachtete sein Werk der Perfektion, eine Symphonie der Gefühle, eine Ballade von Leid und Trauer, mit Passagen des Glückes und der Hoffnung.

Ein Meisterwerk der Dichtkunst.

Zitternd nahm er das Blatt und las die Worte, um die er so gekämpft hatte, die er unter harten Bedingungen errungen hatte, von denen er wusste, es werden die letzten sein, die er jemals schreiben würde, denn Perfektion kam nur einmal und man musste sie dann nutzen, wenn sie kam. Er las: „Ich liebe dich, Elise.“ und warf sie in das ewige Feuer des Kamins, wohl wissend, dass sie immer genau dort waren, wo er sie brauchte. In seinem Herzen.

Freundschaft

Der Fluss floss ruhig durch den Wald, so wie er es an jedem Sommertag tat. Die Oberfläche war ziemlich glatt für einen Fluss und das Sonnenlicht der kraftvollen Mittagssonne spiegelte sich an den vielen kleinen Wellen, sodass es aussah als würde man auf glitzernden, flüssigen Silber dahin gleiten.

An den Ufern wuchs ein dichter Wald, der kaum von Menschen bewandert wurde, geschweige denn irgendwie bearbeitet. Ein richtiger Urwald mit umgestürzten Bäumen der letzten Herbststürme, mit Unterholz und dem darin lebenden Getier. Für Pilzsammler ein ideales Gebiet, wuchsen hier die Pilze doch natürlich und ohne die negativen Einflüsse des Menschen. Zudem konnte man das Zwitscher und Surren verschiedenster Vögel und Insekten hören.
 

„Ein perfekter Tag, meint ihr nicht?“ fragte Maria, eine rothaarige Frau, die die kleinste Person der Gruppe darstellte, Ralf, einen Bekannten der Familie, und Christian, ihr Bruder, die in einem kleinen Motorboot flussaufwärts in den Wald fuhren..

„Stimmt. Es gibt keinen besseren Tag als diesen hier. Zudem sind Ferien und wir haben genügend Zeit, sodass wir auch etwas länger hier bleiben. An Licht haben wir ja gedacht.“ antwortete Ralf und tätschelte eine kleine Plastikbox, die neben ihm auf dem Boden des Bootes stand und in der sich eine große Taschenlampe befand, die selbst Wind und Wetter aushielt. Sie stammte noch aus der Zeit, als Ralfs Vater bei der Armee gedient hatte.

„So perfekt ist er auch nicht, meiner Meinung nach ist es zu heiß, liebes Schwesterchen.“ kritisierte Christian, ein blonder, kurzhaariger junger Mann, der knapp die 2-Meter-Grenze überschritten hatte, hinzu.

„Du hast auch immer etwas zu meckern, oder? Kannst du nicht einmal deinen Spaß haben?“ fragte die Frau leicht gereizt.

„Ich habe doch meinen Spaß, ich habe nur meine Meinung gesagt, und das darf ich doch, oder nicht?“

„Trotzdem könntest du auch mal etwas freundlicher sein. Warum gehst du überhaupt noch mit, wenn es dir eh nicht gefällt?“ Maria wirkte leicht gereizt, besonders wenn ihr Bruder in ihren Augen mal wieder totalen Schwachsinn erzählte.

„Weil ich hier der einzige bin, der das Boot lenken kann?“ Auch der Riese wirkte nun etwas gereizt und unfreundlich.

„Wir würden sicher auch einen Anderen, der ein Boot lenken kann... Vielleicht hat der auch ein wenig mehr Hirn und würde daran denken, dass es gegen Hitze ja Mittel wie Wasser gibt.“

„Ich habe aber zufällig keine Wasserflasche in der Nähe, sodass ich nichts trinken kann. Aber wenn du so nett und freundlich wärst, mir etwas zu trinken zu geben, das wäre echt nett.“

„Das hast du wohl gerne.“ meinte die junge Frau, die vom Gesicht her noch wie eine siebzehnjährige aussah, aber tatsächlich die zwanzig überschritten hatte, wenn auch noch nicht sehr lange.

„Könnt ihr euch nicht einmal vertragen? Warum gibt es eigentlich bei euch immer so viel Streit?“ fragte Ralf, der versuchte zu erreichen, dass sich die beiden Geschwister nicht im die Köpfe einschlugen.

„Die Dame hat halt noch keine Ahnung vom Leben, das ist das Problem.“ erklärte Christian mit gehässiger Sprache.

„Im Gegensatz zu dir habe ich wenigsten Ahnung von dem, was ich tue.“ giftete sie wütend zurück.

„Wenn das so weitergeht, war das das letzte Mal, dass ich so etwas mit euch mache... Ihr seid manchmal echt so schlimm wie kleine Kinder.“ bemerkte der Freund kopfschüttelnd. Zwar würde er seine Drohung nicht in die Tat umsetzen, das war ihm bewusst, dazu kannte er die beiden jetzt schon zu lange und ist mit ihnen durch viele Hoch und Tief gegangen, doch diesen Satz wollte er einfach einmal loswerden.

„Siehst du Maria, da hörst du es. Du bist ein Kind. Er sagt das Richtige.“

„Ruhe jetzt!“ schrie Ralf ohne Spaß. Diese ständigen Streits waren zwar oft nie wirklich schlimm, doch sie konnten oft einen ganzen Tag vermiesen. „Wenn ihr jetzt noch einmal einen Ton von euch gibt, drehen wir sofort um.“

Christian brummelte nur leise vor sich hin, auch Maria blickte wütend, doch das Boot gehörte dem Vater von Ralf. Sie hatten es kostenlos ausgeliehen bekommen, doch musste Christian, der von den Dreien den einzigen Bootführerschein besaß, einen Vertrag unterschreiben, dass er im Falle einer Beschädigung haftete. Daher musste er wohl oder übel sich letztendlich seinem Freund unterwerfen, was die Ausflüge mit dem Boot anging.
 

Es war ein kleinen Motorboot aus Metall, das leicht und stabil war. Die drei Personen und ihr Gepäck hatten noch Platz, doch der Raum war trotzdem beengt, besaß es doch ein Steuerrad und eine Windschutzscheibe, die auch gleichzeitig vor Spritzwasser schütze. Zumindest den Fahrer, doch an einem solchen Sommertag war es eher hinderlich, bot das Wasser und der Wind doch eine angenehme Abkühlung.

„Haben wir eigentlich alles, was wir brauchen?“ fragte Ralf, ein eher schmächtiger junger Mann mit Brille und schwarzen mittellangen Haaren, die ihm bis zur Schulter reichten, in die Gruppe.

„Was brauchen wir denn alles?“ fragte Maria ihren Bruder, der in seiner Freizeit gerne Touren in die Natur unternahm und daher wusste, auf was es bei solch einem Ausflug ankam.

„Ausreichend Wasser, Kühlbox mit Essen, Notfallmedizin, Erste-Hilfe-Zeug, Sonnenschutz, Jacken... Habe ich etwas vergessen?“ Er wirkte locker, der Streit schien vergessen.

„Also alles, was du gesagt hast ist da. Wir haben Wasser hier, die Kühltasche ist kühl, Medizin ist in meinem Rucksack, Verbandszeug in deinem, jeder hat eine Mütze mit Nacken und Stirnschutz auf. Ebenso haben wir Sonnenbrillen dabei und auf. Ich hoffe, jeder hat sich mit der Sonnenmilch eingeschmiert, notfalls habe ich noch etwas dabei.“ zählte die Rothaarige auf.

„Was ist mit Werkzeug und Benzin für das Boot?“ fragte der Schwarzhaarige nach.

„Das ist dort, wo es hingehört. Unter deinem Sitz.“ antwortete der Fahrer und zeigte auf eine große Militärkiste, die sich unter der Bank verbarg, auf der Ralf und Maria saßen.

„Okay, dann haben wir hoffentlich alles was wir brauchen. Habt ihr euren Vater nach dem Wetterbericht gefragt?“

„Sieht gut aus. Ich hab jetzt nicht nachgefragt, sondern im Internet geguckt, aber da er sich auch um das Internet kümmert, sind das Informationen aus erster Hand.“ berichtete Christian locker. „Gewitterwahrscheinlichkeit gerade einmal 10 Prozent. Und bis jetzt sehe ich noch keine Wolke am Himmel.“

„Ich bin da misstrauischer, auch wenn ich uns nicht den Spass verderben will. Ich halte diese Zahl für untertrieben. Es gab in letzter Zeit kein vernünftiges Gewitter mehr. Und es war immer heiß. Da muss doch irgendwann eins kommen. Ich will Papa jetzt nicht schlecht machen oder so, und ich bin auch keine Expertin für Wetterberichte.“ erklärte Maria sich, sie wollte nicht gleich wieder einen Streit vom Zaun brechen.

„Du hast aber Recht. Da ich öfters in der Natur bin, bekomme ich auch mehr das Wetter mit. Manchmal frage ich mich, warum man die starken Gewitter nicht schon vorher entdeckt hat oder voraus gewarnt hatte. Die können doch nicht aus dem Nichts kommen, jedenfalls glaube ich das nicht.“ erzählte Christian, der kritisch den Himmel nach Wolken absuchte. „Noch kann ich keine Wolke erkennen, aber wir sollten vorsichtig sein.“

„Hmm... Es ist wirklich etwas schwül und bedrückend. Wir sollten vorsichtig sein. Aber jetzt deswegen abbrechen will ich auch nicht.“ resümierte Ralf, während er ebenfalls zum Himmel schaute. „Wir sind bald da und noch ist nichts zu sehen, das sieht gut aus.“
 

„Vorsicht, ich beginne jetzt mit dem Anlegen.“ warnte Christian die anderen Bootsinsassen. Nicht, dass er es nicht konnte, doch er ging in solchen Sachen lieber auf Nummer sicher, da bei den daran beteiligten Bewegungen schon das ein oder andere Ding aus dem Boot fallen konnte.

Doch es passierte nichts. Er musste nur ein paar Mal neu Anfangen, da er die beste Position immer wieder verpasste.

Schließlich befand sich das Boot doch in einer guten Lage und Maria sprang als erste aus dem Boot, um es an einem Baum fest zubinden. „So, sitzt. Gibt mir jetzt vorsichtig die Rucksäcke.“

Das taten die beiden jungen Männer auch bedingungslos und sie reichten der Frau die Rucksäcke, sodass nichts passieren konnte.

„So, jetzt wir.“ erklärte Ralf und griff nach der Hand, die ihm Maria hinhielt. Dann sprang er mit einem schnellen Sprung ans Ufer, wo er sich daran machte, seinen Rucksack zu überprüfen und diesen dann auch anzulegen.

Bevor Christian jedoch das Boot verließ, griff er noch unter das Steuerrad und hielt ein weiteres Seil aus Nylon in der Hand. „Wir sollten noch ein zusätzliches Seil ans Boot machen, damit wir es später leichter haben, wieder zurück zukommen.“ Dann befestigte er ein Ende am Boot, warf das andere Ende den Beiden am Ufer zu und fügte hinzu: „Befestigt es an einem anderen Baum, der schön stabil ist.“

„Okay.“

Kurze Zeit später war das Seil um einen Baum geschlungen, dessen geschätzter Durchmesser fünfzig Zentimeter war.

„So, jetzt komme ich!“ rief Christian, als er sah, dass das Seil fest genug war. Er sprang ohne die Hilfe von seiner Schwester oder Ralf ans Ufer.
 

„So, jetzt da wir alle am Ufer sind und das Boot sicher vertaut ist, können wir auch überlegen, was wir jetzt machen. Gehen wir zur Lichtung oder bleiben wir hier, in der Nähe des Bootes, sodass wir im Notfall eines aufkommenden Gewitters in der Nähe der Rettung sind?“ fragte der Hüne in die Runde.

„Also ich kann immer noch keine Wolke am Himmel erkennen. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum wir dann noch überlegen.“ bemerkte Maria.

„Weil es doch immer sein kann, dass das Wetter umschlägt und das ist heute gar nicht mal so unwahrscheinlich. Es ist schließlich schon seit längerer Zeit heiß.“ erklärte Christian seiner Schwester.

„Das weiß ich auch, Schlauberger... Das musst du mir nicht immer sagen.“

„Ich kann doch nicht riechen, was du weißt oder nicht. Ich bin ja schließlich kein Gedankenleser.“

„Aber ein bisschen Ahnung solltest du schon davon haben, was ich weiß oder nicht. Und das, was du gesagt hast, ist schließlich nichts weltbewegendes, sondern lediglich schlaue Kombination von Fakten.“

„Es ist besser, man sagt jemandem was, als das man es ihm nicht sagt und er dann blind in die Falle läuft. Das solltest du doch wissen, liebes Schwesterchen!“ schnauzte der Blonde seine Schwester wütend an. Er konnte es nicht ausstehen, wenn sie gleich so wütend war, obwohl er ihr eigentlich nur etwas Gutes tun wollte.

„Ach, halt doch einfach mal den Mund, das wäre besser für alle!“ schimpfte Maria zurück.

„Wie wäre es, wenn ihr beide mal den Mund halten würdet? Es kann doch nicht angehen, dass ihr euch immer wegen Kleinigkeiten streitet.“ intervenierte Ralf, der sich zwischen die beiden Anderen stellte. „Also, wollen wir jetzt zur Lichtung oder nicht?“

„Also ich habe nichts dagegen.“ antwortete Maria, die in ihrer Stimme einen Ton hatte, als wäre sie komplett unschuldig.

„Ich wohl oder übel auch nicht.“ meinte Christian, immer noch leicht gereizt.

„Okay, dann gehen wir jetzt zur Lichtung. Noch sieht das Wetter ja gut aus. Ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, dass sich etwas aufbaut. Und benehmt euch mal, das wird ja immer schlimmer mit euch.“
 

Der Weg, der zwar offiziell existierte, aber wer ihn nicht kannte, würde ihn nie finden, führte durch den Wald, vorbei an alten Bäumen, die wohl schon mehr erlebt haben als ein Mensch es je tun würde. Sie überquerten umgestürzte Bäume, die durch die Stürme der letzten Jahre entwurzelt wurden und von niemandem beseitigt wurden, da niemand an diesem Wald große Interessen hatte. Zu unwirtschaftlich wäre es, den Wald zu nutzen. Die Einzigen, die den Wald nutzen, waren Wanderer, die eine unberührte Landschaft wollten.

Doch hatte diese Natürlichkeit auch seinen Preis. So kam es immer wieder vor, dass man verunglückte Wanderer erst Jahre nach ihrem Verschwinden fand. Es gab kein Handynetz, wer hier verunglückte, der war auf sich alleine gestellt.

„Wisst ihr noch, wie man letztes Jahr diese Gruppe Wanderer fand? Halb von den Tieren zerfleischt, vermodert?“ fragte Christian, um die Gruppe etwas aufzulockern und um die Streits mit seiner Schwester zu vergessen.

„Oh ja, ich erinnere mich gut. Es war groß in den Nachrichten, von weit her sind die Sender und Journalisten gekommen, nur um darüber eine Story zu schreiben. Haben die ganze Ortschaft in Aufruhr gebracht.“ antwortete Ralf lachend, auch wenn er innerlich sich vor einem nächsten Streit des Geschwisterpaars fürchtete.

„Als ihre Bilder preisgegeben wurden, meinte Papa nur, dass er einen von denen gewarnt hatte, dass das Wetter zu instabil war, um in die Gegend des Waldes zu wandern. Doch sie gingen. Und dann habe sie angeblich auch noch die Route verlassen, weil sie dachten, es gäbe eine Abkürzung.“ erzählte Maria locker. Sie schien ihre wutgelandenen Gespräche mit ihrem Bruder vergessen zu haben.

„Tja, das Denken war schon so manchen Menschen ihr Sack Nägel für den Sarg.“ kommentierte der Schwarzhaarige die Geschichte sarkastisch. „Die Ironie daran ist doch, dass einer von ihnen Bergführer werden wollte oder sich in der Ausbildung befand.“

„Ja, das war lustig. Papa hat, als er das gelesen hat, nur die Zeitung beiseite gelesen und gemeint: Jetzt hilft nur noch das Beten für die Menschheit.“ meinte die Frau lachend.

„Selbst die Armee jagt ihre Rekruten nicht mehr durch das Gebiet, weil es im Notfall zu gefährlich ist. Teilweise steile Abhänge, dichtes Unterholz und ein dichtes Laubwerk. Wer da sich verirrt und keine Sender dabei hat, ist verloren.“ erklärte Christian, der am Anfang lief.

„Das Problem ist nicht die Wildnis, sondern die Tatsache, dass aufgrund der Berge hier sich das Wetter recht schnell ändern kann und das ist ein Problem. Gleichzeitig gibt es auch noch Gerüchte um längst vergessene Goldminen, die natürlich Wagemutige anlocken.“ fügte Ralf hinzu. „Ich kann es ehrlich gesagt immer noch nicht verstehen, wie man solchen Schwachsinn glauben kann. Selbst wenn es sie gibt, ist es lebensgefährlich sie zu betreten.“

„Man munkelt ja, dass diese komischen Typen mit den Gewehren, die vor einigen Wochen in der Stadt waren, solche Minensucher waren, die das Glück suchten.“ berichtete Maria.

„Echt? Ich habe nur gehört, dass sie ihre Lastwagen und Pickups auf einem Parkplatz in der Nähe des kleinen Bergsees im Norden geparkt haben und sie sie nicht abgeholt haben, als die Polizei sie abschleppen ließ. Es waren aber neue Fahrzeuge, fast ne halbe Millionen wert. Die lässt man nicht stehen, weder an einem Bergsee, noch bei der Polizei.“ erzählte der Blonde, der die Truppe anführte und immer wieder Sträucher und Äste entfernte.

„Das habe ich nicht gehört. Jedenfalls war mir nicht bewusst, dass die Fahrzeuge den Männern gehörten. Aber es könnte passen, dass sie zu den Goldminen wollten, von dem Parkplatz aus starten viele Abenteurer ihre Suchen.“ sagte Maria, wobei auch sie einen Tonfall hatte, der deutlich zeigte, dass sie es nicht verstand, wie man solchen Gerüchten Glaube schenken kann.

„Jedoch verstehe ich nicht, warum die Behörden dagegen nichts unternehmen. Warum versiegeln sie die Minen nicht einfach? Dann hätten wir alle weniger Probleme. Ich bin es Leid, dass man mich erstens als Wanderfachmann ansieht und zweitens fragt, ob ich sie nicht zu den Goldminen führen kann. Erstens kenne ich mich in dem Bereich des Waldes auch nicht sehr aus, sodass ich die Goldminen nicht kenne und zweitens weiß ich nicht, wie der Wald dort zu bewandern ist. Daher nehme ich keinen, außer meine Freunde mit auf Wanderungen in den Teil des Waldes.“ erklärte Christian und in seiner Stimme lag Wut und Unverständnis. „Nichts gegen die Menschen, die hier unbedingt wandern wollen, aber warum wollen sie unbedingt die Goldminen sehen? Ich habe sie noch nie gesehen.“

„Weil sie sich erhoffen, dass sie dort Gold finden oder sonst etwas, das Geld bringt. Alte Dinge aus der Zeit der Goldgräber oder so. Touristen halt. Man vermutet, dass die Typen mit den Gewehren in einem alten Stollen ums Leben gekommen sind. Die Dinger sind verdammt instabil, es ist lebensgefährlich, sie zu betreten.“ warf Ralf ein.

„Oder sie haben sich selbst erschossen, da sie die Beute nicht Teilen wollten.“ überlegte Christian, man konnte den Zynismus deutlich hören. „Ach, übrigens, wir sind da.“
 

Die Lichtung lag in einer kleinen Talmulde, umrundet von lockerem Wald, durch den man den Himmel sehen konnte.. An ihrer tiefsten Stelle befand sich eine Feuerstelle, die jedoch kaum genutzt wurde.

„So, wir sind da. Was machen wir jetzt?“ fragte Ralf, der als erstes einen Blick zum Himmel warf. „Sieht nicht gut aus.“

Am Himmel waren große Quellwolken zu erkennen, die zwar noch harmlos aussahen, für normale Wolken aber viel zu stark sich in den Himmel schoben.

„Die waren doch vorhin noch nicht da, oder täuschen mich meine Sinne?“ fragte Christian erschrocken. So schnell zogen solch große Wolken nicht auf.

Maria, die jetzt sonst eine spitze Bemerkung loslassen würde, wurde ernst und sprach: „Nein, es ist Tatsache. Als wir mit dem Boot hier her gefahren sind, waren die Wolken noch nicht da. Und wir waren höchstens eine Stunde im Wald, wenn überhaupt so lange.“

„Es waren ziemlich genau gerade einmal dreißig Minuten.“ korrigierte Ralf, der auf seine Uhr starrte und das, was sich gerade abspielte einfach nicht glauben wollte. „Also ich bin der Meinung, so schnell wie möglich wieder zurück zum Boot zu kommen.“

„Da gibt es nichts zu diskutieren! Noch weht kein Wind, also haben wir noch ein wenig Zeit. Das sollten wir ausnutzen, lange haben wir wohl möglich nicht mehr Zeit, bis uns ein Sturm um die Ohren heult.“ erklärte der blonde Hüne, der die Gruppe durch den Wald geführt hatte.

„Warum muss das ausgerechnet jetzt passieren? Es schien doch so ein guter Tag zu werden. Und jetzt? Jetzt ist ein Gewitter im Anmarsch. Können wir nicht einmal Glück haben?“ beschwerte sich die Frau resigniert. Der Trip war schon lange geplant und sie hatte sich sehr darauf gefreut, sodass das drohende Unwetter sehr negativ auf ihre Stimmung auswirkte.

„Offenbar nicht. Wir hätten heute vielleicht etwas anderes machen sollen und nicht unbedingt diese doch recht lange Tour in den Wald.“ antwortete ihr Bruder.

„Du hast doch darauf bestanden, dass wir das machen!“ fauchte die gereizte Maria zurück.

„Aber du warst auch nicht sehr abgeneigt davon, die Tour zu machen, oder irre ich mich etwa da?“ fragte Christian, ebenfalls gereizt.

„Ja, aber ich hab gesagt, dass auch etwas anderes möglich wäre. Aber du wolltest doch deine Bootsfahrkünste ausprobieren. Und jetzt sind wir hier in Gefahr. Also schiebe mir nicht den schwarzen Peter zu!“

„Noch wissen wir doch gar nicht, ob ein Unwetter überhaupt in Anmarsch ist!“

„Du hast doch gerade noch gesagt, dass wir vielleicht nicht mehr viel Zeit haben, bis uns ein Sturm um die Ohren heult. Also sag jetzt nicht, dass du bezweifelst, dass Gefahr im Anmarsch ist!“

„Hey!“ schrie Ralf wütend in den Streit der beiden Geschwister ein. „Könnt ihr euch jetzt bitte wieder vertragen? Es kann doch echt nicht sein, dass ihr euch jetzt wie kleine Kinder aufführt, die sich um einen Ball streiten!“ Manchmal verstand er es wirklich nicht, warum sie sich schon wieder stritten.

„Ja, ist ja schon gut, wir vertragen uns ja wieder.“ brummte Christian, der es gar nicht mochte, wenn Ralf mal wieder für Ordnung sorgen musste.

„Du hast recht, Ralf. Wir benehmen und wirklich wie Kinder. Aber jetzt sollten wir das nicht weiter diskutieren, sondern lieber dafür sorgen, dass wir zum Boot kommen und so nach Hause. Selbst wenn wir Vollgas geben, wird es sicher mindestens noch eine halbe bis dreiviertel Stunde bis zur Bootanlegestelle dauern. Und noch sehen die Wolken nicht sehr schlimm aus, aber ich kann es wirklich nicht sagen, ob sie so bleiben oder schlimmer werden. Mein persönliches Gefühl ist jedoch, dass sie immer größer werden.“ Maria hatte sich wieder ein Stück weit beruhigt und blickte die Wolken an. Sie konnte das Gefühl nicht loswerden, dass sie immer größer wurde, während sie sie nur anstarrte.

Auch Ralf und Christian blickten nun zum Himmel, doch konnten sie nicht wirklich das Gefühl bekommen, dass die Wolken immer größer wurden. Da das Gefühl jedoch manchmal eine unklare Sache ist und die Gefahr für ein Gewitter wirklich nicht unerheblich war, drehten sie sich um und gingen wieder in den Wald, aus dem sie gerade gekommen waren. Maria folgte ihnen ohne Einwände.
 

Im Wald war es noch ruhig, man konnte noch keinen Luftzug spüren oder irgendwelche Baumkronen rauschen hören, doch die Drei hatten das Gefühl, dass es im Wald deutlich dunkler war als es während der Wanderung zur Lichtung gewesen war.

„Hört ihr das auch, was ich gerade höre?“ fragte Maria, die sich immer wieder im Wald umsah.

„Nein, ich höre nichts.“ antwortete Ralf kurz und bündig.

„Ich höre auch nichts, Schwesterchen.“

„Das ist ja gerade das Problem. Als wir noch nicht wussten, was sich über unseren Köpfen zusammenbraute, da waren mehr Vögel zu hören. Doch jetzt, jetzt ist alles ruhig. Viel zu ruhig für diese Tageszeit. Normalerweise müssten jetzt viel mehr Tiere zu hören sein. Zwar kenne ich mich jetzt nicht so mit Tieren aus, aber gibt es nicht diese Bauernregel, die besagt, dass wenn die Tiere nicht mehr zu hören sind, ein größeres Unwetter droht?“ erklärte sich die junge Frau und wirkte ziemlich unsicher und auch ein wenig verängstigt.

„Hmm, die habe ich jetzt ehrlich gesagt noch nicht gehört, aber ich will sie nicht bestreiten, da man das Verhalten bei Tieren in vielen Filmen sehen kann, in denen es um Unwetterkatastrophen geht. Die Story ist zwar meist furchtbar, aber ich glaube, dass so ein Verhalten nicht die Erfindung irgendeines Drehbuchschreibers ist. Immer wenn es einen Tsunami gab, der viele Tote gefordert hat, dann kommen doch immer wieder Geschichten um Tiere auf, die sich seltsam verhalten haben, die ihrem Besitzer nicht mehr gehorcht haben und sich ins Landesinnere gerettet haben. Mit diesem Verhalten wurden dann oft auch einige Menschen gerettet, da sie den Tieren gefolgt waren.“ berichtete der Schwarzhaarige.

„An Haustieren kann man das doch auch sehen. Als es im Spätsommer des letzten Jahrs doch diese starken Stürme gegeben hatte, konnte man am Tag zuvor doch die Hunde den ganzen Tag bellen hören. Zudem sollen sie sich total komisch verhalten haben und auch ihren Besitzern nicht mehr gehorcht haben.“ fügte Christian hinzu.

„Also können Tiere Wetterveränderungen fühlen. Dann droht uns ja doch noch was ziemlich schlimmes.“ meinte Maria und bewertete sogleich auch die Lage. „Dann kommt doch etwas auf uns zu, das garantiert nicht harmlos ist, im Gegenteil. Es wird sehr gefährlich und hart. Wir müssen noch einen Zahn zulegen.“

„Das sollten wir nicht machen. Hier auf dem Untergrund mit den Blättern und den teils versteckten Wurzel könnten wir dann leicht stolpern und uns verletzen. Wenn wir dann jemanden zum Boot tragen müssen, dann sind wir langsamer als wenn wir das Tempo beibehalten. Und noch rauschen die Baumkronen nicht, jedenfalls höre ich noch nichts. Das heißt, noch ist kein starker Wind aufgekommen. Also ist das Gewitter noch ein wenig entfernt. Natürlich kann es sein, dass es auch in den nächsten fünf Minuten kommt, davor sind wir selbstverständlich nicht geschützt. Doch das ist eher selten.“ sagte der blonder Mann und musterte dabei den Untergrund, aus dem sie liefen.

„Ich hoffe, du hast Recht mit der Behauptung, dass das Unwetter noch ein wenig entfernt ist.“ meinte die rothaarige Frau etwas kritisch. Da sie jedoch nicht so viel wanderte wie ihr Bruder, hatte sie jedoch auch weniger Erfahrung darin und so widersprach sie ihm auch nicht.

„Der Weg ist außerdem nicht mehr sehr lang, wir sind seit der Lichtung etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten unterwegs und noch hält das Wetter. Selbst wenn der Wind jetzt aufkommen würde, würden wir nicht mehr all zu lang brauchen, bis wir das Boot erreicht haben. Dann müssen wir nur noch Vollgas nach Hause geben.“ bemerkte Ralf, der auf seine Uhr geschaut hatte.

„Aber auch auf dem Wasser ist es nicht ungefährlich.“ stellte die Frau fest.

„Das ist richtig. Aber wir haben ja Wind- und Wetterkleidung sowie Schwimmwesten dabei. Die ziehen wir dann an und hoffen, dass wir gut durch den Sturm kommen.“ beruhigte Christian seine Schwester. Wenn keiner von uns das Wasser berührt, dann dürften uns die Blitze nichts ausmachen.“

„Na, das hoffe ich aber.“ bemerkte Maria.

„Eine Restgefahr bleibt jedoch, und die dürfen wir nicht leugnen. Daher sollten wir jetzt nicht reden, sondern uns auf den Weg zum Boot konzentrieren.“ sagte Ralf, der sich immer wieder umsah und das Gefühl nicht bestreiten konnte, dass es immer dunkler wurde. Zudem war er sich sicher, die Blätter der Baumkronen rauschen zu hören, auch wenn es auch nur der Fluss sein könnte, der ganz in der Nähe floss.
 

Kurze Zeit später befanden sich die drei Wanderer auch schon am Boot und nun war es unwiderlegbar, dass es windete. Eine stärkere Brise spielte mit den roten Haaren von Maria, die diese daraufhin mit einem Haargummi zusammenband. Am Horizont, flussabwärts schauend, konnten die drei eine dunkle Wolkenwand sehen, die immer dunkler wurde, je näher sie an den Horizont kam.

Die Quellwolken, die sie von der Lichtung aus gesehen hatten, waren größer geworden und schienen flussaufwärts zu ziehen. Sie dienten offenbar nur als eine Art Vorbote für das, was kommen würde.

Jeder der drei Freunde zog seinen Rucksack ab und die Regenjacke sowie die Regenhose an. Zwar empfanden sie es als viel zu warm, da es jetzt noch schwüler war als am Anfang, doch wussten sie auch, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie in das Unwetter fuhren. Und da würde es regnen und stürmen.

Daher griffen sie auch nach den Schwimmwesten, die sich in einer Kiste unter der Sitzbank befand. In die leere Kiste stopften sie möglichst viel Gepäck, sodass die Rucksäcke kleiner und nicht mehr so sperrig wurden.

„So, jetzt kann es gleich los gehen.“ stellte Christian fest, warf seinen Rucksack, der jetzt viel kleiner als vorher war, in das Boot und sprang dann hinterher, um alles für die Abfahrt vorzubereiten.

Derweil knoteten Maria und Ralf die Vertauung des Bootes von den Bäumen ab und warfen die Seile ins Boot und sprangen mit den Rucksäcken hinterher. Christian entfernte die seile auch noch vom Boot, rollte sie ordnungsgemäß auf und verstaute sie dann neben seinen Füßen, sodass sie ihn nicht allzu sehr störten.
 

„Haltet euch gut fest, gleich fahren wir in den Sturm!“ schrie Christian. Dann startete er den Motor, während die beiden Anderen noch damit beschäftigt waren, die Rucksäcke so zu verstauen, dass sie niemanden groß beeinflussten.

„Ich hoffe, dass das gut geht.“ murmelte Ralf, während er die Sturmfront beobachtete.

„Das geht schon gut, wir müssen uns nur ausreichend festhalten, dann passiert und nichts.“ meinte Maria, die sich umdrehte und den Fluss aufwärts schaute. Dort konnte sie die Quellwolken erkennen, die sie zum eiligen Aufbruch bewegt hatten. „Wenn es doch nur flussaufwärts noch ein kleines Dorf gäbe, in das man sich im Notfall flüchten könnte.“

„Ja, das wäre schon recht praktisch. Dann gäbe es auch noch eine Zwischenstation für die Wanderer der Gegend. Aber leider ist das hier ein Naturschutzgebiet, sodass da jetzt nichts mehr gebaut werden kann.“ erklärte Christian, der das Boot auf Maximalgeschwindigkeit trieb. Er blickte ernst und kritisch der Sturmfront entgegen, die sich geradewegs auf das Trio zu bewegte.

„Wenn wir das überstanden haben, bin ich vorsichtiger und gehe kein Risiko mehr ein.“ sagte Ralf, der sich am Bootsgeländer festkrallte, obwohl es noch relativ ruhig war.

„Ja, und ich sage Papa, er sollte das Gewitterrisiko immer etwas erhöhen, zur Sicherheit. Zehn Prozent Wahrscheinlichkeit halte ich für deutlich untertrieben für das, was in den letzten Tagen an Wetter hier los war. Kein Regen, kaum Wind. Und immer verdammt heiß. Es wurde von Tag zu Tag schwüler. Nichts gegen Papa, aber ich als Laienwetterfrosch bezweifele stark, dass die Berechnungen nur zehn Prozent ergeben.“ bemerkte Maria, die sich nun auch am Geländer festhielt und von Moment zu Moment nervöser wurde.

„Ich bin eh der Meinung, dass bei den Wettervorhersagen nicht nur Daten eine Rolle spielen, sondern auch Geld. Es gab bestimmt einige kritische Stimmen im Rathaus oder wo anders, die doch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit Angst bekamen, dass sie zu starke Gewinnausfälle bekommen. Besonders die Betreiber der Schwimmbäder und der Strände an den Seen in der Umgebung wollen so etwas nicht sehen, da dann weniger Besucher kommen. Sie hoffen immer darauf, dass nichts passiert und das Gewitter erst dann kommt, wenn eh keiner mehr im Wasser ist. Zudem sind sie der Meinung, dass die Menschen so etwas ja selbst erkennen müssen und dann selbstständig aus dem Wasser gehen.“ behauptete Ralf. „Mir scheinen allgemein die Vorhersagen für schlechtes Wetter zu niedrig, egal für welche Jahreszeit.“

„Ach, übrigens, es fängt an zu regnen. Wir kommen langsam in den Sturm.“ stellte Christian fest und warnte daraufhin: „Vorsichtig, es könnte etwas härter werden.“
 

Wie eine Armee eines übermächtigen Feindes rollte die Unwetterfront auf die drei Freunde und ihr kleines Boot. Es wirkte wie ein Bild aus einem vergangenen Krieg, in dem sich eine paar Soldaten nur mit ihren eigenen Händen gegen die Übermacht des Gegners wehren musste.

Sie staunten nicht schlecht, als sie vor sich die dunkle Naturmacht sahen und hinter sich den hellen, blauen Himmel, der von ein paar Quellwolken stellenweise verdeckt wurde. Keiner wagte auch nur ansatzweise etwas zu sprechen oder sonst einen Ton von sich zu geben, so zog sie dieses Naturschauspiel, welches man sicher nicht so schnell wieder sehen würde, in seinen gefährlichen Bann. Auf der einen Seite war das Wissen, dass dies nichts ungefährliches war, man vielleicht sogar sterben würde, auf der anderen Seite die gigantischen Blitze, deren Donnerschläge wie Kanonenschläge klangen, die direkt in ihre Richtung geschossen wurden. Es faszinierte auf der einen Seite und schreckte auf der anderen Seite ab. Hätten sie auch nur eine kleine, andere Möglichkeit dieser Sturmfront zu entkommen, sie würden sie annehmen.

Doch es gab nichts. Sie waren an der einzigen Siedlung weit und breit gestartet. Sodass sie nun in die Höhle des Löwen mussten. Wobei Löwe eigentlich noch untertrieben war. Es war kein einfaches Unwetter, wie man es sonst gewöhnt war, mit ein wenig Regen, ein paar Sturmböen, nein, es war eins dieser Monster, die es nur gab, wenn man sich sicher war, dass der Sommer nichts Schlimmes an sich hatte. Ein Drache unter den jährlichen Gewittern, ein Wesen, das man kaum sah, wenn es aber kam, dann mit Pauken und Trompeten.

In diese Höhle mussten die drei Freunde, ob sie es wollten oder nicht, es gab nur die Möglichkeit um zu überleben. Ausgerüstet mit Zahnstochern und Rüstungen und Waffen aus Pappe gegen einen Drachen. Ein Himmelfahrtskommando, das seines gleichen suchte.

Auch die Freunde waren sich über die Gewalt im klaren, mit der sie es hier zu tun hatte. Ihre Körper waren angespannt vor Nervosität, voller Angst und Sicherheit, was jetzt wohl passieren würde. In ihren Köpfen gingen ständig die gleichen Fragen um: Werden wir es schaffen? Wie lange wird es dauern? Wie schlimm wird es?
 

„Wenn es einen Gott gibt, dann hasst er uns.“ murmelte Maria leise und voller Angst. Sie klammerte sich mit allen Gliedmaßen an die Sitzgelegenheit und machte sich so klein, wie es nur ging.

Ralf, der sonst immer einen ruhigen Kopf in hektischen Situationen bewahrte, wurde sichtlich nervös und rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. Er glich einem Tier, das eingesperrt war und hilflos einem Sturm in die Augen sehen musste. Nein, er glich nicht nur, er WAR das Tier. Eingesperrt, völlig hilflos, der Natur ausgeliefert wie ein Blatt im Herbstwind, wie eine Schildkröte auf dem Rücken, wie eine Maus gefüllt mit Todesangst wenn sie in die Augen einer Katze starrte und wusste: „jetzt sterbe ich.“.

Sie kamen dem Sturm immer näher wie Rekruten im Krieg, die wussten, dass dahinten die Einschläge und Schreie vom Schlachtfeld kündeten und dass ihr Schicksal besiegelt war.

„Man kann in solch einem Sturm im Haus sein und das Haus bricht ein. Und man kann im freien stundenlang die fliegenden Splitter überleben. Ein Mensch überlebt Naturgewalten nur durch tausend Zufälle.“ murmelte Ralf leise vor sich hin. Zwar stammte das abgewandelte Zitat aus einen Buch, dass in einem Krieg spielt, doch es war nichts anderes als Krieg. Krieg der Natur gegen die Menschen. Innerhalb tausender Jahre haben es die Menschen geschafft, die Wüste zu besiedeln, die höchsten Berge zu erklimmen, die Weiten des Weltalls zu erkunden, doch ihren eigenen Planten kontrollieren sie nicht. dachte der Schwarzhaarige, während die Wellen des Flusses hart gegen den Bug des Schiffes schlugen und zeigten, wie viel Kraft die Natur im Endeffekt doch hatte.

Gleichzeitig prasselten die Regentropfen aufgrund des Sturms und der Bootsgeschwindigkeit hart gegen die Gesichter der Drei. Es fühlte sich an als würden tausende kleine Steinchen immer wieder auf sie geschmissen werden, ohne Ende, mit zunehmender Kraft.

Schon nach kurzer Zeit waren die Gesichter taub und sie spürten es praktisch nicht mehr.

Dazu hatten sie auch gar nicht die Zeit, wurden sie doch von den harten und plötzlichen Sturmböen mit ihrem kleinen Boot herumgeschleudert wie ein Handball im Spiel. Sie hatten praktisch keinen Einfluss mehr auf das, was sie taten.

Christian stand komplett durchnässt und frierend vor dem Steuer und dirigierte sie zielgenau in den Sturm, der noch nicht am stärksten Punkt war. Es war erst der Anfang, die erste Front, die man noch leicht abwehren konnte.

Es war bereits sehr dunkel, man sah kaum die Hände vor den Augen. Lediglich die Blitze, die in kurzen Abständen die ganze Szene in ein seltsames Licht einhüllten, spendeten ein wenig Licht. Doch es genügte bei weitem nicht, als dass es ausreichend Licht spendete, um sich anhand der Umgebung zu orientieren. Nur die Intuition und Hoffnung leitete die Freunde. Das Ziel, welches das Schicksal für sie bereit hielt, war jedoch nicht klar.
 

Mittlerweile tobte der Sturm schon eine ganze Zeit, wie lange, das konnten keiner sagen, da in solch einer Finsternis jedes Gefühl für Zeit verloren ging. Aber auch ihre jetzige Position am Flussverlauf konnte nicht bestimmt werden. Nicht, dass sie sich nicht mehr auskannten, doch das Ufer war nur kurz zu sehen und zwar immer dann, wenn ein mächtiger Blitz über ihren Köpfen den Himmel kreuzte und irgendwo einschlug.

Dazu kamen die Wellen, welche im Sturm von allen Seiten kamen und das Boot wie einen Ast auf den Wellenkämmen reiten ließ.

Ralf und Maria klammerten sich mit den Beinen fest an die Bank und jeder versuchte nach Leibeskräften das Wasser aus dem Boot zu bringen. Es war eine unmögliche Arbeit, denn der Sturm drückte erstens immer wieder Wasser über Wellen in das Boot und zweitens regnete es in Strömen, sodass auch noch von oben Unmengen an Wasser herunter kamen.

Komplett durchnässt, frierend und zitternd rief Maria verzweifelt ihrem Bruder zu: „Christian, mach etwas! Lange können wir das Wasser nicht mehr aus dem Boot halten. Und wenn es weiter so stürmt, frieren wir uns hier noch zu Tode!“ In ihrer Stimme konnte man trotz des Sturmes die pure Verzweiflung und die Angst um ihr Leben hören.

„Ich versuche schon mein Bestes, doch ich weiß nicht wo wir sind. - Warte, der Blitz hat gerade eine typische Felsformation erleuchtet! Wenn wir Glück haben, dauert es noch zehn Minuten, wenn wir Pech haben...“ schrie der Bootskapitän über die Schulter zu seinen beiden Fahrgästen zurück. Den letzten Teil seines Rufes unterband er im letzten Moment, er wollte nicht den Teufel an die Wand malen. Auch er war bis auf die Knochen durchnässt, seine Hände brannten vor Kälte, doch er musste das Steuerrad wie ein Strick zum Überleben halten, da sie sonst sicher verloren waren. Zudem schlugen ihm trotz der Windschutzscheibe immer wieder große Wassertropfen ins Gesicht und ihn die Augen, was die ganze Sache nicht erleichterte.

Ralf, der sonst immer ruhig blieb, wirkte ebenfalls sehr angespannt und schaute immer wieder zu den Ufern, die jedoch keinen Schutz boten, da es im Wald immer sehr gefährlich war wenn ein Unwetter tobte. In seiner Verzweiflung und Angst wand er seinen Blick zum Himmel und flehte: „Bitte Gott, ich war nie besonders gläubig oder gar getauft. Aber ich flehe dich aus ganzem Herzen, hilf uns in dieser schweren Not!“

Die rothaarige Frau, die neben ihm saß, schaute ihn mit einem Blick an, der eindeutig sagte: Wenn er jetzt schon betet, dann steht es wirklich schlecht um uns. Dann wendete sie ihren Blick wieder dem Wetter zu, welches immer schlimmer und stärker wurde.

Der Fluss glich keinem Fluss mehr, er war eine aufgebrachte See geworden, die mit starken Wellen gegen das Boot schlug und dieses kräftig hin und her schaukelte. Sie hatte das Gefühl, dass die Blitze immer häufiger und stärker wurden. Ebenso wie die darauf folgenden Donnerschläge, von denen man das Gefühl hatte, dass sie einem die Trommelfelle zum Platzen bringen können.
 

„Sind wir jetzt im Krieg oder in einem Unwetter?“ murmelte Maria leise, die mittlerweile mit dem Wasserschippen aufgehört hatte. Sie war am Ende ihrer Kräfte. „Komm, gib es auf, es hat keinen Sinn.“ meinte sie und schlug Ralf auf die Schulter, der immer noch das Wasser aus dem Boot beförderte.

„Was? Spinnst du? Wenn wir jetzt aufgeben, dann ist alles verloren. - Komm, schipp weiter!“ schrie er zurück. Zwar hatte er zu Gott gebetet, doch es hielt ihn nicht davon ab, weiter zu arbeiten. Er war der Meinung, wer Gott um Hilfe rief musste auch dafür arbeiten, auch wenn die Situation fast aussichtslos war.

„Nein, lass mich doch einfach in ruhe. Bald ist das alles vorbei und wird müssen uns um nichts mehr kümmern.“ antwortete Maria mit schwacher Stimme. Sie kippte immer wieder nach vorne und schreckte dann hoch.

„Nein! Christian! Schneller! Maria schläft uns hier gleich ein!“ schrie der schwarzhaarige Mann verzweifelt zum Kapitän, der immer noch mit den Wellen kämpfte und sehr verbissen da stand.

„Ja ja, ich habe es aus den Augenwinkel mitbekommen! Ich versuche schon die ganze Zeit, aus der Kiste so viel wie möglich rauszuholen, aber mehr geht einfach nicht. Aber ich glaube, ich habe erste Lichter der Stadt gesehen, gleich sind wir da! Halte sie nur noch ein paar Minuten wach!“ schrie der Hüne am Steuer verzweifelt. „Maria! Bleib wach, gleich sind wir zuhause!“

„Ich versuche es, aber sie reagiert immer schlechter auf meine Rufe und das Anstoßen! Mann, beeil dich! Sie hat kaum noch Kraft, sie droht aus dem Boot zu fallen!“

„Ja ja, ich weiß! Aber dahinten, siehst du die Lichter? Die Stadt, sie ist nahe, nur noch eine Minute!“ Christian zeigte auf eine Ansammlung von Lichtern, die schwach, aber sichtbar durch den Regenvorhang stießen.

„Na endlich!“ Ralf seufzte erleichtert. „Maria, hast du das gehört? Gleich sind wir da, nur noch eine Minute!“

Mittlerweile gab Maria gar keine Antworten mehr und reagierte auch nur noch sehr schwach auf die Versuche Ralfs, sie am Schlafen zu hindern. Er rüttelte an ihr, schlug sie auf die Schulter, drehe Hautpartien, die er erwischen konnte um, tat alles um Reize zu erzeugen, die sie daran hinderten, einzuschlafen.

Doch es passierte. Plötzlich und sehr unerwartete kippte die Frau einfach nach vorne um und Ralf musste hinterherhechten. „Scheiße!“ schrie er auf und erwischte sie noch im letzten Moment. „Sie ist jetzt bewusstlos. Sind wir bald da?“

„Ja, da hinten ist schon der Anlegesteg!“ meinte Christian und zeigte auf eine Stelle am Ufer. Es war eine schwach beleuchtete Stelle, doch aufgrund der Anordnung der Lichter konnte Ralf zweifelsfrei darauf schließen, dass er ein Anlegesteg war.
 

Das Boot schaukelte stark, drohte kurzzeitig sogar zu kentern, so stark waren die Wellen, die der Sturm gegen die Breitseite des Bootes schleuderte. Wenige Meter vor dem sicheren Steg sah Ralf noch einmal zum Himmel und betete leise ein „Vater Unser“, denn das Festhalten am Boot und das gleichzeitige Stützen Marias kosteten ihn viel Kraft. Zudem war das Halten aufgrund des glitschigen Untergrunds nicht ganz leicht und der Sturm, welcher immer noch erbarmungslos wütete, durchdrang mit seinem kalten Wind jede Lage Kleidung, die der Schwarzhaarige an seinem Körper trug. Er musste feststellen dass auch ihm das Wachbleiben und Festhalten immer schwerer fiel und dass seine Augenlider immer schwerer wurden.

„Ralf! Nicht einschlafen!“ schrie Christian, als er bemerkte wie der Kopf seines Freundes immer schwerer wurde und immer wieder nach vorne kippte. „Wir sind gleich da! Halte dich jetzt noch einmal richtig gut fest, dann wird das schon!“

„Ja, okay...“ meinte der Angesprochene, halb schlafend. „Ich werde wach bleiben....!“

„So, noch eine Kurve, dann sind wir da! Ralf, du musst gleich auf den Steg springen und das Boot festmachen. Ich kümmere mich derweil um Maria!“ wies der Bootsführer seinen einzig wachen Mitfahrer ein. Kurz darauf stieß er gegen den Steg, was einen recht starken Ruck durch das Boot gehen ließ.

Ralf wachte aus seiner Halbschlafphase auf, schaute sich kurz um und griff dann ein Seil, welches er mit unterkühlten, brennenden Händen so gut es ging am Boot befestigte. Dann sprang er auf den Steg, der aufgrund des Wassers rutschig war, und legte eine akrobatische Meisterleistung hin, als er sich auf den Beinen halten konnte und nur kurz in die Hocke musste. „So, ich bin jetzt auf dem Steg! Ich werde jetzt das Seil befestigen!“ rief er Christian zu. „Vorsicht, hier ist es verdammt glatt!“

„Ja, ich habe es mir gedacht. Ich werde mir jetzt dann Maria schnappen und versuchen, mit ihr auf den Steg zu steigen. Du wirst mich im Notfall halten müssen!“

„Okay, ich probiere es! Versprechen kann ich nichts!“

Dann nahm Christian seine Schwester über die Schulter und stieg auf den Steg. Dabei wäre er fast gestürzt, hätte ihn sein Freund nicht gehalten. „Schnell zum Bootshaus!“

Die beiden gingen so schnell wie es bei dem peitschenden Regen nur möglich war in Richtung des kleinen Hauses, welches die Bootsvermietung sowie eine Werkstatt zum Reparieren der Boote beherbergte.

„Ich habe den Schlüssel hier.“ sagte Ralf und holte den Schlüssel unter seinem T-Shirt hervor. Dann schloss er das kleine Haus auf und trat als erster ein.
 

Es war komplett dunkel, doch trotz des Sturms funktioniere das Licht noch. Ralf sah sich kurz um, dann zeigte er in die Richtung der Bootshalle, in der sie den Sturm überstehen wollten.

„Wir müssen einen Krankenwagen rufen!“ sagte Christian, als er seine bewusstlose Schwester in einem kleinen Boot auf Decken platziert hatte und sie mit anderen Decken zugedeckt hatte.

„Keine Chance. Das Telefon ist tot. Wie werden warten müssen bis der Sturm vorbei ist. Das einzige, was wir im Moment noch machen können, sind Wärmflaschen und die Heizstrahler einschalten, sodass es schön warm wird.“ erklärte der Schwarzhaarige, der gleich in die nächstgelegene Ecke der Halle gegangen war und dort einen Heizstrahler geholt hatte. Dann steckte er ohne ein Wort zu sagen den Stecker in eine der unzähligen Steckdosen in der Umgebung und schaltete das Gerät, welches wie ein überdimensionierter Föhn wirkte, ein.

„Und wo gibt es Wärmflaschen?“ fragte der blonde Hüne leicht nervös, man merkte ihm seine Angst um seine Schwester an.

„Gleich da, in dem kleinen Raum.“ Ralf zeigte auf eine Tür, welche sich neben der Tür befand, durch die sie in die Halle gekommen waren. „Dort gibt es eine kleine Küche mit zwei Wasserkochern. Unter der Spüle gibt es drei oder vier Wärmflaschen, da es immer wieder vor kommt, dass Leute kentern. Mach mal zwei und dann eine Kanne Tee. Teebeutel gibt es im Schrank neben dem Fenster.“

Christian nickte und verschwand dann in Richtung der Küche.

Derweil zog Ralf seine Jacke, sein T-Shirt und sein Unterhemd aus. Alle drei Teile waren komplett durchnässt, sodass er einen kleinen Kasten holte und dort seine Überbekleidung zum Trocken hinlegte. Er merkte, dass es im der Halle ohne nasse Kleidung viel wärmer war, besonders wenn man seinen Oberkörper trocknete.

Dabei achtete er genau auf die Geräusche des Sturms, der immer noch mit voller Wucht die Regentropfen auf die Halle schleuderte und aufgrund des Sturms pfeifte und heulte als wären Geister hinter dem Trio hinterher. „Endlich in Sicherheit.“ Er setzte sich auf einen kleinen Hocker neben das Boot, in dem Maria lag und fühlte immer wieder Stirn und Hals ab. „So langsam wird sie wieder warm. Ich denke, sie wird durchkommen.“ Dann schwieg er und schlug die Hände zusammen, während er sie mit den Ellenbogen auf den Knien abstützte und den Kopf wiederum an den Händen abstützte. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass sie dieses lebensgefährliches Abenteuer wirklich überlebt hatten. Ob es da oben wirklich niemanden gibt, der uns geholfen hat? Dann schloss er die Augen und betete erneut. Solch ein Ereignis kann jeden Menschen komplett ändern.

Nach ein paar Minuten kam Christian zurück und brachte die in Handtücher gewickelte Wärmflaschen, die er seiner Schwester auf den Bauch legte nachdem er ihre Jacke geöffnet hatte und den Pullover vorsichtig nach oben gezogen hatte. Dann wand er sich dem betenden Ralf zu. „War ne harte Tour, nicht?“

„Ja, das war es. Und ich glaube nicht, dass wir das alleine ohne irgendwelche Hilfe geschafft haben.“ antwortete Ralf kurze Zeit später.

„Hmm, da könnte etwas dran sein. Doch darüber will ich jetzt ehrlich gesagt nicht reden. Ich mache mir viel mehr Sorgen um meine Schwester. Sie ist immer noch bewusstlos. Und ich weiß, dass das nicht ungefährlich ist.“

„Nein, ungefährlich ist das wirklich nicht. Aber sie wärmt sich langsam wieder auf. Ich denke, dass sie durchkommt. Trotzdem sollten wir alle dann, wenn der Sturm vorbei ist, zum Arzt. Und für Maria müssen wir auf jeden Fall einen Krankenwagen rufen. Sie muss von einem Arzt untersucht werden.“ erklärte der Schwarzhaarige mit dem nackten Oberkörper.

„Das stimmt. Tee wird schon gemacht, er muss nur noch ziehen. Ist die Eieruhr laut genug?“ fragte der Hüne, welcher sich nun ebenfalls den Oberkörper entkleidete und die Kleidung neben Maria an das Boot hing.

„Ja, das ist sie. Jetzt heißt es warten und Tee trinken.“ murmelte Ralf. „Ich hoffe, dass das Unwetter nicht mehr so lange anhält.“

„Wer hofft das nicht...“ murmelte Christian, er hatte jetzt keine Lust mehr zum Reden, er wollte nur noch das ende des Unwetters und einen Krankenwagen für seine Schwester.

Einsamkeit

Wir waren viele. Und doch so wenige. Wo waren sie, als der Krieg ausbrach? Niemand wusste es. Doch sie waren nicht dort, wo sie sollten. Wir starben für sie, wir gaben unser Blut für sie, wir ließen Haus und Familie zurück und zogen in die Welt, die wir nicht kannten. Wir wussten nicht für was wir kämpften, das wussten nur sie. Wer sie waren, das wussten wir auch nicht. Wir handelten wie eine Maschine, ohne Gefühle, ohne Gedanken, ohne Verstand. Sie riefen zu den Waffen, wir folgten dem Ruf. Und schaufelten uns unser eigenes Grab.
 

Wenn diese Worte gelesen werden, bin ich längst tot. Vergessen, wie so viele hier. Mein Name ist nicht wichtig, erst hier, am Tor zur Hölle erkennt man die zynische Wahrheit im Ausspruch „Namen sind Schall und Rauch.“

Schon viel zu lange tobt diese Schlacht, aufgezehrt sind unsere Kräfte, der Feind hat uns eingekesselt. Doch nicht Hunger, nicht Kälte, nicht Ratten, nicht Läuse, nicht Granaten zerrten mehr an uns als diese Einsamkeit. Mitten im Geschehen und doch alleine, ein Widerspruch, oder? Mitnichten. Jeden Tag denken wir an unsere Familien in der Heimat, träumten uns zu ihnen, hoffen, dass alles bald vorbei ist. Und werden jeden Tag von der Realität zurückgeholt.

Wo wir sind? Das weiß niemand. Kein Mensch kennt uns noch, selbst unsere Familien haben uns aufgegeben. Als der Kessel noch nicht bestand, da gab es Briefe aus der Heimat. Man schrieb uns, dass man die Einsamkeit nicht ertrug und hatte sich daher neue Freunde gesucht. Zynisch wurden sie mit der Aufforderung, man solle sich keine Gedanken machen, das Leben gehe doch weiter, beendet.

Dann wurde der Kessel geschlossen. Die Generäle waren längst ausgeflogen, man hatte uns unserem Schicksal überlassen. Wir kämpften hart, zeigten, was wir konnten, doch es gab nur einen, der gewann: der Tod. Wem weder Nahrung noch Munition ausgingen, der wurde wahnsinnig, drehte durch.
 

Diese Einsamkeit, dieses Wissen der Sinnlosigkeit, es zerrt an den Nerven. Wer nicht wahnsinnig wird, wird zum Tier. Kämpft nur noch ums Überlegen, zeigt keinerlei Gefühlsregungen. Starrt man solch einem in die Augen, sieht man den Wahnsinn. Man hat das Gefühl, einen lebenden Toten vor sich zu haben, einen Menschen, der lebt, weil sein Körper es will, nicht weil es seine Seele will. Die Seele, die ist längst tot.

Die Psychologen sagen, der Mensch sei ein Herdentier. Er braucht die Gruppe zum Überleben. Welche Gruppe, frage ich. Hier sehe ich Tote oder solche, die es sein wollen. Gehe ich durch die Reihen der Männer, sehe ich kaum einen der noch richtig lebt. Sie alle haben dem Tod schon mehrmals in die Augen geschaut und haben keine Angst mehr.

Wir, die versuchen, dass wenigstens die Toten ihre letzte Ruhe haben, indem wir Gräber für sie in die harte Erde graben, fühlen uns einsam.

Wo ist die versprochene Verstärkung, die schon vor Wochen den Kessel durchbrechen sollte? Wo sind die Generäle, die solch eine Schlacht noch zum Guten wenden könnten? Wo sind unsere Familie, die noch an uns glauben? Wo sind wir?

Fragen, die uns alle hier quälen. Die Selbstmorde häufen sich, immer mehr werden wahnsinnig, rennen den Feinden ohne Waffen entgegen. Nur um zu sterben. Der Tod ist in solchen Situationen, in denen man keine Kontrolle mehr über sich hat, schwer. Sehr schwer. „Man bekommt nie das, was man will.“ Zynismus macht sich unter denen breit, die noch Reste ihres Verstandes haben. Es werden von Tag zu Tag weniger. Menschen, die heute noch normal reden, die Situation im Überblick haben -soweit das denn möglich ist- und gegen diese vergiftende Einsamkeit kämpfen, können morgen schon wahnsinnig sein und wie von der Tarantel gestochen dem Feind entgegen rennen. Wieder einer weniger, mit dem man Karten spielen kann, wieder einer weniger, der einem hilft gegen die Einsamkeit etwas zu tun. Wieder ein Schritt näher zum am Rand zum Wahnsinn.
 

Die Tage gehen, die Tage kommen. Niemand weiß mehr, wie lang wir hier schon sind. Jeglicher Kontakt nach Hause, in die Heimat, ist abgebrochen. Die Funker erhalten nicht einmal mehr die Versprechen, dass Unterstützung unterwegs sei. Nichts kommt.

Es ist eine Insel in einem Meer des Todes. Wir kennen den Feind nicht, wissen nicht warum wir gegen ihn kämpfen sollten. Man hat uns nichts gesagt, rein gar nichts. Nur das ab jetzt Krieg sei. Warum kämpfen wir gegen Menschen? Wer sind diese Menschen, die uns hier einkesseln? Was haben wir ihnen getan, dass wir jetzt in dieser Hölle sind?
 

Unsere Einheit ist weiter geschrumpft, nun sind wir unter zehn, die noch bei klaren Verstand sind. Keiner weiß, wie lange noch. Wir reden nicht mehr viel, sondern verschanzen uns nur noch. Gekämpft wird schon lange nicht mehr. Offenbar hat der General der anderen Seite kein Interesse daran, uns schnell zu töten. Er lässt uns hier verenden wie Tiere. Seit Tagen haben wir keine Nahrung mehr, sauberes Wasser gibt es auch nicht. Wir fühlen uns von Gott verlassen. Und doch müssen wir diese Stellung halten. Einsam wie ein Fels in der Brandung, der brechen muss, der keine Chance hat nachzugeben.
 

Ich blicke Tag für Tag dem Tod in die Augen. Er schleicht um die Häuser, sucht nach uns. Doch hat kein Bestreben, uns gleich zu töten. Er wartet geduldig bis wir zu ihm kommen. Er ist das Licht in dieser Einsamkeit, diesem Alptraum, diesem Wahnsinn. Früher dachte ich, dass der Tod böse sei, etwas dunkles, unheimliches. Ich täuschte mich.

Hier in dieser Einsamkeit ist er das einzige Licht, er befreit uns, erlöst uns. Ich warte auf ihn, trotz der Tatsache, dass ich nicht die geringste Angst vor ihm habe, erfülle ich meine Befehle, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist.
 

Nun ist es soweit. Ich bin der letzte Mann. Ich liege hier, vom Hunger und Durst ausgezerrt auf meiner Pritsche und spüre, wie der Wahnsinn der Einsamkeit in mir aufsteigt. Immer wieder schaue ich in Richtung meiner Waffen, immer wieder denke ich, dass da die Erlösung aus meiner Einsamkeit liegt, immer wieder hält mich etwas davon ab. Ich weiß nicht was. Es gibt nichts, für das ich noch leben will.
 


 

Man fand diesen Zettel unweit des Stadtzentrums in einem Keller neben der Leiche eines Mannes. Sein Körper war ausgezerrt, jedoch trug er noch seine Uniform. Seine Waffen fand man in der Ecke stehend. Die Ärzte konnten keine Wunden finden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (27)
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Von:  Yu_B_Su
2009-11-29T14:13:45+00:00 29.11.2009 15:13
Kapitel 9: Einsamkeit

Die letzte Geschichte. Und wie in einer anderen wieder eine sehr bemerkenswerte Pointe. Man denkt am Anfang, dass er sich erschossen hat, aber letzendlich ist er an Unterernährung oder an Einsamkeit gestorben. Aber ich hatte eher den Eindruck eines Schlachtfeldes.

Gut gemacht! Ich finde diese Geschichte sehr bemerkenswert, man spührt die Trostlosigkeit, die trockene Verzweiflung, auch ohne es zu sagen wirkt alles dunkel und gleichzeitig hell erleuchtet vom Kriegsgeheul. Einfach toll!

Auch wenn mir ein bisschen an dem Ergründen der Einsamkeit fehlt - der Mensch braucht keine Herde, sondern eine Bezugsperson und daran geht man zugrunde. Aber die Sinnlosigkeit des Krieges, alles, war schön.

Kleine Schusselfehlerchen waren drin - bei klareM Verstand - aber naja...

Ich glaube, du kannst gut über Kriege schreiben, du schaffst es, dich in den Krieger hineinzuversetzen. Bei anderen Geschichten klappt das irgendwie nicht so gut... :-D

Also: so weitermachen! :-D

Von:  Yu_B_Su
2009-11-29T14:13:25+00:00 29.11.2009 15:13
Du hast eine Vorliebe für Krieg - und für schlechtes Wetter :-D Und ich gratuliere dir - wirklich - zu deiner sehr eigensinnigen Denkweise. Ich glaube, du hast dir sehr viel dabei gedacht - aber bei mir kommt es nicht richtig an.

Denn die Grundidee ist - wieder - total klasse: drei Menschen, davon ein Geschwisterpaar, fahren durch den Sturm. Aber die Umsetzung ist nicht so toll. Ich finde es komisch, dass das Wetter so plötzlich umschlägt - nicht, dass es das tut, das ist ja im Sommer normal, sondern wie die Charas damit umgehen: sie fahren los, sie gehen davon aus, dass ein Sturm aufzieht - und Überraschung, es kommt auch tatsächlich einer! Außerdem redet Christian von einer langen Tour - auch wenn sie nur eine halbe Stunde durch den Wald laufen. Des Weiteren fand ich den Gedanken der Wettermanipulation etwas abenteuerlich - es klingt zwar logisch, es wäre vlt. sogar machbar, aber es ist nicht realistisch - wie leben ja nicht in China, wo die Internetseiten kontrolliert werden. Im Internet ist alles frei, es wäre gar nicht möglich, so etwas zu manipulieren, auch wenn es eine sehr lokale Sache ist.

Gut fand ich, dass sich die Geschwister dauernd wegen Kleinigkeiten streiten, das kann ich gut verstehen :-D

Außerdem hat mir die Einleitung gefallen, wie du vom Wald zum Fluss kommst, das war cool! Auch wie du die Mischung aus Fazination, Ehrfurcht über die Schönheit des Naturspektakels und die Angst, das Wissen um die Gefahr dargestellt hast, das war toll! Aber ich hätte mir gewünscht, dass die Charas mehr agieren; an diesem Punkt war der Erzähler doch zu vordergründig. Im Rest der Geschichte, besonders, als sie durch den Wald laufen, ist er widerum zu sehr im Hintergrund. Es gibt so vieles, dass der Erzähler statt der Charaktere sagen könnte. Die Figuren sind deswegen leider ein wenig zu 'in chara' - sie erzählen soviel, dass ihre Charaktere etwas farblos bleiben; Maria ist die, die sich gerne mit ihrem Bruder streitet und typisch Mädchen ein bisschen Angst hat und am Ende beinahe stirbt. Ralf schlichtet und hat Ahnung vom Wetter, Christian hat Ahnung vom Wandern und ist eigentlich der Kopf der Truppe. Besonders Ralf und Christian ähneln sich sehr.

Der Vergleich des Sturmes mit einem Krieg war cool, aber so richtig Spannung kam nicht auf...

Was mich aber - tut mir leid - am meisten gestört hat, war der Ausdruck. Vielleicht war es Absicht und ich habe es nicht richtig verstanden, aber im Vergleich zu den vorherigen Geschichten war er ... mies. Nicht im Ganzen, aber du hattest so viele Wortwiederholungen drin, du hast so unglaublich viel wiederholt, dass der Fluss und das Lesegefühl darunter gelitten haben. Auch der Satzbau war manchmal etwas kompliziert z. B. am Anfang, als Maria etwas zu Ralf und Christian sagt und du noch einflechtest, wer wer ist. Außerdem sind einige Schusselfehlerchen drin, bei denen manchmal die Logik Schaden nimmt z. B. 'die Sicherheit, was passieren würde', 'sie war trotz des Sturmes verzweifelt', Maria fragt erst auf dem Boot, ob sie alles dabei haben - checkt man das nicht vorher?, er hatte 'den einzigen Bootsführerschein' (korrekt wäre: hatte als einziger einen Führerschein), gehässige Sprache (vlt. eher Stimme oder so), hatte unterschreiben MÜSSEN, länger hierbleiben KÖNNEN usw.

Alles in allem war die Grundidee wieder toll, aber die Ausführung ... naja ... eine Geschichte bleibt noch :-D

Von:  Yu_B_Su
2009-11-22T18:39:00+00:00 22.11.2009 19:39
Das war eine Symphonie. Das war ein Werk. Es war ein Werk mit mehreren Akten, begonnen mit der Beschreibung der Situation des Dorfes, die Einleitung die Fokussierung auf den Schreiber, das Streben der Perfektion, die zu scheitern scheint, die gestört wird vom Wind und die nach ewigen Qualen doch erreicht wird. Die am Ende in vier kleine Worte mündet und der Erkenntnis, dass das Gefühl im Herzen wichtiger ist als die Worte auf dem Papier. Das war wahrlich ein Werk. Ein relatives Meisterwerk.

Ich fand es wirklich gut. 'der Schlaf der Gerechten und Gerächten' war ein tolles Wortspiel und auch wie du vom Allgemeinen zum Schreiberling kommst, das war toll! Auch die Vergleiche mit der Tänzerin, der Armee usw. haben mir sehr gefallen, klasse! Nur den Vergleich mit der göttlichen Hilfe habe ich nicht verstanden: die Götter sind unsterblich, also kann es nicht von ihrer Seite aus die letzte Hilfe sein. Aber was machen die Menschen, nachdem sie die Hilfe erhalten haben? Wollen ihnen die Götter dann nicht mehr helfen oder sind sie alle tot?... Den Schriftsteller mit einem Gott, einem Schöpfer zu vergleichen fand ich sehr nachvollziehbar. Man merkt seine Strebesamkeit, die übertrieben ist, weil es so wenige Worte sind. Und ob sie im Herzen besser aufgehoben sind als auf dem Papier, weiß ich nicht, vieles wird, wenn wir es erstmal aufgeschrieben haben, irgendwie wahr, gegenwärtig, daher war es ja gut, dass er sie aufgeschrieben hat. Aber es ist irgedwie auch wahr: jetzt, wo es gegenwärtig ist, ist das Papier gar nicht mehr nötig, man weiß es ja jetzt.

Daher passt die Pointe diesmal echt gut!

Ein paar kleine Fehlerchen sind drin, aber naja...

Von:  Yu_B_Su
2009-11-22T18:38:31+00:00 22.11.2009 19:38

Augenblick. Krieg und Frieden hätte auch gepasst. Denn ich stellte mir die Frage, ob das Land für ihn wirklich feindlich ist. Denn es ist ja logisch, dass man Leute, die ein fremdes Land betreten, nicht mit Freudentaumel begrüßt werden. Aber darum geht es, glaube ich nicht :-D

Man merkt, dass es ein stolzer Krieger ist, die ganze Vikiner-Welt entsteht vor meinem geistigen Augen, was deinem großen Fachwissen geschuldet ist - und das ist gut.

Aber ich frage mich, wie der Erzähler erkennen kann, dass es eine Flussmündung ist, wenn es dunkel ist - es müssen ja auch Fakeln brennen... war verwirrend...

Aber ziemlich hübsch.

Weiter geht es!
Von:  Yu_B_Su
2009-11-22T18:36:59+00:00 22.11.2009 19:36
Auch hier ist die Pointe wieder sehr interessant, der Inhalt eher weniger. Dass man sich mutig etwas entgegenstellt, obwohl man weiß, dass man verloren hat, dieser Gedanke ist zwiespältig. Denn man erwartet ja immer, dass man für seinen Mut belohnt wird, aber in diesem Fall bringt W. sein Mut überhaupt nichts.

Zum Inhalt: es geht um eine kriminelle Organisation, die ein schickes Gebäude hat, das innen ganz dunkel ist. Und ein Mensch, der sich fürchtet, hineinzugehen, aber es letztendlich doch tut. Das Gebäude passt, auch wie du den Gegensatz zwischen Schönheit und der Angst, die es auslöst, dargestellt hast, das war gut. Auch die Macht, die ein Haufen Glas und Stein haben kann, ist gut.

Dass du W. abgekürzt hast, war eine nette Idee, ein Stilmittel, das Anonymität vermittelt und auch zu dem kriminellen Hintergrund passt. Andererseits fehlt ihm damit auch etwas Menschliches und zusammen mit der nicht so realitätsnahen Handlung fällt dem Leser schwer, sich in die Situation hineinzuversetzen.

Das ist etwas, was mir irgendwie bei fast allen Geschichten aufgefallen ist: du nimmst zur Veranschaulichung der Themen Geschichten, die man nicht erwartet, die anders sind. Aber ob man dem Leser somit besser die Botschaft vermitteln kann, weiß ich nicht. Gerade die einfachen Dinge sind es meistens, die uns zum Nachdenken anregen, wenn wir sie aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Der Ausdruck war wieder sehr gut, ein paar kleine Rechtschreibfehler sind drin: 'das Gefühl hatte', an der 'Decke hing', 'geradeaus' und 'stand' wird wiederholt. Außerdem siezen deine Figuren nicht richtig, du beachtest die Großschreibung nicht. Aber der Schreibstil ist wirklich beeindruckend!
Von:  Yu_B_Su
2009-11-22T18:35:00+00:00 22.11.2009 19:35
Zuerst der Tod und dann die Hoffnung - irgendwie schön. Die ganze Situation ist schön, wie du das Wetter schilderst, den Sonnenuntergang, das war cool.

Auch die Figuren haben mir gefallen: das Mädchen, das (mit nur einem s) den Tod der Mutter verdrängen möchte und ihr viel jüngerer Bruder, der offensiv damit umgeht. Der Kontrast, dass der Junge, der jünger geschätzt wird und die Schwester, die man für älter hält, anders als erwartet - oder doch nicht? - reagieren. Allerdings bleibt die Schwester mit ihrer bloßen Wut etwas farblos.

Dass alles über den Tod der Mutter im Dunkeln liegt ist nicht schlimm, wäre natürlich interessant gewesen.

Sprachlich war es wieder gut, du schaffst es immer diese kindliche Sprache perfekt zu treffen, das ist klasse! Ansonsten ... manchmal ist der Fluss nicht ganz vollkommen, beispielsweise ist der zweite Satz mit dem roten Horizont etwas zu lang und kompliziert, ein paar kleine Fehlerchen wie 'des Jungen' (ohne s, weil das n schon den Genitiv bildet) und sie wird 'auf 20 geschätzt'. Und im ersten Satz kann das Komma weg, weil es ein einfacher Infinitiv mit zu ist.

Alles in allem eine schön, wenngleich kurze Geschichte.
Von:  Yu_B_Su
2009-11-22T18:32:26+00:00 22.11.2009 19:32
Versagen. Ein interessantes Thema. Manche Leute glauben zu versagen, obwohl sie es nicht tun. Manche Leute wollen sich etwas beweisen, für andere spielt Erfolg oder Niederlage keine Rolle. All das hätte man thematisieren können. Aber all das hast du nicht gemacht.

Es tut mir wirklich leid, und vielleicht verstehe ich den Sinn dahinter auch völlig falsch oder gar nicht, aber ich finde die Geschichte völlig unrealistisch.

Die Konstellation, zwei Männer, die eine Leiche suchen und anfangen zu reden und von denen der eine am Ende Erfolg haben wird und der andere nicht, ist gut, aber wie du das gestaltet hast, das war ziemlich irreal.

Allein das Wetter: genauso wie in der vorherigen Geschichte - bei der man es verstehen konnte, weil es zum Thema gehörte - hast du das Wetter übertrieben beschrieben. Es schien fast so, als würden nur auf diesem Stück Wald drei Tausend Liter Wasser umherpeitschen und ein Heer von Blitzen niedergehen. Natürlich isses im Wald gefährlicher als unter einer Hochspannungsleitung auf freiem Feld. Aber nicht so extrem. Umso verwunderlich war es, dass während des Gespräches relativ wenig davon spürbar ist. Man merkt nicht, wie Daniel immer mehr durchnässt wird, wie er die Lust verliert, wie ihm das Wasser von den Haar tropft und wie es einem bei diesem Unwetter möglich ist, jemanden überhaupt zu erschießen.

Auch die Charaktere war komisch, besonders Franz: es ist verständlich, dass er Angst vor dem Versagen hat, das war ja seine Grundaussage und der Bezug zum Titel. Aber deswegen sucht er nicht wie besessen nach einer Leiche. Es hat weder was mit Verbissenheit noch mit 'alter Angewohnheit' zu tun, dass man zuerst das Umfeld befragt, ich habe noch nie in Krimis gesehen oder in den Medien gelesen, dass man das Umfeld völlig außer Acht lässt. Außerdem wurde leider nichts über seine Motive, warum er nicht versagen will, deutlich.

Außerdem war es doch sehr übertrieben, dass sie sich erschießen wollen; jeder hätte gehen können, Franz als alter Ermittler könnte den Jüngeren einfach ignorieren. Wie du das Herausholen der Pistole geschildert hast, das war schon ganz nett.

Die Pointe am Ende war auch gut, sie war passend, aber nicht überraschend. Franz' Tod war es schon, auch sprachlich war es schön, dass du kurz vorgreifst, dass die Polizisten die Leichen später finden würden. Aber meistens suchen nicht zwei Ermittler eine Leiche.

Sprachlich war es insgesamt ganz nett, deine Sprache war wieder klar und deutlich, der Satzbau korrekt, allerdings war er manchmal zu klar. Gerade bei den Dialogen hat man mehr Spielraum als 'sagte' und 'fragte', man kann durchaus Gefühle usw. reinbringen. Beispielsweise als Daniel Fragen stellt und dann da steht 'Daniel war außer sich' - davon habe ich nichts gemerkt, ein paar Ausrufezeichen oder so wären gut gewesen. Außerdem machst du bei Dialogen einen kleinen Fehler: das Komma fehlt. Bei 'sagte, fragte' usw. kommt immer ein Komma nach dem Dialog z. B. "Hallo", sagte er. Nur, wenn danach ein eigenständiger Satz folgt, kann man das weglassen z. B. "Das war's!" Er drehte sich um und ging. Auch bei den Zeitformen kommst du manchmal durcheinander: die Kollegen hatten ihren Dienst quittiert (Plusquamperfekt, weil die ganze Geschichte in der Vergangenheit spielt und die Kollegen das noch davor taten) und 'Regen geben WÜRDE'. Mit 'bereits - schon' (im Zusammenhang mit dem aufkommenden Regen) hast du eine inhaltliche Dopplung drin und ich weiß nicht, ob das 'stritt' ein 'schritt' werden sollte :-D

Die Bezeichnung 'Statist' für Daniel wiederum fand ich gut, das war sehr passend.

Alles in allem: man kann Leute überschätzen, unterschätzen und falsch verstehen :-D
Von:  Yu_B_Su
2009-11-22T18:31:39+00:00 22.11.2009 19:31
Die zweite Geschichte. Ich finde den Titel etwas irreführend, man erwartet einen Vergleich und auch wenn der Kontrast zwischen Reich und Arm ein Aspekt dieser Geschichte ist, ist die Relation von Reichtum doch eher das Kernthema, finde ich, daher wäre 'Reichtum' passender.

Inhaltlich fand ich es ganz gut, du hast die Wassermassen sehr intensiv beschrieben, besonders das 'dem Wasser Einhalt gebieten' hat die Menge gut getroffen! Die Kälte war ein netter Aspekt und du hast ihn gut mit dem warmen Licht des reichen Hauses in Kontrast gesetzt. Allerdings hat mich verwirrt, dass es dort Miskitos gibt, was darauf hindeutet, dass es ein tropischer Ort ist. Somit ist die Kälte dort gar nicht so gefährlich, oder irre ich mich? Ich fand sie einfach nicht notwendig, es hat zwar gepasst, aber ein Fehlen wäre kein großer Verlust, denke ich.

Die Situation des Mädchens hast du gut beschrieben, auch realitätsnah, besonders die Gedanken des Mädchens habe mir gefallen. Du hast wirklich ihre Sprache getroffen, sie ist so unperfekt. Allerdings weiß ich nicht, ob die Kleinschreibung einiger Substantive dazugehörte. Denn wenn sie nicht zur Schule geht, kann sie ja auch nicht schreiben bzw. wenn sie sich in der Groß-/Kleinschreibung irrte, hätte sie sicherlich noch andere Fehler gemacht. Übrigens fehlte in der Szene, als das Mädchen unter dem Balkon steht ein Genitiv-s.

Der Gedanken, dass Geld gleich Glück ist, war gut herausgearbeitet, du hast mit dem Bad auch eine typischen Prinzessinen-Situation dargestellt. Allerdings hätte das noch ein bisschen intensiver sein können, damit es besser ihm Kontrast zur 'Schreckensmeldung' steht.

Denn diese Pointe war zwar beeindruckend, aber sie kam nicht richtig rüber. Die Botschaft, dass der Reichtum des Lebens viel wichtiger ist als der des Geldes, war schön. Allerdings wird im Fernsehen eher von 'Kindern' gesprochen und in Verbindung mit Naturkatastrophen ohnehin eher selten, weil die alle betreffen (anders als bei Krankheiten, bei denen Kinder als anfälliger gelten und es dramatischer ist, wenn die nächste Generation durch die Unachtsamkeit der vorherigen ausstirbt). Und es 'war', auch wenn es komisch klingt, die Todesursache. Und die Kälte gefällt mir nicht :-D

Dennoch muss ich dich für deine Sprache loben; das Niveau ist sehr hoch, der Satzbau stimmt, die Wortwahl, alles sehr gut, und nur ein paar kleine Schusselfehler.

Alles in allem: ganz gut :-D
Von:  Yu_B_Su
2009-11-15T18:50:35+00:00 15.11.2009 19:50
Ich finde die Idee interessant, sonst hört man ja nur davon, dass Menschen noch blinzeln können. Aber wenn man nur hören kann, kann man sich ja gar nicht mehr artikulieren. Eine gute Basis für eine längere Geschichte.

Allerdings denke ich, dass der Wunsch des Sterbens zu klar war, man konnte sich als Leser nicht ´mehr die Fragen stellen, ob man das hätte tun sollen - denn man weiß ja, dass er sterben will. Vlt. hätte es dem Chara die Menschlichkeit genommen und man hätte sich nicht in ihn reinfühlen können, aber wenn man nicht wüsste, dass er sterben will, hätte man länger darüber nachgedacht, finde ich.

Dein Ausdruck ist gut, manchmal holpert er und du siezt nicht richtig :-D (Großschreibung)

Ich hatte zwar mehr erwartet, aber jetzt kommen ja noch ein paar Geschichten :-D
Von:  Varlet
2008-12-04T17:08:26+00:00 04.12.2008 18:08
Das Ende find ich total schön
und du hast auch das Thema um die Perfektion schön geschilder, aber auch dass mans ie nur hat, wenn sie gerade da ist
und für mich klang es so, als wolltest du sagen, dass man Perfektion nicht imemr gleich und sofort erringen kann, nur weil man es so will.
Ein schöner OS...


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