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Felidae

Tagebuch des Professor Julius Preterius
von

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2. März 1980

Die Suppe ist zubereitet!

So bezeichnen wir im Labor scherzhaft das Gemisch: die Suppe. Sie besteht zwar aus sechsundsiebzig Versuchsanordnungen mit jeweils unterschiedlichen Substituenten, doch die Unterschiede sind geringfügig, so daß es sich im wesentlichen um ein und dasselbe Präparat handelt. In einem Meeting, in dem es sehr laut zuging, haben wir Grays Vorschlag, Bakterienkulturen anzulegen, die die Herstellung von Gerinnungsenzymen beschleunigen, und diese dann in »die Suppe« zu integrieren, angenommen. So wie es augenblicklich aussieht, werden wir tausenderlei Experimente anstellen. Ich bin selbst für den verrücktesten Einfall meiner Mitarbeiter empfänglich, obgleich ich von dem Hauptgedanken, die Sache in erster Linie chemisch anzugehen, nicht abrücken werde. Wie man es auch dreht und wendet, die Kernsubstanz muß autopolymerisierender Kunststoff bleiben, denn nur dieser allein vermag auf Grund seiner molekularen Struktur zwei Gegenstände schnell und fest miteinander zu verbinden. Lebende Zellen machen da keine Ausnahme.

Die Idee zu »der Suppe« kam mir vor zehn Jahren, als ich für mein privates Archiv Artikel aus der Zeitung ausschnitt und mich dabei mit der Schere ziemlich an der Hand verletzte. Ganz in die Schnipselei versunken, blickte ich geistesabwesend auf den blutenden Schnitt im Handteller und dann auf den Papierkleber auf dem Tisch vor mir. Plötzlich hatte ich eine Eingebung. Wie praktisch wäre es doch, so dachte ich mir, wenn ich mit dem gleichen Kleber die leicht klaffende Wunde rasch zusammenkleben könnte, anstatt sie erst mit antiseptischen Pulver und Verbandszeug zu verarzten und dann einen schmerzlichen Heilungsprozeß über mich ergehen lassen zu müssen.

Angestachelt von diesem Geistesblitz machten meine Gedanken nun Luftsprünge, während das Blut aus der Wunde fröhlich auf den Tisch plätscherte und die Zeitung rot tränkte. Ich dachte an diesen Gewebekleber, den sogenannten Zweikomponenten-Fibrinkleber, der bei kleineren Verletzungen und bei solchen Operationen bereits zur Anwendung kommt, bei denen das Nähen unmöglich ist, also bei gewissen Innereien wie der Milz und anderen Organen mit einer nicht strapazierfähigen Zellbeschaffenheit. Der Fibrinkleber ist jedoch niemals das gewesen, was er versprach. Er ist zwar gewebeverträglich und vermag vom Organismus gut aufgenommen werden, versagt aber bei klaffenden und bei mechanisch beanspruchten Wunden. Letztlich kann man ihn nur in Verbindung mit dem klassischen Nähen verwenden. Und so verwundert es kaum, daß Chirurgen keine Freunde dieses Mittels sind. Sondern Stein und Bein auf das gute alte Nähen schwören, welches ja ihre Künste auch mehr zur Geltung bringt.

Das soll sich ändern. Denn mir schwebt eine radikale Lösung vor. Obwohl abzusehen ist, daß ich für meine »Suppe« keinen Nobelpreis bekommen werde, wird sie der Medizin eine Revolution bescheren. Doch was bedeutet schon der Nobelpreis? Er wurde dem Erfinder der elektrischen Glühbirne auch nicht verliehen, obgleich sie in diesem Jahrhundert größere Umwälzungen verursacht hat als die Spaltung des Atomkerns. Auf die kleinen, unsichtbaren Revolutionen kommt es an!

Mein Anliegen ist es, das umständliche, zeitraubende und ausschließlich von Fachleuten auszuführende Nähen gänzlich abzuschaffen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und glaube, daß mein »Sekundenkleber« eines Tages in jedem Erste-Hilfe-Kasten zu finden sein wird. Eine klaffende Wunde wird einfach an Ort und Stelle wieder zusammengeklebt. Das wird besonders bei Verkehrsunfällen und im Kriegseinsatz lebensnotwendige Bedeutung bekommen!

Folgendes soll erreicht werden: Die primäre Wundheilung schafft die Natur praktisch noch alleine. Die Probleme beginnen erst bei der sekundären Wundheilung. In den meisten Fällen liegen die Wundränder nicht genau aneinander. Oft klafft die Wunde, oder es fehlt ein Stück Gewebe, oder das Gewebe ist so stark beschädigt, daß es abstirbt. In zerrissenes Gewebe dringen schnell Bakterien ein. Man muß also der Wunde nachhelfen, das heißt die Wundränder durch Nähen, Klammern - oder eben durch Kleben miteinander verbinden. Der Idealfall wäre, alle Wunden zur primären Heilung zu bringen.

Selbstverständlich wird auch mein Gewebekleber nicht das vermögen, was geschickte Chirurgenhände zu vollbringen imstande sind. Doch dem verletzten Soldaten an der Front oder dem blutenden Kind bei einem Verkehrsunfall wird bereits der Sanitäter mit diesem Mittel erste Hilfe leisten können.

Gesetzt dem Fall, das Präparat klebt tatsächlich mit Sofortwirkung, gilt es dieses noch wie folgt zu veredeln:

1. Es muß antiseptisch sein bzw. Bakterien schon im Vorfeld des Eindringens in die Wunde »abschnappen«.

2. Durch seine polymerisierende Eigenschaft vernetzt es Wundränder augenblicklich miteinander. Es darf jedoch keinesfalls Luftdicht abschließen. Sauerstoffmangel begünstigt das Ausbreiten von Infektionen.

3. Das Immunsystem darf das Präparat nicht bzw. nicht frühzeitig abstoßen.

4. Die »Suppe« muß sich quasi wie ein Dämon, der in den menschlichen Körper gefahren ist, nach einer Weile wieder in Luft auflösen. Zwei bis drei Wochen erscheinen mir als ein realistischer Zeitraum.

5. Das Präparat muß unkompliziert zu handhaben sein. Praktisch ein Dämon aus der Tube.

Wenn wir dies erreichen können, haben wir der Menschheit in der Tat einen glorreichen Dienst erwiesen.

Was Anerkennung und Traumerfüllung angeht, war ich stets vom Pech verfolgt. Doch warum soll der Mensch nicht auch mal Glück haben?



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