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Vier und vierundzwanzig kleine Überraschungen

Der Kleine Adventskalender
von

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21. Dezember - Madlax

Ich erinnere mich nicht an meine Kindheit. Auch erinnere ich mich nicht an meine Eltern. Ich weiß nur, dass es da einmal einen Mann gab, einen Mann, den ich habe sterben sehen, dem ich mich nahe fühlte. Ich habe gesehen, wie er fiel, wie er starb. Ich denke, es ist mein Vater. Es muss mein Vater sein, da er immer wieder in meinen Träumen erscheint. Jedes Mal, wenn ich im Traum im Kriegsgebeutelten Garza Sonica erwache...
 

Vor Jahren wurde ich zu einer Attentäterin ausgebildet, zu einer Killermaschine, die mit Perfektion arbeitet. Es passiert selten, dass ich einen Misserfolg habe. Meine Missionen sind von Erfolgen gekrönt und dennoch erfüllen sie mich nicht mit Stolz. Es mag daran liegen, dass ich töte. Aber dazu wurde ich ausgebildet. Ich bin die jüngste Attentäterin dieses kriegerischen Landes, das nur wenige hundert Kilometer von Frieden und Freiheit entfernt ist.
 

Doch gibt es auch hier Frieden und Freiheit. Wir besitzen Feriengebiete, die gerade um diese Zeit des Jahres viel besucht werden. In einer Zeit des Jahres, die in anderen Ländern durch ein friedliches weißes Gesicht geprägt wird. Diese Zeit nennt sich dort Weihnachtszeit und auch hier gibt es eine solche, nur ist es hier anders. Während dort Lichter in den Fenstern und an den Weihnachtsbäumen die Umgebung erhellen, sind es hier die Bomben, die vom Himmel fallen und durch ihr fluoreszierendes Licht den Himmel erleuchten.
 

Mir wären die anderen Lichter lieber. Genauso wie vielen anderen, denn in einem Kriegsgebiet zu leben und zu agieren, ist nicht das, was man sich zu einem Fest der Freude und der Familie wünscht.
 

Jeder hat ein Anrecht darauf, schöne Tage zu verbringen, doch unser Militär macht uns ständig mit seinen kriegerischen Aktionen die Hoffnung darauf zunichte. Es ist traurig. Viel zu traurig, um es in Worte zu fassen. Und der Gedanke quält mich, dass ich gerade heute, kurz vor Weihnachten einen Menschen beseitigen muss, der trotz all seiner Machenschaften versucht, Kinder, die hier leben, etwas zu erheitern will.
 

Mit dem Sniper, den Kolben an der Schulter angelegt, lag Madlax auf dem Dach eines Hochhauses und blickte durch das Zielfernrohr auf die Menschenmassen vor einen Einkaufszentrum hinab. Ein Offizier von Garza Sonica stand dort, gekleidet in ein Weihnachtsmannkostüm und verteilte Geschenke an die Kinder derer, die sich keine Geschenke leisten konnten. Auch die anderen Kinder erhielten Geschenke, doch fielen diese um einiges kleiner aus.
 

Madlax öffnete das geschlossene Auge und blinzelte leicht gegen den starken Wind an, der über das Hochhaus sauste. Hier oben war es wesentlich kälter als unten, da dort die Autos durch ihre Abgase die Luft aufwärmten.
 

Die junge Frau richtete ihr Gewehr abermals aus und berechnete im Kopf die Flugbahn der Kugel, welche durch den Wind leicht abgelenkt werden könnte. Und das wäre fatal, da sie Kugel einen unschuldigen Menschen treffen könnte. Einen Menschen, der nur darauf hoffte, ein Fest der Freude zu verbringen, ohne Kugelhagel und Angst.
 

Eigentlich widerstrebte ihr es ein wenig, dass sie diesen Mann nun umbringen musste, aber alles andere wäre nicht richtig gewesen. Selbst dann nicht, wenn sie wusste, dass er eigentlich auch ein guter Mensch war. Einer, der Familie hatte, kleine Kinder, eine Frau, die ihn liebte und Haustiere. Allerdings hatte er sich zum Verbrecher eines ganzen Landes gemacht, in dem er wahrlos hatte Menschen umbringen lassen, weil deren Ideologien nicht mit seiner konform gingen.
 

Langsam begann sie den Kopf zu schütteln. Dafür, was er getan hatte, hatte er es verdient, seiner Gerechtigkeit zugeführt zu werden. Zudem war er einer der Kriegstreiber, die das Land in ständige Auseinandersetzungen scheuchte, ohne dass deren Bewohner dies wollten.
 

Kurz meldete sich in ihr ihr gut gehütetes schlechtes Gewissen, welches sie nur seine menschlichen Seiten sehen lassen wollte, allerdings schob sie dieses rasch beiseite. Dieser Mann mochte menschlich sein, aber gleichzeitig war er eine Bestie, und es war ihre Pflicht, ihn niederzustrecken. Zum Wohle aller...
 

Mit einem kurzen Blick sondierte sie die Lage, in der er sich befand. Immer noch waren unzählige Kinder um ihn herum, welche ihre kleinen Händchen nach den Geschenken streckten, die er an sie verteilte. Eine Situation, wie sie gefährlicher nicht sein konnte, wenn sie unschuldige Opfer vermeiden wollte.
 

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie in der Masse einen Mann, der sich auf ihn zuschob. Dadurch wurden die Kinder auseinander gedrängt und suchten hinter dem Drängler wieder ihre alten Positionen. Bei dem Mann schien es sich um einen Bodyguard zu handeln. Falls dieser nun ankündigte, dass die Veranstaltung beendet wäre, würde ihre Chance vielleicht kommen. Aber auch nur vielleicht. Denn die Möglichkeit, so verschwindend gering sie auch war, dass sie entdeckt wurde, war gegeben.
 

Durch das Zielfernrohr beobachtete sie den vermeintlichen Bodyguard, der das Podium erreicht hatte, die Kinder wegscheuchte und sich neben den Weihnachtsmann stellte.
 

Ihre Chance war gekommen, als der Mann seinem Chef etwas ins Ohr flüsterte. Der Kolben wanderte wieder in richtiger Position an ihre Schulter. Das Zielfernrohr war exakt auf den Weihnachtsmann und die Wetterverhältnisse ausgerichtet. Und dann, als der Bodyguard sich wegdrehte, schoss Madlax.
 

Ohne dem Resultat des Attentats Beachtung zu schenken, packte sie ihren Sniper weg, wische sich die Hände an ihrer Hotpants ab und erhob sich von dem Dach, um über die Feuertreppe das Haus zu verlassen.
 

Das Einzige, das sie von unten vernahm, war der Tumult und das Heulen von Sirenen der Polizei und der Ambulanz.
 

Ihr Auftrag war geglückt und möglicherweise war es nun für einige Menschen mehr möglich, ein ruhiges und schönes Weihnachtsfest zu verbringen.
 

Bisher war es mir nie vergönnt ein unblutiges Weihnachten zu verbringen. Seit ich mich erinnern kann, vergoss ich gerade in dieser Zeit des Friedens das meiste Blut, so dass es für mich langsam zu etwas Alltäglichem wird. Nur denke ich mehr und mehr darüber nach, was ich hier eigentlich mache. Mehr und mehr frage ich mich, ob ich richtig handle. Oft ist die Antwort nein, aber wie in diesem Fall ist sie ja. Da mir kurz nach Erfüllung des Auftrages zugetragen wurde, dass alles anstehenden Exekutionen ausgesetzt worden waren, weil ihr Vollstrecker verstorben war.
 

Und damit blieb noch genug Zeit, um die Unschuldigen zu retten.
 

Ein gutes Gefühl...
 

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© by Sandra Wronna/Merenwen



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tsuki-no-Kage
2005-04-11T07:05:22+00:00 11.04.2005 09:05
Nicht schlecht, aber eine Kleinigkeit is mir dann doch aufgefallen:
Madlax' Gedanken wuerden zwar vielleicht etwas wandern, aber sie wuerde vom Charakter her ihren Auftrag nicht in Frage stellen. Hinterfragen vielleicht, ja.
Und ausserdem wuerde sie nicht das Gewehr absetzen, nur weil sie in diesem einen Moment aus Ruecksicht auf die Kinder nicht schiessen will, sondern es in richtiger Position behalten und sie wuerde auf jeden Fall nachsehen, ob der Schuss ein Erfolg war. Halt wie ein ordentlich ausgebildeter Agent.
Sonst hat mir dein Schreibstil aber sehr gut gefallen.
Du hast ihre Bewegungen gut beschrieben.^^


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