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Deep down

grows our greatest strength
von

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fate's path

2002 - Stockholm
 


 

„Und das soll es nun gewesen sein? Das können sie nicht zulassen! Dann gehen wir eben in Berufung!“ Er gab sich keine Mühe die Stimme zu zügeln und ruhig zu bleiben. Es war eine Farce. Seit Monaten hatten sie auf diesen Moment hingearbeitet. Immer wieder hatte sie ihm versichert, dass er sich keine Sorgen machen müsste. Sie hatten die besseren Argumente. Einem Versprechen dem er geglaubt hatte und nun einen schier unzählbaren Preis zahlen musste.
 

„Es würde nichts bringen Mr. Miller. Sie haben die Urteilsbegründung gehört.“ Durchaus, das hatte er. Und er konnte es noch immer nicht fassen. Bei allem was sie vorgelegt hatten, wie konnte da ein solches Urteil überhaupt möglich sein? Er war schon immer im Dienste des Staates gewesen. Weil er davon überzeugt gewesen war, dass er etwas bewegen konnte. Das es in dieser Welt immer einen Weg gab das Recht zu verteidigen. Sein ganzes Leben hatte er dafür gekämpft, dass so etwas in seiner Stadt keinen Platz hatte. Und nun musste er am eigenen Leib erfahren, dass ihr Rechtssystem völlig versagte.

Sollte er wirklich einfach nur daneben stehen und das so hinnehmen?
 

War es wirklich allen egal, was hier gerade geschah?
 

„Der Kerl ist ein Verbrecher. Sie wissen es! Man kann ihm keine zwei kleinen Kinder anvertrauen! Können sie sich vorstellen, was er mit ihnen machen wird?!“ Ihre Blicke trafen sich, jedoch nur für einen Moment. Während er da stand und nicht wusste, wie er seine Wut in den Griff bekommen sollte, schien sie förmlich seelenruhig hinter ihrem Schreibtisch zu sitzen.
 

Eine Antwort würde sie ihm schuldig bleiben. In diesem Moment schien es wichtiger für sie zu sein ihre Akten zu sortieren und zu verräumen. Eine Handlung die höchstens dann eine Daseinsberechtigung gehabt hätte, wenn sie an einer Zwangsstörung leiden würde. Er wusste allerdings, dass es nicht der Fall war. Viel mehr handelte es sich um einen unangenehmen Tick, der sich zeigte, wenn sie ein Gespräch beenden wollte.
 

„Ich verstehe ihre Wut, doch wir können nichts tun. Der Staat wird einen genauen Blick auf die Situation haben und die Familie durch einen Sozialarbeiter betreuen.“
 

„Anstatt solcher Vorsichtsmaßnahmen sollte man sie lieber erst gar nicht in seine Hände geben! Er ist nicht einmal der leibliche Vater!“ Es waren hübsche Worte, die man ihm auftischen wollte, doch was waren sie am Ende wert? Wie konnte er noch glauben, dass man sich angemessen um diese Kinder kümmern würde, wenn man es in erster Instanz zuließ, dass sie in die Hände eines solchen Menschen gegeben wurden? Er hasste diese Situation, diese Machtlosigkeit, die sich in ihm ausbreitete. Denn am Ende konnte er absolut nichts gegen diese Entscheidung tun. Auf dem Papier hatte er nichts mit den Kindern zu tun. Das er sie gemeinsam mit ihrer Mutter aus noch schlimmeren Verhältnissen herausgeholt hatte, sie dabei unterstützt hatte die beiden Mädchen zu adoptieren und ihnen ein neues Heim zu geben. Oder das er in den vergangenen Jahren wie ein Onkel für sie gewesen war, all das hatte in diesem Moment keinen Wert. Stattdessen entschied ein Stück Papier, ein vermeintlicher Trauschein, über das Schicksal zweier Kinder.
 

„Wenn ich sie daran erinnern darf, das sind sie auch nicht. Hören sie..“ Sie atmete tief durch und lehnte sich vor, faltete die Hände auf dem Schreibtisch. Für einen Moment wirkte es auf ihn so, als würde sie denken sie müsse einem bockigen Kind erklären, warum es heute kein Eis zum Abendessen geben würde. „Ich weiß es ist schwer, doch das ist nun einmal das Gesetzt. Sollte etwas geschehen und es den Kindern nicht gut gehen, dann wird man sich darum kümmern. Und im Sinne der Kinder sollten sie nach all den schrecklichen Ereignissen der letzten Monate endlich ein stabiles Umfeld bekommen, denken sie nicht?“ Angestrengt mahlten seine Kiefer aufeinander. Nein. Er dachte nicht, dass das der richtige Weg war. Für ihn stand fest, dass er das Schicksal dieser Kinder besiegeln würde, sobald er sie in die Hand dieses Verbrechers geben würde.
 

Man könnte der Mutter der beiden sicherlich einiges vorwerfen, doch sicherlich nicht, dass sie sich nicht um die beiden gekümmert hatte. Das wohl der Mädchen war immer das wichtigste für sie gewesen. Er hätte seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass mit diesen Papieren etwas nicht stimmte. Das sie gefälscht waren. Doch weder konnte er es beweisen, noch verstand er die Motivation dieses Mannes hinter all dem.
 

„Sie haben jetzt Zeit sich von den beiden zu verabschieden. Er will sie gleich mitnehmen. Vielleicht ist es besser, wenn sie die Zeit nutzen.“ Wieder mahlten seine Kiefer aufeinander. Nein. Alles in ihm wollte sich weigern diesen Schritt zu gehen, diesen Verrat. Er hatte ihnen versprochen, dass alles gut werden würde. Und nun sollte er sie in die Hand dieses Monsters geben? Und gleichzeitig wusste er darum, das er nun nicht von dieser Verantwortung davonlaufen durfte. Er musste sich dem stellen.
 

Ohne noch etwas zu sagen, ohne diesen sinnlosen Kampf weiter zu kämpfen würde er ihr Büro verlassen. Nicht, ohne die Tür lautstark hinter sich zu schließen und seiner Wut wenigstens so etwas Ausdruck verleihen zu können. Es gab selten Momente in denen er gerne solchen Gefühlen nachgeben würde. Heute war sicherlich einer davon und er konnte auch nicht leugnen, dass er darüber nachgedacht hatte sich diese Kinder einfach zu schnappen und aus der Stadt zu verschwinden. Doch wohin sollte das führen? Damit würde er das Leben für diese beiden Mädchen auch nicht verändern oder besser machen. Immer wieder fragte er sich, als er nun den langen, fensterlosen Gang herunter lief, wie ihre Mutter wohl darüber denken würde. Was sie ihm sagen, was sie von ihm in dieser Situation erwarten würde. Sie wollte das beste für die beiden und das einzige, was er in diesem Moment wohl tun konnte war, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sein Vertrauen nicht mehr in die Behörden zu setzen, nicht darauf zu vertrauen, dass diese das beste für die beiden Mädchen im Blick hatten. Er würde es nun selbst in die Hand nehmen müssen.

Schließlich kam er vor der Tür zum stehen hinter der sich die beiden befanden. Sie wurden von einer Sozialarbeiterin betreut, er konnte das helle Lachen durch die geschlossene Tür hören. Dabei schloss er für einen Moment die Augen, kämpfte gegen die Tränen, kämpfte gegen das beklemmende Gefühl in seiner Brust.
 

Es half nichts.
 

Er legte die Hand an die Türklinke und würde diese öffnen, schob die Tür langsam auf und blickte auf die beiden Mädchen, die dort auf dem Boden hockten. Papier und Buntstifte lagen dort verstreut und ausgebreitet, während sie dabei waren ein gemeinsames Bild zu malen. Auffällig war, dass der kleine Rotschopf bereits ein deutliches Talent aufwies. Zwar hatte er keine Ahnung von Kunst und diesen Dingen, doch er konnte zumindest sagen, dass sie ihrer älteren Schwester dort wohl etwas voraus hatte. Dafür lag deren Talent eher in der Küche. Sie liebte Backwaren über alles.
 

„Onkel Genzo!“ Der Ausruf riss ihn aus seinen Gedanken, er blinzelte, dann sackte er auf die Knie und breitete die Arme aus. Sofort rappelten sich die beiden auf, kamen ihm entgegen gelaufen und stürzten sich lachend in seine Arme. Dabei drückte er die beiden feste an sich, würde sie am liebsten nicht mehr loslassen.
 

„Können wir jetzt endlich wieder nach Hause?“
 

„Ja, du hast versprochen wir gehen Eis essen!“
 

Ja, das hatte er versprochen. Ein Versprechen, welches er nun nicht würde einhalten können. Langsam löste er sich und blickte in die erwartungsvollen Augen, die so unterschiedlich waren, wie die Schwestern selbst. Ein bernsteinfarbenes Paar und eines mit einem dunklen Saphirblau. Was sie allerdings gemeinsam hatten war die Freude und die Hoffnung. So lange hatte er gebraucht, um ihnen diesen Ausdruck zurück zu geben, nach dem Tod ihrer Mutter. Und nun würde er derjenige sein, der ihn wieder zerstören würde.
 

„Nein..“ Seine Stimme war belegt, er musste sich räuspern auch, wenn er ihr nicht die nötige Kraft verleihen konnte. Deutlich spürte er, wie der Klos in seinem Hals stärker wurde. „Das mit dem Eis müssen wir verschieben. Mr. Sawyer wird euch gleich mitnehmen und euch-“
 

„Nein! Warum?! Du hast gesagt wir müssen nicht dahin!“
 

Das hatte er gesagt. Er hatte es gesagt, weil er sich so verdammt sicher gewesen war, dass man die richtige Entscheidung treffen würde. Weil er geglaubt hatte, dass so etwas in ihrem Rechtssystem nicht möglich sein.
 

„Ich will da nicht hin! Du hast es versprochen!“ Tränen überschwemmten die Bernsteine, quollen aus den kleinen Augen hervor und bahnten sich den Weg über die Wangen.

Es zerriss ihm das Herz.
 

„Ich…“ Doch er sollte nicht dazu kommen die Worte zu formen, die ihm so schwer auf der Zunge lagen. Er klopfen an den Türrahmen unterbrach ihn. Dort stand ein Mann, schwarzer Anzug. Breit gebaut, das kantige Gesicht zeigte keine Regung, als er auf die beiden Kinder hinunter blickte. Das schwarze Haar war zu einem strengen, straffen Zopf zusammengefasst.
 

„Gehen wir“, drang es ausdruckslos über seine Lippen. Die Mädchen wichen zurück, wurden aber von der Sozialarbeiterin zurückgehalten und wieder in Richtung Tür geschoben.
 

„Kinder, ihr müsst euch keine Sorgen machen, ihr werdet ein gutes Zuhause bekommen.“
 

„Der Boss wartet auf euch, wir sollten uns beeilen.“ Ein anderer Mann kam dazu und schob ihn auf Seite. Das weiße, krause Haar des anderen war in fünf Zöpfen an den Kopf geflochten. Auch er war breit gebaut und kantig. Gegen ihn wirkten die Kinder wie winzige, kleine Puppen. Sie schrieen, wehrten sich, als sie beide auf den Arm genommen wurden. Die kleinen Fäuste trommelten unaufhörlich gegen den Körper, gegen die Schultern. Er schenkte dem allerdings keine Beachtung und setzte sich wieder in Bewegung, um die beiden hinaus aus dem Zimmer zu tragen. Das Schreien wurde lauter.
 

„Onkel Genzo! Wir wollen das nicht!“
 

„Onkel Genzo!“
 

Hilflos musste er da stehen, hatte keine Zeit gehabt sich zu verabschieden, sich zu erklären. Das einzige was ihm blieb war zu sehen, die die beiden Kinder über den Gang und dann zum Ausgang gebracht wurden. Das einzige was bleiben würde war der Schmerz in seiner Brust und die Schreie, die er nie wieder vergessen würde.

leverage


 

2023 - New York - Tag 1
 


 

„Er wartet. Komm endlich.“ Entnervt stand er in der Tür, hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Deutlich konnte sie seine Blicke in ihrem Nacken spüren. Seit geschlagenen zehn Minuten stand er da und hielt sie von der Arbeit ab, obgleich er wirklich wissen sollte, dass es so eher länger dauerte, anstatt das es schneller ging. Noch ein Grund, warum sie ihn ignorierte und lieber über ihren Schreibtisch gebeugt blieb, um die Banknote weiterhin unter ihrer Lupe zu betrachten, die sie langsam weiter über das Stück Papier schob und jeden einzelnen Millimeter genau in Augenschein nahm. Zwischendurch hob sie den Blick und sah herüber auf ihr Tablet, um dort dann auch ein paar Notizen zu machen. Sie würde all diese Anmerkungen weitergeben müssen und dabei ging es um nicht weniger als Perfektion. Das war es, was von ihr verlangt wurde und gleichzeitig auch ihr eigener Anspruch an sich selbst.
 

„Nami, jetzt!“
 

Sie seufzte tief in sich hinein, legte den iPen zur Seite und richtete sich auf. Ihr Rücken knackte leicht bei dem Wechsel in eine neue Haltung. Erst jetzt merkte sie, dass sie wieder einmal viel zu lange in ein und der selben Position verharrt hatte. Ihr Rücken dankte es ihr mit eindringlichen Schmerzen, die sie daran erinnerten, dass sie endlich wieder mehr Zeit für Sport finden sollte. Vielleicht würde sie es in der kommenden Woche schaffen. Das würde allerdings nur dann funktionieren, wenn er endlich zufrieden mit der Arbeit sein würde. Sie bezweifelte es.
 

„Mach dir nicht ins Hemd Ray. Du brauchst Urlaub.“ Oder eine Freundin. Wobei sie auch keiner Frau zumuten wollen würde sich mit diesem Arschloch zu befassen. Nami erlebte nicht viel von ihm und doch reichte es, um sicher zu sein, dass er keine guten Seiten an sich hatte. All die Jahre in denen sie ihn nun kannte hatte er sich nicht verändert. Das einzige, was darauf hindeutete, dass er älter geworden war, waren die grauen Strähnen, die sich langsam durch das schwarze Haar zogen und durch den streng gebundenen Zopf noch deutlicher hervortraten. Gegen seinen unfreundlichen Gesichtsausdruck half es dennoch nicht.
 

Sie war aufgestanden und griff nach ihrem Blazer, um sich diesen überzustreifen und den Raum zu verlassen. Man konnte sicherlich viel behaupten aber nicht, dass man hier wirklich seriösen Geschäften nachging und dennoch könnte jeder von ihnen diesen Eindruck vermitteln. Ein gepflegtes Auftreten war das mindeste. Niemand würde Ray ansehen, dass auf seinem Rücken ein riesiges Ornament in der Form eines Rochens prangerte, welches gleichzeitig die Ableitung seines Namens war. Sie wusste nicht wie er wirklich hieß. Das wusste niemand von dem jeweils anderen und war sicherlich auch nur eine der Vorsichtsmaßnahmen, die sie gleichzeitig aneinander banden. Denn das er eine Vorliebe für das Meer und seine Bewohner hatte war ein offenes Geheimnis und damit sicherlich die offensichtlichste Verbindung zwischen ihnen allen. Das es allerdings nicht nur ein merkwürdiger Tick war sondern weit mehr dahinter steckte, das hatte sie erst begriffen, als sie an der Reihe gewesen war, um ihr Tattoo zu erhalten und damit in die Familie aufgenommen zu werden. Doch während Ray und die anderen ihre Zeichen und die Namen mit stolz und Loyalität trugen, war es für sie nur ein Mittel zum Zweck. Ein unliebsamer Kompromiss, den sie hatte eingehen müssen, um zu überleben. Das Tattoo war dabei jedoch noch das was sie am ehesten verschmerzen konnte. Das Ablegen ihres Namens war einer Bestrafung gleich gekommen, obgleich Nami damals auch noch viel zu jung gewesen war, um zu begreifen was um sie herum geschah. Dennoch verdeckte sie gerne ihren Oberarm und den Hai, der dort von einer Welle umfangen wurde. Sie war die einzige, deren Tattoo eine direkte Verbindung zu ihm herstellte. Familie verband eben.
 

„Du solltest das ganze ernster nehmen. Er ist verdammt wütend“, murrte Ray nur neben ihr. Mochte ja sein, dass er zu viel Angst hatte, um dem ganzen mit etwas mehr Rückgrat zu begegnen, doch das war bei ihr schon immer anders gewesen. Vielleicht auch der Grund, warum sie überhaupt in diese Lage geraten war. Zwar gab es da noch andere Gründe, doch war es sicherlich mehr als das. Nami hatte schon immer Wiederworte gegeben, hatte sich nicht einschüchtern lassen. Ray nannte es dumm, doch bisher hatte es sie auch noch nicht umgebracht. Im Gegenteil. Nami. Welle. Der Name war sicher ihrer aufbrausenden Art zuzuschreiben. Wäre es anders hätte sie am Ende sicher einen beknackten Namen wie Star, als Anlehnung an einen Seestern oder Okta. Wobei letzterer schon vergeben war und zwar an den Mann, der in der unteren Etage auf sie wartete und unruhig auf und ab lief. Nami hatte ihn schon immer als den zugänglichsten von ihnen allen empfunden und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie genau er eigentlich hier herein passte. Sie kannte all diese Menschen seit über zwanzig Jahren und seit über zwanzig Jahren legte Okta diese merkwürdige Nervosität an den Tag, als hätte er sich noch immer nicht daran gewöhnt, womit er eigentlich sein Geld verdiente.
 

„Da seid ihr ja, warum hat das so lange gedauert?“
 

„Ich musst noch etwas fertig machen. Ihr wisst genau, dass meine Arbeit nicht besser wird, wenn ihr mir auf die Nerven geht“, wandte sie nur trocken ein. Es war ein ewiges Streitthema aber inzwischen glaubte sie nicht, dass sich darin noch einmal eine Besserung einstellen würde. Es war vergeblich, diese Kerle besaßen einfach nicht den nötigen Feinsinn oder Ahnung von Kunst. Und in gewisser Weise war es das, was Nami machte. Obgleich andere es sicherlich anders nennen würden.
 

„Versuch bloß nicht deine Fehler auf uns zu schieben.“ Okta rieb sich die Hände und schüttelte den Kopf. Offensichtlich erwartete er, dass sie versuchen würde irgendetwas auf sie abzuwälzen. Ein Gedanke der durchaus nicht unberechtigt war. Nami war nicht verlegen darum die Fehler und Versäumnisse anderer aufzuzeigen. Besonders nicht, wenn es auch tatsächlich so war. Als sie noch jünger gewesen war und sich einmal unerlaubter Weise aus dem Haus geschlichen hatte, um anschließend betrunken aufgegriffen zu werden, hatte sie allerdings die Schuld auf Okta geschoben. Es war tatsächlich das einzige Mal gewesen, wo Nami es bereut hatte. Die breite Narbe auf seiner Stirn erinnerte sie immer wieder daran was sie getan hatte und, dass Okta trotz allem geschwiegen und sie nicht verraten hatte.
 

„Wovon sprichst du?“ Fragte sie trocken, als sie sich an ihm vorbei schob und den Weg fortsetzte.
 

„Du hast deinen Job nicht richtig gemacht und der Boss ist ziemlich angefressen“, war es nun Ray der sie aufklärte und dabei für einen Moment ein fast schon hämisches Grinsen zeigte. Er gehörte sicherlich zu denjenigen, die bereits seit Jahren darauf wartete, dass sie einen Fehler machte und man sie ihnen zum Fraß vorwerfen würde.
 

„Er ist immer angefressen.“ Wirklich gute Laune hatte er nur, wenn andere unter seinen Entscheidungen litten. Ansonsten wirkte es so, als würde immer eine Gewitterwolke über seinem Kopf schweben und ihn könne nichts zufriedenstellen. Entsprechend fragte Nami sich nun, was genau man ihr mit dieser Aussage eigentlich sagen wollte. Wenn er sich erhoffte, dass Nami sich ängstlich oder unsicher zeigte, dann hatte er in den vergangenen Jahren wirklich nichts gelernt. Denn während Ray sicherlich auf jeden noch so kleinen Fehltritt von ihr wartete und sich danach verzehren würde das zu erleben, tat Nami alles dafür, damit genau das nicht passierte. Sie würde sich im wahrsten Sinne lieber eine Hand abhacken, als zuzulassen, dass er diese Genugtuung bekommen würde.
 

„Das ist was anderes“; setzte Ray noch einmal nach, während sie sich nun gemeinsam auf den Weg machten. Nami führte die kleine Gruppe an und konnte in ihrem Rücken die beiden, großbewachsenen Kerle spüren. Okta’s unruhiges Atmen drang unerträglich Laut an ihre Ohren, während sie das Gefühl hatte Ray’s abfälliges Grinsen deutlich spüren zu können. Die beiden Männer könnten nicht unterschiedlicher sein und nicht zum ersten Mal fragte sich Nami wie es dazu gekommen war, dass ausgerechnet sie hier ihre gemeinsame Berufung gefunden hatten. Doch während diese Kerle nahezu alles über Nami, ihr Leben und ihre Vergangenheit zu wissen schienen, wusste sie selbst verschwindend gering. Es gab ein paar Puzzleteile, die sie hatte und auf dem Tisch herumschieben könnte und dennoch wäre sie nicht fähig damit ein ganzes Bild zu formen. Egal.
 

Ihre Gedanken verstreuten sich, als sie die laute Stimme hörte. Er schrie. „… bloß nicht ohne Ergebnisse zurück!“ Waren die ersten Worte, die sie von seinem Gebrüll verstehen konnte, als die Tür zu seinem Büro aufgestoßen wurde und ein schlaksiger, blonder Kerl heraus eilte. Die Tür schlug wieder hinter ihm zu, während Archer mit genervter Miene auf sie zugelaufen kam. Als Nami sein Tattoo das erste Mal gesehen hatte, bei dem sich die eher kleinen Fische sein Bein hinauf schlängelten, hatte sie nicht verstanden, warum er ausgerechnet diesen Fisch zugewiesen bekommen hatte. An der Größe lag es zumindest nicht, dafür aber an seinen durchaus überragenden Schussfähigkeiten. Er war Scharfschütze und konnte mit nahezu jeder Schusswaffe umgehen. Auch jetzt trug er eine an der Hüfte und zwei weitere in Holstern unter seinen Armen. Es mochte niedlich klingen, dass Schützenfische mit ihrer Spucke ihre Beute abschossen, doch an Archer war absolut gar nichts niedlich.
 

„Sieh zu, das du deine Scheiße wieder ausbügelst!“ Fuhr er Nami an, während er an der Gruppe vorbei lief. Okta atmete zittrig durch. Konnte er sich nicht einmal zusammenreißen? Er machte Nami ganz unruhig und es fiel ihr immer schwerer seine unruhige Stimmung hinter sich zu ignorieren. Und das musste sie, wenn sie nun dort hineingehen würde.
 

Kaum, dass sie die Tür erreicht hatten trat Ray an ihr vorbei und klopfte. Dabei richtete er den Blick auf sie und bemaß sie noch einmal mit einem schadenfrohen Blick. „Viel Spaß Prinzessin“, wünschte er noch, bevor sich die Tür öffnete. „Wir warten hier auf dich.“ Nami hatte keinen Zweifel daran. Selbst wenn die Befehle andere sein würden, er würde sich keinen Millimeter weg bewegen, damit auch auch ja nichts von dem verpassen würde, was nun kommen würde. Sie schaffte es gerade so nicht die Augen zu verdrehen und sich lieber auf das zu konzentrieren was vor ihr lag.
 

Sie betrat den großen Raum, der nur von dem Licht erhellt wurde, welches das riesige Aquarium ausstrahlte, das die gesamte hintere Seite des Zimmers einnahm und fast bis unter die Decke reichte. Würde man nicht wissen, dass es einen Zugang über die obere Etage gab, dann müsste man sich nun fragen, wie es möglich war, dass die Fische ihr Futter bekamen. Es war alles eine gut gemeinte Illusion. Das Becken erhellte den Raum in einem kühlen blau, während man die verschiednen Fische beobachten konnte, die darin herum schwammen und sich von einer Seite zur anderen bewegten. Ein träges, monotones Leben, welches diese Exoten dort fristen mussten. Und Exoten waren sie tatsächlich. Sie wollte gar nicht erst wissen, wie viel Geld diese Anlage verschlang. Es gab extra Personal, welches nur dafür zuständig war, dass es den Fischen gut ging und diese Exoten überlebten von denen sicher kein einziger auf legale Weise den Weg hierher gefunden hatte. Wenn man einmal ausblendete, dass es das Leben dieser wunderbaren Tiere drastisch verkürzte und Ökosysteme beschädigt wurden, dann konnte das ganze sogar recht ansehnlich und beruhigend wirken.
 

Vor dem Aquarium befand sich ein riesiger Schreibtisch, massiv, schönes Holz und lediglich ein zur Show stellen des eigenen Ego’s. Wie alles was sich in diesem Raum befand. Dahinter saß ein großer, breit gebauter Mann. Er trug ein Hemd in einem hellen Lila, Flieder vielleicht, welches sich gut von der etwas dunkleren Haut abhob. Der Hang zu Maorizeichnungen und Tattoo’s kam nicht von ungefähr musste man hier festhalten.
 

Aron Sawyer sprach nie über seine Vergangenheit, über seine Herkunft. Und niemand würde es wagen ihm eine persönliche Frage zu stellen. Die bedrohliche, lauernde Ruhe die er ausstrahlte hinderte die meisten schon daran überhaupt den Mund in seiner Gegenwart zu öffnen und einen Mucks von sich zu geben. Ansonsten würde Nami ihn als durchschnittlichen Kerl bezeichnen. Das dunkle, leicht gelockte Haar fiel ihm bis auf die Schultern, wenn er es offen trug. Seine Statur zeigte, dass er regelmäßig und hart trainierte, während sein Gesicht eher durchschnittlich war. Ein breiter Mund mit schmalen Lippen und eine Nase, die mit ihrer Größe und Länge hervortrat, die durchaus ungewöhnlich und fast schon irritierender war. Seit ihm ein Stück des linken Nasenflügels fehlte - welches er bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei zugezogen hatte - war es noch irritierender.
 

Während Nami mit ruhigen Schritten auf den Schreibtisch zulief folgen die dunklen Augen ihr ohne, dass er etwas sagte. Das tat er auch nicht, als Nami schließlich vor ihm zum stehen kam. Auf dem Tisch selbst befand sich nicht viel, er liebte seine Ordnung. Ein MacBook lag da, zugeklappt. Ein Füller in Gold gehalten, ein Hai, der in Bronze gegossen war und als Skulptur auf der linken Tischseite stand. Und dann, war da noch etwas. Nami zog die Brauen zusammen und richtete den Blick auf den Gegenstand, den er zwischen seinen Fingern drehte und dann schließlich zwischen sie beide auf den Tisch legte, damit sie einen genaueren Blick darauf riskieren konnte.
 

„Was ist das?“ Seine Stimme war ruhig und doch konnte Nami die Drohung spüren, die damit verbunden war. Sie hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und versuchte so gelassen wie nur möglich zu bleiben. Es gab schon oft Auseinandersetzungen und Streit. Momente in denen er mit ihrer Arbeit nicht zufrieden gewesen war. Es war ihr nicht fremd und doch wusste Nami instinktiv, dass das hier etwas anderes war.
 

„Eine ID Karte.“ Nami bemühte sich die Worte möglichst locker klingen zu lassen, obgleich sie wusste, dass das nur die halbe Wahrheit war. Es war nicht irgendeine ID Karte. Es war eine ID, die sie vor geraumer Zeit hatte anfertigen sollen und bei der sie bereits damals ein schlechtes Gefühl gehabt hatte. Wenn Aron etwas brauchte, dann war es ihre Aufgabe es zu fälschen. Seien es Lieferscheine, Checks, Ausweise oder Geld. Egal wie schwer oder unmöglich es erscheinen mochte, sie musste es möglich machen, obgleich es durchaus technische Grenzen gab, die sie nicht überwinden konnte. Um ihr die dazu nötigen Fähigkeiten zu verschaffen hatte er ihr nicht nur ein teures Kunststudium finanziert sondern auch ein Praktikum bei einer Bundesbank arrangiert. Die Beziehung zu dem Kerl aus der Bundesdruckerei, die sie für zwei Jahre gepflegt hatte, um an wichtige Informationen zu gelangen war bisher allerdings der Gipfel des ganzen. Natürlich gab es auch andere Leute von denen man lernen konnte, andere Fälscher die ihr Wissen weitergaben, wenn man sie dazu brachte. Seit fünfzehn Jahren lernte sie ihr Handwerk auf den verschiedensten Ebenen, denn Aron war nicht dafür bekannt nur auf ein Pferd zu setzen. Und Informationen nur von einer Quelle zu erhalten war durchaus naiv. Wenn es um Ausweisdokumente oder Geld ging? Durchaus. Alles andere war aus Nami’s Sicht eher eine Spielerei.
 

Ihr Gegenüber verengte die Augen, sie konnte die aufsteigende Wut deutlich spüren. Wenn sie sich verschätzte und ihn nun dazu bringen würde auszurasten, dann würde sie dieses Gespräch nie wieder auf sicheren Boden lenken können, dessen war sie sich bewusst.
 

„Erklär mir.. warum mein Fahrer damit aufgeflogen ist und meinen Container nicht vom Hafen wegschaffen konnte.“ Nun, das war ungünstig. Nami sah ihm einen Moment in die Augen, dann griff sie nach der Karte und würde sie sich ansehen, einen Moment zwischen den Fingern drehen. Sie war nicht nachlässig und auch auf den ersten Blick gab es keinen offensichtlichen Fehler, der ihr ins Auge springen könnte. Es lag also nicht an ihrer schlampigen Arbeit.
 

„Haben sich die Sicherheitsanforderungen verändert?“ Fragte sie dann ruhig und würde die Karte wieder sinken lassen. Sie legte sie zurück auf den Schreibtisch und würde ihre Hand zurück in die Hosentasche schieben, während ihre Miene ungerührt blieb.
 

„Wenn es so wäre, warum weißt du nichts davon und gibst ein fehlerhaftes Dokument heraus?“
 

„Wenn bekannt ist, dass die Bestimmungen am Hafen sich neuerdings öfter verändern und verschärfen, warum bekomme ich dann erst einen Tag vorher bescheid, dass von dort Container geholt werden sollen und wir einen neuen Ausweis brauchen?“ Fordernd hob sie die Augenbrauen. Aron mochte es sicherlich nicht, wenn seine Mitarbeiter ihm nicht gehorchten und jemand aus der Reihe tanzte. Allerdings waren die Bedingungen für Nami schon immer andere gewesen auch, wenn sie nicht vermochte zu sagen woran genau das lag. Allerdings gab es ihr nun auch die Möglichkeit die Kritik zurück zu geben und deutlich zu machen, dass sie nicht die einzige war, die hier Mist gebaut hatte. Er wusste genau, dass er immer schnell das bekam was er verlangte, doch mit so kurzem Vorlauf war es schlichtweg unmöglich auch noch eine ausführliche Recherche über aktuelle Sicherheitsbestimmungen zu machen. Die sich normalerweise ohnehin nie drastisch veränderten. Kein Unternehmen gab alle zwei Minuten neue Ausweise heraus und sicherlich hatte Nami in diesem Fall einfach darauf spekuliert, dass es auch hier so sein würde. Das sie sich in diesem Fall verschätzt hatte war unglücklich, zumal sie sich auch denken konnte was das bedeutete.
 

„Mein Fahrer wurde festgenommen und der Container beschlagnahmt. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?“ Durchaus. Es bedeutete, dass die Polizei Nachforschungen anstellen würde. Man würde versuchen zu erfahren wem der Container gehörte, wo der Fahrer ihn hatte hinbringen sollen. Natürlich war Aron nicht so dumm einem einfachen Fahrer irgendwelche Informationen an die Hand zu geben, die ihn verraten könnten. Und es gab auch nur Verbindungen zu einer Scheinfirma, deren Briefkasten auf irgendeiner Insel im Pazifik lag. Man konnte nichts zurückverfolgen. Dennoch würde die Sache erst einmal breit getreten werden und das bedeutete wiederum, dass die Geschäfte nicht wie gewohnt über den Hafen laufen konnten. Er hasste es, wenn sich Pläne änderten und die Dinge nicht reibungslos liefen.
 

„Die Tatsache, dass wir dieses Gespräch führen und du den Ausweis hast sagen mir, dass du und dein Mann bei der Polizei alles im Griff habt“; wandte sie trocken ein. So war es doch. Der Ausweis war sicher nicht vom Hafen zurück zu ihm geflogen. Es handelte sich dabei um Beweismaterial, welches eigentlich in einem Beweismittelbeutel sicher, in der Aservatenkammer liegen sollte. Tat es aber nicht. Jemand wie Aron hatte natürlich auch jemanden bei der Polizei und dieser jemand schien bereits schwer damit beschäftigt zu sein Spuren zu verwischen und sich darum zu kümmern, dass man das ganze nicht weiter zurückverfolgen konnte.
 

Für einen Moment blickte er sie schweigend an, dann zogen sich die Lippen zu einem breiten Grinsen auseinander und sein schallendes Lachen dröhnte durch den Raum. Es amüsierte ihn jedes Mal auf’s neue, dass sie sich nicht von seiner schlechten Laune irritieren ließ. Okta hätte sich schon längst auf den Boden geworfen und um Vergebung gebeten. Auch so jemanden brauchte man unter seinen Leuten, doch es war offensichtlich, dass es ihn zunehmend langweilte, wenn alle nur Angst vor ihm hatten.
 

„Durchaus, die Lage ist unter Kontrolle auch, wenn ich es nicht leiden kann, dass die Bullen sich nun genauer umsehen werden und wir uns in nächster Zeit von unserer besten Seite zeigen müssen.“ Nami sah dabei zu, wie er sich erhob und sich auf den Weg zu der Minibar machte. Eiswürfel fielen in das Glas, während er eine der Flaschen aus dem Regal nahm und sich etwas einschenkte.
 

„Die habe ich ganz neu rein bekommen.. kommt aus Colorado“, erzählte er dabei und beobachtete wohl andächtig, wie die Flüssigkeit sich um die Eiswürfel schmiegte. Die Flasche wurde zugedreht und zwischen die anderen gestellt. Hier befand sich nur eine kleine Auswahl der aktuellen Lieblingstropfen, wie er es selbst gerne bezeichnete. Doch entgegen vieler Erwartungen handelte es sich dabei nicht um edlen Cognac, Scotch oder andere Alkoholiker. Nein, Aron sammelte und liebte Wasser. Er hatte Faschen aus den verschiedensten Ländern. Die teuerste Flasche hatte ihn 50.000 gekostet, wobei Nami sich sicher war, dass der Preis eher an den 24 Karat Goldüberzug der Flasche lag und weniger an dem Inhalt der aus Frankreich oder den Fidschi-Inseln stammte. Doch das spielte keine Rolle. So wie andere Menschen Briefmarken sammelten, sammelte Aron Wasser, Flaschen und genoss in seiner Freizeit die schönsten Tropfen. Es gab sicherlich schrägere Macken, die ein Kerl wie er haben konnte und, wenn man bedachte das er ungerne die Kontrolle verlor, dann war es durchaus passend.
 

„Weißt du, was ich nicht leiden kann?“ Er hatte sich wieder zu ihr herumgedreht. Nami wusste, dass es keine Frage war auf die er eine Antwort erwartete, also schwieg sie einfach und sah zu, wie er sich langsam auf sie zubewegte. Dabei trank er einen Schluck des Wassers. Während sie ihm mit dem Blick folgte war sie irgendwann gezwungen den Kopf leicht in den Nacken zu legen, um noch die Möglichkeit zu haben, ihm ins Gesicht sehen zu können. Er überragte sie um einiges und sicherlich war seine Größe auch etwas, das viele bereits einschüchterte ohne das sie wissen mussten, mit wem sie es zu tun hatten.
 

Er hob die Hand, die er zur Faust geballt hatte und drückte ihr die Fingerknöchel unter ihr Kinn, schob dabei ihren Kopf grob in den Nacken. Nami hatte Mühe dagegen zu halten und nicht das Gleichgewicht zu verlieren, obgleich sich seine Knöchel schmerzlich in ihre Haut bohrten.
 

„Ich kann es nicht leiden, wenn ich hinter meinen Leuten aufräumen muss, weil sie ihre verdammte Arbeit nicht machen.“ Die Atmosphäre im Raum hatte sich deutlich verändert. Sein Blick ließ keine Wiederworte zu und so konnte sie nichts anderes tun, als ihn einfach nur anzublicken. „Dir wird so ein Fehler nie wieder passieren. Ansonsten werde ich das niedliche Café deiner Schwester einstampfen und sie zurück ins Pearl holen, haben wir uns verstanden?“
 

Es gab sicherlich wenig, mit dem man ihr wirklich drohen konnte, doch das? Ja, das traf. Viel zu hart hatte Nami dafür gearbeitet wenigstens ihre Schwester aus der Schusslinie des ganzen zu ziehen, damit sie ihren Traum leben und ihr Café eröffnen konnte. Weg von dem Dreck, weg von all dem schlechten was Aron um sich herum anhäufte und mit dem er sie alle beschmutzte. Denn eines war klar; sollte diese ganze Sache irgendwann einmal hochgehen, dann würde er sie alle mit sich reißen und Nami würde dem nicht entgehen können. Sollte er es also ernst meinen, und das tat er, dann würde er ihrer Schwester alles nehmen, mehr als ihr Café. Das Pearl war für die einen der Himmel, für die anderen die Hölle auf Erden. Je nachdem auf welcher Seite man stand und in ihrem Fall wäre es letzteres.
 

„Ich sagte; hast du verstanden?“ Er war ihr nah gekommen, hatte sich zu ihr herunter gebeugt und die Faust unter ihrem Kinn gelöst. Dafür umfasste seine große Hand nun grob seinen Kiefer und drückte dort schmerzlich zu, so dass Nami kaum fähig war den Mund für eine Antwort zu öffnen.
 

„Verstanden“; brachte sie dann doch irgendwann mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Schmerz war unerträglich, sein Griff fühlte sich an wie ein Schraubstock, welcher sich immer enger um ihren Kiefer schloss und dafür sorgte, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Sie hasste ihn so sehr!
 

Aron nickte, stieß sie zurück und Nami stolperte ein paar Schritte nach hinten, konnte sich aber noch fangen, bevor sie das Gleichgewicht verlor. Mit gesenktem Blick griff sie nach ihrem Blazer, straffte diesen und richtete sich dann wieder auf. Regel Nummer eins: Zeig keine Schwäche.

„Und jetzt geh mir aus den Augen.“
 

Etwas das er ihr nicht zweimal sagen musste. Ohne ein weiteres Wort wandte sich Nami ab und würde sich auf den Weg machen, um das Zimmer zu verlassen. Noch immer konnte sie seinen Griff am Kiefer spüren. Wenn sie Pech hatte, dann würde sie die nächsten Tage damit verbringen die dunklen Male zu Überschminken, damit ihre Schwester sich keine unnötigen Sorgen machte.

Unverwandt stieß sie die Tür auf und zwang Ray damit einen Schritt zurückzutreten, um ihr auszuweichen. Sein Blick sagte ihr, dass er nicht zufrieden war und sich durchaus mehr erhofft hatte zu hören. Mehr Geschrei vielleicht oder das sie wenigstens heulend aus dem Büro kommen würde. Da weder das eine noch das andere der Fall waren konnte man ihm den Missfallen des ganzen deutlich ansehen.
 

„Was hat er gesagt?“ Okta klang unsicher, vielleicht machte er sich wirklich ernsthafte Gedanken, doch selbst wenn dem so war; Nami würde ihm keine ehrliche Antwort darauf geben.
 

„Das geht euch nichts an. Müsst ihr nicht arbeiten?!“ Fragte sie nur genervt zurück, doch jemand anderes sollte diese Frage für sie beantworten. Es war Aron, der die Stimme erhoben hatte und die beiden zu sich herein rief. Wenig freundlich und mit deutlichem Missfallen. Etwas das zumindest dafür sorgte, dass die beiden ihr nicht länger auf die Nerven gingen und sich in sein Büro hinein trollten. In so einer Phase war es besser ihn nicht warten zu lassen, zumindest wenn man seinen Ärger nicht auf sich ziehen wollte.
 

Zurück blieb Nami, die einen Moment durchatmete und sich über das Gesicht strich. Verdammte scheiße! Das traf es doch am besten. Aber sie konnte sich nicht weiter damit aufhalten. Sie musste hier raus, Abstand bekommen. Es war ein langer Tag gewesen, sie lag gut in der Zeit für die nächsten Aufträge und wenn sie nur eine Minute länger hier bleiben würde, dann würde sie durchdrehen. Sie wusste, dass der Fehler nicht bei ihr zu suchen war und Nami zweifelte nun gewiss nicht an sich oder ihrer eigenen Arbeit. Das, was sie daran so aufwühlte, war der Umstand, dass er ihre Schwester in das alles mit hineinzog. Doch das hatte er schon immer getan. Immer dann, wenn Nami nicht gehorcht hatte war es nicht sie gewesen, die den Preis dafür hatte zahlen müssen. Und doch hatte sie geglaubt, dass sie endlich über diesen Punkt hinweg waren und sie Nojiko aus seiner Schusslinie gebracht hatte. Scheinbar hatte sie sich schwer darin geirrt.
 

Ihr Weg führte sie ins untergeschoss und von dort aus weiter zur Garage. Wobei Garage es nicht ganz traf. In der Halle standen diverse Fahrzeuge, die von verschiedenen Fahrern besetzt werden konnten, wenn es sein Wunsch war. Um die Uhrzeit, und wenn keine Termine anstanden, war es hier allerdings ruhig. Zudem schien Nami Glück zu haben.
 

„Sieh an, was die Hölle da ausgespuckt hat. Was führt dich zu mir?“ Er ließ sein Handy sinken und grinste sie breit an. Das grüne Haar war ordentlich mit Gel zurückgestrichen, während die Ärmel seines Hemdes hoch gekrempelt waren. Die Krawatte hatte er gelöst und locker um den Hals hängen. Viel schlimmer war jedoch, dass er auf der Motorhaube eines Wagens im Schneidersitz hockte und es sich dort gemütlich gemacht hatte. Hätte ihn jemand anderes so erwischt, dann wäre das Donnerwetter sicher vorprogrammiert.
 

„Kannst du mich in die Stadt fahren?“
 

„So schlimm?“ Fragend hob er die Brauen und blickte sie forschend an. Ronan hatte nur ein Auge, über das andere zog sich eine große Narbe, die ihn hatte erblinden lassen. Daher auch sein Spitzname; Zorro. Er fiel sicherlich aus dem Muster des ganzen, war aber auch noch nicht besonders lange dabei. Drei Jahre spielte er nun schon den Fahrer für Aron und schien den Job noch immer nicht wirklich ernst zu nehmen. Allerdings war er kein Arschloch und auch wenn Nami ihn nicht als Freund bezeichnen würde, so war er zumindest ein Vertrauter.
 

„Ich will einfach nach Hause.“ Glücklicherweise wohnte sie nicht mehr hier. Es war ein Kampf gewesen, dass Aron sie hatte ausziehen lassen, doch Nami hatte nie verstanden was eigentlich sein Problem gewesen war. Ihnen war beiden klar, dass sie ihm nicht einfach davonlaufen würde.
 

Zorro sah sie schweigend an, nickte dann aber und schob sich sein Handy in die Hosentasche, bevor er sich dann von dem Wagen hinuntergleiten lassen würde. Ohne noch etwas zu sagen würde er einsteigen und Nami würde um den Wagen herumgehen, um auf der Rückbank einzusteigen und sich dort seufzend in den Sitz sinken zu lassen. Sie schloss die Augen, würde dabei lauschen, wie der Motor leise ansprang und der Wagen sich langsam in Bewegung setzte. Er würde langsam durch die Halle Fahren, aus dem Tor heraus, welches sich automatisch öffnete und dann die lange Auffahrt hinunter. Und mit jedem Meter würde sie mehr Abstand zwischen sich und dieses Anwesen bringen und ihr das Atmen ein wenig leichter machen.

abysses


 

2023 - New York
 


 

„Ziemliche Scheiße ist das.“ Das war nicht zu leugnen. Allerdings hatte er diese Feststellung bereits vor zwei Stunden getroffen, als sie hier eingetroffen waren und man ihnen die Akten zugänglich gemacht hatte. Auf dem Flug hatten sie Zeit gehabt sich mit allem vertraut zu machen, waren alles durchgegangen was es zu wissen gab. Nun standen sie hier und blickten in einen Container hinein. Man hatte ihn inzwischen vom Hafen abtransportiert und zur Untersuchung auf ein Gelände der Polizei gebracht. Die Spurensicherung war mit ihrer Arbeit vor kurzem fertig geworden und neben der offensichtlichen Suche nach Fingerabdrücken war es auch die Suche nach DNA und das Analysieren der Flüssigkeiten, die man hier gefunden hatte. Inzwischen war der Container voll mit Markierungen, wo man Beweise gefunden und Proben genommen hatte. Staub des Fingerabdruckpulvers hing in der Luft und mischte sich in den Geruch von Eisen, Urin und Fäkalien. Es war ein schrecklicher Gestank, der auch nicht abziehen wollte, obgleich man den Container über die letzten Tage nicht verschlossen hatte. Es war, als wären all diese Gerüche in das Metall gedrungen und würden nun davon ausgestrahlt werden.
 

Während ihr Partner sich den Container genauer ansah, wandte sie sich wieder ab und schüttelte den Kopf. Genau genommen war es nicht ihre Sache sich damit zu befassen. Sie waren hier, um einen Eindruck des Falles zu bekommen, mit welcher Größenordnung man es hier zu tun hatte, doch zu ermitteln und die richtigen Fragen zu stellen war nicht ihre Aufgabe. Man hatte sie als externe Berater angefordert. Und während ihr Partner eher ein Experte des organisierten Verbrechens und Waffenexperte war, lag ihre Expertise eher in der Dokumentenanalyse. Dabei hatte sich ihr Schwerpunkt in den Vergangenen Jahren auf Fälschungen gelegt und ihr geschichtliches Wissen in alten Verfahren war dabei sicherlich nur eine hilfreiche Komponente. Hinzu kam ihr Fabel für Sprache und Schrift. Erpresserschreiben wurden ihr normalerweise auch gerne zur Analyse vorgelegt. Sei es was den Sprachgebrauch, die Schrift selbst oder auch das Papier anging, welches genutzt worden war. Viele Menschen unterschätzen was alleine diese Komponente aussagen und wie viele Hinweise sie geben konnte.
 

Nur, dass das Dokument, welches sie hatte analysieren sollen, verschwunden war. Das einzige was man noch hatte war ein Foto des Ausweises und das war wahrlich wenig mit dem sie arbeiten konnte. Franklin hatte da schon mehr und so hatte sie sich dazu entschieden ihn zu begleiten bis die hiesige Polizei das Rätsel um den verschwundenen Ausweis gelöst hatte. Für sie lag allerdings nichts rätselhaftes darin. Beweismittel verschwanden nicht einfach. Nicht, wenn sie derart wichtig waren. Etwas am Tatort zu übersehen war das eine, wenngleich es auch nur schlechte Polizeiarbeit widerspiegeln würde. Doch Beweise, die es bereits in die Arservatenkammer geschafft hatten, fielen nicht einfach aus einer Kiste und rutschten unter einen Schrank. Es war offensichtlich, dass man hier ein internes Problem hatte, welches dringend aufgearbeitet werden musste, obgleich auch das nicht ihre Sorge war.
 

Wenn man es so betrachtete, dann stand sie dem ganzen mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber. Wenn es hier nichts für sie zu tun gäbe, dann würde sie bald ohnehin wieder in einem Flugzeug zurück nach Hause sitzen. Es war ein Fall von vielen und sie würde ihm nur die nötige Aufmerksamkeit zukommen lassen.
 

„Die Mädchen müssen über Wochen hier drinnen eingesperrt gewesen sein.. Manche haben versucht sich loszureißen. Kann man ihnen nicht übel nehmen, dass sie es mit der Leiche versucht haben. Ne ziemliche Scheiße ist das.“ Er wiederholte sich. Bedachte man, wie die Mädchen hierin festgehalten wurden und zu welchen grausamen Taten man sie in ihrem Überlebenskampf gezwungen hatte, dann war es sogar mehr als das. Doch so gerne sie auch sagen würde, dass solche erschreckenden Taten die Ausnahme waren, so war es das gewiss nicht. Menschen taten anderen Menschen jeden Tag aufs neue grausame Dinge an und nur ein Bruchteil des Ganzen drang je an die Oberfläche.
 

„Robin? Bist du noch da?“
 

„Wo sollte ich hingegangen sein?“ Inzwischen lehnte sie an einigen Kisten, die in der Nähe des Containers abgestellt worden waren. Dabei hielt sie die Arme vor der Brust verschränkt und wartete einfach ab, bis er den Kopf wieder hinaus steckte. Franky war ein kantiger Mann. Und während das Kinn stets glatt rasiert war schwankte sein Haar zwischen fünf Millimetern und Elvis Tolle. Aktuell war es ersteres, was zumindest dafür sorgte, dass man ihm mit mehr Ernst begegnete. Respekt verschaffte er sich in beiden Fällen, doch wirkte die Tolle oftmals ein falsches Bild vermittelte, wenn sie gepaart wurde mit den Sprüchen, die er manchmal an den Tag legen konnte. Kannte man ihn nicht, dann wirkte er schrecklich irritierend auf andere.
 

„Willst du dir das nicht auch ansehen?“
 

„Nicht mein Fachgebiet. Und ich weiß nicht wie viel Arbeit wir hier investieren sollen, wenn die örtliche Polizei es nicht einmal schafft die Beweise beisammen zu halten. Wir haben lediglich einen Container. Keine wirkliche Basis, um damit zu arbeiten, findest du nicht?“ Sicherlich war das ein Punkt, den sie diskutieren sollten, denn Robin sah hier wenig Ansatzpunkte und am Ende waren sie auch darauf angewiesen, dass man ihnen ausreichend Beweise und Informationen zur Verfügung stellte. Wenn das nicht gegeben war hatten sie keine Basis auf der sie anfangen konnten ihre Profile zu erstellen und Schlüsse zu ziehen.
 

„Du willst abreisen.“ Es war weniger eine Frage, als eine Feststellung. Dabei warf er noch einmal einen Blick in den Container und würde sich dann zu ihr begeben, um sich neben ihr auf eine der Kisten zu setzen. Für einen Moment wartete sie ab, ob er vielleicht mehr dazu sagen würde, doch als nichts weiter kam, außer sein nachdenkliches Schweigen, seufzte sie nur.
 

„Nach allem was wir bisher wissen haben sie nichts brauchbares gefunden. Fingerabdrücke, die sich im System nicht zuordnen lassen und sicherlich von Menschen stammen, die nicht in diesem Land leben. Alle DNA Spuren stammen von den Mädchen, die sich entweder weigern zu sprechen, zu traumatisierte sind oder schlichtweg nichts wissen. Der Fahrer spricht angeblich kein Englisch und beruft sich darauf, dass er einfach nur die Lieferung abholen sollte und nicht wusste, was in dem Container war. Etwas anderes wird man ihm auch nicht nachweisen können. Die Adresse der Lieferung ist ein stillgelegtes Industriegelände wo der Wagen vermutlich nur an einen anderen Fahrer übergeben werden sollte. Der einzige, brauchbare Hinweis den es gab war der gefälschte Ausweis und der ist verschwunden.“
 

„Kannst du nicht dennoch etwas anhand der Fotos erkennen, die sie gemacht haben?“ Sie musste sich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Manchmal sah er die Welt wirklich zu optimistisch. Robin würde behaupten, dass sie durchaus gut in ihrem Job war, wusste was sie tat und mehr in Dokumenten und Schriften lesen konnte als andere je erahnen könnten. Dennoch konnte sie keine Wunder vollbringen.
 

„Die Handschrift eines Fälschers erkennst du nicht auf Fotos sondern darin wie er arbeitet. Es gibt absolut nichts, was ich tun kann.“ Punk. Darüber würde sie auch nicht mit sich diskutieren lassen. Das Schicksal dieser Mädchen war schrecklich. Noch schrecklicher war es, was man jenen antat, die nicht aus solch einem Container gerettet worden waren. Zweifels ohne hatte man es hier mit Menschen zu tun, denen ein anderes Leben absolut nichts bedeutete. Menschen, die man aufhalten musste, doch würde Robin sich jedes Schicksal auf ihre Schultern legen, sie wäre nicht mehr fähig zu stehen und ihr Leben zu bestreiten.
 

„Das man ihnen einen Ring durch die Haut im Nacken gestochen hat, um sie daran anzuketten anstatt ihnen einfach eine Kette um Hals oder Handgelenke zu geben ist eine Handschrift.“
 

„Ja, eine die dich zu demjenigen führt, der die Mädchen verschleppt hat. Nicht zu demjenigen auf dessen Einkaufsliste sie standen.“
 

„Und? Das wäre schon einmal ein Anfang. Er verhöhnt die Mädchen. Er sagt ihnen schaut, ich halte euch fest. Wenn ihr nur genug Mut hättet, wenn ihr eure Angst vor dem Schmerz ignoriert, dann seid ihr frei. Ihr habt es selbst in der Hand.“ Unrecht hatte er nicht. Sie hatten es hier nicht mit einem einfachen Menschenhändler zu tun, dessen Job darin bestand junge Mädchen zu verschleppen und in die Staaten zu verschiffen. Dieser Mann nutzte seine Position, um sadistische Triebe auszuleben und dem ganzen einen - in seinen Augen - tieferen Sinn zu geben. Was sie unweigerlich zu der Frage führen würde, ob sie es hier wirklich mit einem Mann zu tun hatten oder, ob es nicht einer der äußerst geringen Fälle war, wo sie es doch mit einer Frau in einer solchen Position zu tun hatten. Obgleich ein solcher Umstand es in mancher Hinsicht leichter machen würde, waren Frauen doch schwerer aufzuspüren als Männer. Sie hielten sich eher im Verborgenen und hatten nicht das Bedürfnis ihre Macht offen zu zeigen.
 

„Gut, ich spiele mit. Woher kam der Container?“
 

„Das Schiff kam aus Schweden. Sie wissen noch nicht, ob der Container auch von dort stammt oder die Mädchen an einem anderen Ort gefangen genommen wurden.“
 

„Wir wissen es also nicht.“ Franky seufzte entnervt auf und fuhr sich mit einer Hand durch das stoppelige Haar. Robin verstand seine Frustration. Er war schon immer mehr mit dem Herzen bei der Sache gewesen und hatte es in all den Jahren nie geschafft eine wirkliche Mauer um sich herum zu ziehen. Auf der einen Seite schätzte sie diese Eigenschaft sehr an ihm. Sie könnte mit niemandem zusammenarbeiten, dem die Dinge völlig egal waren. Es reichte, wenn sie diejenige war, die das alles etwas rationaler betrachtete. Dennoch machte sie sich manchmal sorgen darum, dass es irgendwann diesen einen Fall geben würde, der ihn nie wieder loslassen und zerstören würde. Es wäre durchaus keine Seltenheit. Jeder von ihnen kannte mindestens einen Kollegen, bei dem es so gewesen war. Robin wollte sich selbst dieses Schicksal ersparen und achtete daher sehr genau auf sich und ihre Mauer.
 

„Sie werden es schon herausfinden. Robin, das hier ist nicht irgendeine Stadt.“ Nein, das war es nicht. Sie wusste, dass es in gewisser Weise eine persönliche Verbindung zu all dem gab. Auch für sie. Doch während er dazu neigte das ganze aus nostalgischen Gründen zu einer persönlichen Sache zu machen und einen Fall anzunehmen, der unhaltbar war, neigte Robin eher dazu das alles hinter sich zu lassen. Sie beide verbanden völlig unterschiedliche Gefühle mit dieser Stadt und Franky maß seinen Gefühlen einen höheren Stellenwert zu. Etwas das er sicherlich nicht aus böser Absicht tat aber das Robin dazu zwang hier besonders viel Vorsicht walten zu lassen. Sie würde ihn einfangen müssen, wenn er drohte sich darin zu verlieren.
 

„Und wie lange willst du darauf warten, dass sie etwas herausfinden?“
 

„Wie schnell willst du das Handtuch werfen?“ Für einen Moment blickten sie sich einfach nur in die Augen. Das ganze gleich als gescheitert zu erachten war vielleicht nicht fair und doch wusste Robin die Zeichen zu deuten und die waren alles andere als gut. Es schrie für sie nach Korruption. Sah er das wirklich nicht?
 

„Hör zu, ich sage ja nicht, dass das alles gut ist“; versuchte er sich dann auch wieder herauszureden. Er war noch nie gut darin gewesen seine Klappe zu halten und ertrug Stille nicht besonders gut. Franky war laut, redete manchmal zu viel und Robin wusste, dass sie nur lange genug schweigen musste, um ihn weich zu bekommen. An der Stelle unterschieden sich ihre Gemüter deutlich und für Außenstehende mochte es vielleicht so wirken, als würden sie deswegen als Team nicht gut funktionieren können. Robin erachtete diese Gegensätzlichkeit allerdings als ihre größte Stärke, da sie sich so sehr gut ergänzten und die Schwächen des anderen ausgleichen konnten.
 

„Ich sage nur, lass uns einen genaueren Blick darauf werden. Du hast recht, die Sache stinkt und wir müssen vorsichtig sein aber sind wir das nicht immer?“ Darüber ließ sich sicherlich streiten. Und dennoch mussten sie manchmal einfach Kompromisse eingehen und hier war es wohl an ihr einen Schritt auf ihn zuzugehen. Robin seufzte schwer und richtete ihren Blick wieder auf den Container.
 

„Zwei Tage. Ich werde in das Haus meiner Mutter fahren. Solange der Ausweis nicht auftaucht gibt es für mich keinen Grund mich hiermit zu beschäftigen. Mach so lange was du willst.“ Er würde sie ohnehin auf dem laufenden halten, wenn sich in den Tagen etwas ergeben würde, da musste man sich nichts einbilden. Jeder noch so kleine Durchbruch würde bei ihr landen und in Echtzeit dokumentiert werden. In zwei Tagen konnten sie die Sache noch einmal bewerten auch, wenn sie doch sehr stark bezweifelte, dass sich etwas neues ergeben würde, was ihre Meinung grundlegend ändern würde. Sie sollte also versuchen es positiv zu sehen, immerhin bedeutete es, dass sie nun zwei freie Tage vor sich hatte. Es gab zwar bessere Orte an denen sie diese verbringen könnte, doch da freie Zeit in ihrem Job rar war wusste sie darum, dass sie diese besser nutzen sollte.
 

„Super! Du wirst schon sehen, wir werden etwas finden!“ Sein Optimismus war manchmal schon erschreckend. Robin würde das alles aber auch einfach nur abwinken und sich dann von der Kiste abstoßen, um nach ihrer Tasche zu greifen und sich diese über die Schulter zu werden. Franky würde hier sicherlich noch eine Weile beschäftigt sein und Gespräche führen, doch sie würde sich keine Minute länger damit befassen und sich deswegen auch lieber auf den Weg machen, um endlich von diesem deprimierenden Ort zu verschwinden.
 


 

***
 


 

Am Ende hatte sie sich ein Taxi genommen. Es war das einfachste, denn nachdem sie von ihrem letzten Auftrag aus direkt hierher geflogen waren, hatten sie keine Zeit gehabt ihr Gepäck loszuwerden. Man hatte sie direkt zur Polizeistation gebracht und dort waren sie die letzten Stunden mit diesem Fall beschäftigt gewesen. Zeit die ihnen nur gezeigt hatte, dass die hiesige Polizei ein großes Problem hatte, dem sie so einfach nicht Herr werden konnten. Doch das wollte Robin nicht zu ihrem Problem machen und deswegen würde sie die Gedanken an diesen Fall auch weit weg von sich schieben in dem Moment, in dem die Tür ins Schloss fiel.

Für einen Moment stand sie einfach da, nahm die Konturen des Flures durch das fahle Licht auf und atmete tief ein. Die Luft roch stickig und abgestanden. Sie würde erst einmal lüften müssen, um hier richtig atmen zu können. Eine klare Aufgabe, der sie auch nachkommen konnte ohne sich weiter mit anderen Details befassen zu müssen. Sie würde links in das Wohnzimmer treten, nachdem sie ihre Reisetasche und den Rucksack im Flur hatte stehen lassen. Das Licht blieb ausgeschaltet. Robin war in diesen Räumen aufgewachsen und später hatte sie hier drinnen kaum etwas verändert. Sie würde sich sogar blind durch die Räume bewegen können, wenn es sein müsste, ohne gegen etwas zu stoßen.
 

Die Fenster wurden geöffnet und die Vorhänge zugezogen, damit sie später das spärliche Licht einschalten konnte ohne sich beobachtet zu fühlen. Etwas worauf sie allerdings noch verzichtete, da sie zunächst in die obere Etage gehen würde, um dort die Handlung zu wiederholen. Während es unten neben dem Wohnzimmer noch eine große Küche und ein Gästebad gab, befand sich oben das Schlafzimmer ihrer Mutter, das große Badezimmer, so wie Robin’s ehemaliges Kinderzimmer. Später hatte sie den Raum in ein Arbeitszimmer umgebaut. Allgemein erinnerte nur noch sehr wenig an Robin’s Kindheit. Zumindest, wenn man sich die Einrichtung der Räume ansehen würde.
 

Dennoch war da das knarzen der vorletzten Treppenstufe, welches noch immer zu hören wäre, würde Robin diese nicht automatisch überspringen so, wie sie es sich in ihrer Kindheit angewöhnt hatte, um ihre Mutter Nachts nicht zu wecken. Da waren noch die Kerben im Türrahmen, wenn sie mal wieder ihre Körpergröße abgemessen hatte um ihrer Mutter stolz zu zeigen, dass sie wieder ein paar Zentimeter größer geworden war. Und da war das Gitter des Lüftungsschachts’s in ihrem alten Zimmer, in dem sie früher immer ihre wertvollsten Dinge versteckt hatte. Es waren Kleinigkeiten, die die Jahre überdauert hatten, die nicht vergessen waren und das Haus für Robin einzigartig machten. Sie liebte und hasste diesen Ort gleichermaßen.
 

Sie liebte ihn, weil sie hier den Glücklichsten Teil ihrer Kindheit verbracht hatte. Die Zeit, die sie hier mit ihrer Mutter geteilt hatte war geprägt von Liebe und Fürsorge. Unzählige Bücher hatten sie gemeinsam gelesen und ihre Mutter hatte ihr die Geheimnisse von Geschichte und Schrift näher gebracht. Von ihr hatte sie gelernt stets neugierig zu sein und die Welt mit einem wachsamen Blick zu betrachten. Alles Eigenschaften, die Robin auch heute noch prägten. Doch viel mehr als das prägte sie wohl eine einzige Nacht in der ihr Leben für immer aus den Fugen gerissen worden war.
 

Nachdem sie die Fenster geöffnet hatte warf sie einen kurzen Blick in das Schlafzimmer. Das Bett war nicht bezogen und auch, wenn Robin seit Wochen, fast Monaten nicht hier gewesen war, war alles sauber und ordentlich. Etwas das aber nur deswegen möglich war, weil sie eine Haushälterin beschäftigte, die gelegentlich nach dem rechten sah und das Haus in Ordnung hielt. Ihr war es auch zu verdanken, dass nun alles hergerichtet war und auch, dass sie vermutlich keinen leeren Kühlschrank vorfinden würde. Es würde ihr die nächsten Tage etwas leichter machen und vielleicht würde sie dem Haus mit etwas weniger Argwohn entgegentreten.
 

Auf dem Weg hinunter würde sie auf die vorletzte Stufe treten und das vertraute Knarzen hören, welches sie mit einigen Erinnerungen auf ihrem Weg hinunter begleiten würde. Robin konnte sich lachen hören, ihre Mutter, die ihr zurief, dass das Essen bald fertig wäre. Es erinnerte sie an Wärme und Liebe. Und daran, als sie das Knarzen einmal zu viel gehört hatte. Als sie davon geweckt worden war und instinktiv wusste, dass es nicht ihre Mutter sein konnte, die da die Treppe hinauf kam. Würde man sie fragen, dann könnte Robin vermutlich jede Sekunde dieser Nacht wiedergeben. Es war als wäre es erst gestern gewesen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten versuchte sie zu vergessen, versuchte den Schmerz nicht mehr an sich heran zu lassen. Und wenn sie ehrlich war, dann war genau das der Grund, warum sie versuchte so wenig Zeit wie möglich in diesem Haus zu verbringen. Weil es hier unmöglich war sich von diesen Erinnerungen zu lösen. Bereits jetzt konnte sie deutlich spüren, wie es etwas in ihr aufwühlte und sie damit rechnen musste, dass sie eine unruhige Nacht haben würde.
 

Sie begab sich durch die untere Etage zur Küche, wo sie sich eine Flasche Wasser nehmen und sich ein Glas einschenken würde. Mit diesem lehnte sie sich an die Küchenzeile und ließ ihren Blick durch das Untergeschoss gleiten. Noch immer hatte sie kein Licht eingeschaltet und es war fraglich, ob sie das noch tun würde. Denn wenn Robin ehrlich war, dann wusste sie in diesem Moment nicht einmal, ob sie den Abend überhaupt in diesem Haus verbringen würde. Manch einer würde sie sicherlich fragen, warum sie das Haus nicht einfach verkaufte, wenn sie ein solches Problem mit den Umständen hatte, doch auch das war nicht so einfach zu beantworten.
 

Nach dem Tod ihrer Mutter war Robin bei ihrer Tante und ihrem Onkel untergekommen. Die Familienverhältnisse waren gelinde gesagt schwierig gewesen. Das Haus hatte in dieser Zeit leer gestanden, da es als Robin’s Erbe auch nicht hatte verkauft werden können. Ihre Verwandten waren lediglich die Verwalter gewesen, bis Robin irgendwann alt genug gewesen war, um auszuziehen und sich selbst um das Haus zu kümmern. Es war damals ihre einzige Zuflucht gewesen. Und, obwohl das Haus schrecklich heruntergekommen gewesen war, war es alles gewesen, was sie gehabt hatte. Es hatte Monate gedauert, bis sie das Haus wieder halbwegs hergerichtet hatte, obgleich es immer eine Zerrissenheit zwischen Hoffnung und Schmerz gewesen war.
 

Irgendwann war sie ausgebrochen, doch es war ihr nicht möglich gewesen einen klaren Schnitt zu machen und das Haus zu verkaufen. Und so war es auch heute noch immer ein Rückzugsort, wann immer sie in der Stadt war auch, wenn sie diese inzwischen nicht mehr als ihre Heimat bezeichnete. Robin lebte in der Welt und dort, wohin ihr Job sie brachte. Zumindest, wenn es um diesen Job ging. Robin hatte noch einen weiteren Job, als Professorin und lebte sonst in einer kleinen Wohnung in der Nähe der Universität. Eine Tätigkeit bei der sie allerdings nur einzelne Seminare abhielt und sich ansonsten doch lieber der Forschung widmete. Ein Umstand der es ihr ermöglichte mit Franky zusammen zu arbeiten durch den sie eher zufällig in diese andere Welt des Verbrechens hineingerutscht war. Er hatte Hilfe bei einem Fall gebraucht und sie um Rat gefragt. Seither arbeiteten sie als Team zusammen. Ob sie es für den Ausgleich tat oder, ob Robin doch darauf hoffte irgendwann die Chance zu haben etwas in ihrer eigenen Vergangenheit zu lösen, das vermochte sie nicht zu sagen. Auch das war eher eine Frage, die sie lieber ignorierte und darauf hoffte, dass sich ihr Unterbewusstsein nicht zu viele Hoffnungen machte.
 

Durch diese Umstände befand sich alles was sie besaß, was sie brauchte, befand sich in der Reisetasche, die sie noch immer im Flur liegen hatte. Es war erstaunlich, wie wenig der Mensch eigentlich zum überleben brauchte, wenn es darauf ankam. Sie brauchte wahrlich nicht viel und alles, was sie zusätzlich besitzen würde, würde Robin nur als unnötigen Ballast empfinden. Was nicht bedeutete, dass das Haus minimalistisch eingerichtet wäre. Sie schaffte sich nur eben nichts neues an.
 

Robin würde das Glas leeren und sich dann wieder auf den Weg machen, um auf einer Runde die unteren Fenster wieder zu schließen und auf dem Weg durch den Flur ihre Tasche einzusammeln und sich mit ihr wieder auf den Weg hinauf zu machen. Eine konkrete Entscheidung für den Abend hatte sie zwar noch nicht getroffen, doch es würde wohl nicht darauf hinauslaufen, dass sie hier bleiben und sich mit einem guten Buch entspannt zurücklehnen würde. Der erste Abend war meistens der schlimmste und deswegen würde sie wohl etwas Ablenkung suchen. Raus aus diesem Haus und sehen, wie sich die Stadt seit ihrem letzten Besuch verändert hatte.
 

Die Tasche würde in ihrem Schlafzimmer abgestellt werden und Robin würde sich ihrer Sachen entledigen. Handy und Ausweis landeten auf der Kommode, während sie anschließend ihre Kleidung ablegen und auf einen Stuhl werfen würde, der neben der Kommode stand. Egal wie sie ihren Abend gestalten würde oder auch nicht; das wichtigste war für sie die Möglichkeit auf eine Dusche, um sich diesen Tag vom Körper zu waschen. Den Geruch des Todes. Eine ihrer Ex-Partnerinnen hatte es einmal so beschrieben und das, obgleich Robin nur in äußerst seltenen Fällen wirklich mit Toten zu tun hatte. Nur dann, wenn es für ihre Arbeit wirklich wichtig war einen Tatort oder eine Leiche zu sehen. Das kam allerdings nur in den seltensten Fällen vor und war kein fester Bestandteil ihrer Arbeit. Vielleicht hatte ihr damals auch der Gedanke ausgereicht, dass Robin einen solchen Fall auf den Tisch bekommen könnte. So oder so war es etwas an das sie sich stets erinnerte und seither musste sie einfach eine Dusche nehmen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam. Ein Ritual, das ein fester Bestandteil geworden war und das Robin ein Gewohnheitstier war und eine gewisse Ordnung brauchte, das könnte Franky sicherlich am besten beurteilen. Er war allerdings kein besonderer Fan davon und hatte sicherlich am meisten darunter zu leiden. Auf der anderen Seite hatte sie an seiner Unpünktlichkeit und seinem Chaos zu leiden. Gegensätze. Das waren sie und dennoch funktionierten sie schon seit etlichen Jahren besonders gut.
 

Der Weg führte sie in ihr Badezimmer und dann unter die Regendusche. Es tat gut sich von diesem Tag zu distanzieren und die Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Und das bedeutete zumindest sich Gedanken darüber zu machen in welche Bar sie gehen wollte. Vielleicht blieb sie auch einfach bei dem was sie kannte und würde daraus keine Wissenschaft machen. Nach so einem Tag konnte das sonst nur zu Kopfschmerzen führen und das war das letzte was sie brauchte.
 

Und, um das alles dann auch einfach zu vereinfachen, würde sie die Entscheidung dann auch für sich treffen mit dem Moment in dem sie dann auch wieder aus der Dusche steigen würde. In bekannten Gefilden konnte sie zumindest keine böse Überraschung erwarten und ein ruhiger Abend wäre gesichert. Wenn Franky sie schon dazu zwang länger als nötig in dieser Stadt zu bleiben, dann wollte sie wenigstens das beste daraus machen und sich nicht mit ihren persönlichen Dämonen herumschlagen müssen.

relaxation


 

2023 - New York
 


 

„Ärger beim Job?“
 

„Wie kommst du denn darauf?“ Nami blickte ihr Gegenüber ausdruckslos an und schob sich dann auf den Hocker vor der Bar, um es sich dort gemütlich zu machen. Im Hintergrund lief entspannte Jazzmusik, kleine Gruppen saßen beieinander und führten leise Gespräche. Nur wenige waren alleine hier. Das gedämpfte Licht erzeugte eine entspannte Atmosphäre und es war genau das, was Nami an diesem Abend brauchte, um runterzukommen. Ihre Optionen waren auch nicht weit gestreut gewesen. Ihre Schwester hätte ihr an der Nasenspitze abgelesen, dass etwas nicht stimmte und ihre Mitbewohnerin hätte sie mit ihrem Optimismus und ihrer guten Laune erschlagen. Und so war Nami nur kurz zu Hause gewesen und war dann mit einem Uber hierher gefahren. Ein Drink, Abstand.
 

„Du bist selten hier und du trinkst nur dann, wenn du Stress hast.“ Da konnte sie wohl nicht Wiedersprechen. Es war genau das. Nami konnte es nicht leiden die Kontrolle zu verlieren und wenn sie trank, dann diente es einzig und alleine der Entspannung und niemals dazu sich wirklich zu betrinken. Entsprechend war sie auch limitiert in dem, was sie überhaupt gerne trank und wenn sie hier war, dann war es meistens ein Cocktail. Angel’s Best. Eben jener wurde ihr dann auch einfach zubereitet. Orangensaft und Orangenlikör fanden sich mit anderen Zutaten in einem Glas zusammen und wurden noch hübsch dekoriert.
 

„Ich weiß.. keine Fragen zu deinem Job aber vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, dass genau das das Problem daran ist?“
 

„Sagst du mir das als meine Freundin oder als meine Ex?“ Nami’s Blick zuckte von dem Glas hinauf zu der anderen. Ihre Haare waren in einem dunklen Violet gefärbt und zu einem Bob geschnitten. Die wachsamen Augen beobachteten jede ihrer Bewegungen, doch daran störte sich Nami nicht weiter. Sie konnten beide nicht aus ihrer Haut.
 

„Beides. Denn in beiden Fällen ist es ungesund.“ Eine Aussage, die Nami so nicht unterschreiben würde. Denn natürlich war es in einer Freundschaft weniger schädlich, als in einer Beziehung, wenn über gewisse Dinge nicht gesprochen wurde. Sie hatten es erlebt. Als ihre Partnerin hatte Carina diese Geheimnisse und das Schweigen irgendwann nicht mehr ertragen und hatte einen Schlussstrich gezogen. Etwas das vielleicht eher daran gelegen hatte, dass es offensichtlich gewesen war, dass etwas nicht stimmte. Und weniger daran, dass sie von Nami detaillierte Antworten erwartet hätte. Doch Nami bewegte sich nun einmal in Kreisen, die zum einen nicht ungefährlich waren, zum anderen auch immer wieder neue Probleme mit sich brachten. Sie hatte sich davon nicht einschränken lassen wollen. Nami wollte ein normales Leben führen und doch schien genau das nicht möglich zu sein. Seit Carina hatte sie keine tiefere Beziehung mehr gehabt und sich lediglich auf kurze Geschichten konzentriert. Nichts ernstes. Keine Verpflichtungen.
 

„Welcher Job ist nicht manchmal stressig und anstrengend?“
 

„Es geht weniger um den Stress als darum, dass es dir offensichtlich nicht gut damit geht.“ Nami setzte an, um etwas zu erwidern, doch da wandte sich die andere bereits ab und schlenderte hinter der Bar zu einer anderen Kundin, die etwas bestellen wollte. Es war vielleicht auch besser, wenn sie dieses Gespräch nicht weiter vertiefen würden. Denn wäre Nami einmal ehrlich zu sich selbst, dann würde sie zugeben müssen, dass Carina recht hatte. Doch da sie so oder so nichts an ihrer Lage ändern konnte, warum sollte sie sich weiter Gedanken darum machen? Das erschien ihr doch eher eine Zeitverschwendung zu sein. Sie konnte eben nicht einfach kündigen und sich einen neuen Job suchen. Eine Kündigung bedeutete in ihren Kreisen meistens dort zu landen wo ihre schwächsten Glieder der Kette arbeiteten oder direkt eine Zielscheibe auf den Rücken gemalt zu bekommen. Beide Fälle ersann Nami nicht wirklich als erstrebenswerte Zukunft für sich. Sie war einen Handel eingegangen und an diesem ließ sich nichts ändern. In den engen Grenzen, die ihr gesetzt waren, versuchte sie das beste aus ihrer Situation zu machen und doch stand fest, dass ein normales Leben unter diesen Umständen einfach nicht möglich war.
 

Meistens kam sie gut damit aus, es hätte sie schlechter treffen können. Und doch gab es Tage wie diesen, wo ihre Nerven einfach blank lagen. Wo er mit ihren Ängsten spielte. Und Nami hatte Angst. Sie hatte Angst ihre Schwester zu verlieren, das er ihr schaden und sie doch wieder zurück in diesen Abgrund ziehen würde. Vielleicht auch, dass Nojiko das wahre Ausmaß dessen erfahren könnte, was Nami wirklich tat. Bisher war das etwas, das sie von ihrer Schwester fern gehalten hatte, damit sie sich keine Sorgen machen musste. Abgesehen davon, dass sie es auch nicht wollen würde. Sie hätte all dem niemals zugestimmt, wenn Nami ihr die Wahrheit gesagt hätte. Stattdessen glaubte ihre Schwester, dass Aron unter der Bedingung locker gelassen hatte, dass Nami ab und an bei ihm war und mit ihm einen auf heile Familie machte und seine Partner ab und an mit ihrem Talent beeindruckte. So oder so ähnlich zumindest hatte sie ihr das verkauft. Ob ihre Schwester es allerdings wirklich glaubte oder lediglich gute Miene zum bösen Spiel machte, das vermochte Nami nicht zu sagen.
 

Für einen Moment schloss sie die Augen und musste sich selbst ermahnen diesen Gedanken heute keinen Platz mehr zu geben. Heute nicht mehr. Morgen konnte sie sich sorgen machen aber jetzt sollte sie lieber ihren Drink genießen. Und so hob Nami das Glas an die Lippen und würde den ersten Schluck über die Zunge gleiten lassen. Sie schmeckte den Orangensaft und kurz darauf die schärfe des Likörs. Eine wunderbare Mischung, die ihr wenig später ein warmes Gefühl in der Magengegend bereitete. Gut, dass sie wenigstens eine Packung instant Nudeln gegessen hatte, bevor sie weitergezogen war. Auf nüchternem Magen würde das heute sonst wohl kein langes Vergnügen werden.
 

Langsam würde sie den Blick schweifen lassen und sich die Frauen in der Bar ansehen. Diejenigen, die in Begleitung da waren, warne nicht von Interesse. Doch es gab auch genug andere, die sich wie Nami alleine hierher verirrt hatten. Und während die einen offensichtlich ihre Ruhe wollten, blickten sich andere ebenso neugierig um, wie sie es tat. Ob es dabei nur darum ging sich die Zeit zu vertreiben oder, ob die ein oder andere selbst auf der Suche nach Ablenkung war blieb dabei offen. Man würde es nur herausfinden, wenn man das Gespräch suchen würde. Jedoch war Nami auch da eher vorsichtig. Ihr Augenmerk lag in erster Linie auf etwas unkompliziertem. Sie suchte weder eine neue Beziehung noch eine andere Form von Drama. Es war also Menschenkenntnis gefragt, denn sie konnte kaum durch die ganze Bar schleichen und bei einem Fehlschlag eine neue Frau ansprechen. Das konnte man in einem Club machen, wo niemand auf den anderen achtete, doch nicht in einer solchen Bar. Sie hatte einen Versuch.
 

Noch einmal nippte sie an ihrem Cocktail und würde die potentiellen Frauen ein wenig genauer unter die Lupe nehmen. Sie betrachtete eine junge Frau, das braune Haar fiel ihr ins Gesicht, so dass sie verstohlen zwischen den einzelnen Haarsträhnen hindurchblickte und man ihr förmlich ansehen konnte, wie unsicher sie war. Wie ein verschrecktes Reh, welches sofort verschwinden würde, wenn nur zu viel Licht auf es fallen würde. Nein. Das würde nicht funktionieren. Diese Sorte Frau kannte Nami, sie hatte es versucht und es war jedes Mal gescheitert. Nami brauchte eine Frau, die ihr auch etwas entgegensetzen konnte und nicht alles zufrieden abnicken und annehmen würde.
 

Langsam wanderte ihr Blick weiter und noch einmal wurde der Cocktail an die Lippen gehoben, um einen Schluck zu trinken. Weiter hinten saß noch eine Frau, doch die Zornesfalte zwischen ihren Brauen und das angespannte Gesicht zeigten davon, dass diese Begegnung wohl eher schwierig werden könnte. Und da Nami heute nicht mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten wollte wäre auch diese raus aus dem Rennen.
 

Es ging weiter. Die nächste war schlichtweg nicht ihr Typ. Wobei Nami vielleicht keinen richtigen Typ Frau hatte, jedoch konnte sie es anders nicht beschreiben. Bei manchen Menschen spürte man einfach ein Interesse, eine Anziehung und bei anderen nicht. Ob das nun an einem Typ lag oder an anderen Dingen war dabei wohl erst einmal egal. Immerhin brachte sie auch das für diesen Abend nicht weiter.
 

Etwas resigniert würde sie den Blick wieder auf ihren Drink richten und die Eiswürfel ein wenig hin und her schieben. Vielleicht war heute einfach nicht ihr Tag und sie sollte sich damit abfinden anstatt sich weiter zu quälen.
 

„Willst du darüber reden?“ Carina war wieder zu ihr zurück gekommen und beschäftigte sich damit ein paar Gläser zu trocknen, die sie gerade abgespült hatte und die anschließend wieder ihren Weg in das Regal hinter ihr finden würden. Das es bei ihr allerdings nicht nur Show war erkannte man alleine schon daran, dass sie bedeutend schneller arbeitete, als die meisten Barkeeper, die man aus Filmen kannte und bei denen man den Eindruck bekam, dass Gläser polieren in der Jobbeschreibung stehen musste.
 

„Ist einfach beschissen, wenn du für die Fehler anderer verantwortlich gemacht wirst und dir dann mit Sanktionen gedroht wird“; fasste sie es ruhig zusammen. So konnte man es umschreiben ohne auf die Details zu achten und am Ende wollte sie Carina auch nicht vor den Kopf stoßen. Sie beide hatten zwar ihre Differenzen und mochten als Paar nicht funktioniert haben, doch sie war froh darum sie in ihrem Leben zu wissen. Als Freundin und Menschen, dem sie vertrauen konnte.
 

„Warum kündigst du nicht einfach? Ich weiß, es ist nicht so einfach, das hatten wir schon. Aber ganz ehrlich.. auch ohne das du mir etwas sagst weiß ich, dass dich dieser Job krank macht und man dich nur wie Dreck behandelt.“
 

„Hätte ich eine Wahl, dann würde ich es tun.“ Hatte sie aber nicht. Und das Carina das nicht verstehen konnte, das niemand das verstehen würde, ja das verstand Nami auch. Doch was würde es ihr bringen? Inzwischen steckte sie selbst viel zu tief drin und das letzte worauf sie scharf war, war ein Aufenthalt in einem Gefängnis. Weggesperrt für Jahre? Nein. Das würde sie nicht überstehen, das konnte sie einfach nicht.
 

Als sie den Blick hob konnte sie deutlich die Sorge im Blick der anderen erkennen. Nami wusste darum, doch sie beide wussten auch, dass es besser war, wenn Carina dieses Gespräch jetzt nicht weiter verfolgen würde. Diese unausgesprochene Grenze hatten sie früher zu oft überschritten und es hatte ihnen beiden nicht gut getan. Und so würden sie diese Grenze zumindest heute wahren und sich nicht weiter damit befassen. Nami hoffte darauf aber sie konnte Glück haben, immerhin musste Carina arbeiten.

Sie beobachtete, wie die andere ein Glas wegstellte, sich das Handtuch in die hintere Hosentasche klemmte und dann die Bar entlang ging. Nami saß recht mittig. Links von ihr ging es weiter in das innere der Bar, deren Schnitt recht lang und Schmal war. Rechts von ihr befanden sich nur wenige Tische, da es von hier aus nicht weit zum Ausgang war, weswegen Nami dieser Seite bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Das tat sie erst jetzt, als Carina sich auf den Weg machte, um am anderen Ende bei einer Frau stehen zu bleiben und mit ihr zu sprechen. Etwas das Nami genau beobachten würde. Das schwarze Haar war locker zusammengebunden, sie war schlank, gut gekleidet. Was Nami allerdings viel mehr auffiel war das schmale Gesicht, die schönen Wangenknochen und diese eisblauen Augen. Zumindest wirkte es in diesem Licht so als wären sie stechend blau. Etwas das einen faszinierenden Kontrast zwischen dem dunklen Haar und der gebräunten Haut bildete. Nami konnte nicht anders, als die Frau einfach dabei zu beobachten, wie sie mit Carina sprach, wie sich die Lippen zu einem schmalen Lächeln auseinander zogen. Sie betrachtete diese perfekte, gerade Nase, deren Linie sie gerne mit dem Finger abgefahren wäre. Und dann kam sie wieder zurück zu diese Augen, die sie direkt anblickten.
 

Nami fühlte sich ertappt in ihrer Träumerei und würde den Blick wieder abwenden, um ihn wieder auf ihren Cocktail zu senken und einen Schluck zu trinken. Falls das ihre neue Taktik werden sollte, dann war sie schon jetzt zum scheitern verurteilt. Eine Frau wie diese wurde sicher ständig fasziniert angestarrt. Beeindruckender wäre es gewesen, wenn Nami gleich ihren Arsch hoch bekommen und mit ihr gesprochen hätte. Aber dazu war sie schlichtweg zu abgelenkt gewesen und hatte diese Chance nun wohl verpasst. Ganz großes Kino. Konnte der Tag denn eigentlich noch schlimmer werden?
 

Sie atmete tief durch. Vielleicht wäre es besser, wenn sie einfach ihren Cocktail trinken und dann verschwinden würde. Immerhin musste man einsehen können, wann man verloren hatte und das war sicherlich einer dieser Tage. Ein Typischer Montag auch, wenn es gar kein Montag war. Das Gefühl war dennoch das gleiche, welches sie nun beschlich. Möglicherweise sähe die Welt auch schon wieder ganz anders aus, wenn sie eine Nacht darüber geschlafen hatte.
 

Carina riss sie aus ihren Gedanken, als sie ihr ein kleines Shotglas hinstellte und sie dabei vielsagend ansah.
 

„Was soll das?“
 

„Sie sagt ich solle dir etwas bringen, was dich entspannt. Also, entspann dich. Was ist nur los mit dir?“ Das Unverständnis ihrer Freundin war nicht zu überhören. Doch anstatt sich weiter damit zu beschäftigen würde Nami den Blick abwenden und wieder zu der Schwarzhaarigen blicken. Sie beobachtete sie, strich mit den Fingern entspannt über den Rand ihres Glases und zeigte dabei ein leichtes Lächeln. Auffordernd? Belustigt? Geheimnisvoll? Konnte in diesem Moment sicherlich alles sein.
 

„Kennst du sie?“ Fragte sie lieber, anstatt auf Carina’s eigentliche Frage zu antworten. Nebenbei würde sie dann auch nach dem Shot greifen und diesen einfach hinunter stürzen. Im besten Fall würde es wirklich etwas mit ihren Nerven machen. Etwas positives.
 

„Nicht wirklich. Sie war vor einigen Monaten mal hier. Ich erinnere mich, weil sie da auch schon für Aufsehen gesorgt hat. Ein paar haben sich die Zähne ausgebissen und auf einmal war sie weg. Keine Ahnung, ob alleine oder mit jemandem.“ Carina zuckte mit den Schultern. Viel gab es also nicht zu wissen. Doch wie sie das einschätzte, hatte sie es hier mit einer Frau zu tun, die gerne die Fäden in der Hand hatte. Aber das musste gewiss nicht das schlechteste sein.
 

„Gut, dann werde ich das jetzt wohl herausfinden.“ Sie wechselten einen kurzen Blick mit Carina und dann würde sie sich von ihrem Barhocker schieben und mit ihrem Cocktail die Bar entlang schlendern. Den Shot fasste sie als Einladung auf und zumindest diese wollte sie annehmen und sehen wohin das vielleicht führen würde. Es war sicherlich die interessanteste Begegnung, die sie an diesem Abend haben könnte und diese Frau hatte sicherlich etwas an sich, was Nami einfach neugierig machte.
 

Bei der anderen angekommen würde sie ihr Glas abstellen und sich dann neben ihr an die Bar lehnen. Aufmerksam glitt der Blick weiter über sie, musterte die Züge, die sich ihr zugewandt hatten und den Blick ebenso forschend erwiderten.
 

„Hat es geholfen?“ Fragte sie schließlich. Ein leicht belustigter Unterton war an dieser Stelle nicht zu überhören. Das leichte Lächeln blieb auf ihren Lippen und Nami konnte nicht anders, als dieses zu erwidern.
 

„Wer hat behauptet ich sei unentspannt gewesen?“
 

„Intuition. Ich war nicht sicher, ob du dich trauen würdest deine Fragen zu stellen.“
 

„Ich wäre schon noch auf dich zugekommen. Aber du warst offensichtlich gerade erst angekommen. Dich gleich zu überfallen wäre mir doch recht unhöflich erschienen.“ Nicht, dass ihre Gedanken an irgendeiner Stelle so weit gegangen wären, doch das musste nicht das Thema sein. Nun, wo dieser erste Schritt getan war, war sie wieder im Spiel und würde sich auch keine Unsicherheiten anmerken lassen. In der Regel war sie auch nicht der Typ für so etwas. Nami wusste durchaus, was sie zu bieten hatte und, dass sie sich nicht verstecken musste. Ihre Erfolgsquote war durchaus hoch, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte und hier würde das auch so sein. Zumindest schien ihr Gegenüber nicht abgeneigt, denn sie spürte den aufmerksamen Blick auf sich, der von nahem noch durchdringender wirkte. Das entspannte Lächeln allerdings sprach dafür, dass die Situation doch als angenehm empfunden wurde.
 

„Das ist sehr rücksichtsvoll. Du hättest also lieber gewartet, dass andere zuerst ihre Chance ergreifen, anstatt das Risiko einzugehen als unhöflich zu gelten.“
 

„Du denkst mir wäre jemand zuvor gekommen?“
 

„Du bist nicht die einzige, die plötzlich aufmerksam wurde.“ Die Aussage zeugte entweder von verdammt viel Selbstbewusstsein oder davon, dass diese Frau ebenfalls sehr genau ihre Umgebung im Blick gehabt hatte. In beiden Fällen hätte man wohl am Ende doch das gleiche Ziel und das sprach aus Nami’s Sicht für diese Situation. Ganz gleich wie ihr eigenes Verhalten nun bewertet wurde. Immerhin hatte es ausgereicht, um einen Shot und damit eine Einladung zu bekommen. Man konnte also nicht behaupten ihrem Gegenüber hätte irgendetwas missfallen. Sei es nun ihre Art oder ihr Aussehen. Und mit dieser Gewissheit würde sie sich nun auch nicht weiter aus der Ruhe bringen lassen auch, wenn die andere das vielleicht versuchte.
 

„Aber die Einzige, die einen Shot bekommen hat.“ Nami grinste die andere wissend an und erntete dabei ein zustimmendes Nicken. An der Stelle war man sich wohl einig.
 

„Ich habe dich hier noch nie gesehen, bist du geschäftlich in der Stadt?“ Das sie nicht neu war, dafür sprach die Aussage von Carina. Oder sie ging selten aus und gönnte sich nur ab und an diesen Spaß. Dennoch könnte sie mit dieser Frage vielleicht auch herausfinden was die andere beruflich machte. Immerhin auch ein wichtiger Aspekt wenn man einen Menschen kennenlernte. Und, obgleich das für eine Nacht nicht so relevant war, war Nami schlichtweg neugierig.
 

„So könnte man es nennen, ja.“ Wieder dieses süffisante Lächeln. Eine solch spärliche Antwort könnte man durchaus als Desinteresse oder Abweisung aufnehmen. Doch etwas an ihrem Blick, ihrem Lächeln sagte Nami, dass weder das eine noch das andere der Fall war. War das ihre Taktik, die Unnahbare zu spielen? Wenn es eine war, dann konnte Nami nicht leugnen, dass es einen gewissen Effekt hatte. Denn auch, wenn es ihr eigentlich völlig egal sein könnte, es machte sie einfach neugierig.
 

„Und, deswegen bist du jetzt hier? Um dich noch etwas zu entspannen?“ Und während Nami auf eine Antwort wartete, den Moment nutzte, um noch einmal etwas zu trinken, erntete sie lediglich ein vielsagendes Lächeln. Die Frau war eindeutig kein Freund großer Worte. Wobei das durchaus angenehm war. Die Verhältnisse schienen auf beiden Seiten klar zu sein. Kein tiefes Kennenlernen, keine unendlichen Gespräche. Nur das wichtigste, um zu erahnen, ob das alles vielleicht harmonieren könnte. Ob man das gleiche wollte.
 

Unweigerlich musste sie schmunzeln, während die andere sich nun doch ihrem eigenen Glas zuwandte. Nur anhand der Farbe müsste Nami spekulieren, was sie da wohl trank aber am Ende war selbst das unwichtig. Und gleichzeitig blieb die Frage offen, was wohl zu einer Frau wie ihr passen könnte? Sicherlich ein teurer Tropfen. So zumindest schätzte sie sie anhand ihres Verhaltens und ihrer Kleidung ein.
 

„Darin müsste man sich zumindest einig sein.“ Auch Nami hatte noch einmal einen Schluck getrunken und zuckte dann mit den Schultern, als sie diese Aussage vernahm.
 

„Ich hege weder die Absicht heute Abend jemanden zu heiraten, noch umzuziehen.“ Ja, darauf konnte man sich durchaus einigen. Das war nicht ihr bestreben. Auch Nami wollte lediglich entspannen und eine gute Zeit haben. Das letzte, was sie in ihrer derzeitigen Lage wohl gebrauchen konnte war eine komplizierte Beziehung.
 

„Das sind zwei nicht anzustrebende Ziele.“ Sie hob ihr Glas an und Nami würde mit ihr anstoßen. Man war sich einig. Man suchte nicht die große Liebe und vor allem keine enge Partnerschaft. Und damit war eigentlich alles wichtige gesagt, was man wissen musste. Obgleich das nicht bedeutete, dass man direkt zum eigentlichen Teil übergehen würde. Sie beide hatten noch ihre Getränke und wenigstens die sollte man noch entspannt austrinken können. Zumal es auch davor bewahrte doch noch unangenehme Überraschungen zu erleben, die man vielleicht vermeiden könnte, wenn man nur etwas länger miteinander sprach. Wobei Sprache vielleicht auch relativ war. Die andere hatte sich ihr inzwischen zugewandt, während sie noch immer auf ihrem Barhocker saß. Nami hatte sich ihr etwas mehr entgegen gelehnt und hatte inzwischen eine Hand auf ihrem Oberschenkel ruhen. Ganz langsam hatte man sich aneinander herangeschlichen und schien nun auszuloten, ob sich diese ersten Annäherungen stimmig anfühlten.
 

Machten sie Lust auf mehr?
 

Fühlte es sich stimmig an?
 

Wusste das Gegenüber, Berührungen gut zu setzen?
 

Wie reagierte der eigene Körper auf diese Berührungen?
 

All das waren Dinge, die für eine gemeinsame - und vor allem gute - Nacht relevant waren. Denn sollte man bereits bei solchen Annäherungen Irritationen verspüren, dann würde es im Verlauf des Abends kaum besser werden. Nami hatte gelernt auf diese kleinen Signale zu hören und sie sich auch ganz genau anzusehen, um ihre Zeit nicht mehr zu verschwenden. Ein schlechter One-Night-Stand konnte durchaus auf die Laune drücken und frustrieren. Wenn man aber eigentlich das Gegenteil suchte, dann war es doch besser sich vorher abzusichern und nichts dem Zufall zu überlassen.
 

Diese Begegnung hier wirkte allerdings sehr vielversprechend. Nami hatte ein gutes Gefühl und die Finger, die sich irgendwann von ihrer Hüfte zu ihrem unteren Rücken schoben versprachen durchaus viel. Ja, sie konnte sich vorstellen, sich von diesen Fingern berühren zu lassen. Ihr Körper reagierte mit einer gewissen Vorfreude auch, wenn sie sich davon nicht zu sehr leiten lassen wollte. Das Haar in der Suppe zu suchen wäre allerdings auch der falsche Ansatz.
 

„Ich denke wir sollten hier bald verschwinden.“ Ihr Gegenüber gluckste leise. Der warme Atem kitzelte ihr Ohr und jagte ihr eine leichte Schauer über den Rücken. Ein angenehmes Prickeln, welches die Vorfreude lockte und von einem interessanten Abend sprach. Für manch einen mochte diese Annäherung zu schnell gehen. Nami lebte allerdings getreu dem Motto; wenn es sich gut anfühlt, dann mach es! Da musste man nicht alles hinterfragen.
 

„Läuft das so, du nimmst sie gleich am ersten Abend mit zu dir?“
 

„Wer sagt, dass wir zu mir gehen?“ Wieder ein Lachen. Ja, man verstand sich schon. Am Ende war es doch auch egal wohin es gehen würde. Gemessen an ihrem bisherigen Tag hätte der Abend auch ganz anders enden können und Nami hatte auch nicht damit gerechnet wirklich so viel Glück zu haben eine passende Gespielin zu finden. Doch das waren meistens die besten Abende. Wenn die Dinge sich einfach fügten und man auf jemandem traf mit dem es einfach harmonierte. Glück musste man haben.
 

„Du möchtest, dass ich dich mitnehme?“ Sie spürte wie die Nase sich gegen ihre Schläfe drückte und schloss für einen Moment die Augen. Die leise Jazzmusik lud dazu ein sich weiter zu entspannen auch, wenn es Nami leicht fiel ihre Umgebung auszublenden. Das Carina sie sicherlich beobachtete musste sie immerhin nicht sehen, um es zu wissen. Manch einer würde ein solches Verhalten vielleicht als taktlos bewerten, doch über diesen Punkt waren sie beide hinaus. Die Beziehung lag lange genug zurück und Carina war keine eifersüchtige oder jähzornige Frau. Sie war eine Zicke, doch das würde hier kaum eine tragende Rolle spielen. Andernfalls wäre Nami auch nicht hierher gekommen, um sich eine Frau für den Abend zu suchen. Es würde sicherlich zu viele Probleme aufwerfen und ihr die Sache nur unnötig erschweren.
 

Mit der ersten Berührung legte sie automatisch ihre Hand in den Nacken der anderen, strich etwas darüber, während sich ein Schmunzeln auf ihren Lippen ausbreitete.
 

„Meine Mitbewohnerin ist zu Hause.. ich denke wir hätten bei dir deutlich mehr Ruhe. Es sei denn du hast mehr Mitbewohner, dann müssten wir uns ein Zimmer nehmen.“ Es war wohl eine recht pragmatische Sache, die man einfach begründen konnte. Letztlich erwartete sie sich nicht, dass es weiter diskutiert und vertieft werden würde. Warum auch? Niemand wollte gestört werden, wenn ein vielversprechender Abend auf einen warten könnte.
 

„Gut.. trink deinen Drink und dann verschwinden wir.“ Man war sich einig und sicherlich musste man ihr das nicht zweimal sagen. Leicht drehte sie sich zur Seite und griff nach ihrem Glas. Das Eis war inzwischen geschmolzen, der Farbverlauf verschwunden. In einem Zug wurde das Glas geleert, dabei schob die andere ein paar Scheine für Carina über die Theke. Es geschah in einvernehmlichem Schweigen, als man sich löste und durch die Bar hinaus verschwand, die sie vor ein paar Stunden alleine betreten hatte. Die angenehm, kühle Nachtluft schlug ihnen entgegen. Durchatmen. Ein Arm legte sich um ihre Hüfte und führte sie die Straße entlang.
 

Nami wollte bereits zur Seite ausscheren um ein Taxi zu rufen, doch sie wurde wieder eingefangen. Kurz ging der Blick fragend hinauf. Die andere war fast einen ganzen Kopf größer als sie, doch das störte Nami nicht weiter. Es war ein angenehmes Gefühl so neben ihr zu gehen. Dabei beobachtete sie, wie sie den Kopf schüttelte und lieber weiter die Straße hinunter ging, um dann wenig später in eine Seitenstraße einzubiegen. Dort würde sich schnell zeigen, warum man wohl auf ein Taxi verzichten würde.
 

„Netter Wagen“, stellte sie fest und strich mit den Fingerspitzen über die Motorhaube des schwarzen Sportwagens. Ein älteres Model, obgleich sie sich nicht wirklich damit auskannte. Spielte auch keine Rolle, denn es sprach zumindest eine deutliche Sprache zu ihr. Hier hatte sie es mit jemandem zu tun, der Geld hatte und zumindest eine stabile, finanzielle Basis haben musste, um sich ein solches Auto zu leisten.
 

„Ein Erbstück“, kam die knappe Antwort. Nichts was sie störte. Bereits den ganzen Abend über sprachen sie nicht zu viel und das, was man ausdrückte geschah durchaus nonverbal. Letztlich ging es aber auch keiner von ihnen darum eine gute Gesprächspartnerin zu finden. Nami würde keine weiteren Fragen stellen, die Aussage einfach auf sich beruhen lassen und warten, bis die andere den Wagen aufgeschlossen hatte. Dann würde sie die Tür öffnen und sich in den Wagen hineinsinkend lassen. Manch einer würde wohl behaupten, dass es nicht besonders klug sei sich einfach in einen fremden Wagen zu begeben und dann an einen Ort zu fahren, den man nicht kannte. Allerdings hatte Nami in ihrem Leben bereits viele schlechte Menschen kennengelernt und glaubte durchaus ein Gespür dafür zu haben, wenn sie jemandem gegenüber saß, der schlechtes im Sinn hatte. Diese Frau gehörte wohl kaum dazu und wenn, dann wäre sie durchaus in der Lage sich zu verteidigen.
 

Und so würde Nami auch keine weiteren Fragen mehr stellen, als sich der Wagen schließlich in Bewegung setzte und auf die Straße bog, um sich durch die Stadt zu schieben und sich doch langsam immer weiter vom Stadtkern zu entfernen. Sie stellte auch keine Fragen, als sie schließlich in einer ruhigeren Gegend ankamen in der sich ein Backsteinhaus an das nächste reihte. Nami mochte diese Architektur durchaus gerne. Sie hatte Charakter und war nicht so steril wie manch ein modernes Gebäude.

Irgendwann würde der Wagen auch langsamer werden und sie lenkte ihn an den Straßenrand, um vor einem der Häuser zum stehen zu kommen. Der Motor wurde ausgestellt und Nami würde aussteigen, nachdem sie der anderen noch einen flüchtigen Blick zugeworfen hatte. Etwas das allerdings nicht weiter kommentiert wurde und das war auch in Ordnung. Sie blieb einfach neben dem Wagen stehen, wartete bis die andere um diesen herum gegangen war, und würde ihr dann zu einem der Häuser folgen, um dort die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf zu steigen. Das Gebäude wirkte gepflegt und in einem sehr guten Zustand. Etwas das durchaus neugierig darauf machte, wie es wohl drinnen aussah, obgleich Nami nicht wegen der Einrichtung hergekommen war. Aber diese Frage würde sich glücklicherweise auch gleich von alleine beantworten.
 

„Eine schöne Wohngegend. Wohnst du schon lange hier?“ Vielleicht war es nicht notwendig das Gespräch zu suchen und doch konnte sie sich die Frage nicht ganz verkneifen. Eine Antwort würde sie allerdings nicht bekommen. Die andere würde die Tür hinter ihnen schließen und Nami dann wieder mit einem Arm zu umfangen und an sich heran zu ziehen. Als man sie etwas zurückdrückte und sie gegen die Tür lehnte, würde Nami automatisch die Augen schließen und ihre Lippen für einen Kuss in empfang nehmen, der sie all ihre Fragen vergessen lassen würde.

dreams


 

2011 - Boston
 


 

Unruhig wippte sie mit dem Fuß auf und ab, während sie auf den Zettel in ihrer Hand hinunter blickte und versuchte sich die einzelnen Stichpunkte einzuprägen. Sie hatte Angst vor diesem Gespräch aber es musste einfach sein und sie bereitete sich schon seit Tagen darauf vor. Sie hatte sich jeden einzelnen Punkt gut überlegt, hatte sich Argumente herausgeschrieben. Wenn sie sich nicht verunsichern ließ und bei dem blieb was sie wollte, dann könnte es gelingen. Oder? Sie hoffte es zumindest.
 

Was sie allerdings noch mehr hoffte war, dass sie ihn damit nicht wütend machen würde. Es war schlimm wenn er wütend wurde. Seit Jahren versuchte sie alles, um ihn zufrieden zustellen, damit er keinen Grund hatte die Fassung zu verlieren. Immerhin war es nicht sie, die anschließend dafür gerade stehen musste sondern ihre Schwester. Die Angst, dass er vielleicht glauben könnte sie hätte Nami hierzu angestiftet oder, dass er ihre Schwester noch härter bestraften musste, damit Nami nie wieder auf solche Ideen kam, war da. Und sie war berechtigt. Dennoch hatte sie ihre Chance in dieser neuen Situation gesehen und wollte es wenigstens versuchen. Denn, wenn sie es schaffte, dann würde das zumindest für ihre Schwester vieles leichter machen.

Deswegen hatte sie darum gebeten mit ihm sprechen zu dürfen und wartet nun auf einem Stuhl vor seinem Büro.
 

„Möchtest du?“ Sie blickte auf und blickte zu Octa, der ihr eine Tüte mit Gummibärchen hinhielt und sie breit angrinste. Langsam schüttelte sie den Kopf und blickte wieder hinunter auf ihren Zettel, der inzwischen schon ziemlich abgegriffen und verknickt war. Sie hatte keinen Hunger. Eigentlich glaubte Nami, dass sie sich sofort übergeben würde, wenn sie auch nur einen Bissen zu sich nahm. Denn ganz gleich wie oft sie sich sagte, dass Aron einfach nur ein Arschloch war, er war eben ein Arschloch nach dessen Regeln sie spielen musste. Ob ihr das passte oder nicht.
 

„Mach dir keine Sorgen. Er hat gute Laune und wird dir sicher zuhören. Das neue Haus ist fertig weißt du? Da wirst du ein noch größeres Zimmer haben als hier.“ Octa redete einfach weiter aber das tat er öfter. Nami wusste, dass er keine Antwort erwartete und, dass er es nicht böse meinte. Vermutlich glaubte er wirklich, dass ein großes, tolles Zimmer ein toller Grund war, um sich zu freuen und das es Nami damit wirklich gut gehen würde. Doch das letzte was sie momentan interessierte war das neue Zimmer das sie bekommen würde. Wesentlich wichtiger war für sie der Umstand, dass sie umziehen würden und, dass Aron von einer lebensverbessernden Maßnahme gesprochen hatte. Sicherlich hatte er es anders gemeint, als Nami es nun auslegen würde aber es hatte sie eben auf die Idee gebracht, dass jetzt ein Zeitpunkt war etwas anzusprechen, was sie sonst vermutlich niemals einfach so tun würde. Wozu es auch unter normalen Umständen keinen Grund oder keine Basis zu gegeben hätte. Und sobald sie einmal umgezogen waren würde es vermutlich nicht noch einmal so eine Chance geben. Sie musste es also jetzt nutzen jetzt, wo die Tür einen Spalt offen stand und sie einen Hauch von Freiheit erspähen konnte.
 

„Und du wirst ein eigenes Atelier haben. Das ist doch cool oder? Da kannst du dann alles machen was du möchtest.“ Ganz so einfach war es nun nicht. In erster Linie hatte Nami einen straffen Übungsplan und musste viel lernen. Aber vielleicht, ja, vielleicht würde auch das irgendwie möglich sein. Obgleich die Kunst für sie inzwischen einen doch eher anderen Stellenwert eingenommen hatte. Es wäre sicherlich cool, wenn Aron ein liebender Vater wäre, der versuchte das Talent seiner Tochter zu fördern. Das war er allerdings nicht. Und das würde er nie sein. Wobei er selbst diesen Anspruch auch nie gehabt hatte. Er hatte nie versucht eine väterliche oder gar familiäre Beziehung zu ihnen aufzubauen. Wobei Nami auch nicht glaubte, dass er wirklich wusste was es bedeutete eine solche Beziehung zu besitzen. Und selbst wenn er es versucht hätte; sie hätten es nie angenommen. Ihre leiblichen Eltern hatten weder Nojiko noch sie kennengelernt. Zwar hatte Nami früher oft nach ihnen gefragt, doch diese Frage war inzwischen weit weniger präsent als damals. Denn am Ende hatten sie beide eine Familie gehabt. Eine Mutter. Und diese Mutter war ihnen einfach genommen worden. Es war nie ihre Entscheidung gewesen bei Aron zu leben. Niemand hatte sie gefragt. Man hatte Aufgrund der Beziehung zu ihrer Mutter entschieden, doch Nami glaubte nicht daran, dass sie sie einfach ihm überlassen hätte. Das hätte sie ihnen niemals einfach angetan.
 

Die Tür wurde geöffnet und Nami aus ihren Gedanken gerissen. Ein Mann trat aus dem Büro und warf ihr einen kurzen, abschätzigen Blick zu, bevor er sich abwenden und den Gang hinunter verschwinden würde.
 

„Ich denke du kannst jetzt rein. Viel Glück.“ Octa lächelte sie wieder aufmunternd an. Vermutlich waren seine Worte wirklich ehrlich gemeint doch für Nami spielten sie keine Rolle. Anstatt ihr Glück zu wünschen sollte er ihr lieber helfen und sie hier heraus holen. Er müsste eigentlich erkennen in was für einer Lage sie hier steckten, wenn ihn das alles wirklich interessieren würde. Und so waren seine Worte für Nami am Ende auch nur leere Floskeln, die keine Bedeutung hatten.
 

Ohne etwas auf seine Worte zu erwidern würde sie sich erheben und dann in das Büro eintreten. Der Raum hatte für sie schon immer etwas dunkles gehabt, obwohl Licht durch die Fenster fiel und es sogar einige Lampen gab. Aber vielleicht lag dies auch einfach an Aron’s Präsenz, die den Raum in jedem Fall kleiner wirken ließ, als er eigentlich war. Zumindest wirkte der Schreibtisch mit seinem Stuhl viel zu winzig für einen Mann seiner Größe. Aber vielleicht war das auch Absicht, damit er noch größer wirkte als er ohnehin schon war. Eine Methode andere einzuschüchtern? Sie würde es ihm durchaus zutrauen. Zumal es Nami selbst auch nicht half ruhiger zu werden oder dem ganzen Gespräch entspannter entgegen zu blicken.
 

„Mach die Tür zu.“ Der dunkle Bass seiner Stimme hatte immer etwas drohendes an sich auch, wenn er das vielleicht nicht beabsichtigte. Vielleicht aber auch doch. Aron war für sie so durchschaubar wie ein Stück Pappe.
 

Sie folgte seiner Anweisung und würde die Tür schließen, bevor sie an den Schreibtisch herantreten und dort stehen bleiben würde. Zwar könnte sie sich setzen, doch Nami war selbst im stehen noch kleiner als Aron, wenn dieser saß. Sie brauchte diesen stand also. Und es würde sie noch nervöser machen, wenn sie sich nun setzen würde.
 

„Octa sagte du wolltest mit mir reden. Was ist das?“ Er deutete auf die Notizen, die Nami noch immer in ihrer Hand hatte. Sie hatte vergessen diese in die Hosentasche zu stecken, um ihre Handpunkte selbstbewusst vortragen zu können. Das konnte sie nun wohl vergessen. Egal. Wenn sie sich jetzt schon von dieser einfachen Frage beirren lassen würde, dann könnte sie das ganze Unterfangen einstampfen. Das durfte sie einfach nicht zulassen! Diese eine Chance musste sie nutzen und es einfach richtig machen.
 

„Notizen“, wandte sie ein und schob die Karten in ihre Gesäßtasche. Es musste einfach ohne gehen. Aron setzte an sie die gleichen Maßstäbe wie an seine Leute und wenn man ihm nicht in die Augen blicken konnte, dann respektierte er niemanden. Nicht, dass er das sonst tat, doch man erhöhte die eigenen Chancen durchaus, wenn man es schaffte etwas Selbstbewusstsein aufzubringen. Und genau das musste sie nun tun. Nicht nur für sich. Vor allem auch für ihre Schwester.
 

Nami atmete tief durch, während sie den stechenden, durchdringenden Blick ignorierte der ihr von Aron zugeworfen wurde. Vielleicht hatte Octa recht und er hatte durchaus gute Laune. Das würde zumindest erklären, warum er sie nicht drängte sondern einfach nur schweigend da saß und wartete. Das musste genutzt werden. Alles sprach dafür, dass sie den richtigen Zeitpunkt gewählt hatte und nun keinen Rückzieher machen durfte.
 

„Ich will, dass sich in Zukunft etwas verändert. Ich will, dass du Nojiko in Ruhe lässt und sie nicht mehr Kontrollierst. Sie soll ihr Ding machen, sie will in einem Café arbeiten und sich etwas aufbauen. Du brauchst sie nicht. Du hast nichts davon ihr ihr Leben zur Hölle zu machen“, begann sie schließlich ihre Ausführungen. Nami wusste nicht wie viel sie bekommen konnte, doch diese eine Sache? Die wollte und musste sie einfach erreichen. Nojiko litt unter dieser ganzen Situation, obwohl Aron sie nicht brauchte. Er nutzte sie lediglich aus Druckmittel gegen Nami aus und sperrte sie ein. Er nahm ihr die Luft zum atmen und zum leben. Das durfte einfach nicht mehr sein. Nami ertrug es nicht mehr und wenn sie wenigstens Nojiko aus all dem befreien konnte, dann war es alles was wichtig war und das was irgendwie ausreichen musste.
 

„Und warum genau sollte ich das tun?“ Fragte er schließlich nur. Natürlich musste sie ihm etwas anbieten. Er tat nie etwas aus reiner Herzensgüte und wenn man einen Deal einging, dann musste dieser zu seinen Gunsten ausfallen. Das hatte sie schon früh lernen müssen und das auf höchst unangenehme Weise.
 

„Du wolltest, dass ich mich euch anschließe. Das ich ganz einsteige. Ich mache es. Aber nur, wenn du sie gehen lässt, wenn wir in das neue Haus ziehen.“ Ganz einsteigen. Die eigene Zukunft danach ausrichten. Es bedeutete sich bewusst dazu zu entscheiden, dass darin die eigene Zukunft liegen würde und, dass man sich nicht abwandte. Dass er dem ganzen vertrauen konnte und sie sich dazu entschied würde ein Teil seines Teams zu werden. Für Aron bestand darin durchaus ein Unterschied und es bedeutete auch, dass Nami ein eigenes Interesse daran haben würde zu lernen und gute Arbeit für ihn zu leisten. Sie war sich darüber bewusst, dass hier nichts illegales passierte und auch, dass sie dafür bestraft werden konnte. Gefängnis. Sie verpflichtete sich anders und das war es, worauf er bisher immer hingearbeitet hatte. Das sie sich dazu entschied zu ihm zu gehören. Freiwillig. Ob sie das so sah? Nein. Aber es war das einzige was sie ihm anbieten konnte, damit er ihr hoffentlich diesen einen Wunsch erfüllen würde, den sie hatte.
 

Sie bot ihm Loyalität. Das, was er schon öfter gefordert hatte und, was er ihr auch immer wieder vorwarf. Er hatte keinen Grund zu vertrauen. Den musste sie ihm nun geben, da sie keine andere Chance hatte hier weiter zu kommen.
 

„Du machst das also, weil du dir erhoffst zu bekommen was du willst?“ Es war gewiss nicht so, dass Aron dumm war. Und Nami hatte auch damit gerechnet, dass er ihr nicht sofort alles abnehmen würde. Aber sie hatte das alles immerhin auch nicht mit jemandem besprechen und nach einem besseren Weg suchen können. Sie war in dieser Sache ganz auf sich gestellt und musste selbst einen Weg finden. Doch Nami hatte nie Verhandlungen geführt, sie war verunsichert und hatte ein äußerst schlechtes Blatt auf der Hand.
 

„Ich will ein besseres Leben.“ Zumindest das konnte sie ehrlich sagen. Sie wollte, dass ihr Leben sich veränderte, das es nicht so blieb wie es war. Genau genommen brachte es durchaus Vorteile mit sich, wenn sie sich ihm anschließen würde. Und gleichzeitig hatte Nami keine Vorstellung davon, was genau das bedeutete und; ob sie irgendwann einen Weg finden würde das alles ganz hinter sich zu lassen. Doch wenn dies nun das beste war, was möglich war, dann müsste sie sich diesem Weg zumindest öffnen. Wie lange sollte das denn sonst noch so weiter gehen? Etwas musste sich einfach verändern und sich bewegen. Irgendetwas. Und Aron würde sich nicht bewegen. Er war nicht darauf aus irgendjemandem auch nur einen Millimeter entgegen zu kommen.
 

Er schürzte die Lippen und strich sich dabei nachdenklich über das Kinn, während er langsam nickte und so wirkte als müsse er das alles einen Moment wirken lassen. Ob er wirklich darüber nachdachte? Schwer zu sagen und wenn er sich nicht in die Karten blicken lassen wollte, dann war das unmöglich. Zumindest für Nami, die sich in all dem noch nicht weiter zurechtfand. Nichts von all dem folgte Regeln, die sie lernen oder irgendwo nachschlagen konnte. Es war eine Welt mit Menschen, die sie einfach nicht verstand, obgleich sie fast ihr halbes Leben mit ihnen zusammenlebte und sie einfach mehr gelernt haben sollte als das.
 

„Und du bist bereit alles für ein besseres Leben zu tun?“
 

„Ja.“
 

Wieder nickte er langsam und würde dann eine Schublade öffnen und dort hineingreifen. Sie konnte nicht sehen wonach er suchte, doch sie sollte sich diese Fragen nicht lange stellen müssen. Er würde einen Umschlag auf seinen Schreibtisch legen und ihr diesen herüber schieben.
 

„Wenn du das machst, dann können wir über dein besseres Leben sprechen. Und jetzt verschwinde.“
 

„Aber..“
 

„Ich wiederhole mich ungerne. Geh.“ Der Ton wurde etwas rauer und sie wusste, dass sie den Bogen nicht überspannen sollte. Das eigene Glück herauszufordern war in der Regel nie eine besonders gute Idee und so griff Nami nur nach dem Umschlag und würde sich dann auf den Weg hinaus machen. Sie verließ das Büro und trat wieder auf den Gang hinaus, wo Octa noch immer saß und auf sie gewartet hatte. Immerhin durfte er sie auch nicht aus den Augen lassen. Der große Mann war meistens an ihrer Seite und hatte die ehrenvolle Aufgabe darauf anzupassen, dass sie nichts machte, was Aron in irgendeiner Weise ein Dorn im Auge sein könnte.
 

„Und, wie ist es gelaufen?“ Er hatte etwas von einem unruhigen Elternteil, welcher sein Kind gerade von einer Prüfung abholte. Dabei war weder das eine noch das andere der Fall aber es hätte Nami mit ihrem Bewacher auch durchaus schlechter treffen können. Es gab andere die deutlich anders mit ihr umgehen würden.
 

„Weiß nicht.“ Tat sie wirklich nicht. Kurz sah sie zu ihm und würde sich dann dem Umschlag zuwenden, den sie öffnete und dann hinein blickte. Sie sollte das tun, was darin war. Ein Auftrag? Ein Test? Konnte sicherlich alles sein auch, wenn das was sie am Ende herausziehen würde doch etwas unerwartet kam. Sie zog die Brauen zusammen und blickte auf die Skizze, die sie zu Tage gefördert hatte. Ein Hai. Einer der von Wellen umfangen wurde. Es war eine durchaus ansprechende Zeichnung, da legte jemand wert auf Qualität. Das konnte Nami durchaus zuordnen und irgendwie gefiel ihr das Bild, obgleich es ihr auch ein ungutes Gefühl bereitete.
 

„Es ist also so weit. Du musst ihn echt überzeugt haben.“ Octa klopfte ihr anerkennend auf die Schulter auch, wenn sie nicht wusste warum eigentlich. Wovon hatte sie ihn überzeugt? Und was sollte sie mit diesem Bild machen?
 

„Dann komm. Ich bringe dich ins Studio, es wird sicher ein paar Stunden dauern, bis das fertig ist. Oder wir müssen für eine zweite Session hin. Steht drauf wo es hinkommen soll?“ Seine Hand hatte sich auf ihren Rücken gelegt, damit er Nami langsam weiterschieben konnte. Ein paar Stunden? Session? Noch immer schien es nicht ganz zu ihr durchzudringen, was das alles zu bedeuten hatte.
 


 

***
 


 

„Fuck..“ Nami ließ ihre Tasche fallen und schleppte sich zu ihrem Bett, um sich darauf sinken zu lassen. Die Hand wanderte zu ihrem linken Oberarm und legte sich auf die Folie, die auf die Haut geklebt worden war. Die Haut darunter fühlte sich schrecklich heiß an, glühte fast. Kein Wunder, die Prozedur hatte sieben Stunden gedauert. In den ersten Stunden war es okay gewesen. Nami hatte blöde Witze gerissen und versucht sich einzureden, dass das alles nur halb so wild war. Ein Tattoo, nichts weiter. Jeder zweite hatte inzwischen ein Tattoo und manche waren einfach nur schrecklich hässlich. Dieses wäre wesentlich ansehnlich, so hoffte sie. Gleichzeitig würde damit für immer eine Verbindung zwischen ihr und Aron auf ihre Haut gebannt werden ohne, dass sie etwas dagegen unternehmen konnte. Es wäre unmöglich das wieder verschwinden zu lassen. Ja, Laser waren eine wunderbare Erfindung aber selbst das müsste man sich leisten können. Abgesehen von den Schmerzen und dem Umstand, dass es vermutlich eh nicht alles verschwinden würde.
 

Gegen Ende der Sitzung hatte Nami einfach nur noch Schmerzen gehabt. Die Haut war gereizt, wund und jeder Stich, jedes wischen mit dem Tuch hatte sich so angefühlt als würde man mit Schleifpapier über ihre Haut reiben.
 

Jetzt war sie lediglich froh, dass es vorbei war auch, wenn das Bild ihren ganzen Oberarm zierte und kaum zu verdecken oder zu verheimlichen war. Für Außenstehende würde es vermutlich keine Bedeutung haben aber Octa hatte ihr erklärt, dass es in ihren Kreisen durchaus zu Aron’s Markenzeichen gehörte. Wenn man jemandem mit einem Fisch-Tattoo sah, dann war das ein sicheres Indiz. Wobei es wohl noch mehr war aber so genau hatte Nami auch nicht zugehört. Octa hatte davon gesprochen als sei es das größte, was man erreichen konnte. Etwas worauf man stolz sein sollte und, was sie als Ehre ansehen könnte. Nami empfand nichts von all dem. Da war nur Schmerz und leere.
 

„Wo bist du gewesen?“ Nami zuckte zusammen. Sie hatte nicht wahrgenommen, dass sie nicht mehr alleine war. Sofort griff sie nach ihrem Shirt und versuchte es wieder über die Folie zu ziehen, damit man nicht sah, was sich dort an ihrem Arm verbarg. Das Licht im Zimmer hatte sie nicht eingeschaltet, doch stockfinster war es deswegen auch nicht.
 

Sie hörte die Schritte, die näher kamen, spürte wie sich die Matratze etwas senkte, als sich die andere neben sie setzte. Nami sah sie nicht an, sie hielt sich angespannt an ihrem Oberarm fest und versuchte dem keinen Raum zu geben. Verdammt! Dabei sollte sie doch wissen, dass es eigentlich unmöglich war etwas geheim zu halten. Zumindest vor ihr. Es gab keinen Menschen auf dieser Welt, der sie besser kannte. Keinen Menschen, dem sie mehr vertraute oder der ihr näher stand. Nojiko war ihre Schwester.
 

Vielleicht nicht blutsverwandt, doch sie waren als Schwestern aufgewachsen und hatten eine Familie gehabt. Für Nami spielte es keine Rolle was ein DNA Test dazu sagen würde. Sie waren Schwestern und daran würde nichts und niemand etwas ändern.
 

„Nami?“ Nojiko’s Hand legte sich auf ihre Schulter, die sie besorgt drückte. Ausgerechnet die Schulter, die gerade für Stunden von einer Nadel malträtiert worden war. Nami zuckte leicht zusammen und schnaufte schwer. Sofort zog sich die Hand ihrer Schwester wieder zurück.
 

„Was ist passiert? Was haben sie mit dir gemacht?“ Nami schwieg weiter auch, wenn sie wusste, dass die Frage berechtigt war. Es waren schon oft Dinge geschehen, obgleich sie Nahm’s Verfehlungen öfter damit bestraften, dass sie Nojiko etwas antaten. Dennoch wäre es auch für Nami nicht das erste Mal, wenn man sie bestrafen würde. Körperlich. Aron hatte da seine ganz eigenen Mittel und Wege, obgleich Nami sich stets geweigert hatte Nojiko das volle ausmaß dessen zu berichten, was geschah, wenn man sie wegbrachte. Ihre Schwester hielt es damit nur wenig anders. Vermutlich lag beidem der Impuls zu Grunde einander zu schützen, damit sie sich keine Sorgen machten. Doch was brachte es am Ende? Sicherlich hatten sie beide sehr ähnliche Erfahrungen gemacht und ihre Vorstellungskraft reichte durchaus aus, um das alles entsprechend einzuordnen und sich darüber im klaren zu sein, dass man keine Kaffeefahrt machte.
 

„Nichts“; drang es gepresst über Nami’s Lippen. Wie sollte sie das ihrer Schwester erklären? Darüber hatte sie sich einfach noch keine Gedanken gemacht. Ihr größtes Problem hatte darin bestanden Aron von ihrem Plan zu überzeugen und dafür zu sorgen, dass sich hoffentlich etwas veränderte. Die Wahrscheinlichkeit, dass das funktionierte hatte sie in gewisser Weise durchaus als unmöglich angesehen. Zumindest, dass diese Entscheidung ohne Geschrei und lange Diskussionen stattfinden würde. Ihr ganzer Fokus hatte auf diesem einen Gespräch gelegen, so dass sie einfach vergessen hatte über weiteres nachzudenken.
 

„Nichts? Ihr wart Stunden weg. Was ist das?“ Sie hätte sich einen Pulli anziehen sollen. Nami bereute es gleich, doch es war nicht zu ändern. Sie hatte diesen Plan ganz falsch aufgestellt und jetzt entglitt ihr die Situation einfach. Fast so als hätte sie in den vergangenen Jahren nichts dazu gelernt!
 

„Was ist das? Nami?!“ Der Ton ihrer Schwester wurde energischer, als sie nach ihrem Shirt packte und daran zog. Sie kam an ihren Oberarm und Nami zuckte schmerzlich zusammen. Der ganze Arm war eine einzige Wunde und so schrecklich heiß.
 

„Das ist nichts“; versuchte sie es wieder und drehte sich etwas von ihrer Schwester weg. Der Ärmel wurde weiter hinunter gezogen in einem kläglichen Versuch das alles zu verbergen. Nein, sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie sie das alles ihrer Schwester erklären sollte. Und das Nojiko es verstand, das bezweifelte Nami doch sehr. Eigentlich hatte sie sich genau deswegen eine völlig andere Geschichte und Erklärung einfallen lassen wollen. Doch nun fehlte ihr die Zeit dazu und das sie gleichzeitig dieses Tattoo verstecken musste, das war auch nie Teil ihres Plans gewesen.
 

„Lüg mich nicht an!“ Natürlich ließ Nojiko sich nicht einfach so abspeisen. Sie war ihre große Schwester und diese Rolle nahm sie immer und immer wieder ein. Das es Nojiko nicht gefiel, dass sie ohnehin kaum Einfluss auf diese Situation hatte und nichts tun konnte, das machte es gerade nicht einfacher. Für keine von ihnen.
 

Nojiko war an sie herangetreten, stand inzwischen vor ihr, damit sie nun nach ihrem Shirt greifen konnte. Nami sträubte sich, sie versuchte ihre Schwester auf Abstand zu bringen. Sie hasste es, wenn man sie in die Ecke drängte und Nojiko wusste es genau. Doch gerade hatte sie nicht die Kraft sich gegen ihre Schwester zu wehren. Sie kam nicht dagegen an und dann wurde ihr Ärmel hoch gezogen.
 

Inzwischen rannen die Tränen über ihre Wange. Sie hatte Schmerzen und war schlichtweg überfordert mit der ganzen Situation.
 

„Nami..“ Nojiko ließ von ihr ab, trat einen Schritt zurück und starrte ihren Arm an. Viel konnte man durch das Licht sicherlich nicht erkennen. Unter der Folie hatte sich etwas Flüssigkeit gesammelt und das eigentliche Tattoo war ohnehin schlecht zu erkennen. Am Ende war das aber nicht das entscheidende. Nojiko war schlau, sie konnte durchaus eins und eins zusammenzählen und sich denken, dass Nami sich hier kein Freundschaftstattoo hatte stecken lassen.
 

Sie schluchzte, hatte den Blick abgewandt, weil sie sich nicht traute Nojiko in die Augen zu sehen und sich ihrem Urteil, ihrer Reaktion zu stellen. Es war das, wovor sie durchaus am meisten Angst hatte. Noch mehr als vor Aron oder dem was seine Leute vielleicht tun könnten, wenn sie etwas falsch gemacht hatte. Das schlimmste was Nami geschehen konnte war es ihre Schwester zu enttäuschen. Die Angst sie als Menschen, als Bezugsperson zu verlieren, war das schlimmste für sie. Immerhin war sie alles was Nami noch hatte, alles was ihr geblieben war. Sie war ihre Familie, obgleich es Aron sicherlich schon immer ein Dorn im Auge gewesen war, wie sie zueinander standen und er mehrfach versucht hatte sie voneinander zu trennen.
 

Doch auch hier hatte er immer in einem Dilemma gesteckt. Er hatte Nojiko nie gebraucht, wäre sie sicherlich am liebsten losgeworden. Doch gleichzeitig war sie doch das perfekte Druckmittel, wenn es um Nami ging. Er hatte schnell erkannt wie stark dieses Band war und, wie groß Nami’s Angst. Er hatte mit dieser Angst gespielt. Immer und immer wieder und Nami war bestrebt, nichts falsches zu tun und ihre Schwester auf keinen Fall von sich weg zu treiben. Und nun prangte dort auf ihrem Oberarm dieses Tattoo. Etwas, das sie für immer an Aron band. Als würde sie sich dem freiwillig hingeben und alles verraten was ihnen beiden wichtig war. Ihre Familie. Ihre Mutter.
 

„Was ist das?“ Die Frage wurde nur gehaucht. Nami fragte sich, ob sie sich das alles nur eingebildet hatte oder, ob Nojiko sie wirklich gestellt hatte. Musste sie ihr diese Frage wirklich beantworten? Nami biss die Kiefer feste zusammen, schaffte es kaum noch die Tränen zu kontrollieren. Sie musste die Nase hochziehen, schnappte etwas nach Luft und versuchte zumindest sich zu kontrollieren.
 

„Ein Tattoo..“ Gut, das war das offensichtliche. Und doch war Nami schlicht und ergreifend überfordert. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
 

„Das sehe ich aber.. warum? Das ist eins von ihm, oder nicht?“ Nojiko schaltete zumindest schneller als Nami es getan hatte, als sie den Umschlag geöffnet hatte. Natürlich tat sie das. Sie durchschaute Aron und seine Masche ziemlich gut. Vermutlich war sie ihm auch deswegen ein Dorn im Auge, obgleich ihr Protest doch am Ende ganz anders ausfiel als der von Nami.
 

„Für ein besseres Leben.“

probing


 

2023 - New York - Tag 2
 


 

„.. haben doch noch etwas gefunden. Der Lieferschein muss auch gefälscht gewesen sein, damit sie durch kommen. Damit kannst du doch sicher arbeiten oder..?“ Noch einmal hörte sie sich seine Sprachnachricht an, die er mit der passenden Datei in der vergangenen Nacht auf ihr Arbeitshandy gesendet hatte. Gemessen an der Uhrzeit, wann die Nachricht bei ihr eingegangen war, war er noch die halbe Nacht dort gewesen. Das er sich derart an etwas festbeißen und dann alles in eine Sache hineinstecken konnte, war durchaus eine seiner besten Charaktereigenschaften. Franky war loyal und er machte keine halben Sachen. Wenn er etwas anfing, dann brachte er es auch zu Ende. Auf der anderen Seite musste man allerdings sagen, dass diese Eigenschaft ihn nicht immer davor bewahrte sich in Schwierigkeiten oder an seine Grenzen zu bringen. Was diesen speziellen Fall anging, so hatte Robin das dumpfe Gefühl, dass beides der Fall sein könnte, wenn sie nicht aufpassen würden. Momentan war er dabei nach jedem Strohhalm zu greifen, der sich ihm bot, um sie davon zu überzeugen, doch zu bleiben. Zwar hatte Robin sich das Dokument nicht angesehen und sie würde auch das Original begutachten müssen, doch aus der Erfahrung heraus, war sie sich sicher, dass ihnen das nicht wirklich helfen würde. Solche Dokumente waren die leichte Arbeit an solchen Aufträgen. Gehörte förmlich zum kleinen Einmaleins. Was auch immer sie finden oder daraus lesen würde, es würde ihnen nicht viel helfen.
 

„Hol mich ab, wenn du wach bist.“ Mehr würde sie ihm nicht dazu schreiben. Sie würden so oder so miteinander sprechen müssen und sie war es ihm schuldig sich wenigstens anzuhören, was er in den vergangenen Stunden herausgefunden hatte. Und wenn man all diese Erkenntnisse beisammen hatte, dann würde man weitere Entscheidungen treffen können. Aktuell standen sie an zwei sehr gegensätzlichen Positionen und man würde sich in irgendeiner Form einander annähern müssen. Wer von ihnen dabei den größeren Kompromiss würde eingehen müssen war dabei allerdings noch offen.
 

Etwas das sie auf später verschieben würde. Im Gegensatz zu ihr war Franky auch unter normalen Umständen ein absoluter Langschläfer. Es war also nicht damit zu rechnen, dass er sich vor zehn bei ihr melden würde. Gerade war es erst kurz nach acht und damit noch deutlich zu früh für den Hünen. Zumal er auch wusste, dass er seinen Schlaf brauchte, wenn er gute Arbeit leisten wollte. Ausreichend Zeit für sie ihren Kaffee zu trinken und sich ihre ganz eigenen Gedanken zu dem Thema zu machen. Zwar wollte sie sich erst vor Ort von den neuen Gegebenheiten überzeugen, doch zumindest wollte sie ihren eigenen Standpunkt für sich klar haben. Wie weit wollte sie gehen und sich um all das bemühen? Eigentlich war ihre Geduld wirklich nicht so weit auszureizen.
 

Sie würde an ihrem Kaffee nippen und sich ihr privates Handy nehmen und ein wenig durch die Nachrichtendienste surfen und sich über die Geschehnisse der Welt informieren. Es würde sie entspannen und dennoch würde sie sich nicht darin verlieren. Zugegeben war es allerdings auch die vorletzte Stufe, die sie verraten würde. Das knarzen war in dem ruhigen Haus nicht zu überhören und würde sie doch lächeln lassen. Nun würde es sicherlich spannend werden. Ob sie sich herausschleichen würde? Unweigerlich musste Robin bei diesem Gedanken schmunzeln. Es war eine lockere und doch schöne Nacht gewesen. Allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie beide nur an etwas lockerem interessiert waren. Ein Umstand, der sich für Robin nicht verändert hatte, obgleich sie zugeben musste, dass die Nacht besser gewesen war als erwartet.
 

Die Kleine war ihr aufgefallen, weil sie durchaus offensichtlich zu ihr herüber gestarrt hatte. Aber wenigstens hatte sie genug schneit gehabt, um ihre Einladung anzunehmen und zu ihr herüber zu kommen. Das hatte Robin als etwas positives gewertet und von da an hatte sie doch ein sehr einnehmendes Wesen gehabt. Energie, Leidenschaft, Selbstbewusstsein. Ja, das hatte ihr durchaus zugesagt. Und das die Kleine am Morgen noch schlafend neben ihr gelegen hatte? Es hatte Robin nicht gewundert. Immerhin hatten sie beide eine durchaus lange Nacht gehabt und Robin war verhältnismäßig früh auf den Beinen gewesen. Sie hatte ihr also keine Chance gelassen sich frühzeitig aus dem Staub zu machen.
 

Der Blick ging über die Schulter, als sie den Rotschopf gerade am Ende der Treppe ankommen sah. Ohne sich umzusehen steuerte sie die Tür an und versuchte offenkundig sich unauffällig zu verhalten. Nur, dass es dafür schon längst zu spät war.
 

„Möchtest du noch eine Tasse Kaffee, bevor du verschwindest?“ Sie hätte sie auch gehen lassen können und doch empfand Robin es nicht als schlimm. Sie waren beide erwachsen und eine Tasse Kaffee galt wohl kaum als Heiratsantrag. Es war immerhin auch nichts geschehen wofür sich eine von ihnen schämen müsste. Im Gegenteil. Nun beobachtete sie, wie die andere inne hielt und wohl darüber nachdachte, was sie nun machen sollte. Ob sie wirklich darüber nachdachte ihre Frage zu ignorieren und sich zur Tür zu begeben war wohl reine Spekulation. Etwas, dem sich Robin auch nicht hingeben wollte. Sie wartete einfach, bis sich die andere herumgedreht hatte und dann doch langsam zu ihr herüber geschlendert kam.
 

„Ich wusste nicht, was deine Hausregeln sind“, stellte sie fest, als sie langsam zu ihr in die Küche kam und sich dabei forschend umsah. Robin schmunzelte nur und würde sich erheben. Dabei ließ sie ihre eigene Tasse stehen und würde sich zur Kaffeemaschine begeben, um dort eine weitere Tasse durchlaufen zu lassen. Es war kein Heckenwerk. Denn auch, wenn Robin nicht oft hier war, auf guten Kaffee konnte sie einfach nicht verzichten. Deswegen stand auch hier eine teure Maschine, die sicherlich alles für sie erledigen könnte, was sie sich wünschte. Für einen Kaffee reichte da ein Knopfdruck und wenige Augenblicke Wartezeit.
 

„Ich habe keine Hausregeln“, erklärte sie dann auch, während der Kaffee langsam in die Tasse floss. Dabei hatte sie sich herumgedreht und beobachtete, wie ihr Gegenüber sich dann doch etwas zögernd an den Tisch setzte. Es war offensichtlich, dass ihr die Situation nicht ganz zu behagen schien auch, wenn Robin nicht wusste woran genau das lag.
 

„Und ich denke dir nach der Nacht einen Kaffee anzubieten ist legitim. Keine Sorge, ich werde dich nicht fragen, ob du einziehen möchtest.“ So ganz konnte sie das nicht ernst nehmen aber es war vielleicht genau das, was die andere zu besorgen schien. Robin sah zu, wie sie das Gesicht verzog und den Kopf dann auf einer Hand abstützte.
 

„So hätte ich dich auch nicht eingeschätzt. Ist einfach Gewohnheit.“ Sie machte das also öfter. Das war zumindest ihre Schlussfolgerung daraus aber auch das war eher Spekulation als Wissen. Und, obgleich es ihr eigentlich auch egal sein könnte, kam Robin nicht umhin sich gewisse Gedanken zu der Situation zu machen.
 

„Milch? Zucker?“
 

„Beides. Nimm es nicht persönlich. Ich stehe normalerweise nicht so auf Frühstück.“
 

„Wie gut, dass ich Kaffe nicht als vollwertige Mahlzeit ansehe.“ Die Kleine war wirklich ulkig. Immerhin saß sie trotz ihrer Worte hier und ließ sich auf eine Tasse Kaffee ein. Ob man das nun als Frühstück bezeichnen mochte oder nicht war einmal dahingestellt. Robin machte den Kaffee fertig wie gewünscht und würde die Tasse dann zurück an den Tisch bringen, um sich anschließend wieder auf ihren eigenen Platz sinken zu lassen. Dabei schlug sie ein Bein über das andere und würde sich zurücklehnen, während der Blick aufmerksam auf der anderen lag. Immerhin hatte man nun das erste Mal die Möglichkeit einander bei Tageslicht zu sehen auch, wenn man da wohl keine allzu großen Überraschungen zu erwarten hatte. Allerdings musste Robin wohl zugeben, dass die andere ein gutes Stück jünger wirkte, als sie es selbst war. Nicht das sie damit ein Problem hätte und doch hatte sie das in dem schwachen Licht der Nacht wohl ein wenig anders eingeschätzt.
 

„Vielleicht ist es nun ein passender Zeitpunkt, um wenigstens nach deinem Namen zu fragen?“
 

„Spielt das noch eine Rolle, sobald ich durch diese Tür gehe?“
 

„Bist du immer so misstrauisch?“ Robin schmunzelte ein wenig. Das erlebte man auch selten und doch weckte diese ganze Situation ein gewisses Interesse in ihr. Anders konnte sie es wohl nicht beschreiben. Irgendetwas an dieser Frau wirkte doch in gewisser Form anziehen, obgleich sie nicht vor hatte dem ganzen weiter nachzugehen.
 

„Nora. Und du?“
 

„Robin.“ Sie trank einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse. Sie fragte sich nicht, ob es sich wirklich um Nora’s Namen handelte oder, ob sie ihr lediglich etwas sagte, damit Robin sie in Frieden ließ. Wichtig war, dass es der Name war mit dem sie sie ansprechen würde und sei es nur für die nächsten zwanzig Minuten, bis der Kaffee getrunken war und die andere endgültig verschwinden würde. Zeit die für Nora offensichtlich schwer zu überbrücken war. Das sie im Gegensatz zu Robin nur schwer mit Stille umgehen konnte, war ihr bereits am vergangenen Abend aufgefallen. Da hatte sie auch einige Fragen gestellt, auf die Robin ihr eine Antwort schuldig geblieben war und, die viel tiefgreifender waren, als die Frage nach einem Namen. Zumindest war das ihre Meinung.
 

„Du hast gesagt dein Auto ist ein Erbstück.. das Haus auch?“ Sie tat es schon wieder. Irgendwie schien es sie wohl doch zu beschäftigen auch, wenn wohl offen blieb warum das so war. Immerhin hatte sie sich zuvor noch heimlich aus dem Haus schleichen wollen. Robin empfand ihr Verhalten als sehr ambivalent und fragte sich, ob es Unsicherheit war, die sie dazu verleitete.
 

„Ist das wichtig?“ Gab sie die Frage der anderen zurück und lächelte leicht. Nora verzog daraufhin das Gesicht und würde noch einmal etwas von ihrem Kaffee trinken, bevor sie die Tasse von sich schob und sich zurücklehnte.
 

„Ich wundere mich einfach nur. Ich hatte erwartet, dass jemand der nur beruflich in der Stadt ist in einem Hotel wohnt und einen Mietwagen fährt.“ Sie war aufmerksam, das musste man ihr lassen und scheinbar reichte es aus, um ihr Interesse zu wecken. Allerdings hatte Robin nicht vor dieses Interesse zu befriedigen. Immerhin hatte sie nicht die Absicht jemanden kennenzulernen, da sie durchaus nur beruflich in der Stadt war. Ein Umstand den sie auch nicht ändern wollte, obwohl sie an gewissen Dingen festhielt. Die Kosten, die das ganze verursachte waren durchaus tragbar und jeder hatte eben seine Dinge, die man aufbewahrte. In Robins Fall war es eben ein ganzes Haus.
 

„Ich dachte du möchtest kein zweites Date?“
 

„Möchte ich auch nicht, ich mache nur Smalltalk. Du hast mir einen Kaffee angeboten.“
 

„Geht es bei Smalltalk für gewöhnlich nicht um das Wetter und was für Eissorten wir gerne essen?“
 

„Musst du immer das letzte Wort haben?“
 

Robin gluckste leise und zuckte mit den Schultern. Es war nicht so, dass sie es mit Absicht machte, doch konnte sie gleichzeitig eben auch nicht aus ihrer Haut. Manch einer würde sicher sagen, sie solle nicht alles auf die Goldwaage legen. Aber was sollte sie tun, wenn ihr derartige Vorlagen geliefert wurden?
 

„Ich mache dir einen Vorschlag.“ Und damit hatte sie sicherlich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auch, wenn Nora sie über den Rand ihrer Tasse hinweg, weiterhin skeptisch ansah. Robin fragte sich, ob dieses Misstrauen zu ihrem Charakter gehörte oder, ob es der Situation geschuldet war. Am vergangenen Abend hatte sie zumindest alles andere als ablehnend und misstrauisch gewirkt. „Ich bin vermutlich noch ein paar Tage in der Stadt. Wenn wir uns noch einmal in der Bar über den Weg laufen sollten und du es dann noch immer wissen möchtest, dann werde ich dir vielleicht deine Fragen beantworten.“
 

„Soll das jetzt doch ein zweites Date werden?“
 

„Nein. Ich schlage dir lediglich vor, dass wir darüber sprechen können, wenn sich unsere Wege noch einmal kreuzen sollten. Bis dahin sehe ich nicht, warum all diese Informationen für dich von Interesse sein sollten.“ Und so gab sie das ganze dann auch einfach wieder zurück. Letztlich konnte man sich da wohl auch entspannen. Robin konnte nicht einmal sicher sagen wie lange sie noch in der Stadt sein würde und selbst wenn, würde sie noch einmal in die Bar gehen? Das konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Gewissheit sagen. Und damit schwand die Wahrscheinlichkeit, dass man sich tatsächlich noch einmal über den Weg laufen würde.
 

„Gut.“
 

Man war sich also einig. Robin sah zu, wie Nora noch einmal die Tasse ansetzte und diese dann wohl leerte. Anschließend stand sie auf und schob die Hände in ihre Hosentaschen.
 

„Danke für den Kaffee.“ Und damit würde sie sich dann auch auf den Weg machen. Dieses Mal würde Robin sie nicht aufhalten sondern sah ihr nur einen Moment hinterher, bis sie schließlich durch die Wohnung nach draußen verschwunden war. Noch kurz blieb ihr Blick an der Tür hängen, dann aber würde sie sich kopfschüttelnd abwenden und sich langsam erheben. Bis Franky sie abholen würde konnte sie noch etwas Ordnung schaffen und sich vielleicht doch ein paar Gedanken dazu machen, wie sie den Kühlschrank füllen wollte. Denn egal wie sie es drehen oder wenden würde, sie würde sicherlich noch ein paar Tage hier ausharren müssen, bis sie Franky eines besseren geleert haben würde.
 


 

***
 


 

„Wir werden uns mit dem Captain treffen und sehen, was sie für neue Informationen sie haben auf denen wir aufbauen können. Danach kannst du dir den Lieferschein ansehen. Vielleicht hilft uns das weiter, ich denke sie werden irgendwo schon eine Spur hinterlassen haben.“ Franky’s Optimismus war schon beeindruckend. Er war früher bei ihr gewesen als erwartet und gemeinsam waren sie zum Präsidium gefahren. Auf der ganzen Fahrt hatte er ihr von seiner Arbeit berichtet und davon, dass er noch Hoffnung für diesen Fall hatte. Robin sah das auch weiterhin anders aber das würde sie ihm gegenüber nicht noch einmal betonen. Franky gehörte zu den Menschen, die durch solche Grenzen nur noch weiter angestachelt wurden und es anderen dann erst recht beweisen wollten. Nur, dass das hier eben kein Wettbewerb war. Es ging nicht darum bei einem Sprint der Schnellste zu sein. Oder bei einem Marathon die Zähne zusammen zu beißen und gegen den Schmerz zu laufen. Das hier war ihr Job und nur, weil man es unbedingt wollte, tauchten nicht aus heiterem Himmel neue Beweise auf oder ein möglicher Täter präsentierte sich vor ihnen. Sie mussten mit dem arbeiten was sie hatten und dem, was mögliche Beweise hergaben. Letztlich würde er dann hoffentlich von alleine erkennen, dass sie hier nichts in der Hand hatten.
 

„Ein Lieferschein ist nicht gerade eine fälscherische Höchstleistung. Vermutlich haben sie sich ein Original beschafft und damit einen entsprechenden Entwurf gestaltet.“
 

„Aber man würde es erkennen, wenn es nur eine einfache Kopie wäre. Und das ist es nicht.“
 

„Wenn du das schon weißt, wozu genau brauchst du dann mich?“ Inzwischen waren sie ausgestiegen und Robin stand neben dem Wagen, hatte die Hände in die Hosentasche geschoben, um darauf zu warten, dass Franky seine Sachen zusammen gesucht hatte. Er fischte seinen Rucksack aus dem Kofferraum seines Mietwagens und warf sich diesen über die Schulter. So wie sie ihn kannte befanden sich mindestens zwei Flaschen Cola darin, vielleicht noch ein Sandwich, doch das was er wirklich brauchte war dieses süße, ungesunde Zeug. Robin würde nie verstehen, wie er as Zeug literweise in sich hineinschütten konnte und gleichzeitig so sportlich war. Aber manch einer besaß eben gute Gene und in Franky’s Fall war das sicherlich so.
 

„Erstens; weil ich kein Experte bin. Und zweitens, es ist eine Spur! Wenn sie an ein Original gekommen sind, dann vielleicht irgendwie durch einen Zugang zu den Büro’s und möglicherweise haben sie dabei gefälschte Ausweise benutzt.“
 

„Die sie vermutlich nicht brav für uns zurückgelassen haben“, gab sie zu bedenken. Franky verzog angestrengt das Gesicht. Sie ging ihm damit auf die Nerven, dass sie immer das letzte Wort haben musste. Robin wusste darum und dennoch sollte man diesen Fund durchaus nicht überbewerten. Man musste ihn in Relation zu allem sehen und aus ihrer Sicht war das eine nette Spur, die aber ihr nicht weiterhelfen würde. Sie drehten sich im Kreis.
 

„Könntest du mir einen Gefallen tun?“ Skeptisch sah sie zu ihm hinauf, während sie die Treppen zum Eingang des Präsidiums hinaufstiegen.
 

„Könntest du deine erquickenden Gedanken für dich behalten, wenn wir gleich da oben sind? Ich will wenigstens die Chance haben mir das alles genauer anzusehen und das kann ich nicht, wenn du ihm erzählst, dass wir hier ohnehin nichts machen können.“
 

„Solange du nicht von mir verlangst, dass ich ihm erzähle, dass dieser Lieferschein ein riesiger Durchbruch sei kann ich mich wohl damit anfreunden.“ Man musste es ja nicht gleich so hart ausdrücken aber sie würde auch nicht lügen. Immerhin würde das auf sie zurückfallen und, wenn Robin nun behaupten würde, dass sie damit ein handfestes Profil erstellen konnte, dann müsste sie auch liefern. Gemessen daran, dass sie hier bereits von vorne herein wusste, dass sie das nicht konnte, war es doch besser diese ganze Sache nicht größer zu machen, als sie war.
 

„Schön. Wir wäre es, wenn du einfach die Klappe hältst und mir das reden überlässt?“ Ob das die bessere Idee war wagte Robin durchaus zu bezweifeln. Allerdings war das kaum der richtige Moment, um sich mit Franky zu streiten oder zu versuchen ihn zu belehren. Der Mann hatte einen schrecklichen Starrkopf und meist wäre es lediglich Zeitverschwendung zu glauben, dass das alles mit Vernunft zu regeln wäre.
 

„Solange du keine Versprechungen machst, die wir nicht halten können.“ Dann konnte man das wohl als einen Deal bezeichnen. Und das sie ihm anderenfalls in seine wunderbare Parade grätschen würde, das konnte er sich ebenfalls denken. Robin hatte mit solchen Dingen durchaus keinen Vertrag und ihr war es auch egal, wie außenstehende das bewerten würden. Am Ende ging es dabei, was für sie realistisch war und das sie aus diesen wenigen Beweismitteln ein ausgefeiltes Profil erstellen könnte, das gehörte gewiss nicht dazu.
 

Doch abgesehen von ihren Zweifeln musste sie diese nun erst einmal bei Seite schieben und sich auf das Gespräch einstellen. Denn egal, wie sie jetzt darüber dachte, es gehörte eben auch zu ihrem Job nun unvoreingenommen in das alles hinein zu gehen und das anzunehmen was man ihnen sagen würde. Immerhin gehörten zwei Seiten dazu und bisher war es nur Franky gewesen, der die Gespräche mit den Behörden geführt hatte. Es war also Zeit das alles zu verändern. Und so würde sie ihm die Treppen hinauf folgen, wo man nun sicher das Büro des Captain ansteuern würde.
 

Viele der Polizisten und andere Menschen kamen ihnen entgegen und es herrschte bereits reges Treiben. Vermutlich waren die meisten Dienstbesprechungen vorbei und man machte sich an die Arbeit für Ermittlungen und Einsätze. Man war also gezwungen etwas gegen den Strom zu gehen, doch Robin konnte sich leicht in den Windschatten ihres Partners schieben, um sich nicht weiter von all dem beirren zu lassen. Man wusste wo die jeweiligen Stärken lagen und während Robin doch eher eine Beobachterin war, war Franky derjenige der auch einmal gut anpacken konnte. Etwas das auch dazu geführt hatte, dass er inzwischen entsprechend breit aufgestellt war was seinen Körperbau anging. Robin erinnerte sich noch gut daran, wie sie ihn vor einigen Jahren kennengelernt hatte. Bereits damals war er dem Kraftsport nicht abgeneigt gewesen. Er war ein Boxer, jemand der gerne den direkten Kontakt suchte, obgleich er auch eine gute Waffe zu schätzen wusste. Im laufe der Jahre war das ganze aber fast schon zu einer Sucht geworden und Robin hatte dabei zugesehen wie ihr Freund im Zuge seiner Selbstoptimierung immer breiter geworden war. Das er dennoch eine gewisse Wendigkeit aufwies war sicherlich das, was die meisten Menschen überraschen würde und, was sie auch als seine große Stärke beschreiben würde.
 

Sie erreichten das passende Stockwerk und konnten sich von der Treppe entfernen, um in einen Gang zu treten von dem verschiedene Türen abführten. Und während es weiter hinten sicherlich eine Personalküche und Verhörzimmer gab, so bogen sie doch in das Großraumbüro ab und würden sich ihren Weg durch die Schreibtische hindurch bahnen. Hier war es deutlich ruhiger. Nur vereinzelt saß jemand an seinem Schreibtisch und war mit seinem Computer beschäftigt. Weiter hinten unterhielten sich zwei Streifenpolizisten. Sonst war niemand zu sehen und sie konnten unbehelligt zum anderen Ende des Raumes gehen, wo es eine weitere Tür gab. Dahinter befand sich ein Büro in dem ein weißhaariger, breiter Mann auf und ab ging und in ein Telefon sprach. Man konnte ihn durch das Fenster beobachten, welches wohl dazu diente seinen Leuten seine permanente Präsenz deutlich zu machen. Das auffälligste an ihm war allerdings seine Zigarre, die er im Mundwinkel trug und immer mal wieder herausnahm, um mit ihr in der Hand wild zu gestikulieren.
 

Für Robin zeichnete er das Bild eins vergangenen Jahrhunderts. Ältere Männer in diesen Positionen gaben selten etwas auf die Meinung einer Frau. Sie machten ihre eigenen Regeln, was er durch die Zigarre sicherlich unterstrich. Das in dem ganzen Gebäude ein Rauchverbot galt schien nicht weiter von belang zu sein. Er zelebrierte diesen Akt und das nicht nur mit einfachen Zigaretten, die vielleicht noch schnell verschwunden wären. Nein. Zigarren waren eher eine edle Ware, die von Genuss und einer gewissen Dekadenz zeugten. Nicht, dass dieser Mann seine Zigarre gerade genoss. In seiner Wut schien er sie förmlich in sich hinein zu saugen, doch das war nicht der wesentliche Aspekt daran. Es zählte viel eher, welches Bild dadurch vermittelt wurde und das sprach für sie eine doch recht eindeutige Sprache.
 

Der Mann blickte auf, als sie sich der Tür näherten und gab ihnen ein Zeichen, dass sie hinein kommen sollten. Franky zögerte bei dieser Einladung nicht und öffnete gleich die Tür. Abgestandene, von Zigarrenrauch getränkte Luft schlug ihnen entgegen. Robin musste sich beherrschen, um keine Miene zu verziehen. Für sie gab es kaum etwas schlimmeres als den Geruch von kaltem Rauch.
 

„Dann schaffen Sie diese angebliche Zeugin endlich her, das kann ja wohl nicht so schwer sein!“ Brüllte der andere in das Telefon, bevor er das Gespräch einfach beendete und das Gerät zurück auf die Station knallte.
 

„Ich hoffe, dass Sie mir etwas brauchbares mitteilen können“, wandte er sich gleich an Franky. Robin hatte er nur einen kurzen Blick zugeworfen, doch das war nichts neues. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass sie beruflich miteinander zu tun hatten, doch der Ablauf war meistens der gleiche. Möglicherweise hatte es damit zu tun, dass Robin ihm deutlich gemacht hatte, dass sie nicht viel von seinem Führungsstil hielt und sich nicht von ihm herumkommandieren lassen würde, wie andere in seiner Einheit. Es könnte aber auch mit dem Fall ihrer Mutter zusammenhängen und dem Umstand, dass Robin seinen Vater der schlechten Polizeiarbeit beschuldigt hatte. Was auch immer es war, diese unterschwelligen Spannungen sorgten dafür, dass es ohnehin meistens Franky war, der die Gespräche führte, wenn es sein musste. Nur, dass Robin sich heute noch mehr als sonst zurückhalten musste.
 

„Unsere Händler haben uns einige brauchbare Hinweise hinterlassen, die wir als ihre Signatur auffassen können. Es gibt dazu zwar bisher keine übereinstimmenden Treffer im System und doch sind es doch sehr markante Details die uns der Zustand der Mädchen erzählen konnte. Möglicherweise haben wir es hier mit jemandem zu tun der dabei ist sich neu zu etablieren und das scheinbar durchaus erfolgreich.“
 

„Ich höre dabei noch nichts was uns hilft. Ich will nicht wissen, woher die Mädchen gekommen sind, ich will wissen wer zum Henker sie hergeholt hat!“
 

„Es hängt zusammen. Die Mädchen tragen Male auf ihrem Körper, die nicht einfach wieder verschwinden werden. Es dürfte möglich sein sie in Club’s oder auf der Straße zu identifizieren, wenn wir sie finden. Wir kommen über die Mädchen an ihn heran, wenn wir ein konkretes Profil zu ihnen erstellen.“
 

„Vorausgesetzt es sind überhaupt schon andere Mädchen hier.“ Er zeigte sich Kritisch. Smoker, wie er von seinem Umfeld nur genannt wurde hatte an dieser Stelle sicherlich keine Geduld für lange reden. Wenn es nach ihm ginge, dann würde man ihm nun am besten eine Adresse und den vollen Namen präsentieren können, doch so lief das alles nun einmal nicht.
 

„Gemessen daran, wie die Mädchen hergekommen sind dürfte das nicht das erste Mal gewesen sein. Sonst wären sicher mehr verstorben. Zumal sie auch das Prozedere am Hafen kannten.“
 

„Nur nicht gut genug. Der Fälscher muss ein Stümper gewesen sein.“
 

„Das würde ich nicht sagen.“ Robin sollte sich zwar nicht einmischen, doch dieser Mann saß eindeutig auf dem falschen Dampfer. Egal was sie von Franky und seiner Idee hielt, Fakt war nun einmal, dass man hier eben doch gegen organisierte Profi’s spielte und man gut daran täte das nicht zu unterschätzen.
 

„Ich habe das Original nicht gesehen doch gemessen an den Fotos und den Aussagen des Sicherheitspersonals vor Ort, ist das ganze nur aufgeflogen, weil vor kurzem etwas an den Ausweisen verändert wurde und die Sicherheitsprotokolle angepasst wurden. Wäre das nicht geschehen, dann hätte man das ganze sicherlich durch gewunken und nicht bemerkt. Sie haben es hier mit einem Profi zu tun. Vielleicht mit einem, der falsch informiert war aber grundsätzlich kann es auch sein, dass er mit den Informationen gearbeitet hat, die ihm geliefert wurden. Die Arbeit als solche war fehlerfrei.“ Das galt es doch anzumerken. Möglich, dass jemand wie Robin einen Fehler gefunden hätte, doch sie war darauf geschult. Sie suchte die Fehler im kleinen, die winzigsten Details, die über die Handschrift eines Fälschers Auskunft gaben. Details auf die sonst niemand achten würde. Aus ihrer Sicht war es durchaus ratsam das ganze nicht zu unterschätzen.
 

„Und was können sie mir ansonsten noch sagen außer, dass wir es hier mit Profi’s zu tun haben. Das sehe ich selbst!“ Fuhr er sie an. Robin verzog keine Mine. Das ihr Gegenüber angespannt war, war kein Wunder. Vermutlich saß jemand von weiter oben ihm im Nacken und wollte Antworten. Zumal es niemand gerne hatte, wenn die eigene Stadt mit Menschenhandel in Verbindung gebracht wurde. Eine ziemlich brisante und heikle Angelegenheit. Druck von außen war nie etwas gutes und aus der Erfahrung wusste sie auch, dass meistens eher die eigenen Interessen vertreten wurden, als die der jungen Frauen zu wahren, die unter all dem am meisten zu leiden hatten. Es waren ihre Leben und Schicksale, die auf dem Spiel standen und gleichzeitig war es bisher in keiner der Unterredungen darum gegangen herauszufinden, wer sie waren. Woher sie kamen. Und wie man vielleicht ihre Familien erreichen könnte. Es gab weit mehr Schattenseiten und man kratzte hier lediglich an der Oberfläche.
 

„Wir müssen die Chance bekommen umfangreichen Einblick in die Ermittlungen zu erhalten, um ihnen ein Profil erstellen zu können.“
 

„Und wie lange wollen sie dafür brauchen?“
 

„Das ist abhängig davon, wie schnell wir die passenden Einblicke bekommen. Sie sind sich ja bereits darüber im klaren, das der Verlust von wichtigen Dokumenten unsere Arbeit beeinträchtigen wird und wir entsprechend nicht über alles klare Aussagen treffen können.“ Robin fragte sich, auf welcher Basis er überhaupt Aussagen treffen wollte aber das mussten sie unter vier Augen diskutieren. Denn sie hörte sicherlich das gleiche was auch Smoker hörte. Und das war, dass sie am Ende absolut nichts in der Hand hatten.
 

„Wir sind dran aber wenn sie ihre Profile von einem einzigen Dokument abhängig machen, dann sind sie für uns keine Hilfe.“
 

„Die Kerle, die die Mädchen verschiffen und kaufen wollen ein besonderes Leid in ihnen schüren. Sie legen den Weg zur Freiheit augenscheinlich in ihre Hände in dem Wissen, dass sie diese doch nicht erreichen können. Es geht darum sie mental zu brechen und dafür zu sorgen, dass sie irgendwann auch nicht mehr versuchen werden davonzulaufen. Selbst dann nicht, wenn sie alle Freiheiten erlangen würden. Sie haben es hier nicht nur mit einem stumpfsinnigen Kerl zu tun, der Mädchen fängt und einsperrt. Es steckt mehr dahinter. Diese Mädchen dienen nicht nur dem Zweck des Menschenhandels. Das ist etwas größeres.“ Vielleicht. Wahrscheinlich. Robin musste Franky zumindest in diesem Punkt zustimmen. Der Aufwand war zu groß. Würde es nur darum gehen neue Mädchen für Bordelle oder den Straßenstrich zu finden, dann könnte man es einfacher haben. Man könnte sie einfach aneinander ketten und verschiffen und doch folgte das alles nicht den üblichen Mustern.
 

Smoker schwieg, nahm noch einen tiefen Zug von seiner Zigarre und stieß diesen aus. Robin fragte sich, wie lange es dauern würde, bis man in diesem nichts mehr durch den Rauch sehen könnte. Sie driftete ab, das merkte sie auch, wenn es für außenstehende wohl kaum ersichtlich war.
 

„Ich gebe ihnen vier Tage. Wenn bis dahin keine Resultate auf meinem Tisch liegen, dann sind sie den Job los.“ Und damit war das Gespräch wohl beendet. Er wollte sich nicht weiter damit befassen und nach einem kurzen Blickwechsel würde sich Franky dann auch abwenden. Robin würde ihm folgen. Hinaus aus dem Büro, wieder zwischen den zahlreichen Schreibtischen hindurch und zurück auf den Flur.
 

Franky holte bereits sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer, um sich an die Arbeit zu machen. Ab jetzt lief die Zeit für und gegen sie. Wobei sich Robin sicher war, dass sie in vier Tagen wieder in einem Flugzeug auf dem Weg nach Hause sitzen würde.

friendship


 

2023 - New York
 


 

„Wo bist du diesmal gewesen? Ich dachte eigentlich wir wollten uns mal wieder einen gemütlichen Abend machen. Du bist nur noch unterwegs und arbeitest.“
 

„Es hat sich kurzfristig was ergeben. Entschuldige.“
 

„Eine Frau?“ Nami hob den Blick. Sie hatte es bis nach Hause geschafft doch entgegen ihrer Hoffnungen war Vivi nicht bei der Arbeit gewesen. Am liebsten wäre sie diesem Gespräch aus dem Weg gegangen, da ihr der Sinn absolut nicht danach stand. Vivi war eine Frohnatur und oft eine Spur zu naiv. Es war daher wohl kaum verwunderlich, dass sie nicht ahnte wie tief Nami eigentlich in den Strukturen der Unterwelt steckte, wie sie es gerne beschrieb. Vivi’s Vater war Bürgermeister der Stadt und sie eiferte ihm durchaus nach. War politisch aktiv und besetzte auch ein paar Ehrenämter. Menschen wie Nami gehörten daher eigentlich zu jenen, die sie am liebsten für immer Wegsperren würde.
 

„Es war ein langer Tag und ich brauchte ein bisschen Entspannung.“
 

„Wirst du sie wiedersehen?“
 

„Natürlich nicht. Du weißt, ich suche keine Beziehung.“
 

„Es würde dir durchaus gut tun endlich mal wieder jemanden an deiner Seite zu haben.“ Das war zumindest ihre Meinung, die Vivi vehement vertrat. Nami wusste, dass es lediglich ein Ausdruck ihrer Sorge war auch, wenn sie dabei vergas das Nami andere Bedürfnisse hatte. Vivi selbst war ein Beziehungsmensch, sie konnte nur schwerlich alleine sein. Ein Grund, warum Nami sich manchmal fragte, ob die Beziehung zu ihrem Kindheitsfreund wirklich das war, was sie wirklich wollte. Doch im allgemeinen schien er sie glücklich zu machen und das war die Hauptsache. Zumal sie sich in ihrer politischen Sicht durchaus einig waren, obgleich sie sehr unterschiedliche Ansätze hatte, um diese zu vertreten. Denn während Vivi durchaus glaubte auf politischem Boden etwas verändern zu können würde Nami ihren Freund doch eher als Aktivist bezeichnen. Einer der seine Sichten auch schon einmal etwas vehementer vertrat. Kein Wunder also, dass ihr Vater nur bedingt begeistert von dieser Verbindung war.
 

„Ich komme auch wunderbar ohne jemanden an meiner Seite zurecht. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig und kann auch so meinen Spaß haben.“ In erster Linie ging es zwar um ihr Doppelleben und darum, dass sie deswegen niemanden zu nah an sich heranlassen konnte. Zum einen würde keine Frau das akzeptieren und gut finden und zum anderen saß ihr Aron im Nacken, sobald er das Gefühl hatte, dass sie sich nicht völlig auf ihre Aufgabe konzentrierte. Und sicherlich würde er eine Frau an ihrer Seite, nur als weiteres Druckmittel sein, was er gegen sie verwenden konnte. Entgegen ihrer Worte ging es dabei also weniger um ihre eigene Einstellung als darum was die Umstände ihr aufzwangen und was sie einfach akzeptieren musste.
 

„Irgendwann wird dir eine Frau begegnen bei der du das anders siehst.“
 

„Warum ist es nicht auch in Ordnung, dass ich alleine glücklich bin? Warum ist das größte Ziel im Leben eine Partnerschaft?“ Abgesehen von ihrer eigenen Situation war das durchaus ein Punkt, den sie in Frage stellte. Nicht jeder Mensch brauchte und wollte eine Beziehung führen und das war durchaus in Ordnung. Es war auch nichts an dem sie selbst ihren Selbstwert messen würde. Messen durfte. Sie brauchte keinen anderen Menschen, um sich selbst zu vervollständigen oder besser zu fühlen. Das musste sie alleine schaffen. Sie war verantwortlich für ihr eigenes Glück, das hatte sie schon früh von ihrer Mutter gelernt und daran würde sie auch festhalten.
 

„Ich finde es einfach schön Dinge teilen zu können. Gemeinsame Erinnerungen zu schaffen und jemanden zu haben, der da ist wenn es einem schlecht geht und den Rücken stärkt.“
 

„Also führen wir zwei auch eine Beziehung?“ Ein wenig grinste sie und wackelte mit den Augenbrauen. Das konnte man sicher verschieden auslegen aber am Ende war Vivi ihre beste Freundin. Einer der wichtigsten Menschen in ihrem Leben und sie verbrachten viel gemeinsame Zeit. Man war füreinander da und da Nami auch sehr aktiv war, wenn sie andere Bedürfnisse hatte, konnte sie all das durchaus auch ohne eine Beziehung ausgleichen.
 

„Ja, aber keine romantische“, korrigierte Vivi das ganze dann noch einmal und schmunzelte. Man verstand sich schon und Nami nahm es ihr auch nicht übel. Immerhin wusste sie, dass ihre Freundin nur das beste für sie wollte. Und doch war das eben weit komplizierter als es von außen aussah. Früher hatte sie noch die Hoffnung gehabt sich irgendwann von all dem lösen und befreien zu können. Sie hatte geglaubt, dass es möglich wäre ihre Arbeit irgendwann als beendet anzusehen. Das Aron sie irgendwann nicht mehr brauchen würde. Ein naiver Gedanke eines Kindes, welcher irgendwann im Keim erstickt worden war. Sie saß einfach zu tief drin und konnte nicht mehr einfach so aussteigen. Nami besäße durchaus die Fähigkeiten unterzutauchen. Doch untertauchen konnte man nur dann, wenn es nichts gab was man zurücklassen würde. Und sie ließ etwas zurück. Nicht nur ihre Schwester, die sie vielleicht mit sich nehmen könnte. Sie hatte viele Jahre zu niemandem enge Bindungen aufgebaut und doch war es irgendwann geschehen. Jeder Mensch brauchte das, andere Menschen, Vertraute. Doch diese Vertrauten würde sie in Gefahr bringen, sobald sie aus seiner Reichweite verschwinden würde und das war doch ein schwerwiegender Punkt, den sie nicht würde ignorieren können.
 

„Ich bin zufrieden wie es ist. Das letzte was ich gebrauche ist der Stress, der mit einer Beziehung einher gehen kann. Sieh dir nur an, was Sanji für einen Stress hat.“
 

„Er lebt Polyamor, das kannst du nicht vergleichen. Natürlich ist so etwas mehr Arbeit und du musst besser und mehr kommunizieren. Zumal er auch eine Schwäche für komplizierte Frauen hat. Nicht jede Beziehung bedeutet Stress, nicht wenn es passt.“
 

„Wie auch immer.. für mich ist es gut wie es ist.“ Das war es. Sie wollte auch nicht andere vorschieben, denn was wusste Nami schon von Beziehungen? Die zu Carina war letztlich die einzig handfeste, die sie vorweisen konnte. Ansonsten hatte es kaum zu etwas gereicht oder die Möglichkeiten waren nicht gegeben gewesen. Andere hatten ihr da durchaus mehr voraus und zu sagen, dass alles an ihrer Beziehung schlecht gewesen sei wäre sicherlich auch unfair. Das war durchaus nicht so gewesen auch, wenn die Trennung ihnen am Ende beiden gut getan hatte.
 

„Und diese Frau?“ Hakte Vivi dann doch noch einmal nach. Nami zuckte mit den Schultern und würde noch einmal einen Schluck trinken, bevor sie die Tasse zur Seite schob.
 

„Es war.. gut. Sehr gut. Sie wohnt in einem Haus, draußen am Stadtrand. Sie scheint nur beruflich in der Stadt zu sein und heute morgen haben wir noch einen Kaffe getrunken und.. was?“ Nami brach ab und hob die Brauen, während Vivi nur schmunzelte und die Nase dann wieder in ihrer eigenen Tasse versenkte.
 

„Regel Nummer drei: bleib nie zum Frühstück?“ Nami verdrehte die Augen. Natürlich wurde ihr das nun vorgehalten. Bei all dem Spaß den sie hatte, musste sich Nami natürlich auch an Regeln halten. Jeder, der das tat, hatte die. Und das Nami nie zum Frühstück blieb und sich vorher verdrückte hatte den Einfachen Grund, dass sie keine Missverständnisse aufkommen lassen wollte. Es sollte nicht so aussehen als habe sie nach einer tollen Nacht doch Interesse daran, dass mehr daraus wurde. Das man miteinander sprach und sich wiedersehen würde.
 

„Ich war dabei zu verschwinden. Aber sie war schon wach und hat mich erwischt. Was hätte ich machen sollen?“
 

„Sie hat dich erwischt und dir einen Kaffee angeboten?“ Vivi lachte und Nami sah sie zerknirscht an. Das war nicht gerade angenehm gewesen so viel konnte sie durchaus sagen. Natürlich hätte sie die Frage ignorieren und einfach kommentarlos verschwinden können. Aber hätte es das wirklich weniger peinlich oder unangenehm gemacht? Vermutlich nicht. Sie hatte sich also lieber für das geringere Übel entschieden, um noch einmal klarzustellen, was ihre Intentionen hinter all dem waren. Oder was sie eben nicht waren. Je nachdem, wie man es betrachten wollte.
 

„Dafür, dass du nur etwas Spaß hattest, weißt du ganz schön viel. Was macht sie beruflich?“
 

„Weiß ich nicht.“
 

„Und wie heißt sie?“ Nami verdrehte die Augen und blickte Vivi dann einfach nur an. Was erwartete sie nun? Sie wusste ganz genau, dass Nami niemals ihren Namen preis gab und auch nicht wusste mit wem sie da im Bett gelandet war. Nur, dass es diesmal doch ein bisschen anders war. Nami hatte ihr den Namen in ihrem Pass genannt. Den Namen, den sie für die Behörden trug. Nicht den, wie ihre Mutter sie immer genannt hatte und, wie enge vertraute sie auch nannten. War das ein Fehler gewesen? Was aber definitiv ein Fehler war, war Vivi dieses Blickduell gewinnen zu lassen. Sie wusste es und dennoch würde sie irgendwann seufzend nachgeben.
 

„Robin.“
 

Vivi kicherte wieder und sah sie vielsagend an. Es hatte keinen Sinn sie anzulügen. Was das anging schien sie immer einen guten Riecher zu haben. Auf der anderen Seite bedeutete es aber, dass Nami sich das nun die nächsten Tage würde anhören müssen. Ja, sie hatte ihre Regel gebrochen. Toll. Vermutlich würde sie das alles weniger stören, wenn Nami selbst behaupten könnte, dass ihr das alles egal wäre. War es aber nicht. Sie hatte selbst gemerkt, dass diese Frau etwas an sich hatte, was sie neugierig machte. Was genau das war, das vermochte Nami nicht zu sagen. Vielleicht war es ihre Ausstrahlung, ihre Art oder einfach wie sie Nami ansah. Am Ende spielte es aber keine wirkliche Rolle, sie würde sie nicht wiedersehen. Und das war auch besser so.
 

„Und wie küsst Robin?“
 

„Hör auf.“
 

„Warum? Hatte ich doch recht?“ Vivi lauerte nur darauf, das wusste Nami. Es gab zwar keine Regel die davon sprach, dass Nami niemanden küsste, doch ein Kuss konnte viel aussagen. Es war eher so, dass es ihr wichtig war, wie sich ein Kuss anfühlte und; was er in ihr auslöste. Meistens löste es kaum bis gar nichts aus. Etwas dem sie durchaus zugetan war, denn das bedeutete, dass sie die ganze Sache schnell wieder vergessen würde. Bedeutungslos.
 

Der erste Kuss mit Robin hatte allerdings Eindruck hinterlassen. Zwar war Nami etwas angetrunken gewesen aber sicherlich nicht so, dass es ihr die Sinne vernebelt hätte. Sie hatte all das sehr genau wahrgenommen und als Robin sie in ihr Schlafzimmer geschoben, bestimmend und mit deutlichem Nachdruck, da hatte sie die Hand in ihren Nacken geschoben und sie an sich gezogen. Kurz darauf hatte Nami gespürt wie Robin ihren Mundraum mit ihrer Zunge für sich erobert hatte. Ein Kuss der ihr den Atem genommen hatte.
 

Robin war eine Frau, die genau wusste was sie wollte. In der Regel war Nami diejenige, die in solchen Nächten die Führung übernahm. Sie nahm sich was sie wollte, hatte ihren Spaß und ging dann wieder. Robin allerdings hatte sie gar nicht erst zum Zuge kommen lassen und Nami hatte sich auf einmal in einer ganz neuen Situation wiedergefunden. Eine Situation, die sie so nicht kannte und; die sie durchaus genossen hatte.
 

Sie hatte diese ganze Nacht genossen und es wäre daher auch eine Lüge, wenn sie sagen würde, dass sie Robin von der Bettkante stoßen würde, sollte sich diese Möglichkeit noch einmal ergeben. Dennoch; das würde definitiv gegen ihre Regeln verstoßen.
 

„Okay.. es war gut, verdammt gut. Bist du jetzt zufrieden?“ Ihre Worte sorgten doch dafür, dass sich ein leichtes Grinsen auf Vivi’s Lippen stahl. Sie sprach selten wirklich gut über ihre Bettgeschichten und Vivi war sensibel genug diese feinen Unterschiede durchaus zu bemerken und für sich festzuhalten.
 

„Und du willst sie wirklich nicht wiedersehen?“
 

„Selbst wenn ich wollen würde, ich habe nicht ihre Nummer. Vergessen wir das also.“ Warum genau musste sie auch so sehr darauf herumreiten? Für Nami war es durchaus nicht einfach, immerhin hatte sie selbst ein gewisses Interesse an dieser Frau gespürt und versuchte nun, aus gutem Grund, Distanz zu der vergangenen Nacht zu gewinnen.
 

„Wenn du es wollen würdest, dann würdest du einen Weg finden. Du weißt wo sie wohnt, es gibt Instagram, Social-Media..“
 

„Ich bin kein scheiß Stalker. Es wäre absolut übergriffig nun etwas mit ihrer Adresse anzufangen.“ Und mit allem anderen. Nein. Das konnte sie nicht machen. Wie würde das auch aussehen? Wie eine verzweifelte Frau, die dringend versuchte die Aufmerksamkeit ihres Schwarms zu erlangen, weil sie sich nach einer Nacht hoffnungslos verliebt hatte. Nein. So eine Frau war Nami nicht und sie wollte so etwas auch nicht auf diese Weise angehen. Zum einen, weil es so nicht war. Zum anderen, weil Robin dann ohnehin kein Wort mehr mit ihr wechseln würde.
 

Zudem war es auch nicht so als gäbe es wirklich keine Optionen. Robin hatte von einem Zufälligen Treffen in Carina’s Bar gesprochen. Wenn es sich denn ergeben würde. Für Nami stand am Ende nur die Frage; hatte die andere es ernst gemeint? Hatte sie überhaupt vor noch einmal in die Bar zu kommen? Oder hatte sie Nami nur vertrösten und auf Abstand halten wollen? Bisher könnte sie sich alles vorstellen. Robin war ein Buch mit sieben Siegeln und absolut undurchsichtig. Vielleicht war das auch ein Punkt, den Nami so faszinierend an ihr fand. Dass sie eben nicht wie alle anderen Frauen war, nicht wie diejenigen, mit denen Nami sonst zu tun hatte. Das war durchaus noch einmal etwas ganz anderes.
 

Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als für sich die Entscheidung zu treffen, ob sie in den nächsten Tagen noch einmal ihr Glück in der Bar versuchen wollte, oder nicht. Gleichzeitig hingen ihre Möglichkeiten dahingehend aber auch damit zusammen, wie sehr Aron sie beanspruchen würde und, was er mal wieder brauchte. Phasenweise hockte sie durchaus lange, manchmal auch Nächte, in seinem Anwesen, um seine Aufträge abarbeiten zu können. Möglicherweise war es auch einfach eine Sache, die sie spontan entscheiden müsste.
 

„Ich sage nicht, du sollst sie stalken. Ich sage, du sollst dich wenigstens einmal darauf einlassen und sehen, was passiert anstatt gleich jede Frau in den Wind zu schießen, die dir begegnet. Du weißt nie wohin es dich bringen wird.“
 

„Sie arbeitet doch ohnehin nicht in der Stadt und wird bald wieder weg sein.“ Vivi verdrehte bei diesen Worten nur wieder die Augen und atmete schwer durch. Sie schien offensichtlich keine besonders leichte Zeit zu haben. Zumindest wirkte sie so, als würde sie einfach völlig verzweifeln. Gewiss war es nicht Nami’s Absicht ihre Freundin in den Wahnsinn zu treiben und doch geschah es ihr ganz recht, wenn sie einfach nicht locker lassen wollte.
 

„Wäre das nicht eigentlich der perfekte Grund es zu versuchen? Sie wird ohnehin freiwillig verschwinden und du musst dir keine Sorgen machen.“
 

„Was muss ich tun, damit du endlich Ruhe gibst?“ Ja, das war Verzweiflung! Nami wusste einfach nicht weiter. Wusste nicht wie sie damit umgehen sollte. Sie wusste nicht wohin mit sich und ihren Gefühlen und wie sie Vivi dazu bringen sollte nicht weiter in diesem Thema herum zu bohren.
 

Man könnte fast von Glück sprechen, als ihr Gespräch von ihrem Handy unterbrochen wurde. Nami drehte es um, damit sie auf den Display sehen konnte, wo die ersten Nachrichten von Aron aufleuchteten. Dabei vibrierte ihr Handy weiter in ihrer Hand, während die Nachrichten im Sekundentakt hereinkamen. Er hatte die nervige Angewohnheit seine Nachrichten nach jeder Aussage abzuschicken. Manchmal glaubte Nami, dass es nur dazu diente die Sache noch dringlicher wirken zu lassen, als sie es eigentlich war. Immerhin wusste sie, dass er gerade vermutlich an seinem Laptop saß und die Nachrichten von dort aus schickte. Aron hasste Smartphones. Die „winzigen Teile“ nervten ihn einfach. Zumindest wenn es darum ging etwas zu tippen. Er kam damit einfach nicht zurecht und verlor schnell die Geduld. Deswegen neigte er für gewöhnlich auch dazu wegen jeder Kleinigkeit anzurufen, sobald er unterwegs war und nicht seinen Laptop für Nachrichten benutzen konnte. Nami war dankbar, dass das heute nicht der Fall war.
 

„Ich muss nachher arbeiten“, stellte sie fest. Nami hatte zwar nicht alle nachrichten gelesen aber die Quintessenz war dennoch deutlich geworden. Es gab wieder irgendetwas das getan werden musste und sie sollte ins Anwesen kommen. Die Vermutung lag nah, dass es irgendetwas mit diesem verdammten Ausweis zu tun hatte. Was genau würde sie wohl dann erfahren. Und so gerne sie das alles nun ignorieren wollte, es wäre falsch ihn noch weiter zu reizen. Nach der Warnung, die er am vergangenen Tag ausgesprochen hatte täte sie wohl gut daran dafür zu sorgen, dass er sich wieder beruhigte und zufrieden war. Das letzte was sie gebrauchen konnte war, dass er auf die Idee kam bei ihrer Schwester im Café vorbei zu schauen und dieser zu verdeutlichen, dass er doch noch immer die Hand über ihrem Leben hatte.
 

„Ich dachte du bist heute nicht im Café.“
 

„Der andere Job.“
 

Vivi erhob sich und würde die Tassen einsammeln, um diese dann auch zur Spüle zu bringen und sich darum zu bemühen. Vermutlich sollte Nami sich nicht zu viel Zeit lassen. Sie sollte die Nachrichten lesen und sich dann bei Ronan melden, damit er sie abholen konnte. Immerhin konnte sie nicht einfach so zu Aron stapfen und an der Pforte klingeln.
 

„Du arbeitest zu viel. Mein Angebot steht, das weißt du, oder? Ich kann wirklich mehr von der Miete übernehmen, das ist kein Problem.“
 

„Das musst du nicht. Ich komme gut aus wie es ist.“
 

„Ich würde dich dennoch gerne wieder öfter sehen und nicht nur, weil wir uns zufällig über den Weg laufen.“ Ein Gedanke, den auch Nami nachvollziehen konnte. Immerhin waren sie nicht umsonst zusammengezogen. Sie hatten sich sofort verstanden, als sie sich vor neun Jahren kennengelernt hatten. Nami war feiern gewesen und auf dem Weg nach Hause war sie Vivi in die Arme gelaufen, die von von paar unangenehmen Kerlen belagert worden war. Nami, angetrunken wie sie gewesen war, hatte sich eingemischt und sich nicht beirren lassen. Es hatte damit geendet, dass eine völlig aufgelöste Vivi auf Nami’s Couch gehockt und ihr ihr halbes Leben erzählt hatte. Das Mädchen, dass immer nach den Regeln spielen musste, hatte ausbrechen wollen. Und das war einfach etwas nach hinten losgegangen. Seither gehörte Vivi zu ihrem Leben dazu. Hatte es irgendwie geschafft um Nami’s Mauern herumzuschleichen und sich einfach darin nieder zu lassen. Etwas das Nami gar nicht so bewusst mitbekommen hatte und, als sie es gemerkt hatte, da war es schon zu spät gewesen. Immerhin war es am Ende doch leicht sich an Menschen und sich an ihre Anwesenheit zu gewöhnen.
 

Es war am Ende also keine wirkliche Frage gewesen, ob sie irgendwann zusammenziehen würden. Zwar fragte sich Nami manchmal wie es werden würde, wenn Vivi sich doch entschied mit ihrem Freund zusammenzuziehen. Bisher war dieses Thema jedoch nicht auf den Tisch gekommen. Fast schon merkwürdig, wenn man bedachte, wie Vivi eigentlich dazu stand und, dass eine Märchenhochzeit sicherlich ihr großer Traum war. Vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass diese Beziehung möglicherweise nicht ganz das war, was es eigentlich sein sollte.
 

„Es wird wieder besser werden, ich verspreche es, okay?“ Ob Nami das wirklich versprechen konnte war fraglich. Immerhin ging es bei all dem nicht ums Geld. Vivi dachte das zwar und sie hatte auch ein schlechtes Gewissen, weil sie in dieser Wohnung lebten die augenscheinlich zu teuer und zu groß für Nami war, doch eigentlich hatte Nami keine finanziellen Probleme. Zwar konnte sie nicht über ihre Verhältnisse leben und hielt ihr Geld zusammen, doch auch Aron war daran gelegen, dass sie auskam. Er finanzierte ihre Miete. Alles was sie zusätzlich brauchte erwirtschaftete sie durch die Arbeit bei ihrer Schwester. Das es sicherlich falsch war sich von ihm bezahlen zu lassen war das eine. Auf der anderen Seite aber arbeitete sie etliche Stunden und sicherlich war der Preis ohnehin schon unter ihrem Wert. Es war also das mindeste, dass er für ihre Miete aufkam. Immerhin könnte sich Nami bei diesem Pensum keinen anderen Vollzeitjob leisten. Zumal sie auch nicht wüsste was das sein sollte. In ihrem Lebenslauf hatte sie nichts vorzuweisen und das, obwohl sie doch eigentlich ihr Leben lang gearbeitet hatte. Doch Erfahrungen oder Qualifikationen in einem richtigen Beruf hatte Nami einfach nicht. Aron hatte sie abhängig von sich gemacht und dafür gesorgt, dass ein Ausstieg aus dieser ganzen Sache denkbar schwierig sein würde. Zumindest wenn er es zulassen würde, dass sie diesen Versuch startete.
 

„Das hoffe ich, ich bin immerhin nicht die einzige, der es so geht. Du hast noch mehr Freunde, die dich vermissen.“
 

„Hat sich etwa schon jemand beschwert?“
 

„Nicht wirklich. Aber ich denke Lola trägt es dir noch immer etwas nach, dass du bei der Eröffnung ihrer Agentur nicht anwesend warst. Du solltest dich wirklich bei ihr melden.“
 

„Ja, ich weiß..“
 

Ja, Nami vernachlässigte ihre Freunde durchaus sehr in der letzten Zeit. Etwas das sich nicht gut anfühlte. Immerhin wählte sie ihre Kontakte sehr sorgsam aus und die, die sie hatte, waren einfach ganz besondere Menschen. Jeder einzelne davon und sicherlich war es unfair, dass Nami nicht so für sie da sein konnte, wie sie es anders herum wären. Es wäre sicherlich ein Wunsch das zu ändern, obgleich Nami einfach nicht wusste wie sehr das überhaupt in ihrer Macht lag.
 

Offensichtlich hatte Vivi ihre Gedanken gelesen, denn sie kam zu ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter, um sie sanft zu drücken.
 

„Mach dir keine Sorgen. Du kennst sie. Nach fünf Minuten hat sie dir ohnehin alles vergessen und wird dir mit Freuden alles zeigen.“
 

„Es sollte dennoch nicht so sein.“
 

„Nein, sollte es nicht. Aber wir wissen auch alle, dass du es nicht aus böser Absicht tust.“ Das war vielleicht ein wichtiger Unterschied, doch würde es nicht dennoch irgendwann dazu führen, dass man sich voneinander entfernte und die Bande ihrer Freundschaft dünner wurden? Nami kannte das Gefühl von Einsamkeit. Es hatte ihre Kindheit bestimmt und sich darin manifestiert. Müsste sie daher sagen, was ihr wirklich Angst machte, dann war es das, dieses eine, alles verschlingende Gefühl. Diese Menschen zu verlieren, wieder alleine zu sein und keinen Lichtblick in all dieser Dunkelheit zu haben würde ihr durchaus unangenehm aufstoßen. Ja, es konnte Angst machen und gleichzeitig wusste Nami auch, dass sie nicht mehr tun konnte als das, was sie eben bereits tat.
 

„Pass einfach ein bisschen mehr auf dich auf.“ Vivi beugte sich hinunter und küsste sie auf die Wange, bevor sie sich dann löste. Nami würde sie ziehen lassen und ihr einen Moment hinterher sehen, als sie aus der Küche verschwand. Sicherlich musste sie auch bald los und so konnte Nami den Moment nutzen, um endlich auf ihr Handy zu sehen und die Nachrichten zu öffnen. Doch letztlich stand da nichts weiter drin als das, was sie sich ohnehin schon gedacht hatte. Es wartete Arbeit auf sie. Sie solle sofort in sein Anwesen kommen. Diesmal durfte es keine Fehler geben. Sie solle ihn bloß nicht ignorieren.
 

Nami würde ihm einen Daumenhoch schicken und dann einen anderen Chat öffnen. Wie geplant würde sie Ronan darum bitten sie abzuholen, an ihrem üblichen Treffpunkt. Sie wollte Vivi nicht erklären in was für einem Auto sie da verschwand, sollte sie es doch sehen. Vorsicht war besser als Nachsicht, besonders in diesen Kreisen.
 

Nachdem sie all das getan hatte würde auch Nami sich erheben und sich auf den Weg in ihr Zimmer machen. Wie immer musste sie sich nun die Frage stellen, ob sie noch Wechselkleidung im Anwesen hatte. Auch dort besaß sie ein kleines Zimmer für die Tage, an denen sie nicht nach Hause kam. Manchmal war es zu viel Arbeit und dann konnte es passieren, dass sie für einige Tage vor Ort bleiben und sich um seine Belange kümmern musste. Nach Möglichkeit versuchte sie natürlich diesen Umstand zu vermeiden, obgleich das auch nicht immer möglich war.
 

Da sie sich nicht sicher war, wie der Rest des Tages verlaufen würde und auch nicht, was sie noch an Kleidung in ihrem Zimmer hatte, würde Nami eine kleine Tasche packen. Nur das nötigste, ein paar Sachen zum wechseln waren doch das mindeste. Aron legte zwar wert auf ein gewisses auftreten, doch sollte es darauf hinauslaufen, dass sie die nächsten Tage in ihrem Atelier hockte, dann würde sie sicher nicht in schicker Hose und Bluse dort herumlaufen. Da musste es etwas gemütlicheres sein, zumal sie ohnehin keinen Kontakt nach außen hatte und damit auch keine representative Position hatte, so wie es bei anderen vielleicht der Fall war.
 

Schnell fanden sich ein paar Stücke in ihrer Tasche ein und Nami würde sich umziehen. Zumindest für die Anfahrt musste sie angemessen gekleidet sein aber das war das geringste Problem an dieser Sache.
 

Noch während sie sich umzog und dabei war die Bluse zuzuknöpfen würde sich ihr Handy wieder melden. Nami beugte sich über den Display und würde die Nachricht überfliegen. Er konnte in zwanzig Minuten am Treffpunkt sein. Das würde sie schaffen, wenn sie sich gleich auf den Weg machen würde und dann musste sie darauf hoffen, dass die Laune vor Ort nicht völlig unterirdisch sein würde und sie einen umsetzbaren Auftrag vorgelegt bekam, um nicht weiter in seiner Gunst zu fallen.

doubt


 

2023 - New York
 


 

Das Mädchen schluchzte. Sie zitterte am ganzen Leid, man konnte die Angst förmlich durch den Bildschirm spüren. Sie war nackt. Sie saß auf einem Stuhl. Ihre Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander. Jedoch nicht aus Kälte sondern aus purer Angst. Tränen liefen ihre Wangen hinunter, mischten sich mit dem Blut, welches ihr aus Mund und Nase drang. Mit den Händen klammerte sie sich an die Sitzfläche, verkramte sich immer wieder. Ihr Oberkörper wippte leicht vor und zurück, was die Kette im Hintergrund in Schwingungen versetzte. Augenscheinlich war das Mädchen nicht gefesselt, saß einfach nur da. Und doch führte die Kette zu ihrem Nacken hinauf und schien sie bei jeder Bewegung daran zu erinnern, dass sie noch da war.
 

Ein Mann trat in den Bildausschnitt. Er war in schwarz gekleidet, während man sein Gesicht nicht erkennen konnte.
 

„Du kannst gehen. Die Tür ist offen, siehst du? Wenn du das nicht willst, dann steh einfach auf und geh.“ Etwas herablassendes, gehässiges lag in seiner Stimme. Man konnte das Grinsen auf seinen Lippen förmlich hören, welches er vermutlich auf den Lippen trug. Das Mädchen reagierte nicht auf seine Worte, sie zitterte am ganzen Leib, starrte auf den Boden und versuchte sich möglichst klein zu machen. Man konnte förmlich erkennen, wie sie versuchte zu verschwinden und sich an einen anderen Ort wünschte. Einen Ort, den sie vielleicht nie wieder sehen würde.
 

Der Schlag kam unerwartet und gleichzeitig nicht. Was dann geschah würde man nicht sehen. Das Video würde beendet werden. Die Lichter wurden eingeschaltet, so dass sich die Beteiligten im Raum wieder sehen konnten. Nami hielt den Blick auf den schwarzen Bildschirm gerichtet. Ihr war schlecht. Am liebsten würde sie aufstehen, aus dem Raum verschwinden. Hätte sie gewusst, auch nur geahnt, in was sie hineingeraten würde, dann hätte sie versucht nicht hier zu landen.
 

Aron hatte geladen. Seine engsten Vertrauten, ein paar Partner und Nami. Er hatte von einer Erweiterung des Geschäftszweiges gesprochen. Bisher war sein Brodel das, was im wesentlichen seine Geschäfte trug. Kleinere Drogengeschäfte kamen sicherlich auch vor und sie ging davon aus, dass er auch ihre Passe verkaufte. Geldwäsche geschah über den Laden durch die Gefälschten Scheine, die durch Nami nach und nach in Umlauf gebracht wurden. Doch das, was sie nun gesehen hatte war eine ganz andere Dimension.
 

Menschenhandel.
 

Menschenhandel in seiner abscheulichsten Dimension. Missbrauch in jeder Form für den die Mädchen und Frauen zur Verfügung gestellt werden sollten. Schon immer war ihr klar gewesen, dass auch sie ihre Hände in schlimmen Dingen drin hatte. Doch wie schlimm? Nein. Das war durchaus etwas das ihr in dieser Form das erste Mal vor Augen geführt worden war.
 

„Wie allen anwesenden bekannt sein sollte, wurde unsere letzte Lieferung aufgegriffen und die Polizei schaut sich derzeit alles genauer an. Das wird uns in unserem Zeitplan etwas zurückwerfen, doch ich habe nicht vor weiteres Geld durch diesen unglücklichen Zwischenfall zu verlieren.“ Es war ein Geschäft. Nichts weiter. Niemand in diesem Raum schien sich von dem geschehen irgendwie beeindruckt zu sehen. Für diese Männer war das Geschäft mit dem Leid und dem Schmerz von jungen Frauen alltäglich und etwas völlig normales. Etwas, zu dem sie jedes Recht der Welt hatten.
 

Nami wusste, dass sie ihre Betroffenheit, die Wut, den Ekel. Nichts von all diesen Emotionen zeigen durfte. Sie steckte mitten drin und Schwäche oder gar der Verdacht, dass sie sich gegen Aron stellen könnte, könnte sie ganz schnell auf diesen Stuhl bringen. Sie oder jemanden den sie liebte.
 

„Das wichtigste für uns ist, dass unsere Ware in einwandfreiem Zustand ist, wenn sie hier ankommt und wir sie zum Verkauf freigeben. Wir können also nicht irgendwelche Mädchen von der Straße holen. Zumal ich keine Lust darauf habe mich mit den hiesigen Zuhältern zu befassen.“ Leises lachen im Raum. „Wir haben einen Kontakt. Er arbeitet mit Waisenhäusern und Schulen in Mexico zusammen. Wir können also den Landweg nutzen. Was kein Problem ist, da sie alle gültige Pässe und die entsprechenden Visa haben werden.“
 

Nami konnte spüren, wie die Blicke auf ihr ruhten. Sie sah allerdings auf den Bildschirm und biss die Kiefer zusammen. Bisher war es darum gegangen eine Arbeitserlaubnis zu fälschen. Seinen Leuten andere Identitäten zu geben, für sie Pässe zu fälschen. Falschgeld in Umlauf zu bringen. Nun sollte sie diesen Mädchen ein Ticket in die Hölle ausstellen.
 

„Oder gibt es dabei ein Problem?“
 

Ihre Augen gingen langsam zur Seite. Nami betrachtete ihn schweigend. Die Art wie er Sprach, was er sagte, wie er es sagte, es war eine einzige Drohung. Sie musste sich zusammenreißen!
 

„Bei Personen die aus Mexiko kommen werden die Papiere grundsätzlich besonders streng geprüft. Wir wissen alle wie die Grenzkontrollen laufen und das darauf geachtet wird, dass niemand ins Land kommt, der hier nicht sein sollte. Präzise und fehlerfreie Arbeit ist dabei absolut notwendig. Das bedeutet nicht nur, dass ich die richtigen Informationen brauche sondern es muss klar sein, dass ich nicht innerhalb von 24 Stunden fehlerfreie Dokumente ausstellen kann. Spontane Planänderungen werden nicht funktionieren. Ich brauche Vorlauf, um zu gewährleisten, dass wir ohne Probleme durch die Grenze kommen.“
 

„Wie viel Vorlauf?“
 

„Es kommt immer auf die Anzahl an. Von wie vielen Pässen sprechen wir pro Tour? Wobei.. eine Woche das mindeste ist, was ich bekommen muss.“ Eine Woche Vorlauf. Er konnte die Mädchen immerhin nicht mit Bussen auf die andere Seite bringen. Das würde auffallen es sei denn er verkaufte es als Klassenfahrt oder Schüleraustausch. Nami wusste nicht wie genau er es anstellen wollte, sie wusste nicht warum er sich nicht einfach irgendeinen anderen, illegalen Weg suchte. Aber vermutlich glaubte er, dass es ihn so mehr absichern würde. Und Aron liebte es zu zeigen, dass er etwas besseres war. Die Mädchen direkt unter dem Auge des Gesetzes ins Land zu bringen gab ihm vermutlich den gewissen Kick auch, wenn er wohl selbst kaum beteiligt sein dürfte.

Er blickte sie schweigend an, nickte dann aber.
 

„Die Vorbereitungen laufen, wir wollen trotz allem ein wenig Gras über alles wachsen lassen. In zwei Wochen geht es los, bis dahin erwarte ich, dass alle ihre Aufgaben kennen und bereit für die Umsetzung sind. Ich erwarte, dass es diesmal ohne Zwischenfälle laufen wird. Bis wir den Hafen wieder nutzen können wird das unser neuer Weg sein.“ Als Übergang. Er wollte sicherlich auch eine andere Auswahl an Mädchen liefern, um bestimmte Vorlieben abdecken zu können. Nami wollte sich nicht vorstellen was genau das bedeutete und wie weit das alles wirklich ging. Wollte er einen Club eröffnen in dem Gewalt uns Missbrauch okay war? Wollte er die Mädchen zu hörenden Preisen einfach weiterverkaufen und mit diesem Handel ein Geschäft eingehen? Vielleicht beides. Vielleicht etwas ganz anderes. Doch am Ende war es durchaus irrelevant, denn dort stand das Schicksal dieser Mädchen und das würde in der Regel im Tod enden. Früher oder später würden sie daran zugrunde gehen. Körperlich oder mental spielte wohl kaum eine Rolle.
 

Aron begann die einzelnen Rollen zu verteilen. Archer, Ray und Octa würden die Fahrer sein. Es gab einen Arzt, den Nami bisher noch nie gesehen hatte und der wohl dafür sorge trug, dass die Mädchen möglichst lange am Leben erhalten wurden. Ein Partner, der den Kontakt zu Mexico hatte und sich um die Logistik kümmern würde. Dann noch jemand, der sich hier in der Stadt um alle wichtigen belange kümmern und Aron berichten würde. Es war ein kleines Team, wenig Menschen die involviert waren und an den passenden Stellen hatte er diejenigen platziert, denen er entweder blind vertraute oder, deren Loyalität er sich erzwungen hatte. Letzteres traf auf Nami zu, denn was hatte sie schon für eine Wahl? Sie würde ihre Schwester mit jedem falschen Schritt in Gefahr bringen und sie vertraute der Polizei zu wenig, als das sie wirklich geglaubt hätte, dass diese sich wirklich einmischen würden. Hinzu kam, dass Aron selbst dort seine Finger im Spiel hatte, seine Kontakte pflegte und sie sich nicht einmal sicher sein könnte an wen sie sich wenden sollte ohne, dass es postwendend bei ihm landen würde. Doch dieses Spiel einfach mitspielen? Diese Mädchen wissentlich in die Hölle schicken? Ihr Blut würde auch an Nami’s Händen kleben, denn sie würde mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag zu dieser Sache leisten. Sich einzureden, dass sie nichts damit zu tun hätte wäre daher absolut illusorisch.
 

Naiv.
 

Was sollte sie jetzt tun? Diese Frage drängte sich ihr unaufhörlich auf, so dass es fast schon unmöglich war diesem Gespräch weiter zu folgen und sich auf die Anweisungen zu konzentrieren, die Aron da herunterbetete. Hier ging es nicht darum sich abzustimmen. Er delegierte und sie hatten es einfach umzusetzen so, wie er es sich in seinem tollen Plan vorstellte. Und wenn es nicht möglich war? Dann mussten sie einen Weg finden, um es möglich zu machen. So einfach war das. Nur, dass es für sie nicht einfach war. Nicht in dieser neuen Situation, die hier auf den Tisch gelegt worden war.
 

„An die Arbeit. Ich will keine Fehler mehr erleben.“ Etwas das noch einmal betont wurde, bevor Aron sie entlassen würde. Nami kam zurück ins hier und jetzt. Sie blinzelte und sah dabei zu, wie die Männer sich erhoben, um sich an die Arbeit zu machen. Davon hatten sie alle sicherlich genug auf dem Tisch und so würde auch Nami sich erheben. Sie müsste sich erst einmal in Ruhe und mit etwas Abstand ordnen, was auch bedeuten würde einen Überblick darüber zu bekommen was genau nun getan werden musste, welche Materialien sie brauchten und, um welche Sicherheitsstandarts sie sich zu kümmern hatte. Man würde sie vermutlich mit den entsprechenden informationen füttern, davon ging sie aus. Dennoch würde sie diese prüfen und genauer betrachten müssen. Denn darauf vertrauen, dass man ihr das richtige liefern würde? Nein. Denn am Ende würde sie die Verantwortung tragen, sollte bei all dem etwas schief gehen. Es war alles doch eher fragwürdig und noch immer fragte sie sich, wie sie bei all dem einfach blind mitmachen sollte. Doch was hatte sie für eine Wahl? Man hatte immer die Wahl. Ihre Schwester hatte ihr das einmal gesagt und sicherlich hatte sie Recht. Es war immer eine Entscheidung die man traf auch, wenn man glaubte keine Wahl zu haben. Meistens lag es doch eher daran, dass man nicht bereit war mit den Konsequenzen zu leben. Und wenn Nami bedachte, was die Konsequenzen für sie bedeuten würden, dann war das schlichtweg noch einmal eine ganz andere Sache. Nein. Sie konnte mit diesen Konsequenzen nicht leben. Niemals.
 

„Nami“, wandte sich Aron an sie und hinderte sie damit daran zu gehen. Er machte eine leichte Handbewegung, um sie zu sich zu winken. Etwas dem sie schweigend nachkam. Dabei verschränkte sie die Arme vor der Brust und würde sich an die Tischkante neben seinem Platz lehnen, um zu ihm hinunter zu blicken. Auf Grund seiner Größe war das allerdings nicht weiter relevant. Sie befanden sich fast auf Augenhöhe.
 

„Hast du irgendein Problem mit dem, was wir hier tun werden?“
 

„Warum sollte ich ein Problem damit haben? Es ist mir egal, wie du dein Geld machst.“ Das war es durchaus nicht. Aber was sollte sie ihm denn auch sagen? Er erwartete ja wohl nicht, dass sie sich nun offiziell gegen ihn stellte und klar machte, was sie wirklich von all dem hielt.
 

„Ich kenne dich, etwas geht in deinem hübschen Kopf vor sich“, gab er zu bedenken und musterte sie eingehend. Das war wohl eine offensichtliche Sache, doch Nami würde ihn einfach nur schweigend ansehen und abwarten. Wenn er etwas zu sagen hatte, dann sollte er es tun. Alles weitere interessierte sie in diesem Moment nicht. Sie hatte andere Probleme als das.
 

Für einen Moment begegneten sie sich schweigend, bevor er durchatmete und schüttelte den Kopf.
 

„Wie dem auch sei, ich hoffe es ist klar, dass ich keine weiteren Fehler dulde. Diese Sache ist zu groß und zu wichtig. Ich erwarte schnelle und präzise Arbeit. Und sollte etwas dabei schief laufen, dann werde ich dich dafür verantwortlich machen, haben wir uns verstanden? Ich muss dir wohl kaum erklären, dass deine Schwester die erste ist, die ich mir dann vorknöpfen werde, oder?“
 

„Schon klar, ich weiß wie es läuft.“ Sie versuchte sich möglichst gelassen zu geben auch, wenn das angesichts der Umstände durchaus nicht einfach war. Aber es war das mindeste, was man im Kontakt zu jemandem wie Aron tun musste, um nicht gleich unterzugehen.
 

„Ich verlasse mich darauf.“ Er machte eine wischende Handbewegung. Wohl als Zeichen, dass sie gehen konnte und das würde sie dann auch tun. Es war ziemlich klar was die Voraussetzungen für die nächsten Wochen waren und es war klar, dass die Arbeit nur mehr werden würde. Bisher hatte sie es geschafft sich immer wieder aus diesem Leben, dieser Welt, herauszuziehen. Doch je mehr man sie hier verpflichten würde, umso weniger Chancen hatte sie darauf aus all dem heraus zu kommen. Sie konnte förmlich spüren, wie der Sog stärker wurde, der sie immer weiter mit sich riss. Würde sie nicht aufpassen, dann würde sie irgendwann gar nicht mehr aus all dem herauskommen. Bereits jetzt schien es unvorstellbar zu sein, wie genau das funktionieren sollte und Nami hatte keine Vorstellung davon, wie es weiter gehen sollte.
 

Sie würde sich abwenden und den Raum verlassen. Durchatmen. Einen kühlen Kopf bewahren. Das letzte was ihr nun half war, in Panik zu verfallen. Ein Umstand über den sich Nami durchaus im klaren war. Wie man angesichts dieser Umstände allerdings nicht in Panik verfallen sollte, das war ihr durchaus ein Rätsel. Wie sollte sie das schaffen?
 

Tief atmete sie durch, machte sich auf den Weg zu ihrem Atelier. Zwar hatte sie noch keine Konkreten Informationen zu den Mädchen, keine Fotos oder andere Daten aber dennoch konnte sie sich an die Vorbereitungen machen. Ein Ausweis war eine heikle Sache und musste durchaus gut gemacht sein. Gemessen daran wie strickt die Sicherheitsbestimmungen waren und wie genau man bei diesen Mädchen hinschauen würde. Perfektion war das minimum, welches Nami erreichen musste in ihrer Arbeit. Und, ob das reichen würde? Als Fälscherin musste sie sich ständig weiterentwickeln, musste den ganzen Bestimmungen immer einen Schritt voraus sein und sich neue Tricks ausdenken. Es war ein Katz und Maus spiel.
 

Sie begab sich in ihren Raum, atmete tief ein. Sie roch Lösungsmittel, verschiedene Farben. Eigentlich handelte es sich hier um einen wunderbaren Ort. Für jemanden, der die Kunst liebte und damit etwas anfangen konnte. Ein Traum, der für Nami jedoch immer ein Albtraum gewesen war. Ein Gefängnis. Freiheit hatte sie hier nie verspüren können. Der einzige Trost, den sie hatte war wohl, dass das hier ihr räum war. Aron und seine Volkschaft konnte mit all dem nichts anfangen. Sie tauchten nur dann auf, wenn sie etwas von Nami wollten, doch ansonsten konnte sie sich darauf verlassen hier ihre Ruhe zu haben.
 

Mit einem seufzen würde sie ihren Blazer ablegen und die Ärmel ihrer Bluse hochkrempeln. Das mindeste, was sie tun konnte, war die Materialien noch einmal ordentlich zu reinigen, um dafür zu sorgen, dass sie sofort mit der eigentlichen Arbeit beginnen konnte, wenn die Informationen herein kamen. Zum anderen war es auch einfach schrecklich beruhigend. Es half Nami dabei sich zu sammeln, zu entspannen und zu sich zu finden, wenn es sein musste. Die Gedanken ordnen, sich beruhigen. Das waren die wesentlichen Dinge, die es brauchte. Nicht nur, dass sie sonst keine Lösung finden würde, nein. Sie würde auch schlechte Arbeit machen und so oder so würde es sie in Teufels Küche bringen.
 

Sie suchte das passende Lösungsmittel heraus, ein paar Lappen und würde dann die Treppe zu einem weiteren Raum hinunter gehen. Während sie oben die Feinarbeit machte, sich um Farben, Papiere und Schrift kümmerte, standen hier unten die passenden Drucker. Mit dem nötigen Geld konnte man fast alles bekommen und Aron hatte sicherlich seine Quellen. Nami hinterfragte es auch nicht, immerhin war es das mindeste, was sie brauchte. Das Papier, die passenden Farben, die wichtige Technik. Das war ihre Sorge.
 

Die Reinigungsutensilien würde sie neben den Drucker stellen und dann beginnen die Maschine auseinander zu bauen. Kein handelsüblicher, kleiner Drucker für den Hausgebrauch. Das Ding war etwas größer. Im Vergleich dazu waren die Maschinen für die Bindung und den Schnitt deutlich handlicher. Wobei es hier auch nicht darum ging in eine Massenproduktion gehen zu können. Es reichte völlig aus, was sie hier hatte. Leider.
 

„Hier bist du.. du arbeitest schon?“ Nami blickte auf. Sie hatte nicht gehört, wie Octa den Raum betreten und nun zu ihr hinunter gekommen war. Er sah sich prüfend um. Bereits einige Male hatte Nami versucht ihm zu erklären, wie es funktionierte, da er sie gefragt hatte. Ob er inzwischen verstanden hatte, wagte sie allerdings zu bezweifeln.
 

„Vorbereitungen. Wann kann ich mit den Informationen rechnen?“
 

„Kann ich dir nicht sagen. Du weißt, dass das Ray’s Aufgabe ist.“ Durchaus. Die drei verwalteten die verschiedenen Bereiche, die an das Pearl angegliedert waren. Menschenhandel, Prostitution und der Stripclub. Jeder Bereich hatte seine ganz eigene Aufgabe, seinen ganz eigenen Schwerpunkt, der die Maschinerie am laufen hielt. Sie bedingten sich gegenseitig, wobei der Stripclub wohl noch der legalste Bereich des ganzen war. Der Bereich, der Octa unterstellt wurde. Ein Umstand, der meistens dafür sorgte, dass Ray und Archer ihn eher belächelten. Vielleicht, weil es für sie aussagte, dass Aron ihm nicht mehr Verantwortung oder die härteren Aufgaben geben wollte. Etwas das Nami durchaus nachvollziehen konnte. Von den dreien war Octa noch der vernünftigste. Der, der noch nicht völlig abgestumpft zu sein schien.
 

„Was kann ich dann für dich tun?“
 

„Ich brauche ein paar Dokumente für die Hygiene Aufsicht.“
 

„Warum kommst du damit zu mir? Der Laden ist sauber, du würdest die Dokumente ohne weiteres auf legalem Wege bekommen.“ Das einzige was wirklich zu laufen schien. Die Arbeitsbedingungen schienen okay, er achtete darauf, dass der Laden sauber war und auch sonst gab es nichts daran auszusetzen. Im Grunde war es der einzig legale Teil, den Aron unter sich hatte.
 

Octa schwieg auf ihre Frage hin und Nami ließ schließlich ihre Arbeit auf sich beruhen. Sie musterte den großen Kerl, der wie immer schrecklich unbeholfen wirkte. Wieder einmal fragte sie sich, wie er dazu gekommen war, für Aron zu arbeiten. Aus Nami’s Sicht ergab das absolut keinen Sinn. Er passte in all das genauso wenig hinein, wie sie.
 

„Bist du okay? Du warst vorhin ziemlich blass um die Nase.“
 

„Natürlich bin ich okay. Ist doch ein fantastischer Plan, den er ausgearbeitet hat.“ Ihr Antwort war sicherlich zu schnell gekommen. Doch es war ein Reflex. Sie durfte nicht durchblicken lassen, wie sie wirklich zu all dem stand, durfte niemandem zeigen, wie sie sich wirklich fühlte. An Octa’s zweifelndem Blick erkannte sie allerdings, dass sie es diesmal wohl doch ein wenig übertrieben hatte. Immerhin war es ein offenes Geheimnis, dass Nami nicht viel von Aron hielt. Wie sollte sie auch? Sie hatte sich immerhin nie freiwillig und voller Freude dazu entschieden für ihn zu arbeiten. Man hatte ihr nie eine Wahl gelassen.
 

„Kommt überraschend, dass wir auf einmal diesen Weg einschlagen. Ich dachte es würde bisher nur seinem privaten Vergnügen dienen?“
 

„Du meinst Mädchen aus armen Verhältnissen in die Prostitution zu zwingen?“
 

"Nein."
 

Nein. Natürlich nicht. Sie wussten beide, was man besprochen hatte. Mädchen zu verkaufen, um sie Soziopathen zur Verfügung zu stellen, die frei über sie verfügen konnten. Der Tod dieser Mädchen wäre am Ende vermutlich das gnädigste, was ihnen widerfahren konnte. Stattdessen würden Folter und Missbrauch ihren Alltag, den Rest ihres Lebens bestimmen. Das zumindest war es was man ihnen gezeigt hatte und vielleicht waren die wirklichen Abgründe noch viel tiefer. Nami konnte und wollte sich all das nicht wirklich vorstellen.
 

Was er ihr hier allerdings sagte war, dass es bisher bereits unter diesem Dach stattgefunden hatte. Mehr als das. Wer wusste schon, was Aron in seinem privaten Trakt dieses Hauses trieb. Die Vorstellung, dass dort Mädchen gefangen gehalten wurden, die dazu dienten seinen sadistischen Phantasien Abhilfe zu verschaffen, war nicht einmal überraschend.
 

„Er wird nie aufhören können mehr zu wollen. Er hält sich für klüger und besser als die Behörden und irgendwann wird er uns alle damit in den Abgrund stürzen.“ Was war auch falsch daran seine kleinen, kriminellen Machenschaften weiterzuführen? Aron hatte ein gutes Leben. Die Geldwäsche, der Club und die anderen Aktivitäten beschafften ihm gutes Geld. Nur, dass es eben nie genug war. Vielleicht war es ihm bisher gelungen die Polizei nicht auf seine Spur zu bringen. Doch wie lange würde es noch so weitergehen? Wenn das ganze größer wurde, dann wuchs damit auch ungleich die Möglichkeit, dass man auf sie aufmerksam werden würde. Und wenn sie einmal auf dem Radar auftauchten, dann war es nur sehr schwer wieder von diesem zu verschwinden.
 

„Vielleicht. Wenn du etwas brauchst..“
 

„Informationen für die Ausweise. Fotos. Und das zeitnah aber da das nicht in deiner Verantwortung liegt..“ Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder der Maschine zu. Auch hier war ihr bewusst, dass er nicht das gemeint hatte. Er hatte von etwas ganz anderem gesprochen, doch wie sollte sie damit umgehen? Sie war sich sicher, dass dieses Haus Ohren besaß und selbst, wenn Nami wollte, sie konnte das nicht ändern.
 

Er schwieg, sah sich um. Dabei trat er an eine der Maschinen heran und beugte sich etwas darüber, als wolle er sie genauer unter die Lupe nehmen. Nami beobachtete ihn aus dem Augenwinkel.
 

„Es wird schon gut gehen. Vermutlich wird er bald die Lust daran verlieren. Er hat uns gesagt, dass er nur etwas Abwechslung braucht und mal etwas neues probieren will. Keine große Sache.“ Ob er das wirklich glaubte? Nami war sich nicht sicher aber sie selbst glaubte es zumindest nicht. Manchmal war Octa durchaus zu gutgläubig. Einmal hatte sie ihm einen 11$ Schein unter die Nase gehalten und behauptet, dass der Schein so echt war, dass sie damit überall bezahlen konnte. Natürlich war der schein eine perfekte Fälschung gewesen. Zumindest wenn es um Papier und Technik ging. Allerdings war wohl kaum anzunehmen, dass jemand einen solchen Schein angenommen hätte. Octa zumindest hätte es getan und war hellauf begeistert gewesen.
 

Sammlerstück hatte er es genannt und ihr den Schein abgekauft. Sie wusste, dass das Ding bei ihm eingerahmt an der Wand hing und einen Ehrenplatz erhalten hatte. Warum auch immer, denn wirklich einordnen konnte sie es noch immer nicht. Jedoch zeigte es für Nami nur, dass er durchaus anders drauf war, das da noch ein anderer und sehr guter Kern in ihm steckte.
 

„Vielleicht hast du recht.“ Vielleicht. Doch wenn sie ehrlich war, dann glaubte Nami nicht daran. Aus ihrer Sicht war das eine ganz miese Sache. Und sollte es wirklich so funktionieren, wie er es plante, dann war das eine Goldgrube, die Aron nicht einfach so wieder zuschütten würde. So lief es nun einmal nicht, so war es noch nie gelaufen. Ganz abgesehen davon, dass er viel zu viel Freude daran hatte zu beweisen, dass er der Beste war. Ob er das nun war, war einmal dahingestellt, doch Nami wollte sich nicht auf eine wage Hoffnung verlassen. Sie musste realistisch bleiben, damit sie mit all dem zurechtkommen würde.
 

„Gut dann.. wenn du nichts brauchst, dann machte ich mich auch wieder an die Arbeit. Du weißt ja, wo du mich findest.“ Wusste sie, durchaus. Früher war sie öfter im Club gewesen, sie mochte die Stimmung dort. Und doch war inzwischen eher etwas zu dem sie Abstand nahm. Aus verschiedenen Gründen sicherlich.
 

„Ja, wir sehen uns.“ Noch einmal würde sie von ihrer Arbeit aufblicken und ihm nachsehen, als er sich umwandte und dann verschwinden würde. Nachdenklich schürzte Nami die Lippen. Sie wusste nicht, ob sie es wirklich wagen könnte ihm zu vertrauen und sein Angebot anzunehmen. Doch was sollte das schon sein? Egal was Octa denken mochte, auch er würde sich niemals gegen Aron stellen. Ebenso wenig, wie Nami es am Ende tun würde. Ob nun aus Freundschaft, Loyalität oder anderen Gründen war dabei durchaus unerheblich. Es zählte nur, dass auch er nichts tun könnte, um ihr aus all dem herauszuhelfen. Er konnte Aron’s Zorn nicht abwenden, konnte ihre Schwester nicht beschützen. Und wenn all das nicht gegeben war, was sollte Nami dann tun? Sie war dem ausgeliefert und so sehr sie seine Geste zu schätzen wusste, so wenig war sie am Ende des Tages doch wert.

locked


 

2004 - Boston
 


 

„Lasst uns raus! Lasst uns raus!“ Die kleinen Fäuste hämmerten gegen die Tür. Sie schnappte nach Luft, zog die Nase hoch. Zwischen die Worte und Schreie mischte sich ihr Schluchzen, während die Stimme bereits heiser war vom schreien. Die Fäuste fühlten sich taub an auch, wenn es sie nicht davon abhielt weiter auf die Tür einzuschlagen.
 

„Ich will zu Genzo!“ Sie wollte hier weg! Niemand hatte sie gefragt, wo sie sein wollten, man hatte sie einfach weg gebracht. Weg aus ihrem Zuhause, weg von vertrauten Menschen. Weg von allem was sie kannten. Man hatte sie einfach weggebracht in ein fremdes, dunkles Haus, was einfach nicht gemütlich war. Das Zimmer in das man sie gebracht hatte war klein und abgesehen von einem großen Bett und einer Kommode mit etwas Kleidung war nichts darin. Kleidung die viel zu groß und auch eher abgetragen aussah. Ihre Schwester hatte das Zimmer durchsucht in der Hoffnung, dass man etwas brauchbares finden könnte. Das war leider nicht der Fall gewesen. Man hatte gesagt, dass das nun ihr neues Zimmer war, das sie hier wohnen würden. Aber das wollte sie nicht! Sie wollte wieder nach Hause.
 

„Macht auf!“ Sie wusste nicht, wie lange sie schon schrie, wusste nicht wie lange sie mit den Fäusten schon gegen die Tür schlug, wie oft sie an der Türklinke gerüttelt, gezogen und sich daran gehängt hatte. Nichts war passiert. Auf der anderen Seite der Tür blieb es still, ungewiss, ob sie jemand hören konnte. Unklar, ob es jemanden interessierte. Vermutlich nicht. Sicher nicht.

„Lasst uns raus!“ Schreien, zerren. Sie gab nicht auf. Sie würde nicht aufgeben! Niemals! Sie mochte es hier nicht. Das war nicht das, was man ihnen versprochen hatte, nicht das was sie sich gewünscht hatten, als man sie danach gefragt hatte. Irgendwas musste das doch zählen! Das durften nicht alles haltlose Lügen gewesen sein! Genzo hatte ihnen versprochen, dass sie bei ihm bleiben durften. Das er mit ihnen ein Eis essen gehen würde, wenn das alles vorbei war.
 

„Beruhig dich..“
 

„Nein!“ Sie ließ von der Tür ab, fuhr herum und funkelte ihre Schwester an. Sie war ruhig, etwas resigniert. Im Gegensatz zu Nami hatte sie sich auf das Zimmer konzentriert und angefangen sich genauer umzusehen. Das Bett geprüft, nachgesehen ob sich etwas in der Kommode befand, die die erwähnte, zu große Kleidung zu Tage gefördert hatte. Auch die Fenster hatte sie überprüft aber schnell feststellen müssen, dass man diese nicht öffnen konnte. Und selbst wenn.. man hatte Gitter davor angebracht. Vielleicht wäre es sonst noch ein leichtes gewesen irgendwie die Scheibe einzuschlagen, heraus zu klettern. Doch so blieb ihnen die Möglichkeit gleich verwehrt.
 

„Ich bleibe nicht hier!“ Das stand für sie fest. Egal was geschah, egal was man ihnen sagen würde, sie würde nicht hier bleiben. Sie würde alles dafür tun, um wieder hier weg zu kommen.
 

„Und wo willst du hin?“
 

„Weg! Zu Genzo!“
 

„Sie werden uns nicht lassen.. und wir wissen auch nicht wo das ist. Wo wir sind.“
 

„Ist mir egal!“ Ja, es war ihr völlig egal. Sie wollte sich nicht damit abfinden. Es stimmte, sie wussten nicht wo sie waren, wusste nicht wie sie zu Genzo kommen sollten. Aber irgendwie musste es doch gehen! Es war ihr auch egal, ob man sie lassen würde oder nicht. Sie wollte einfach nicht hier sein. Nicht bei diesem Mann, der so viel schlechtes in ihr Leben gebracht hatte. Wegen ihm hatte ihre Mutter so viel geweint, wegen ihm war alles anders geworden. Und wegen ihm waren sie jetzt alleine! Sie wusste einfach, dass es seine Schuld war und da glaubte sie auch niemandem sonst, der ihr vielleicht etwas anderes einreden wollte. Egal was die Leute sagten, egal ob sie glaubten, dass er ein guter Mann war. Das war er nicht! Sie konnte ihn nicht leiden, sie hasste ihn! Sie. Hasste. Ihn.
 

„Wir können das nicht alleine machen..“
 

„Ist mir egal!“
 

„Nami..“ Nojiko war zu ihr gekommen, versuchte ihr eine Hand auf die Schulter zu legen und sie zu beruhigen. Doch sie wandte sich ab, riss sich los und blickte ihrer Schwester aus geröteten Augen entgegen. Seit Stunden weinte sie Tränen der Wut über das alles, ihr Hals schmerzte von den Schreien und sie hatte das Gefühl kaum Luft zu bekommen. Unangenehm. Alles schmerzte.
 

„Warum ist dir das egal?!“
 

„Es ist mir nicht egal! Aber wir müssen nachdenken! Das hier hilft uns nicht!“ Natürlich nicht. Aber was dann? Warten? Das konnte sie nicht. Denn da war Sehnsucht, Angst. Sehnsucht nach dem Heim, das sie einmal gehabt hatten. Nach ihrer Mutter. Nach Genzo. Und die Angst. Angst vor diesem Mann, der einfach nur böse war. Sie hatte es schon immer gewusst, seit er das erste Mal bei ihnen Zuhause gewesen war. Er hatte böse Augen. Das hatte sie auch ihrer Mutter gesagt, nachdem er wieder gegangen war. Das er böse Augen hatte und sie nicht wollte, dass er noch einmal zu ihnen kommen würde. Das hatte ihr schon immer Angst gemacht. Auch, wenn ihre Mutter versucht hatte sie zu beruhigen. Sie hatte versucht ihr zu erklären, dass das alles nicht so schlimm war. Doch es war schlimm gewesen. War schlimmer geworden. Jedes Mal, wenn er wieder aufgetaucht war hatte er neues Leid zu ihnen gebracht. Sie hatte nie verstanden was genau das gewesen war, warum dieser Mann immer und immer wieder zu ihnen kommen musste. Sie wusste nur, dass es ihrer Mutter nicht gut ging. Sie hatte einen anderen Ausdruck in den Augen, wenn er kam. Etwas war anders gewesen. Doch sie hatte sie nur immer wieder auf ihr Zimmer geschickt und sie hatten erst wieder herauskommen dürfen, wenn sie es ihnen gesagt hatte. Einmal, da hatte Nami nicht hören wollen. Sie hatte sich herausschleichen und nachsehen wollen. Nojiko hatte sie nicht gelassen. Sie hatte gesagt, dass sie auf ihre Mutter hören sollten. Dass das nicht gut war und sie Ärger bekommen würden. So wie heute.
 

„Sei nicht so feige!“
 

„Ich bin nicht feige!“ Aus Nami’s Sicht war sie genau das. Sie hielt sich immer an die Spielregeln, machte was man ihr sagte. So war Nojiko schon immer gewesen. Die Vernünftige von ihnen beiden. Das hatte auch ihre Mutter immer gesagt. Nojiko, diejenige, die immer brav war und keinen Ärger machte, während Nami schier keine zwei Meter weit gehen konnte ohne, dass sie sich in das nächste Problem manövrierte. Dabei machte sie es nicht einmal mit Absicht. Ein Hitzkopf, so hatte ihre Mutter sie immer genannt. Aber, wenn sie es damals getan hätte, dann wüsste sie wenigstens, was dieser Mann gemacht hatte. Warum er bei ihnen Zuhause gewesen war. Jetzt wusste sie nichts. Und sie wusste auch nicht, wie sie hier wieder heraus kommen sollten. Das machte sie Wahnsinnig!
 

„Ich sage nur wie es ist! Und das was du machst bringt uns nicht weiter! Du bist viel zu aufgebracht!“
 

„Ist mir egal!“ Wie sollte sie auch nicht aufgebracht sein? Nami nervte es eher, dass ihre Schwester so ruhig blieb. An dieser Stelle waren sie schon immer sehr unterschiedlich gewesen. Trotz der Tatsache, das sie beide einen starken Charakter hatten war es doch so, dass Nami ihr Temperament weniger unter Kontrolle hatte. Nojiko war die ruhige, die besonnene. Später würde sie mal eine gute Taktikerin werden. Bisweilen mussten sie aber einen Weg finden, um gemeinsam in dieser Situation zurecht zu kommen und das gestaltete sich als denkbar schwer. Welten die aufeinander prallten.
 

„Ich will hier raus!“ Nami wandte sich wieder von ihrer Schwester ab und der Tür zu. Erneut trommelten die kleinen Fäuste gegen das raue Holz. Inzwischen tat jeder Schlag weh, die Haut war gerötet und geschwollen. Doch sie konnte nicht aufhören. Sie konnte einfach nicht.
 

Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen, die schon bald hervor quollen und die Wangen weiter hinunter rannen. Atmen konnte sie nur noch durch den Mund, die Haut an den Wangen spannte unangenehm, doch all das war egal. Es spielte keine Rolle solange sie hier drinnen waren und niemand sie herauslassen würde.
 

Zeitgleich war es nicht einmal eine Frage des längeren Atem. Oder eine Frage des stärkeren. Solange es fraglich war, ob sie jemand überhaupt hören konnte war das alles vielleicht auch nur vergeudete Zeit. Zeit, die sie doch anders nutzen sollte? Aber wie? Wie sollte man das tun? Sie sah einfach keinen anderen Weg als diesen. Da war eine Tür, da war ein Weg nach draußen.

Nami hing sich an die Türklinke, stemmte sich mit den nackten Füßen gegen das Holz und versuchte weiter dagegen zu arbeiten. Versuchte die Tür zu öffnen und das mit all der Kraft, die ihr kleiner Körper in diesem Moment aufbringen konnte. Es knarzte, kurz glaubte sie, dass sich etwas tat. Doch dann verlor sie den Halt. Für einen Moment hing sie in der Luft, bevor sie unsanft auf dem Boden aufschlug und der Schmerz durch ihren Körper fuhr. Nami japste, rang nach Luft. Und dann brach es aus ihr heraus. Lautes Schluchzen, voller Schmerz und Trauer, erfüllte den Raum, während sie einfach auf dem Boden lag und sich dort zusammenkauerte. Die Arme schlangen sich um den Körper, als sie sich zur Seite drehte, versuchte das Beben zu kontrollieren und sich zusammenzunehmen.
 

Unmöglich.
 

Irgendwann spürte sie eine Hand auf der Schulter, während die andere ihr sanft durch das Haar strich. Nojiko hatte sich neben sie gesetzt, schwieg allerdings. Ihre Schwester war einfach da, hielt sie und versuchte sie damit ein wenig zu beruhigen. Doch konnte sie das? Wohl kaum. Nami konnte einfach nicht. Es war so schrecklich unfair! Ihre Mutter war einfach weg. Einfach so. Nur Genzo war da gewesen. Er hatte zugehört, hatte sich gekümmert. Nami hatte geglaubt, dass sie ihm nicht egal waren und das er zuhörte. Das er es ernst meinte. Alles was er sagte. Doch jetzt? Jetzt hatte er einfach zugelassen, dass dieser Mann sie mitnahm und an diesen Ort brachte. Er hatte nichts getan und einfach nur zugesehen, wie man sie mitgenommen hatte. Es war ihm auch egal. Wie allen anderen, die ihnen von Anfang an nicht zugehört hatten. Die ihnen nicht geglaubt hatten.
 


 

***
 


 

„Na, habt ihr euch endlich beruhigt?“ Nami funkelte den großen Mann an. Sie mochte sein Grinsen nicht. Wie lange hatte sie versucht, heraus zu kommen? Wie lange waren sie schon in diesem Raum? Nami wusste es nicht. Sie hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Das einzige, was sie wusste, war das sie hungrig war. Sie hatte schrecklichen Hunger. Der Magen knurrte schon eine halbe Ewigkeit, doch auch das hatten sie nicht bekommen.
 

Nun stand er da, blickte auf sie hinunter mit diesem Grinsen. Und diesem bösen Blick. Sie waren alle böse.
 

„Wir wollen hier raus!“ Nein, Nami hatte sich nicht beruhig. Ganz sicher nicht. Sie hatte nicht vor das alles so hinzunehmen und sich hier einsperren zu lassen! Sie wollte gehen und zwar jetzt! Doch alles was als Antwort kam, war ein raues lachen. Er neigte den Kopf zur Seite, blickte sie abfällig an und zog die Mundwinkel weiter auseinander.
 

„Hast du es noch nicht kapiert? Das hier ist jetzt euer Zuhause. Also sei lieber brav und mach keinen Ärger. Je länger ihr schreit, umso länger dauert es, biss ihr wieder etwas zu essen bekommt.“
 

„Wir wollen aber nicht hier sein! Ihr dürft das gar nicht!“ Natürlich durften sie das nicht. Nur, dass es offenkundig niemanden interessierte. Und bei wem sollten sie sich auch beschweren? Bei der Frau, die entschieden hatte, dass sie hierher kommen sollten? Wohl kaum. Die würden ihnen ohnehin nicht glauben und das alles nur wieder als Nichtigkeit abtun. So wie sie es schon einmal getan hatten. Also, was war die Alternative? Es gab keine und er wusste das.
 

„Tja. Wir tun es aber. Und was willst du jetzt machen du Zwerg?“ Er machte einen Schritt auf sie zu. Nami stolperte etwas zurück, spannte sich an. „Der Boss will, dass ihr die Klappe haltet und euch beruhigt. Ihr seid jetzt hier, also hört ihr gefälligst auf ihn. Ihr wollt nicht wissen, was passiert, wenn ihr ihn wütend macht.“
 

„Er hat uns gar nichts zu sagen!“ Als würde sie wirklich auf ihn hören! Das hatte Nami nicht einmal im Traum vor. Ob sie damit weit kommen würde? Früher hatte ihre Mutter gesagt, dass sie es einfacher haben würde, wenn sie nicht immer so stur wäre und aufhören würde durch jede Wand zu laufen zu wollen, anstatt einen Weg drum herum zu suchen. Vermutlich wäre auch das so ein Moment in dem sie einen anderen Weg suchen sollte. Hatte sie nur nicht vor.
 

Der große Kerl schnaufte wieder. Nami wusste nicht wie er hieß. Interessierte sie aber auch nicht. Waren doch alle gleich!
 

„Er gibt euch ein Dach über den Kopf und Essen. Er ist sehr großzügig und ihr werdet gefälligst tun, was er euch sagt, sonst setzt es was. Ist das klar?!“ Sein Ton war strenger geworden. Drohender. Er baute sich weiter vor ihnen auf, kam ihnen entgegen. Nami wich zurück. Dabei rutschte ihr weg an ihm vorbei, zur Tür, die offen stand.
 

„Ich hab gefragt, ob das klar ist!?“ Nami ignorierte ihn weiter. Sie wandte den Kopf, blickte zu ihrer Schwester, die eher versuchte sie zu beruhigen. Dabei griff sie nach Nami, formte stumme Worte. Sicherlich sollte es heißen, dass sie es lassen und einfach auf ihn hören sollte, damit sie nicht noch mehr Ärger bekommen und das ganze schlimmer machen würden. Ja, ja, das könnte sie tun. Wollte sie aber nicht!
 

„Zwerg!“
 

Sie ignorierte ihn weiter, dachte nicht weiter nach. Nami griff einfach nach der Hand ihrer Schwester, zog daran. Dann rannte sie los. Das war ihre Chance! Die Tür stand offen. Sie kamen aus ihrem Raum heraus und konnten versuchen hier weg zu kommen. Sie mussten es einfach versuchen! Wer wusste schon, wann sie wieder diese Möglichkeit bekommen würden?
 

Nami rannte, spürte einen kurzen Widerstand, bis sich Nojiko wohl auch in Bewegung setzte und dem Zug nachgab, den sie auf sie ausübte. Sie rannte an dem Kerl vorbei, hielt auf die Tür zu. Fast erreicht. Nami rannte auf den Flur hinaus, als es einen Ruck gab. Das Handgelenk ihrer Schwester verschwand aus ihrem, Nami stolperte weiter. Wandte sich um und blickte hinauf.
 

Der Kerl hatte sich ihre Schwester geschnappt, hatte sie einfach unter den Arm gepackt und sah genervt zu ihr hinunter. Nojiko schrie, schlug und trat um sich. Ohne Erfolg. Es wirkte fast so, als würde er ihre Bemühungen sich zu befreien gar nicht wirklich wahrnehmen. Dafür war da etwas anderes in seinem Blick. Wut?
 

„Scheiße, ich habe keine Zeit für so einen Mist. Komm her!“
 

„Nami lauf!“ Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde in der Nami zögerte. Dann wandte sie sich ab und rannte los. Sie wusste nicht in welche Richtung sie musste aber das war auch egal. Weg. Sie musste einfach weg. Wenn sie hier heraus kam, vielleicht würde sie dann doch jemanden finden, der ihnen helfen würde. Der Nojiko hier herausholen würde!
 

„Octa! Schnapp sie dir!“ Die Worte drangen nur dumpf an ihre Ohren, Nami konnte sie auch nicht zuordnen. Ihre Füße trugen sie einfach weiter, so lange bis etwas vor ihr auftauchte und sie den Boden unter den Füßen verlor. Sie wurde hochgehoben. Hoch in die Luft, als man sie unter den Armen gepackt hatte und sie dann plötzlich in das Gesicht eines anderen Kerls blickte. Für einen Moment tauschten sie einen überraschten Blick, dann fing Nami an um sich zu schlagen. Sie kratzte ihn an den Händen, trat gegen seine Brust und versuchte wieder los zu kommen. Doch nichts bewegte sich. Es war als würde sie zwischen einem Schraubstock klemmen und einfach nicht aus all dem herauskommen. Starr und unnachgiebig.
 

„Nana, was soll das denn?“ Fragte er, fast schon verwundert, während Nami aus vollem Hals schrie und aus Leibeskräften um sich trat. Verdammt! „Beruhig dich Kleines, es ist doch alles in Ordnung..“ Nein. Nichts war in Ordnung. Gar nichts!
 

„Was ist passiert?“ Er setzte sich in Bewegung, wieder zurück in Richtung Zimmer.
 

„Die Gören haben versucht abzuhauen. Ich hab die ganze Zeit gesagt, dass es eine scheiß Idee war. Ich verstehe nicht, was der ganze Scheiß soll. Werf sie wieder da rein.“
 

„Meinst du nicht, wir sollten-“
 

„Nein! Werf sie rein, wir nehmen die hier mit.“ Nami wehte sich weiter, versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch es war zwecklos. Dann verlor sie erneut den Halt, die Orientierung. Alles um sie herum drehte sich und dann landete sie auf etwas weichem. Es dauerte einen Moment, bis sie Realisierte, dass man sie auf das Bett geworfen hatte. Kaum, dass diese Gedanken klar wurden raffte sie sich wieder auf, rannte zur Tür.
 

„Nami!“ Sie hörte ihre Schwester schreien, als die Tür wieder zugeschlagen wurde und Nami nichts anderes übrig blieb, als mit voller Wucht gegen diese zu laufen.
 

„Hey! Lasst sie hier! Nojiko!“ Nami schrie wieder. Dabei wurde es doch schwerer, die Stimme brüchiger. Wieder schlugen die Hände gegen das Holz, wieder stemmte sie sich hoch, hing sich an die Türklinke und versuchte diese zu öffnen.

Zwecklos.
 

Die Tür würde verschlossen bleiben.
 


 

***
 


 

„Hey Kleines. Wie geht’s dir?“
 

Nami schwieg. Sie war schrecklich müde und hatte keine Kraft mehr. Wie lange sie geschrieen, geweint und noch auf die Tür eingeschlagen hatte wusste sie nicht. Alles tat ihr weh, sie konnte die Hände kaum bewegen, der Hals brannte.

Das alles kam ihr vor, wie eine Ewigkeit. Seit sie Nojiko mitgenommen hatten war sie weg und sie hatte nichts mehr gehört. Das dieser große Kerl nun aufgetaucht war, war das erste Zeichen, was sie bekam.
 

„Ich bin Octa.. ich dachte du hast vielleicht Hunger?“ Er hatte einen Teller bei sich und einen Becher mit Wasser. Oder etwas anderem, zumindest etwas zum trinken. Nami hatte allerdings keine Lust mit diesem Mistkerl zu reden. Das einzige, was wohl als Zugeständnis kommen würde, war das verräterische Knurren ihres Bauches. Natürlich hatte sie Hunger. Wenn man sie fragen würde, dann konnte sich Nami nicht einmal mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. War es Stunden oder Tage her?
 

Octa beobachtete sie einen Moment, dann sah er wieder zu dem Teller. „Ich habe dir ein Sandwich gemacht.. Käse und Erdnussbutter. Das mag ich am liebsten“, begann er zu erzählen, doch Nami schwieg weiter. Käse und Erdnussbutter? Das klang nicht einmal wirklich lecker. Nicht so als würde man das wirklich essen wollen. Dennoch, Nami konnte nicht leugnen, dass sie Hunger und Durst hatte. Das sie etwas brauchte. Und so zuckte ihr Blick dennoch zu dem anderen, zu dem Teller. Octa würde ihn neben sie auf den Boden stellen, dazu das Wasser.
 

„Wenn du… was anderes auf dein Sandwich willst, dann kannst du mir das auch sagen?“ Versuchte er es weiter. Was sollte das? Versuchte er nun einen auf nett zu machen? Er war genau so ein Arschloch wie die anderen. Sie würde ihm nichts sagen. Und sie würde das hier nicht gut finden. Nichts davon!
 

Stille legte sich über sie, während Nami einfach nur vor sich hinstarrte und spüren konnte, wie dieser Kerl sie musterte. Dabei spielte er mit seinen Fingern, drückte die Fingerkuppen immer wieder zusammen als würde er über etwas nachdenken. Komisch. Und so zuckten die Augen irgendwann doch zu ihm, fingen an ihn zu mustern und seine Züge. Als würde ihr das helfen zu verstehen, was dieser ganze Mist sollte.
 

„Also.. überleg es dir. Du solltest was essen und wenn ich die Sachen hole.. dann kannst du mir sagen, was du gerne isst.“ Langsam würde er sich wieder erheben und dann auch strecken. Ein wenig schien er zu zögern, als hoffe er darauf, dass sie doch noch etwas sagen und ihm entgegen kommen würde. Diesen Gefallen würde Nami ihm allerdings nicht tun und ihn lieber weiter mit Schweigen abstrafen. Das einzige Mittel, was sie jetzt noch zu haben schien auch, wenn sie sich viel lieber auf ihn stürzen und ihn fertig machen würde. Doch daran war in diesem Moment einfach nicht zu denken, sie konnte einfach nicht mehr.
 

„Hey..“ Er zog seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ich weiß, es ist nicht besonders gemütlich aber.. es kann okay sein. Und für euch wird es auch leichter, wenn ihr einfach auf das hört was er sagt.“ Mit diesen Worten würde er dann auch einfach wieder verschwinden. Für einen Moment würde Nami noch den Blick auf die Tür gerichtet lassen, dann wanderte er weiter zu dem Teller mit Essen.
 

Nein. Sie würde sich nicht hiermit abfinden.
 

Sie würde alles dafür tun, um hier wieder verschwinden zu können! Alles!

analysis


 

2023 - New York
 


 

„Das ist alles ziemlich überschaubar.“
 

„Sie haben die Ermittlungen gerade erst begonnen. Es kann noch nicht viel sein. Das wichtigste ist hier. Der Bericht über den Tatort und auch die Befunde der Gerichtsmedizin.“ Robin lehnte sich mit ihrem Kaffee zurück und ließ den Blick über die Akten schweifen, die Franky aus der Kiste räumte. Man hatte ihnen Kopien zukommen lassen, damit die Ermittlungen weitergeführt werden konnten, während sie sich ihr eigenes Bild machten. Smoker war deutlich gewesen; keine Störungen seiner Arbeit. Robin fragte sich warum man sie überhaupt einbestellt hatte, doch vermutlich würde auch das nur wieder als Angriff gewertet werden, sollte sie diese Frage aussprechen. Sie hielt sich zurück, hielt sich an das, was man ihnen gab. Im Grunde wäre es ihr ja nur recht, wenn das alles auf keinen fruchtbaren Boden treffen würde.
 

„Hier.“ Franky hielt ihr einen Lieferschein unter die Nase. Das Dokument aus dem sie nun ein Profil erstellen und das ganze beenden sollte. „Du kannst damit anfangen, ich sehe mir noch einmal die Berichte vom Tatort an.“
 

„Was genau denkst du soll ich hier finden?“ fragte sie, nachdem sie das Papier an sich genommen hatte, welches in einer Plastikhülle steckte. Kurz überflog sie mit dem Blick die geschriebenen Zeilen, bevor sie den Blick wieder zu Franky hob. Fast war sie überrascht, dass man es geschafft hatte ihnen in diesem Fall das Original zur Verfügung zu stellen. Aber es lag wohl daran, dass Smoker keinen Sinn darin sah seine Zeit mit diesem Dokument zu verschwenden und er keinen Wert darin sah. Zumindest keinen für den das Original nötig wäre.
 

„Irgendwas? Du findest doch sonst auch immer Details, die niemand sonst sieht.“
 

„Darf ich es wenigstens schon hier herausholen? Oder ist die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen?“ Sie sollte es sein. Zumindest Fingerabdrücke hatte man bereist genommen, das konnte sie deutlich erkennen. Ob das ihre Arbeit erleichtern würde, das musste man noch sehen. Denn viel gab es auf dem Schein nicht zu sehen. Das Papier war kein besonderes, auf den ersten Blick würde man auch keinen Unterschied zu den Üblichen erkennen. Robin hatte einen anderen als Vergleich angefordert, der nun ebenfalls vor ihr lag und, den sie mit diesem akribisch vergleichen würde. Auf den ersten Blick war die Schrift allerdings das einzige, was ihnen vielleicht helfen könnte. Und das auch nur, sollten sie eine Probe von einem möglichen Verdächtigen vorliegen haben würde. Zusammenfassend könnte man feststellen, dass sie schlichtweg zu wenig in der Hand hatte, um hier ein umfassendes Profil aufstellen zu können.
 

„Die Sachen stehen uns zur freien Verfügung. Tu, was du für richtig hältst.“
 

Wenigstens das. Dennoch fragte sich Robin, wo genau sie ansetzen sollte. Aber, da man hier nicht weiter kam, in dem sie die ganze Zeit ihre Zweifel betonte, beschränkte sie sich darauf sich Notizen zu dem Schriftbild zu machen. Wie waren die einzelnen Buchstaben geschwungen. Gab es eine Neigung oder Anomalien? Wenn Robin es sagen müsste, dann gab es aber auch hier nicht viel was man als besonders auffällig beschreiben könnte. Sie nahm sich ihre Lupe die auch von Uhrmachern oder Juwelieren für Feinarbeiten benutzt wurden. Hier nutzte Robin es, um langsam - Zeile für Zeile - über das Papier zu fahren und sich jeden einzelnen Buchstaben genau anzusehen. Sie konnte die Spuren des Stiftes, vermutlich eines Kugelschreibers, erkennen. Hier und da war die Farbe nicht gleichmäßig auf das Blatt aufgetragen. Kleinigkeiten, die keine Perfektion zeigten. Es war also keine maschinelle Anfertigung. Jemand hatte sich die Mühe gemacht den Schein an der ein oder anderen Stelle per Hand auszufüllen. Zumindest dort, wo vermeintliche Abnahmen notwendig gewesen waren. Man müsste nun schauen, ob diese Abnahmen tatsächlich stattgefunden hatten. Wenn ja, dann konnte man dem nachgehen. Wenn nicht, dann musste man weitere Möglichkeiten suchen. Wobei wohl sicher war, dass Smoker diesen Spuren bereits nachgehen dürfte. Die Rückverfolgung war nicht das wo sie etwas beitragen könnte auch, wenn Robin es nicht verhindern konnte, dass ihre Gedanken auch in diese Richtung gingen. Man machte sich automatisch Gedanken, das konnte sie durchaus nicht ablegen, so gleichgültig sie die Sache auch am liebsten behandeln wollen würde. Es lag eben in ihrer Natur das ganze Bild sehen und verstehen zu wollen.
 

Doch was war es, was dann in ihren Möglichkeiten lag? „Wurde darüber nachgedacht alte Lieferscheine anzufordern, die von der gleichen Firma eingegangen sind?“ Fragte sie dann irgendwann doch und blickte auf. Franky war in eine Akte vertieft. Vermutlich der Bericht der Gerichtsmedizin.
 

„Weiß ich nicht. Was könnte das bringen? Immerhin ist vorher nie etwas aufgefallen“, fragte er dann nur ohne den Blick von der Akte zu wenden. Er konzentrierte sich sicherlich auf beides und konnte durchaus ernst bei der Sache sein. Auch, wenn man ihm das nicht immer zutraute.
 

„Ich könnte die Schriften alter Scheine Vergleichen. Vielleicht bringt es nichts aber vielleicht gibt es Übereinstimmungen und wir könnten entweder darauf Rückschlüsse ziehen woher diese Scheine kamen oder, wie viele Lieferungen es vielleicht schon gab“, erklärte sie ihm dann. Unbestreitbar war das eine müßige Arbeit, die nicht einmal besonders vielversprechend erschien. Doch am Ende war es das, was sie ihm anbieten konnte. Mit irgendetwas müsste sie die Schrift vergleichen und ein Profil aus einziger Schriftprobe zu erstellen war doch eher dürftig. Unmöglich war es zwar nicht aber es würde Fehler aufweisen und doch eher ungenau sein. Um Fehler zu vermeiden müsste sie sich doch sehr allgemein halten müssen. Robin zeigte sich doch eher unzufrieden mit dem, was ihr gegeben wurde, würde aber ihre Notizen vervollständigen. Zumindest das könnte sie liefern, aber sie würde sich nichts aus den Fingern saugen oder spekulieren. Das war nun wirklich nicht ihre Art.
 

„Wir können es ihm zumindest vorschlagen. Er müsste sicher jemanden dazu abstellen sich darum zu kümmern und die entsprechenden Scheine zu finden.“ Und, ob Smoker das machen würde? Kam sicherlich darauf an wie dürftig die übrige Spurenlage war mit der man es zu tun hatte. Auf der anderen Seite war es auch eine Möglichkeit an neue Spuren zu gelangen. Wenn man bedachte welches Ausmaß diese ganze Sache annahm wäre es vielleicht falsch die Möglichkeit auf neue Beweise zu ignorieren.
 

„Die meisten der Mädchen sind schlichtweg verdurstet oder verhungert. Anscheinend hätte der Container viel früher ankommen sollen oder jemand hat die Ration an Nahrung falsch bemessen. Offenbar haben manche aus Verzweiflung angefangen Kanibalismus zu betreiben.. deswegen sah der Container auch so aus, wie er aussah.. das Blut stammte von denen, die diesen Überlebenskampf verloren haben.“ Robin atmete durch und richtete den Blick wieder auf ihre Notizen. Es war schrecklich. Sicherlich einer dieser Fälle, der einen Verfolgen könnte, würde man ihn zu sehr an sich heran lassen. Sie hatte bereits vor Jahren gelernt, dass sie das nicht zulassen durfte, wenn sie diesen Job weiterhin machen wollte. Man nahm auch so schon genug Ballast und Geister mit sich, es wäre nicht gut auch an dieser Stelle etwas zu sehr an sich heran zu lassen. Sie musste es nüchtern betrachten und diese Mädchen wie Nummern behandeln. Nicht wie junge Frauen, die einmal einen Namen gehabt hatten. Deren Familien irgendwo warteten und darauf hofften, dass sie zurück kamen. Junge Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt hatten. Und denen die Möglichkeit darauf genommen war zu lieben, zu lachen und die Welt zu entdecken, um ihre eigenen Geschichten zu schreiben und zu erleben. Robin durfte nicht die einzelnen Schicksale sehen, die dahinter standen.
 

„Meiner Meinung nach ist das ein ziemlicher Sadist, der das ganze anzettelt und versucht schlauer zu sein als alle anderen.“
 

„Das überrascht mich nicht“, murmelte Robin nur. Jemand, der so mit Menschen umging, konnte nur ein Sadist sein. Zumindest war das ihre Meinung dazu.
 

„Nein, hier geht es nicht nur um einfachen Menschenhandel. Aber diese kleinen Metallrohre in ihrem Nacken.. das war das einzige, womit die Mädchen angekettet waren. Er verhöhnt sie. Er sagt; komm. Befrei dich, es gibt nichts was dich hält. Mit dem nötigen Kraftaufwand würden sie sich losreißen können ohne das sie lebensgefährliche Verletzungen davontragen würden. Blutverlust, eine Wunde. Ja. Aber sie würden nicht daran sterben.“
 

„Doch wohin sollten sie fliehen? Das ist eine Wette, die sie nicht gewinnen können. Selbst, wenn sie den nötigen Mut aufbringen sich zu lösen.“ Robin blickte wieder von ihren Notizen auf. Es war Augenwischerei. Denn ganz gleich wie man es drehte, diese Mädchen hätten nie und nimmer aus diesem Container entkommen können. Und dort, wo man sie sonst gefangen hielt? Vermutlich auch nicht. Er wog sie in falscher Sicherheit und schürte Hoffnungen, doch am Ende würde sie vielleicht genau das Brechen. Der gescheiterte Versuch zu entkommen, wenn sie doch versuchten diesen einen Schritt zu gehen und sich zu lösen.

Franky zuckte mit den Schultern und legte die Akte wieder auf den Tisch.
 

„Kommt sicher darauf an was er mit ihnen macht, wenn sie an ihrem Bestimmungsort angekommen sind. Wir kennen nur den Container. Wir wissen nicht woher sie gekommen sind oder wohin sie gebracht werden sollten. Vielleicht ist das so ein Arschloch, das glaubt, dass Saw ne scheiß gute Idee war.“
 

Vielleicht. Es gab genug kranke Geister und wenn sich so einer nun von irgendwelchen Horrorfilmen inspirieren ließ? Dann wäre das sicherlich nicht das erste Mal, dass so etwas geschehen würde. Robin würde sich zumindest nicht darüber wundern, obgleich es ihre Arbeit nicht leichter machen würde. Das einzige, was man am Ende hoffen konnte war, dass solche Kerle größenwahnsinnig genug waren, damit sie so schnell wie möglich anfingen Fehler zu begehen. Und wenn man bedachte, dass man es hier nicht mit einer einzigen Person zu tun haben konnte, sondern man sicherlich von einem Netzwerk sprach, dann erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo ein Fehler entstehen würde. Das zumindest war es, worauf man setzen musste. Keine Organisation war unfehlbar. Niemals.
 

„Wir haben jemanden der gerne Macht demonstriert. Der autoritär genug ist, um ein Team anzuleiten. Oder gehst du davon aus, dass wir es mit einem Einzeltäter zu tun haben?“ Er schüttelte den Kopf. Zumindest darin war man sich wohl einig und konnte die ersten Notizen zu dem Profil eintragen. Erst einmal würde man alle Strichpunkte sammeln und versuchen es zu ordnen, bis sich ein konkreteres Bild ergeben würde aus welchem man dann ein Profil erstellen könnte. Dazu würden sie ihre Gedanken teilen, sich die Bälle gegenseitig zuspielen und versuchen sich entsprechend zu inspirieren und die jeweils anderen Gedanken weiter zu denken. Man verstand sich und Robin zweifelte nicht daran, dass sie am Ende einen Bericht erstellen würden, der Smoker zumindest irgendwie helfen könnte. Wobei es bei einem solchen Bericht wohl eher darauf ankam wie viel er davon würde annehmen wollen und, wo seine selbst gesteckten Grenzen lagen.
 

„Ich hab versucht dich gestern Abend noch zu erreichen und dachte wir gehen doch noch was trinken“, warf er irgendwann in den Raum, während sie gerade dabei waren die ethnischen Daten anzugeben, die sie vermuteten. Männlich. Älter als 35. Charismatische Persönlichkeit.
 

„Ich war unterwegs“; wandte sie ein ohne von ihrem Laptop aufzusehen, wo sie versuchte alles wichtige festzuhalten, was sie brauchen würden.
 

„Alleine?“ Robin atmete tief durch. So sehr er sich konzentrieren konnte, so schnell konnte er auch zwischendurch einfach wechseln und auf etwas anderes zu sprechen kommen. Und in diesem Fall war das wohl eine Frage, die er sich bereits seit dem vergangenen Abend stellte und, die eigentlich, überhaupt keine Relevanz hatte.
 

„Ich bin nicht sicher, was dir eine Antwort auf diese Frage bringen würde.“
 

„Befriedigung meiner Neugierde?“ Er grinste sie breit an und Robin seufzte erneut. Sie hatte dieses vermeintliche Interesse am Privatleben anderer Menschen nie wirklich verstehen können. Es war ihr durchaus fremd sich am Klatsch und Tratsch anderer zu beteiligen oder etwas darauf zu geben wer mit wem schlief. Was brachte ihr diese Information? Nichts. Es war schlichtweg unnützes Wissen, was in ihren Augen an eine einfache Zeitverschwendung grenzte.
 

„Nicht alleine.“ Der einzige Grund, warum sie dem nachgab war wohl der, dass Franky ohnehin nicht aufhören würde, bevor er seine Antwort bekam. Die wollte er einfach und genau deswegen würde er sich auch nicht eher wieder auf ihre Arbeit konzentrieren, bis sie das geklärt hatten.
 

„Mit wem?“
 

„Ich weiß nicht wie sie heißt. Ich habe sie in einer Bar getroffen, wir hatten eine schöne Nacht, mehr nicht. Können wir uns jetzt wieder auf die Arbeit konzentrieren?“ Es war sicherlich nur die halbe Wahrheit. Zumindest hatte Nora ihr einen möglichen Namen genannt und es gab zu mindest in der Theorie die Möglichkeit sich wiederzusehen. Sofern sie beide sich dazu entscheiden würden in den nächsten Tagen wieder in die Bar zu gehen und man sich durch Zufall dort treffen würde. Doch wie wahrscheinlich war das schon? Und wie wahrscheinlich war es, dass die Kleine ihr ihren wirklichen Namen genannt hatte? Robin machte sich da durchaus keine Illusionen. Wenn man bedachte, wie wiederstrebend sie den Kaffee getrunken hatte, dann war es doch nur wahrscheinlich, dass sie alles dafür tun würde, dass sie sich wirklich nicht wiedersehen würden. Nichts, was Robin persönlich nahm. Es hatte eben jeder seine eigenen Regeln in diesem Spiel. Auch sie.
 

„Werdet ihr euch wiedersehen?“
 

„Ich weiß nicht wie sie heißt, was kannst du aus dieser Information entnehmen?“ Ja, was sagte ihm das wohl? Er war nicht dumm, also könnte er durchaus auch weiter denken nur, dass Robin manchmal das Gefühl hatte, dass er sich in seinem Privatleben extra dumm stellte. Oder zumindest so tat.
 

„Weißt du, menschliche Verbindungen sind nicht automatisch etwas schlechtes.“
 

„Es war ihre Regel diese Distanz zu halten. Franky, ich werde in ein paar Tagen wieder abreisen, sobald wir das hier geklärt haben und ich bin nicht daran interessiert eine Beziehung zu führen. Die letzte hat mir vorerst gereicht.“ Durchaus. Es fiel ihr auch aus persönlichen Gründen schwer Nähe zu anderen Menschen zuzulassen und diese tiefergehend zu gestalten. Das war ein Fakt um den Robin durchaus wusste. Sie war durchaus reflektiert genug, als das sie wusste, dass ihre Beziehungen bisher oft genug an ihr und ihren Problemen gescheitert waren. Dennoch hatte sie es versucht und nachdem die letzte Beziehung in die Brüche gegangen war, saß ihr das alles doch noch schwer in den Knochen.
 

„Dass das mit Kalifa eine beschissene Idee ist, das hätte ich dir auch schon vorher sagen können. Es war klar, dass dieser kleine Kontrollfreak nicht mit dir umgehen kann. Sie ist gut in ihrem Job, mehr nicht.“ Franky hatte nie viel von ihr gehalten und Robin? Vielleicht hätte sie es ebenfalls sehen sollen. Hatte sie aber nicht. Sie hatte sich gegen alle Regeln darauf eingelassen und hatte durchaus geglaubt, dass das alles wirklich funktionieren könnte. Hatte es das? Nein. Sieben Monate hatte es gedauert, bis die Sache zwischen ihnen in die Brüche gegangen war und sich auch auf ihr Arbeit ausgewirkt hatte. Was genau sie sich dabei gedacht hatte, etwas in ihrem Arbeitsumfeld anzufangen, das konnte Robin heute nicht mehr beantworten. Es war von Anfang an einfach falsch gewesen und sie hätte es einfach besser wissen sollen. Hätte sie. Warum sie ihr Bauchgefühl ignoriert hatte? Vielleicht war es das Gefühl, was alle paar Monate aufkam, wenn sie sich doch alleine fühlte und glaubte, dass es doch gut wäre sich auf jemand anderen an ihrer Seite zu haben. Es war eine menschliche Regung, die sie nicht immer ignorieren konnte. Und entgegen Kalifa’s Meinung war Robin am Ende des Tages, keine Maschine. Sie arbeitete nicht einfach nur ihr Leben ab. Es war weit mehr als das.
 

Um das allerdings zu erklären und sich zu öffnen, brauchte Robin Zeit. Sie band nicht jedem gleich ihre Geschichte auf die Nase auch, wenn sie durchaus versuchte sich zu bessern. Für Kalifa war es allerdings nicht schnell genug gewesen und das hatte wiederum dazu geführt, dass sie auf eigene Faust versucht hatte in Robin’s Vergangenheit herumzuschnüffeln. So sehr Robin sich auch bemühen wollte das zu verstehen, so war es ein Vertrauensbruch, den sie einfach nicht vergessen konnte. Zumal Kalifa ihre Handlungen nicht einmal selbst offen gelegt hatte und Robin es nur durch einen Zufall und ihr eigenes Misstrauen erfahren hatte. Auf einer solchen Basis war es für sie unmöglich eine gesunde Beziehung aufzubauen und an eine gemeinsame Zukunft zu denken.
 

„Tu bitte nicht so, als hättest du in dieser Hinsicht noch nie eine schlechte Entscheidung getroffen“, wandte sie nur trocken ein. Hatte er durchaus. Weitaus öfter als sie. Franky hatte ständig eine neue Beziehung und ständig ging es wegen dem Job in die Brüche. Er nahm sich einfach keine Zeit, um das alles wirklich aufzubauen. Er bereitete die Frauen nie wirklich darauf vor, was es bedeutete mit ihm eine Beziehung führen zu wollen. Es fing schön an, solange er in der Stadt war und dann ging er plötzlich. Sie wurden ins kalte Wasser geschmissen und er erwartete, dass sie einfach damit zurecht kamen. Etwas, was nie funktionierte. Natürlich tat es das nicht. Welche Frau könnte auch damit zurechtkommen, wenn der vermeintliche Partner nicht mit ihr sprach und einfach sein Ding machte? Sie machten ihm natürlich die Hölle heiß und das wiederum war etwas, das Franky nicht leiden konnte. Er brauchte seine Freiheit, wie er es nannte. Robin nannte es ignorant. Er war einfach kein Typ für eine Beziehung und brauchte, wollte, seine Freiheit. Es war also nicht besonders überraschend, dass seine Beziehungen meistens weniger als ein halbes Jahr hielten. Er war nicht die Person, von der sie sich Beziehungsratschläge anhören wollte oder würde. Da musste er wirklich nicht versuchen sich in ihr Leben einzumischen.
 

„Hey, ich bin zufrieden wie es läuft. Aber ich glaube du bist es nicht.“ Das war seine Meinung. Robin entschloss sich das zu ignorieren und sich lieber wieder ihrem Laptop zuzuwenden. Sie war wenigstens realistisch genug, um zu wissen, dass ihr Job eine Beziehung deutlich komplizierter machte und sie sich nicht einbilden müsste, dass es eine einfache Sache wäre. Wollte sie auch nicht. Manchmal musste man sich einfach entscheiden und sie hatte sich am Ende des Tages für ihren Job entschieden. Eine Entscheidung zu der man am Ende einfach stehen musste. Ihr Job war das, was ihr Leben bestimmte. Und solange eine Frau damit nicht umgehen konnte, würde es auch niemals zu einer Beziehung führen.
 

„Wenn wir den Bericht fertig haben, wie geht es dann weiter?“ Wechselte sie lieber das Thema und richtete den Blick wieder auf ihre Arbeit. Das war zumindest das, was sie schaffen wollte.
 

„Solange nichts neues auftaucht denke ich können wir danach nicht mehr viel tun. Ich würde noch etwas bleiben für eventuelle, neue Erkenntnisse, die in den nächsten Tagen aufkommen könnten. Aber wenn es stagnieren sollte, dann können wir nur in Kontakt bleiben und Smoker kann sich melden, wenn sich etwas ergeben sollte.“ Das war sicherlich vernünftig und das, was man tun sollte. Denn hier sitzen und warten? Das würde ihnen auch niemand bezahlen.
 

„Dann rechnen wir mit drei Tagen?“
 

„Vier.“
 

Wieder ging ihr Blick hinauf und sie schielte Franky an. Vier also. Gut. Es war zumindest eine überschaubare Zeit, die sie hier überstehen konnte. Und, da sie nicht im Außeneinsatz waren, konnte sie hier in diesem Rahmen auch mit geregelten Arbeitszeiten rechnen. Sie würden den Bericht heute abarbeiten, am nächsten Tag noch einmal nachhaken aber ansonsten würde es nicht viel geben. Es war besser so. Normalerweise war Robin eine Person, die ganz in ihrer Arbeit aufging. Sie liebte ihren Job, immerhin war sie bereit das alles ihrem Leben überzuordnen. Kalifa hatte es eher eine Flucht vor der Realität genannt. Doch das war aus ihrer Sicht eher eine Frage des Blickwinkels. Am Ende kam es nur darauf an, dass sie hier nicht bei der Sache war. Und Robin konnte es nicht leiden, wenn ein Job nur halbherzig gemacht wurde. Sie hatte einfach einen anderen Anspruch an sich selbst. Und doch konnte sie nicht leugnen, dass ihre eigene Geschichte sie beeinflusste, solange sie sich in dieser Stadt befand. Ganz gleich wie schlimm das Schicksal dieser Mädchen auch sein mochte. Wenn es um diese Stadt ging, dann sträubte sich einfach etwas in ihr und Robin konnte sich nur bedingt dagegen wehren.
 

„Gut. Vier. Dann kann ich Zuhause meine Projekte weiterlaufen lassen.“
 

„Deine angestaubten Bücher werden dir schon nicht davonlaufen.“
 

„Zeit ist auch bei dieser Arbeit ein nicht unerheblicher Faktor.“ Aber was versuchte sie ihm das zu erklären? Franky hatte einfach keinen Sinn für Kunst und erst recht nicht für Geschichte. Er war Pragmatiker. Lebte im hier und jetzt und wenn er nicht im Dreck der Unterwelt wühlte, dann hatte er nur Kopf für seinen Sport oder für seine Bastelprojekte. Wie Robin es nannte. Aber wie sollte man es auch sonst bezeichnen, wenn ein erwachsener Mann kleine Roboter baute? Nicht, dass sie es verurteilte. Es beruhigte ihn und hat ihm dabei zu entspannen, was letztlich das einzig wichtige war. Jeder von ihnen brauchte einen passenden Ausgleich im Leben, um mit all dieser Dunkelheit umgehen zu können. Für sie zählte nur, dass es ihrem Freund gut ging. Aber dafür erwartete sie auch, dass er ihre Bücher in Ruhe ließ.
 

Es war ihre zweite Leidenschaft und die würde sie sich auch niemals nehmen lassen. Nicht einmal von ihrem kritischen Freund, der scheinbar immer wieder das letzte Wort haben musste.
 

„Was auch immer..“ Franky winkte ab und schien nicht weiter auf das Thema eingehen zu wollen. Es langweilte ihn und war damit genau das, was sie hatte bezwecken wollen. Sie redete gerne mit ihm. Allerdings nicht über ihr Beziehungsleben und auch nicht gerne während der Arbeit. Robin setzte da durchaus Prioritäten und war für ein effektives, konzentriertes arbeiten. Franky hingegen war der Auffassung, dass es auch Spaß machen sollte und so ein kleiner Plausch doch nicht schaden könnte. Grundsätzlich mochte er damit vielleicht auch recht haben. Wenn es nur nicht jedes mal so ausufern würde. Dahingehend war er wirklich ein Meister seines Fachs.
 

Für’s erste allerdings würde sie nun auch ihre Ruhe haben und hatte die Chance, dass man sich die nächsten Stunden noch weiter auf die Arbeit und das erstellen der Profile konzentrieren. Wenn das getan war konnte sie sich Gedanken um anderes machen. Das sie es dennoch nicht verhindern konnte, dass ihre Gedanken zwischendurch zu der vergangenen Nacht glitten und sie an den kleinen Wildfang dachte, würde sie ihm sicherlich nicht zugestehen. Ebenso musste er nicht wissen, dass sie durchaus darüber nachdachte noch einmal in die Bar zu gehen. Robin könnte nicht einmal genau sagen was es war, doch irgendetwas an der Kleinen hatte sie neugierig gemacht. Sie hatte diese kecke, selbstbewusste Art an sich, die zum spielen einlud und die sie durchaus erheitert hatte. Zumal die Nacht auch besser gewesen war, als sie es erwartet hatte. Wobei sie es durchaus nicht darauf beschränken wollte. Würde es nur danach gehen, dann gäbe es sicherlich auch andere Wege und Robin würde nicht von sich sagen, dass sie Sex brauchte. Es war eine nette Nebensache aber kein muss. Nein, die Kleine hatte etwas anderes an sich gehabt. Und auch, wenn sie nicht viel gesprochen hatten, so hatte es doch davon gezeugt, dass sie etwas im Kopf hatte. Durchaus etwas das von Robin immer Zuspruch erhalten würden.
 

Ob sich ihre Wege allerdings noch einmal kreuzen würden war allerdings offen. Sie konnte lediglich noch einmal in die Bar gehen und dann würde sich zeigen, ob ihre Einladung angenommen werden würde oder auch nicht. Das würde allerdings nur der Fall sein, wenn Nora sie nicht als ihre Bedrohung für ihre Freiheit wahrnehmen würde. Denn wie bei anderen Frauen konnte Robin sich in ihrem Fall wohl kaum auf ihren Charme und ihre Ausstrahlung verlassen.
 

Diesen kleinen, privaten Luxus würde sie sich allerdings erst gönnen, wenn sie ihre Arbeit fertiggestellt hatte und es keine offenen Fragen mehr geben würde. Die Hauptarbeit lag zwar am Ende noch immer bei Franky und dennoch mussten sie ihre Ergebnisse miteinander abgleichen und schauen, ob es zusammen passte. Wenn nicht müssten sie sich die Frage stellen, warum das so war. Und auch was sie übersehen hatten oder, wie es passen könnte. All das waren jedoch Fragen für später. Zunächst würde Robin weiter versuchen etwas aus dem wenigen zu machen, was sie erhalten hatte. Wenn Robin allerdings eines in den vergangenen Jahren gelernt hatte dann, dass man nur genau hinhören musste, wenn man Antworten erhalten wollte. Zumindest aber würde sie Fragen finden, die durch all das aufgeworfen werden würden und, die ihnen zeigen könnten, in welche Richtung sie im weiteren gehen müssten, um die entsprechenden Antworten zu erhalten.

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2023 - New York
 


 

„Und, was denkst du?“ Nami schob das Stück Kuchen auf ihrem Teller hin und her, bevor sie sie noch ein weiteres Stück mit der Gabel aufnahm und sich in den Mund schob. Ihre Miene blieb ausdruckslos. Allerdings war es auch nicht so, dass sie etwas schlechtes erwartete. Ein lockerer Boden, mit einer samtigen, fruchtigen Schicht. Panacotta? Mit einem Orangenaufstrich. Das gefiel ihr durchaus ziemlich gut.
 

„Fragst du mich, weil du irgendwelche Zweifel hast?“ fragte sie dann nur zurück und schielte ihre Schwester an. Nojiko seufzte und lehnte sich mit den Unterarmen auf den Tresen vor dem Nami auf einem Hocker saß.
 

„Der Laden läuft gut und ich möchte, dass es so bleibt. Dazu muss ich etwas investieren und wenn ich eigene Kuchen und vielleicht auch ein paar andere Gerichte anbieten kann, dann könnte das vielleicht auch neue Kunden gewinnen.“ Durchaus ein nachvollziehbarer Gedanke. Schon oft hatten sie darüber gesprochen und Nami fand auch, dass sie es wagen sollte. Deswegen hatte sie ihr auch Sanji empfohlen. Dieser war mit seinem alten Arbeitgeber nicht besonders glücklich gewesen und suchte etwas neues, eine Herausforderung und einen Ort, an dem er seine Kreativität ein wenig entfalten konnte. Er war eben ein Freigeist in der Küche und mochte es nicht immer nur das gleiche zu machen und nichts neues probieren zu dürfen. Durchaus etwas, das Nojiko und ihrem Laden gut tun könnte. Dennoch musste man ihm ein gutes Gehalt bieten und das würde bedeuten, dass sie wieder mehr verzichten musste. Ein kleiner, privater Rückschritt. Ob es das wert war? Das wünschte sie ihrer Schwester durchaus.
 

„Der Kuchen ist gut. Sehr gut. Er kann was.“ Zumindest damit schien er ihre Schwester überzeugt zu haben. Obgleich Nami auch nicht daran gezweifelt hatte, dass Nojiko sich in sein Essen verlieben würde. Denn man konnte von dem Schwerenöter sicher halten was man wollte, doch in der Küche konnte ihm niemand etwas vormachen.
 

„Er ist ein guter Koch. Ich denke es geht nur darum, ob du diese Veränderung durchziehen möchtest oder nicht.“
 

„Ich muss es wenigstens versuchen. Es ist doch bisher so gut gelaufen. Ich könnte ein gutes Leben haben und vielleicht irgendwann auch etwas zurücktreten. Vielleicht muss ich dann nicht mehr jeden Tag hier sein.“ Bisher konnte sie sich das noch nicht leisten. Das wusste Nami und sie wusste auch, wie sehr sich Nojiko etwas Erleichterung wünschte. Mehr Unabhängigkeit. Denn so sehr sie ihr Café und ihre Arbeit liebte, jeder brauchte auch ein Privatleben und davon konnte man bei ihr momentan noch nicht wirklich sprechen.
 

„Zumindest holst du dir damit niemand nutzlosen ins Boot.“ Durchaus. Es könnte gelingen. Das zumindest konnte sich Nami vorstellen, während sie das Stück Kuchen langsam weiter aß. Sie würde es ihr gönnen und doch hing all das leider nicht nur davon ab, ob Nojiko den richtigen Koch einstellen würde. Sie wusste durchaus, dass es viel mehr darum ging, wie gewillt Aron war ihre Schwester wirklich in Ruhe zu lassen. Und das wiederum hing sehr stark davon ab wie gut die Arbeit war, die Nami für ihn leisten würde. Alles daran widerstrebte ihr und doch hatte sie bisher noch keine wirkliche Lösung gefunden. Egal wie sie es drehte und wendete, sie hatte keine Wahl.
 

„Nein. Er ist vielleicht ein bisschen merkwürdig und flirtet zu viel. Aber er weiß was er tut. Damit werde ich schon fertig.“ Das war das wichtigste daran. Und sie wusste durchaus, dass man sich immer auf ihn verlassen konnte. Frauen mochten vielleicht seine Schwachstelle sein und er liebte es zu flirten, doch er würde niemals eine Grenze überschreiten, die ihm aufgezeigt wurde. Eigentlich war er ein ganz harmloser Kerl mit einem guten Herzen. Und deswegen mochte Nami ihn auch so, obgleich sie ihm das niemals sagen würde. Das würde ihm nur zu Kopf steigen. „Er kann ab dem nächsten Monat anfangen und bis dahin kann ich mir genug Gedanken darum machen wie genau das alles aussehen soll.“
 

„Ein Versuch ist es zumindest wert. Ich hoffe das es klappt.“ Nami schob sich das letzte Stück Kuchen in den Mund, dann schob sie den Teller zur Seite, um wieder den Blick zu heben und ihre Schwester anzusehen. Diese sah sie noch immer forschend an. Einfach war es wirklich nicht, denn Nojiko konnte sie durchschauen. Immer. Es war, als würde sie in Nami lesen, wie in einem offenen Buch. Ganz gleich was sie in den vergangenen Jahren auch versucht hatte, es war ihr nicht gelungen.
 

„Was ist passiert?“
 

Sie zog die Brauen zusammen, schürzte die Lippen und schüttelte dann den Kopf. Was sollte sie denn auch sagen? Natürlich war etwas passiert und Nojiko konnte ihr an der Nasenspitze ansehen, das etwas nicht stimmte. Diesen Umstand musste man wirklich nicht diskutieren. Viel eher ging es doch um die Frage, wie sie sich aus all dem herauswinden sollte. Immerhin war ihre Schwester nicht Vivi. Der reichte es, wenn Nami ihr weiter von einer ominösen Liebschaft berichtete und sie konzentrierte sich auf dieses Problem. Alles andere war vergessen. Diese Taktik konnte sie bei ihrer Schwester kaum anwenden. Nojiko konnte wie ein Pitbull sein, wenn sie sich an etwas festgebissen hatte und dann ließ sie einfach nicht mehr locker.
 

„Nichts bestimmtes. Es ist gerade einfach nur etwas stressig. Alles eben.“ Runterspielen. Das war meistens das Mittel der Wahl. Ob es funktionierte, das blieb am Ende offen. Kam immer darauf an, wie ihre Schwester drauf war und wie sehr sie sich auf Nami konzentrieren konnte. Angesichts der Tatsache, dass der Laden geschlossen war und es nur noch darum ging aufzuräumen und alles für den nächsten Tag vorzubereiten, konnte sie wohl mit Nojikos ungeteilter Aufmerksamkeit rechnen. Das alles war nicht einfach und doch war es eine Situation in die Nami sich freiwillig begeben hatte. Sie war wohl wissend in das Café ihrer Schwester gegangen, dass diese bald schließen und dann alle Zeit der Welt haben würde, um mit ihr zu sprechen. Vermutlich war aber genau das der springende Punkt. Sie wollte mit ihr sprechen. Nami wollte ein freundliches Gesicht sehen und am liebsten würde sie ihr sagen in was für einen Schlamassel sie sich hineingeritten hatte. Sie wollet ihr sagen was alles in ihrem Leben schief lief und, dass sie schon längst die Kontrolle darüber verloren hatte. Wenn Nami ehrlich war, dann würde sie am liebsten in Tränen ausbrechen und offen mit ihr reden. Nur, dass das ihre Situation nicht verbessern würde. Es war sogar wahrscheinlich, dass es nur schlimmer werden würde, wenn Nojiko sich einmischte. Dann wäre alles umsonst gewesen, was sie bisher getan hatte.
 

„Ich habe nie verstanden, warum du dich dazu entschieden hast für ihn zu arbeiten. Nach allem was war ist es falsch. Und ich dachte wir hätten das hinter uns, nachdem du gesagt hast, es hätte sich geregelt. Wenn er uns doch endlich in Ruhe lassen will, warum hast du dann weiter Kontakt zu ihm?“ Berechtigte Frage. Das sie Kontakt zu Aron hatte, das hatte sie ihrer Schwester nicht verheimlichen können. Das wäre zu viel gewesen. Nojiko kannte lediglich nicht das Ausmaß des ganzen. Was sie aber wusste war, dass es meistens mit ihm zu tun hatte, wenn es Nami schlecht ging. An was auch sonst?
 

„Du weißt doch wie er ist. Manchmal muss man ihm etwas hinwerfen, damit man seine Ruhe hat.“ Konnte man so sehen, machte es aber auch nicht besser. Letztlich war das alles eine doch eher schwache Begründung, darum wusste Nami. Immerhin handelte es sich bei Aron nicht um einen nervenden Onkel, den man bei einer Familienfeier ertragen musste. Er war weit schlimmer als das. Und sie hatten beide allen Grund ihn zu hassen für das, was er getan hatte.
 

„Ja, ich weiß wie er ist. Deswegen verstehe ich es auch nicht.“ Natürlich nicht. Wie könnte sie auch? Nami konnte ihr keinen Vorwurf machen. Sie selbst fand diesen Umstand schrecklich anstrengend und abstoßend. Und doch hatte sie sich für diesen Weg entschieden. Weil sie keinen anderen gefunden oder gesehen hatte. Und als sie eine Entscheidung hatte treffen müssen, da hatte sie es getan. War es die richtige Entscheidung gewesen? Momentan zweifelte sie daran. Dennoch war es damals alles gewesen, was sie gehabt hatte. Als Kind dachte man eben nicht an die Folgen. Man glaubte einen Weg gefunden zu haben und lief einfach los. Aus heutiger Sicht war das natürlich völlig dumm und naiv gewesen. Doch wo würden sie stehen, wenn Nami nicht diese Entscheidung getroffen hätte? Würden sie dann noch beide in diesem Mist sitzen?
 

„Wenn es das ist, damit wir sonst unsere Ruhe haben, dann mache ich es. Du weißt was er sonst alles tun könnte.“ Man wusste es. Dennoch sagte der Gesichtsausdruck ihrer Schwester, dass sie es nicht gut fand. Jede Art von Kontakt zu diesem Menschen war zu viel. Und dabei glaubte Nojiko, dass Nami lediglich Zuhause vorbeisah, um des „Familienfriedens“ willen. Eben dann wenn Aron glaubte eine heile Familie könne ihm irgendwie nützlich sein. Dass das alles dennoch keineswegs gut war, das wussten sie wohl beide. Immerhin waren sie in diesem Haus aufgewachsen und Kinder sahen viel. Mehr als man glaubte und mehr, als Aron vielleicht lieb war. Er mochte sich bemüht haben vieles fernzuhalten, doch am Ende hatte es nur bedingt funktioniert. Das dieser Mann ein Verbrecher war, das hatten sie sehr schnell gewusst.
 

„Möglich. Ich bin dennoch der Meinung, dass wir uns wenigstens Gedanken über andere Wege machen sollten. Wir sind beide längst erwachsen. Was auch immer er damals für Gründe hatte uns aufzunehmen, es spielt keine Rolle mehr.“
 

„Wir kannten damals nicht seine Gründe, wir wissen auch heute nicht, warum er das tut was er tut. Er ist unberechenbar und ich habe nicht das Geld, um mir im Notfall einen Anwalt leisten zu können. Du etwa?“ Nein, das hatten sie nicht. Ganz zu schweigen davon, dass Nami wusste, dass diese Sache so ohnehin auch nicht lief. Sie kannte das ganze Bild. Und die Schrecklichkeit dessen konnte man nicht beschreiben. Sie würde ihrer Schwester niemals davon erzählen können und sie konnte nur beten, dass sie es niemals auf einem anderen Wege erfahren würde.
 

„Denkst du wirklich er hätte ein Interesse daran seine Zeit mit uns zu verschwenden?“ Nami zuckte mit den Schultern. Was sollte sie sagen? Aus der Sicht ihrer Schwester war es sicherlich so, dass man es eigentlich so sehen konnte. Warum sollte Aron Interesse an zwei Frauen haben, die keinen Nährwert für seine kriminellen Machenschaften hatten? Die er nicht in eines seiner Brodels stecken konnte? Unter diesen Aspekten machte nichts davon einen wirklichen Sinn. Doch wenn Nami in den vergangenen Jahren eines gelernt hatte, dann das vieles keinen Sinn machte und er dennoch mit jeder Handlung ein klares Ziel verfolgte.

Warum er sie allerdings damals aufgenommen hatte, das war nichts, was sich ihnen erschloss. Nami vermutete, dass es mit ihrem talent zu tun gehabt hatte und Nojiko nur Beifang gewesen war. Die beste Erklärung, die sie sich dafür hatte geben können und eine wirkliche Antwort würde sie ohnehin niemals bekommen. Und selbst wenn, es würde keinen Unterschied mehr machen. Antworten machten die Vergangenheit nicht ungeschehen. Auch das hatte sie in den vergangenen Jahren lernen müssen.
 

„Wir sollten unsere Zeit zumindest nicht mit Gedanken an ihn verschwenden. Möchtest du noch etwas trinken?“
 

„Nein, ich will weiter, wenn wir hier fertig sind.“ Nojiko wandte sich ihr zu nachdem sie sich selbst ein Glas Orangensaft eingeschenkt hatte. Der Blick glitt forschend über sie, Nami konnte es genau spüren.
 

„Was hast du vor?“
 

„Nichts bestimmtes. Einfach raus, entspannen.“
 

„Warum kannst du es nicht wie jeder normale Mensch mit Sport machen?“ Berechtigte Frage aber so tickte Nami einfach nicht. Wenn sie Zeit hatte, dann machte sie etwas Yoga Zuhause, doch mehr? Dazu fehlte ihr einfach die Zeit. Sie setzte ihre Prioritäten eben anders auch, wenn es vielleicht nicht das gesündeste war. Immerhin könnte sie die Zeit, die sie nun draußen verbrachte auch anders nutzen. Nur war es eben doch so, dass sie beim Sex am besten entspannen und abschalten konnte.
 

„Weil mich das nicht entspannt.“
 

„Und ständig mit einer fremden Frau zu verschwinden ist es?“
 

„Kritisierst du gerade mein Sexleben?“ Fragend hob Nami die Brauen und sah ihre Schwester fast schon einen Moment kritisch an. Immerhin war es nicht so, dass sie nicht schon das ein oder andere Mal darüber diskutiert hatten.
 

„Nein. Du kannst so viel Sex haben wie du willst. Ich stelle nur deine Beweggründe in frage.“ Das konnte sie durchaus. Immerhin tat Nami es auch, um zu verdrängen. Um Dinge auszublenden mit denen sie sich eigentlich beschäftigen sollte. Doch was sollte das, wenn es ohnehin keine Lösungen dafür gab? An diesem Punkt hatte sie sich bereits so oft befunden und am Ende doch wieder entschieden, dass es eigentlich auf diese Art keinen Sinn machte. Unverbindlicher Sex. Das war das einfachste. Das beste. Sie würde sich davon nicht abbringen lassen. Doch warum sollte sie auch? Es war ihr Leben und wenn es an vielen Dingen haperte und sie Abstriche machen musste, dann wollte sie sich wenigstens ein paar Kleinigkeiten bewahren.
 

„Weißt du, was das Gute ist?“ Sie schielte ihre Schwester an und grinste schief. „Ich bin alt genug, um das alles selbst zu entscheiden.“
 

„Leider ja du kleiner Starrkopf.“ Nojiko schmunzelte ein wenig und würde sich nach einem weiteren Schluck abwenden. Es wurde wirklich Zeit mit dem aufräumen anzufangen, sonst würden sie noch den ganzen Abend hier sitzen. Kein Wunder also, dass Nami einen Lappen entgegen geworfen bekam. Eine stumme Aufforderung und der würde Nami dann auch einfach nachkommen.

Nebenbei wurde Musik eingeschaltet. Nojiko liebte die Musik der 20er Jahre und die wurde nun auch angestimmt. Und mit solcher guten Stimmung konnte man sich dann auch an die Arbeit machen. Eine Eigenheit, die Nojiko durchaus von ihrer Mutter übernommen hatte. Nami konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie manchmal von der Schule nach Hause gekommen waren, das Haus mit Musik erfüllt gewesen war, mit leckerem Essen auf dem Tisch, was auf sie wartete. Auch Nami konnte Jazz etwas abgewinnen, obgleich es ihr manchmal doch ein wenig zu viel war. Da brauchte Nami doch eher die sanften, klassischen Töne in ihrem eigenen Leben, die zu ihrem eigenen Leben in deutlichen Kontrast standen. Was sie wohl aber beide übernommen hatten war der Umstand, dass sie Musik in ihrem Leben brauchten. Und zwar keine mit viel Text oder die ihnen verbal etwas sagte. Nein. Musik musste Emotionen auslösen und dazu brauchte Nami keinen Text, nur den puren, reinen Klang der Instrumente.

Und dann ging es an die Arbeit. Tische abwischen. Stühle hoch stellen, Kissen richten. Schauen, ob die Blumen noch Wasser brauchten. Während Nojiko alles hinter dem Tresen machte, noch ein wenig in der Küche herumwuselte, war es Nami’s Aufgabe den Raum vorne fertig zu machen und sich zu kümmern. Da hatten sie beide einfach ihr System und waren gut aufeinander abgestimmt. Die Handgriffe waren eingeübt und man konnte einfach nebeneinander her arbeiten. Ja, Nami war in diesem Moment auch ganz dankbar für das Schweigen und die ruhige Arbeit, die sie etwas runter brachte.
 

Am Ende gab es nichts schlimmeres für Nami, dass sie ihre Schwester ein Stück weit anlog. Das sie nicht ganz ehrlich zu ihr sein konnte. Sie war am Ende des Tages doch ihre engste Bezugsperson. Seit sie klein gewesen waren, hatten sie schon viele schlimme Erfahrungen machen müssen. Nami wüsste nicht, wie sie all das hätte durchstehen sollen ohne ihre Schwester. Ein Band, das niemand auseinander bringen konnte. Nur sie selbst. Und dieser Gedanke war es, der Nami doch das ein oder andere Mal Angst machte. Das der Verrat an ihrer Schwester irgendwann so groß werden könnte, dass sie sie deswegen verlieren könnte. Nojiko war sicherlich ein schrecklich verständnisvoller Mensch. Sie war emphatisch, geduldig. Und doch hatte all das irgendwann ein Ende. Nami war sicherlich nicht so naiv, dass sie glaubte, dass sie auf ewig mit allem durchkommen würde. Nicht alle Verletzungen konnten wirklich heilen. Manche Wunden gingen einfach zu tief, wenn sie von der passenden Person zugefügt wurden. Je größer das Vertrauen und die Liebe zu einem anderen Menschen, umso leichter konnte ein Fehltritt zu tief gehen.

Nami holte den Besen und würde einmal den Vorraum kehren. Den groben Dreck entfernen, der sich den Tag über hinweg angesammelt hatte. War schon einiges auch, wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so wirkte. Doch es war ein gutes Zeichen. Es sprach davon, dass einige Menschen das Café ihrer Schwester besucht hatten und, dass sie erfolgreich war mit dem was sie tat. Sie hatte es geschafft sich ihren Traum zu erfüllen. Ein Gedanke, der Nami lächeln ließ und auch ein Stück weit beruhigte. Sie würde auskommen. Ganz gleich, was noch geschehen würde.
 

„Was ist eigentlich aus deinem Date geworden?“ Rief sie dann auch in Richtung Küche. War auch nicht so, als sei sie die einzige mit einem Privatleben. Eigentlich sollte Nojiko weit mehr Zeit dafür haben.
 

„Was?!“
 

„Dein Date! Wie ist es gelaufen?!“ Es dauerte einen Moment, dann wurde die Musik etwas leiser gemacht und ihre Schwester tauchte wieder auf. Sie hatte ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. So schlecht konnte es also nicht gewesen sein.
 

„Er war nett. Ein ziemlicher Vielfraß. Und irgendwie hat er auch eine große Klappe aber.. sympathisch. Dafür das er so viel gegessen hat, hat er mich dann auch eingeladen und nach Hause gebracht. Wir werden uns noch einmal sehen.“
 

„Und weißt du jetzt, was er beruflich macht?“
 

„Er reist viel, Headhunter für sein Unternehmen. Wir haben aber auch nicht viel über die Arbeit gesprochen.“
 

„Worüber habt ihr dann gesprochen?“ Sie hockte sich hin und würde den Dreck auf das Kehrblech schieben. Nojiko schien auch langsam mit ihren Sachen fertig zu werden. Man würde sich bald auf den Weg machen können und das sollte Nami nur recht sein. Dennoch war da die Neugierde und sie wollte auch wissen, was in dem Leben ihrer Schwester gerade passierte. Im allgemeinen hatten sie doch zu wenig Zeit miteinander, um sich einfach über banale Themen zu unterhalten und auszutauschen.
 

„Ach.. alles mögliche eigentlich. Er hat einen kleinen Bruder, der ihm manchmal genauso viele Sorgen bereitet wie mir meine kleine Schwester.“ Nami verdrehte die Augen. Nun, wenn sie meinte? Aber so richtig Wiedersprechen konnte Nami der ganzen Sache leider auch nicht. Sie wusste immerhin woher das ganze kam.
 

„Dann werdet ihr euch ja sicher blendend verstehen.“ Nami raffte sich wieder auf und würde den Dreck in den Mülleimer bringen. Der Besen und alles weitere wurde wieder weggebracht und verräumt. Damit war nun wenigstens das wichtigste getan. Sie wandte sich um, blickte dabei ihre Schwester an, die mit einem etwas verschmitzten lächeln da stand. Für einen Moment musterte sie ihre Schwester, dann aber schüttelte sie den Kopf.
 

„Ja, werden wir wohl.“ Nun, wenn es so war, dann würde es sie freuen. Nojiko hatte in den letzten Jahren nicht viel Glück in ihren Beziehungen gehabt. Es wäre schön, falls es diesmal anders werden würde. Aber auch das musste die Zeit zeigen. Immerhin war es erst ein Date gewesen. Und da gaben sie sich doch alle Mühe, waren noch freundlich und charmant. Erst auf der Langstrecke würde sich zeigen, was wirklich dahintersteckte. Darin galt es zu überzeugen und genau das war es, was Nami abwarten würde.
 

„Also trefft ihr euch nochmal?“
 

„Übermorgen. Wir werden wieder essen gehen.“
 

„Na, dann halt mich besser auf dem laufenden.“ Sie grinste schief und lehnte sich wieder an die Theke, während Nojiko die letzten Sachen verräumte und dann wohl auch anfing ihre eigenen Sachen zusammen zu suchen. Nami hatte ihre Jacke auf einem der Tische liegen, die sie auf dem Weg nach draußen dann auch wieder einsammeln konnte. Mehr hatte sie nicht dabei, würde aber auch nicht mehr an diesem Abend brauchen.
 

„Sicher. Du mich auch, ja?“
 

„Mache ich.“ Nami würde es zumindest versuchen auch, wenn es wirklich etwas anderes war, als das Date von dem man bei Nojiko gesprochen hatte. Denn das Nami nicht plötzlich mit einem Date oder einer Liebschaft um die Ecke kommen würde, das war ihnen wohl beiden klar. Und doch würde man zumindest das nicht weiter vertiefen. Nicht jetzt.
 

Nojiko hatte ihre Bedenken geäußert und das sollte für den Moment reichen. Nami wusste diesen Umstand zu schätzen und auch, dass sie diesen Bogen besser nicht weiter spannen sollte.
 

Man würde zusammenpacken. Es ging in Richtung Tür, wo Nami ihre Jacke aufnahm und sich diese über die Schultern warf. Sie würde als erstes aus der Tür heraustreten und dort dann auf Nojiko warten. Diese schaltete alle Lichter aus und würde die Tür hinter sich zuziehen, abschließen und dann war auch dieses Tagewerk verrichtet.
 

„Danke für deine Hilfe. Kannst du dann übermorgen einspringen?“
 

„Ich schaue noch einmal aber ich denke schon. Mach dir keine Sorgen, du kannst dich entspannt auf dein Date vorbereiten.“ Sie schmunzelte ein bisschen und setzte sich dann in Bewegung. Gemeinsam mit Nojiko würde sie noch ein wenig die Straße entlang schlendern. Sie würden beide die Metro nehmen, wenn auch in einen jeweils anderen Stadtteil fahren. Doch ein Stück konnten sie noch gemeinsam durch die vollen Straßen der Stadt schlendern.
 

Nojiko lachte und würde einen Arm um ihre Schultern legen, um sie ein wenig an sich heran zu ziehen. Nami würde die Geste erwidern und dazu den eigenen Arm um die Hüfte ihrer Schwester schieben.
 

„Danke, das ist wirklich sehr großzügig von dir.“ Ein wenig musste man sich ja necken und für diesen Moment die Leichtigkeit genießen. Für Nami spielte das viel zu selten eine Rolle in ihrem Leben. Und deswegen genoss sie die Momente, die sie mit ihrer Schwester ganz besonders. Sie brachten eben eine andere Leichtigkeit in ihr eigenes Leben und halfen ihr dabei nicht völlig in der Dunkelheit zu versinken.
 

Eine Dunkelheit, die immer wieder nach ihr griff und sich wie ein dunkler See anfühlte in dem sie orientierungslos herumtrieb. Ein See, dessen Ufer sie nicht sehen konnte und der mit einer ganz bestimmten Angst verbunden war. Der Angst darin zu versinken.

sleepless


 

2023 - New York
 

„Lass es dir schmecken.“ Kurz gingen ihre Augen hinauf, betrachteten die junge Frau, die ihr das Glas mit einem breiten Grinsen an den Tisch gebracht hatte. Robin hatte sich einen Tisch gesucht und es sich dort gemütlich gemacht. Wie bereits bei ihrem letzten Besuch war sie spät dran und hatte hatte nun erneut die Gelegenheit die Frauen zu beobachten. Durchaus ein paar bekannte Gesichert, die sie bereits beim letzten Mal gesehen hatte. Jedoch keine, die sie so weit interessierten, dass Robin sich genauer damit befassen wollte. Sie entschied sich lieber dazu ihren Drink zu genießen und den Tag damit ausklingen zu lassen. Noch immer stimmte sie die Situation sehr nachdenklich und die Arbeit an dem Fall machte es nicht besser. Dennoch muss sie sich davon abgrenzen und durfte sich nun nicht von Franky einlullen lassen. Er konnte das gut. Auf andere Menschen einreden und am Ende gab man nach. Durchaus würde sich Robin als willensstarken und klaren Menschen bezeichnen. Und doch hatte Franky diese Art an sich, die sie immer wieder nachgeben ließ. Und am Ende? Steckte sie doch wieder in Situationen in denen sie eigentlich nicht sein wollte.
 

Robin erinnerte sich an einen Einsatz in Europa bei dem sie für Tage völlig durchnässt gewesen war, weil Franky es für eine gute Idee gehalten hatte einem alten Freund zu helfen. Dieser wiederum hatte sich am Ende als das Problem in dem Konstrukt erwiesen und sie beide hatten irgendwo im Nirgendwo gesessen. Ohne die Möglichkeit nach Hilfe zu rufen. Kein Essen, kein Unterschlupf. Wie sehr hatte sie ihn in diesen Momenten verflucht? Und dennoch hatte sich an ihrer Freundschaft nie etwas verändert.
 

Dennoch, dieser Auftrag erinnerte sie sehr an damals. Obgleich Robin noch nicht einschätzen konnte in was für eine Richtung es diesmal ging oder, woher genau ihr schlechtes Gefühl rührte. Aber wenn sich ihr Bauchgefühl meldete, dann hatte es meistens auch einen Grund. Nur, dass ihr das in diesem Moment auch nicht wirklich weiter half. Die Abmachung war, dass sie auf Grund der neuen Entwicklungen, noch vier Tage bleiben und sich mit all dem befassen würden. Was konnte schon in vier Tagen geschehen? Das war die Frage, die Robin am meisten beschäftigte und doch fand sie keine Antworten darauf. Und so oblag es am Ende ihr zu entscheiden wie viel Raum sie dieser Frage geben wollte und, wo sie die Grenze ziehen würde.
 

Vier Tage. Sie würde diese Tage überstehen und dann wieder abreisen. Solange sie an diesem Plan festhalten würde, würde es schon funktionieren. Mit diesen Gedanken hob sie dann auch wieder ihr Glas an die Lippen und würde davon trinken. Ein Absacken. Wenn sie heute alleine blieb, dann würde es auch nicht mehr werden, als das. Sie könnte darüber nachdenken doch noch eine Frau anzusprechen, doch darauf Energie verwenden? Für belanglose Gespräche oder eine enttäuschende Gesellschaft? Nein. Danach stand ihr durchaus nicht der Sinn an diesem verkorksten Tag. Etwas das sie wohl auch ausstrahlen musste, denn es waren nur verstohlene Blicke, die ihr zugeworfen wurden. Ob eine dieser Frauen unter anderen Umständen den Schneid hätte sich zu ihr zu setzen? Sie bezweifelte es. Es langweilte sie. Und dabei würde ihr etwas Ablenkung dieser Tage durchaus gut tun.

Es war gewiss nicht das schrecklichste, was Robin je gesehen hatte. Zumal sie durch ihre Arbeit auch oft nicht direkt an den Fällen dran war. Sie konnte durchaus viel vertragen. Und doch war etwas an diesem Fall, das an ihre Substanz ging. Etwas warnte Robin einfach. Diese Warnung schien immer lauter zu werden. Und wenn Robin eines wusste dann, dass sie eigentlich auf ihr Bauchgefühl hören sollte. Solch eine Warnung kam nicht ohne Grund.
 

Ein wenig nachdenklich strich sie über den Rand ihres Glases und atmete durch, als sie mit einem Mal eine Bewegung über sich wahrnahm. Die blauen Augen zuckten hinauf, betrachteten ihr Gegenüber. Der Rotschopf zog schweigend einen Stuhl zurück und ließ sich ihr gegenüber nieder. Ein Bein wurde über das andere geschlagen, als sie sich zurücklehnte und dann einen Schluck von ihrem Drink trank. Robin sah sie abwartend und schweigend an, fast ein bisschen überrascht.
 

„Entschuldige.. ich hoffe ich unterbreche gerade nicht irgendwas?“
 

Unweigerlich musste Robin schmunzeln, als sie diese Frage vernahm. Wenn man bedachte mit welcher Selbstverständlichkeit sich die andere gesetzt hatte, dann glaubte sie nicht, dass sie die Antwort darauf wirklich interessierte.
 

„Und wenn es so wäre?“
 

„Dann sag ihr sie soll wieder gehen.“
 

Nun musste Robin sogar leise lachen. Es war wirklich unglaublich mit welcher Selbstverständlichkeit sie in das alles hinein ging. Irgendwie erfrischend. Und vielleicht genau das, was sie an diesem Tag brauchen würde. Immerhin wüsste sie hier wenigstens worauf sie sich einließ und, dass es sie nicht enttäuschen würde.
 

„Ich dachte, das hier sei nicht dein Ding?“
 

Nora zuckte mit den Schultern und trank noch einmal einen Schluck, während sie kurz den Blick schweifen ließ. Sie wirkte ebenfalls nachdenklich, anders als noch bei ihrem letzten Treffen. Wobei das vielleicht auch falsch sein könnte. Immerhin kannte sie die andere nicht und ihre Eindrücke basierten auf einem einzigen Abend. Was wusste sie also schon von ihrem eigentlichen Charakter und den Dingen, die sie bewegten?
 

„Ist es auch nicht. Aber die Auswahl ist ebenso bescheiden wie das letzte Mal. Du bist die beste Alternative.“
 

„Ich bin also deine Notlösung.“
 

„Hast du ein Problem damit?“ Nora grinste sie leicht an auch, wenn Robin den Eindruck hatte, dass es ihre Augen nicht wirklich erreichte. Es war als würde ein Schatten über ihr liegen und unweigerlich fragte sie sich, was in den letzten Stunden geschehen war. Gleichzeitig war es allerdings nichts um das sie sich Gedanken machen sollte. Würde sie das tun würde es bedeuten, dass es sie kümmerte und da musste sie doch eine Grenze ziehen. In ein paar Tagen war sie wieder weg und dann würde man einander nie wieder sehen. So zumindest der aktuelle Plan des Ganzen. Etwas das auch Nora in die Karten spielen sollte und deswegen war es doch besser, wenn sich beide Seiten emotional abgrenzten. Obgleich das etwas war, mit dem Robin normalerweise kein Problem hatte.
 

Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf und hob wieder ihr Glas, um daran zu nippen, während der Blick doch weiter auf dem Rotschopf ruhte.
 

„Durchaus nicht. Es soll mir recht sein.“ Man wusste zumindest worauf man sich einließ und ein wenig Entspannung? Ja, das konnte Robin durchaus gebrauchen. Sie würde sich nicht dagegen wehren und es war wohl davon auszugehen, dass Nora nicht nur wegen einem netten Plausch hier aufgetaucht war. Sie suchte Ablenkung und darin schien man sich wie üblich einig zu sein.
 

„Gut. Weißt du schon, wie lange du in der Stadt sein wirst?“
 

„Ist das Interesse oder willst du sichergehen, dass du mich bald wieder los bist?“ Beides konnte sie sich in ihrem Fall vorstellen. Das Misstrauen, welches die junge Frau ausstrahlte, ließ Robin allerdings nur wohlwollend schmunzeln. Da würde sie sich auch nicht dran aufhängen. Robin sah das locker und irgendwie amüsierte es sie auch ein wenig, wie penibel Nora darauf achtete, dass ihr bloß nichts und niemand zu nah kam. Konnte man in dem Alter wirklich schon so viele, schlechte Erfahrungen gesammelt haben? Ein wenig würde es sie schon interessieren. Es kitzelte ihre Neugierde und doch würde sie diese Frage nicht stellen.
 

„Ich weiß wie ich Frauen loswerde, wenn es sein muss, keine Sorge. Und wenn mich etwas interessieren würde, dann würde ich vermutlich fragen, was du beruflich machst und warum du nur so kurz hier bist. Aber da mich das nicht interessiert..“
 

„Beraterin.“
 

Nora stutzte merklich und sah sie überrascht an. Robin schmunzelte weiter und trank einen Schluck. Ja, sie hatte wohl nicht mit einer Antwort gerechnet und Robin war durchaus nicht scharf darauf nun ausführlich über ihren Job zu sprechen. In den meisten Fällen durfte sie das ohnehin nicht. Aber sie konnte es umreißen und diese Umschreibung ließ es ohnehin ziemlich unspektakulär wirken.
 

„Beraterin?“
 

Sie nickte nur, schwieg aber. Der fragende Ausdruck der anderen sagte ihr allerdings, dass sie wohl darauf wartete, dass Robin das ganze noch ein wenig mehr ausführen würde. Hatte sie allerdings nicht wirklich vor. Wenn es nach ihr ginge, dann könnte sie das durchaus aussitzen. Nora allerdings hob die Hand und vollzog mit dieser eine auffordernde Geste, um sie zu weiteren Ausführungen zu animieren.
 

„Beraterin für was? Teppiche?“
 

„Ich dachte es interessiert dich nicht.“
 

„Tut es auch nicht.“ Natürlich nicht. Aber da war Nora wohl wie die meisten Menschen. Sie erinnerte Robin irgendwie an eine Katze, die sich eher gleichgültig gab aber, wenn man ihr das passende Spielzeug zeigte, dann konnte sie auch nicht davon ablassen.
 

„Aber wenn wir jetzt schon darüber sprechen..“
 

„Ich berate verschiedene Institutionen mit meiner Expertise. Und da nicht all diese Institutionen in New York sind muss ich auch viel reisen. Meine Aufträge sind auf der ganzen Welt verteilt.“
 

„Und was für eine Expertise ist das?“ Bohrte Nora weiter. Robin warf ihr allerdings nur einen vielsagenden Blick zu. Sie würde das nicht beantworten. Wie sollte das auch schon ankommen? Ihr Job hatte noch nie dazu beigetragen, dass das Interesse einer Frau sich gesteigert hatte. Entweder der Aspekt des Reisens war abschreckend gewesen oder der Umstand, dass Robin sich auch mit Verbrechen auseinandersetzte. Das allerdings nicht nur. Sie versuchte durchaus sich zurückzuziehen, hatte eine Lehrstelle und ihre eigene Forschungsarbeit. Für sie war es ein durchaus vielfältiger Bereich in dem sie sich bewegte und der ihr viel Abwechslung bot. Dennoch sprach sie ungerne darüber. Besonders, wenn sie eigentlich mit einer Frau sprach, die sie nicht vorhatte wiederzusehen. In einer Beziehung wäre das ein anderes Thema. Doch das hier.. das war nur eine flüchtige Begegnung.
 

„Ich könnte dich ebenso fragen, was du beruflich machst“, wechselte Robin das Thema und konnte beobachten, wie Nora das Gesicht verzog und die Nase wieder in ihr Glas steckte. So. Da wusste sie doch genau wie es war, denn Rückfragen schienen nicht erwünscht zu sein.
 

„Kellnerin. Im Café meiner Schwester.“
 

Robin wusste nicht, was sie mehr überraschte. Das sie überhaupt eine Antwort bekam oder das, was Nora ihr da sagte. Kellnerin? Sicherlich war sie gut in ihrem Job. Durchaus vorstellbar, dass sie gut mit Menschen umgehen konnte, wenn sie es wollte. Was sie allerdings daran irritierte war, dass sie nicht unbedingt einen gewöhnlichen, ruhigen Job für diese Frau vorstellen konnte.

„Ich hätte eher auf Barkeeperin gesetzt“, gab sie also ihre Gedanken dazu preis. Wenn schon in der Gastronomie, dann doch eher so etwas, oder nicht? Wobei selbst das nicht so recht in das Bild passen wollte, was Robin versuchte zu formen. Und dabei hatte sie doch eigentlich keine wirklichen Anhaltspunkte, die sie in diesen Annahmen bestätigen würden. Viel mehr sprach sie hier von einem Bauchgefühl.
 

„Hab ich auch mal versucht, aber ich feiere lieber selbst.“
 

„Das wiederum kann ich mir vorstellen.“ Durchaus. Das passte wohl gut zu der anderen, obgleich sie nun schon zum zweiten Mal lieber in einer Bar anstatt in einem Club gelandet war. Blieb also die Frage, was wirklich an dieser Sache dran war. Robin’s Instinkt sagte ihr, dass sie hier nicht einmal die halbe Wahrheit hörte, wenn es überhaupt etwas mit der Wahrheit zu tun hatte. Aber darin waren sie wohl beide recht gut.
 

Angesichts der Tatsache, das sie wohl beide nicht offen sprechen wollten, ausweichend antworteten und wohl auch versuchten die andere auf Abstand zu halten, konnte man den Sinn dieser Unterhaltung durchaus hinterfragen. Man könnte auch anders an das alles herangehen. Immerhin schien der Konsens zu sein, dass sie beide nach Ablenkung und Entspannung suchten. Wenn dem so war, dann könnten sie einfach ihre Drink’s trinken und dann verschwinden. Trotz dessen saßen sie nun hier und versuchten sich daran und bekundeten eine gewisse Neugierde und Interesse.
 

„Ich habe nur den Eindruck, dass du ehrgeizig bist und ein Mensch bist, der sich eine andere Art von Karriere aufbauen würde.“ Es war gewiss nichts falsch daran sein Geld als Kellnerin und Servicekraft zu verdienen. Durchaus nicht. Nur wirkte Nora eben nicht so als würde sie ganz in diese Schublade hineinpassen.
 

Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, bevor Nora einfach nur wissend lächelte. Robin verstand es als Zustimmung des ganzen und so waren sie sich in dieser Hinsicht wohl einig. Sie gaben einander kleine Brocken aus dem eigenen Leben an denen vielleicht ein wahrer Kern dran war und ansonsten hielt man sich doch wage. Das war auch in Ordnung, solange beiden beteiligten bewusst war nach welchen Regeln man dieses Spiel spielte.
 

„Und der Stress auf der Arbeit hat nun dazu geführt, dass du heute wieder hier bist und nach etwas Ablenkung suchst?“
 

„Könnte man so sagen. Manchmal hat man eben auch beschissene Tage, oder?“ Nora grinste schief, stellte das Glas zur Seite und lehnte sich dabei zurück. Sie hatte recht. Manchmal hatte man einfach diese Tage. Robin kannte es, denn auch bei ihr war es aktuell so, dass diese Tage sie emotional anstrengten. Normalerweise war es nicht ihr Umgang damit sich lockeren Sex zu suchen. Das tat Robin dann und wann zwar auch, doch nicht so wie hier. Aber hier war sie eben auch nicht mehr in ihrem gewohnten Umfeld, nicht an einem Ort an dem sie sich wirklich wohl fühlte.
 

„Es gibt solche Tage, ja.“
 

„Und wie beschissen war dein Tag?“
 

Robin gab einen belustigten Laut von sich. Ja, wie beschissen war es gewesen? Das konnte sie nicht einmal genau beschreiben. Denn das diese Tage Robin aufrieben, das wusste sie. Sie konnte nur den genauen Grund nicht ausmachen. Und das war es, was sie noch mehr aufrieb und ihr noch mehr zu denken gab.
 

„Wir sitzen beide wohl nicht ohne Grund hier. Darauf können wir uns einigen.“ Robin lächelte leicht, was Nora erwiderte. Zumindest musste man sich an dieser Stelle nicht weiter erklären und hatte die wichtigsten Dinge nun klargestellt. Andere würden nun vielleicht bohren, würden helfen wollen. Doch das war es nicht was sie beide gerade brauchten. Sie brauchten etwas ganz anderes und zumindest das schienen sie heute wieder ineinander zu finden.
 

„Also.. hast du Lust noch zu tanzen, bevor wir verschwinden?“ Nora deutete auf den hinteren Teil der Bar. Man konnte nicht von einer großen Tanzfläche sprechen und doch war die Musik doch laut genug, damit man dort etwas tanzen konnte. Taten auch einige der Frauen, die auf diese Weise noch etwas Körperkontakt suchten. Robin betrachtete das alles, bevor sie dann doch ihr Glas leerte und aufstand. Stummes Einverständnis und sie wusste auch so, dass Nora ihr folgen würde.
 

Kurz vor der Tanzfläche spürte sie, wie eine Hand nach ihrem Arm griff. Allerdings nicht, um sie zurückzuhalten. Die Hand strich ihren Arm hinunter, umfasste Robin’s und dann zog Nora an ihr vorbei. Sie lief voran auf die Tanzfläche und würde Robin mit sich ziehen nur, um sich dort dann wieder zu ihr zu wenden. Nora führte Robin’s Hand zu ihrer Schulter, hin zu ihrem Nacken. Sie selbst trat an sie heran und legte die Arme um sie, begann sich zur Musik zu bewegen.
 

Robin schob die Hand weiter in ihren Nacken und zog die Kleinere dann etwas mehr an sich heran, blickte ihr feste in die Augen. Man kannte den anderen Körper bereits, hatte ein Gefühl füreinander bekommen und so war dies hier nicht fremd. Es fühlte sich nicht falsch an gleich diese Nähe zu suchen und einander nah zu kommen. Eher wie eine natürliche und logische Konsequenz des ganzen. Da dauerte es auch nicht lange, bis sich der Körper von Nora an ihren eigenen schmiegte und sich zum Takt der Musik bewegte. Sie verstand etwas davon. Hatte Körpergefühl aber auch ein gutes Ohr, wusste sich zu bewegen. Das war durchaus zu spüren und das Selbstbewusstsein mit dem Nora durch die Welt ging war auch hier wieder zu spüren. Als könnte sie nichts erschüttern was um sie herum geschah. Ja, sie war eine Frau die ganz genau wusste wie sie wirkte und welche Ausstrahlung sie hatte. Etwas das nicht viele hatten und auch nicht in diesem Alter. Zwar wusste Robin nicht wie alt genau sie war aber sicherlich um einiges jünger als Robin selbst. Am Ende war Alter ohnehin nur eine Zahl und sagte nicht viel über die innere Reife eines Menschen aus. Und das brachte Robin auch wieder zu der Frage, was wohl dahinter steckte und was sie wohl zu der Frau gemacht hatte, die sie heute war.
 

Warum sie glaubte, dass mehr dahinter steckte? Nora hatte diesen Ausdruck in den Augen, auch jetzt als sie den Blick mit einem Augenaufschlag hob und zu ihr hinaus sah. Selbst jetzt lag ein Schatten über diesen Bernsteinen, der nicht von den Lichtverhältnissen herrührte.
 

Robin beugte sich leicht zu ihr hinunter, als sie den leichten Zug in ihrem Nacken spürte. Automatisch schob sie die Hand weiter um ihre Hüfte, zog sie enger an sich heran. Die Musik rückte weiter in den Hintergrund, während sie sich in den Nuancen ihrer Augen verlor. Sie hatte eine Tiefe in ihrem Blick und etwas gebrochenes. Leicht zog sie die Brauen zusammen, etwas fragend. Doch dann war der Moment vorbei und Nora überbrückte den Abstand zwischen ihnen.
 

Es war nur ein Hauch, ein sanftes streichen, als sie ihre Lippen auf ihre legte, bevor sie Robin in eine Umarmung zog und weiter mit ihr tanzte. Robin würde sie einfach halten und den Moment in sich aufnehmen.
 

„Lass uns gehen“, waren es schließlich die leisen Worte, die an ihr Ohr drangen. Gehaucht, nachdem sie noch zwei weitere Lieder eng miteinander getanzt hatten. Wobei Robin eher das Gefühl gehabt hatte, dass Nora einfach nur nach Nähe gesucht hatte und es doch weniger um den Tanz als solches gegangen war. Ja, es war eine gewisse Spannung zwischen ihnen und doch hatte dieses Treffen zwischen ihnen noch eine andere Note.
 

„Nach dir.“
 

Robin würde sich langsam lösen und zu ihr hinunter blicken. Nora nickte leicht, löste sich ganz und schritt dann voran. Was aber blieb war der Umstand, dass sie Robin’s Hand umfasst hielt und sie mit sich ziehen würde. Wobei sie auch hier beide dicht beieinander blieben und nur noch einmal am Tisch halten würden. Im vorbeigehen griff Robin nach ihrer Jacke, zog diese mit sich und dann ging es weiter hinaus. Sie beobachtete, wie Nora noch einen Blick hinter die Bar warf, ansonsten aber auch nur in Richtung Ausgang strebte, damit sie wieder in die kühle Nacht hinaustreten konnten.
 

„Wo ist dein Wagen?“
 

„Die Straße runter. Wirst du damit zurechtkommen, wenn wir wieder zu mir fahren?“ Fast schon etwas neckend stellte sie diese Frage. Immerhin war es eine zweite Übernachtung, sofern Nora diesmal denn wieder über Nacht bleiben würde. Das zweite Mal in ihrem Haus. Klang eher nach etwas zu viel Wiederholung angesichts dessen, dass sie doch eigentlich wenig Beständigkeit haben wollte. Und doch wussten sie beide eigentlich, dass man sich keine Sorgen machen musste.
 

„Wüsstest du eine Alternative?“
 

„Nein. Ein Hotel empfinde ich als zu teuer, wenn man bedenkt, dass ich davon ausgehen muss, dass du so schnell wie möglich wieder verschwindest.“
 

Gemeinsam schlenderten sie die Straße entlang. Noch immer hielt Nora ihre Hand und Robin machte keine Anstalten etwas an diesem Umstand zu verändern. Sie hielt sie einfach weiter fest, während sie sich zu ihrem Wagen begaben. Diesmal mussten sie etwas weiter laufen, da sie nicht gleich in der Nähe einen Parkplatz bekommen hatte. War aber auch nicht einfach in einer Stadt wie dieser und dennoch würde Robin niemals auf die Idee kommen mit der Metro zu fahren. Sie mochte es nicht von so vielen Menschen umgeben zu sein und nicht ihre Ruhe haben zu können. Abgesehen davon war sie so unabhängiger und musste sich nicht einem fremden Rhythmus anpassen.
 

„Warum klingt es bei dir wie ein Vorwurf?“
 

„Es sollte keiner sein. Für mich ist es okay, wenn es das für dich ist.“ Man hatte sich doch einig sein wollen. Nora nickte nur und Robin brachte sie zu ihrem Wagen. Erst hier würde sie ihre Hand loslassen, damit sie an der Motorhaube vorbei, auf die andere Seite gehen konnte. Der Wagen wurde aufgeschlossen und sie konnten einsteigen, um wieder zu Robin nach Hause zu fahren.
 


 

***
 


 

„Hier.“
 

Sie stellte das Glas Wasser auf den Nachtisch, nachdem sie sich wieder zu ihr ins Bett geschoben und über sie gebeugt hatte. Die Antwort war ein leises Brummen. Viel konnte Robin nicht erkennen, es war dunkel. Das wenige Licht, welches von draußen hineinfiel, konnte den Raum nur spärlich erhellen. Doch das war in Ordnung, sie fand sich auch so ohne Probleme zurecht und hatte das Gefühl, dass Nora gerade auch nicht mehr brauchte als das.
 

Robin ließ sich auf die Seite sinken, stützte den Kopf auf einer Hand ab, während sie mit der anderen sachte über den Rücken der anderen strich. Langsam ihre Wirbelsäule entlang, von Steiß hinauf bis in den Nacken, um durch den verschwitzten Haaransatz zu streichen. Eigentlich hatte Robin erwartet, dass sie entweder einschlafen oder gleich aufstehen würde, um das Haus mit wehenden Fahnen zu verlassen. Beides war nicht der Fall gewesen. Stattdessen hatte die andere nur nach einen Glas Wasser gefragt, welches Robin ihr geholt hatte, das nun aber nicht von ihr angerührt wurde.
 

Robin schwieg, kraulte sie einfach weiter. Das Nora nachdachte, das war deutlich zu spüren und offensichtlich. Auch der Sex war anders gewesen als das letzte Mal. Es war nicht an ihr das zu bewerten und Robin würde auch nicht sagen, dass etwas schlechter oder besser gewesen war. Durchaus nicht. Und doch war ein deutlicher Unterschied in dem Bedürfnis zu spüren gewesen, welches Nora ihr gezeigt hatte. Etwas das sie eher in ihren Gedanken bestätigte, dass wohl etwas vorgefallen sein musste was tiefgreifender war als einfacher Stress bei der Arbeit oder etwas schlechte Laune. Gleichzeitig wusste sie aber auch, dass es sich hierbei um reine Spekulation handelte. Was wusste sie schon von der anderen? So gut wie nichts. Sie wusste nichts über ihr Wesen, ihren Charakter oder ihr Leben. Das einzige, was sie hatte war dieses Bauchgefühl und ihre Menschenkenntnis. Aber auch hier könnte sich Robin fragen, wieso es sie so beschäftigte? Was war es, dass sie dazu veranlasste sich Gedanken zu machen? Das müsste sie sicherlich nicht. Lag es daran, dass der Unterschied zu ihrem letzten Treffen so deutlich zu spüren war?

Es kam langsam Bewegung in den andere Körper und riss sie damit aus ihren Gedanken. Robin beobachtete, wie sie sich aufstützte und nach dem Wasserglas griff. Nachdem sie etwas getrunken hatte würde sie sich wieder hinlegen und langsam herumdrehen auf den Rücken. Der Blick ging zu Robin, die ihre Hand auf Nora’s Bauch geschoben hatte. Leichte Berührungen, die Suche nach Nähe. Robin ließ sie gewähren, würde sich nur wieder zu ihr hinunter beugen, um einen sachten Kuss auf ihre Lippen zu hauchen.
 

Das man einander gerne küsste, das hatte sich heute ebenfalls gezeigt. Es waren mehr Küsse als bei ihrem letzten Treffen, lang und mit einem Gefühl der Vertrautheit. Robin ließ sie gewähren, ließ sie bleiben. Denn auch für Robin war es eine angenehme Ablenkung. Denn nein, hier alleine zu sein mit ihren Gedanken, in diesem Haus, würde ihr in diesem Moment auch nicht gut tun. Sie benutzten einander, um sich abzulenken und sich besser zu fühlen. Wissend, dass sie es taten und es wohl für sie beide in Ordnung war. Und mit diesem Gefühl konnte man das ganze auch genießen und sich in den Moment hineinfallen lassen.
 

„Vielleicht sollten wir uns das nächste Mal doch ein Hotel nehmen“, murmelte Nora irgendwann leise. Wobei Robin nicht wusste, welche der Informationen sie als erstes verarbeiten sollte. Das sie von einem weiteren Treffen ausging oder, dass sie auf einmal doch in ein Hotel wollte.
 

„Bist du mit dem Bett nicht zufrieden?“ Fragte sie leise. Denn was sollte es sonst für einen Grund haben? Das es doch zu privat war und man vielleicht eine Bindung aufbauen könnte? Robin entschied sich dazu, das alles nicht weiter zu hinterfragen. Dazu war es inzwischen wirklich zu spät und am Ende würde es ohnehin nichts bringen. Zu versuchen das zu verstehen würde bedeuten, dass sie eine Chance darauf hätte hinter diese Fassade zu blicken und das würde wohl kaum passieren. Gleichzeitig wollte Robin aber auch nicht so sehr mit all diesen Dingen involviert sein. Alles, was sie von dem hier wollte war Entspannung und keine neuerlichen Probleme mit denen sie sich befassen müsste.
 

„Nein. Das Bett ist super.. aber du wirkst angespannt. Und ich dachte wir wollen beide entspannen“, wurden dann doch die Gedanken ausgeführt. Etwas das Robin nun doch überraschte. Sie hatte diese Anspannung selbst nicht so wahrgenommen. Natürlich war sie da, immerhin fühlte sie sich an diesem Ort auch nicht völlig wohl. Doch an sich glaubte sie doch, dass sie in der Lage war ihre Gefühle und Emotionen gut vor anderen verbergen zu können. Entgegen dieser doch guten Eigenschaft, die dafür sorgte, dass manch einer sie als kalt beschreiben würde, schien Nora doch weit mehr wahrgenommen zu haben, als man ihr vielleicht zutrauen mochte.
 

„Und ich dachte du wolltest dich nicht um die belange anderer kümmern?“ Fragte sie leise zurück. Ja, was interessierte es sie also, wie es Robin ging? Oder lag es nur daran, dass sie selbst weniger entspannen konnte, wenn Robin ihr nicht locker genug war?
 

„Es war nur ein Vorschlag Robin. Wenn du dich damit wohl fühlst, dass wir hier sind ist es okay. Manchmal kann ein Ortswechsel aber auch gut tun.“ Da hatte sie durchaus recht. Es war nicht einfach, wenn man sich an einem Ort nicht wohl fühlte und doch verband Robin einfach zu viel mit diesem Haus als das sie es einfach hinter sich lassen konnte. Es war nicht alles schwarz oder weiß im Leben und man musste durchaus differenzieren, wenn man solche Sachen betrachtete.
 

„Lass uns beim Frühstück darüber reden, okay?“
 

„Okay.“
 

Besser man würde sich das aufsparen und heute Nacht? Da wollte Robin einfach nicht mehr reden und sich über ernste Themen Gedanken machen. Entspannen. Das hatten sie beide gefordert und genau das sollten sie auch bekommen. Da war es in diesem Moment auch nicht wichtig, ob sie am nächsten Morgen wirklich ein gemeinsames Frühstück haben würden oder, ob Nora dieses Mal erfolgreicher mit ihrem Versuch wäre sich davon zu schleichen.
 

Doch für diesen Moment? Da würde man nebeneinander liegen. Robin machte den großen Löffel, hatte die Arme um die Jüngere geschlungen, die sich mit dem Rücken an sie schmiegte und inzwischen ruhig und entspannt atmete. Sicherlich war die Nacht schon weit vorangeschritten und es wäre besser, wenn sie nun einfach schlafen und diesen Tag beenden würden. Und da sie beide nicht mehr versuchten das Gespräch am laufen zu halten würde man nun auch weiter in einen leichten Schlaf hineingleiten.

Eine angenehme Stille und Wärme umfing sie und Robin stellte sich vor, dass sie in dieser Nacht vielleicht wirklich gut schlafen und sich erholen könnte. Doch diese Vorstellung würde nicht lange anhalten. Robin war wohl gerade an dem Punkt einzuschlafen, als das klingeln ihres Handy’s sie wieder zurück in die Realität holte.
 

Angestrengt atmete sie durch und löste sich von Nora, die brummend das Gesicht in ihr Kissen drückte.
 

„Was ist das?!“ Fragte sie zerknirscht und wirkte wohl wenig begeistert. Angesichts der Tatsache, dass sie wohl selbst dabei gewesen war einzuschlafen wunderte es Robin nicht wirklich. Sie drehte sich um und blickte durch den Raum. Wo war ihr Handy? Robin trug es für solche Fälle immer bei sich und ließ es deswegen nie in irgendeiner Tasche. Also hatte sie es in ihrer Hose gelassen die.. nun irgendwo in ihrem Schlafzimmer lag. Im Eifer des Gefechts hatte sie das lästige Stück Stoff einfach abgestreift und liegen gelassen.
 

Hinter ihr brummte Nora weiter, während Robin einen Moment brauchte, bis sie den leuchtenden Bildschirm endlich entdeckte. Etwas ungelenk raffte sie sich auf, schob sich aus dem Bett und würde die wenigen Meter bis zu ihrer Hose überbrücken. Das Klingeln hörte auf, als Robin das Gerät aus ihrer Hose zog und auf den Bildschirm blickte. Franky. Es war nach drei Uhr morgens. Keine Zeit zu der er sie eigentlich anrufen sollte.
 

Noch während sie darüber nachdachte klingelte ihr Handy erneut und Franky versuchte es wieder. Wenigstens konnte sie diesmal direkt rangehen.
 

„Wo bist du?“ Fragte er direkt ohne Begrüßung und ohne Umschweife. Robin hatte noch nichts gesagt, atmete nur tief durch.
 

„Zuhause.“
 

„Gut. Ich komme dich holen, mach dich fertig. Es gibt einen neuen Tatort.“
 

„Wundervoll..“ Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Angestrengt rieb sich Robin über das Gesicht aber sie wusste, dass sie jetzt funktionieren musste. Sich vor Ort ein Bild zu machen war durchaus wichtig und könnte sie weiter bringen. Bisher hatte man ihnen immerhin nicht viel gegeben mit dem sie arbeiten konnten. Etwas, das sich nun verändern könnte.
 

Sie würde einfach auflegen und sich dann aufraffen. Die Hose wieder anziehen, nachdem sie ihre Slip gefunden hatte. Wo war ihr BH?
 

„Was ist los?“
 

Nora hatte sich aufgesetzt und blickte in ihre Richtung. Zumindest wirkte es so. Dabei fand Robin dann ihren BH und würde sich diesen wieder anziehen, als sie langsam zurück zum Bett kam und die andere betrachtete.
 

„Ich muss zur Arbeit. Man wird mich gleich abholen. Du kannst hierbleiben und dich ausschlafen, wenn du möchtest. Vielleicht bin ich zum Frühstück wieder hier.“ Sie grinste schief. Was war das nur für ein Gespräch? Sagte sie gerade ihrer vermeintlichen Bettgeschichte, dass sie alleine hier in ihrem Haus bleiben konnte? Auf der anderen Seite musste man aber auch sagen, dass Nora hier kaum etwas mitnehmen oder finden konnte. Die wichtigsten Sachen waren sicher verstaut oder Robin hatte sie ohnehin bei sich. Was sollte also schon passieren?
 

„Was für Teppiche verkaufst du bitte?“ wandte Nora nur ein und ließ sich seufzend wieder in ihr Kissen fallen. Berechtigte Frage. Das konnte Robin nicht leugnen. Sie würde auch Fragen haben, wenn sie an ihrer Stelle wäre. Aber vielleicht würde sie dennoch um das alles herum kommen. Lieber griff sie nach ihrem Shirt und würde es sich überstreifen. Noch einmal schielte sie zu der anderen, doch diese hatte ihr bereits den Rücken zugedreht und schien nun endlich versuchen zu wollen zu schlafen. Es sollte ihr vergönnt sein.
 

Robin konnte nichts weiter tun, als einen Pulli zu nehmen und sich diesen überzustreifen, bevor sie aus dem Schlafzimmer nach unten verschwand. Dort würde sie Schuhe und Jacke finden, um sich fertig anzuziehen. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr war ohnehin klar, dass Franky auch bald da wäre, um sie abzuholen. Sicherlich nicht der Ausgang, den Robin sich für diese Nacht vorgestellt hatte.

investigations


 

2023 - New York - Tag 3
 


 

„Hat man dir gesagt, was genau sie gefunden haben?“
 

Robin nippte an ihrem Kaffee. Zu Franky’s Glück hatte er ihr einen großen Becher mitgebracht der mit dem stärksten Kaffee gefüllt war, den er hatte finden können. Sie konnte immer Kaffee trinken und wenn sie funktionieren sollte, dann brauchte sie das auch einfach. Sicherlich war Robin es gewöhnt wenig zu schlafen und sie arbeitete auch gerne in den Abend und Nachtstunden. Das Problem bestand heute wohl eher darin, dass sie kurz davor gewesen war einzuschlafen und dieser kritische Moment nun doch dafür sorgte, dass Robin ein wenig in den Seilen hing. Ein Umstand, den sie sich natürlich niemals anmerken lassen würde.
 

Dennoch kannte Franky sie lange genug, um zu wissen was sie brauchte. Und wenn sie Smoker um diese Uhrzeit ertragen sollte ja, dann brauchte sie so oder so eine ordentliche Portion Kaffee. Es war gut. Ebenso wie der Umstand, dass sie etwas länger zu diesem Tatort brauchten. So hatten sie ausreichend Zeit, um sich abzusprechen und auf den neusten Stand zu bringen. Gleichzeitig schielte sie zu ihrem Freund herüber und fragte sich unweigerlich, ob er überhaupt geschlafen hatte oder viel mehr; wann hatte er die letzte, richtige Pause gemacht?
 

Eine Frage, die sie nicht aussprach. Immerhin war er erwachsen und Robin glaubte, dass sie die Antwort ohnehin schon kannte. Leider. Diese Stadt war nicht gut, für sie beide nicht.
 

„Nein. Zwei Tote und, dass es wohl in direkter Verbindung zu dem Container steht, den wir haben. Vermutlich wussten sie selbst noch nicht wirklich mehr.“
 

„Denkst du wirklich, dass es hilfreich für uns sein wird, wenn wir auch dort sind?“
 

„Ja. Ein klarer Blick auf das alles und wir haben die Chance, dass wir hoffentlich alles sehen. Immerhin wissen wir, dass im Revier wohl etwas schief geht und wir können uns nicht darauf verlassen, dass dort alle Sachen bleiben wo sie sein sollten.“
 

„Wir sind keine Ermittler Franky.“
 

„Sind wir das nicht?“ Er schielte zu ihr herüber, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Fahrbahn. Robin nippte lieber an ihrem Kaffee und lehnte den Kopf zurück. Das war Haarspalterei. Natürlich wurden sie in Ermittlungen mit einbezogen. Sie standen aber nicht in der ersten Reihe und sie führten keine Befragungen durch, jagten nicht möglichen Verdächtigen hinterher. Natürlich wusste Robin mit einer Waffe umzugehen, wusste sich zu verteidigen. Das musste sie auch. Aber dennoch war das nicht die Rolle, die sie in diesem Konstrukt einnehmen würde.
 

„Wir sind externe Berater und als solches sollten wir uns auch verhalten. Es ist nicht unsere Aufgabe tief in die Ermittlungen einzusteigen.“
 

„Wir steigen nicht tief in die Ermittlungen ein.“
 

Nein. Robin tat das nicht. Sie sah sich an, was man hatte und gab dazu ihre Meinung ab. Sie versuchte zu helfen wo sie konnte. Doch das was Franky tat war weit mehr als er sollte. Und wenn sie einen Blick auf die Uhr warf - zwanzig vor vier - war das nicht die Uhrzeit, zu der sie normalerweise unterwegs sein sollten. Ja, es konnte vorkommen und Robin war auch bereit mal eine extra Meile zu gehen, um einen Auftrag zu erfüllen. Aber am Ende des Tages? Musste man es dennoch im Verhältnis sehen. Und das wollte ihr in diesem Fall nicht passen.
 

Da dieses Gespräch nun aber zu nichts führen würde beschränkte Robin sich darauf zu schweigen und lieber ihren Kaffee zu trinken. Vier Tage, von denen nur noch drei übrig waren. Das hatten sie gesagt und nun konnte Robin nur hoffen, dass ihr Freund das ganze nicht weiter ausbauen wollen würde. Es könnte sie beide sicherlich noch an ihre Grenzen bringen, wenn sie es nicht schafften sich auf etwas zu einigen.
 

Franky bremste den Wagen ab und würde ihn an die Seite lenken. Vor ihnen tat sich eine Absperrung auf, Blaulichter waren zu sehen, Menschentrauben. Robin würde aussteigen. Der Wagen war sein Problem auch, wenn es wohl besser war ihn einfach stehen zu lassen und sich später darum zu kümmern. Mit ihrem Kaffee machte sie sich langsam auf den Weg. Franky würde schon folgen und bei seiner Größe dürfte er sie schnell einholen und auch leicht zwischen den Menschen ausfindig machen. Spätestens an der Absperrung, wo die Schaulustigen aufgehalten wurden. Robin zog ihren Ausweis heraus und zeigte diesen schweigend einem der Beamten, der ihn etwas desinteressiert musterte. Sie hatte wirklich keine Lust jetzt zu diskutieren. Musste sie aber auch nicht. Kaum, dass sie Franky in ihrem Rücken spürte wurde das Absperrband gehoben, damit sie sich darunter hindurch schieben konnten. Für Robin ein wenig einfacher als für ihren großen Freund aber das war er gewöhnt. Für die meisten Dinge war er einfach zu groß.
 

Robin lief weiter. Das Team des Krankenwagens packte gerade zusammen und machte sich bereit, um abzufahren. Zahlreiche Streifenwagen standen vor dem Hotel. Keine billige Absteige sondern eine eher teure Adresse. Es war abzusehen, dass diese ganze Sache durch die Medien gehen würde und es erklärte auch, warum dort ein riesiges Aufgebot der Presse stand. Wenn man bedachte, dass diese ganze Sache erst vor kurzem entdeckt worden war, dann hatten sie ziemlich schnell Wind von all dem bekommen. Vielleicht hatte jemand vom Personal einen Tipp gegeben, um wenigstens etwas Profit aus dieser Sache herausholen zu können. Doch auch das sollte nicht ihr Problem sein. Smoker würde schon wissen was in diesem Fall zu tun war auch, wenn es sicherlich die Ermittlungen erschweren würde, dann wenn es die Täter weiter aufschrecken würde.
 

Sie schob sich zwischen den Menschen hindurch und würde die Treppen zum Foyer hinaufsteigen. Drinnen herrschte einiges an Stimmengewirr, viele Menschen, Polizisten. Man versuchte wohl die übrigen Gäste zu koordinieren. Denn der Auflauf vor dem Hotel war kaum unbemerkt geblieben und so gab es sicher einiges an Aufregung. Wohl aber in erster Linie auch Schaulustige und von Neugier getriebene, die hofften etwas aus erster Hand zu erfahren.
 

„Da sind sie ja!“
 

Robin richtete den Blick auf die junge Frau, die das dunkel, leicht blau schimmernde Haar zu einem strengen Zopf zurückgebunden hatte. In ihrem dunklen Hosenanzug hob sie sich doch von allen anderen ab.
 

„Detektive! Danke, dass sie uns informiert haben.“
 

Franky schob sich an ihr vorbei und reichte der anderen Frau die Hand. Diese nickte und musterte Robin für einen Moment, wandte sich dann aber auch wieder Franky zu. Man schüttelte einander kurz die Hand, bevor sie ihre Brille wieder zurecht rückte und sich dann abwandte, um in Richtung der Aufzüge zu gehen.
 

„Der Captain ist oben am Tatort. Wir sind noch dabei uns einen Überblick zu verschaffen aber wir gingen davon aus, dass ihre Einschätzung uns hier vor Ort helfen kann.“
 

Wenn Smoker vor Ort war, dann war es wohl ernst. Allerdings bekam er wohl auch ordentlichen Druck von oben. Robin fragte sich, ob das für ihre Einschätzung ein Vor- oder Nachteil werden würde. Sie persönlich bevorzugte es in Ruhe zu arbeiten, doch von Ruhe konnte man jetzt wohl nicht mehr ausgehen.
 

„Können sie uns schon etwas mehr sagen?“
 

Es ging weiter in den Aufzug. Robin verfolgte genau die Bewegungen, während sie sich an die Wand des Aufzugs lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Eine der oberen Etagen würde es werden. Das sprach zumindest dafür, dass es kein billiges Zimmer war. Im Gegenteil. Je höher es ging, umso teurer wurde es und so war es auch keine wirkliche Überraschung, als sich schließlich die Aufzugtür zu einer Suite öffnete.
 

Auch hier herrschte reges Treiben. Robin und Franky bekamen gleich ein paar Überzüge für ihre Schuhe in die Hand gedrückt. Dazu Handschuhe und für Robin Galt es auch eine Haube aufzuziehen. Da musste sie nun wohl Abschied von ihrem Kaffee nehmen. Die Spurensicherung lief in weißen Anzügen herum, alle anderen versuchten so gut wie möglich zu verhindern, dass sie etwas durcheinander brachten.
 

„Die Spurensicherung ist noch nicht fertig?“
 

„Nein. Es wurden Fotos gemacht und wir haben auch Fingerabdrücke genommen aber wie sie sehen gibt es bei dem Chaos hier einiges, was dokumentiert werden muss.“
 

Ja, das konnte man sehen. Robin schritt weiter hinein und sah sich um. Nebenbei schlug ihr ein unangenehmer Geruch entgegen. Kupfer. Blut. Die Intensität war fast schon erschlagend und unangenehm. Obgleich es nicht das erste Mal war, dass sie es roch brauchte sie jedes Mal einen Moment, um sich daran zu gewöhnen. Lieber durch den Mund atmen, etwas flacher. Dann würde es gehen.
 

Noch während Franky dabei war mehr Informationen zu bekommen, die er für seine eigene Einschätzung brauchte, ging Robin langsam weiter und verschaffte sich einen Überblick über den Raum. Nicht ganz einfach. Für sie gab es zwei völlig verschiedene Szenen, die sich vor ihren Augen abspielten und die nicht recht zusammenpassen wollten.
 

Auf der einen Seite war da eine Scharr an Polizisten. Obgleich sie sich auf die Zimmer verteilt hatten. Man konnte hören, wie sie miteinander sprachen. Nur ein Zimmer schien unberührt davon zu sein. Lediglich drei Personen waren dort. Ein Gerichtsmediziner und eine Assistentin, wie Robin vermutete. Über all dem thronte Smoker. Und auch, wenn er schwieg, seine schlechte Laune war durch den ganzen Raum zu spüren. Keine Arbeitsatmosphäre, die Robin besonders schätzte. Sie mochte die Ruhe, dann wenn sie sich wirklich konzentrieren konnte.
 

Das nächste, was sie wahrnehmen konnte war das Blut und die beiden Körper, die dort lagen. Die Frau lag im Bett. Robin konnte ihr Gesicht nicht sehen, da es ihr abgewandt war, sie lag auf dem Bauch. Dennoch konnte man deutlich die Spuren der Gewalt auf ihrem Körper erkennen. Die Bettwäsche war Blutverschmiert.
 

Der Mann lag auf dem Boden, beide waren nackt. Todesursache in seinem Fall schien zumindest der Umstand zu sein, dass ihm die linke Seite seines Gesichts fehlte. Ein Teil davon zumindest. Wobei es auch jede andere der Schusswunden hätte sein können, die seinen Oberkörper getroffen hatten. Auf einen ersten, flüchtigen Blick konnte Robin fünf Einschusslöcher erkennen. Es schien nicht die gleiche Todesursache zu sein, wie bei der Frau. Obgleich es wohl nicht an Robin lag diese Frage zu beurteilen und es für ihre Einschätzung auch nicht relevant war.
 

„Gehen sie ins Arbeitszimmer“, wies Smoker sie an, ohne das alles noch genauer zu beschreiben und zu erklären. Robin blickte ihn einfach nur schweigend an, wandte sich dann aber auch ab und folgte dem Fingerzeig, der sie weiter in einen anderen Raum schickte. Wenigstens das sollte ihr recht sein, dann musste sie sich nicht mit ihm herumschlagen. Sollte Franky das übernehmen. Vielleicht war das die beste Strategie, die sie in diesem Moment fahren konnte.
 

„Mrs. Zwetkow!“ Ein junger Bursche sah sie an. Hoch gewachsen, trainiert. Und doch war das ungewöhnlichste, was einem an ihm auffallen konnte wohl das gefärbte Haar. Pastellrosa.
 

„Ich bin Sargent O’Connel, freut mich sie kennenzulernen. Der Captain hat mich angewiesen alle Dokumente die von Relevanz sein könnten zusammenzutragen. Viel ist es nicht aber sehen sie selbst..“ Er hatte ihr kurz die Hand gereicht, um sie zu begrüßen, nun deutete er auf den Schreibtisch, wo alles lag. Jedes Dokument war in eine Plastiktüte gepackt worden. Das würde sie für eine genauere Untersuchung sicher verändern müssen, doch für einen ersten Eindruck sollte es reichen. Es gab drei Ausweise, ein Zettel mit einer handgeschriebenen Notiz und ein paar andere Zettel. Diese würde sie erst einmal außen vorlassen. Die Ausweise waren interessant und da vor allem die der beiden Frauen. Immerhin gingen sie davon aus, dass es einen Zusammenhang gab. Die Mädchen in den Containern waren die Ware gewesen und somit war der Mann in diesem Szenario wohl der Käufer. Wenn es gefälschte Dokumente gab, dann gehörte sein Ausweis vermutlich nicht dazu.
 

Robin griff nach der ersten Tüte und nahm diese an sich, um den Ausweis genauer anzusehen. Die tote Frau war brünett. Die Frau auf diesem Ausweis blond. Somit war sie diejenige die fehlte oder aber es gab noch eine Leiche von der Robin zu diesem Zeitpunkt nichts wusste.
 

„Brauchen sie noch etwas?“
 

„Ich kann mir hier nur einen groben Überblick verschaffen. Für valide Aussagen muss ich mir das ganze genauer und ohne Folie ansehen.“
 

„Dann werden wir alles vorbereiten, damit sie das auf dem Revier machen können.“
 

„Wer wird dafür verantwortlich sein, dass diese Ausweise nicht verloren gehen?“ Sie hob den Blick und sah den jungen Kerl wieder an, der aufmerksam zu ihr zurück blickte. Zumindest ließ er sich von all dem nicht irritieren.
 

„Ich wurde persönlich dafür verantwortlich gemacht.“
 

Robin nickte in sich hinein und würde sich dann wieder den Ausweisen zuwenden. Auf den ersten Blick würde man den Ausweis nicht von einem echten unterscheiden können und es zeugte davon, dass sie hier wirklich ins Detail würde gehen müsste, um das alles besser einschätzen zu können und Eigenheiten herauszuarbeiten. Wenn dieses Dokument gefälscht war, dann war es in jedem Fall eine sehr gute Arbeit.
 

„Das sind alle Dokumente, die gefunden wurden?“
 

„Alle, die wir für relevant hielten. In den Sachen der Frauen gab es nur die Ausweise, sonst konnten wir nichts finden. Keine Handy’s oder andere Habseligkeiten.“
 

„Irgendein Laptop?“
 

„Nein. Nichts. Wir vermuten, dass das Zimmer nur für einen Zweck angemietet wurde und keine der entsprechenden Parteien viel mitgebracht hat.“
 

Wieder nickte Robin. Das war durchaus nicht viel und doch war es für ihre Arbeit schon ein deutlicher Erfolg. An sich könnte ihr alles weitere egal sein und doch versuchte sie das Gesamtbild zu verstehen. Immerhin würde sie sich auch weiter mit Franky austauschen. Das alles würde helfen, um die Situation besser einschätzen zu können und ein besseres Profil zu erstellen.
 

Robin wandte sich der Notiz zu und sah sich die Handschrift an. Linkshänder, grobe Schrift. Eher unsicher geschrieben. Das zumindest war der erste Eindruck, den sie gewinnen konnte. Wem diese Handschrift zuzuordnen war konnte sie so allerdings nicht sagen. Und was den Inhalt der Nachricht anging? Drei Frauennamen. Mehr nicht. Sie stimmten nicht mit den Ausweisen überein, zumindest das konnte Robin sagen. Vielleicht ein paar andere Mädchen. Aber das war sicherlich reine Spekulation, zumal es auch nicht ihre Aufgabe war das ganze genauer zu beleuchten. Etwas an das sich Robin leider viel zu oft aktiv erinnern musste.
 

„Und?“
 

Franky schob sich zu ihnen in das Zimmer und sah sich kurz um. Schritte waren zu vernehmen und Robin vermutete, dass der junge Kerl aus dem Zimmer verschwand, um sie alleine zu lassen. Erst jetzt würde sie den Blick wieder von den Beweismitteln abwenden und zu ihrem Freund herübersehen, um ihn nachdenklich zu mustern. Er war merklich angespannt, wirkte müde und ausgelaugt. Eine Pause würde ihm wahrlich nicht schaden.
 

„Was ich auf den ersten Blick beurteilen kann ist, dass wir es hier mit qualitativ sehr hochwertiger Arbeit zu tun haben. Ich denke es wird nicht einfach werden da eine Handschrift oder stichhaltige Anhaltspunkte zu bekommen. Was ist mit der anderen Frau?“

Er trat neben sie und warf einen Blick auf die Ausweise, dann schüttelte er leicht den Kopf.
 

„Nicht hier. Smoker vermutet, dass sie die Täterin ist. Sie sind dabei das Videomaterial der Überwachungskameras zu sichern und zu sichten. Sie werden versuchen sie zu finden und mit etwas Glück werden wir von ihr mehr Informationen erhalten.“
 

„Sofern sie noch lebt.“
 

„Ja.“
 

„Was denkst du darüber?“
 

Das war doch die entscheidende Frage. Zumindest für Robin. Denn nur um ihrer beider Einschätzung sollte es für ihre persönlichen Entscheidungen gehen und sie schätzte Franky als durchaus zuverlässiger ein, als Smoker. Dieser war zwar nicht ohne Grund Captain, doch verhielt er sich manchmal etwas zu engstirnig.
 

„Wenn ich raten müsste?“
 

Robin nickte und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie sich mit dem Rücken an den Schreibtisch lehnte und zu ihm hinauf sah.
 

„Dann würde ich sagen, dass der Kerl sich zwei Mädchen hat herkommen lassen, dann ist er ausgerastet und eines der Mädchen hat sich gewehrt, nachdem das andere von ihm umgebracht wurde. Sie könnte eine wertvolle Zeugin sein.“
 

„Sofern sie noch lebt.“
 

Robin wiederholte sich ungerne und doch schien es hier notwendig zu sein. Alles, was er ihr bisher gesagt hatte, stützte sich vor allem darauf, dass man das fehlende Mädchen finden musste. Natürlich würde es die Ermittlungen voranbringen und ihnen helfen. Smoker war bereits dabei sie zu suchen. Die Videoaufnahmen des Hotels würden ihnen zumindest sagen wann sie hier verschwunden war und wohin. Immerhin schien sie nicht durch die Vordertür verschwunden zu sein, das wäre sicher aufgefallen. Eine Frau, die verstört und vermutlich Blut am Körper hatte? Das hätte sie nur verbergen können, wenn sie wirklich die Täterin wäre und sich danach noch zurecht gemacht hätte.
 

Dennoch setzte es auch voraus, dass dieses Mädchen zum einen etwas wusste und zum anderen überhaupt mit ihnen reden würde. Eine Zeugin zu finden bedeutete noch lange nicht, dass sie kooperativ war und der Polizei wirklich bei den Ermittlungen helfen würde. Und wenn man bedachte woher sie kam? Dann wäre es ebenso denkbar, dass sie aus Angst schweigen und darauf hoffen würde, dass man sie für ihren Verrat nicht umbringen würde. Oder sie hätte trotz allem Angst vor einer Abschiebung oder einer Strafe. Am Ende des Tages gab es genug Gründe dafür, dass sie der Polizei nicht vertrauen würde. Und, wenn Robin ehrlich war, dann konnte sie das sogar verstehen.
 

So oder so würde man dann zumindest wissen wo man zu suchen hatte oder, welche Überwachungskameras man von umliegenden Gebäuden anfordern könnte. Eine durchaus langwierige Prozedur, wenn man Pech hatte. Es könnte Tage dauern, bis sie mehr erfahren würden, kostbare Zeit, die ihnen verloren ging. Zumal es noch keine Garantie dafür gab, dass überhaupt etwas dabei herauskommen würde.
 

„Ich weiß du glaubst nicht daran, dass wir hier etwas bewegen können“, wandte Franky leise ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Etwas mit dem er durchaus recht hatte und Robin konnte nicht einmal sagen, das ihre Meinung in dieser Sache wirklich neutral war. Möglicherweise ließ sie sich zu sehr von ihren Gefühlen leiten und der Ablehnung dieser Stadt gegenüber. Keine besonders professionelle Haltung.
 

„Können wir etwas bewegen?“
 

„Ich kann ein Profil erstellen. Und du kannst dabei helfen diesem Fälscher auf die Spur zu kommen. Vielleicht wird es nicht gleich zu einem Erfolg führen aber es wird nicht umsonst sein. Irgendwann werden all diese Puzzleteile ein Bild ergeben.“
 

Recht hatte er. Wenn man sich Serien ansah, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass jeder Fall innerhalb von wenigen Tagen gelöst wurde. Eine einzige Spur reichte für den großen Durchbruch und für die Ermittler war es ein Kinderspiel. Die Wahrheit war jedoch, dass viele Verbrechen Wochen oder Jahre brauchten bis sie gelöst wurden. Bis es zu einer Verurteilung kam konnten weitere Jahre ins Land ziehen. Die Mühlen der Justiz mahlten langsam. Die Wahrscheinlichkeit, dass es mit diesem Fall nicht anders war, war sogar recht groß und es war ebenso möglich, dass das alles einfach im Sande verlaufen würde. Zumindest, wenn man es nicht schaffte das interne Problem in den Griff zu bekommen, welches die Ermittlungen offenkundig versuchte zu behindern.
 

„Dann sollten wir besser einen sehr guten Beitrag leisten.“
 

„Zumindest keinen der irgendwelche Zweifel offen lässt. Ist geklärt wie die Beweise gesichert werden?“
 

„Er hat wohl jemanden dafür abgestellt. Aber das ist keine Garantie.“
 

Franky nickte nachdenklich. Sicher könnte man besagten Beamten dafür verantwortlich machen sollten die Beweise verschwinden, doch bedeutete es, dass er etwas damit zu tun hatte? Am Ende würde man sich doch nur mit einer internen Untersuchung aufhalten und keinen Meter weiter kommen. Wenn es wirklich jemanden gab, der innerhalb des NYPD für die Gegenseite arbeitete, dann könnte man diese Strukturen wunderbar nutzen, um die Ermittlungen weiter zu behindern.
 

„Vielleicht sollten sie erst einmal ihren Maulwurf finden.“
 

„Vielleicht. Aber das muss Smoker entscheiden.“
 

Was in seinem Kopf vor sich ging war ohnehin schwer zu sagen aber das interessierte Robin eigentlich weniger. Er war kein Mensch, den man verstehen konnte und je weniger sie sich mit ihm befassen musste, umso besser war es.
 

„Haben sie alles gesehen was sie brauchen?“
 

Wenn man vom Teufel sprach. Franky wandte sich um und Robin blickte an ihm vorbei zu dem schlecht gelaunten Captain, der vielleicht auch keine andere Emotion zulassen konnte. Zumindest hatte sie nie erlebt, dass er lächelte oder auch nur ein positives Wort verlor. Auf der einen Seite war es nervig für die Arbeit. Auf der anderen Seite empfand Robin es allerdings als traurig. Sie selbst war auch nicht gerade das, was man als Sonnenschein beschreiben würde, doch er schoss wahrlich den Vogel ab. Wie konnte man so nur ein unzufriedenes Leben führen?
 

„Ja, wir haben alles, wenn wir die Akten und Beweise weiter einsehen können.“
 

„Ich erwarte ihren Bericht am Mittag, dann werden wir ein Teammeting ansetzen. Bringen sie dann alle auf den neusten stand. Wir verschwinden jetzt.“
 

Er wartete nicht auf eine Antwort, wandte sich einfach ab und würde sich auf den Weg machen. Robin seufzte leise und schüttelte den Kopf. Am Mittag. Das war nicht viel Zeit und ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie gleich fünf Uhr hatten. Und das wiederum bedeutete, dass man sich jetzt entscheiden müsste, ob sie versuchen wollten noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen oder, ob das Thema für heute beendet sein würde. Klar war, dass sie frühestens am Abend wieder in die Nähe ihres Bettes kommen würde, wenn sie es jetzt nicht täte. Das wiederum würde dazu führen, dass sie dringend mehr Kaffee auftreiben musste.
 

Andererseits lag gerade eine junge Frau in ihrem Bett und der Gedanke sich lieber mit diesem kleinen Abenteuer zu beschäftigen war weit reizvoller als dieser Fall. Eigentlich hatte sie geglaubt, dass diese Sache schnell geklärt sein und man ein gemeinsames Frühstück haben würde. Damit musste man jetzt wohl nicht mehr rechnen und Robin war sich auch darüber bewusst, wie unklug es eigentlich war überhaupt an so etwas zu denken. Sie konnte es sich nicht leisten, dass eine kleine Affäre ihre Professionalität untergrub.
 

Ihr Blick ging hinauf zu Franky, der sie fragend ansah und wohl versuchte zu ergründen, worüber sie nachdachte. Besser man vertiefte das nicht. Robin würde den Kopf schütteln und dann wieder zu den Beweisbeuteln blicken, die dort auf sie warteten.
 

„Dann sollten wir wohl auch zum Revier fahren und uns an die Arbeit machen. So kann ich auch sichergehen, dass O’Connel die Beweise nicht verschwinden lässt.“ Denn ohne Beweise würde sie auch nicht weiter kommen. Etwas das Franky nicht kommentierte. Vermutlich hatte er ebenso wenig Lust wie sie nun weiter zu machen. Doch es musste sein und manchmal war Schlaf auch nicht die beste Lösung. Besser man behielt die Spannung und würde das alles nutzen, um endlich ein paar Fortschritte zu machen, die dringend überfällig waren.
 

Er warf einen Blick auf die Uhr, nickte dann aber. Hier war man sich wohl einig und konnte es dann so machen. Robin würde ihm folgen und noch einmal nach dem Zuständigen Sargent Ausschau halten. Dieser stand auf dem Flur und blickte ihnen nun mit einem müden Lächeln entgegen.
 

„Wir werden uns auf den Weg zum Revier machen, um unsere Analyse fortzusetzen. Können sie dafür sorgen, dass die Beweise für uns so schnell wie möglich gebracht werden?“
 

„Natürlich. Ich werde mich sofort darum kümmern.“
 

Und weg war er. Er machte sich auf den Weg und damit war das zumindest getan. Zumindest würde ihnen dann auch niemand mehr erzählen können, dass das alles irgendwann verschwunden sein musste. Hier war wohl ganz klar, an wem es dann liegen würde und auch, wenn Robin sich lieber selbst darum gekümmert hätte ging das wohl nicht so einfach. Protokolle.
 

Sie würde Franky folgen, der schon dabei war das Zimmer zu verlassen, damit man anschließend hinunter in die Lobby fahren und das Hotel verlassen könnte. Robin lief auf Autopilot und versuchte sich nicht weiter von dem Außen beeinflussen zu lassen. Hier drinnen mochte das keine Rolle spielen und dennoch war da draußen einiges an Presse, die noch immer Antworten haben wollte. Da musste man sich zunächst durch quälen. Laute Stimmen umfingen sie, als sie hinaus traten und dort auf eine Menschenmenge trafen, die nur von Absperrbändern zurückgehalten wurden. Es waren weit mehr, als noch bei ihrer Ankunft, was gewiss daran lag, dass die Nachricht sich inzwischen weiter verbreitet haben musste.
 

Wie viel Staub das alles noch aufwirbeln würde war nicht gesagt. Man musste es abwarten und in den kommenden Tagen diese Entwicklung beobachten. Für’s erste war es nur wichtig für Robin, dass sie zurück zu Franky’s Wagen kamen. Wobei es deutlich länger dauerte den Weg zurück zu legen, als bei ihrer Ankunft.
 

Erst, als sie dort ankamen und einstiegen, umfing sie endlich etwas Stille. Ruhe.
 

Franky würde nicht sofort losfahren. Er atmete durch, schien nachzudenken und sie würde ihm die Zeit geben, bis er einen Entschluss gefasst hatte und dann doch den Wagen starten würde.
 

„Lass uns Kaffee und ein Frühstück besorgen. Die werden eh noch brauchen, bis sie alles rüber geschafft haben. Und ich brauche ne Cola.. und Essen.“
 

„Gut“, wandte sie ein und blickte hinaus. Auch Robin brauchte einen Kaffee und dann würde man an die Arbeit gehen und herausfinden, was sie wirklich in der Hand hatten, um diesen Fall sinnvoll bearbeiten zu können.



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)
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Von: robin-chan
2024-04-19T18:00:00+00:00 19.04.2024 20:00
Oooh, was gibt es schöneres als ein Treffen, wenn beide Ablenkung dringend nötig haben? Also im Gegensatz zu Robin kann ich mir durchaus vorstellen, was ein Grund für die Alarmglocken sein könnten :P Es schrillt und ein Rotschopf setzt sich hin ... könnte ein Teil dazu beitragen? Vielleicht? xD Dabei ist ein Fortschritt soooo nah :P
Hach, aber Gespräche führen in dem Zustand können sie XD Man kann sagen, was man will, alles nur egal finden, wirkt dennoch anders~ Also einfach nur eine Ablenkungsnummer sieht anders aus ... aber natürlich kommt was dazwischen, warum sollte es so einfach gehen und es eventuell sogar zu einem Frühstück kommen? Wobei, möglich ist es, allerdings stellt sich die Frage, ob da Franky mitspielt. Aber hey, Robin ist in ihrem Teppichverkauf gefragt, rund um die Uhr Service, wie es sich gehört XD
Mhm ... nächste Kapitel aufwachen und bisschen rumstöbern? ;)

Also, ich bin wirklich gespannt, wie es dann so richtig schön ins Rollen kommt bzw. sobald beide checken was die andere macht ... ich liebe solche Enthüllungen und Dramen, weißt du doch :D Umso gespannter bin ich, was du dir hierfür alles einfallen lässt ;) Mit dem Rhythmus kann ich sowieso leben - aaaah bräuchte etwas von deiner Motivation XD
Antwort von:  BurglarCat
21.04.2024 15:46
falls es dich beruhigt die Beziehung der beiden wird allgemein mehr Raum bekommen als in der letzten Story xD aber ob da ein Frühstück bei sein wird? Wir werden sehen ;)

Bin auch sehr gespannt was du sagen wirst, aber ich muss den Rhythmus halten sonst vergesse ich schon wieder die Entwicklungen, die ich eingebracht habe xD außerdem bin ich froh, dass ich gerade so gut drin bin und wenn du mir nichts bietest, dann muss ich selbst schauen wo ich bleibe ;)
Von: robin-chan
2024-04-14T16:45:30+00:00 14.04.2024 18:45
Da komme ich endlich zum Kommentieren und schon das nächste Kapitel da, aber der Reihe nach~
Bisschen Schwesternzeit, aber ob das so richtig ausreicht? So gesehen gibt es also niemanden, mit dem sie über das volle Ausmaß reden kann? Auf Dauer nicht gut, aber durchaus verständlich. Nach allem was bisher bekannt ist, würde Nojiko kaum zusehen und nichts tun, wenn sie alles wüsste ... verzwickt, aber nichts bleibt ewig versteckt :P Wenigstens hat eine der beiden ein normaleres Privatleben und hat sich natürlich gleich mal das Chaosduo angelacht XD Aber mit den Problemen, die Nami umgibt, hat es Nojiko eindeutig schwerer, sobald das Ausmaß durchkommt :P
Dennoch schön, dass es neben dem allen dennoch ein paar Minuten gibt, in denen sie runter kommt~
Antwort von:  BurglarCat
19.04.2024 13:11
Ich darf verraten, dass ich plane alle drei Wochen ein neues Kapitel hochzuladen ;)
dachte auch das es vielleicht ganz gut ist mal durchzuatmen, bevor es rund geht und wir ein bisschen tiefer in alles rein kommen, bin schon sehr gespannt, wie du es finden wirst xD
Von: robin-chan
2024-03-03T20:28:24+00:00 03.03.2024 21:28
Da wird mal Zeit, dass die Beweise ordentlich durch die Türe geflogen kommen :P Andererseits mag ich das am Aufbau, es kommt nicht alles sofort auf einem Schlag. Ich mag, dass du dir da richtig die Zeit lässt, dass sich alles entfalten kann~
Wurde Zeit, dass es eine Art Nachbesprechung von Robins Seite gibt, wenngleich die Frau genauso zurückhaltend ist, wie eh und je. Wobei ich es umso besser verstehe, wenn man bedenkt, wie Franky gestrickt ist. Auweh, der Kerl ist ja auch nicht gerade das Paradebeispiel eines Beziehungsmenschen XD Einen Job haben bei dem viel gereist wird, ist ja eine Sache, aber dann anscheinend ständig in Nacht- und Nebelaktionen verschwinden? Ui ... und dann Kalifa als Kontrollfreak? Da sind sieben Monate aber noch lange. Wunder fast, dass es Robin überhaupt so lange ausgehalten hat mit so einer~
Überhaupt bin ich gespannt, wann ein paar genauere Einblicke in Robins Leben kommen. Da ist ja bislang zwar brav angedeutet, aber so richtig? Ich warte darauf :D Aber wenigstens hinterlässt diese Nacht Spuren und das ist immer das schönste daran. Irgendwie ja faszinierend, egal wie viele Geschichten, dieses Kennenlernen bei den beiden hat immer wieder so dieses Etwas~

Und ps: ich habe nicht gesagt, dass es falsch ist xD und ja, mehr von Octa und wenn er nur am Ende sich gegen die stellt :P

Von: robin-chan
2024-02-26T18:27:40+00:00 26.02.2024 19:27
Verdammt, warum wirfst du immer eine Rückblende rein, wenn man unbedingt wissen will, wie es in der Gegenwart weitergeht D:

Also bei all der Scheiße ... warum ist mir Octa einfach sympathisch :') Er kommt eben wie der rüber, der irgendwie in das hinein geschlittert ist und sich damit abfindet und noch versucht irgendwie Menschlichkeit zu zeigen. Nur ist halt in der Lage gar nicht so einfach, dass es angenommen wird. Vor allem in dem Alter und ... mal ehrlich? Wer würde nicht wie Nami reagieren? D:
Was aber besonders das Ende zeigt, es ist nicht immer alles so möglich, wie man es sich vorstellt. Verschwinden ... na ja, ne WG ist zwar eine Verbesserung aber eben nicht komplett raus etc.
So sehr ich darauf warte, dass es in der Gegenwart alles ins Rollen kommt, so sehr mag ich ja diese Rückblenden. Du bringst sie immer so richtig schön rüber~ Okay, schön sind sie nicht, aber weißt sicher, wie ich das meine ;) Und der Kontrast Nojiko und Nami ist immer wieder herrlich~
Ich freue mich auf das nächste :)
Antwort von:  BurglarCat
27.02.2024 17:17
wie man es macht, so macht man es falsch xD

aber ich muss dir zustimmen, ich mag Octa sehr gerne und möchte ihm eigentlich auch noch mehr Raum geben. Mal sehen, ob ich das schaffe ;)
Von: robin-chan
2024-01-01T16:33:57+00:00 01.01.2024 17:33
Yay! Das ist ja ein schöner Start, das Thema dann weniger :')
Hat er sich ja jetzt ein nettes Unterfangen als nächstes Standbein ausgesucht, wobei es halt leider definitiv lukrativ ist ... aber ob er da jemals die große Kohle sehen wird? Naaa, ich zweifle daran. Seine normalen Tätigkeiten sind ja schon dieses: Ja, ist scheiße, aber was solls. Dabei ... könnte man langsam wirklich fuck denken. Ist für sie definitiv ne neue Hausnummer, wobei ... bei den Nachbarn einkaufen ist ja sowieso schon normal, oder? Mich wundert, dass er noch nicht auf Organhandel gekommen ist. Frauen verschleppen ist doch so einseitig und Männer gehen auch nie so ab auf Dauer. Die einen so verschleppen, die anderen ausnehmen. Auweh. Was interessant wäre: Alle in Nonnenkleider stecken, waren auf heiliger Mission ... sind versetzt worden. Niemand verdächtigt unschuldige Nonnen - ok, Hirn ist heute noch nicht auf Betriebsmodus D:
Jedenfalls. Sollte es Zustande kommen und die zwei Wochen überdauern, wird das ne nette Arbeit. Bei denen bin ich mir nicht so sicher, dass das alles reibungslos abläuft, was die Informationen angeht. Vorsichtshalber doch ein paar Grenzposten schmieren?
Bei Octa fühle ich mit Nami. Irgendwie ist er in all dem der liebe, naive Idiot. Andererseits ja, was soll ihr seine Hilfe bringen? Außer der Kerl entpuppt sich als einer, der tatsächlich aussagen oder im Hintergrund helfen würde, einen Fall einzuläuten. Wäre interessant, aber irgendwie ... es ist Octa D: Wobei er wieder hilfreich ... ach, egal. Nicht zu viel nachdenken, sondern einfach weiterlesen, was?
Von dem Drumherum ist ja Namis Position klarer, umso mehr möchte ich echt wissen, wie das alles dann langsam ins große Bröckeln kommt. Aber wird sich wohl bald mal lüften :)
Von: robin-chan
2023-12-24T05:43:07+00:00 24.12.2023 06:43
Yay, ich freue mich richtig, dass sich das ausging :)
Und endlich hat Vivi ihren Auftritt. Was passt da besser, als eine Nachbesprechung der Nacht~ Also da kommt es nicht überraschend, dass Vivi in eine gewisse Richtung geht. Sie kennt den Namen und war brav auf einen Kaffee. So böse die Regeln gebrochen :P
Ach wie schön, Robin bleibt ihr seeehr gut in Erinnerung. Leider ist es verständlich, dass sie eher Abstand gewinnen möchte. In ihrer Lage ist jede Annäherung heikel. Ist so schon eine Zwickmühle und dann hat sie ja sowieso noch keine Ahnung, warum Robin in der Stadt ist (ich freue mich auf das Drama sollte das alles rauskommen).
Aber in erster Linie mag ich die Freundschaft der beiden und ja. Ein bisschen ausfratscheln, "dezent" mal darauf aufmerksam machen das eine Romanze ja was schönes ist. Wird Vivi dann auch alles erfahren? Irgendwann? Dürfte ein dezenter Schock werden, als brave Bürgerin der Stadt :') Beste war noch immer das beschriebene Kennenlernen. Man kann es sich so richtig schön vorstellen. Solche Nächte verbinden! xD Da hat sich Nami ja die richtige angelacht. Bei solchen Geschichten sind diese Kapitel immer so schön bittersüß. Irgendwie erkennt man durchaus, was sie für ein Leben ohne den Mist hätte und dann kommt die Realität und fordert wieder ab zur Arbeit. Schätze der Gute weiß bereits bestens über die Nachforschungen Bescheid?
Ich will immer gleich weiterlesen, dabei ist ja alles noch so richtig schön am Anfang :) Freue mich (wie soll es anders sein?) auf das nächste und wie eben alles seinen Lauf nehmen wird ;)
Von:  TiaDraws
2023-12-23T19:11:23+00:00 23.12.2023 20:11
Oh man.

Gerade das erste Kapitel beendet und habe schon einen Kloß im Hals. Die Emotionen sind wirklich sehr gut eingefangen. Neugierde definitiv geweckt und ich werde weiter lesen >:)
Von: robin-chan
2023-12-09T09:32:50+00:00 09.12.2023 10:32
Endlich! Du hast mich echt lange auf dem Trockenen sitzen lassen T-T

Ah der Morgen danach ... als jemand, die Smalltalk hasst, verstehe ich die Fragen :'D. Wesentlich spannender als das stumpfsinnige Gebrabbel. Da kommen 20 Minuten wie 20 Stunden vor ... erst recht wenn man wortlos verschwinden wollte.
Wobei ich mir die Frage stelle, ob es einen Grund gibt? Natürlich kann man sagen, sie hat was sie wollte und Abmarsch. Aber ... irgendwie lädt die Art und Weise wie die Geschichte aufgebaut ist und die Erfahrung bei dir ein, zu hinterfragen, ob in dem Moment nicht sogar mehr dahinter steckt xD
Und ob sie sich in der Bar wiedersehen? Bzw. was passiert bis dahin? Franky ist ja Feuer und Flamme. Will anscheinend tief graben. Aah du machst es einem gerade echt schwer, weil automatisch genügend Gedanken da sind, was innerhalb der Tage alles passieren kann ... aber hey, von zwei Tagen rauf auf vier ... knacken sie bald die Woche? :P
Nach jedem Kapitel kann ich das nächste kaum erwarten :)


Antwort von:  BurglarCat
10.12.2023 09:28
entschuldige, es ging alles etwas drunter und drüber xD

mal sehen was noch kommt und in wie weit ich dir deine Fragen beantworten kann. Ich werde mir aber Mühe geben darauf einzugehen! ;)
Und ob sie die Woche knacken.. ich glaube das kommt ganz darauf an, wie weit ich es ausufern lassen will. Da bin ich noch nicht ganz entschieden. Lass dich überraschen!
Von: robin-chan
2023-10-25T17:48:02+00:00 25.10.2023 19:48
Mhm, bisschen Farbe für ein besseres Leben, ist doch das Mindeste, oder? x)
Ich muss ja sagen, wäre die Ausgangslage eine andere, ist die Szene irgendwie süß, wie sie mit ihrer Liste da sitzt und Octa vor sich hin brabbelt. Er gehört manchmal schon bisschen dieser Sorte an, wo man sich fragt, wie der in diesen Mist eigentlich hinein geschlittert ist ... aber einen halbwegs normalen braucht man dann ja doch irgendwie, oder? Jetzt weiß man wenigstens etwas genauer, wie sie Nojiko aus der Schusslinie geholt hat und das Angebot kann man dann ja doch nicht abschlagen. Es hat sehr viele Vorteile und wenn man schon glücklich über ein neues Häuschen ist, warum nicht gleich noch spendabler xD Ich mag den ganzen Aufbau. Schätze aber, dass genau das Tattoo im weiteren Verlauf genauso zum Verderben werden kann? Immerhin ist es ja nicht so unauffällig, vor allem wenn tiefer gräbt?
Auf jeden Fall ist es nicht überraschend, dass Nojiko alles andere als erfreut darüber ist, aber sie wird vermutlich checken, warum sie das getan hat? Irgendwie ist es verzwickt das Ganze. Also das Kapitel macht auf jeden Fall Lust auf das nächste und wie sich das wirklich noch alles entwickeln wird :D
Von: robin-chan
2023-09-22T06:28:57+00:00 22.09.2023 08:28
Also wirklich, die griesgrämige Frau lud doch förmlich zu einem Versuch ein, weiß nicht, was Nami hat. Drink ausgeben kann jeder xD Aber nach so nem Tag brauchts halt einfach die Richtige. Nicht viel reden, einfach auf das Wesentliche konzentrieren. So kann man die negativen Gedanken rund um das Haus auch aushalten und für ein paar Stunden ignorieren :P
Und das Nami nicht über ihre eigentliche Arbeit reden kann und somit Carina nicht alles versteht, ist klar. Da ist der Rat zu kündigen bisschen einfach ausgedrückt.
Dabei interessiert mich aber auch, wie sie zu Vivi als Mitbewohnerin gekommen ist. Da könnte das Geheimhalten ja auch ab und zu interessanter verlaufen. Oder weiß sie in diesem Fall vielleicht sogar doch mehr? Es sind ja noch genug Fragen offen :D
Was mich auch auf den weiteren Verlauf zwischen Nami und Robin neugierig macht. Jetzt haben sie erst mal ne nette Nacht miteinander erlebt. Irgendwas wird dann ja so weit kommen, dass die Gute doch länger in der Stadt bleibt? Ich mag die Ausgangslage einfach. Die eine soll nachforschen, die anderen steckt brav drin und hat indirekt ja mitgeholfen das der Container gefunden wurde ... da brauchst dich nicht wundern, dass ich sofort weiterlesen möchte! :)


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