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Deep down

grows our greatest strength
von

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abysses


 

2023 - New York
 


 

„Ziemliche Scheiße ist das.“ Das war nicht zu leugnen. Allerdings hatte er diese Feststellung bereits vor zwei Stunden getroffen, als sie hier eingetroffen waren und man ihnen die Akten zugänglich gemacht hatte. Auf dem Flug hatten sie Zeit gehabt sich mit allem vertraut zu machen, waren alles durchgegangen was es zu wissen gab. Nun standen sie hier und blickten in einen Container hinein. Man hatte ihn inzwischen vom Hafen abtransportiert und zur Untersuchung auf ein Gelände der Polizei gebracht. Die Spurensicherung war mit ihrer Arbeit vor kurzem fertig geworden und neben der offensichtlichen Suche nach Fingerabdrücken war es auch die Suche nach DNA und das Analysieren der Flüssigkeiten, die man hier gefunden hatte. Inzwischen war der Container voll mit Markierungen, wo man Beweise gefunden und Proben genommen hatte. Staub des Fingerabdruckpulvers hing in der Luft und mischte sich in den Geruch von Eisen, Urin und Fäkalien. Es war ein schrecklicher Gestank, der auch nicht abziehen wollte, obgleich man den Container über die letzten Tage nicht verschlossen hatte. Es war, als wären all diese Gerüche in das Metall gedrungen und würden nun davon ausgestrahlt werden.
 

Während ihr Partner sich den Container genauer ansah, wandte sie sich wieder ab und schüttelte den Kopf. Genau genommen war es nicht ihre Sache sich damit zu befassen. Sie waren hier, um einen Eindruck des Falles zu bekommen, mit welcher Größenordnung man es hier zu tun hatte, doch zu ermitteln und die richtigen Fragen zu stellen war nicht ihre Aufgabe. Man hatte sie als externe Berater angefordert. Und während ihr Partner eher ein Experte des organisierten Verbrechens und Waffenexperte war, lag ihre Expertise eher in der Dokumentenanalyse. Dabei hatte sich ihr Schwerpunkt in den Vergangenen Jahren auf Fälschungen gelegt und ihr geschichtliches Wissen in alten Verfahren war dabei sicherlich nur eine hilfreiche Komponente. Hinzu kam ihr Fabel für Sprache und Schrift. Erpresserschreiben wurden ihr normalerweise auch gerne zur Analyse vorgelegt. Sei es was den Sprachgebrauch, die Schrift selbst oder auch das Papier anging, welches genutzt worden war. Viele Menschen unterschätzen was alleine diese Komponente aussagen und wie viele Hinweise sie geben konnte.
 

Nur, dass das Dokument, welches sie hatte analysieren sollen, verschwunden war. Das einzige was man noch hatte war ein Foto des Ausweises und das war wahrlich wenig mit dem sie arbeiten konnte. Franklin hatte da schon mehr und so hatte sie sich dazu entschieden ihn zu begleiten bis die hiesige Polizei das Rätsel um den verschwundenen Ausweis gelöst hatte. Für sie lag allerdings nichts rätselhaftes darin. Beweismittel verschwanden nicht einfach. Nicht, wenn sie derart wichtig waren. Etwas am Tatort zu übersehen war das eine, wenngleich es auch nur schlechte Polizeiarbeit widerspiegeln würde. Doch Beweise, die es bereits in die Arservatenkammer geschafft hatten, fielen nicht einfach aus einer Kiste und rutschten unter einen Schrank. Es war offensichtlich, dass man hier ein internes Problem hatte, welches dringend aufgearbeitet werden musste, obgleich auch das nicht ihre Sorge war.
 

Wenn man es so betrachtete, dann stand sie dem ganzen mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber. Wenn es hier nichts für sie zu tun gäbe, dann würde sie bald ohnehin wieder in einem Flugzeug zurück nach Hause sitzen. Es war ein Fall von vielen und sie würde ihm nur die nötige Aufmerksamkeit zukommen lassen.
 

„Die Mädchen müssen über Wochen hier drinnen eingesperrt gewesen sein.. Manche haben versucht sich loszureißen. Kann man ihnen nicht übel nehmen, dass sie es mit der Leiche versucht haben. Ne ziemliche Scheiße ist das.“ Er wiederholte sich. Bedachte man, wie die Mädchen hierin festgehalten wurden und zu welchen grausamen Taten man sie in ihrem Überlebenskampf gezwungen hatte, dann war es sogar mehr als das. Doch so gerne sie auch sagen würde, dass solche erschreckenden Taten die Ausnahme waren, so war es das gewiss nicht. Menschen taten anderen Menschen jeden Tag aufs neue grausame Dinge an und nur ein Bruchteil des Ganzen drang je an die Oberfläche.
 

„Robin? Bist du noch da?“
 

„Wo sollte ich hingegangen sein?“ Inzwischen lehnte sie an einigen Kisten, die in der Nähe des Containers abgestellt worden waren. Dabei hielt sie die Arme vor der Brust verschränkt und wartete einfach ab, bis er den Kopf wieder hinaus steckte. Franky war ein kantiger Mann. Und während das Kinn stets glatt rasiert war schwankte sein Haar zwischen fünf Millimetern und Elvis Tolle. Aktuell war es ersteres, was zumindest dafür sorgte, dass man ihm mit mehr Ernst begegnete. Respekt verschaffte er sich in beiden Fällen, doch wirkte die Tolle oftmals ein falsches Bild vermittelte, wenn sie gepaart wurde mit den Sprüchen, die er manchmal an den Tag legen konnte. Kannte man ihn nicht, dann wirkte er schrecklich irritierend auf andere.
 

„Willst du dir das nicht auch ansehen?“
 

„Nicht mein Fachgebiet. Und ich weiß nicht wie viel Arbeit wir hier investieren sollen, wenn die örtliche Polizei es nicht einmal schafft die Beweise beisammen zu halten. Wir haben lediglich einen Container. Keine wirkliche Basis, um damit zu arbeiten, findest du nicht?“ Sicherlich war das ein Punkt, den sie diskutieren sollten, denn Robin sah hier wenig Ansatzpunkte und am Ende waren sie auch darauf angewiesen, dass man ihnen ausreichend Beweise und Informationen zur Verfügung stellte. Wenn das nicht gegeben war hatten sie keine Basis auf der sie anfangen konnten ihre Profile zu erstellen und Schlüsse zu ziehen.
 

„Du willst abreisen.“ Es war weniger eine Frage, als eine Feststellung. Dabei warf er noch einmal einen Blick in den Container und würde sich dann zu ihr begeben, um sich neben ihr auf eine der Kisten zu setzen. Für einen Moment wartete sie ab, ob er vielleicht mehr dazu sagen würde, doch als nichts weiter kam, außer sein nachdenkliches Schweigen, seufzte sie nur.
 

„Nach allem was wir bisher wissen haben sie nichts brauchbares gefunden. Fingerabdrücke, die sich im System nicht zuordnen lassen und sicherlich von Menschen stammen, die nicht in diesem Land leben. Alle DNA Spuren stammen von den Mädchen, die sich entweder weigern zu sprechen, zu traumatisierte sind oder schlichtweg nichts wissen. Der Fahrer spricht angeblich kein Englisch und beruft sich darauf, dass er einfach nur die Lieferung abholen sollte und nicht wusste, was in dem Container war. Etwas anderes wird man ihm auch nicht nachweisen können. Die Adresse der Lieferung ist ein stillgelegtes Industriegelände wo der Wagen vermutlich nur an einen anderen Fahrer übergeben werden sollte. Der einzige, brauchbare Hinweis den es gab war der gefälschte Ausweis und der ist verschwunden.“
 

„Kannst du nicht dennoch etwas anhand der Fotos erkennen, die sie gemacht haben?“ Sie musste sich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Manchmal sah er die Welt wirklich zu optimistisch. Robin würde behaupten, dass sie durchaus gut in ihrem Job war, wusste was sie tat und mehr in Dokumenten und Schriften lesen konnte als andere je erahnen könnten. Dennoch konnte sie keine Wunder vollbringen.
 

„Die Handschrift eines Fälschers erkennst du nicht auf Fotos sondern darin wie er arbeitet. Es gibt absolut nichts, was ich tun kann.“ Punk. Darüber würde sie auch nicht mit sich diskutieren lassen. Das Schicksal dieser Mädchen war schrecklich. Noch schrecklicher war es, was man jenen antat, die nicht aus solch einem Container gerettet worden waren. Zweifels ohne hatte man es hier mit Menschen zu tun, denen ein anderes Leben absolut nichts bedeutete. Menschen, die man aufhalten musste, doch würde Robin sich jedes Schicksal auf ihre Schultern legen, sie wäre nicht mehr fähig zu stehen und ihr Leben zu bestreiten.
 

„Das man ihnen einen Ring durch die Haut im Nacken gestochen hat, um sie daran anzuketten anstatt ihnen einfach eine Kette um Hals oder Handgelenke zu geben ist eine Handschrift.“
 

„Ja, eine die dich zu demjenigen führt, der die Mädchen verschleppt hat. Nicht zu demjenigen auf dessen Einkaufsliste sie standen.“
 

„Und? Das wäre schon einmal ein Anfang. Er verhöhnt die Mädchen. Er sagt ihnen schaut, ich halte euch fest. Wenn ihr nur genug Mut hättet, wenn ihr eure Angst vor dem Schmerz ignoriert, dann seid ihr frei. Ihr habt es selbst in der Hand.“ Unrecht hatte er nicht. Sie hatten es hier nicht mit einem einfachen Menschenhändler zu tun, dessen Job darin bestand junge Mädchen zu verschleppen und in die Staaten zu verschiffen. Dieser Mann nutzte seine Position, um sadistische Triebe auszuleben und dem ganzen einen - in seinen Augen - tieferen Sinn zu geben. Was sie unweigerlich zu der Frage führen würde, ob sie es hier wirklich mit einem Mann zu tun hatten oder, ob es nicht einer der äußerst geringen Fälle war, wo sie es doch mit einer Frau in einer solchen Position zu tun hatten. Obgleich ein solcher Umstand es in mancher Hinsicht leichter machen würde, waren Frauen doch schwerer aufzuspüren als Männer. Sie hielten sich eher im Verborgenen und hatten nicht das Bedürfnis ihre Macht offen zu zeigen.
 

„Gut, ich spiele mit. Woher kam der Container?“
 

„Das Schiff kam aus Schweden. Sie wissen noch nicht, ob der Container auch von dort stammt oder die Mädchen an einem anderen Ort gefangen genommen wurden.“
 

„Wir wissen es also nicht.“ Franky seufzte entnervt auf und fuhr sich mit einer Hand durch das stoppelige Haar. Robin verstand seine Frustration. Er war schon immer mehr mit dem Herzen bei der Sache gewesen und hatte es in all den Jahren nie geschafft eine wirkliche Mauer um sich herum zu ziehen. Auf der einen Seite schätzte sie diese Eigenschaft sehr an ihm. Sie könnte mit niemandem zusammenarbeiten, dem die Dinge völlig egal waren. Es reichte, wenn sie diejenige war, die das alles etwas rationaler betrachtete. Dennoch machte sie sich manchmal sorgen darum, dass es irgendwann diesen einen Fall geben würde, der ihn nie wieder loslassen und zerstören würde. Es wäre durchaus keine Seltenheit. Jeder von ihnen kannte mindestens einen Kollegen, bei dem es so gewesen war. Robin wollte sich selbst dieses Schicksal ersparen und achtete daher sehr genau auf sich und ihre Mauer.
 

„Sie werden es schon herausfinden. Robin, das hier ist nicht irgendeine Stadt.“ Nein, das war es nicht. Sie wusste, dass es in gewisser Weise eine persönliche Verbindung zu all dem gab. Auch für sie. Doch während er dazu neigte das ganze aus nostalgischen Gründen zu einer persönlichen Sache zu machen und einen Fall anzunehmen, der unhaltbar war, neigte Robin eher dazu das alles hinter sich zu lassen. Sie beide verbanden völlig unterschiedliche Gefühle mit dieser Stadt und Franky maß seinen Gefühlen einen höheren Stellenwert zu. Etwas das er sicherlich nicht aus böser Absicht tat aber das Robin dazu zwang hier besonders viel Vorsicht walten zu lassen. Sie würde ihn einfangen müssen, wenn er drohte sich darin zu verlieren.
 

„Und wie lange willst du darauf warten, dass sie etwas herausfinden?“
 

„Wie schnell willst du das Handtuch werfen?“ Für einen Moment blickten sie sich einfach nur in die Augen. Das ganze gleich als gescheitert zu erachten war vielleicht nicht fair und doch wusste Robin die Zeichen zu deuten und die waren alles andere als gut. Es schrie für sie nach Korruption. Sah er das wirklich nicht?
 

„Hör zu, ich sage ja nicht, dass das alles gut ist“; versuchte er sich dann auch wieder herauszureden. Er war noch nie gut darin gewesen seine Klappe zu halten und ertrug Stille nicht besonders gut. Franky war laut, redete manchmal zu viel und Robin wusste, dass sie nur lange genug schweigen musste, um ihn weich zu bekommen. An der Stelle unterschieden sich ihre Gemüter deutlich und für Außenstehende mochte es vielleicht so wirken, als würden sie deswegen als Team nicht gut funktionieren können. Robin erachtete diese Gegensätzlichkeit allerdings als ihre größte Stärke, da sie sich so sehr gut ergänzten und die Schwächen des anderen ausgleichen konnten.
 

„Ich sage nur, lass uns einen genaueren Blick darauf werden. Du hast recht, die Sache stinkt und wir müssen vorsichtig sein aber sind wir das nicht immer?“ Darüber ließ sich sicherlich streiten. Und dennoch mussten sie manchmal einfach Kompromisse eingehen und hier war es wohl an ihr einen Schritt auf ihn zuzugehen. Robin seufzte schwer und richtete ihren Blick wieder auf den Container.
 

„Zwei Tage. Ich werde in das Haus meiner Mutter fahren. Solange der Ausweis nicht auftaucht gibt es für mich keinen Grund mich hiermit zu beschäftigen. Mach so lange was du willst.“ Er würde sie ohnehin auf dem laufenden halten, wenn sich in den Tagen etwas ergeben würde, da musste man sich nichts einbilden. Jeder noch so kleine Durchbruch würde bei ihr landen und in Echtzeit dokumentiert werden. In zwei Tagen konnten sie die Sache noch einmal bewerten auch, wenn sie doch sehr stark bezweifelte, dass sich etwas neues ergeben würde, was ihre Meinung grundlegend ändern würde. Sie sollte also versuchen es positiv zu sehen, immerhin bedeutete es, dass sie nun zwei freie Tage vor sich hatte. Es gab zwar bessere Orte an denen sie diese verbringen könnte, doch da freie Zeit in ihrem Job rar war wusste sie darum, dass sie diese besser nutzen sollte.
 

„Super! Du wirst schon sehen, wir werden etwas finden!“ Sein Optimismus war manchmal schon erschreckend. Robin würde das alles aber auch einfach nur abwinken und sich dann von der Kiste abstoßen, um nach ihrer Tasche zu greifen und sich diese über die Schulter zu werden. Franky würde hier sicherlich noch eine Weile beschäftigt sein und Gespräche führen, doch sie würde sich keine Minute länger damit befassen und sich deswegen auch lieber auf den Weg machen, um endlich von diesem deprimierenden Ort zu verschwinden.
 


 

***
 


 

Am Ende hatte sie sich ein Taxi genommen. Es war das einfachste, denn nachdem sie von ihrem letzten Auftrag aus direkt hierher geflogen waren, hatten sie keine Zeit gehabt ihr Gepäck loszuwerden. Man hatte sie direkt zur Polizeistation gebracht und dort waren sie die letzten Stunden mit diesem Fall beschäftigt gewesen. Zeit die ihnen nur gezeigt hatte, dass die hiesige Polizei ein großes Problem hatte, dem sie so einfach nicht Herr werden konnten. Doch das wollte Robin nicht zu ihrem Problem machen und deswegen würde sie die Gedanken an diesen Fall auch weit weg von sich schieben in dem Moment, in dem die Tür ins Schloss fiel.

Für einen Moment stand sie einfach da, nahm die Konturen des Flures durch das fahle Licht auf und atmete tief ein. Die Luft roch stickig und abgestanden. Sie würde erst einmal lüften müssen, um hier richtig atmen zu können. Eine klare Aufgabe, der sie auch nachkommen konnte ohne sich weiter mit anderen Details befassen zu müssen. Sie würde links in das Wohnzimmer treten, nachdem sie ihre Reisetasche und den Rucksack im Flur hatte stehen lassen. Das Licht blieb ausgeschaltet. Robin war in diesen Räumen aufgewachsen und später hatte sie hier drinnen kaum etwas verändert. Sie würde sich sogar blind durch die Räume bewegen können, wenn es sein müsste, ohne gegen etwas zu stoßen.
 

Die Fenster wurden geöffnet und die Vorhänge zugezogen, damit sie später das spärliche Licht einschalten konnte ohne sich beobachtet zu fühlen. Etwas worauf sie allerdings noch verzichtete, da sie zunächst in die obere Etage gehen würde, um dort die Handlung zu wiederholen. Während es unten neben dem Wohnzimmer noch eine große Küche und ein Gästebad gab, befand sich oben das Schlafzimmer ihrer Mutter, das große Badezimmer, so wie Robin’s ehemaliges Kinderzimmer. Später hatte sie den Raum in ein Arbeitszimmer umgebaut. Allgemein erinnerte nur noch sehr wenig an Robin’s Kindheit. Zumindest, wenn man sich die Einrichtung der Räume ansehen würde.
 

Dennoch war da das knarzen der vorletzten Treppenstufe, welches noch immer zu hören wäre, würde Robin diese nicht automatisch überspringen so, wie sie es sich in ihrer Kindheit angewöhnt hatte, um ihre Mutter Nachts nicht zu wecken. Da waren noch die Kerben im Türrahmen, wenn sie mal wieder ihre Körpergröße abgemessen hatte um ihrer Mutter stolz zu zeigen, dass sie wieder ein paar Zentimeter größer geworden war. Und da war das Gitter des Lüftungsschachts’s in ihrem alten Zimmer, in dem sie früher immer ihre wertvollsten Dinge versteckt hatte. Es waren Kleinigkeiten, die die Jahre überdauert hatten, die nicht vergessen waren und das Haus für Robin einzigartig machten. Sie liebte und hasste diesen Ort gleichermaßen.
 

Sie liebte ihn, weil sie hier den Glücklichsten Teil ihrer Kindheit verbracht hatte. Die Zeit, die sie hier mit ihrer Mutter geteilt hatte war geprägt von Liebe und Fürsorge. Unzählige Bücher hatten sie gemeinsam gelesen und ihre Mutter hatte ihr die Geheimnisse von Geschichte und Schrift näher gebracht. Von ihr hatte sie gelernt stets neugierig zu sein und die Welt mit einem wachsamen Blick zu betrachten. Alles Eigenschaften, die Robin auch heute noch prägten. Doch viel mehr als das prägte sie wohl eine einzige Nacht in der ihr Leben für immer aus den Fugen gerissen worden war.
 

Nachdem sie die Fenster geöffnet hatte warf sie einen kurzen Blick in das Schlafzimmer. Das Bett war nicht bezogen und auch, wenn Robin seit Wochen, fast Monaten nicht hier gewesen war, war alles sauber und ordentlich. Etwas das aber nur deswegen möglich war, weil sie eine Haushälterin beschäftigte, die gelegentlich nach dem rechten sah und das Haus in Ordnung hielt. Ihr war es auch zu verdanken, dass nun alles hergerichtet war und auch, dass sie vermutlich keinen leeren Kühlschrank vorfinden würde. Es würde ihr die nächsten Tage etwas leichter machen und vielleicht würde sie dem Haus mit etwas weniger Argwohn entgegentreten.
 

Auf dem Weg hinunter würde sie auf die vorletzte Stufe treten und das vertraute Knarzen hören, welches sie mit einigen Erinnerungen auf ihrem Weg hinunter begleiten würde. Robin konnte sich lachen hören, ihre Mutter, die ihr zurief, dass das Essen bald fertig wäre. Es erinnerte sie an Wärme und Liebe. Und daran, als sie das Knarzen einmal zu viel gehört hatte. Als sie davon geweckt worden war und instinktiv wusste, dass es nicht ihre Mutter sein konnte, die da die Treppe hinauf kam. Würde man sie fragen, dann könnte Robin vermutlich jede Sekunde dieser Nacht wiedergeben. Es war als wäre es erst gestern gewesen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten versuchte sie zu vergessen, versuchte den Schmerz nicht mehr an sich heran zu lassen. Und wenn sie ehrlich war, dann war genau das der Grund, warum sie versuchte so wenig Zeit wie möglich in diesem Haus zu verbringen. Weil es hier unmöglich war sich von diesen Erinnerungen zu lösen. Bereits jetzt konnte sie deutlich spüren, wie es etwas in ihr aufwühlte und sie damit rechnen musste, dass sie eine unruhige Nacht haben würde.
 

Sie begab sich durch die untere Etage zur Küche, wo sie sich eine Flasche Wasser nehmen und sich ein Glas einschenken würde. Mit diesem lehnte sie sich an die Küchenzeile und ließ ihren Blick durch das Untergeschoss gleiten. Noch immer hatte sie kein Licht eingeschaltet und es war fraglich, ob sie das noch tun würde. Denn wenn Robin ehrlich war, dann wusste sie in diesem Moment nicht einmal, ob sie den Abend überhaupt in diesem Haus verbringen würde. Manch einer würde sie sicherlich fragen, warum sie das Haus nicht einfach verkaufte, wenn sie ein solches Problem mit den Umständen hatte, doch auch das war nicht so einfach zu beantworten.
 

Nach dem Tod ihrer Mutter war Robin bei ihrer Tante und ihrem Onkel untergekommen. Die Familienverhältnisse waren gelinde gesagt schwierig gewesen. Das Haus hatte in dieser Zeit leer gestanden, da es als Robin’s Erbe auch nicht hatte verkauft werden können. Ihre Verwandten waren lediglich die Verwalter gewesen, bis Robin irgendwann alt genug gewesen war, um auszuziehen und sich selbst um das Haus zu kümmern. Es war damals ihre einzige Zuflucht gewesen. Und, obwohl das Haus schrecklich heruntergekommen gewesen war, war es alles gewesen, was sie gehabt hatte. Es hatte Monate gedauert, bis sie das Haus wieder halbwegs hergerichtet hatte, obgleich es immer eine Zerrissenheit zwischen Hoffnung und Schmerz gewesen war.
 

Irgendwann war sie ausgebrochen, doch es war ihr nicht möglich gewesen einen klaren Schnitt zu machen und das Haus zu verkaufen. Und so war es auch heute noch immer ein Rückzugsort, wann immer sie in der Stadt war auch, wenn sie diese inzwischen nicht mehr als ihre Heimat bezeichnete. Robin lebte in der Welt und dort, wohin ihr Job sie brachte. Zumindest, wenn es um diesen Job ging. Robin hatte noch einen weiteren Job, als Professorin und lebte sonst in einer kleinen Wohnung in der Nähe der Universität. Eine Tätigkeit bei der sie allerdings nur einzelne Seminare abhielt und sich ansonsten doch lieber der Forschung widmete. Ein Umstand der es ihr ermöglichte mit Franky zusammen zu arbeiten durch den sie eher zufällig in diese andere Welt des Verbrechens hineingerutscht war. Er hatte Hilfe bei einem Fall gebraucht und sie um Rat gefragt. Seither arbeiteten sie als Team zusammen. Ob sie es für den Ausgleich tat oder, ob Robin doch darauf hoffte irgendwann die Chance zu haben etwas in ihrer eigenen Vergangenheit zu lösen, das vermochte sie nicht zu sagen. Auch das war eher eine Frage, die sie lieber ignorierte und darauf hoffte, dass sich ihr Unterbewusstsein nicht zu viele Hoffnungen machte.
 

Durch diese Umstände befand sich alles was sie besaß, was sie brauchte, befand sich in der Reisetasche, die sie noch immer im Flur liegen hatte. Es war erstaunlich, wie wenig der Mensch eigentlich zum überleben brauchte, wenn es darauf ankam. Sie brauchte wahrlich nicht viel und alles, was sie zusätzlich besitzen würde, würde Robin nur als unnötigen Ballast empfinden. Was nicht bedeutete, dass das Haus minimalistisch eingerichtet wäre. Sie schaffte sich nur eben nichts neues an.
 

Robin würde das Glas leeren und sich dann wieder auf den Weg machen, um auf einer Runde die unteren Fenster wieder zu schließen und auf dem Weg durch den Flur ihre Tasche einzusammeln und sich mit ihr wieder auf den Weg hinauf zu machen. Eine konkrete Entscheidung für den Abend hatte sie zwar noch nicht getroffen, doch es würde wohl nicht darauf hinauslaufen, dass sie hier bleiben und sich mit einem guten Buch entspannt zurücklehnen würde. Der erste Abend war meistens der schlimmste und deswegen würde sie wohl etwas Ablenkung suchen. Raus aus diesem Haus und sehen, wie sich die Stadt seit ihrem letzten Besuch verändert hatte.
 

Die Tasche würde in ihrem Schlafzimmer abgestellt werden und Robin würde sich ihrer Sachen entledigen. Handy und Ausweis landeten auf der Kommode, während sie anschließend ihre Kleidung ablegen und auf einen Stuhl werfen würde, der neben der Kommode stand. Egal wie sie ihren Abend gestalten würde oder auch nicht; das wichtigste war für sie die Möglichkeit auf eine Dusche, um sich diesen Tag vom Körper zu waschen. Den Geruch des Todes. Eine ihrer Ex-Partnerinnen hatte es einmal so beschrieben und das, obgleich Robin nur in äußerst seltenen Fällen wirklich mit Toten zu tun hatte. Nur dann, wenn es für ihre Arbeit wirklich wichtig war einen Tatort oder eine Leiche zu sehen. Das kam allerdings nur in den seltensten Fällen vor und war kein fester Bestandteil ihrer Arbeit. Vielleicht hatte ihr damals auch der Gedanke ausgereicht, dass Robin einen solchen Fall auf den Tisch bekommen könnte. So oder so war es etwas an das sie sich stets erinnerte und seither musste sie einfach eine Dusche nehmen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam. Ein Ritual, das ein fester Bestandteil geworden war und das Robin ein Gewohnheitstier war und eine gewisse Ordnung brauchte, das könnte Franky sicherlich am besten beurteilen. Er war allerdings kein besonderer Fan davon und hatte sicherlich am meisten darunter zu leiden. Auf der anderen Seite hatte sie an seiner Unpünktlichkeit und seinem Chaos zu leiden. Gegensätze. Das waren sie und dennoch funktionierten sie schon seit etlichen Jahren besonders gut.
 

Der Weg führte sie in ihr Badezimmer und dann unter die Regendusche. Es tat gut sich von diesem Tag zu distanzieren und die Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Und das bedeutete zumindest sich Gedanken darüber zu machen in welche Bar sie gehen wollte. Vielleicht blieb sie auch einfach bei dem was sie kannte und würde daraus keine Wissenschaft machen. Nach so einem Tag konnte das sonst nur zu Kopfschmerzen führen und das war das letzte was sie brauchte.
 

Und, um das alles dann auch einfach zu vereinfachen, würde sie die Entscheidung dann auch für sich treffen mit dem Moment in dem sie dann auch wieder aus der Dusche steigen würde. In bekannten Gefilden konnte sie zumindest keine böse Überraschung erwarten und ein ruhiger Abend wäre gesichert. Wenn Franky sie schon dazu zwang länger als nötig in dieser Stadt zu bleiben, dann wollte sie wenigstens das beste daraus machen und sich nicht mit ihren persönlichen Dämonen herumschlagen müssen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: robin-chan
2023-09-01T15:08:17+00:00 01.09.2023 17:08
Aaah, ich muss mich wiederholen, aber die düstere Richtung gefällt mir :D Bisschen sagt mir das Gefühl, dass das ein Rollercoaster wird? xD bzw. lernen sie sich vielleicht an dem Abend kennen, wenn Robin ausgeht? :P
Robin und Franky sind und bleiben für mich immer noch das beste Duo. Sie ergänzen sich einfach perfekt, was hier genauso wieder rauskommt. Wobei er tatsächlich jemand ist, der bei so einem Job nur den richtigen Fall braucht ... ob das hier noch mal passieren wird?
Bei den Containern musste ich irgendwie an das Opening von Black Widow denken, wie alle hinein gezerrt werden. Kein Wunder, dass man über den Verlust nicht allzu erfreut ist. Das führt natürlich zu spezielleren Untersuchungen, wobei ... man muss eben nur wissen, wie man die Beweise vernichtet. Und zwei Tage. Also irgendetwas wird dann wohl in den Tagen passieren, das sie länger bleiben. Als ob Robin nur zwei Tage bleibt pff... ne. Das passiert nicht. Okay, auch hier fände mein Kopf gerade Möglichkeiten. Mir gefällt auch das mit dem Haus. Man kann eben einen Ort lieben und hassen zugleich. Schätze, man wird auf diesbezüglich noch mehr erfahren? war ja leider nur etwas angerissen :P
Ich glaube ich muss nicht sagen, dass ich das nächste kaum erwarten kann :)


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