Zum Inhalt der Seite

Deep down

grows our greatest strength
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

leverage


 

2023 - New York - Tag 1
 


 

„Er wartet. Komm endlich.“ Entnervt stand er in der Tür, hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Deutlich konnte sie seine Blicke in ihrem Nacken spüren. Seit geschlagenen zehn Minuten stand er da und hielt sie von der Arbeit ab, obgleich er wirklich wissen sollte, dass es so eher länger dauerte, anstatt das es schneller ging. Noch ein Grund, warum sie ihn ignorierte und lieber über ihren Schreibtisch gebeugt blieb, um die Banknote weiterhin unter ihrer Lupe zu betrachten, die sie langsam weiter über das Stück Papier schob und jeden einzelnen Millimeter genau in Augenschein nahm. Zwischendurch hob sie den Blick und sah herüber auf ihr Tablet, um dort dann auch ein paar Notizen zu machen. Sie würde all diese Anmerkungen weitergeben müssen und dabei ging es um nicht weniger als Perfektion. Das war es, was von ihr verlangt wurde und gleichzeitig auch ihr eigener Anspruch an sich selbst.
 

„Nami, jetzt!“
 

Sie seufzte tief in sich hinein, legte den iPen zur Seite und richtete sich auf. Ihr Rücken knackte leicht bei dem Wechsel in eine neue Haltung. Erst jetzt merkte sie, dass sie wieder einmal viel zu lange in ein und der selben Position verharrt hatte. Ihr Rücken dankte es ihr mit eindringlichen Schmerzen, die sie daran erinnerten, dass sie endlich wieder mehr Zeit für Sport finden sollte. Vielleicht würde sie es in der kommenden Woche schaffen. Das würde allerdings nur dann funktionieren, wenn er endlich zufrieden mit der Arbeit sein würde. Sie bezweifelte es.
 

„Mach dir nicht ins Hemd Ray. Du brauchst Urlaub.“ Oder eine Freundin. Wobei sie auch keiner Frau zumuten wollen würde sich mit diesem Arschloch zu befassen. Nami erlebte nicht viel von ihm und doch reichte es, um sicher zu sein, dass er keine guten Seiten an sich hatte. All die Jahre in denen sie ihn nun kannte hatte er sich nicht verändert. Das einzige, was darauf hindeutete, dass er älter geworden war, waren die grauen Strähnen, die sich langsam durch das schwarze Haar zogen und durch den streng gebundenen Zopf noch deutlicher hervortraten. Gegen seinen unfreundlichen Gesichtsausdruck half es dennoch nicht.
 

Sie war aufgestanden und griff nach ihrem Blazer, um sich diesen überzustreifen und den Raum zu verlassen. Man konnte sicherlich viel behaupten aber nicht, dass man hier wirklich seriösen Geschäften nachging und dennoch könnte jeder von ihnen diesen Eindruck vermitteln. Ein gepflegtes Auftreten war das mindeste. Niemand würde Ray ansehen, dass auf seinem Rücken ein riesiges Ornament in der Form eines Rochens prangerte, welches gleichzeitig die Ableitung seines Namens war. Sie wusste nicht wie er wirklich hieß. Das wusste niemand von dem jeweils anderen und war sicherlich auch nur eine der Vorsichtsmaßnahmen, die sie gleichzeitig aneinander banden. Denn das er eine Vorliebe für das Meer und seine Bewohner hatte war ein offenes Geheimnis und damit sicherlich die offensichtlichste Verbindung zwischen ihnen allen. Das es allerdings nicht nur ein merkwürdiger Tick war sondern weit mehr dahinter steckte, das hatte sie erst begriffen, als sie an der Reihe gewesen war, um ihr Tattoo zu erhalten und damit in die Familie aufgenommen zu werden. Doch während Ray und die anderen ihre Zeichen und die Namen mit stolz und Loyalität trugen, war es für sie nur ein Mittel zum Zweck. Ein unliebsamer Kompromiss, den sie hatte eingehen müssen, um zu überleben. Das Tattoo war dabei jedoch noch das was sie am ehesten verschmerzen konnte. Das Ablegen ihres Namens war einer Bestrafung gleich gekommen, obgleich Nami damals auch noch viel zu jung gewesen war, um zu begreifen was um sie herum geschah. Dennoch verdeckte sie gerne ihren Oberarm und den Hai, der dort von einer Welle umfangen wurde. Sie war die einzige, deren Tattoo eine direkte Verbindung zu ihm herstellte. Familie verband eben.
 

„Du solltest das ganze ernster nehmen. Er ist verdammt wütend“, murrte Ray nur neben ihr. Mochte ja sein, dass er zu viel Angst hatte, um dem ganzen mit etwas mehr Rückgrat zu begegnen, doch das war bei ihr schon immer anders gewesen. Vielleicht auch der Grund, warum sie überhaupt in diese Lage geraten war. Zwar gab es da noch andere Gründe, doch war es sicherlich mehr als das. Nami hatte schon immer Wiederworte gegeben, hatte sich nicht einschüchtern lassen. Ray nannte es dumm, doch bisher hatte es sie auch noch nicht umgebracht. Im Gegenteil. Nami. Welle. Der Name war sicher ihrer aufbrausenden Art zuzuschreiben. Wäre es anders hätte sie am Ende sicher einen beknackten Namen wie Star, als Anlehnung an einen Seestern oder Okta. Wobei letzterer schon vergeben war und zwar an den Mann, der in der unteren Etage auf sie wartete und unruhig auf und ab lief. Nami hatte ihn schon immer als den zugänglichsten von ihnen allen empfunden und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie genau er eigentlich hier herein passte. Sie kannte all diese Menschen seit über zwanzig Jahren und seit über zwanzig Jahren legte Okta diese merkwürdige Nervosität an den Tag, als hätte er sich noch immer nicht daran gewöhnt, womit er eigentlich sein Geld verdiente.
 

„Da seid ihr ja, warum hat das so lange gedauert?“
 

„Ich musst noch etwas fertig machen. Ihr wisst genau, dass meine Arbeit nicht besser wird, wenn ihr mir auf die Nerven geht“, wandte sie nur trocken ein. Es war ein ewiges Streitthema aber inzwischen glaubte sie nicht, dass sich darin noch einmal eine Besserung einstellen würde. Es war vergeblich, diese Kerle besaßen einfach nicht den nötigen Feinsinn oder Ahnung von Kunst. Und in gewisser Weise war es das, was Nami machte. Obgleich andere es sicherlich anders nennen würden.
 

„Versuch bloß nicht deine Fehler auf uns zu schieben.“ Okta rieb sich die Hände und schüttelte den Kopf. Offensichtlich erwartete er, dass sie versuchen würde irgendetwas auf sie abzuwälzen. Ein Gedanke der durchaus nicht unberechtigt war. Nami war nicht verlegen darum die Fehler und Versäumnisse anderer aufzuzeigen. Besonders nicht, wenn es auch tatsächlich so war. Als sie noch jünger gewesen war und sich einmal unerlaubter Weise aus dem Haus geschlichen hatte, um anschließend betrunken aufgegriffen zu werden, hatte sie allerdings die Schuld auf Okta geschoben. Es war tatsächlich das einzige Mal gewesen, wo Nami es bereut hatte. Die breite Narbe auf seiner Stirn erinnerte sie immer wieder daran was sie getan hatte und, dass Okta trotz allem geschwiegen und sie nicht verraten hatte.
 

„Wovon sprichst du?“ Fragte sie trocken, als sie sich an ihm vorbei schob und den Weg fortsetzte.
 

„Du hast deinen Job nicht richtig gemacht und der Boss ist ziemlich angefressen“, war es nun Ray der sie aufklärte und dabei für einen Moment ein fast schon hämisches Grinsen zeigte. Er gehörte sicherlich zu denjenigen, die bereits seit Jahren darauf wartete, dass sie einen Fehler machte und man sie ihnen zum Fraß vorwerfen würde.
 

„Er ist immer angefressen.“ Wirklich gute Laune hatte er nur, wenn andere unter seinen Entscheidungen litten. Ansonsten wirkte es so, als würde immer eine Gewitterwolke über seinem Kopf schweben und ihn könne nichts zufriedenstellen. Entsprechend fragte Nami sich nun, was genau man ihr mit dieser Aussage eigentlich sagen wollte. Wenn er sich erhoffte, dass Nami sich ängstlich oder unsicher zeigte, dann hatte er in den vergangenen Jahren wirklich nichts gelernt. Denn während Ray sicherlich auf jeden noch so kleinen Fehltritt von ihr wartete und sich danach verzehren würde das zu erleben, tat Nami alles dafür, damit genau das nicht passierte. Sie würde sich im wahrsten Sinne lieber eine Hand abhacken, als zuzulassen, dass er diese Genugtuung bekommen würde.
 

„Das ist was anderes“; setzte Ray noch einmal nach, während sie sich nun gemeinsam auf den Weg machten. Nami führte die kleine Gruppe an und konnte in ihrem Rücken die beiden, großbewachsenen Kerle spüren. Okta’s unruhiges Atmen drang unerträglich Laut an ihre Ohren, während sie das Gefühl hatte Ray’s abfälliges Grinsen deutlich spüren zu können. Die beiden Männer könnten nicht unterschiedlicher sein und nicht zum ersten Mal fragte sich Nami wie es dazu gekommen war, dass ausgerechnet sie hier ihre gemeinsame Berufung gefunden hatten. Doch während diese Kerle nahezu alles über Nami, ihr Leben und ihre Vergangenheit zu wissen schienen, wusste sie selbst verschwindend gering. Es gab ein paar Puzzleteile, die sie hatte und auf dem Tisch herumschieben könnte und dennoch wäre sie nicht fähig damit ein ganzes Bild zu formen. Egal.
 

Ihre Gedanken verstreuten sich, als sie die laute Stimme hörte. Er schrie. „… bloß nicht ohne Ergebnisse zurück!“ Waren die ersten Worte, die sie von seinem Gebrüll verstehen konnte, als die Tür zu seinem Büro aufgestoßen wurde und ein schlaksiger, blonder Kerl heraus eilte. Die Tür schlug wieder hinter ihm zu, während Archer mit genervter Miene auf sie zugelaufen kam. Als Nami sein Tattoo das erste Mal gesehen hatte, bei dem sich die eher kleinen Fische sein Bein hinauf schlängelten, hatte sie nicht verstanden, warum er ausgerechnet diesen Fisch zugewiesen bekommen hatte. An der Größe lag es zumindest nicht, dafür aber an seinen durchaus überragenden Schussfähigkeiten. Er war Scharfschütze und konnte mit nahezu jeder Schusswaffe umgehen. Auch jetzt trug er eine an der Hüfte und zwei weitere in Holstern unter seinen Armen. Es mochte niedlich klingen, dass Schützenfische mit ihrer Spucke ihre Beute abschossen, doch an Archer war absolut gar nichts niedlich.
 

„Sieh zu, das du deine Scheiße wieder ausbügelst!“ Fuhr er Nami an, während er an der Gruppe vorbei lief. Okta atmete zittrig durch. Konnte er sich nicht einmal zusammenreißen? Er machte Nami ganz unruhig und es fiel ihr immer schwerer seine unruhige Stimmung hinter sich zu ignorieren. Und das musste sie, wenn sie nun dort hineingehen würde.
 

Kaum, dass sie die Tür erreicht hatten trat Ray an ihr vorbei und klopfte. Dabei richtete er den Blick auf sie und bemaß sie noch einmal mit einem schadenfrohen Blick. „Viel Spaß Prinzessin“, wünschte er noch, bevor sich die Tür öffnete. „Wir warten hier auf dich.“ Nami hatte keinen Zweifel daran. Selbst wenn die Befehle andere sein würden, er würde sich keinen Millimeter weg bewegen, damit auch auch ja nichts von dem verpassen würde, was nun kommen würde. Sie schaffte es gerade so nicht die Augen zu verdrehen und sich lieber auf das zu konzentrieren was vor ihr lag.
 

Sie betrat den großen Raum, der nur von dem Licht erhellt wurde, welches das riesige Aquarium ausstrahlte, das die gesamte hintere Seite des Zimmers einnahm und fast bis unter die Decke reichte. Würde man nicht wissen, dass es einen Zugang über die obere Etage gab, dann müsste man sich nun fragen, wie es möglich war, dass die Fische ihr Futter bekamen. Es war alles eine gut gemeinte Illusion. Das Becken erhellte den Raum in einem kühlen blau, während man die verschiednen Fische beobachten konnte, die darin herum schwammen und sich von einer Seite zur anderen bewegten. Ein träges, monotones Leben, welches diese Exoten dort fristen mussten. Und Exoten waren sie tatsächlich. Sie wollte gar nicht erst wissen, wie viel Geld diese Anlage verschlang. Es gab extra Personal, welches nur dafür zuständig war, dass es den Fischen gut ging und diese Exoten überlebten von denen sicher kein einziger auf legale Weise den Weg hierher gefunden hatte. Wenn man einmal ausblendete, dass es das Leben dieser wunderbaren Tiere drastisch verkürzte und Ökosysteme beschädigt wurden, dann konnte das ganze sogar recht ansehnlich und beruhigend wirken.
 

Vor dem Aquarium befand sich ein riesiger Schreibtisch, massiv, schönes Holz und lediglich ein zur Show stellen des eigenen Ego’s. Wie alles was sich in diesem Raum befand. Dahinter saß ein großer, breit gebauter Mann. Er trug ein Hemd in einem hellen Lila, Flieder vielleicht, welches sich gut von der etwas dunkleren Haut abhob. Der Hang zu Maorizeichnungen und Tattoo’s kam nicht von ungefähr musste man hier festhalten.
 

Aron Sawyer sprach nie über seine Vergangenheit, über seine Herkunft. Und niemand würde es wagen ihm eine persönliche Frage zu stellen. Die bedrohliche, lauernde Ruhe die er ausstrahlte hinderte die meisten schon daran überhaupt den Mund in seiner Gegenwart zu öffnen und einen Mucks von sich zu geben. Ansonsten würde Nami ihn als durchschnittlichen Kerl bezeichnen. Das dunkle, leicht gelockte Haar fiel ihm bis auf die Schultern, wenn er es offen trug. Seine Statur zeigte, dass er regelmäßig und hart trainierte, während sein Gesicht eher durchschnittlich war. Ein breiter Mund mit schmalen Lippen und eine Nase, die mit ihrer Größe und Länge hervortrat, die durchaus ungewöhnlich und fast schon irritierender war. Seit ihm ein Stück des linken Nasenflügels fehlte - welches er bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei zugezogen hatte - war es noch irritierender.
 

Während Nami mit ruhigen Schritten auf den Schreibtisch zulief folgen die dunklen Augen ihr ohne, dass er etwas sagte. Das tat er auch nicht, als Nami schließlich vor ihm zum stehen kam. Auf dem Tisch selbst befand sich nicht viel, er liebte seine Ordnung. Ein MacBook lag da, zugeklappt. Ein Füller in Gold gehalten, ein Hai, der in Bronze gegossen war und als Skulptur auf der linken Tischseite stand. Und dann, war da noch etwas. Nami zog die Brauen zusammen und richtete den Blick auf den Gegenstand, den er zwischen seinen Fingern drehte und dann schließlich zwischen sie beide auf den Tisch legte, damit sie einen genaueren Blick darauf riskieren konnte.
 

„Was ist das?“ Seine Stimme war ruhig und doch konnte Nami die Drohung spüren, die damit verbunden war. Sie hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und versuchte so gelassen wie nur möglich zu bleiben. Es gab schon oft Auseinandersetzungen und Streit. Momente in denen er mit ihrer Arbeit nicht zufrieden gewesen war. Es war ihr nicht fremd und doch wusste Nami instinktiv, dass das hier etwas anderes war.
 

„Eine ID Karte.“ Nami bemühte sich die Worte möglichst locker klingen zu lassen, obgleich sie wusste, dass das nur die halbe Wahrheit war. Es war nicht irgendeine ID Karte. Es war eine ID, die sie vor geraumer Zeit hatte anfertigen sollen und bei der sie bereits damals ein schlechtes Gefühl gehabt hatte. Wenn Aron etwas brauchte, dann war es ihre Aufgabe es zu fälschen. Seien es Lieferscheine, Checks, Ausweise oder Geld. Egal wie schwer oder unmöglich es erscheinen mochte, sie musste es möglich machen, obgleich es durchaus technische Grenzen gab, die sie nicht überwinden konnte. Um ihr die dazu nötigen Fähigkeiten zu verschaffen hatte er ihr nicht nur ein teures Kunststudium finanziert sondern auch ein Praktikum bei einer Bundesbank arrangiert. Die Beziehung zu dem Kerl aus der Bundesdruckerei, die sie für zwei Jahre gepflegt hatte, um an wichtige Informationen zu gelangen war bisher allerdings der Gipfel des ganzen. Natürlich gab es auch andere Leute von denen man lernen konnte, andere Fälscher die ihr Wissen weitergaben, wenn man sie dazu brachte. Seit fünfzehn Jahren lernte sie ihr Handwerk auf den verschiedensten Ebenen, denn Aron war nicht dafür bekannt nur auf ein Pferd zu setzen. Und Informationen nur von einer Quelle zu erhalten war durchaus naiv. Wenn es um Ausweisdokumente oder Geld ging? Durchaus. Alles andere war aus Nami’s Sicht eher eine Spielerei.
 

Ihr Gegenüber verengte die Augen, sie konnte die aufsteigende Wut deutlich spüren. Wenn sie sich verschätzte und ihn nun dazu bringen würde auszurasten, dann würde sie dieses Gespräch nie wieder auf sicheren Boden lenken können, dessen war sie sich bewusst.
 

„Erklär mir.. warum mein Fahrer damit aufgeflogen ist und meinen Container nicht vom Hafen wegschaffen konnte.“ Nun, das war ungünstig. Nami sah ihm einen Moment in die Augen, dann griff sie nach der Karte und würde sie sich ansehen, einen Moment zwischen den Fingern drehen. Sie war nicht nachlässig und auch auf den ersten Blick gab es keinen offensichtlichen Fehler, der ihr ins Auge springen könnte. Es lag also nicht an ihrer schlampigen Arbeit.
 

„Haben sich die Sicherheitsanforderungen verändert?“ Fragte sie dann ruhig und würde die Karte wieder sinken lassen. Sie legte sie zurück auf den Schreibtisch und würde ihre Hand zurück in die Hosentasche schieben, während ihre Miene ungerührt blieb.
 

„Wenn es so wäre, warum weißt du nichts davon und gibst ein fehlerhaftes Dokument heraus?“
 

„Wenn bekannt ist, dass die Bestimmungen am Hafen sich neuerdings öfter verändern und verschärfen, warum bekomme ich dann erst einen Tag vorher bescheid, dass von dort Container geholt werden sollen und wir einen neuen Ausweis brauchen?“ Fordernd hob sie die Augenbrauen. Aron mochte es sicherlich nicht, wenn seine Mitarbeiter ihm nicht gehorchten und jemand aus der Reihe tanzte. Allerdings waren die Bedingungen für Nami schon immer andere gewesen auch, wenn sie nicht vermochte zu sagen woran genau das lag. Allerdings gab es ihr nun auch die Möglichkeit die Kritik zurück zu geben und deutlich zu machen, dass sie nicht die einzige war, die hier Mist gebaut hatte. Er wusste genau, dass er immer schnell das bekam was er verlangte, doch mit so kurzem Vorlauf war es schlichtweg unmöglich auch noch eine ausführliche Recherche über aktuelle Sicherheitsbestimmungen zu machen. Die sich normalerweise ohnehin nie drastisch veränderten. Kein Unternehmen gab alle zwei Minuten neue Ausweise heraus und sicherlich hatte Nami in diesem Fall einfach darauf spekuliert, dass es auch hier so sein würde. Das sie sich in diesem Fall verschätzt hatte war unglücklich, zumal sie sich auch denken konnte was das bedeutete.
 

„Mein Fahrer wurde festgenommen und der Container beschlagnahmt. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?“ Durchaus. Es bedeutete, dass die Polizei Nachforschungen anstellen würde. Man würde versuchen zu erfahren wem der Container gehörte, wo der Fahrer ihn hatte hinbringen sollen. Natürlich war Aron nicht so dumm einem einfachen Fahrer irgendwelche Informationen an die Hand zu geben, die ihn verraten könnten. Und es gab auch nur Verbindungen zu einer Scheinfirma, deren Briefkasten auf irgendeiner Insel im Pazifik lag. Man konnte nichts zurückverfolgen. Dennoch würde die Sache erst einmal breit getreten werden und das bedeutete wiederum, dass die Geschäfte nicht wie gewohnt über den Hafen laufen konnten. Er hasste es, wenn sich Pläne änderten und die Dinge nicht reibungslos liefen.
 

„Die Tatsache, dass wir dieses Gespräch führen und du den Ausweis hast sagen mir, dass du und dein Mann bei der Polizei alles im Griff habt“; wandte sie trocken ein. So war es doch. Der Ausweis war sicher nicht vom Hafen zurück zu ihm geflogen. Es handelte sich dabei um Beweismaterial, welches eigentlich in einem Beweismittelbeutel sicher, in der Aservatenkammer liegen sollte. Tat es aber nicht. Jemand wie Aron hatte natürlich auch jemanden bei der Polizei und dieser jemand schien bereits schwer damit beschäftigt zu sein Spuren zu verwischen und sich darum zu kümmern, dass man das ganze nicht weiter zurückverfolgen konnte.
 

Für einen Moment blickte er sie schweigend an, dann zogen sich die Lippen zu einem breiten Grinsen auseinander und sein schallendes Lachen dröhnte durch den Raum. Es amüsierte ihn jedes Mal auf’s neue, dass sie sich nicht von seiner schlechten Laune irritieren ließ. Okta hätte sich schon längst auf den Boden geworfen und um Vergebung gebeten. Auch so jemanden brauchte man unter seinen Leuten, doch es war offensichtlich, dass es ihn zunehmend langweilte, wenn alle nur Angst vor ihm hatten.
 

„Durchaus, die Lage ist unter Kontrolle auch, wenn ich es nicht leiden kann, dass die Bullen sich nun genauer umsehen werden und wir uns in nächster Zeit von unserer besten Seite zeigen müssen.“ Nami sah dabei zu, wie er sich erhob und sich auf den Weg zu der Minibar machte. Eiswürfel fielen in das Glas, während er eine der Flaschen aus dem Regal nahm und sich etwas einschenkte.
 

„Die habe ich ganz neu rein bekommen.. kommt aus Colorado“, erzählte er dabei und beobachtete wohl andächtig, wie die Flüssigkeit sich um die Eiswürfel schmiegte. Die Flasche wurde zugedreht und zwischen die anderen gestellt. Hier befand sich nur eine kleine Auswahl der aktuellen Lieblingstropfen, wie er es selbst gerne bezeichnete. Doch entgegen vieler Erwartungen handelte es sich dabei nicht um edlen Cognac, Scotch oder andere Alkoholiker. Nein, Aron sammelte und liebte Wasser. Er hatte Faschen aus den verschiedensten Ländern. Die teuerste Flasche hatte ihn 50.000 gekostet, wobei Nami sich sicher war, dass der Preis eher an den 24 Karat Goldüberzug der Flasche lag und weniger an dem Inhalt der aus Frankreich oder den Fidschi-Inseln stammte. Doch das spielte keine Rolle. So wie andere Menschen Briefmarken sammelten, sammelte Aron Wasser, Flaschen und genoss in seiner Freizeit die schönsten Tropfen. Es gab sicherlich schrägere Macken, die ein Kerl wie er haben konnte und, wenn man bedachte das er ungerne die Kontrolle verlor, dann war es durchaus passend.
 

„Weißt du, was ich nicht leiden kann?“ Er hatte sich wieder zu ihr herumgedreht. Nami wusste, dass es keine Frage war auf die er eine Antwort erwartete, also schwieg sie einfach und sah zu, wie er sich langsam auf sie zubewegte. Dabei trank er einen Schluck des Wassers. Während sie ihm mit dem Blick folgte war sie irgendwann gezwungen den Kopf leicht in den Nacken zu legen, um noch die Möglichkeit zu haben, ihm ins Gesicht sehen zu können. Er überragte sie um einiges und sicherlich war seine Größe auch etwas, das viele bereits einschüchterte ohne das sie wissen mussten, mit wem sie es zu tun hatten.
 

Er hob die Hand, die er zur Faust geballt hatte und drückte ihr die Fingerknöchel unter ihr Kinn, schob dabei ihren Kopf grob in den Nacken. Nami hatte Mühe dagegen zu halten und nicht das Gleichgewicht zu verlieren, obgleich sich seine Knöchel schmerzlich in ihre Haut bohrten.
 

„Ich kann es nicht leiden, wenn ich hinter meinen Leuten aufräumen muss, weil sie ihre verdammte Arbeit nicht machen.“ Die Atmosphäre im Raum hatte sich deutlich verändert. Sein Blick ließ keine Wiederworte zu und so konnte sie nichts anderes tun, als ihn einfach nur anzublicken. „Dir wird so ein Fehler nie wieder passieren. Ansonsten werde ich das niedliche Café deiner Schwester einstampfen und sie zurück ins Pearl holen, haben wir uns verstanden?“
 

Es gab sicherlich wenig, mit dem man ihr wirklich drohen konnte, doch das? Ja, das traf. Viel zu hart hatte Nami dafür gearbeitet wenigstens ihre Schwester aus der Schusslinie des ganzen zu ziehen, damit sie ihren Traum leben und ihr Café eröffnen konnte. Weg von dem Dreck, weg von all dem schlechten was Aron um sich herum anhäufte und mit dem er sie alle beschmutzte. Denn eines war klar; sollte diese ganze Sache irgendwann einmal hochgehen, dann würde er sie alle mit sich reißen und Nami würde dem nicht entgehen können. Sollte er es also ernst meinen, und das tat er, dann würde er ihrer Schwester alles nehmen, mehr als ihr Café. Das Pearl war für die einen der Himmel, für die anderen die Hölle auf Erden. Je nachdem auf welcher Seite man stand und in ihrem Fall wäre es letzteres.
 

„Ich sagte; hast du verstanden?“ Er war ihr nah gekommen, hatte sich zu ihr herunter gebeugt und die Faust unter ihrem Kinn gelöst. Dafür umfasste seine große Hand nun grob seinen Kiefer und drückte dort schmerzlich zu, so dass Nami kaum fähig war den Mund für eine Antwort zu öffnen.
 

„Verstanden“; brachte sie dann doch irgendwann mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Schmerz war unerträglich, sein Griff fühlte sich an wie ein Schraubstock, welcher sich immer enger um ihren Kiefer schloss und dafür sorgte, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Sie hasste ihn so sehr!
 

Aron nickte, stieß sie zurück und Nami stolperte ein paar Schritte nach hinten, konnte sich aber noch fangen, bevor sie das Gleichgewicht verlor. Mit gesenktem Blick griff sie nach ihrem Blazer, straffte diesen und richtete sich dann wieder auf. Regel Nummer eins: Zeig keine Schwäche.

„Und jetzt geh mir aus den Augen.“
 

Etwas das er ihr nicht zweimal sagen musste. Ohne ein weiteres Wort wandte sich Nami ab und würde sich auf den Weg machen, um das Zimmer zu verlassen. Noch immer konnte sie seinen Griff am Kiefer spüren. Wenn sie Pech hatte, dann würde sie die nächsten Tage damit verbringen die dunklen Male zu Überschminken, damit ihre Schwester sich keine unnötigen Sorgen machte.

Unverwandt stieß sie die Tür auf und zwang Ray damit einen Schritt zurückzutreten, um ihr auszuweichen. Sein Blick sagte ihr, dass er nicht zufrieden war und sich durchaus mehr erhofft hatte zu hören. Mehr Geschrei vielleicht oder das sie wenigstens heulend aus dem Büro kommen würde. Da weder das eine noch das andere der Fall waren konnte man ihm den Missfallen des ganzen deutlich ansehen.
 

„Was hat er gesagt?“ Okta klang unsicher, vielleicht machte er sich wirklich ernsthafte Gedanken, doch selbst wenn dem so war; Nami würde ihm keine ehrliche Antwort darauf geben.
 

„Das geht euch nichts an. Müsst ihr nicht arbeiten?!“ Fragte sie nur genervt zurück, doch jemand anderes sollte diese Frage für sie beantworten. Es war Aron, der die Stimme erhoben hatte und die beiden zu sich herein rief. Wenig freundlich und mit deutlichem Missfallen. Etwas das zumindest dafür sorgte, dass die beiden ihr nicht länger auf die Nerven gingen und sich in sein Büro hinein trollten. In so einer Phase war es besser ihn nicht warten zu lassen, zumindest wenn man seinen Ärger nicht auf sich ziehen wollte.
 

Zurück blieb Nami, die einen Moment durchatmete und sich über das Gesicht strich. Verdammte scheiße! Das traf es doch am besten. Aber sie konnte sich nicht weiter damit aufhalten. Sie musste hier raus, Abstand bekommen. Es war ein langer Tag gewesen, sie lag gut in der Zeit für die nächsten Aufträge und wenn sie nur eine Minute länger hier bleiben würde, dann würde sie durchdrehen. Sie wusste, dass der Fehler nicht bei ihr zu suchen war und Nami zweifelte nun gewiss nicht an sich oder ihrer eigenen Arbeit. Das, was sie daran so aufwühlte, war der Umstand, dass er ihre Schwester in das alles mit hineinzog. Doch das hatte er schon immer getan. Immer dann, wenn Nami nicht gehorcht hatte war es nicht sie gewesen, die den Preis dafür hatte zahlen müssen. Und doch hatte sie geglaubt, dass sie endlich über diesen Punkt hinweg waren und sie Nojiko aus seiner Schusslinie gebracht hatte. Scheinbar hatte sie sich schwer darin geirrt.
 

Ihr Weg führte sie ins untergeschoss und von dort aus weiter zur Garage. Wobei Garage es nicht ganz traf. In der Halle standen diverse Fahrzeuge, die von verschiedenen Fahrern besetzt werden konnten, wenn es sein Wunsch war. Um die Uhrzeit, und wenn keine Termine anstanden, war es hier allerdings ruhig. Zudem schien Nami Glück zu haben.
 

„Sieh an, was die Hölle da ausgespuckt hat. Was führt dich zu mir?“ Er ließ sein Handy sinken und grinste sie breit an. Das grüne Haar war ordentlich mit Gel zurückgestrichen, während die Ärmel seines Hemdes hoch gekrempelt waren. Die Krawatte hatte er gelöst und locker um den Hals hängen. Viel schlimmer war jedoch, dass er auf der Motorhaube eines Wagens im Schneidersitz hockte und es sich dort gemütlich gemacht hatte. Hätte ihn jemand anderes so erwischt, dann wäre das Donnerwetter sicher vorprogrammiert.
 

„Kannst du mich in die Stadt fahren?“
 

„So schlimm?“ Fragend hob er die Brauen und blickte sie forschend an. Ronan hatte nur ein Auge, über das andere zog sich eine große Narbe, die ihn hatte erblinden lassen. Daher auch sein Spitzname; Zorro. Er fiel sicherlich aus dem Muster des ganzen, war aber auch noch nicht besonders lange dabei. Drei Jahre spielte er nun schon den Fahrer für Aron und schien den Job noch immer nicht wirklich ernst zu nehmen. Allerdings war er kein Arschloch und auch wenn Nami ihn nicht als Freund bezeichnen würde, so war er zumindest ein Vertrauter.
 

„Ich will einfach nach Hause.“ Glücklicherweise wohnte sie nicht mehr hier. Es war ein Kampf gewesen, dass Aron sie hatte ausziehen lassen, doch Nami hatte nie verstanden was eigentlich sein Problem gewesen war. Ihnen war beiden klar, dass sie ihm nicht einfach davonlaufen würde.
 

Zorro sah sie schweigend an, nickte dann aber und schob sich sein Handy in die Hosentasche, bevor er sich dann von dem Wagen hinuntergleiten lassen würde. Ohne noch etwas zu sagen würde er einsteigen und Nami würde um den Wagen herumgehen, um auf der Rückbank einzusteigen und sich dort seufzend in den Sitz sinken zu lassen. Sie schloss die Augen, würde dabei lauschen, wie der Motor leise ansprang und der Wagen sich langsam in Bewegung setzte. Er würde langsam durch die Halle Fahren, aus dem Tor heraus, welches sich automatisch öffnete und dann die lange Auffahrt hinunter. Und mit jedem Meter würde sie mehr Abstand zwischen sich und dieses Anwesen bringen und ihr das Atmen ein wenig leichter machen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: robin-chan
2023-08-22T16:19:33+00:00 22.08.2023 18:19
Da sind ja dann schon ein paar Jährchen vergangen. Irgendwie überrascht es eben nicht, dass man Nojiko eher ihr Ding abziehen lässt. Für so ein Unterfangen ist Namis Talent eben deutlich brauchbarer. Und ich muss sagen: Ich habe mich bereits in das Setting verliebt.
Allein eben durch die ganzen Charaktere, die du passend in diese Welt wirst und dabei eben nicht auf ihre Züge vergisst. Auf weitere Interaktionen bin ich schon gespannt, wobei ich dann gerne mal sehen würde, wie der eine oder andere eine drauf bekommt ;)
Aber mit dem Sammeln von Wasser habe ich nicht gerechnet xD Das hat was!
Nami und ihre Konter ... wie sich das in Zukunft entwickelt? Rund um ihre Schwester? Noch stehen so viele Möglichkeiten offen, verdammt, ich brauche Nachschub um die Richtung auszumachen xD
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel - gib mir Drama ;)


Zurück