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Hungriger Fluss

05. Adventstürchen
von

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Kapitel 2


 

Erschöpft lies sich der rot-braunhaarige Junge auf einen umgekippten Baum nieder. Er schraubte erneut seine Wasserflasche auf, doch aus dieser kam nicht ein einziger Tropfen. Bei seinem jüngeren Begleiter sah es anders aus, aber er wollte diesen nicht nach Wasser fragen. Schließlich brauchte der Kleine es dringender. Außerdem würden sie bald an einen Fluss kommen, an denen sie den Vorrat wieder auffüllen konnten, so zumindest hatte Tico es gesagt. Der Jüngere sah sich um und blickte forschend alles um sie herum an, um sich zu orientieren. Die Sonne stand im Zenit und verwandelte den kühlen Wald in eine feuchte und heiße Sauna. Seit Stunden suchten sie nach der kleinen Gracia, welche vorgestern verschwunden war. Bisher gab es aber immer noch keine Spur von ihr und Peter hoffte einfach inständig, dass einer der anderen Suchtrupps sie finden würde. Wieso sie sich nicht einfach einen der anderen Trupps angeschlossen hatten, verstand der zweite Detektiv mit jeder Minute weniger. Er wischte sich den Schweiß von den Stirn und aus dem Gesicht, wenngleich es wenig Effekt hatte.

„Du weißt noch wo wir sind, oder Tico?“

„Natürlich Peter, aber wir sollten uns in einer Stunde auf den Rückweg machen. Bis wir zuhause sind, dämmert es wieder.“

Peter nickte verstehend und blickte sich um. Von dem Mädchen hatten sie nicht einmal eine Spur gefunden. Kein Fetzen von Kleidung, keine verlorenen Sachen, nichts. Er holte sein Handy heraus, welches hier zwar keinerlei Empfang mehr hatte. Diesen brauchte er auch aktuell nicht, schließlich wollte er sich noch einmal das Foto von dem Mädchen ansehen.

„Wo bist du nur?“, murmelte er zu sich selbst.

Hoffentlich würde heute Abend jemand von den anderen sagen können, sie gefunden zu haben. Ein Rascheln ließ Peter aufhorchen. Er blickte zu Tico herüber, welcher sich aber auch eine Pause auf einen Stein gegönnt hatte. Wieder hörte er ein Rascheln und diesmal konnte er es hinter sich lokalisieren. So drehte er sich um und sah gerade noch so, wie ein dunkelbrauner, lockiger Haarschopf in den Büschen verschwand. War das Jonathan? Wenn ja, was tat er hier?

„Sag Tico, wie weit ist das Lager vom Professor entfernt von hier? Kannst du es abschätzen?“

Der Kleinere wirkte überrascht bei der Frage, überlegte dann allerdings nur einen kleinen Moment, ehe er antwortete: „Schätzungsweise zwei Stunden Fußweg von hier. Wieso?“

Das war einfach viel zu weit entfernt. War das wirklich Jonathan gewesen oder trieb jemand anderes hier noch sein Unwesen, der ihm einfach ähnlich sah? War das der Dieb oder war Gracia von ihm entführt worden? Wie von der Tarantel gebissen, sprang der zweite Detektiv auf und eilte in die Richtung, in welche die Person eben verschwunden war. Ticos Rufe nahm er dabei gar nicht weiter wahr. Ein Fehler wie er bald feststellte.

Außer Atem kam der Rot-braunhaarige nach einer Weile an einer kleinen Quelle zum Stehen. Er stemmte seine Hände in die Seite und atmete tief durch, während er sich umsah. Doch niemand war zu sehen.

„TICO?!“, rief er fragend ohne dabei eine Antwort zu erhalten.

`Scheiße!´, dachte er dann bei sich.

Es war wirklich eine super Idee gewesen los zurennen. Was hatte er sich denn dabei gedacht? Wahrscheinlich, dass Tico ihm folgen würde, doch der Jüngere war nicht so schnell wie er, dass hätte ihm doch klar sein müssen. Noch einmal rief er nach den Mexikaner in der Hoffnung, dass dieser ihn hören und finden würde. Wie lautete die Faustregel beim Verlaufen? An Ort und Stelle bleiben. So kam er diesem nach, rief noch einmal laut Ticos Namen und hockte sich dann an die Quelle, um seinen starken Durst zu stillen. Als er damit fertig war und aufsah, traute er seinen Augen kaum. Nicht weit von ihm schlängelte sich ein breiter Fluss durch den Wald und am anderen Ufer von diesem saß ein kleines Mädchen in einem rosa Kleid, welches mit einem weißen Teddybären spielte.

„Gracia?“

Peter stand auf und machte einige Schritte auf den Fluss zu und rief erneut. Das Mädchen schien keinerlei Notiz von ihm zu nehmen. Plötzlich durchfuhr ein markerschütternder hoher Schrei die Ruhe des Waldes, aber auch diesen schien sie nicht zur hören. Peter hielt sich die Ohren zu, doch er wurde nicht leiser. Um ihn begann sich alles zu drehen. Dieser Schrei, diese Tonhöhe trieb ihn in den Wahnsinn und es hörte einfach nicht auf. Wieder warf er einen Blick zu Gracia, seine Sicht verschwamm, als er bemerkte, dass dort noch jemand bei ihr war. Dann wurde es dunkel um ihn herum.
 

„Ich glaube er kommt zu sich.“

„Peter? Hey, Kollege, hörst du mich?“

Der Angesprochene blinzelte gegen das helle Licht an, welches von der Decke des Hotelzimmers kam. Erschöpft rieb er sich über die Augen und massierte sich dann den Kopf. Bis auf das Summen des Ventilators und dem Atmen der Leute um ihn, war es still. Langsam begann er sich aufzurappeln und als ob jemand seine Gedanken gelesen hätte, wurde ihm ein Glas Wasser gereicht.

„Was ist passiert?“, fragte er, nachdem er getrunken hatte und blickte in die Runde.

Justus und Bob richteten ihren Blick auf Tico und seinen Bruder Ramon.

„Du bist los gelaufen und ich hab gleich versucht dir nach zu kommen, aber du warst so schnell. Dann hörte ich deine Rufe und versuchte denen zu folgen, aber dann habe ich die auch nicht mehr gehört. Ich hab dich dann weiter gesucht und bin irgendwann auf den Suchtrupp von Ramon gestoßen. Gemeinsam haben wir dich dann irgendwann in der Nähe des Flusses gefunden. Ramon hat dich zurück getragen, während die anderen noch weiter suchten“, fasste Tico das Geschehene kurz zusammen.

„Warum bist du überhaupt weggelaufen? Das war ziemlich gefährlich“, warf Ramon ein und sah mit einem schwer definierbaren Blick zu ihm.

Peter kratzte sich am Kopf und überlegte, was er sagen sollte, langsam kehrte die Erinnerung an das Geschehene zurück. Doch war es wirklich die Realität gewesen? Der zweite Detektiv entschied sich zumindest in der Gegenwart von Tico und Ramon nicht die Wahrheit zu sagen und erfand eine Notlüge. Er hatte einen unerträglichen Durst verspürt und hatte den Fluss aufsuchen wollen. Er hatte gehofft ihn anhand von Ticos vorheriger Beschreibung allein finden zu können. Diese Lüge war so schlecht, dass er selbst sie nicht geglaubt hätte. Aus welchen Gründen auch immer funktionierte sie jedoch bei den beiden Mexikanern.

„Ihr hättet euch wirklich noch mehr zu trinken mitnehmen sollen. Ihr drei seid die Temperaturen nicht gewöhnt. Die Dehydrierung hat dann wohl zu dem Kreislaufzusammenbruch geführt. Hast echt Glück gehabt, dass wir in der Nähe waren. Zukünftig keine zweier Teams mehr.“

Ramon warf seinen Bruder einen eindringlichen Blick zu, welcher etwas schuldbewusst zu Boden sah. Die drei Detektive ahnten, dass es anscheinend eine familiäre Regel dazu gab. Dann klatschte der ältere der beiden Brüder in die Hände und meinte, dass sie nun nach Hause gehen würden. Nachdem die Hotelzimmertür ins Schloss gefallen war, herrschte noch eine Weile schweigen, ehe sich Justus zur Wort meldete.

„Was war wirklich los, Zweiter? Was hast du ihnen verschwiegen und warum?“

Seinen Freunden konnte er wahrlich nichts vormachen, hatte er auch nicht vorgehabt. So erklärte er ihnen die ganze, sehr merkwürdige, Sache. Mit jedem Punkt zog Justus die Brauen höher und Bob hielt ab und an beim Mitschreiben inne. Als Peter schließlich endete, erlebte er etwas, was nicht häufig vorkam. Einen sprachlosen Justus, wenn auch nur für ein paar Minuten.

„Sicher, dass es Jonathan gewesen ist?“

„Wie ich gesagt habe, ich weiß es nicht. War er denn nicht im Lager bei euch?“

„Zu Anfang schon, aber danach haben wir uns auf das Lager an sich konzentriert. Da müssten wir Dr. Woolley fragen ob Jonathan die ganze Zeit bei ihm war“, meinte Bob.

„Selbst wenn, ist die Frage ob das Zeitfenster seiner Abwesenheit ausreicht um bei Peter gewesen zu sein.“

„Genau, weil laut Tico sind es zwei Stunden Fußmarsch vom Lager aus.“

„Was mich mehr interessiert ist die Tatsache, dass du Gracia gesehen hast.“

„Und sie nicht auf mich reagiert hat.“

„Das auch, ja.“

„Und das ich diesen Schrei gehört habe.“

„Nun… also was das angeht. Sei mir nicht böse Peter, aber vielleicht ist das wirklich dem Wassermangel und der Hitze geschuldet gewesen.“

„Ach ja, Justus, und wieso hat es mich erst da getroffen, nachdem ich was getrunken habe und nicht vorher?“, giftete Peter zurück.

„Weil du gelaufen bist vorher. Von einmal schnell trinken erholt sich der Körper nicht so schnell. Im Gegenteil, dass war ihm wahrscheinlich ein extrem zu viel“, versuchte Justus es zu begründen.

Von Peter erntete er nur ein beleidigtes Schnauben und Augenrollen.

„Hey Jungs, ist doch jetzt erst mal egal was passiert ist, wichtig ist doch nur, dass es dir gut geht. Lasst uns schlafen gehen und morgen schauen wir mal ob uns was in die Falle gegangen ist im Camp vom Professor. Wir sollten den Tag vielleicht ruhiger angehen lassen.“

Niemand unternahm auch nur den Versuch Bobs Vorschlag zu widersprechen und so erlosch das Licht schnell im Hotelzimmer.
 

Bob und Justus achteten am nächsten Morgen penibel darauf das Peter genug zum Frühstück aß und vor allem trank. Zwar versicherte der zweite Detektiv den beiden bereits beim Aufstehen, dass es ihm schon wieder sehr viel besser ginge, aber die Sorge der anderen ließ sich dadurch nicht wirklich vertreiben. Justus hatte mit dem Professor eine Zeit ausgemacht, um mit diesem gemeinsam zurück zum Lager zu fahren. Es war der allgemeine Tumult vor dem Hotel, der die Aufmerksamkeit der drei forderte, als sie sich zum Treffpunkt aufmachen wollten. Vor dem Hotel liefen die Männer des Ortes aufgeregt hin und her. Irgendwelche Sachen wurden umher gerufen, welche Justus bei dem Lärm nur schwer übersetzen konnte. In all dem Wirrwarr entdeckten sie Ramon am Rande davon. Neben ihm stand ein Mann, bei dem es sich um seinen Vater handeln musste. Die Ähnlichkeit war nur sehr schwer von der Hand zu weisen. Kurz um gingen die drei zu ihnen.

„Guten Morgen, Ramon. Was ist hier los?“, fragte Justus.

Der Angesprochene blickte starr auf einen imaginären Punkt und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Justus hatte schon die Befürchtung, dass ihn der andere nicht verstanden hatte und wollte schon seine Frage wiederholen, als dieser reagierte.

„Es ist schon wieder ein Kind verschwunden.“

„Was? Wann? Wie? Wer?“, kam es wie aus einem Mund von den dreien.

Eine laute männliche Stimme erhob sich aus der Masse und brachte zumindest ein wenig Ruhe ins Geschehen. Aufmerksam reckten Ramon und sein Vater die Köpfe in die Richtung des Sprechenden, die Antwort an die Detektive musste warten. Schweigsam hörten sie zu. Justus wagte es nicht zu übersetzen, während der Mann sprach. Als er verstummte, wechselten Ramon und sein Vater ein paar leise Worte, wobei Ramons Vater die drei Detektive kurz ansah.

„Wir machen uns jetzt auf die Suche nach Gracia und Karahni“, erklärte Ramon, „Es tut mir leid, aber wir haben keine Zeit mehr, um groß etwas zu erklären. Wir würden uns aber freuen, wenn ihr uns heute beim Abendessen beiwohnt. Gegen 20 Uhr, wenn es in Ordnung für euch ist, dann werden wir euch alles über Karahni erzählen. Hoffentlich auch, dass wir ihn und Gracia gefunden haben.“

Ramon versuchte sich an einem zuversichtlichen Lächeln. Er schaffte es jedoch nur mit viel Mühe dieses ein paar Sekunden aufrecht zu erhalten.
 

Im Lager war es ruhiger als die letzten Tage. Bis auf einen Dorfbewohner waren sie mit Jonathan und Dr. Woolley alleine. Die restlichen Helfer suchten alle nach den vermissten Kindern, deren Priorität höher lag, als Woolleys Expedition. Vom Professor hatten die drei Detektive auch endlich eine Karte des Waldes erhalten, welche erstaunlich detailliert war. Schnell konnte Peter den anderen beiden zeigen, wo er am Vortag Gracia gesehen hatte. Justus hatte beschlossen, dass sie sobald der Fall im Lager abgeschlossen war, sie sich weiter an der Suche nach den Kindern beteiligen würden. Dieses Mal aber alle zusammen. Keine Alleingänge, wobei Bob und er bedächtig Peter angesehen hatten.

Während Woolley und Jonathan sich um die neu entdeckte Spezies kümmerten, machten sich die drei Detektive auf den Weg zur aufgestellten Falle. Bei dieser handelte es sich um eine Überwachungskamera mit integriertem Nachtsichtmodus, welcher sich ab einer gewissen Dunkelheit von selbst anschaltete. Kurz um, Justus ganzer Stolz.

Wie gebannt starrten die drei auf die Aufzeichnungen der Kamera. Zuerst schien es so, als würde nichts passieren, doch dann schlich sich tatsächlich der Dieb ins Bild hinein. Er trug eine schwarze Maske, die ihm quer über das Gesicht ging. Seine Augen leuchteten hell, als er in die Kamera blickte. Blitzschnell griff er sich die Lebensmittel, welche dort herumlagen, und eine Pipettierhilfe aus Gummi. Dann entfloh der Dieb auf seinen Hinterbeinen in einer Mischung aus Pinguin-Watschelgang und Laufen. Ein puscheliger schwarz-weiß gestreifter Schwanz winkte der Kamera dabei zum Abschied zu.

„Ähm… Kollegen, da.. haben wir unseren Dieb“, brachte Justus als erstes heraus.

Die anderen beiden nickten nur. Wirklich überraschen hätte sie es wohl nicht sollen, trotzdem hatten sie irgendwie einen Menschen statt einem Waschbären erwartet. Sie hatten auf den Entführer von Gracia gehofft oder Gracia selbst. Enttäuscht bauten sie die Kamera ab und erstatteten dem Professor Bericht. Dieser war zwar sichtlich erleichtert, dass es keinen wirklichen Dieb gab. Er machte sich aber im selbem Moment auch Gedanken, wie er den Waschbären los und ob er seiner neu entdeckten Insektenspezies gefährlich werden konnte. Mit diesen Gedanken ließen sie Woolley und Jonathan allein zurück. Sie selbst kehrten ohne Umschweife zurück ins Dorf um zusehen, ob es dort Neuigkeiten gab. Dieses wirkte wie ausgestorben und auch die Jungs hielt es nicht allzu lange hier. Nachdem sie kurz in ihrem Hotelzimmer gewesen waren, machten sie sich mit der neuen Karte auf den Weg zu dem Waldeingang, welchen Peter und Tico den Tag zuvor eingeschlagen hatten. Erklärtes Ziel war es den Fluss wieder zu finden, an welchen der zweite Detektiv das Mädchen gesehen hatte.
 

Sie fanden den Ort schneller als sie gedacht hatten und Peter konnte sich sogar an die Umgebung erinnern. Nur eine Sache war merkwürdig. Die Quelle, aus welche er getrunken hatte, war nirgendwo zu finden. Während Bob und Justus sich einen vielsagenden Blick zu warfen und sich dem Fluss widmeten, suchte Peter nach der Quelle, welche wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien.

„Ich verstehe das nicht, sie war da. Ganz sicher. Hallo? Hört ihr mir überhaupt zu? Hey!“

Als Peter sich zu den anderen umdrehte, hatten diese bereits ihre Hosen soweit wie möglich hochgekrempelt und ihre Schuhe in die Hand genommen, um durch den Fluss zu waten. Genervt verdrehte er die Augen, ließ die Quellensuche, Quellensuche sein und tat es ihnen gleich. Am anderen Ufer angekommen teilten sich die drei sogleich auf, um nach Hinweisen zu suchen, die auf Gracias Aufenthalt deuteten. Nach zwei Stunden unterbrachen sie die Suche und gönnten sich eine ausgiebige Pause. Schließlich war es wieder ein warmer Tag und keiner wollte, dass sich die gestrige Szenerie wiederholte.

„Ehrlich gesagt, sieht es so aus, als sei hier niemand gewesen“, sprach Bob das aus, was alle dachten.

Es war nichts zu finden gewesen. Keine Fußspuren, keine abgebrochenen Zweige oder Halme, keine verlorenen Sachen. Nichts.

„Ich schwöre euch, ich habe sie hier gesehen. Genau hier“, bekräftigte Peter seine Aussage erneut.

„Wir glauben dir ja, Peter, aber die Faktenlage ist aktuell anders. Wir suchen gleich einfach noch weiter. Nochmal ganz von vorne und noch etwas weiter in die Richtung“, sagte Justus und deutete dabei hinter sich, „Vielleicht finden wir doch etwas.“

Peter seufzte und rieb sich über die Augen. Justus und Bob gaben sich wirklich Mühe, aber ihre Reaktionen waren zu leicht zu durchschauen. Justus hielt seine Aussage wahrscheinlich auch für eine Einbildung. Und Bob? Wahrscheinlich eben so. Mittlerweile glaubte er selbst nicht mehr an seinen Verstand. Die Quelle, aus der er getrunken hatte, war schließlich auch nicht echt gewesen.

Sie suchten noch eine Stunde weiter an der Stelle, das Ergebnis blieb allerdings das Gleiche wie zuvor. Schließlich gaben die drei es auf und entschieden sich dem Flusslauf weiter abwärts zu folgen und dort weiter zu suchen. Schweigsam trottete Peter den anderen hinterher, welche hin und wieder nach Gracia und Karahni riefen, jedoch keine Antwort erhielten. Peter suchte die Umgebung mit den Augen ab, wenngleich er diesen kaum noch zu trauen wagte. Immer wieder griff er nach der Wasserflasche und trank, um nicht wieder Halluzinationen zu bekommen. Die Wärme im Wald war unangenehm. Feucht und drückend. Völlig nassgeschwitzt machten die drei wieder eine Pause. Besonders Justus war die Luft ausgegangen, sein leichtes Übergewicht forderte den ersten Tribut. Wasserflaschen wanderten durch die Hände und Peters Vorrat neigte sich dem Ende.

„Wir sollten eine flache Flussstelle finden und diesen wieder überqueren. Damit wir raus aus dem Wald kommen. Peter hat kaum noch Wasser und unsere Flaschen haben auch nicht mehr viel drin. Außerdem könnten wir dann noch duschen, bevor wir zu den Sanchez Garcias oder Flores Sanchez‘s gehen“, erklärte Bob das weitere Vorgehen, wobei er sich schwer tat den korrekten Familiennamen von Tico herauszustellen.

Schließlich besaßen viele Mexikaner oft zwei Nachnamen und der der Mutter unterschied sich oft noch von dem des Vaters.

„Sanchez Garcias“, korrigierte Justus, „Der Nachname des Mannes ist der amtliche, wenngleich der eine Nachname von der Mutter mit weitervererbt wird an die Kindergeneration.“

„Wir können doch noch nicht aufhören zu suchen.“

Die beiden Detektive sahen zum zweiten herüber.

„Wir haben noch 3 Stunden, ehe es beginnt zu dämmern, lasst uns diese noch nutzen.“

„Peter, wir wollen die Kinder ja auch finden, aber wir haben nichts zu trinken mehr. Sei doch vernünftig. Wenn wir ohne trinken weiter bei diesen Temperaturen umher wandern, werden wir einer nach den anderen zusammenbrechen. Diesmal wird uns aber niemand so schnell finden.“

„Wenn wir weiter in Flussnähe bleiben, haben wir genug Wasser.“

„Du willst doch nicht etwa das Wasser daraus trinken?!“, meinte Bob entrüstet.

„Warum nicht?“

„Peter! Justus, sag was.“

Der dritte Detektiv blickte zu seinem Chef herüber, welcher dessen Meinung nicht sofort teilte, sondern nachdenklich an seiner Unterlippe herumspielte. Auch Bobs eindringlich klingende zweite Aufforderung, drang nicht ganz durch zu dem ersten Detektiv.

„Wir könnten wirklich noch etwas weitersuchen. Nur eine halbe Stunde noch, Bob, und dann kehren wir zurück.“

Der Kompromissvorschlag fand zumindest bei Peter sofort Anklang. Dann richtete sich der Sportlichere der drei etwas auf. Sein Ohr nahm etwas wahr, was ihm bis eben noch gar nicht aufgefallen war. Neugierig stand er auf und folgte dem Geräusch bis er auf eine Wasserquelle stieß. Ungläubig starrte er diese an. Bekam er schon wieder Halluzinationen? Obwohl er so viel getrunken hatte?

„Oh, das ist wesentlich besser, als das Flusswasser. Guck mal, Bob“, hörte er Justus hinter sich sprechen.

Kurz darauf begannen die beiden ihre Wasservorräte an der Quelle aufzufüllen. Beruhigt, dass es keine Einbildung war, tat es Peter ihnen gleich.
 

Sie folgten den Fluss noch etwas weiter bis dieser in einen noch größeren und breiteren mündete. Auch diesem folgten sie noch ein paar Meter, bis Justus feststellte, dass man diesen nicht einfach mit hochgekrempelten Hosen durchqueren konnte, da er zu tief war. So stand schnell fest, dass sie zu dem kleineren Fluss zurückkehren mussten, um wieder auf die andere Seite zu kommen. Wirklich viel hatten sie nicht erreicht, was jeden einzelnen von ihnen auf die eigene Art und Weise frustrierte. Nachdem sie wieder auf der richtigen Seite des Flusses waren blieben die drei plötzlich stehen.

„Da weint doch jemand, oder?“, fragte Bob und drehte den Kopf um die Richtung besser ausmachen zu können.

„GRACIA! KARAHNI?“, schrie Justus.

Sie lauschten, doch weder das Weinen verstummte, noch bekamen sie eine Antwort. Justus wiederholte die Namen, das Eregebnis blieb dasselbe.

„Ich glaube das Weinen kommt aus der Richtung“, meinte Peter und deutete mit dem Zeigefinger in Richtung des größeren Flusses.

„Ja, ich glaube du hast recht. Alles in Ordnung, Peter?“, fragte Bob.

„Ja. Ja, alles okay. Ich habe nur gerade irgendwie Kopfschmerzen bekommen.“

Der zweite Detektiv begann sich mit der einen Hand die Stirn zu massieren und schloss die Augen. Dann spürte er etwas kühles an seiner Hand. Als er die Augen wieder öffnete, hielt ihm Bob auffordernd eine Flasche Wasser hin. Ohne Widerworte nahm er diese und trank. Währenddessen hatte sich Justus ein wenig mehr zum großen Fluss bewegt und rief dort noch einmal nach den beiden Kindern.

„Bob! Peter! Kommt schnell!“

„Was hast du?“

„Seht mal, was ich gefunden habe“, sagte der erste Detektiv und hielt einen Plüschbären in die Höhe.

„Das ist derselbe mit dem ich Gracia habe spielen sehen“, erklärte Peter.

Nun riefen alle drei erneut die Namen, erhielten aber abermals keine Antwort und auch das Weinen war verstummt, wie sie feststellen mussten. Dafür setzte in Peters Gehörgang ein unangenehmer Ton ein, der ihm unbehaglicher weise vertraut vorkam und immer lauter zu werden schien. Aber war dieser wirklich in seinen Ohren zu hören? Oder in seinem Kopf? Die anderen beiden zumindest schienen ihn nicht wahrzunehmen.

„Lasst uns gehen.“

„Was? Peter, warum das denn? Wir haben gerade eine verdammt heiße Spur“, protestierte Justus.

„Bitte, lasst uns gehen“, flehte Peter.

Der Ton wurde tatsächlich immer lauter und schien eine Allianz mit den Kopfschmerzen eingegangen zu sein.

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Bob.

„Nein, mir geht es nicht gut“, gestand der zweite erschöpft ein.

„Wir sollten eh schon längst auf den Rückweg sein, Justus. Es dämmert bald.“

„Na gut, dann lasst uns gehen.“

Auch ohne Justus anzusehen, wusste Peter, dass der erste Detektiv mehr als unzufrieden mit der Situation war und morgen früh hier als erstes wieder hingehen würde.
 

Bis zum Waldrand hatten Peter die Stimme und die Kopfschmerzen geplagt. Er hatte versucht sich nichts anmerken zu lassen. Von Erfolg war dieses sicherlich nicht gekrönt gewesen, aber auch wen die anderen es bemerkten, sie sagten nichts. Kaum waren sie wieder auf der Dorfstraße angekommen, verstummte alles in seinem Kopf. Trotzdem fühlte er sich so erledigt, als wäre er einen Marathon gelaufen. Nachdem die drei sich im Hotel frisch gemacht hatten, hatten sie sich auf den Weg zu Ticos Familie gemacht. Trotz der herzlichen Begrüßung von Ticos Mutter war die Stimmung am Tisch ziemlich kühl. Ohne, dass Ramon es hätte sagen müssen, wussten die drei, dass sie keines der Kinder gefunden hatten. Neben Tico, Ramon und deren Eltern hatte auch eine ältere Dame am Tisch Platz genommen. Ihr weißes Haar war zu einer landestypischen Hochsteckfrisur zurecht gemacht und mit einer roten Blume dekoriert worden. Dies ließ die ältere Dame deutlich jünger wirken, als sie es wahrscheinlich war. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden verhielt sie sich schweigsam am Tisch, während Ramon begann von der erfolglosen Suche zu berichten.

„Kurz um, es gibt nach wie vor keine Spur von den Kindern“, endete dieser schließlich.

„Vielleicht doch“, räumte Justus ein und holte den Teddybären hervor, welcher den Anwesenden ein erstauntes Gesicht bescherte.

Ticos Vater stand auf und eilte auf Justus zu mit einem harten, schnellen Spanisch. Ramon übersetzte die Worte seines Vaters, welcher wissen wollte, wo genau Justus diesen gefunden hatte. Der Detektiv holte die Karte des Waldes hervor und zeigte Mister Sanchez Garcia die markierte Stelle an der sie fündig geworden waren. Aus dem Augenwinkel bemerkte Justus, dass diesmal auch die ältere Frau namens Yavanna Melrosa - wie sie erfahren hatten während des Essens handelte es sich bei ihr um Ticos und Ramons Großmutter mütterlicherseits - Interesse an dem ganzen Thema zeigte. Neugierig fiel ihr Blick auf die Karte, dann zeichnete sich auf ihrem Gesicht eine ernste Miene ab. Miguel Sanchez Garcia bat um die Karte, sowie den Teddy und eilte aus dem Haus hinaus, um dem Suchleiter diese Informationen zu geben für den nächsten Tag.

„Und ihr habt den einfach so gefunden?“, fragte Ramon überrascht.

„Ja. Nun ja, ohne dieses Weinen hätten wir ihn nicht gefunden.“

„War das Weinen direkt am Fluss oder im Wald? Das will meine Oma wissen“, sagte Tico, der für eben diese zu übersetzen begonnen hatte. Die drei Detektive schauten sich kurz an, ehe sie antworteten es eher in Wassernähe gehört zu haben.

„La Llorona.“

Ticos Mutter stieß einen genervten Seufzer aus und mahnte ihre Mutter an mit diesen Schauermärchen aufzuhören. Dann griff sie nach den leeren Tellern und begann die Sachen in die Küche zu bringen.

„La Llorona?“, wiederholte Bob neugierig.

„Ja, also das ist eine alte Legende“, klärte Ramon ihn auf.

„No es una leyenda, es verdad!“, protestierte Yavanna verärgert.

„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte Ramon sie, „Also meine Großmutter sagt, dass es keine Legende ist, sondern dass sie existiert.“

„Und wer ist das?“, fragte der dritte Detektiv weiter.

Anscheinend hatte Yavanna genau auf diese Frage gehofft. Auch wenn Tico sie ihr noch nicht übersetzt hatte, begann sie die Geschichte zu erzählen.
 

Die Llorona war eine junge, hübsche Frau, welche das Interesse eines Mannes mit reichen Eltern erweckt hatte. Aufgrund ihrer ärmlichen Herkunft heirateten sie im Geheimen. Sie hatten zusammen drei Kinder, doch eines Tages wurde dem jungen Mann offenbart, dass sein Vater eine Hochzeit für seinen Sohn mit einer Frau aus derselben gesellschaftlichen Klasse arrangiert habe. Der Sohn ging also zu seiner Gattin und erzählte ihr von der geplanten Hochzeit und, dass er sie nie wiedersehen werde. Geblendet durch ihr gebrochenes Herz und die Wut auf ihren Mann ging sie daraufhin mit ihren Kindern zum Fluss und ertränkte diese. Als der Mann dies erfuhr, machte er sich mit einigen Leuten aus dem Dorf auf die Suche nach seiner Frau, fand diese aber nur noch tot vor, da sie sich nach dem Kindesmord selbst getötet hatte. Llorona fuhr in den Himmel auf und wurde dort von Gott vor Gericht gestellt.

Er fragte sie: „Wo sind deine Kinder?“

Darauf hin antwortete sie: „Ich weiß es nicht.“

Gott wiederholte die Frage drei Mal und erhielt jedes Mal dieselbe Antwort. Gott verdammte sie daraufhin zurück auf die Erde, um dort nach ihren Kindern zu suchen.

Alle Jahre zur selben Zeit erscheint die Llorona in einem Teil von Mexiko und sucht nach ihren Kindern. Dabei hört man sie in Flussnähe oft weinen vor oder während der Dämmerungszeit. Wenn sie ihre Kinder nicht findet, macht sie sicha uf die Suche nach anderen Kindern, ertränkt sie, um sie dann vor Gott als ihre auszugeben und in den Himmel zu kommen. Männer mit einem sensiblen Kern sollten ihr ebenfalls nicht zu Nähe kommen, da sie diese in den Wahnsinn treibt.



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