Ein neuer Tag in einer neuen Zeit
~Ein neuer Tag in einer neuen Zeit~
Die Sonne begann bereits durch ihren atemberaubenden Untergang den Tag zu
beenden, doch konnte dies die Menschen nicht daran hindern ihre Arbeit
fortzusetzen. Sie rannten und hetzten von der frühesten Morgenstunde, bis in die tiefste Nacht. Nie schien ihre Welt stillzustehen oder eine Pause zu machen. Meine Wanderung beschloss ich in einer Großstadt namens New York zu beginnen.
"Es ist doch wirklich erstaunlich wie viel sie in dieser kurzen Zeitspanne
bewerkstelligen konnten."
Ein leichter Windstoß, der mich frösteln ließ, flüsterte mir Syan's Antwort zu.
"Das sagst du jedes Mal. Wahrscheinlich beneidest du sie nur."
"Ich? Sie beneiden? Warum sollte ich?"
Er sagte nichts und ich beließ es dabei, denn er wusste, genau wie ich, dass er
recht hatte. Wie gerne würde ich wieder ein ganz normales Leben führen können,
ohne ständig unter der Obhut der Götter zu stehen. Was ich mit diesem Leben
anfangen wollte, spielte sich klar und deutlich vor meinem Inneren Auge ab und
das, was ich mir in Gedanken ausmalte, war der Grund dafür, dass sie es mir
niemals erlauben würden.
Ich beendete meine Träumerei und widmete mich den ernsthaften Dingen meines
zukünftigen Alltages.
"Glaubst du er ist uns gefolgt?"
Mehrere Menschen drehten sich zu mir um und starrten mich an, als hätte ich sie
gerade persönlich beleidigt. Ihre Verwunderung und die darauf folgende Arroganz
waren deutlich in ihren Augen zu erkennen, als sie mich fixierten. Nun, verübeln konnte ich es ihnen nicht, denn schließlich führte ich in ihren Augen Gespräche mit dem Wind.
Ich setzte meinen Weg unbeirrt fort und wartete auf Syan's Meinung.
"Sicher ist er das. Du weißt er hasst dich und er wird eine Menge seiner
Marionetten im Schlepptau haben."
Damit bestätigte er genau das, was ich mir selbst schon denken konnte. Es war
doch jedes halbe Jahrtausend dasselbe. Die Erde war der einzigste Ort, an dem er mich bekämpfen und auch vernichten konnte ohne, dass die Götter ihn daran
hindern würden.
Dieser scheinbar so unbedeutende kleine blaue Planet lag ihnen sehr am Herzen.
Ich fragte mich schon seit geraumer Zeit warum. Sicher nicht weil ich hier
geboren wurde und mein Unwesen trieb. Es hatte einen ganz einfachen, aber
überaus wichtigen Grund, den ich unbedingt einmal erfahren wollte.
Ich bog in eine leere Seitenstraße ein. Dampf stieg in kleinen Schwaden aus den
Öffnungen der Kanaldeckel und schwebte fließend in die Richtung davon, die der
Wind ihnen wies.
"Es ist dunkel genug um die Augen der Sterblichen zu täuschen, auch wenn wir uns normal zeigen. Also komm heraus und gib mir was mir gehört."
Mürrisch knurrte es hinter mir, doch ich drehte mich nicht um. Er liebte dieses
Versteckspiel, denn wenn er sich im Licht oder im Schatten verbarg konnte er
seine kleinen Späßchen mit den Unwissenden auf den Straßen treiben. Aber sobald
er sich in seiner vollendeten und geschmeidigen Gestalt zeigen würde, würden sie schreiend davonlaufen und das war weit weniger amüsant.
Die kalte, feuchte Wand vor der ich stand begann nach und nach Form anzunehmen,
bis ein stattlicher Drache aus ihr hervorgetreten kam. Seine wunderschönen
Flügel breiteten sich gemächlich aus und entfalteten ihre volle Pracht.
Normalerweise trug diese Art keine Muster, aber er war etwas besonderes. Sein
ganzer Körper war verziert mit goldbraunen Schuppen die sich von dem sonst
nachtschwarzen Panzer hervorhoben.
"Und? Wo ist mein Schwert?"
Er hob fast majestätisch anmutend den Kopf, auf welchem in kurzem Abstand, ein
Paar gewundene und ein Paar spitz nach hinten verlaufende Hörner saßen. Ich
begriff diese Geste erst, als ich bemerkte was dort an einem dieser Hörner, in
einem provisorischen Halfter aus Leder, baumelte.
"Wie kannst du nur?"
Geschickt sprang ich auf seinen Rücken und schnappte mir die mir so vertraute
Klinge. Sie war beidseitig geschliffen und gut einen Meter lang, aber von einer
vorteilhaften Leichtigkeit, die mir schon mehrmals einen schnellen Sieg
bescherte.
"Lass uns weiterziehen. Er wird uns hier bald finden."
Syan nickte, nahm Anlauf, der vielmehr plump als elegant wirkte, und erhob sich
zwischen den Mauern in den Abendhimmel.
"Welcher Richtung soll ich folgen?" fragte er, als er eine geeignete
Luftströmung fand und mit immer größer werdenden Kreisen höher stieg.
"Wir wollen uns nicht hetzen alter Freund, also lass uns zuerst die
menschenleeren Gebiete durchstreifen. Folge einfach der Küste gen Süden, dort
müssten die großen Wälder liegen."
In ähnlicher Weise begannen wir unsere Reise bei jedem neuen Besuch. Es war für
uns beide das beste Kräfte zu sparen und sie für einen eventuellen Angriff zu
sammeln.
Dank Syan's hervorragenden Flugkünsten erreichten wir unser Ziel in kürzester
Zeit.
"Hast du es bemerkt Hajime?"
Ich nickte, obwohl es unnötig war.
"Ja ... aber es sind nur noch wenige. Gerade mal eine Hand voll Drachen hat die
letzten fünfhundert Jahre überstanden."
"Lass uns trotzdem nachsehen. Du musst schließlich wissen welche Art Drache es
ist."
"Also gut. Flieg tiefer, damit es uns möglich ist einen Landeplatz für dich zu
finden."
Nach weiteren Minuten kreisten wir über einer winzigen Lichtung, die von dichtem Laubwerk umgeben war. Syan's Flügelschläge wurden jeden Meter den wir uns der Erde näherten schneller, seine Geschwindigkeit nahm dafür stetig ab. Es sah so aus, als würde ihm eine perfekte Landung gelingen, aber dem war nicht so. Wie ein Stein ließ er sich fallen, kurz bevor ich von seinem Rücken springen konnte.
Der Aufprall ließ den Boden erzittern und Staubwolken konfus aufwirbeln, welche
uns den Blick völlig versperrten.
"Ganz toll gemacht Syan. Was für ein Drache schafft schon eine solche
Leistung?", fagte ich.
"Behalt deinen Sarkasmus für dich. Ich bin ein wenig außer Form das ist alles."
Anscheinend hatte ich seine sonst so rauhe Schale angekratzt. Er schüttelte mich von seinem Rücken und trabte schmollend ein paar Schritte voran.
"Sei mir nicht böse.", meinte ich und klopfte mir den Schmutz von den Kleidern.
Ich erstarrte, als ich daraufhin ein vertrautes Lachen vernahm.
Langsam ließ ich meine Hand zur Hüfte sinken und zog mein Schwert aus dem
lockeren Halfter.
"Syan", zischte ich, "komm zurück! Er ist hier."
"Was? Das kann unmöglich --"
Er kam nicht dazu den Satz zu beenden, denn Jerias viel ihm ins Wort.
"Doch es kann."
Hinter einem gigantischen Baum am Rande der Lichtung stand er: Mein Bruder und
erbittertster Feind.
"Treibst du dich noch immer mit diesem elenden Getier herum liebster Bruder?"
Er trat aus dem Schatten hervor. Im kalten Mondlicht wirkte er finsterer und
gefährlicher als sonst. Als ich ihn das letzte Mal sah, lag er geschlagen vor
mir und flehte um sein Leben. Damals hatte ich ihm seine Bitte gewährt, doch
noch einmal würde ich das nicht tun.
"Du hast dich verändert Jerias."
Ich wendete mich an Syan.
"Du weißt was du zu tun hast!"
Er nickte und verschwand im Schatten der Bäume.
"Also wirklich kleiner Bruder. Du glaubst doch nicht etwa ich lasse mich ein
zweites Mal von dir und deinem Haustierchen hereinlegen?"
Seine jadegrünen Augen funkelten wild und durchdringend in meine Richtung. Er
war stärker als vor fünfhundert Jahren, das sah man ihm an. Auch sein Äußeres
unterschied sich von seinem früheren Ich.
Er trug jetzt langes schwarzes Haar, einen ledernen Mantel der seinen Körper
verbarg und kniehohe Stiefel, die von silbernen Schnallen zusammengehalten wurden.
"Ich muss meinen Auftrag zu Ende bringen Jerias und du wirst mich nicht daran
hindern. Zieh deine Waffe!"
Ich war mir meiner Sache sehr sicher. Ich würde ihn ein wenig ärgern und ihm das hinterhältige Grinsen austreiben, bevor ich ihn in den erlösenden Tod schickte.
Zu meiner Überraschung tat er was ich ihm befohlen hatte. Er legte den Mantel
ab und zum Vorschein kam ein leicht geschwungenes Langschwert im japanischen
Stil, welches er sogleich ergriff.
"Wir werden unseren Kampf beenden geliebter Bruder. Aber dieses Mal WERDE ICH
DICH BESIEGEN!"
Selbstbewusst stürzte er auf mich zu. Der erste Hieb ging daneben. Ich wich zur
Seite aus und konterte mit einem gezielten Schlag in Kopfhöhe.
Jerias war zwar nicht so kräftig wie ich aber er hatte viel an Geschwindigkeit
zugelegt. So gelang es ihm meinen Angriff zu parieren. Unsere Schwerter kreuzten sich dicht vor unseren Gesichtern. Funken sprühten, als ich ihn mit aller Kraft von mir stieß und ihm einen Fuß in den Bauch rammte. Er taumelte zurück, holte sofort aus, nachdem er sich wieder gefangen hatte, und landete einen erfolgreichen Treffer quer über meine Brust.
"Haha! Siehst du Hajime? Wie ich es dir sagte: Du wirst nie wieder besser sein
als ich."
Er trat gegen meine noch unverletzte Hand in der ich meine Waffe hielt,
woraufhin ich sie fallen ließ. Ich kniete vor ihm auf dem Boden und presste mir
den Arm auf die Wunde, die erst jetzt anfing zu bluten.
>>Wie hat er das geschafft? Ich bin ihm ausgewichen, aber es war ihm trotzdem
möglich mich zu treffen... ?<<
"Du fragst dich sicher warum ich dich so schön aufschlitzen konnte, oder? Hast du dir mein Schwert genau angesehen? Es ist um ein Vielfaches länger als das,
welches ich früher trug. Verstehst du jetzt?"
Wütend über meine eigene Leichtsinnigkeit senkte ich den Kopf, ließ mir meine
Gefühle jedoch nicht anmerken. Die Schmerzen begannen meinen Körper zu
durchfluten, während mein Hemd von Blut durchtränkt wurde. Jetzt blieb mir nur
noch eine Möglichkeit.
Vor meinem erstaunten Bruder richtete ich mich trotz aller Qualen wieder auf.
Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Zügen ab, als ich schwankend vor ihm stand und versuchte meine Niederlage abzuwenden.
Ich schloss die Augen. Alles um mich herum wurde schwarz, bis auf ein kleines
Licht weit entfernt von mir. Es war schwach, doch durch die Kraft meiner
Konzentration ließ ich es wachsen, solange bis ich es förmlich greifen konnte.
Das war sie. Das war die Kraft der Magie, die in mir brodelte. Ich bereitete
mich auf einen Feuerzauber der Mittelklasse vor. Dieser sollte genügen um Jerias abzulenken und mir die Chance zur Flucht ermöglichen. Als ich die Augen öffnete um anzufangen, war er verschwunden.
Ich begriff es im ersten Moment nicht richtig und im zweiten war es bereits zu
spät, denn ich brach zusammen.
"Werde stärker kleiner Bruder. Ich gebe dir Zeit, so wie du sie mir gegeben
hast. Dann komme ich wieder und erwarte einen besseren Kampf von dir. Auf
bald."
~ Ende Kapitel I~