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Status Quo

von

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Als er das nächste Mal aufwachte, sah er Potters Gesicht direkt über seinem. Er blinzelte, denn er dachte, er würde schlecht träumen. Doch das Gesicht verschwand nicht. Stattdessen fragte es ihn, wie es ihm ginge. Es dauerte ein bisschen, bis Draco begriff, dass das kein Traum war und er sich immer noch in Potters Haus befand.
 

„Gut“, antwortete er schnell. Er stellte fest, dass Potter eine Decke in seinen Händen hielt und ihn damit bereits zur Hälfte zugedeckt hatte. Das erklärte, weshalb er ihm so nahe war, aber nicht, warum er sich nicht entfernte.

„Was?“, sagte Draco, nachdem er Potters merkwürdigen Blick auffing.

 

Potter ließ die Decke los und setzte sich in einen benachbarten Sessel. Ungläubig dreinschauende Augen blickten ihn an.

 

„Was?“, wiederholte Draco deutlich genervt.

 

„Du... hattest einen Unfall, befindest dich in meinem Haus und dir geht es... gut?“, fragte Potter ungläubig.

 

„Stelle keine blöden Fragen, dann überfordert dich keine Antwort.“

Potter ging ihm schon wieder so sehr auf die Nerven, dass seine verletzte Schläfe anfing zu pochen. Apropos Kopfverletzung...

 

„Potter, ich verlange eine Erklärung. Du bist ein Zauberer und ich bin verletzt. Also, warum sieht mein Gesicht immer noch so entstellt aus?“

 

Potter sah ihn weiterhin ungläubig an.

„Glaubst du im Ernst, dass ich mich in die Küche stelle und irgendwas zusammenmixe? Als ob ich nichts sinnvolleres zu tun hätte als meine Zeit mit Zaubertränke zu verplempern. Mal ganz davon abgesehen, dass es eh nichts werden würde.“ Den letzten Satz hatte er so leise vor sich hin genuschelt, dass Draco ihn kaum verstanden hatte.

 

„Man kann so etwas k-a-u-f-e-n. Und von Zaubertrankexperimenten in der Küche würde ich dir aus Sicherheitsgründen dringend abraten. Für den Fall, dass du die Versuche ohne Explosion oder andersartige... Nebenwirkungen überlebst, könnten die Lebensmittel kontaminiert werden.“

 

Wütend starrte Potter Draco an. Ohne seine Brille wirkte der Blick viel durchdringender. Als Draco anfing, langsam nervös zu werden, griff die ehemalige Brillenschlange wortlos nach einer Tüte neben dem Sessel, die er erst jetzt bemerkte, und stellte sie auf den Tisch. Neugierig blickte er hinein. Darin waren eine Tube Kühlgel und eine Wundheilsalbe. Während Draco nach den Tuben griff, stand Potter auf und verließ das Zimmer. Draco zog sein Shirt aus, cremte sich seine Wunde ein und verteilte das Kühlgel auf den anderen Stellen. Sofort ließen die Schmerzen nach und er konnte zusehen, wie die Kratzer auf seinem Arm heilten. Schön wie eh und je, dachte er sich und packte die Sachen wieder in die Tüte.

Das war erledigt. Nun musste er sich um seinen Zauberstab kümmern. Mittlerweile war er zu dem Entschluss gekommen, dass ein Einkauf in der Winkelgasse keine Option darstellte. Er konnte sich unmöglich mit Potter an einem solch belebten Ort zeigen lassen. Ihm blieb daher nur übrig, den Held der Zaubererwelt zu diesem grauenvollen Ort zurück zu schicken und danach suchen zu lassen. Aber dieser als Besitzer eines Zauberstabes sollte damit wohl keine Probleme haben. Dieser Schachzug erforderte eine genaue Planung und viel Geduld. Wenn er es überstürzt anginge, würde die Brillenschlange nur misstrauisch werden, womit Dracos Geduldsfaden reißen und er am Ende rausfliegen würde. Ohne Zauberstab. Draco musste Potter von Anfang an den Wind aus den Segeln nehmen, ihn glauben lassen, dass er ein anderer Mensch geworden war. Vielleicht wäre eine Art Waffenstillstand ein guter Anfang. Dann wäre der erste Schritt, sich wohl oder übel für die Salben zu bedanken. Mit zusammengekniffenen Augen und knirschenden Zähnen betrachtete er die Tüte, als sei sie an seiner Misere schuld. Schließlich packte er sie und machte sich auf den Weg, um Potter zu suchen. Beim Hinausgehen fiel sein Blick wieder auf Potters Brille. Ihm war sofort aufgefallen, dass sein ehemaliger Erzrivale sie nicht trug, als er aufgewacht war. Es nicht zu bemerken, war eigentlich unmöglich, schließlich verunstaltete sie sein Gesicht schon seit sie sich kannten. Weshalb er das Stück Schrott aufbewahrte, obwohl er sie sichtlich nicht mehr benötigte, war ihm jedoch ein Rätsel. Vielleicht lag es an der für Gryffindor typischen nostalgischen Art. In der Küche fand er ihn, wie er am Tisch Zeitung las. Draco stellte die Tüte direkt vor Potter ab um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

 

„Danke“, sagte er ihm und sah ihm fest in die Augen. Fest deshalb, um sicher zu gehen, dass Potter sein Bekenntnis wahrnahm. „Warum setzt du dich nicht ins Wohnzimmer, dort ist es doch viel bequemer.“ Draco war stolz auf sich. Er klang tatsächlich aufrichtig und die Worte fielen ihm viel leichter als gedacht. Potter blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor er begann, die Zeitung zusammen zu legen. Das war das stille Stichwort für Draco, sich selbst zurück ins Wohnzimmer zu begeben. Immerhin war er kein Hauself, der darauf wartete, hinter seinem Herrn herzulaufen. Potter würde schon nachkommen. Und wenn nicht, war ihm das auch egal.

 

Es verging eine Weile, in der jeder still seiner Lektüre nachging, bevor es an der Tür klingelte. Potter stand auf und ging nachschauen. Leises Geschnatter drang ins Wohnzimmer herein, doch genaues konnte Draco nicht verstehen. Es war auf jeden Fall eine Frauenstimme.

Mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte er Potters Rückkehr, der einen resignierten Gesichtsausdruck hatte und eine Flasche Wein in der rechten Hand hielt.

 

„Das war Hermine“, sagte Potter und lief zu dem Schrank, um die Weinflasche unterzubringen. Er schien sich kurz zu sammeln, bevor er sich zu Draco herumdrehte. Draco jedoch hatte sich wieder seinem Buch zugewandt. Ihn interessierte es nicht, was diese Gryffindor mit den Hasenzähnen zu erzählen hatte.

„Sie hat gesagt, eigentlich könnte es ihr egal sein, was mit dir ist. Aber es wäre vielleicht trotzdem besser, du würdest zu einem Arzt gehen.“

 

Augenblicklich war das Buch vergessen. Zum Arzt? Unverschämterweise wohl auch noch zu einem Muggel-Arzt. Wer zum Teufel dachte Potter, wäre er? Oder Granger? Seine Babysitter? Und selbst wenn er eine Gehirnerschütterung hätte, was könnte ein Muggel-Arzt großartig ausrichten?

Draco holte tief Luft, um Potter rund zu machen, da erkannte er seine unverhoffte Chance. Eine attestierte Gehirnerschütterung wäre nicht unbedingt notwendig, aber etwa Ruhe würde er bestimmt bekommen. Und Potter als der Held, der er war, ließe ihn bestimmt noch ein Weilchen hier. Ganz sicher war er sich dessen nicht, doch er hatte den Eindruck, als sei das ehemalige Vierauge nicht auf dem Kriegspfad. Er musste ihm nur etwas entgegen kommen. Und dann hatte er Zeit, ihn langsam zu manipulieren.

 

~D~H~

 

Potters Vorschlag, am nächsten Tag zum St. Mungos zu gehen, hatte Draco zufrieden angenommen. Überrascht, dass es das St. Mungos war, aber zufrieden. Dass er sich allerdings im Laufe des Tages wünschen würde, lieber doch zu einem Muggel-Arzt gegangen zu sein, damit hätte er im Leben nicht gerechnet. Bereits die Art des Reisens stellte ein noch die da gewesenes Horrorszenario dar. Apparieren kam nicht in Frage, denn Potter befürchtete, dass Dracos Gesundheitszustand darunter leiden und sich verschlechtern, aber auch Auswirkung darauf haben könnte. Also bewältigten sie die Strecke mit Muggel-Verkehrsmittel. Muggel-Verkehrsmittel! Immer wieder zählte Draco im Stillen bis 10, um nicht zu explodieren. Jeder einzelne Muggel war nervig, die Verkehrsmittel waren nervig, der Weg dorthin, alles!

 

Im St. Mungos selbst war eine Horde Kinder gewesen, die auf einem Kindergeburtstag etwas hatten explodieren lassen. Heulende und jammernde Bälger. Und die, die gesund waren, hatten ständig ihn und Potter angeglotzt, jede Menge Fragen gestellt oder wollten mit ihnen spielen. Normalerweise hatte Draco nichts dagegen, wenn er im Mittelpunkt stand, aber diese Kinder waren einfach grauenhaft!

Abgesehen von diesen nervigen Kindern empfand er es fast als persönliche Niederlage, dass er und Potter zusammen in der Öffentlichkeit gesehen wurden. Das hatte er in seinen Überlegungen gar nicht bedacht. Strikt weigerte er sich andere Hexen und Zauberer, deren Wege er kreuzte, zu beachten. Auch Potter schenkte er so wenig Aufmerksamkeit wie nur möglich. So konnte er sich für kleine Augenblicke einbilden, seine Welt wäre ein bisschen mehr in Ordnung. Erstaunlicherweise hatte niemand ihn oder Potter nach der ungewöhnlichen Begleitung gefragt. Dabei hatte Draco das Schlimmste befürchtet. In gewisser Hinsicht verlief es sogar so gut, dass er für einen Moment doch in Erwägung zog, bei Ollivander einen neuen Zauberstab zu kaufen.

Wenigstens hatte er mit seinem Plan Erfolg gehabt. Der Heiler hatte eine Gehirnerschütterung verneint, aber angeordnet, sich die nächsten paar Tage etwas zurückzunehmen. Und als Potter auf dem Rückweg gefragt hatte, wie es lief, bot er ihm auch die Möglichkeit an, während seiner Genesung weiterhin dazubleiben. Es lief wie am Schnürchen. Deshalb verstand er es nicht, dass in einer Ecke seines Bewusstseins Gedanken in ihm hochkrochen, die er vielleicht als Schuldgefühle titulieren könnte. Potter hatte ihm selbstlos geholfen und nun wollte er ihn ausnutzen, weil er zu feige war, die Wahrheit zu sagen. Aber es wäre überaus peinlich, wenn er das tun würde. Immerhin war er kein Hufflepuff, sondern ein Slytherin, der stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Er schob diese unangenehmen Gedanken kurzerhand beiseite, machte es sich auf der Couch etwas bequemer und überlegte stattdessen, wie er es weiter angehen sollte.

 

Netter. Er wollte netter zu Potter sein. Was würde wohl jemand in seiner Position tun, der nett war? Er würde sich bei Potter bedanken, kam ihm in den Sinn. Draco verzog das Gesicht. Schon wieder bedanken. Ein Rascheln ließ ihn aufsehen. Potter hatte eine Seite umgeblättert. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er wieder hereingekommen war. 'Netter', wiederholte er in Gedanken. Draco holte tief Luft.

 

„Potter“, sagte er.

 

Potter sah ihn an.

 

„Es ist sehr... aufmerksam von dir“, quetschte Draco hervor, „dass du mich zu St. Mungos begleitet hast.“ 'Obwohl ich keinen Babysitter brauche', fügte er gedanklich hinzu. „Und dass du weiterhin deine Gastfreundschaft zur Verfügung stellst.“ 'Obwohl ich selbst ein ausgezeichnetes Zuhause habe', ergänzte er in Gedanken und schalt sich sofort. 'Sei netter, sei netter! Los, gib dir einen Ruck!', befahl er sich, auch wenn er befürchtete, sich dabei einen Zacken aus der Krone zu brechen.

„Wann auch immer ich dir behilflich sein kann...“ Draco beendete den Satz mit einer vagen Handbewegung.

 

„Kein Problem“, sagte Potter und widmete sich wieder seiner Zeitung.

 

'Das war es? Das war alles?', ärgerte sich Draco. Er gab sich die größte Mühe, ihm Dankbarkeit vorzugaukeln, wofür er seiner Meinung nach auch einen Preis verdient hätte, und Potter interessierte es nicht. Tat, als wäre sein Verhalten das Normalste der Welt. War Potter zu blöd, um zu kapieren, dass er hier einen Schritt auf ihn zukam? Wie sollte er ihn dazu bringen, seinen Zauberstab zu holen, wenn noch nicht einmal das hier funktionierte?

 

Nicht zu vergessen musste er Potter klipp und klar machen, dass dies ein Geheimnis bleiben musste, das sie beide mit ins Grab nehmen würden.

 

Zu allem Übel kam er nicht umhin, auch noch seine Zeit in Potters Haus verbringen. Praktisch, dass er sich seine Arbeitszeit als Dezernatsleiter selbst einteilen konnte. Nicht auszudenken, wie er seine Situation vor einem Chef hätte erklären müssen. Siedend heiß fiel ihm auch ein, dass er diesen Todesser wieder auftreiben musste. Blöderweise führte kein Weg an der Mission 'Zauberstab' vorbei. Vielleicht sollte er bei Potter doch mal ordentlich auf den Putz klopfen? Die jahrelange Erfahrung sagte ihm jedoch, dass das weniger erfolgversprechend war. Ergo, musste er es auf der netten Schiene probieren. Eigentlich war ihm dieses Nettsein ganz schön suspekt. Und jetzt, nachdem er es schon ein paar Mal hinter sich hatte und immer noch lebte, hatte es seine abstoßende und erniedrigende Wirkung auf ihn zum größten Teil eingebüßt. Wenn er nicht aufpasste, würde ihm dieses Verhalten irgendwann ins Fleisch und Blut übergehen. Allerdings ließ diese Erkenntnis das schmarotzerhafte Gefühl in einer kleinen, verqueren Ecke seines Gehirns wachsen. Würde Potter sich weiterhin so selbstlos verhalten, würde er wohl auf ewig in seiner Schuld stehen und zu einem netten, verweichlichten Hilfsbedürftigen mutieren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Traumfaengero_-
2016-09-25T14:02:07+00:00 25.09.2016 16:02
Ich hoffe, dass meine Nachbarn unter uns nicht auf dem Balkon sitzen und mich so laut lachen hören! Ich habe beinahe Tränen gelacht, als Draco wach wurde und natürlich gleich am Meckern war. Du triffst ihn sehr, sehr gut und seine Gedanken sind der Brüller! Er versucht wirklich nett zu sein!

~ Netter. Er wollte netter zu Potter sein. Was würde wohl jemand in seiner Position tun, der nett war?~

Ich habe so laut gelacht! Was würde jemand tun, der nett war? Oh, bei allen Göttern! Ich bin so froh, dass ich über deine Geschichte gestolpert bin!

Die Szene mit den Kindern war auch echt gut! Ich habe es mir so bildlich vorstellen können!


Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Kapitel!
Deine Traumfänger



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