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The Reason

Highly dramatical Ryouhei x Hiro ->WIRD BALD FORTGESETZT<-
von

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03 - ALIVE

Der Boden kam langsam näher. Die Bucht von Tokyo glitzerte in der Sonne und Ryouheis Eingeweide begannen zu kribbeln. Zu Hause. Endlich.

Natürlich hatte er Chicago auch als sein zu Hause betrachtet oder Boston oder Phoenix oder Los Angeles. Aber er war in den vier Jahren zu viel umgezogen, als dass er so etwas wie Heimatgefühl hätte entwickeln können. Am meisten schlug sein Herz aber noch für Chicago, auch wenn man ihn in L.A. seltsam angesehen hatte, wenn er mit seinem Bulls-Trikot herumlief. Denn so cool und offen die Stadt der Engel auch war, Chicago war einfach so viel herzlicher gewesen. Lächelnd strich der 23-jährige über den roten Bullen auf seinem Shirt und sah wieder aus dem Fenster. Die Bucht von Tokyo war schon fast außer Sichtweite und die amerikanische Flugbegleiterin wies die Passagiere in fast akzentfreiem Japanisch darauf hin, dass sie bitte Gurte anlegen und die Sitze in eine aufrechte Position bringen sollten, da sie sich im Landeanflug auf Narita befanden.

Die Landung ging ohne besondere Vorkommnisse vonstatten und Ryouhei beeilte sich, seine Gitarre zu schultern und das Flugzeug zu verlassen. Eine Gänsehaut überlief ihn, als er wieder auf japanischem Boden stand und er bildete sich ein, dass die Luft anders roch. Das mochte aber am Wetter liegen. Der April hatte in Japan immer eine ganz besondere Stimmung, vermutlich wegen Hanami. Ryouhei grinste. Endlich wieder ein richtiges Hanami!

Er ging zum Fließband, wartete auf sein Gepäck, als er plötzlich hörte, wie jemand seinen Namen schrie. Er drehte sich um und konnte Makoto gerade noch auffangen, der ihn angesprungen hatte. "Du bist es wirklich!", fiepte der Dunkelhaarige und Ryouhei drückte ihn fest. "Ja. Ich freu mich, dass du da bist." Er hatte den hageren Drummer noch nie umarmt, aber es war schön, es jetzt zu tun.

"Verpiss dich, Schwucke, ich will auch!" Das war Shoya. Seine Haare waren länger und braun und scheinbar zupfte er sich die Augenbrauen. Er sah aus wie die männliche, japanische Version von Katherine Moenning, wie er Makoto mit einem 1a-Ladykiller-Grinsen zur Seite zerrte und Ryouhei so fest in den Arm nahm, dass der Brillenträger ächzte. Die Umarmung dauerte nicht lange, denn Shoya schob ihn von sich weg und musterte die zahlreichen Tattoos auf Ryouheis Haut. "In echt sehen sie noch cooler aus", grinste er und zog Ryouheis Ausschnitt nach vorne, um seine Brust sehen zu können, doch der Größere schob seine Hand beiseite. "Wir sind hier in Japan, also benimm dich!"

Shoya lachte und Ryouhei stimmte ein, schob seine Brille wieder auf ihren Platz. Dann fiel sein Blick auf jemanden, den er noch nicht kannte. "Ryouhei,", begann Makoto, der sich neben dem Neuen aufgestellt hatte, und errötete ein bisschen, "das ist Kenji, mein… mein Freund." Es schwang Stolz in der Stimme des zierlichen Schwarzhaarigen mit, aber das war kein Wunder. Makoto hatte es also nicht nur endlich geschafft, sich zu outen, er hatte auch noch einen wirklich sehr hübschen Freund, der sich höflich verneigte und unsicher lächelnd "Sehr erfreut" murmelte. Ryouhei tat es ihm gleich, auch wenn es komisch war, ihm nicht die Hand hinzuhalten. Er musste sich wohl erst wieder an die hiesigen Umgangsformen gewöhnen.

Hiro hatte sich im Hintergrund gehalten, aber jetzt, wo Ryouhei sich nach ihm umschaute, entdeckte er ihn. Im Grunde war es kein Wunder, dass er ihm nicht aufgefallen war, er hatte auf dunkle Haare geachtet, Hiros Haare aber waren strohblond. Ryouhei musterte ihn einen Moment unsicher. Unterbewusst hatte er sich vor diesem Moment gefürchtet, aber Hiro kam nur mit einem leichten Lächeln auf ihn zu, umarmte ihn mit einem "Schön, dich zu sehen." Die Umarmung war zu kurz und etwas stimmte mit Hiros Stimme nicht. Sie war leise und ihr fehlte es an Festigkeit. Ryouhei sah ihm in die Augen, aber der Kleinere senkte den Blick. Gerade als Ryouhei etwas sagen wollte, schaltete sich Shoya ein.

"Ist das dein Koffer, Ryouhei?"

Der Schwarzhaarige drehte sich zum Fließband um und erblickte tatsächlich seine Tasche, hastete zu ihr hin, gefolgt von Shoya.

"Ich helf dir", meinte der Braunhaarige, aber es klang wie eine Ausrede. Ryouhei griff nach der Tasche und Shoya half ihm tatsächlich, warf ihm dabei aber einen wissenden Blick zu. "Ich erklär's dir später, okay?", murmelte er und Ryouhei nickte.

Sie luden Ryouheis Tasche in Makotos Minivan und beschlossen, etwas essen zu gehen. "Hast du nicht nen mega Jetlag?", wunderte sich Shoya, aber Ryouhei lachte nur und erwiderte: "Ja, aber mein Hunger ist noch zehnmal megaer!"

Sie gingen in das kleine Restaurant, wo sie früher oft gewesen waren und allein beim Geruch der Gyoza und der Yakitori kamen dem Schwarzhaarigen fast die Tränen.

"Ich hab ja echt kein Problem mit Ami-Essen, aber…", beichtete er, als Minuten später eine dampfende Schüssel Ramen mit Rindfleisch vor ihm stand, "ich hab das Essen hier mehr vermisst als euch."

Die anderen lachten, aber Ryouhei fiel auf, dass Hiro nicht bei der Sache war. Er gab sich Mühe, normal zu wirken, aber der Ältere erkannte seinen Freund kaum wieder und das nicht nur wegen der Haare. Hiro hatte sich verändert, sehr verändert, er war noch hübscher geworden, reifer und das blond stand ihm hervorragend, aber die Veränderung war nicht nur äußerlich. Jedes Lächeln sah angestrengt aus und er redete kaum. Das war nicht der Hiro, den Ryouhei so gemocht hatte. Shoya stieß ihn an und dem 23-jährigen fiel auf, dass er den Kleinsten in der Runde angestarrt hatte, aß schnell weiter. Er war also nicht der einzige, der Hiros seltsames Verhalten bemerkt hatte. Was zur Hölle war hier los?

"Wie geht's deiner Mom?", erkundigte sich Shoya und Ryouhei zuckte mit den Schultern. "Immer noch frisch verliebt und mit dem Kopf nicht mehr aus den Wolken zu bekommen. Aber ich bin froh, dass sie sich wieder um sowas Gedanken machen kann."

"Ryouheis Mama hat sich von seinem Papa getrennt, deshalb ist er nach den zwei Semestern nicht zurück gekommen. Es gab viel Ärger wegen der Scheidung", erklärte Makoto seinem Freund, dessen planlosen Blick er bemerkt hatte und der jetzt verstehend nickte.

"Ihr neuer Typ ist auch ganz in Ordnung. Er hat ne Firma, die Flüssiggebindeverpackungen herstellt, Milchtüten und Saftpackungen und so. Scheint ziemlich gut zu laufen, wenn man so in seine Garage guckt."

"Dann bist du jetzt der Milchtüten-Prinz?", lachte Shoya und Ryouhei nickte, sodass auch Makoto und Kenji einstimmten.

Sie plauderten noch ein wenig, dann stand Hiro, der seine Gyoza schweigend gegessen hatte, plötzlich auf. "Es tut mir sehr Leid, aber ich muss mich leider verabschieden. Meine Schicht fängt bald an."

Ryouhei runzelte die Stirn unmerklich. Zu seiner Zeit war es verboten gewesen, neben der Schule einen Job zu haben. Oder waren schon wieder Ferien?

"Ich wünsch euch noch viel Spaß. Ryouhei, es war schön, dich zu sehen."

Der Schwarzhaarige nickte verwirrt, als sich der Kleine auch schon umwandte und sich schnellen Schrittes vom Tisch entfernte. Ryouheis Blick ging zuerst zu Makoto, der den Blick gesenkt hatte, dann zu Shoya, der betroffen wirkte. Der 23-jährige wartete, bis Hiro bezahlt hatte und zur Tür hinaus war, dann wandte er sich mit in Falten gelegter Stirn an Shoya. "Okay, ich will jetzt wissen, was hier los ist!"

"Es ist nicht so einfach zu erklären", sagte Shoya hastig und Makoto nickte leicht. Kenji hielt sich raus. "Er hat es nicht leicht im Moment", begann der Braunhaarige schließlich ausweichend, doch Ryouhei unterbrach ihn gleich: "Warum hat er einen Job? Das ist nicht erlaubt, so weit ich weiß."

"Bitte, hör zu, Ryouhei." In Shoyas Stimme schwang eine Bitterkeit mit, die dem Schwarzhaarigen Angst machte. "Hiros Vater ist tot."

"Was?!" Am Nachbartisch drehte sich jemand zu Ihnen um, weil Ryouhei wohl zu laut gewesen war, doch der bemerkte es nicht einmal.

"Er hat sich umgebracht, kurz nachdem du weg warst", murmelte Makoto und starrte noch immer auf den Tisch.

Ryouhei wurde übel. "Warum erfahr ich das erst jetzt?"

"Hiro wollte nicht, dass du es von uns erfährst. Dein Semester hatte gerade begonnen und er wollte nicht, dass du alles hinschmeißt und zurückkommst." Makoto klang als würde er Hiros Beweggründe verstehen. "Er wollte dir nichts kaputt machen, bitte sei ihm nicht böse. Er wollte auf den richtigen Moment warten, es dir zu sagen. Er wollte warten, bis du wieder zurück bist."

"Wir wussten ja nicht, dass du so lange weg bleiben würdest", fuhr Shoya fort und zündete sich eine Zigarette an. Seine Finger zitterten. "Natürlich wussten wir das nicht. Er hat mich gebeten, es dir nicht zu sagen."

"Warum hat er sich umgebracht?", fragte Ryouhei erschüttert. Hiros Vater war doch immer so ein netter, bodenständiger Mann gewesen.

"Er hat Hiros Mutter betrogen", erklärte der Braunhaarige und Ryouhei griff nach seinen Zigaretten, zündete sich eine an, obwohl er seine Schüssel noch nicht geleert hatte. Ihm war der Appetit vergangen. "Sie hat es rausgekriegt und wollte sich trennen."

"Im Abschiedsbrief stand, dass sie die Liebe seines Lebens gewesen sei und er nicht als geschiedener Mann sterben wolle", warf Makoto ein. Kenji ergriff seine Hand und der Drummer schenkte ihm ein dankbares, wenn auch trauriges Lächeln. Es war sichtlich schwer für den schmächtigen Schwarzhaarigen, darüber zu sprechen.

"Er hat sich von der Eisenbahnbrücke gestürzt. Neben die Gleise." Shoya schüttelte den Kopf. "Er wollte nicht, dass es seiner Frau und Hiro schlecht geht." Er nahm einen Zug von seiner Zigarette, fuhr dann fort: "Hiros Mutter hat angefangen zu trinken. Sie gibt sich die Schuld."

"Scheiße", kam es über Ryouheis Lippen und er schluckte, aber der Kloß in seinem Hals wollte nicht verschwinden.

"Sie hat ihren Job verloren und sitzt den ganzen Tag zu Hause, deshalb hat Hiro sich eine Arbeit gesucht, um sie beide über Wasser zu halten. Er schiebt an der Tanke Schichten bis morgens um zwei, drei, vier Uhr und sie versäuft alles-"

"Sie hat es doch auch nicht leicht!", unterbrach Makoto den aufgebrachten Gitarristen und der nickte leicht. "Ich weiß doch", murmelte er und es klang, als hätten sie diese Diskussion schon öfter geführt.

Ryouhei schwieg. Es war als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Kein Wunder, dass Hiro nicht wieder zu erkennen war. "Ich hätte bei ihm sein müssen", murmelte er, doch Shoya schüttelte den Kopf. "Du kannst nichts dafür, Ryouhei. Er hat das so entschieden."

"Aber er ist so anders!", begehrte der Schwarzhaarige auf.

"Ich weiß, aber so ist der Lauf der Dinge. Mir ist klar, dass es auch für dich scheiße ist, aber wir können nichts daran ändern. Hiro hat das damals so entschieden und daran lässt sich nichts ändern."

"Wir haben versucht, für ihn da zu sein", meinte Makoto und sah hilflos zu Ryouhei, "aber er hat seine eigene Art, damit fertig zu werden. Vielleicht ist es nicht die, die du oder ich als richtig empfinden, aber er geht seinen Weg und wir haben zu keinem Zeitpunkt mehr tun können, als ihm unsere Hilfe anzubieten. Und er hat sie ja auch angenommen, mehr als einmal. Shoyas Hilfe. Er hat sich eben einfach so entwickelt. Er war ja noch fast ein Kind, damals."

Es herrschte ein bedrückendes Schweigen am Tisch und Ryouhei bekam eine Gänsehaut. Er dachte an den Traum, der, in dem Hiro weinend am Flughafen stand, kurz nachdem er ihm gesagt hatte, dass er ihn liebte. Es war nicht bloß ein Traum, es war eine Erinnerung und das machte es noch viel bitterer. Und Ryouhei hatte ihn im Stich gelassen. Was, wenn er nicht gegangen wäre? Wäre dann alles anders gekommen? Wäre er für Hiro da gewesen, wäre dann heute noch etwas von dem vorlauten Teenager übrig, den er mit Erdnüssen gefüttert hatte, der keine Splatterfilme mochte und keine Gelegenheit ausließ, sich zu profilieren? Hätte er etwas von der Unbeschwertheit, mit der Hiro den Tag bestritten hatte, retten können?

"Ryouhei", murmelte Makoto und der Schwarzhaarige stellte fest, dass sein ganzer Kiefer sich verkrampft hatte. Er zwang sich zu einem Lächeln. Er rechnete seinen Freunden hoch an, dass sie sich um ihn sorgten, aber er war nicht derjenige, der Aufmunterung brauchte.

Aber brachte es denn noch etwas, sich um Hiro zu bemühen? Es waren vier Jahre vergangen und auch wenn sich zwischen ihnen dreien augenscheinlich nicht viel verändert hatte, war Hiro doch der Jüngste von ihnen und derjenige, der in dieser Zeit am meisten in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung vorangeschritten war. Der Schwarzhaarige wollte gar nicht daran denken, wo er jetzt wäre, wenn zur hormonellen Belastung seiner Pubertät auch noch die Trennung seiner Eltern gekommen wäre. Er hatte auch unter der Scheidung seiner Eltern gelitten, aber er war erwachsen gewesen und Hiro war schon immer sehr viel sensibler gewesen als er. Nicht, dass seine familiäre Situation sich auch nur im Ansatz mit der des kleinen Blonden vergleichen ließ. Allein der Gedanke daran, wie es sein musste, jetzt in Hiros Lage zu sein, bereitete ihm extremes körperliches Unbehagen.

"Leben sie noch in ihrem Haus?", fragte er, Shoya schüttelte den Kopf.

"Die Lebensversicherung des Vaters gab nicht besonders viel her, deshalb mussten sie nach kurzer Zeit das Haus verkaufen. Aber ich schätze, auch davon dürfte nicht mehr viel übrig sein…"

"Sie wohnen in einer Wohnung in Chiba", fügte Makoto an und zum ersten Mal äußerte sich auch Kenji: "Ich hab mal da in der Gegend gewohnt, ist nicht besonders schön dort, aber dafür billig. Ich glaub nicht, dass Hiro das allein stemmen kann, aber er müsste ja Rente für Halbwaisen kriegen. Und seine Mutter Witwenrente."

Ryouhei hörte aufmerksam zu, aber er verstand nicht viel davon. Er kriegte Unterhalt von seinem Vater und das, was seine Mutter ihm zusteckte und das reichte allemal, sogar für Tokyo.

"Ja, Halbwaisenrente kriegt er,", meinte Shoya, "aber wenn seine Mutter Säuferin ist, kriegt die sicher kein Geld. Hat ja nicht mal den Entzug fertig gemacht."

"Sie hätte von Anfang an zum Psychologen gehen müssen, dann wäre es nie so weit gekommen", murmelte Makoto. "Die arme Frau."

"Ich hasse es, wenn du die dreckige Alte in Schutz nimmst, die kannst du vergessen", fauchte Shoya. "Wenn sie wenigstens auf den Strich gehen würde, dann müsste Hiro sie nicht ernähren!"

"Shoya, bitte…", murmelte Kenji, der bemerkt hatte, wie Makoto zusammengezuckt war.

"Ist doch so!", moserte Shoya und drückte wütend seine Zigarette aus, schwieg ansonsten aber.

"Woll'n wir nicht langsam mal deine Sachen in deine Wohnung bringen?", fragte Makoto schließlich sehr vorsichtig und Ryouhei nickte.

Sie standen auf, zahlten und gingen dann zum Minivan. Ryouhei schnippte seine Zigarette auf die Straße und sie stiegen ein.

Es war ein seltsames Gefühl, wieder auf der linken Spur zu fahren und Ryouhei, der vorne sitzen durfte, öffnete das Fenster und ließ die kalte Frühlingsluft hinein, woraufhin Shoya sofort zu meckern begann, dass das seine Frisur in Unordnung brachte. Sie machten einen kurzen Zwischenstopp an einem Elektronikladen in Akiba, wo Ryouhei sich ein iphone holte und fuhren dann zur neuen Wohnung des Schwarzhaarigen am Rande von Shinjuku. Sie gehörte seinem Vater, der wohl das Gefühl hatte, dass er sich jetzt, wo er von der Mutter seines Sohnes geschieden war, besonders um seinen Spross kümmern musste und Ryouhei beschwerte sich nicht. Sein Vater nagte auch nach der Gütertrennung nicht am Hungertuch und Ryouhei wäre ein Idiot, wenn er sich diese Wohnung hätte entgehen lassen.

Shoya stand der Mund offen, als sie im 6. Stock aus dem Aufzug stiegen und der 23-jährige die Wohnungstür aufschloss und auch Kenji konnte sich ein beeindrucktes "Wow" nicht verkneifen.

Die Wohnung hatte fast 70 Quadratmeter und war voll möbliert. Auch das hatte Ryouheis Vater übernommen, damit sein Sohn nicht mit einer leeren Wohnung da stand. An den länglichen Vorraum schloss sich die offene Küche an, die in den Wohn- und Essbereich überging. Linkerhand führte eine Stufe von der Breite des Raumes in den Schlafbereich, der sich mit zwei großen Holzschiebetüren vom Wohnzimmer trennen ließ. Dahinter war das Bad, das aber auch vom Eingang aus zu erreichen war.

"Das ist ja wohl mal die Bonzenwohnung schlechthin!", fand Shoya, schüttelte sich die Schuhe von den Füßen und lief durch die Wohnung, gefolgt von Makoto, der Kenji an der Hand hatte. Es war niedlich, wie die beiden aneinander hingen. Wie lange waren sie wohl schon zusammen?

"Alter, das Bett!!", schrie Shoya und als Ryouhei um die Ecke kam, hüpfte der Braunhaarige schon darauf. "Ich übernachte heute bei dir!", beschloss er und zeigte dann auf Makoto und Kenji. "Ihr auch!" Als Makoto aber rot wurde und zu kichern begann, nahm er es zurück: "Nein, besser doch nicht, ihr treibt es bestimmt wie die Tiere und ich kann deshalb nicht schlafen."

Der Braunhaarige hörte auf zu hüpfen und kam vom Bett herunter. "Mal ehrlich, du siehst aus wie der letzte tätowierte Gangleader und hast so ne überstylte Juppie-Wohnung, das passt gar nicht. Ich würd sagen, wir tauschen, du kriegst meine Assi-Bruchbude, und ich nehm die hier, die ist wie geschaffen für einen adrett-verruchten Charmeur wie mich."

"Und deine Assi-Bruchbude ist wie geschaffen für nen Assi-Gangleader wie mich oder was?", lachte Ryouhei und Shoya bejahte euphorisch, seufzte dann aber theatralisch auf, als Ryouhei mit einem "Nee, lass ma" ablehnte.

"Gehn wir noch einen trinken?", fragte Kenji plötzlich und obwohl noch keiner der anderen sich über den weiteren Verlauf des Abends Gedanken gemacht hatte, waren alle schnell begeistert.

Als sie um 10 in die Karaokebar um die Ecke einfielen, war es kalt geworden und es regnete ein bisschen. Zum Glück war Ryouhei klug genug gewesen, sich umzuziehen und hatte sein Bulls-Shirt durch ein T-Shirt und einen Pullunder ersetzt, dazu noch seine Lederjacke mitgenommen, aber nicht die, die er zum Motorradfahren anzog.

"Voll krass, alle Weiber glotzen uns nach", flüsterte Shoya ihm aufgeregt zu und Ryouhei rückte seine Brille zurecht, lachte leise. Es war wie früher, wenn sie ohne Erlaubnis ihrer Eltern die nächtliche Stadt unsicher gemacht hatten. Der Schwarzhaarige fühlte sich gut, aber da war auch ein unangenehmer Beigeschmack. Früher war Hiro dabei gewesen. Nachdem er und Ryouhei sich angefreundet hatten, war der Kleine kaum mehr von seiner Seite gewichen, war überall hin mitgegangen, schlimmer als eine Klette. Ryouhei hatte das nie etwas ausgemacht, denn sie waren eine lustige Truppe gewesen, auch wenn sie viel Unfug angestellt hatten, oder gerade deshalb. Aber jetzt, wo Ryouhei sich diese Abende in Erinnerung rief, fragte er sich, ob Hiro damals schon in ihn verknallt gewesen war.

"Hey, hört auf zu turteln, ihr Regenbogenfahnenträger, wenn wir aussehen wie vier crazy, hetero Single-Männer kriegen wir doppelt so viele Schnitten ab, als wenn ihr da hinten all-in spielt!" Shoyas unsensible Zurechtweisung riss Ryouhei aus seinen Gedanken und er lachte als Kenji erwiderte: "Quatsch, tut ihr lieber so als wärt ihr auch ein Paar, dann kriegen wir dreimal so viele und unsere Hälfte dürft ihr auch behalten. Das wär'n dann sechsmal so viele, wie ihr sonst kriegt."

Ryouhei legte den Arm um Shoya und zog ihn an sich. "Er hat recht, Liebling", näselte er und Shoya kreischte und rannte ein paar Schritte voraus. "Seit wann ist der so homophob?", erkundigte sich Ryouhei bei den beiden anderen, die die ganze Zeit hinter ihnen gelaufen waren und, wie der Schwarzhaarige jetzt bemerkte, unauffällig die kleinen Finger miteinander verhakt hatten.

"Erst seit du dich an ihn ranschmeißt", kicherte Makoto und Ryouhei kratzte sich am Hinterkopf.

"Bin ich für Männer so unattraktiv?"

"Nicht nur für Männer", schaltete sich Shoya fies grinsend ein, der wieder zu ihnen gestoßen war. Er erntete einen Fausthieb gegen die Schulter.

Der Abend war ausgelassen, auch wenn Ryouhei das ein oder andere Mal an Hiro denken musste, der eine sehr schöne Singstimme hatte und früher beim Karaoke immer der Beste gewesen war. Er erntete besonderen Applaus für seine Version von My Way, was vermutlich daran lag, dass er der Einzige im Raum war, der geradeaus auf Englisch singen konnte, ohne sich selbst dabei auszulachen.

Gegen halb zwei waren aber seine Kippen leer und nachdem er sich noch die ein oder andere geschnorrt hatte, beschloss er, sich doch noch eigene zu kaufen.

"Um die Ecke ist die Tanke, an der Hiro arbeitet,", lallte Makoto, der schon recht betrunken war, "wenn wir uns beeilen erwischen wir ihn noch, bevor er Feierabend hat!" Er wollte aufstehen, kippte aber zur Seite und wurde nur gerade so noch von Shoya und Kenji aufgefangen. "Du erwischst heute Abend nur noch dein Bett", tadelte Kenji ihn sanft und Makoto lachte schwipsig auf. "Aber nur, wenn du auch drin liegst. Nackt!"

Shoya schrie und verzog das Gesicht, während Makoto seinem Freund auf die Nase tippte und dreckig lachte. "Leute, echt, sowas will ich gar nicht wissen!", heulte der Braunhaarige und Kenji schien sich ein wenig zu schämen, aber seinem Grinsen nach zu urteilen fand er vor allem Gefallen an der Vorstellung.

Es endete damit, dass sie sich vor der Tür verabschiedeten, Kenji seinen Freund, der Schluckauf bekommen hatte, in ein Taxi bugsierte und Shoya und Ryouhei zur Tankstelle liefen.

"Du machst dir Sorgen, hm?", murmelte der Braunhaarige und bot Ryouhei eine seiner Zigaretten an.

"Ja, klar. Ich hab nie mit sowas gerechnet. Danke." Er nahm die Zigarette an, entzündete sie und gab das Feuerzeug an Shoya weiter. "Ich weiß nicht, wie ich jetzt mit ihm umgehen soll."

"Er ist ein völlig anderer", sagte Shoya langsam und mit trauriger Stimme. "Klar, wir haben uns alle verändert, wir sind alle erwachsen geworden, aber Hiro… Ich hab ihn nicht mehr lachen sehen seither. Er redet kaum. Er hat versucht, sich umzubringen, vier Mal. Ich hab jedes Mal was tun können, weil ich in der Nähe war, aber ich muss immer und immer daran denken, was ist, wenn ich mal nicht da bin. Er sagt zwar, es war dumm und er würde es nicht mehr machen, aber er sagt auch, dass es ihm gut geht. Und das kann nur eine Lüge sein. Wie soll ich ihm da glauben? Es ist alles so… so verdammt hart. Und es gibt nichts, was man tun kann. Das Jugendamt schickt er jedes Mal wieder heim und die kaufen ihm sein falsches Lächeln ab. Die können ja nichts machen, wenn er sagt, dass er in Ordnung ist. Aber er ist so kaputt."

Shoya blieb stehen und ballte die rechte Hand zur Faust. Ryouhei, der sich zu ihm umgewandt hatte, wusste nicht, was er machen sollte. Er hatte seinen Freund noch nie so wütend und hilflos gesehen, aber genau so fühlte er sich selbst auch. "Und diese dreckige Hure kümmert sich einen Scheiß drum, dass der Kleine sich so abrackert. Wann soll er denn noch für die Schule lernen, wenn er die halbe Nacht arbeitet? Dann schläft er zwei Stunden, geht zum Unterricht und danach gleich wieder arbeiten. Ein Wunder, dass er noch nicht von der Schulleitung oder den Bullen erwischt worden ist. Aber er nimmt ja auch keine Hilfe an! Wie oft hab ich gesagt, dass er immer zu mir kommen kann, wenn er Kohle braucht? Ich hab's auch nicht so dick, aber ich lass ihn doch nicht verhungern, während seine Alte sich die Hucke zusäuft, von dem Geld, das ER verdient hat. Immer sagt er ja und danke und wenn man ihn am andern Tag fragt, was er heute schon gegessen hat, lügt er oder sagt gar nichts. Ich hab keinen Bock mehr drauf!" Ryouhei trat zu Shoya hin, legte eine Hand auf dessen Schulter und der braunhaarige Gitarrist sah auf. "Wenn sie nicht mehr da wäre… Ich hab mir schon so oft vorgestellt, wie ich einfach in diese scheiß Wohnung rein marschiere und ihr den Bauch von unten nach oben aufschlitze. Ich hab Angst vor mir selbst, Ryouhei. Aber was soll ich denn tun? Einfach zusehen, wie Hiro immer mehr zerbricht? Das kann ich nicht."

Ryouhei schüttelte den Kopf. "Mach keine Dummheiten, Shoya, versprich mir das. Auch nicht, wenn du dir sonst nicht zu helfen weißt. Wir finden schon irgendeine Lösung, zusammen, okay?"

Der Braunhaarige nickte langsam und zog dann an seiner Zigarette. "Ich bin froh, dass du wieder da bist. Es ist alles so anders geworden, seit du weg bist."

"Es tut mir Leid-", begann der Schwarzhaarige, doch Shoya unterbrach ihn.

"Du kannst nichts dafür. Makoto ist ne verweichlichte Schwucke, aber er hat Recht. Es lässt sich nicht mehr ändern. Lass uns Kippen kaufen gehen."

Sie gingen noch ein Stück, dann waren sie auch schon an der Tankstelle. "Du hör mal,", sagte Shoya schließlich, blieb wieder stehen, "vielleicht gehst du lieber allein rein, sonst denkt Hiro bestimmt, dass ich dich angeschleppt habe, damit du mit ihm redest oder so. Also nur, wenn es dir nix ausmacht."

Ryouhei überlegte kurz, schnippte schließlich seine Zigarette weg. Wollte er Hiro allein gegenübertreten? Eigentlich brannte es ihm auf der Seele, mit dem Kleinen zu reden. Aber er war auch unsicher. "Ja, ich denke, das geht klar", erwiderte er schließlich. "Vielleicht hat er kurz Zeit für mich, wenn er gleich Schluss hat."

"Ja, das wäre gut", meinte Shoya und nickte, lächelte dann ein wenig. "Ich werd dann nach Hause gehen. Ruf mich morgen an, wenn du fertig bist auf dem Meldeamt und so, dann können wir was essen gehen und über deinen Laden reden und so. Also, bis dann."

Er winkte und drehte sich um, verschwand in die Richtung aus der sie gekommen waren.

Ryouhei sah zur Tankstelle, atmete tief durch und ging dann in den Laden.
 

Shoya ist so ein Schnocki! q.q

Ja, jetzt gehts richtig los!!!! *freu*

Liebe für tätowierte Grobassis in Pullundern!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Shuu
2012-05-10T18:32:11+00:00 10.05.2012 20:32
OMG!!!
Ich glaube du hast mir mit deiner Eat you Alive fanfiction einen Herzenswunsch erfüllt!
Sie sind so toll *Q* und die Fanfic noch besser!
Weiter so, ich werde jedes Kapitel verschlingen, hochwürgen und mir nochmal reinziehen, wie eine Kuh!


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