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Des Schicksals Ränkespiele

von

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Nachtgeflüster

Die kleine Runde saß noch eine Weile zusammen im Kaminzimmer. Die Damen genossen den Wein, der Graf fragte sie noch ein wenig aus und lauschte ihren Erklärungen. Was sie genau darauf brachte wusste Amy nicht, aber ihr kam etwas in den Sinn, was sie noch klären wollte. „Sagt Graf, wenn sie einen Sohn haben...“ Ihr Blick wanderte kurz zu Herbert. „...gibt es dann auch eine Gräfin?“ Die Miene des Grafen verfinsterte sich etwas und ein Hauch von Traurigkeit lag in seinem Blick. „Nein.“ war die knappe Antwort. Das schien kein gutes Gesprächsthema zu sein, denn auch Herbert schaute etwas melancholisch drein. „Oh verzeihen sie, ich wollte nicht unhöflich sein.“ Betreten senkte Amy den Blick. „Schon gut, sie ist vor langer Zeit gestorben.“ Die Frauen nickten verstehend. Aber zu weiteren Fragen kamen sie nicht mehr, denn gerade in diesem Moment öffnete sich die Tür und der bucklige Diener trat ein. Er teilte seinem Herrn etwas ziemlich Unverständliches mit, worauf der Graf nickte und sich erhob. „Meine Damen, ihre Zimmer sind nun hergerichtet. Kommen sie, ich geleite sie hinauf.“ Herbert hob skeptisch eine Braue, sein Vater war ja heute besonders fürsorglich. Die beiden Angesprochenen tranken schnell noch ihre Gläser leer, stellten sie beiseite und erhoben sich ebenfalls.
 

Bevor sie gingen, stieß Nene ihrer Freundin mit dem Ellenbogen in die Seite und flüsterte ihr etwas zu. „Oh ja, gute Idee!“ meinte Amy leise und wandte sich dann mit fragendem Blick an ihren Gastgeber. „Dürften wir vielleicht auch um etwas zu Essen bitten? Unsere letzte Mahlzeit ist schon eine Weile her.“ Wie zur Bestätigung war von Nene ein leises Grollen zu vernehmen und kurz danach auch von Amy. Beide Frauen legten sich eine Hand auf den Bauch und schauten verlegenen Blickes und mit leicht geröteten Wangen drein. „Gewiss.“ war die recht schnelle Antwort, doch der Graf schien kurz überlegen zu müssen. Dann wandte er sich an seinen Sohn und fragte ihn mit leiser Stimme. „Haben wir überhaupt noch etwas da?“ Herbert sah seinen Vater verständnislos an. „Was fragst du mich das?!“ entgegnete er empört und rollte mit den Augen. Amy und Nene beobachteten den Dialog der beiden Männer skeptisch. Wieder sagte der Bucklige etwas Unverständliches und erneut nickte der Graf, diesmal aber mit offenkundiger Erleichterung. „Koukol wird ihnen etwas auf ihr Zimmer bringen. Wollen wir dann?“ Auffordernd sah er die beiden Frauen an. Diese nickten lächelnd, verließen gemeinsam mit ihrem Gastgeber das Kaminzimmer und folgten ihm. In der Eingangshalle schnappten sie sich aber noch schnell ihre Rucksäcke und Jacken, um nicht mit leeren Händen zu gehen.
 

Der Weg führte sie die große Treppe in der Eingangshalle hinauf und in einen Seitenflügel des Schlosses. Nach einigen Gängen und Abzweigen blieben sie vor einer Tür stehen, die der Graf öffnete und welche dann den Blick in einen Traum von einem Zimmer freigab. „Da wären wir.“ erklärte er und deutete seinen Gästen, einzutreten. Diese nickten dankend und betraten das große, herrlich eingerichtete Zimmer. Ein großer Kleiderschrank und einige Kommoden standen an den Wänden, ein kleiner Tisch und zwei Sessel befanden sich in der Nähe eines der riesigen Fenster, die vom Boden bis fast unter die Decke reichten und in dem Kamin brannte bereits ein wärmendes Feuer. Die dunklen Vorhänge aus schweren Stoffen vor den Fenstern waren beiseite gezogen und gaben den Blick in die Nacht frei. Dominiert wurde der Raum aber von einem irrsinnig großen, reich verzierten Himmelbett. Die beiden Freundinnen staunten nicht schlecht, dieses Schloss wurde besser und besser. „Hier sollen wir schlafen?!“ fragte Nene ungläubig. Der Graf schaute sie verwundert an. „Gefällt es ihnen etwa nicht?“ Beide Frauen schüttelten energisch den Kopf. „Nein nein, das ist genial, fantastisch, ein Traum!“ erklärte Amy, was ihrem Gastgeber ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen zauberte. „Durch diese Tür gelangen sie in das zweite Schlafzimmer und durch diese in das Badezimmer.“ Der Graf wies erklärend auf die entsprechenden Türen, die von dem Raum abzweigten. Die Augen seiner Gäste weiteten sich. „Ein angrenzendes Bad?! Irre!“ Beide ließen ihre Sachen fallen und gingen zu der fraglichen Tür um einen Blick hinein zu werfen. Ausrufe des Staunens und der Begeisterung waren zu vernehmen, bevor sich Amy an den Grafen wandte. „Dürfen wir baden?“ fragte sie mit freudiger Erwartung. „Natürlich.“ entgegnete er ihr, worauf sie ihm ein übermäßig breites Grinsen zuwarf.
 

„Nun denn, meine Damen. Ich empfehle mich. Fühlen sie sich in meinem Schloss ganz wie zu Hause. Sollten sie noch etwas benötigen, scheuen sie sich bitte nicht zu fragen.“ Mit einem leichten Lächeln verbeugte sich der Graf. „Wenn wir jemanden finden. Oder wohl eher, wenn noch jemand wach ist.“ stellte Nene fest. Nun musste er schmunzeltn. „Das werden sie sicher. Ich bin ein Nachtvogel, tagsüber nicht zu gebrauchen.“ Erwartet hatte er nun eigentlich eine Skepsis geprägte Reaktion, doch stattdessen grinsten ihn die beiden Frauen breit an. „Das ist gut, wir nämlich auch.“ meinte Nene und Amy setzte mit einer gewissen Erleichterung fort: „Dann dürfte es also nicht all zu problematisch werden, wenn wir morgen erst spät unter den Lebenden weilen. Wer braucht schon Sonne?!“ Verwundert hob der Graf eine Braue. Welch merkwürdige Formulierung, so menschenuntypisch, genauso wie die Einstellung, die dahinter lag. Das konnte durchaus noch sehr interessant werden mit diesen beiden jungen Frauen. Mit einer erneuten leichten Verbeugung verabschiedete er sich nun und verließ das Zimmer, um zu seinem Sohn zurückzukehren. Er musste mit ihm noch ein paar Dinge bezüglich seiner Gäste klären.
 

Amy und Nene sahen dem Grafen kurz nach, bevor sie mit euphorischen Lauten das Bad betraten. Es war pompös und altmodisch, absolut passend zu dem, was sie bisher von dem Schloss gesehen hatten. Eine ziemlich große, ummauerte Badewanne stand unter einer Art Torbogen auf der einen Seite des Raumes, ein Waschtisch an der angrenzenden Wand und eine kleine Kommode auf der der Wanne gegenüberliegenden. Auch in diesem Raum befand sich ein kleiner Kamin, in dem ebenfalls schon ein Feuer brannte. Die beiden Frauen schwärmten für die Räumlichkeit, sie kamen sich vor wie im Märchen. Die Toilettensituation war jedoch weniger märchenhaft, weshalb Amy das Gesicht verzog. „Latrine.“ meinte sie wehleidig und zeigte auf einen kleinen Erker an der Außenwand mit der entsprechenden Örtlichkeit. Nene folgte dem Hinweis und auch ihr Gesicht verzog sich. Sie seufzte und sah ihre Freundin an. „Man kann nicht alles haben.“ meinte sie resigniert. Und wieder reihte sich ein Punkt in ihre Indizienliste für eine Zeitreise ein. Zunächst verließen sie aber das Bad wieder, denn sie mussten noch ihre Taschen herauf bringen. Zum Glück verfügten sie beide über einen guten Orientierungssinn, weshalb sie verhältnismäßig schnell zurück in die Eingangshalle fanden. Dort schnappten sie sich einige der Taschen und brachten sie nach oben. Noch ein weiteres Mal mussten sie gehen, dann war alles verräumt. Nun warfen sie einen Blick in das zweite Schlafzimmer. Es war ähnlich eingerichtet, wie das erste, also würden beide auf ihre Kosten kommen. Nach kurzer harmloser Debatte war die Verteilung geklärt, Nene blieb im ersten Zimmer, Amy nahm das Zweite. Auspacken würden sie später, jetzt wollten sie erst einmal die Kälte endgültig aus ihren Gliedern vertreiben. Daher kramten sie nur die benötigten Utensilien aus den Taschen und verschwanden im Bad.
 

Der Graf war in das Kaminzimmer zurückgekehrt, wo er zu seiner Zufriedenheit seinen Sohn immernoch vor fand. Dieser schien wieder in sein Buch vertieft zu sein. Mit fließenden Bewegungen ließ sich der Ältere in seinen Sessel sinken und wollte gerade das Gespräch beginnen, als Herbert ihm zuvor kam. „Ich bin erstaunt, Vater. Du bemühst dich ja regelrecht um die Beiden. Aber so wie ich dich kenne hast du doch schon etwas bestimmtes mit ihnen vor, nicht wahr?“ Der Graf schmunzelte. Natürlich kannte sein Sohn ihn sehr gut, er hatte schließlich mehr als 200 Jahre Zeit gehabt, alle Facetten und die Denkweisen seines Vaters zu ergründen. „Ganz recht. Und genau deswegen muss ich mit dir reden.“ entgegnete er. Herbert legte das Buch erneut beiseite und sah seinen Vater aufmerksam und erwartungsvoll an. „Und was bekomme ich als Gewinn? Immerhin habe ich unsere kleine Wette gewonnen.“ Der Graf sah ihn mit fragend erhobener Braue an. „Wette?! Welche Wette?“ Doch als er das triumphale Grinsen auf Herberts Gesicht sah, jenes welches er ihm schon zuvor geschenkt hatte, dämmerte es ihm.
 

Der Graf stand an einem der Fenster, die den Blick über den Hof auf den Wald unterhalb des Schlosses frei gaben und sah in die Nacht hinaus. Seine äußerst sensiblen Sinne hatten ihm gesagt, dass sich in unmittelbarer Nähe zu seinem Anwesen zwei Menschenleben befanden, die nun auch noch näher kamen. Schließlich konnte er sie sogar auf dem Weg, der zum Schloss führte, erkennen. Sein Sohn hatte sich zu ihm gesellt und blickte ebenfalls hinaus in die Nacht zu ihren womöglich baldigen Gästen. „Wir bekommen Besuch!“ stellte er mit gewisser Begeisterung fest. Die zwei Menschlein hatten bald das Schlosstor erreicht und verweilten dort einen Moment. Dank ihrer perfekten Vampirsicht war es den beiden Männern ohne weiteres möglich, die Besucher auch auf diese Distanz hin erkennen zu können. Der Graf schmunzelte. „Sieh an, zwei junge Sterbliche. Und wie mir scheint kommst du dieses Mal auch auf deine Kosten.“ Er warf seinem Sohn einen wissenden Blick zu. Dieser reagierte jedoch mit Unverständnis. „Ich verstehe nicht was du meinst, Vater.“ Von Krolock lachte kurz und drehte sich seinem Sohn zu. „Nun, eine junge Dame für mich und ein junger hübscher Mann für dich.“ Mit diesen Worten wand er sich ab, um die Gäste willkommen zu heißen. Herbert sah seinem Vater nach, legte den Kopf etwas schief und schaute fragend. „Aber Vater, das sind doch beides Frauen!“ Der Graf blieb stehen und warf seinem Sohn einen skeptischen Blick über die Schulter zu. „Bist du dir da sicher?“ Herbert verzog die Lippen zu einem selbstsicheren Grinsen und stolzierte an seinem Vater vorbei. „Natürlich!“ ließ er ihn wissen, bevor er verschwand.
 

„Ich habe dir doch gesagt, es sind beides Frauen! Ich erkenne das. Auch wenn ich zugeben muss, dass die eine ziemlich burschikos ist.“ Der Graf seufzte, lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete einen Moment seine Finger. „Durchaus. Und es sind zwei höchst interessante Persönlichkeiten. Ich habe aber den Eindruck, dass sie uns nicht ganz die Wahrheit sagen.“ Tadelnd legte Herbert den Kopf etwas schief. „Also bitte, was erwartest du? Sie sind sicherlich so von dir verzaubert, dass sie erst einmal alles schön reden.“ Abschätzig drehte der Jüngere den Kopf zur Seite. Seinem Vater gegenüber machte er keinen Hehl daraus, dass er nicht viel für Frauen übrig hatte. Von Krolock lachte kurz. „Das könnte tatsächlich der Fall sein. Sollte ihre merkwürdige Geschichte jedoch stimmen, so wäre dies von Vorteil für mein Vorhaben.“ Ein kalkulierendes Lächeln hatte sich auf sein Gesicht gelegt und er sah ins Leere, offensichtlich in Gedanken versunken. Herbert brauchte einen Moment um zu verstehen, worauf sein Vater hinaus wollte. Als es ihm dämmerte seufzte er missmutig. „Du willst sie also umgarnen bis sie dir hörig sind und sie dann zu Vampiren machen?“ Er konnte einen leicht verächtlichen Unterton in seiner Stimme nicht verbergen. Wenn die Dinge tatsächlich so laufen sollten, würde er wieder leer ausgehen und so langsam frustrierte ihn das gehörig. Das Lächeln seines Vaters veränderte sich zu einem nahezu diabolischen Grinsen. Mehr Antwort brauchte Herbert nicht.
 

Es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich mit der Technik vertraut gemacht hatten und sich die Wanne endlich mit warmen Wasser füllte. Mittelalterlich war die Einrichtung nicht, schließlich hatten sie fließend Wasser, allerdings das Einstellen der richtigen Temperatur erforderte Fingerspitzengefühl. Zu viel Kalt förderte eisiges Wasser aus dem Hahn, zu viel Heiß war bestens geeignet für einen schnellen Garprozess. Nene stieg zuerst in die Wanne, mit einem wohligen Seufzen bekundend, dass das Wasser gut temperiert war. Amy hatte dafür noch keine Zeit, da sie gerade in den Forscher-Modus gegangen war und das Bad untersuchte. Erst nach einigen Minuten gab sie sich zufrieden und wollte sich gerade in der Nähe der Wanne niederlassen, als es an der Tür klopfte. Sie erhob sich, verließ das Bad und beantwortete die Tür. Es war der Diener des Grafen, der mit einem Servierwagen und wenig begeistert klingenden Lauten nun ins Zimmer schlurfte. „Oh das ist so toll! Vielen Dank für die Mühe.“ meinte Amy begeistert und mit dankbaren Blick zu Koukol. Denn kaum hatte sie ein Auge auf das Essen geworfen, meldete sich ihr Magen fordernd zu Wort. Der Mann schien es gewohnt zu sein, dass man ihm eher mit Ablehnung und Ekel entgegen trat, daher war er von Amys unproblematischer und freundlicher Art so überrascht, dass er für einige Augenblicke in seiner Bewegung verharrte und die junge Frau einfach nur anstarrte. Amy sah ihn nun fragend an und legte den Kopf schief. „Alles in Ordnung?“
 

Koukol erwachte aus seiner Starre und gab ein Grummeln von sich, während er das Tablett von dem Servierwagen nahm und es zu dem kleinen Tisch am Fenster brachte. Amy sah ihm, immernoch auf eine Antwort wartend, mit fragendem Blick bei seinem Tun zu und als er wieder an ihr vorbeikam, versuchte sie es erneut. „Ehm... Wo sollen wir das Geschirr dann hinbringen?“ Doch alles was sie als Antwort bekam war ein missmutiges Gurgeln und eine abwinkende Handbewegung, dann war der Mann mit seinem Servierwagen auch schon wieder verschwunden. Amy hob skeptisch eine Braue und sah die nun wieder geschlossene Zimmertür einen Moment an. „Dann halt nicht...“ meinte sie mit einem Schulterzucken und ging zu dem Tablett. Koukol hatte ihnen einen Teller mit Brot, einen mit Wurst und Käse und eine Kanne mit zwei Tassen gebracht. Es war zwar kein Festmahl, so auf die Schnelle war das auch nicht zu machen, aber das Gebotene würde satt machen. Amy nahm sich eine Scheibe Brot, packte Wurst darauf, faltete das Brot zusammen, nahm einen großen Bissen und ging damit zurück ins Bad. „Wir haben Essen!“ verkündete sie, nachdem sie hinunter gekaut hatte und hielt ihrer Freundin demonstrativ die Schnitte vor die Nase. Nene grinste und mit einem seeligen „Cool~“ biss sie in das Brot. Nachdem Amy aufgegessen hatte lugte sie in die Wanne. „Die ist doch groß genug für zwei, oder?“ Ohne die Antwort ihrer Freundin abzuwarten zog sie sich aus und stieg ebenfalls in die Wanne. Nene konnte bloß noch ein brotestierendes „Hey!“ äußern, da war die Freundin schon bis zum Hals im Wasser und stöhnte genüsslich. Sie verzog das Gesicht missmutig und verschränkte die Arme vor der Brust. Amy grinste nur. „Auf die Weise verbrauchen wir nur einmal Wasser.“ Mit einem wenig begeisterten Grummeln lies sich Nene ebenfalls bis zum Hals ins Wasser sinken.
 

„Und worüber genau willst du jetzt noch mit mir reden? Ist doch alles klar.“ Herbert lies sich mit verschränkten Armen in den Sessel zurück fallen. Er konnte sich die nächsten Nächte schon lebhaft ausmalen. Sein Vater in seinem Element, wie er die beiden Frauen umgarnt, ihnen schmeichelt, Verheißungen macht und wahrscheinlich sogar hypnotisiert und sie ihm dafür wie treudoofe Hündchen hinterher dackeln und gar nichts mehr merken. Dass sie vor lauter falscher Zuneigung nicht realisieren, wie sie seinem Vater immer mehr in die Falle gingen. Und am Ende würden sie ihre Naivität mit dem Leben bezahlen. Frauen waren so leicht zu beeindrucken, auch ein Grund warum er nichts romantisches für sie übrig hatte. Der Graf sah seinen Sohn mit erhobener Braue an. „Ist wirklich alles klar? Gut, dann kann ich also mit deiner Unterstützung rechnen.“ Die Stimme seines Vaters riss Herbert aus seinen Gedanken und er blickte verwirrt auf. „Wie, bitte, was?! Moment. Was meinst du mit Unterstützung?“ Das Ergebnis, zu welchem ihn die Analyse der ihm eben zugedachten Worte brachte, behagte ihm überhaupt nicht. Sein Vater verlangte doch nicht allen Ernstes, dass er bei diesem Schmierentheater mitmachte, oder?! Seine Begeisterung war ihm deutlich anzusehen, worauf der Graf leicht lachte. „Falls du befürchtest, ich verlange von dir eine der beiden zu umgarnen, dann kann ich dich beruhigen. Das ist nicht der Fall. Ich will lediglich, dass du im entsprechenden Maße mitspielst, charmant und höflich bist. Eben ganz der Sohn eines Grafen.“ Wieder zierte dieses fiese Grinsen die Gesichtszüge des älteren.
 

Die beiden Frauen hatten sich in der Wanne inzwischen arrangiert. Sie war zwar ausreichend groß, aber Amys lange Beine mussten trotzdem irgendwie verstaut werden. Schließlich hatte sie sie unter denen der Freundin hindurch geschoben und zu ihrer beider Seiten abgelegt. „Sag ehrlich, was denkst du von unseren Gastgebern?“ durchbrach die Größere die kurzweilige Stille. „Naja...“ begann Nene, hob einen Arm aus dem Wasser um den Ellenbogen gegen den Wannenrand zu stämmen und den Kopf auf die Hand zu stützen. „Sie sind... gruftig... so irgendwie. Oder hast du eine bessere Umschreibung?“ Amy musste etwas lachen. „Irgendwie schon. Alles hier, um genau zu sein. Und irgendwie ist es auch wie in einem Film, meinst du nicht?“ „Irgendwie schon. Ihre Kleidung, die Art wie sie reden, wie sie sich benehmen, das wirkt alles wie in einem Historienfilm.“ Amy schielte hinüber zu dem Erker mit der gewissen Örtlichkeit und verzog das Gesicht. „Oh ja, modern ist anders.“ Nun lachte Nene. „Durchaus.“ Ein kurzer Moment des Schweigens legte sich über die Badenden, in dem sie ihre Gedanken aussortierten und Schlussfolgerungen formulierten. Amy durchbrach schließlich die Stille, indem sie sich aufsetzte und ihre Freundin mit ihrer Erkenntnis konfrontierte. „Also geh ich recht in der Annahme, dass du mir da zustimmst, wenn ich behaupte, wir sind durch die Zeit gereist?“ „Wenn du dich so ausdrücken möchtest, ja.“
 

Herbert schnaufte verächtlich. „Und was ist überhaupt mit dem Mädchen aus dem Dorf?“ Der Graf bedachte seinen Sohn mit einem fragenden Blick. „Was soll mit ihr sein? Sie ist Teil meines Plans, ich muss lediglich den richtigen Zeitpunkt abwarten, da sie am empfänglichsten für meine Verheißungen ist. Sie muss schließlich alleine herkommen, ich habe keine Lust das ganze Dorf im Schloss zu haben. Und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich den Mitternachtsball veranstalten.“ Nachdenklich schweifte sein Blick hin zum Kaminfeuer. Was das Mädchen anging entwickelte sich alles nach seinen Vorstellungen. Seit Jahren beobachtete er sie, wie aus einem kleinen ungestümen, frechen Mädchen eine hübsche junge Dame wurde und wie sie ihr Vater immer mehr einsperrte, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne. Der Graf konnte nur schmunzelnd den Kopf schütteln. Ihr Vater spielte ihm regelrecht in die Hände, wie er seine Tochter so verbarg, in übertriebenem väterlichen Beschützerinstinkt. Das Mädchen hatte dadurch ein derart großes Bedürfnis nach Freiheit entwickelt, dass es dem Vampir ein Leichtes sein würde, sie zu sich zu locken. Und eben dieser Freiheitsdrang würde sie in die Welt hinaus treiben, wenn er sie ersteinmal von den Fesseln der Sterblichkeit befreit hatte. Sie würde die Vampire in die Welt hinaus bringen, genau so wie er es wollte. Er hegte keinerlei romantische Gefühle für dieses Mädchen, sie war lediglich Mittel zum Zweck. Gefühle hatte er sich vor langer langer Zeit verboten, zu oft endete sein vermeintliches Glück in einer Katastrophe und brachte ihm nur Leid und Traurigkeit. Zudem konnte er mit einem naiven und unerfahrenen Ding wie der Wirtstochter nicht viel anfangen.
 

„Vater? Hörst du mir überhaupt zu?!“ Die energische Stimme seines Sohnes brachte von Krolock aus seiner Gedankenwelt zurück in die Realität. Verwundert sah er zu ihm, dessen zuvor gestellte Frage er schlichtweg überhört hatte. „Hm? Verzeih, ich war in Gedanken.“ „Ja das habe ich gemerkt!“ erklärte Herbert und sah seinen Vater vorwurfsvoll an. Der Graf erwiderte mit einem finsteren Blick. „Was wolltest du wissen?“ Der Jüngere rollte gespielt theatralisch die Augen. „Was mit unseren Gästen ist. Willst du sie etwa bis zum Ball hier behalten?! Ich denke nicht, dass das gut gehen würde.“ Die Bedenken waren durchaus berechtigt. Was, wenn der Charme seines Vaters die beiden nicht völlig für sich einnahm? Wenn sie die ungewöhnliche Lebensweise ihrer Gastgeber in Frage stellten? Oder schlimmer, wenn sie erkannten, dass er und sein Vater Vampire waren? Das Geschrei wäre groß und die beiden Frauen würden sicher versuchen zu flüchten. Oder sie waren vielleicht Vampirjäger und gezielt hergekommen. Oh Luzifer bewahre! Herbert verzog verunsichert das Gesicht. Jetzt war er es, der in die tiefen seiner Gedankenwelt versunken war und von der Stimme seines Gegenübers nun wieder in die Realität zurück geholt wurde. „Da wirst du Recht haben. Es werden allenfalls ein paar Tage werden, bevor ich sie der ewigen Nacht weihen werde.“ Der Graf lehnte sich in seinem Sessel zurück, stützte die Ellenbogen auf die Armlehnen und verschränkte seine langen dünnen Finger vor seinem Gesicht. Nun hatte er die volle Aufmerksamkeit seines Sohnes wieder. „Aber zuvor werde ich sie ein wenig ausfragen, wir haben schließlich nicht sehr oft so weitgereiste Gäste.“ Ein kalkulierendes Grinsen legte sich erneut auf seine Züge. „Vielleicht bleiben sie auch bis nach dem Ball, dann kann ich das Sternkind in ihre reiseerfahrenen Hände geben.“
 

Herbert hob skeptisch eine Braue. Wurde sein in Herzensangelegenheiten sonst so unterkühlter Vater jetzt etwa gefühlsduselig in Bezug auf dieses Bauernmädchen? „Damit die beiden die Kleine beschützen können?!“ wollte der Jüngere wissen. Der Graf lachte und schüttelte den Kopf. „Wo denkst du hin? Aber es wäre eine Verschwendung wenn sie in ihrer Unerfahrenheit nach wenigen Nächten verloren geht. Da kommen mir unsere beiden momentanen Gäste sehr gelegen. Zudem scheinen die beiden über ein beachtliches Maß an Intelligenz zu verfügen. Vielleicht können sie noch etwas Wissen in den Dickschädel von Chagals Tochter bringen.“ Nun musste auch Herbert lachen. Nein, sein Vater hatte nicht plötzlich eine 180°-Wende gemacht und irgendwelche nicht nachvollziehbare, romantische Gefühle für die Wirtstochter entwickelt. Somit war er beruhigt. „Tja, dann kannst du wohl nur dein Glück mit den beiden versuchen und der Dinge harren, die da kommen.“ meinte der Grafensohn und griff wieder nach seinem Buch. Für ihn war nun alles besprochen. Dass er seinem Vater nicht in den Rücken fallen und dessen Schauspiel als solches vor den beiden Frauen enttarnen würde, stand außer Frage. Der Graf verstand die Haltung seines Sohnes als die gewünschte Antwort und nickte zufrieden. Dann erhob er sich und machte sich auf den Weg in seine Bibliothek, um sich selbst Lesestoff zu versorgen.



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