Zum Inhalt der Seite

Geteiltes Leid

Seto und Mokuba
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein schmerzhafter Verlust

Es dauerte nicht lange (mir kam es jedenfalls nicht lange vor) und Mama musste ins Krankenhaus. Das war der Zeitpunkt, an dem ich anfing, meinen Bruder oder meine Schwester oder Was-auch-immer aus tiefster Seele zu verabscheuen. Schließlich war Mama wegen meines Geschwisterkindes im Krankenhaus und konnte nicht mehr bei uns sitzen, mit uns zusammen essen, Geschichten erzählen oder mit mir spielen. Ich nahm mir vor, niemals mit meinem Bruder oder meiner Schwester irgendetwas zu tun zu haben, geschweige mit ihm oder ihr zu spielen.

Und irgendwann war der Tag da. Aufgeregt lief Papa durch das Wartezimmer des Krankenhauses, während ich auf einem Kinderstuhl, den man mir gebracht hatte, ruhig sitzen blieb. Ich fragte mich allmählich, warum ich hier war. Nun, ich gab zu, dass ich neugierig war, und schon ein bisschen gespannt auf das Baby, was Mama bekommen würde. Außerdem hätte ich keine Wahl gehabt, als herzukommen, denn Papa hätte mich bestimmt nicht allein zuhause gelassen. Dennoch war ich gefasst.

Schließlich öffnete sich dir Tür und Papa und ich wurden hereingebeten.

Warme Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das Fenster und auf das Krankenbett, in dem Mama saß. Sie sah etwas blass aus, aber überglücklich. Und da war dieses kleine Bündel auf ihrem Arm, faltig, schrumplig, in eine Decke gewickelt und nuckelte an ihrer Brust.

„Komm, Seto!“, sagte sie und streckte eine Hand nach mir aus, „Kommt beide her!“

Ich lief zu ihr hinüber und sie streichelte liebvoll meinen Kopf. Ich konnte gerade so über das Bett gucken und brachte keinen Ton heraus.

„Wie findest du ihn? Wie findest du deinen Bruder Mokuba?“, fragte mich Mama, doch ich konnte nicht antworten.

Papa, der nun ebenfalls das Bett erreicht hatte, antwortete statt meiner. „Ich finde ihn wunderbar, Schatz.“ Und er gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte…Ich starrte auf das kleine Leben, welches nun, die Augen geschlossen, herzhaft gähnte, nachdem es sich satt getrunken hatte. In diesem Augenblick verschwand alles, was ich mir vorgenommen hatte; vergessen waren alle meine Vorsätze. Schüchtern hob ich meine Hand und berührte sanft den weichen Baby-Arm meines Bruders. Ich hatte noch nie etwas so niedliches gesehen.
 

Bald ereignete sich schreckliches. Es hätte alles so schön werden können…mit Mama, und Papa – und meinem Bruder. Wir hätten eine richtige Familie sein und jede Menge Spaß zusammen haben können. Doch…

Papa und ich holten eines Tages meinen Bruder ab. Wir hatten eigens einen Kinderwagen besorgt, sodass wir ihn gut nach Hause bringen konnten. Papa meinte, er wäre mittlerweile alt genug und dürfe daher nicht mehr im Krankenhaus bleiben. Bei dem Wort alt musste ich argwöhnisch die Nase rümpfen. Ich fand meinen Bruder nicht alt; er war schließlich immer noch ein Baby und kaum größer als Papas Arm.

„Papa?“, fragte ich, denn eine Sache war mir unverständlich, „Warum darf Mama denn nicht zu uns nach Hause kommen?“

Papa hielt den Kinderwagen, den er geschoben hatte, an. Dann beugte er sich ernst zu mir hinunter und fasste meine Schultern. „Hör mal, Seto. Ich habe dir doch gesagt, dass eine Geburt sehr anstrengend ist.“

Ich nickte.

„Und manchmal müssen die Mütter deshalb noch länger im Krankenhaus bleiben, um sich zu erholen.“

Ich erinnerte mich daran, wie blass und erschöpft Mama ausgesehen hatte und verstand, was er meinte. „Also müssen wir nur warten bis sie wieder ganz gesund ist?“

„Ja, Seto.“, bestätigte Papa und stellte sich wieder gerade hin. Für einen Augenblick hatte sein Gesicht einen schmerzvollen Ausdruck angenommen. Doch sofort glätteten sich seine Züge wieder. „Ja, Seto…wir müssen nur warten…“
 

Mama blieb noch lange Zeit im Krankenhaus. Papa und ich besuchten sie oft. Ich hoffte – ja, ich glaubte fest daran – dass sie eines Tages wieder nach Hause kommen würde. Jedes Mal, wenn wir mit dem Auto zum Krankenhaus fuhren, stellte ich mir vor, wie wir die Tür öffnen würden und Mama uns freudestrahlend entgegenkommen würde. Wie sie mich an sich drücken und verkünden würde, dass sie wieder vollkommen genesen sei.

Doch stets sah ich sie nur in ihrem Bett liegen, von Tag zu Tag blasser werdend und mittlerweile unfähig, aufzustehen. Ihre Stimme klang heiser und kraftlos; die Hand, die mir früher so liebevoll über den Kopf gestrichen oder mir lebhaft und neckisch in die Wange gekniffen hatte, wurde immer schwächer.

Ein schrecklicher Gedanke rückte mehr und mehr in mein Bewusstsein und ließ mich nicht mehr los: Was, wenn Mama irgendwann nicht mehr da wäre? Was ist, wenn sie…Ich mochte es mir nicht vorstellen. Mama würde niemals…sie würde immer für uns da sein, würde mit uns zu hause sitzen, würde mit uns lachen, spielen und scherzen! Nein, sie wird nicht sterben! Eines Tages wird sie wieder gesund sein, sagte ich mir und ich war mir dabei so sicher.

Ich wusste nicht, wie sehr ich mich irrte.
 

Eines Nachmittags kam mich Papa wieder vom Kindergarten abholen. Er hatte Mama am Vormittag allein im Krankenhaus besucht. Ich sah ihn bereits vom Fenster aus auf das Gebäude zu gehen. Als die Tür aufging, rannte ich ihm entgegen, um ihn zu begrüßen. Doch an diesem Tag breitete er nicht wie sonst die Arme aus und lächelte mich freudig an oder begrüßte mich mit einem „Hallo, Seto, wie geht es dir?“

Etwas war anders.

Ich hielt inne und sah, wie er mit steifem Rücken langsam, fast geräuschlos, die Eingangstür von innen schloss. Dann drehte er sich zu mir um.

Was ich sah, ließ mich schmerzen. Sein Gesicht war von Traurigkeit erfüllt; glasige Augen blickten nachdenklich in die Ferne; seine Wangen waren von Tränen feucht. In diesem Augenblick wusste ich – auch ohne, dass er es mir sagte – was passiert war. Ich wusste, dass das Leben nie mehr so sein würde wie früher.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  usagi_san
2012-01-28T16:05:34+00:00 28.01.2012 17:05
trauriges erlebnis. erst eine gut verlaufene geburt und dann kommt da ne böse krankheit und nimmt zwei kindern die mutter weg. q.q

ich finde du hast es gut beschrieben, und der satz das es nie mehr so sein würde wie es war, ist wirklich treffend.

LG usagi^^


Zurück