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Schattentanz

Das Tagebuch der Vergessenen
von

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Hinter dem Vorhang

Verflucht nochmal! Es wäre besser gewesen, wenn sie nicht gewartet hätte! Es wäre bessergewesen, wenn sie einfach in den Häuserschluchten verschwunden, einen Umweg genommen und dann nachhause gefahren wäre. Nun war sie in ihrer kleinen Wohnung, wenige Stunden nach dieser seltsamen Unterredung. Kaey hockte eingesunken auf dem Sofa, das Gesicht in den Händen vergraben, die Zähne so fest aufeinandergepresst, dass es fast schon wehtat. Warum war sie nicht gegangen? Sie hätte sogar noch gehen können, nachdem der Wagen zum stehen gekommen war. Sie hätte nicht mit diesem Freak reden müssen. Verdammt, sie hatte nicht einmal das getan, was sie sich vorgenommen hatte: Ihnen allen den Gar auszumachen. Es war so ähnlich gewesen wie damals, als sie solchen Kreaturen zum ersten Mal begegnete. Jeglicher bewusster Einfluss auf ihr eigenes Handeln erlahmte, gleich einem Schleier der sich über sie legte, der jede Regung, jeden Widerstand im Keim ersticken ließ. Sie hatte sich hingesetzt, sie hatte zugehört, sie hatte solange zugehört, bis ihr Gegenüber geendet hatte. Ohne etwas zu hinterfragen, ohne auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben, ohne vielleicht den wirklichen Sinn der Worte zu erfassen und dann… dann hatte sie gehen können – sie hatte die ganze Zeit gehen können. Niemand hatte sie festgehalten, niemand hatte ihr gedroht. Trotzdem sie war geblieben, obgleich sich etwas tief in ihr dagegen gesträubt hatte. Langsam schoben sich die Finger von ihrem Gesicht und Kayla schlug langsam die Augen auf, blinzelte in das trübe Licht der Dämmerung, das sich im Glas der Fenster brach. Ein fahler, tanzender Lichtschein, der kaum genug Kraft zu haben schien um die Dunkelheit der Nacht zu vertreiben. “Ich bin so dumm… so unendlich dumm..:”, murmelte sie zu sich selbst. Dabei rutschten

ihre Füße vom Sofa auf den Boden und Kaey ließ sich mit einem tiefen Seufzen seitlich auf das Polster fallen. Einen klaren Gedanken fassen. Sie musste versuchen ihr Denken zu strukturieren, in klare Bahnen zu leiten, aber es fiel so unendlich schwer. Die Müdigkeit steckte nicht nur in ihren

Gliedern, sondern auch in ihrem Kopf. Die Lider hatte sie zur Hälfte gesenkt, betrachtete durch einen Tränenschleier die tanzenden Staubkörner im Schein der aufgehenden Sonne. Warum durfte sie, sie nicht einfach weiter hassen? Das wäre leichter gewesen. Sie gegen den Rest der Welt. Bislang hatte es doch funktioniert. Sie war noch hier, sie atmete noch, sie lebte noch. Und so? Einmal mehr das Weltbild über den Haufen geworfen. Nicht so tiefgreifend, so einschneidend wie das erste Mal, aber deshalb schmerzte es nicht minder weniger in der Seele. Kaey streckte eine Hand aus um mit den Fingerspitzen nach den winzigen Partikeln zu tasten, die träge durch die Luft rieselten. Noch einmal schloss sie die Augen, kniff sie fest zusammen, ballte die Hand zur Faust um sich im nächsten Moment regelrecht auf die Füße zu katapultieren. Raus. Sie musste hier raus, sonst würde die Last ihrer Gedanken sie einfach zerquetschen. Es änderte nichts, wenn sie sich jetzt verkroch. Nein. Das Chaos in ihrem Kopf würde sich damit nicht lösen lassen. Natürlich um eine Entscheidung zu fällen, dafür musste sie in Ruhe nachdenken, aber niemand hatte von ihr Verlang das von Jetzt auf Gleich zu tun – niemand hatte irgendetwas von ihr verlangt, lediglich einen Ratschlag hatte sie erhalten. Und darüber würde sie auch nachdenken, nur nicht jetzt.
 

„Was? Schon wieder ein Toter? Ja, ich bin unterwegs.“ Seufzend legte Kim den Hörer auf die Gabel. Das war jetzt schon der Zwölfte Tote in diesem Jahr, der diesem Psyhopatem zum Opfer

gefallen war und in Anbetracht der Tatsache, dass es gerade mal Anfang März war, schönte es die Sache nicht unbedingt. Viel unangenehmer war jedoch die Tatsache, dass es keinerlei Anhaltspunkte auf den Täter gab und das Ganze wohl nur die Weiterführung einer Mordserie der vergangenen Jahre war. Kim hatte den Fall damals nicht bearbeitet, er hatte sich lediglich letzte Wochen die Akten darüber rausgesucht und angefangen sie durchzulesen – eine langwierige Sache. Der Kollege der zuständig war, der saß mittlerweilen in der Psychatrie. Seltsame Geschichte. Gähnend stopfte seinen Dienstausweis, seinen Geldbeutel, den Autoschlüssel und eine Packung Zigaretten in die

Taschen und machte sich auf den Weg. Dabei war er doch vor wenigen Stunden erst von seiner Schicht nachhause gekommen, aber Verrückte achteten unglücklicherweise so selten auf Dienstzeiten. Vor sich hin brummelnd stieg er die Treppen nach unten. Die unzähligen, schlaflosen Nächte, die er damit zugebracht hatte, hinter dem Schreibtisch zu sitzen machten sich bemerkbar und sein Körper fing langsam an gegen die Überstunden zu protestieren.

Es war so, wie er es sich gedacht hatte. Von weitem sah er schon, die unzähligen Gaffer, die auf der Straße herumstanden, dazwischen ein paar Beamte, die vergebens versuchten die Leute davon zu scheuchen. Kim parkte den Wagen irgendwo abseits und ging das letzte Stück zu Fuß. Auf halbem Weg, kam ihm ein etwas jüngerer Polizist entgegen, der aufgeregt Gestikulierte. „Detective Rouklin, wir haben schon auf sie gewartet. Es ist genau, wie die letzten Male.“ „Ganz ruhig Officer, sie sollten jetzt am besten nach Hause fahren und sich etwas schlafen legen. Sie sind schon ganz blass.“ Kim kannte den Mann und war der Ansicht, dass er seinen Beruf verfehlt hatte und besser als Verkehrspolizist aufgehoben sei, als in seiner Abteilung. Naja gut rein vom Äußerlichen her würde man dem jungen Mann den Polizisten wohl eher abnehmen als ihm selbst, denn Kim passte nicht so ganz in eine der Schubladen in die man Gesetzeshüter so gerne steckte. Zu den Donought fressenden Streifencops passte er nicht, dafür fehlte der dicke Bauch, zu den akkuraten Bürokraten

des Departments allerdings auch nicht, dazu war er nicht schmierig genug, obwohl er im Dienst meist mit einem hellgrauen Anzug und einem Trenchcoat herumstiefelte. Für einen Aktenschubser war er allerdings zu groß, durch das Kampfsporttraining wohl auch zu athletisch, selbst wenn man um letzteres zu erkennen wohl zweimal hinsehen musste. Viel offensichtlicher störend wirkten dann eher die wasserstoffblonden Haare, die im Licht manchmal beinahe weiß erscheinen wollten, was ihm in Kombination mit der hellen Haut und den kleinen Gläsern der Sonnenbrille einen fast schon unheimlichen Touch verlieh. „Natürlich, Sir. Wie sie meinen.“ Der Officer schien etwas geknickt, huschte jedoch artig davon.
 

Das Haus sah ziemlich erbärmlich aus. Der Putz blätterte an etlichen Stellen und die Fenster schienen schon mehrmals ausgebessert worden zu sein. Im Großen und Ganzen wirkte es nicht

besonders einladend, oder gar freundlich. Murrend stieg Kim die Treppen zum dritten Stock empor, wo sein Kollege schon wartete. „Siehst ja nicht gerade munter aus.“ „Halt die Klappe Marty, sag mir lieber, was hier los ist.“ Kim sah seinen Kollegen Martin Cannon giftig an. Marty war gut einen Kopf kleiner als Kim, war mit mitte Dreißig auch sechs Jahre älter als er, hatte kurzes, schwarzes Haar und ein rundes, freundliches Gesicht. Sie kannten sich schon lange und eigentlich machte sich Kim nicht mehr viel aus Martys sanften Spott, aber augenblicklich war nicht in Stimmung zum Witze reißen. „Das selbe wie bei den beiden letzten Malen. Das Opfer konnte man ausnahmsweise sogar schon identifizieren. Andrew Carlsan 45 Jahre, allein stehend. Ach ja, du solltest da besser nicht reingehen, kein besonders schöner Anblick… ähnelt einem schlechten Horrorfilm.“ Kim

machte eine abwertende Handbewegung und betrat die Wohnung. Hier sah es aus, als wäre seit Jahren nichts mehr aufgeräumt worden. Überall lagen Klamotten, Unrat und dreckiges Geschirr herum, dazwischen sah man einiges Getier unter anderem auch eine Ratte, die neugierig auf ihn zukrabbelte. Er verscheuchte sie mit einem kurzen Aufstampfen. „Niedliche Hausgesellen hatte der…“ Sein Blick streifte durch die Wohnung und klammerte sich schließlich an dem Körper fest, der regungslos auf dem Boden lag – oder vielmehr an dem was davon übrig geblieben war. Marty hatte recht, die Szenerie erinnerte an einen dieser schlechten Splatterfilme bei denen mit viel zu viel Kunstblut gearbeitet wurde. Klar es war hier in der Realität weniger, dennoch möchte man meinen, dass in den kläglichen Überresten des Mannes jetzt nicht mehr vorhanden sein durfte, nachdem das meiste auf dem Boden und an den Wänden verteilt war. Sogar die Kleidung des Opfers war mit der roten Flüßigkeit, die teilweise schon eintrocknete regelrecht durchtränk. Kim zog ein Taschentuch aus der Tasche, drückte es sich auf Nase und Mund und trat einige Schritte näher um sich langsam in die Hocke niederzulassen, die Überbleibsel mit konzentriertem Blick zu mustern. Wiederlich. Über die These, dass es sich bei dem Killer um einen Metzger handelte war schon mehr als einmal aufgestellt worden, aber es war einfach nicht Stimmig. Langsam glitt sein Blick über die kleinen, runden Gläser hinweg über die Gestalt, beim Gesicht angefangen, das im Gegensatz zu sonst beinahe unberührt geblieben war, glitt den Hals hinab, der seltsam verdreht wirkte, hin zum Oberkörper, der wohl bei der ganzen Geschichte den höchsten Ekelfaktor besaß: Das seidene Hemd war nicht nur durchtränkt, es war aufgerissen, regelrecht zerfetzt, wie auch der Leib selbst. Ganz als hätte jemand unfachmännisch den Oberkörper aufgeschnitten um den armen Kerl dann ausgeweidet. Klar, Kim war kein Gerichtsmediziner, aber er hatte genug Ahnung um zu sehen, dass man kein Messer oder etwas ähnliches verwendet hatte. Es sah aus, Gott es sah aus als wäre die Leiche Stellenweise angefressen worden, wie von einem wilden Tier. Das war der Punkt, an dem sogar Detectiv Rouklin spürte wie die Übelkeit fast übermächtig wurde. Rasch erhob er sich, machte einige Schritte zurück, drehte sich weg. Für einen Moment glaubte er den Brechreiz nicht bezwingen zu können und es kostete einige Augenblicke bis er sich weitestgehend wieder unter

Kontrolle hatte. Es wäre nicht nur peinlich gewesen sich an einem Tatort zu übergeben, sondern auch Verunreinigung von Beweismitteln. Kim hielt noch einen Moment Inne, ehe er doch zum

taktischen Rückzug überging, die Wohnung mit raschen, ausgreifenden Schritten wieder verließ, wo Marty nach wie vor Stellung bezogen hatte. Der musste unweigerlich grinsen, als er bemerkte, dass sein Kollege um einiges blasser um die Nase war als sonst. Kim indess nahm das Taschentuch vom Gesicht, atmete einige Male tief durch, ehe er sich räusperte und in fast schon geschäftsmäßigen Ton zu sprechen begann, wenn auch die Stimme ein klein wenig belegt klang: “Die Kleidung… Der Mann trägt einen Anzug von Armani, das… Etikett war am Hosenbund zu sehen. Bist du sicher, dass der Kerl hier gewohnt hat?“ „Todsicher, wir haben einige andere Hausbewohner befragt und eine Anfage an die Behörden rausgegeben, denn sie Sache mit dem Anzug kam uns auch seltsam vor. Die Spurensicherung müsste auch jeden Augenblick eintreffen “ Martys Grinsen war zum Großteil bereits verblasst, gewann gerade jedoch wieder an neuer Kraft. “Tja und du scheinst ja auch genug gesehen zu haben, eh?” Kim verdrehte die Augen und verpasste Marty einen sanften Klaps auf den Hinterkopf. Einen Moment später war er auch schon wieder dabei die Treppen nach

unten zu nehmen, auf halber Höhe im Treppenhaus stehen bleibend. Kim lehnte sich über das Geländer, sah durch die offenstehende Vordertüre hinaus durch die er das Gebäude zunächst betreten hatte und zog eine Grimasse. Neben dem bläulichen Schein der Polizeifahrzeuge konnte man dann und wann auch ein kurzes Aufblitzen ausmachen, das sehr deutlich eines sagte:

Sensationsgeile Zeitungsschmierer. ‘Wie die Geier…’, dachte Kim, griff mit den Händen nach der Brüstung und schwang sich ohne groß Federlesen darüber. In dem Moment indem er auf dem Boden aufkam, hörte er noch etwas. Ein leises Schaben, gefolgt von Scharren das klang als würden Schuhe über Beton gleiten. Der Detectiv wirbelte herum, als er aus den Augenwinkeln einen Schatten wahrnahm – kurz darauf wurde die Hintertüre die sich am Ende des Flures befand ins Schloss gezogen. Kim hielt für einen Augenblick den Atem an, während sich seine Gedanken überschlugen den Bruchteil einer Sekunde später setzte setzte sein Instinkt ein, der ihm sagte, dass das was da gerade heimlich hinausgehuscht war, keiner der Hausbewohner war.
 

Er flog nahezu über den bröckeligen Asphalt, der wohl vor Jahrzehnten das letzte Mal ein Straßenbauteam gesehen hatte. Immer wieder musste er langsamer werden um nicht gegen eine

Betonwand zu rennen, denn die Biegungen in den schmalen Gassen zwischen den maroden Häusern waren sehr scharf, manchmal erst im letzten Moment zu erkennen, wenn man schon befürchtete in einer Sackgasse gelandet zu sein. Abermals sprang er über eines der vielen Hindernisse hinweg, über umgestürzte Mülltonnen, liegen gelassenen Unrat, leere Flaschen. Schnaufend rang er nach

Atem, aber er durfte nicht anhalten, obwohl er jeden Moment das Gefühl hatte, dass seine Lungen kollabierten. Der dünne Stoffmantel flatterte im Wind, die zotteligen schwarzbraunen Haare hatten sich schon vor längerer Zeit aus dem zuvor gebunden Zopf gelöst. Wieder hastete der Blick gehetzt über die Schulter und obgleich er im Moment niemanden sah, so wusste er doch ganz genau, dass er den Verfolger noch nicht abgeschüttelt hatte. Ein Block trennte ihn noch vom nächsten, zumindest halbwegs sicheren Versteck, aber bis dahin durfte er nicht stehen bleiben. Zu seinem Glück war hier niemand unterwegs. Es hätte Fragen aufgeworfen, selbst bei den Obdachlosen die hier herumlungerten. Dass er auf der Flucht war, das wäre eine leicht zu machende Feststellung, so wie er sich gebärdete, viel wichtiger war da wohl das Detail, dass er aussah als hätte ihm jemand Tomatensaft über Hände und Kleidung geschüttet.
 

Irgendwas roch hier seltsam, aber der Geruch störte ihn weniger als der Muskelkater, der sich just in dem Moment bemerkbar machte, als sein Bewusstsein sich aus dem Schlummer löste. Er fühlte sich als hätte er am Marathonlauf, Iron-Men-Wettbewerb und den Olympischen Spielen gleichzeitig teilgenommen. Ganz zu schweigen davon, dass sein Zeitgefühl sich verabschiedet hatte. Der Untergrund auf dem er lag war hart. Kein Wunder, es war ein leerstehendes Haus gewesen in das er sich zurückgezogen hatte. Mit einem leisen ächzen auf den Lippen drehte er sich auf den Rücken, nuschelte Schlaftrunken etwas vor sich hin und rümpfte die Nase. Roch er selbst so komisch? Wieso…? Ach doch! Ruckartig schlug er die Augen auf, wollte sich aufsetzen – RUMS – mit dem

Ergebnis, dass sein Schädel gegen die Tischplatte schlug unter der er sich zusammengerollt hatte. “Căcat!”, zischend beeilte er sich unter der wie er eben feststellen musste noch ziemlich stabilen Holzkonstruktion hervorzukrabbeln. Sehen konnte er noch nicht wirklich viel, denn der Blick war von einem trüben Tränenschleier bedeckt. Dann stieß er abermals mit dem Kopf gegen etwas. Fühlte sich aber nicht so hart an wie der Tisch eben. Die eine Hand griff nach oben um festzustellen ob er sich gefahrlos aufsetzen konnte, die Andere tastete an dem Etwas entlang gegen das er eben gerempelt war. Hm mit Stoff überzogen, zumindest weich. Polstermöbel hatte er hier aber gar keine

gesehen, oder? Sonst wäre er wohl kaum unter den Tisch gekrochen… Was es auch immer war, es musste groß sein und es bewegte sich?! Vor ihm raschelte etwas, die Dielen knarzten. Er kniff die Augen zusammen, ruderte mit der Hand vor sich herum, ehe die Finger wieder etwas fanden nachdem sie greifen konnten. Glatt. Er rieb die Fingerspitzen ein wenig aneindaner. Glatte Fäden, die sehr dünn waren… Haare! Moment – Haare?! Er riss die Augen regelrecht auf und stockte für einen Moment, während sein Blick sich langsam aber sicher schärfte. Oh Fu…! Tatsache, unweit

von seinem eigenen Gesicht entfernt erspäte er ein weiteres Antlitz, das er jetzt regelrecht anstarrte. Die Hand mit der er eben herumgefuchtelte, hatte sich in den langen, schwarzen Haaren seines Gegenübers verfangen, dessen grüne Augen ihn aus einem fast schon kalkweißen Gesicht entgegenstarrten ohne dass er etwas darin hätte lesen können. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig, aber er war weder fähig sich zu rühren, noch etwas zu sagen. Dafür tat das sein Gegenüber, dessen Stimme für die weichen Gesichtszüge fast schon ein wenig zu tief klingen wollte. “Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du das unterlassen könntest, Celester.” “Äh…”, brachte dieser hervor, zog recht rasch die Hand zurück. “Es ist schon wieder Nacht…?” Natürlich war er sich der Dussligkeit dieser Frage bewusst, es war auch eher ein Versuch abzulenken. Mittlerweilen hatte Celester sogar begriffen, dass er es war der so seltsam roch. Kein Wunder, er war nach wie vor zum Großteil mit Blut besudelt, das jetzt allerdings eingetrocknet an seiner Kleidung – und seinen Fingern haftete. Sein Gegenüber ignorierte die dumme Frage, richtete sich nun aus der Hocke wieder auf, die zerzausten Haarsträhne hinters Ohr streichend, während er sich langsam umwand, einige Schritte durch das baufällige Zimmer gehend. “Da du nicht am vereinbarten Treffpunkt warst bin ich hier her gekommen. Was ist passiert?” Celester holte tief Luft, zog es aber vor lieber tief zu Seufzen anstatt zu antworten, während auch er seine Körperteile aussortierte und auf die Beine hüpfte. Neben Cherufe wirkte Celester wie ein abgebrochener Gartenzwerg, der in einem Schweinestall hauste. Das lag aber daran, dass der andere einfach ziemlich groß und er verhältnismäßig klein war, ganz zu schweigen davon, dass er einen deutlich rosigeren Teint vorweisen konnte, dunkelbraune Augen hatte von denen eines rein theoretisch fehlen müsste, bedachte man, dass sich eine breite unschöne Narbe darüber erstreckte. Aber nein, beide Augen steckten fest im Kopf und die huschten jetzt fast schon peinlich berührt durch den Raum. “Ahm… einer der Cops hat mich verfolgt…” Rasch hob er die Hände in einer beschwichtigend wirkenden Geste an. “… aber nicht gesehen und wie man sieht auch nicht erwischt. Aber ich konnte es erledigen – wenn auch knapp.” In Kombination mit dem verlegenem Lächeln sah es fast so aus als wolle er um Verzeihung heischen. Das stimmte nicht ganz, jedenfalls nicht was diese Sache anbelangte. Es war ja glatt gegangen und das war die Hauptsache. Vielmehr kam er sich wegen der Blinden-Kuh-Sache dämlich vor. Ach Schwamm drüber! Langsam ließ er die Hände wieder sinken, fischte ein Band aus der Tasche, mit dem er den wilden Haarwust zu bändigen suchte. “Was meinst du, wie lange wird das noch so gehen?”, fragte der kleine Mann nach einer Weile mit der vagen Vermutung auch diesmal keine Entgegnung zu erhalten. Cherufe war stehen geblieben, die Lider gesenkt und auch weiterhin war es schwer auf den bleichen Zügen eine Regung auszumachen, doch dann als er die Augen wieder aufschlug konnte man ein schwaches Lächeln erkennen, das es trotz allem nicht schaffte die Seelenspiegel zu erreichen. “So lange wie die Umstände es unumgänglich machen.”
 

Es war eines der größten Zimmer in diesem Haus, was aber nicht hieß, dass es deshalb irgendwie hübscher wirkte. Kalt war eigentlich der treffendere Ausdruck. Man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht auf dem tristen Betonboden einen Teppich auszurollen und die spärliche Ausstattung hatte etwas von Gefängnisflair. Da war der große, weiß lackierte Tisch um den zig Stühle herumstanden, sowie ein Aktenschrank, der fast die gesamte rechte Wand ausfüllte und ansonsten… ansonsten waren da eigentlich nur die heruntergelassenen Jalousien. Licht. Dafür hatte man hier scheinbar auch nicht viel übrig, denn von der Gestalt, die am Kopfe der ‚Tafel‘ saß konnte man nur dank des künstlichen Lichts des Laptops etwas erkennen, über dessen Rand ihn nun ein Blick traf, den korrekt zuzuordnen Mühe machte. Coldoor’s tiefbraune Augen hatten ihn genau ins Visier genommen, akkurat jeden Zentimeter musternd, bis sie sich zum Gesicht hochgetastet hatten, was ein schmales verziehen der Mundwinkel zur Folge hatte. Freundlich wirkte es nicht gerade, aber darauf legte Jezz auch keinen Wert. Ebenso wenig auf die Worte, die fast schon schneidend an seine Ohren drangen. „Ach, lässt der Herr sich doch dazu herab hier zu erscheinen. Ich bin begeistert.“ Von Begeisterung… keine Spur. Nicht einmal ein klein wenig. Jedenfalls rührte sich der Blauschopf keinen Zentimeter. Nicht, weil er nicht wollte, sonder eher weil er zu Steven soviel Abstand halten wollte wie nur irgendwie möglich. So schwiegen sie sich eine geraume Zeitlang einfach nur an, da Jezz die trockene Antwort nicht kommentierte. Oh er hasste das und von dem sollte er sich auch noch etwas sagen lassen. Ewig würde er dieses Spielchen nicht mitspielen, seine sieben Sachen packen und sonstwohin verschwinden. Ehe er den Gedanken zu Ende spinnen konnte, begann sein Gegenüber aber auch schon wieder zu sprechen und brachte ihn so mehr oder minder sanft in die Gegenwart zurück. „Es geht um folgendes…“, setzte Steven an, während er sich auf dem harten Stuhl ein wenig zurücklehnte. „… Mister Resory ist von unserem tun derzeit nicht wirklich angetan.

Ich nehme an du verstehst weshalb. Wir müssen etwas unternehmen, ehe weitere Morde geschehen und die Stadt in heller Panik versinkt… sonst gedenkt er unser hiersein lediglich als Balast anzusehen..“ Na das würde dir ja wohl so in den Kram passen, du siehst dein Hiersein ja sowieso nur als Last an. Das wurde auch nicht laut ausgesprochen, da es nur zu unsinnigen Diskussionen führen würde auf die Jezz im Moment – eigentlich generell – ungefähr soviel Lust hatte, wie es ihm Freude bereitete hier zu stehen. So beließ er es dabei Steven gelangweilt anzusehen und hoffte stillschweigend, dass er schnell wieder gehen konnte. Nur im Moment sah es nicht danach aus. "Wir müssen unsre Anstrengungen verdoppeln, sonst…“ Steven nahm die eckige Brille ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „… bekommen wir Probleme. Daran sollten wir arbeiten, oder was meinst du?“ Ja, ganz toll und was hatte er jetzt bitteschön damit zu tun? Steven ging ihm just in diesem Moment einfach nur tierisch auf die Nerven. Jezz wollte seine Ruhe haben, mit niemandem reden und schon gar nicht mit dem Kerl da, dem es wohl auch noch amüsierte. „Komm zum Punkt.“, murrte er leise. Das ganze wurde abermals mit einem schmalen Lächeln quittiert. „Nun, er hat einen Termin für ein Gespräch vorgeschlagen, damit wir einen Handel mit Mister McKenion abschließen können.“ Der Idiot hat was?! Jezz‘ Augenbrauen rutschten etwas nach oben, aber er schwieg immer noch. Mit ‚Mr McKenion‘ verhandeln? Hatte der sie nicht mehr alle? Aber gut… mal hören wie das Ganze weitergeht. „Es könnte zur Lösung dieses Problems beitragen, an der wir doch alle interessiert sind..“, fuhr Steven leiernd mit seinen Ausführungen fort, während er ein Kuvert aus seiner Brusttasche zog und es auf der metallenen Oberfläche des Tisches ablegte, einige Zentimeter in Jezz‘ Richtung schiebend. „Genaueres kannst du dem Schreiben hier entnehmen. Schließlich will ich deine Nerven nicht überstrapazieren.“ Jetzt musste er doch wohl oder übel näher treten, wenn auch erst nach einigem Zögern, die Hand nach dem weißen Papier ausstreckend, der auf dem gleichfarbigen Grund kaum zu sehen war. “Ist das abgesprochen?” Sein Blick rutschte von dem Umschlag wieder zu Steven. Dier lächelte nach wie vor sein schmieriges Lächeln, stützte die Ellenbogen seitlich am Tisch auf, das Kinn auf die gefalteten Hände legend.

“Abgesprochen? Ach du meinst mit Mister Lapage. Nun… seit er zurück ist hat er sich nicht wirklich um diese Angelegenheit gekümmert, von daher…” ‘Mistkerl’, schoss es Jezz durch den Kopf., aber er fiel Steven nicht mit wüsten Beschimpfungen ins Wort, stattdessen krampften sich seine Finger kurz um das Kuvert und er knurrte leise: “Ich glaube nicht, dass Cherufe sehr begeistert ist, wenn du hinter seinem Rücken krumme Dinger drehst.” “Oh keine Sorge das tue ich nicht. Ich bin auch nicht derjenige, der es nötig hat sich aus dem Haus zu schleichen.” Es klang fast schon beiläufig, als würde Coldoor über das miserable Märzwetter sprechen, dabei wand er sich auch wieder seinem Laptop zu, als hätte er noch etwas wahnsinnig wichtiges zu erledigen. Jezz presste die Lippen aufeinaner, drehte sich daraufhin auch wortlos um. Er wollte nur noch hier raus und das schnell, ohne dass es nach einer Flucht aussah. Fast schon bewusst langsam setzte er einen Fuß vor dem Anderen, berührte den Türknauf, öffnete selbige, nur um sie dann hinter sich

zuzuschlagen.
 

Die Kiefer so sehr aufeinander gepresst, dass man das Knirschen der Zähne auf dem ganzen Flur hören könnte. Das war zumindest vorerst die einzige Lautäußerung, denn wie er selbst gerne emängelte… die Wände in diesem Hause waren nicht die Dicksten und wie Steven auf sein Gefluche wohl reagieren würde, das wollte Jezz gar nicht erst herausfinden. Zumindest war der Gang verwaist. Fast schon eine gespenstische Stille. Einen Momentlang zumindest, ein Augenblick, der nicht mehr als einen Herzschlag messen mochte, dann wurde wieder eine Türe geöffnet – diesmal war es jedoch die Haustüre. Der Blauschopf hob eine Augenbraue, als er feststellte, dass es tatsächlich Cherufe war, der ihn für einen Moment auch starr anblickte, ehe er die Türe hinter sich

vorsichtig ins Schloss gleiten ließ. “Wird das ein Empfangskomitee?” Jezz blinzelte, neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Was bitte hatte Steven mit seiner Bemerkung andeuten wollen? Scheinbar hatte er recht gehabt, nur das der Schwarzhaarige nicht wirklich ertappt wirkte. Ganz davon abgesehen, dass der prinzipiell aussah als könne ihn rein gar nichts auch nur irgendwie beeindrucken. Dann wurde Jezz doch etwas stuzig, als er seinen einstigen Mentor genauer unter die Lupe nahm. Er atmete einmal kurz bewusst ein, ehe er die Nase kräuselte. “Ähm, du… hast da was im Gesicht und… insofern nicht vor hast gleich wieder zu verschwinden fände ich es ganz toll, wenn du kurz ein wenig… Zeit entbehren könntest” Cherufe war gerade im Begriff an Jezz vorüberzugehen, als er dann doch inne hielt, mit den Fingern einer Hand nach seiner Wange tastete, deren Fingerspitzen er daraufhin besah. Das musste kleben geblieben sein. Nein eigentlich war das nicht der Grund weshalb er stehen blieb, vielmehr dass Jezz’ Stimme sich senkte, die einen seltsamen Ton annahm, der irgendwo zwischen Sarkasmus und Ernsthaftigkeit lag ohne konkret zuordenbar zu sein. “Oben.”, war die einsilbige Antwort und damit setzte er seinen Weg auch schon wieder fort.
 

Müde gähnte sie vor sich hin. Nach scheinbar ewigem hin und her, einigen sinnfreien Spaziergängen um den Block hatte die Müdigkeit sie doch überwältigt. Zumindest für wenige Stunden. Kayla schlief zwar nie wirklich viel und wenn dann nur sehr unruhig, aber diesmal war es eindeutig mehr als zuwenig gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass sie beinahe zu spät zu ihrer Schicht erschien. Nicht weil sie verschlafen hatte, sondern weil sie schlicht und ergreifend ziemlich durch den Wind war. In ihrem Kopf herrschte ein heiloses durcheinander, das sie zwar immer wieder zurückschieben wollte, das sich aber beharrlich an ihr Bewusstsein klammerte. Im Augenblick war nichts los. Ja gut es war mitten in der Nacht, dazu stand sie noch in einem Viertel indem sich selten das Partyvolk herumtrieb. Sollte ihr nur recht sein, denn mehr als nur einmal fielen ihr die Augen beinahe zu. Seufzend tastete sie nach dem Schalter für das Radio. Die CDs die sie sonst bei Laune hielten hatte sie in der Hektik vergessen, dann also doch das übliche Gedudel. Schließlich fand sie auch den Knopf, der das Gerät zu sprechen überredete. Promt säuselte ihr die monotone Stimme einer Nachrichten Sprecherin entgegen: „ …nun zu weiteren Meldungen. Heute morgen wurde das vermutlich dreizehnte Opfer des Serienmörders gefunden, dabei handelt es sich um einen weißen Mann mittleren Alters, die genaue Identiät wollte das Department den Medien nicht Preis geben. Die Übergriffe beschränken sich nach wie vor auf den Stadtteil Bronx, ein wirkliche Muster konnte noch nicht erkannt werden. Doch zum ersten Mal scheint es einen konkreten Hinweis zu geben. Beobachtungen zufolge floh ein unbekannter Mann vom Tatort. Die Polizei konnte ihn zwar nicht stellen, doch eine Fahndung wurde bereits herausgegeben. Die Person gilt als potentiell verdächtig und dementsprechend gefährlich…“ Kayla starrte das Radio beinahe perplex an. In der Gegend war sie doch letzte Nacht gewesen? Ein kalter Schauer jagte ihren Rücken hinunter, ließ sie unwillkührlich die dünne Stoffjacke etwas enger um sich ziehen. Nicht, dass diese Information sie jetzt weiter gebracht hätte. Als ein Geräusch das Gesäusel der Nachrichtensprecherin durchbrach, fuhr sie regelrecht zusammen. Nur wenige Herzschläge später wurde ihr bewusst, dass es die Beifahrertür war, die sich geöffnet hatte. Natürlich, Gottverdammt sie war ja auch Taxifahrerin! Kaey presste die Lippen zusammen, die sie kurz darauf zu einem leichten Lächeln verzog, das mehr einer Grimasse ähnelte, das allerdings verblasste als sie die Gestalt, die neben ihr Platz nahm musterte. Es war ein schmaler Mann, der in einem hochgeschlossenen Mantel steckte, sodass man von ihm nicht mehr sehen konnte als das Gesicht. Selbst die Hände waren von Handschuhen verborgen, die Augen hinter einen breiten Sonnenbrille versteckt. Das Antlitz selbst wollte von Farbe wie auch Beschaffung an das einer Porzellanpuppe erinnern. Beinahe reinweiß ohne einen einzigen Makel oder Unebenheit. Die Haare unter einem breitkrempigen Hut versteckt, nur hier und dort verirrte sich eine Strähne, die so fein war, dass man sie für dünne, weiße Wattefäden halten konnte. Sachte zog er die Türe wieder zu, lehnte sich zurück, die Hände vor dem Bauch faltend. „Wohin… darf’s denn gehen…?“, fragte sie nachdem sie sich einigermaßen gefangen hatte, den Zündschlüssel bereits herumdrehend. Im ersten Moment beschlich sie das Gefühl, dass an dieser Person etwas nicht stimmte, ohne dass sie hätte sagen können was es war – abgesehen von dem seltsamen Erscheinungsbild. „Zum Woodlawn Cemetery.“ Die Stimme des Mannes klang leise, teilweise verzerrt, teilweise von einem dumpfen rauchigen Klang untermalt der ettliche Metatöne verschluckte. Aus den Augenwinkeln warf sie ihm noch einen kurzen Blick zu, startete dann aber den Motor, das Taxameter und lenkte den Wagen auf die Straße. Nachts auf einem Friedhof… wie passend. „…Recherchen zufolge ist dieses Opfer zwar das Dreizehnte in diesem Jahr, da es allerdings Jahre zuvor schon eine Serie von Morden gab, die mit dieser Reihe wohl in Verbindung stehen, ist es das Achtundfünfzigste. Psychologen vermuten…“ Der Mann streckte eine Hand aus um das Radio zum verstummen zu bringen, zeitgleich konnte man wieder die Stimme vernehmen, die einem gleichsam das Blut in den Adern gefrieren lassen wollte. „Sie waren dabei.“, flüsterte er, ohne dabei jedoch den Kopf zu wenden. „Sie waren beim Ersten dabei, sie sind die Einzige, die wissen wie er aussieht… eine von Wenigen die weiß, was er ist und dennoch sind sie nach wie vor am Leben.“ Kaylas Finger krampften sich um das Lenkrad und es kostete sie alles an Kraft was sie aufbringen konnte um ihren Blick nicht von der Straße zu nehmen und den Fremden anzustarren. Den Kloß in ihrem Hals schluckte sie herunter, konnte es jedoch nicht vermeiden, dass ihre Stimme belegt klang. „Was erzählen sie bitte für einen Quatsch..?“ Die Antwort war ein kurzes, heiseres Lachen. „Sie werden nicht nur von einer Seite beobachtet… Beide wollen sie vereinnahmen… Beide möchten verhinden, dass sie sprechen. Über diese Geschichte… über andere Dinge… jene die hinter dem Vorhang der Weltbühne der Öffentlichkeit ablaufen.“

Knockout. Die Reifen des Wagens wollten nicht sofort greifen, als Kaey das Bremspedal beinahe durchtrat, sodass das Taxi ettliche Meter über den Asphalt schlitterte. Funken stoben, als die metallene Seite am Bürgersteig entlang schrammte. Sie hatte Mühe zu das Fahrzeug weitestgehend unter Kontrolle zu halten, damit es nicht ausbrach und auf die andere Fahrbahn geriet. Die Sekunden die es bedurfte ehe der Wagen zum stillstand kam schienen sich endlos in die Länge zu strecken, aber doch er hielt an. Kayla hielt sich am Lenkrad fest, als wäre es der letzte Ankerpunkt auf Erden, während ihr Körper halt darüber gebeugt war, das Gesicht hinter den Haarsträhnen versteckt. Wieso? Wieso mussten die nun mit ihr sprechen?! Warum hatte es nicht einfach den gleichen Gang wie bisher nehmen können?! „Raus…“, flüsterte es unter dem blonden Haarwust hervor. Indess zeigte sich der Fremde von dieser seltsamen Anwandlung nur wenig beeindruckt. Er hatte eine Hand nach dem Amaturenbrett ausgestreckt um sich dort teilweise abzustützen, während sich die wenigen sichtbaren Gesichtspartien keinen Deut bewegt zeigten, erst im nachhinein bildeten die schmalen aschgrauen Lippen ein dünnes Lächeln ab. Lässig zog er die Finger wieder zurück, förderte einen Geldschein aus der Manteltasche zutage, den er schon beinahe liebevoll stattdessen dort ablegte. „Die Welt ist ein einziger, großer Maskenball. Man muss nur lernen darauf zu tanzen. Die grundlegenden Schritte haben sie bereits gelernt, nun müssen sie auf das Parkett, die Frage ist nur… von wem wollen sie sich führen lassen?“ Mit diesen Worten öffnete er die Türe um nach nur wenigen Blocks wieder auszusteigen. Ehe er sie wieder ins Schloß gleiten ließ, erklang die rauchige Stimme noch einmal, diesmal hatte sie jedoch einen fast schon beiläufigen Ton angenommen. „Sie… sollten auf ihre Freundin achtgeben. Cathrine, wenn ich mich nicht irre.“
 

Das Klingeln des Telefons riss Kim ruckartig aus seinen Gedankengängen und ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Hastig stand er auf, wobei er sich das Knie an der Tischkante stieß. Fluchend humpelte er ins Wohnzimmer, nahm den Hörer von der Gabel und stöhnte ein gequältes „Ja?“ in die Sprechmuschel. Die Antwort war ein prustendes Lachen, das zweifelsohne zu Marty gehörte. „Habe ich dich bei irgendwas gestört?“ „Nein…“, entgegnete Kim knapp, wobei ihm das Blut ins Gesicht stieg und es puderrot verfärbte. „Was willst du?“ „Ach ich wollte dir nur sagen, dass du heute frei bekommst. Ich habe den Chef ein bisschen gequält und außerdem hat er eingesehen, dass du überarbeitet bist. Ach wenn du schonmal wach bist schau ich auf dem Heimweg schnell bei dir vorbei. In fünfzehn Minuten bin ich da. Setz doch schonmal Kaffee auf.“ Damit war das Gespräch beendet. Typisch für Marty, einfach aufzuhängen ohne ein Tschüss oder etwas der Gleichen, aber Kim hatte sich daran gewöhnt. Seufzend hinkte er zurück in die Küche.
 

Es hatte keine fünfzehn Minuten gedauert, wie Marty gesagt hatte, sondern fast eine Stunde. Aber das gehörte zu Marty wie sein irgendwie schräger Humor. Ein Zwischending gab es da nicht. Auch das entschuldigende Grinsen war nichts besonderes mehr für Kim, außerdem grinste Marty beinahe die ganze Zeit, deswegen trug er den Titel ‘Detective Grinsekatze“ auch nicht zu unrecht. Obwohl Honigkuchenpferd wohl besser gepasst hätte. Kim stellte eine Tasse Kaffee vor Marty au die Tischplatte, zündete sich eine Zigarette an und setzte sich. „Du sollst nicht soviel rauchen. Du wirst noch zum Kettenraucher, weisst du das?“, tadelte Marty, wobei er – wie immer- grinste. „Worüber wollen wir jetzt reden? Über meine Angewohnheiten oder über diesen Fall?!“, gab Kim nun gereizt zurück. „Ok, ok.“ Sein Kollege hob lachend die Hände, als wolle er einen wütenden Stier von sich fern halten. „Na dann sperr mal die Lauscher auf, Andrew Carlsan war ein kleiner Promi in der Drogenszene. Diese komische Bruchbude war nicht sein Hauptwohnsicht. Dort hat er nur seine schmutzigen Geschäfte abgewickelt. Eigentlich wohnt er in einem recht vornehmen Virtel, hat Frau und Kind.“ Marty schüttelte den Kopf. „Er war ein Dreckskerl um den ist es wirklich nicht schade, aber wir haben immerhin eine Spur.. das erste Opfer mit Angehörigen. Wenigstens in dieser Mordserie…“ Damit schien Martys Redefluß auch vorerst ein Ende gefunden zu haben. Kim sah ihn eine Weile lang an, drückte dann seine Zigarette aus und fuhr sich seufzend durch die Haare. Sein Kollege machte sich zuviele Gedanken. Er selbst stand dem beinahe gleichgültig gegenüber. Zumindest wohl gleichgültiger als die meisten Menschen. In jeder Stunde, jeder Minute, jeder Sekunde starben Menschen. Dennoch war es ein Verbrechen, wenn Jemand gewaltsam zu Tode kam und so mies dieser Typ auch gewesen sein mochte, es konnte nicht ungesühnt bleiben. „Ich werde die Tage mal Akten wälzen… und du fühlst Carlsans Familie auf den Nerv.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  vanilla_quicksand
2010-12-12T13:54:49+00:00 12.12.2010 14:54
Alter o.O
Die Geschichte ist verdammt gut; besser als einiges, das ich gedruckt gesehen hab. Mach die fertig und schick sie irgendeinem Verlag. Will mehr lesen!


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