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Bis ans Ende der Welt

Das Schwert folgt stets dem Herzen
von

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Feuer und Eis

Hix war außer Atem, während er und Rim durch den Nebel hasteten, um zu Treasa zu kommen. Sie müssten rechtzeitig ankommen, es gab keine Wahl. Aber diesmal erschien ihm die Strecke wesentlich länger als beim letzten Mal. Jeder Schritt fühlte sich an wie eine Ewigkeit, der keine Bedeutung innewohnte.

Ein blaues Leuchten lenkte Hix' Blick auf Rim hinunter. Sie sah, ohne innezuhalten, auf ihre Rune, die sanft glühte. Erst als sie erlosch, hob sie den Kopf wieder, Hix konnte erkennen, dass ihre Augenbrauen sorgenvoll zusammengezogen waren.

„Was ist los?“, fragte er, stellte dabei fest, wie atemlos er sich selbst anhörte.

„Zahra hat Probleme.“ Auch wenn es wie eine Feststellung klang, die ihren Gesichtsausdruck zum Lügner erklären wollte, war Hix überzeugt, dass es ihre Stimme war, die ihre Gefühle zu verschleiern versuchte.

„Dann sollten wir uns lieber beeilen.“ Selbst wenn seine Lunge jetzt schon brannte und seine Beine nach einer Pause verlangten.

Rim nickte nur, schien Kräfte zu mobilisieren, die unmöglich in diesem kleinen Körper versteckt sein konnten, rannte unaufhörlich weiter.

Hix tat es ihr gleich, der Gedanke an Tengaar, die seine Hilfe benötigte, schien ihn zu beflügeln, ließ ihn Energien sammeln, von denen er nie etwas geahnt hatte. Aber solange es ihm und seinem Ziel zugute kam, wollte er nicht zu viel darüber nachdenken und es auch nicht hinterfragen.

Entgegen seines Gefühls, das ihm sagte, sie seien eine Ewigkeit gerannt, kamen sie bald schon vor einem großen Kristall an, der wie eine geflügelte Träne anmutete, derselbe, vor dem sie Tengaars Körper das letzte Mal gefunden hatten. Und auch diesmal war ihre Suche erfolgreich: „Zahra! Tengaar!“

Für einen kurzen Moment hatte er vergessen, dass es sich bei der Gestalt, die aussah wie die von ihm geliebte Frau, nicht um diese handelte. Dabei war das bedrohliche rote Leuchten der Rune an ihrer Hand ein deutliches Zeichen, dass sie es nicht sein konnte.

Sie blickte nicht auf, sondern sah weiter auf Zahra hinab. Diese lag auf dem Boden, ihre Kleidung angesengt, stellenweise zerrissen, mit Blut befleckt – sie hatten miteinander gekämpft, aber Treasa war siegreich hervorgegangen und hielt nun ihren Fuß auf Zahras Kopf.

Erst als sie in unmittelbarer Nähe standen – Hix hätte nur die Hand ausstrecken müssen – wandte Treasa ihnen ihren Blick zu. Sie lächelte, aber es steckte keinerlei Wärme dahinter. „Da seid ihr ja endlich. Willkommen vor meinem Gefängnis.“

„Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte Rim, statt auf den Gruß einzugehen.

„Hm?“ Treasa blickte wieder auf die bewegungslose Zahra hinab. „Oh~. Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung, nachdem wir hierherkamen. Jetzt ist die Kleine ziemlich müde.“

Sie bewegte den Fuß ein wenig, Zahras Körper reagierte darauf wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden. „Aber tot ist sie noch nicht. Dieses Spektakel habe ich mir extra für euch aufgespart.“

Bevor sie mehr Druck auf den Kopf ausüben konnte, wurde sie von einem wütenden Schrei Rims unterbrochen: „Hör auf damit!“

Dieser von Wut und Verzweiflung erfüllte Schrei hallte im Nebel wider. Einige der Silhouetten hielten furchtsam inne. Treasa zuckte nicht einmal zusammen.

„Warum sollte ich?“, erwiderte sie frostig. „Euch und Fion habe ich es doch erst zu verdanken, dass ich eingesperrt wurde.“

„Du wolltest die Welt vernichten!“ Rims Stimme zitterte.

Darauf ging Treasa nicht ein. Betont gelangweilt warf sie einen von Tengaars Zöpfen zurück. „Statt in der Vergangenheit zu schwelgen, wie wäre es, wenn wir jetzt in der Gegenwart die Zukunft gestalten?“

Sie hatte den Satz kaum beendet, da entsprang ihrer rot glühenden Rune eine Feuersäule, die sich mit einem wütenden Fauchen auf Rim zubewegte.

Hix erkannte sofort, dass es sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Feuerzauber handelte. Jene waren heiß, dafür geeignet, schwere Verbrennungen zuzufügen, aber immer noch leblos, so dass sie schnell verpufften – aber diese Säule schien von Wut und Hass geleitet zu werden, mit einem eigenen Willen, der sogar Rims Ausweichbewegungen folgte.

Das Wasser, über das die Säule hinwegfegte, schien zu verdampfen, wurde aber sofort von neuer Flüssigkeit ersetzt, die dann immer noch kochend heiß war.

Aber was auch immer das für eine immense Macht war, Hix konnte nicht zulassen, dass sie Rim traf und diese auch noch verletzte. Er hob seine Hand mit der Wasserrune, die ein beruhigendes, blaues Glühen von sich gab, das allerdings nicht mit dem wütenden Rot konkurrieren konnte.

Treasa bemerkte es dennoch sofort. Ihr Kopf schnappte geradewegs in seine Richtung, sie rümpfte die Nase. „Pff! Denkst du, mit dieser billigen Rune kannst du irgendetwas bei mir erreichen?!“

Ehe er etwas tun konnte, leuchtete ihre Rune hell auf, das Wasser um ihn herum, bildete eine Säule mit ihm in der Mitte – und vereiste schlagartig. Er konnte sich noch bewegen, das stellte kein Problem dar, aber er war eingesperrt. Die Wände seines Gefängnisses endeten in einer Höhe, die er unmöglich erreichen konnte. Noch dazu konnte er nicht mehr sehen, was auf der anderen Seite vor sich ging. Er hörte noch immer das wütende Fauchen der Feuersäule, sah undeutlich einen orange-farbenen Schatten, der sich unablässig bewegte. Aber dieser und das Glühen von Treasas Rune, war das einzige, was er erkennen konnte.

„Um dich kümmere ich mich später“, sagte sie.

Von jenseits des Eises hörte er einen erschrockenen Ausruf von Rim. Er musste hier raus! Sofort!

Er trat gegen die Wände seines Gefängnisses, aber die gefrorene Schicht war überraschenderweise derart dick, dass es ihm lediglich, selbst mit all seiner Kraft, gelang, winzige Splitter daraus zu lösen. Nicht genug, um ihm die Zuversicht zu geben, damit überhaupt irgendetwas ausrichten zu können.

Er zog sein Schwert, schlug mit dem Knauf und der Klinge auf das Eis ein, aber es gab nicht nach. Egal wie viel Kraft er in seine Schläge steckte, sie blieben fruchtlos, nur dazu geeignet, seine Frustration anwachsen zu lassen. Dennoch hörte er nicht auf.

Er schlug weiter um sich, seine eigenen Schreie erfüllten seine Ohren und verdrängten das wütende Fauchen der Feuersäule. Er verfluchte sich selbst und seine Schwäche, seine Unfähigkeit, das zu beschützen, was ihm in seinem Leben am Wichtigsten war. Wenn er nichts tat, wenn er Rim nicht half, wie könnte er da von sich selbst erwarten, Tengaar retten zu können?

Schließlich holte ihn die Erschöpfung ein, er ließ die erlahmten Arme sinken. Mit müden Bewegungen steckte er das Schwert in die Scheide zurück.

Ich muss ruhig bleiben ...

Er verspürte keine Furcht, nichts, was ihn zittern ließ, nicht einmal bei dem Gedanken, möglicherweise gegen Treasa kämpfen zu müssen. Nein, er hatte nur Angst, Tengaar zu verlieren.

Aber um das zu verhindern, musste er ruhig bleiben und nachdenken. Mit bloßer Gewalt kam er hier nicht heraus, also musste er es anders angehen.

Seine Hände berührten das Eis, mit rasch taub werdenden Fingern suchte er nach Rissen, Vorsprüngen, so klein sie auch sein mochten, um daran hinaufzuklettern. Er war nicht gut darin, aber er glaubte, dies sei seine einzige Möglichkeit, etwas zu tun, sich vielleicht sogar noch rechtzeitig zu befreien, um Rim zu helfen.

Dass er blutete, fiel ihm erst auf, als er die roten Spuren auf dem Eis entdeckte. Die scharfen Kanten hatten seine Finger aufgerissen, aber aufgrund der Taubheit in diesen Gelenken, bemerkte er keine Schmerzen. Deswegen hielt er auch nicht inne.

Aber dann fiel ihm etwas anderes auf: Jene Stellen, an denen sein Blut klebte, schienen aufzutauen. Die restlichen Bereiche der Mauer waren noch genauso unnachgiebig wie zuvor, aber die rot verschmierten waren nass, nicht nur wegen seines Bluts, es war auch Wasser, und es gelang ihm problemlos, sie einzudrücken.

Entschlossen, das auszunutzen, suchte er sich besonders scharfkantige Stellen heraus, riss sich noch mehr von seinen Fingern ein und verteilte so viel Blut wie es ihm in wenigen Sekunden möglich war.

Seine Wasserrune glühte wieder ein wenig, heilte seine Verletzungen und einen Teil seiner Erschöpfung, aber er beachtete das gar nicht, während er den nun weich gewordenen Teil der Eiswand mit dem Ellenbogen zu verschieben versuchte. Sie musste allerdings derart dick sein, dass es ihn immer noch Anstrengung erforderte, so dass ihm ein leises Keuchen entkam.

Doch schließlich gab das Eis endlich nach und öffnete ihm ein Fenster, groß genug, dass er hindurchklettern konnte, um nach draußen zu kommen. Die scharfen Kanten schürften dabei seine Arme auf, schufen Risse in seiner Kleidung, aber auch das war unwichtig.

Das einzige, was nun zählte war, dass er sich auf der anderen Seite befand, in der Freiheit.

Die Feuersäule war inzwischen verschwunden, auch Rim lag nun erschöpft auf dem Boden, ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem unregelmäßigen Rhythmus. Ihre Kleidung war angesengt, offenbar war es ihr nicht mehr gelungen, der Säule noch länger auszuweichen. Dass sie überhaupt noch lebte, erfüllte Hix mit Ehrfurcht.

Treasa, die immer noch in derselben Haltung dastand wie zuvor, wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zu. Ihr Gesicht zeigte Überraschung, aber sie sagte nichts und hob nur die Hand, um ihre rot glühende Rune zu verwenden.

„Diesmal nicht!“ Hix hatte bereits damit gerechnet, dass sie das versuchen würde und nutzte daher seine Schnelligkeit – die er, zugegeben, hauptsächlich deswegen besaß, damit er besser fliehen konnte – um ihr zuvorzukommen.

Seine Wasserrune leuchtete hell auf und erschuf eine blaue, von innen heraus strahlende, Kugel zwischen ihm und Treasa. Ringe, auf denen Bannsprüche, so alt wie die Welt, geschrieben standen, bewegten sich in Kreisen um die Kugel als ihr Zentrum. Doch schon wenige Sekunden nach ihrer Entstehung explodierte das Gebilde lautlos in helles Licht – und gleichzeitig erloschen sowohl die Wasserrune, als auch jene auf Treasas Handrücken.

Sie blickte auf das vorerst nutzlos gewordene Werkzeug hinab, dann nahm sie endlich, mit einem schweren Seufzen, den Fuß von Zahras Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass dieser einfache Zauber es schaffen könnte, meine eigenen Kräfte zu unterdrücken.

Es würde nicht für immer halten, das wusste auch Hix. Vielleicht fünf Minuten, wenn er Glück hatte. Und er könnte Treasa nicht einfach töten – er müsste es schaffen, sie kampfunfähig zu machen. Innerhalb von fünf Minuten.

Obwohl er verzweifeln wollte, riss er sich zusammen, besonders als Treasa eines der Wurfmesser zog, die Tengaar benutzte. „Dann lass uns sehen, ob du dem Titel eines Kriegers wirklich gerecht wirst, Hix.“

Mit diesen Worten sprintete sie bereits auf ihn zu. Er zog sein Schwert und ließ die andere Klinge auf seine treffen. Treasa legte derart viel Wucht in ihren Angriff, dass Hix einige Zentimeter nach hinten schlitterte. Sie ließ sich davon nicht entmutigen, holte stattdessen immer wieder aus, um Hix doch noch eine Wunde zu verpassen.

Er folgte seiner Intuition, die nicht sonderlich ausgeprägt war, und wehrte jeden einzelnen ihrer Angriffe mit seinem Schwert ab. Ihre Bewegungen kamen dabei derart schnell, dass es ihm schwerfiel, mit ihr mitzuhalten – aber er durfte nicht aufgeben.

Aber so kann ich auch nicht nachdenken.

Und wie sollte er auf diese Weise Tengaar retten?

Ihre Stimme kam ihm in den Sinn, ohne den lauernden, hasserfüllten Unterton Treasas, wie sie ihm sagte, dass er sich nicht wie ein Schwächling anstellen sollte – und dass es auch für einen Krieger mehr als nur Schwert und Magie gab, um zu kämpfen.

Das ist es!

Hix trat nach Treasas Knie, doch sie reagierte derart schnell, dass sie zurücksprang, um dem auszuweichen. Er schloss die Distanz zwischen ihnen sofort wieder, doch als er den Arm mit dem Schwert hob, duckte sie sich unter diesem hinweg. Kaum war sie hinter ihm, rammte sie ihm das Messer in die Seite.

Ihm entkam ein leises Keuchen, das durch seine Adern gepumpte Adrenalin verdrängte den Schmerz jedoch sofort. Sie lachte amüsiert, ohne jedes Mitgefühl.

Er wirbelte herum, den Knauf seines Schwerts erhoben – doch sie zog einfach ein neues Messer über seinen Unterarm. Mit einem lauten Schrei ließ er das Schwert fallen, Treasa kickte es fort.

Hix wich zurück und hielt sich den blutenden Unterarm. Die Wunde war nicht tief, schmerzte aber genug, um ihn davon abzuhalten, etwas zu machen. Jedenfalls unter normalen Umständen.

Das hält mich nicht auf. Das hält mich nicht auf!

„Und?“, fragte sie dann, das Messer immer wieder in die Luft werfend. „Willst du endlich aufgeben? Du hast nur noch eine Chance, zu überleben. Ergreife sie lieber.“

Die Gedanken in Hix' Kopf rasten, die Sekunden des Stillen Sees, der die Runen unterdrückte, verstrichen. Er musste etwas tun. Jetzt!

Kurzentschlossen fasste er den Griff des Messers in seiner Seite – und mit einem heftigen Ruck zog er es aus seinem Körper heraus. Er ignorierte das spritzende Blut, ignorierte Treasas erschrockenen und ungläubigen Gesichtsausdruck. Für ihn zählte jetzt nur noch eines.

Mit einem einzigen Schritt überbrückte er die Distanz zwischen sich und Treasa. Ein heftiger Hieb seiner unbewaffneten Hand genügte, um ihr das Messer aus der Hand zu schlagen. Im selben Moment stieß er ihr die eigene Klinge in die Hüfte.

Sie gab ein schmerzerfülltes Keuchen von sich und taumelte rückwärts. Hix ging ebenfalls einige Schritte zurück, um die Distanz zwischen sie beide zu bekommen.

Ungläubig, wütend, blickte Treasa auf das Messer in ihrer Hüfte hinab. Mit Sicherheit hatte sie nicht damit gerechnet, dass er Tengaars Körper verletzen würde – und garantiert dürfte er sich von dieser noch eine wütende Tirade dazu anhören – aber es war, in seinen Augen, die einzige Möglichkeit gewesen, sie zu stoppen.

Tengaars Kleid färbte sich rot, aber da die Waffe noch steckte, war es wesentlich weniger als es sollte. Außerdem hatte Hix sichergestellt, dass er eine Stelle traf, an der keine Organe – ob lebenswichtig oder nicht – saßen. Selbst theoretisches Wissen war ihm hier hilfreich.

Treasa hob den Blick wieder, in ihren Augen schien ein Feuer zu leben, das mehr als bloßer Hass war. Es war eine Emotion, die Hix noch nie bei einem Menschen gesehen hatte und die mehr einem Biest zustand. Und doch wütete sie in Treasas Augen.

„Du hast es wirklich gewagt!“ Ihre Stimme zitterte vor Wut. „Das wird dich teuer zu stehen kommen!“

Im selben Moment endete die Wirkung des Stillen Sees. Das rote Glühen ihrer Rune war sofort wieder derart hell, dass es den unvorbereiteten Hix fast blendete. Mit seiner Wasserrune wirkte er sofort einen Heilzauber, während er aufmerksam Treasa beobachtete.

Ihre Augen schienen regelrecht Funken zu sprühen – und deswegen wunderte es ihn nicht, dass sie ihre Hand hob, um erneut einen Zauber zu wirken. Ihre Rune leuchte so hell auf, dass sie ihn diesmal wirklich blendete, weswegen er die Augen schloss.

Er wusste, dass er fliehen müsste, aber mit seinem Blutverlust und dem langsam taub werdenden Gefühl seines Körpers, glaubte er nicht, dass es funktionieren könnte. Deswegen blieb ihm nur zu hoffen, dass sie zuerst einknickte oder ein Wunder geschah.

Und ein Wunder trat wirklich ein.

Es war starke Energie, die durch diese gesamte Welt zu fegen schien. Hix spürte sie in jeder Faser seines Körpers. Sie war nicht feindlich, jedenfalls nicht für ihn, sie war … warm, freundlich. Sie brachte ihn wieder dazu, seine Augen zu öffnen, so dass er eine grüne Welle reinster Energie sehen konnte, die Treasa plötzlich umgab. Funken erfüllten die Luft und hatten auch seine Feindin dazu gebracht, sich ratlos umzusehen.

Eine Bewegung aus dem Augenwinkel brachte Hix dazu, den Kopf zu drehen. Rim und Zahra standen wieder auf den Füßen – nein! Sie schienen knapp über den Boden zu schweben, ihre halb geschlossenen Augen waren leer, aber ihre Lippen bewegten sich. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, kamen sie näher, so dass Hix hören konnte, was sie von sich gaben, doch es fiel ihm schwer, zu beschreiben. Es war ein Gesang, in einer ihm unbekannten Sprache, aber er übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus, obwohl er die Worte nicht verstand.

Und bei Treasa sah es ähnlich aus. Ihre Augen verloren ebenfalls jegliches Leben, ihre erhobene Hand fiel kraftlos nach unten, aber ihr Blick blieb stets auf Rim und Zahra gerichtet, während diese sich ihr näherten.

Als sie bei Treasa angekommen waren, umrundeten sie diese immer wieder, wie in einem Tanz, auch der Gesang änderte sich ein wenig, ohne dass Hix genau benennen könnte, an welcher Stelle.

Wie gebannt beobachtete er, wie Treasa sich in Bewegung setzte, gemeinsam mit den Mädchen zu ihrem Kristallgefängnis hinüberging. An diesem hatte ebenfalls eine Veränderung stattgefunden, die Oberfläche schien nicht mehr fest, sondern flüssig zu sein.

Dort angekommen ging Treasa hindurch und die Oberfläche ließ es auch zu, sie kräuselte sich wie die Wasseroberfläche – und damit verschwand sie einfach. Rim und Zahra blieben vor dem Kristall zurück, sangen aber immer noch.

Das Leben kehrte in Hix zurück, der Heilungszauber zeigte endlich genug Wirkung, dass er sich wieder bewegen konnte. Er ging auf die Mädchen zu, sie bemerkten ihn nicht, unterbrachen ihren Gesang nicht, aber er spürte, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte ihm zu, dass das Lied bald vorbei und damit alles zu spät für ihn wäre.

Dennoch berührte er den Kristall nur vorsichtig, beobachtete das Kräuseln der Oberfläche, aber dahinter erstreckte sich nur bloße Schwärze, er konnte nicht sehen, was ihn erwartete.

Nichtsdestotrotz holte er einen letzten tiefen Atemzug – dann schritt er durch die Oberfläche in das Innere des Kristalls hinein.
 

Als Cain Treasas Gefängnis endlich erreichte, war niemand mehr zu sehen. Ein verlassenes Schwert lag auf dem Boden, ein Wurfmesser nicht weit entfernt, Blut hatte das Wasser verfärbt, war aber bereits in der Auflösung begriffen – aber das waren die einzigen Zeugen, dass jemand bis vor kurzem hier gewesen war.

Sein Blick wanderte zu Treasas Gefängnis hinüber. Ein tropfenförmiger Kristall, flankiert von zwei Schwingen – und zwei weiteren, die sich gemeinsam an der Vorderseite trafen und diese vor neugierigen Blicken schützte. Eigentlich hätte er das nicht weiter seltsam gefunden, aber sie unterschieden sich in der Farbe von der restlichen Struktur, waren ein wenig dunkler als der Hauptkristall, weswegen er näher herantreten wollte, um es sich genauer anzusehen.

Aber in diesem Moment, noch bevor er den ersten Schritt machen konnte, konnte er die Stimme seines Meisters in seinen Gedanken hören: „Das ist genug, Cain. Komm jetzt zurück.“

„Aber was ist mit dem Spiel?“ Es war eigentlich unnötig, laut zu sprechen, wenn sein Meister auf diese Weise mit ihm kommunizierte, aber er fühlte sich dann wohler.

Die Antwort wurde von einem leisen, humorlosen Lachen begleitet. „Du hast die Darsteller wunderbar vorangetrieben, Cain. Aber für das glorreiche Finale benötigen sie dich nicht mehr. Jeder ist an seinem Platz. Für uns bleibt nur noch, den Ausgang zu beobachten.“

Sein Meister klang sehr zufrieden, fast schon stolz – jedenfalls wenn Cain sich das lang genug einredete – deswegen wagte er nicht, zu widersprechen. Ja, nicht einmal einzuwenden, dass er ungern so kurz vor dem Ziel einfach zurückgepfiffen wurde.

Lances klang zufrieden, also war Cain auch zufrieden. So einfach war das.

„In Ordnung“, sagte er daher. „Ich kehre zurück.“

„Gut. Ich werde dafür sorgen, dass Blaine dir ein besonders gutes Abendessen bereitet. Als Preis für deine Mühen.“

Cain ignorierte das in Lances' Stimme unterschwellig wahrnehmbare Amüsement – redete sich einfach ein, dass es nichts mit ihm zu tun hatte – und gab ein knappes Nicken zur Antwort.

Als er schließlich verschwand, war auch die letzte Person in unmittelbarer Umgebung des Kristalls fort – und zurück blieben nur ein Schwert mit dem Namen Tengaar, ein Wurfmesser und die letzten Schwaden verschwindenden Bluts im Wasser.



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