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Das Dämmern der Morgenröte

Die Anfänge des Bundes der Morgenröte
von

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Bilder der Vision

Frühling des Jahres 643 nach Beorczählung

Auf dem Kontinent Tellius im Lande Daein unter dem Regiment des Königs Ashnard
 

Die Abenddämmerung des Frühlings tauchte den Himmel in ein orangenes Licht.

Langsam kehrte die Nacht ein, die milde Temperatur der Jahreszeit wurde frisch und nicht allzufern läutete das Zwitschern einer Nachtigall das Ende des Tages ein.

Es war eine unbekannte, mit Quadersteinen gepflasterte Gasse in den Straßen Nevassas, der Hauptstadt Daeins.

Ein kleines warmes Zelt war mit einem sanft duftenden Rauch verhüllt, der die Luft umfing und die Sinne beruhigte. Es war dunkel in dem Zelt, und spärlich beleuchtete eine kleine Kerze mit einem magisch violetten Feuer den runden Tisch an dem sie sich befanden.

Das dämmrige Licht verschleierte im größten Teil das Aussehen der Figuren, doch das augenscheinlich silberne Haar einer jungen Frau leuchtete blass in der violett schimmernden Flamme.

Vor ihr lag eine große, glänzende Kristallkugel, die die junge Frau mit ihren zwei zierlichen Händen in schwarzen und fingerlosen Handschuhen umfing.

Ihr goldener Armreif reflektierte etwas des sanften Violett.

Voller Anspannung auf das, was die Kugel zeigen mag, legte die andere Frau ihr Kinn auf ihre Hände an den Tisch und beugte sich mit dem Gesicht nah zur Kugel herab.

„Was zeigt sie?“ flüsterte sie ungeduldig.

Die mystische Atmosphäre drohte bei ihrem aufdringlichen Worten zu zerbrechen, als das Mädchen sich auf die Kugel konzentrierte. Auf ihre Worte hin brach sie die Konzentration auf den großen Kristall ab und wandte ihre Worte sanft zu ihr.

„Sie tragen eine große Sorge in ihrem Herzen…“ sprach das mysteriöse Mädchen fürsorglich, als sie ihren Blick von dem Visionsmedium abnahm und auf die Frau vor sich richtete.

Golden-gelbe Augen schimmerten im leichten Violettton der Kerze auf, als sie ihr dann ein sanftes Lächeln schenkte.

Sie fing nun mit ihrer Weissagung an.

„Der erste Monat nach der Geburt ihres Mädchens erweist sich als schwierig, aber das Schicksal steht Ihnen zu dieser schweren Zeit zur Seite. Jemand Wichtiges, den Sie seid einigen Jahren schon nicht mehr gesehen haben, wird Sie in geraumer Zeit besuchen kommen. Was Ihren Mann betrifft, so seien Sie unbesorgt, er wird sich schnell wieder erholen und ist dieser Schritt getan, wird sich Ihnen eine wundervolle Zukunft als Familie eröffnen."

Eine kleine Pause legte sich in ihre Zukunftsvision, als sich die Augen der zu Weissagenden vor Bewunderung und besonders Erleichterung weiteten. Dass sie von ihrem Mann wusste, konnte nur darauf hinweisen, dass sie wirklich die Fähigkeit besaß anderen Leuten die Zukunft vorzulesen. Ein kleines Nicken ihrerseits deutete darauf hin, dass das Mädchen fortfahren solle, denn sie schien noch nicht zu Ende gesprochen zu haben.

Das sanfte Lächeln der Weißmagierin wandelte sich zu einer leicht besorgten Miene.

"Seien Sie vorsichtig mit ihren Worten gegenüber einer kommenden, ihnen wichtigen Person, doch seien Sie zuvorkommend. Machen Sie zu Anfang alles richtig, so wird Sie die Person für Ihre Ehrlichkeit belohnen...“

„Ein Mädchen…“ sprach sie verträumt und streichelte sich über ihren großen Bauch.

Ein erleichterndes Gefühl von Glück vertrieb die Sorgen aus ihrem Herzen, als sie dankend und mit einem Lächeln auf dem Gesicht wieder zu dem Mädchen vor sich aufsah und sprach

„Es gab niemanden in Nevassa, bei denen deine Weissagungen nicht zutrafen. Es ist wundervoll zu hören, dass uns eine fröhliche Zukunft bevorsteht. Ich werde tun, was du mir gesagt hast und nehme mir deinen Rat zu Herzen. Ich danke dir vielmals!“ und nahm dabei die Hände der jungen Frau in ihre. Dann griff sie in die kleine Tasche um sich um etwas rauszuholen, wobei die andere Hand die des Mädchens nicht losließ. Dann spürte es etwas Kleines in ihrer Hand, doch bevor sie ahnte was es war, verdeckte die andere Frau den Gegenstand.

Sie umgreifte die der jungen Frau und schloss sie sachte.

„Falls du nicht weißt was es ist, es ist mein Dank an dich. Ich weiß, was du für die Leute tust und wie wichtig du ihnen bist, deshalb hast du dir das nur verdient. Du solltest diesmal etwas für deine Taten annehmen. Verkaufe es im Bazar. Ich wünsche ich dir noch eine gute und erholsame Nacht!“ sprach sie ihr zu, bevor sie von ihrem Stuhl aufstand und aus dem Zelt ging, das Lächeln nicht von ihrem Gesicht weichend. Ein kühler Luftzug wehte, als sie austrat.

'Es ist schön, dass ich heute keine Todesnachricht überbringen musste...' dachte sie sich, an die Tage zurückdenkend an denen sie mit aller Vorsicht den Tod einer nahestehenden Person zu sehen beichtete. Selten jedoch wollen die Menschen einer Hoffnungsträgerin wie ihr abnehmen, dass sich auch grausame Nachrichten ereignen können.

Fröhlich heute einer weiteren Person die Ungewissheit genommen zu haben und sie durch eine positive Nachricht ersetzen zu können, stand das silberhaarige Mädchen noch eine kleine Weile still und ließ die Visionen der schwangeren Frau ein weiteres Mal in Bildern durchgehen. Es war einerseits amüsant, dass die Menschen glaubten die Bilder, die sich ihr in der Kugel eröffneten stammen von dem Kristall alleine.

Wahrsagerinnen, so schien es, kämen ohne sie nicht zurecht. Ihr aber half sie nur die Bilder kontrollierter und genauer zu sehen. Nun fragte sie sich ob sie in der Lage sei auch ihre eigene Zukunft vorhersehen zu können...

Den erhaltenen Gegenstand bei den Gedankengängen vollkommen vergessen, öffnete sie langsam ihre Hand.

„Aber…M-Moment!“ rief sie nun ins Leere, als sich ihr erhobener Arm wieder senkte.

Das Mädchen hatte nicht einmal die Chance sich der übermaßenden Dankbarkeit der Frau zu entziehen, als sie ein dunkelblau schimmerndes Juwel in ihrer Hand hielt.

'Ein Wasserjuwel...'

Ein beliebter, äußerst seltener und teurer Edelstein.

Sie seufzte. Allein diese Dankbarkeit, die sie ausstrahlte genügte ihr. Ob sie davon leben konnte ist eine andere Sache, doch sah sie es trotzdem immer strittig an, wenn sie etwas für ihre Gabe bezahlt bekam.

Die Gabe, in die Herzen der Menschen und in deren Zukunft blicken zu können, es ist etwas, was man mit den Menschen teilen sollte.

„In den Taschen sollte Armut und in den Herzen Reichtum herrschen, nur so bleibt die Seele gesund…“ sprach sie wie in einem Mantra leise zu sich selbst und seufzte.

Sie dachte darüber nach, wie viel das Juwel in ihrer Hand wert sein könnte.

Morgen würde sie es verkaufen, dachte sie sich, als sie nun beschloss sich für heute auszuruhen. Es war ein langer Tag gewesen und sie hatte einige Goldmünzen verdient.

Doch das Juwel war mehr als sie je gedacht hätte.

Sie lief auf den kleinen Tisch zu um die nun schwache Flamme zu löschen und die Kugel abzuräumen.

Endlich hatte sie ihren wohlverdienten Feierabend.

Doch plötzlich erschien ihr in ihrem inneren Auge ein schwaches Leuchten, welches sich mit jeder Sekunde, in der sie länger stand verstärkte.

"Was..." Sie spürte wie ihr Umgebungsbild schwanke um ein neues zu zeigen. Schwindel überkam sie wie in keiner Weissagung zuvor und augenblicklich suchte sie nach der helfenden Kristallkugel auf dem Tisch.

Auf einmal bewegten sich lebendige Bilder in der Kristallkugel.

Als sie erkannte, was sie sah, weiteten sich ihre Augen.

Eine Vision eröffnete sich ihr und sie versuchte die rasenden Bilder einzuordnen.
 

Ein König mit einem teuflischen Auftreten…

Ein Konflikt zwischen zwei Ländern…

Soldaten und Laguz, die in riesigen Truppen auf dem Schlachtfeld stehen und sich verhasste Blicke zuwerfen.

Sie rennen aufeinander zu…Schreie erfüllt die Atmosphäre. Ein Fluss aus Blut

Ein Packt wird geschlossen…

Der König lacht. Das Pergamentpapier tränkt sich rot vor Blut.

Ein Medaillon...umgeben mit blauem Feuer...weitere Bilder erscheinen in ihm.

Geflügelte Menschen...ein großer Tempel...Gesang.

Ein Bild einer Frau mit langen, roten Haaren, die in einem Sarg zu schlafen scheint. Ihre scharlachroten Augen öffnen sich.

Ihr Erwachen endet mit einer Explosion und Zerstörung macht sich mit einem gleißenden Licht breit…
 

„Ein Krieg steht bevor?“ stieß sie erschrocken aus, als die Bilder langsam aus der Kugel verschwanden. Ihre Augen geweitet saß sie noch einige Sekunden, bevor sie alles einordnen konnte. Langsam lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück und ließ sich die Bilder ein weiteres Mal durch ihren Kopf gehen.

Hatte sie soeben die Zukunft eines ganzen Landes...wenn nicht sogar Kontinentes vorhergesehen?

Sie versuchte, sie in etwas Gegenwärtiges unterzuordnen. Der König…

Geschockt hob sie die Hand vor ihren Mund.

’Kann es sein? Das war Ashnard, unser König von Daein, doch…warum? Es scheint ein Krieg zwischen den beiden Rassen, den Laguz und den Beorc zu sein, doch…

Was ist mit dem Medaillon? Mit der Frau, dem Blut und…ah.’

Sie wusste nicht, was die denken sollte. Es war zuviel auf einmal, als dass sie den Sinn vollends aus dieser Offenbarung lesen konnte. Sie stütze ihren Kopf in die Hand. Warum hatte sich ihr so etwas offenbart?

Plötzlich erschienen weitere Bilder in der Kugel.

Überrascht blickte sie ein weiteres Mal auf.

Nun zeigten sich die Bilder langsamer und klarer.

Eines davon war, als sähe sie es vor sich. Sie erschrak.

Vor ihr sah sie ihr Gesicht wie in einem Spiegel.

Es folgten weitere.
 

Ein rebellierendes Volk…Ein großer Trupp von Söldnern in Begleitung von Laguz des Stammes der Raubtiere und Falken….

Eine kleine Gruppe von Leuten mit einem Lachen im Gesicht…

Sie selbst in deren Begleitung.

Ein dünner, alleingelassener Junge mit grünen Haaren in einer Gasse…
 

‚Was hat das zu bedeuten? Ich kenne diese Personen nicht. Aber vielleicht…

Ja, vielleicht ist es Schicksal dass ich diesen Menschen begegne.'

Als sie an den kleinen Jungen dachte, schien es ihr, als kannte sie ihn, als sich ein starkes Gefühl in ihr breit machte.

'Doch was für eine Rolle spielen sie in diesem Krieg? In dieser Vision? Und…in meinem Leben?’

Sichtlich verzweifelt was in diesen Bildern beeinflussbar ist dachte sie nach.

Es schien, als hätte sie ihre eigene Zukunft vorrausgesehen.
 

Die Gesichter der Personen zeigten sich ihr nun klar und deutlich in der Kristallkugel.

Jedes einzelne von ihnen verziert mit einem Lächeln.
 

Da war ein junger Mann mit grünem Haar zu sehen, der dem kleinen Jungen bis auf das Kleinste glich.

Ein Blick des Vertrauens und großer Fürsorge spiegelte sich in seinen Augen wider. Doch da war noch ein stärkeres Gefühl...

Das Bild wechselte und es erschien ein weiterer Mann, offensichtlich um einiges älter als der vorherige mit weinrotem Haar und einem Halbbart.

Sein Gesicht zeigte eine große Gütigkeit, Geduld und Ruhe.

Die nächste Person war ein junger Mann mit braunen Haaren, dessen breites Lachen wie sein Blick eine Aura voller Freundlichkeit ausstrahlte.

Ein weiterer junger Mann folgte in der Vision.

Er hatte blonde Haare und einen sanften Blick und sein ebenso sanftes Lächeln trug etwas Anständiges. Er vermittelte ein Gefühl von Verständnis.

Das schienen ihr herzensgute Menschen zu sein.
 

‚Wer diese Leute nur sind…’
 

War es ihre Bestimmung diesen Leuten aus der Vision zu begegnen?

Ungewissheit machte sich in ihr breit und ihre Augen fokussierten ein weites Ziel.

Ein starker Wind blies die kleine violette Flamme auf dem Tisch aus.

Geborgenheit

"Es ist kühl geworden und es wird bereits dunkel, beeil dich mit den Kisten, Junge!”
 

Ein alter Mann mit einem Krückstock und einer braunen Ballonmütze beäugte die Tätigkeit des jungen Mannes, der augenscheinlich mühelos mit einer Kiste voller Wein auf den Armen beladen in Richtung seines Rufes lief. Dem Stand der Abenddämmerung zufolge müsste es um die sechs Uhr abends sein.

Der Mann hielt ihm die Tür der Gastronomie offen und sah sich nochmals in jede Richtung um bevor er sie, nachdem der junge Arbeiter mit der Kiste eingetreten war, leise hinter sich schloss.

Der Junge sah sich in dem Raum um, wo er die Kiste abstellen könnte und entdeckte einen kleinen Keller am Ende des Raumes.

„Man kann nie wissen wann und wo die Soldaten wieder ihren Humbug treiben, wir wollen nicht noch eine wertvolle Kiste an diese Schmarotzer verlieren!“

krächzte die Stimme des alten Mannes, der sich dann räusperte und wieder ansetzte nostalgisch zu erzählen.

„Vor dem Krieg vor drei Jahren war alles noch sicher hier in Daein.

Niemand musste sich vor plötzlichen Tumulten wegen irgendwelchen respektlosen Soldaten fürchten.

Ständig eigneten sie sich dreist die Besitztümer der Bewohner an und versuchten sie von ihren eigensinnigen Absichten zu überzeugen, indem sie sich dabei die absurdesten Ausreden ausdachten!

Als ob sich die Leute dem Willen der Soldaten entgegenstellen könnten!

Dabei machen solche Aktionen diese Kerle nicht weniger hinterhältig wie Banditen!!

Denken, sie könnten sich alles erlauben! Ich sage dir, ich mag zwar ein alter Mann sein, doch habe ich einen driftigen Grund zu sagen, dass die alten Zeiten besser waren…“

Während der Alte seinen aufgeregten Monolog hielt, lud der junge Arbeiter die Kiste mit dem Wein in die dunkle und kühle Kammer ab.

Er hatte durch das Klirren der Flaschen recht wenig von seiner Erzählung verstanden.

Nochmals schaute der alte Mann aus dem kleinen Fenster des Hintereingangs der Gaststätte, bevor er sich erleichtert zu dem jungen Mann umdrehte.

„Du hast eine gute Arbeit geleistet, Junge, alle Kisten sind wieder ohne Zwischenfälle angekommen.

Du scheinst unser Glücksbringer zu sein!“

Der Alte lachte erfreut auf und legte ihm aus seiner gebeugten Haltung eine knochige Hand auf seine Schulter.

“Hier hast du deinen Lohn, den hast du dir redlich verdient!“

Der Mann reichte ihm einen kleinen Sack mit den Goldmünzen, den der jüngere an sich nahm.

Bevor er sich jedoch bedanken konnte, fuhr der Alte fort.

„Aber sag Junge, wie wäre es denn, wenn du uns am Tisch Gesellschaft leisten würdest? Ich wette meine Enkel freuen sich auf neuen Besuch und meine Tochter kann unheimlich gut kochen! Dir würde was entgehen!“

Verdutzt über die plötzliche Einladung schaute er zu dem Alten herauf.

Der junge Mann richtete sich nun langsam auf und trat zu dem Alten in das schwache Licht der Raumbeleuchtung.

Nun konnte man ihn besser erkennen.

Er war von gut gebauter Statur und hatte haselnussbraune, kurze Haare, die ihm vorne in zwei Strähnen zwischen die Augen fielen und hinten ungeordnet in alle Richtungen abstanden. Seine Gesichtskontur spiegelte sein ungefähres Alter von achtzehn Jahren gut wider.

Sein minimal markantes Kinn gab seinen Gesichtszügen etwas erwachsenes, doch seine Augen strahlten seine noch immer kindliche Naivität aus.

Diese dunkelgrauen Augen schienen einen Moment lang aufzublitzen bevor das sein erfreutes Lächeln tat.

„Wirklich? Das wäre wirklich nett! Gerne doch!“ erwiderte er erfreut.

Und so folgte er dem Mann in die warme Stube an den Tisch, der dabei war von den Kindern gedeckt zu werden.

Neugierig, wen ihr Großvater da mitgebracht hat, beäugten sie ihn erstmals.

Dann lief der Kleinste von ihnen, ein süßer, ungefähr fünfjähriger Junge mit blonden Löckchen und strahlend grünen Augen, auf seinen Großvater zu und zupfte an seinen Mantel, fragend:

„Du, Opa, wer ist denn der Mann da?“

„Lasst uns doch erstmals nach Hause kommen, Nico! Ich stelle ihn euch am Tisch vor, in Ordnung?“ erwiderte der Alte daraufhin lächelnd und hob ihn mit Mühe vom Boden ab um ihn an den kleinsten Holzstuhl des Tisches zu setzen.

‚Schön warm ist's hier...’ dachte sich der junge Mann als er in den geheizten Raum eintrat und sah sich darin um.

Am Kamin brannte ein Feuer. Lange blickte er es an.

Das sanfte, leise Knistern der Flammen ließ ihn unweigerlich schaudern.

Er verband eher schlechte Erinnerungen daran. Unbemerkt strich er sich dabei mit der Hand über den Handrücken der anderen.

Dann blickte er vom Feuer über den Kamin.

Ein Schwarzweißfoto schmückte den Kaminschacht, auf den die Tochter des Großvaters mit ihrem Ehemann und deren drei Kindern stand; ein herzerwärmendes Lächeln zierte jedes der Gesichter. Den Kleinsten von den Dreien hielt die Mutter in den Armen, friedlich schlafend schien das Kind die Nähe zu genießen.

‚Ein so harmonisches Bild…’

Das Knarren der Holzdielen weckte ihn aus seiner leichten Trance, als der alte Mann zum Kleiderständer lief um seinen Hut und seinen Gehstock abzulegen.

„Setz dich schon mal!“ sagte er zu ihm und zog ihn mit seiner schmächlichen Hand einen Stuhl hervor. „Das Essen ist gleich fertig!“

Die anderen beiden Kinder, ein kleines Mädchen, im ungefähren Alter von 8 Jahren mit hellbraunen Haaren und blauen Augen und ein etwas älterer Junge mit augenscheinlich 12 Jahren, der hellblonde Haare wie dunkelgrüne Augen hatte, standen hinter deren Stühlen und ließen deren Augen nicht von ihm.

Sie grinsten leicht zu ihm herüber, als ob sie sich über ihn amüsierten.

Erst als er Platz nahm, nahmen auch die Kinder Platz.

‚Hmm, sie sind gut erzogen’ dachte er sich amüsiert.

Nun zog auch der Alte seinen Stuhl aus dem Tisch hervor und setzte sich neben den jungen Mann.

„So Junge, schon öfters hast du uns mit Kistenschleppen ausgeholfen und ich kenne noch nicht einmal deinen Namen!“

„Edward ist mein Name“ antwortete er. Dann wandte er seinen Kopf zu den Kindern.

„Edward“ wiederholte er. Nico, der Kleinste, fing an zu grinsen.

„Schön dich kennen zu lernen, Edward!“ und streckte dabei unbeholfen seine kleine Hand zur Begrüßung aus.

Edward konnte sich ein großes Lächeln nicht verkneifen als er vorsichtig sein zieliches Händchen schüttelte.

„So! Vorsicht Kinder, die Töpfe sind heiß! Das Essen ist fertig!“

Die Tochter des Alten lief auf den Tisch zu, Topflappen um den Topf gegriffen stellte sie ihn auf die Ablage au den Tisch ab.

Sie hatte schulterlange, dunkelblonde Haare und dunkelgrüne, freundliche Augen, die sie sogleich kurz auf ihren Besuch richtete, bevor sie den Tisch nach einem freien Platz für den Topf absuchte.

„Mensch Margret, du hast aber lange gebraucht!“ scherzte der Alte mit seiner Tochter, die ihm, wie ein kleines Kind, leicht die Zunge herausstreckte.

„Mensch Margret, das macht man nicht!“ scherzte nun auch ihr älterer Sohn und alle fingen an zu lachen.
 

‚Eine Familie…’
 

Sein leicht verträumtes Lächeln hing in fernen Gedanken.

Edward hatte seine nie gekannt. Er wusste nicht, wie schön es sein kann mit so vielen vertrauten Personen zusammen zu sein. Hätte er aber eine Familie gehabt, dann hätte er das Gefühl mit Sicherheit unheimlich vermisst.

Lebendig erzählten die Kinder von ihren kleinen Abenteuern im Alltag, der Schule und den kleinen Streichen. Sie haben schnell ein vertrautes Gefühl in Edward gehabt und plauderten mit ihm, als sei er schon seid Jahren bei ihnen.

'Die Kinder sind noch so unberührt von den Problemen des Kriegs...

Es ist schön, in so einer schweren Zeit Vertrauen wie hier zu finden.'

Nicht eine Sekunde verließ das fröhliche Lächeln sein Gesicht.
 

Lange schon hat Edward sich nicht mehr so gut gefühlt.

‚Einen so vollen Magen hatte ich schon seid Ewigkeit nicht mehr!’

dachte er,als er sich mit einer Hand zufrieden über den Bauch strich.

Nach einigen Stunden des Unterhaltens schlief der Kleinste unter den Kindern bereits am Tisch ein.

Die Zeit war unglaublich schnell vergangen.

„Oh, es ist schon spät, ich schätze ich sollte gehen“ sagte Edward, als er Nico auf dem Stuhl dösen sah.

„Es hat mich total gefreut bei euch zu Essen, das Essen war wie der Al-, wie es dein Vater mir versprochen hatte, unheimlich gut!“ grinste er zufrieden, stand auf und schob den Stuhl zurück in den Tisch.

„Das freut mich wirklich zu hören, dass es dir geschmeckt hat!“ entgegnete Margret ihm mit einem Lächeln.

Nico bemerkte einen kleinen Aufruhr in den Stimmen und öffnete seine Augen verschlafen.

Es schien als verabschiedete sich Edward.

„Musst du schon gehen?“ sagte er leise.

Nicht wirklich auf eine Antwort wartend, fragte er weiter:

„Kommst du mal wieder, Edward?“

Edward wusste darauf keine Antwort zu finden, da es nicht an ihm lag so eine Entscheidung treffen zu können, doch Margrets Stimme ersparte ihm die Peinlichkeit.

„Ich bin mir sicher, dass er wiederkommen wird, nicht wahr?" und zwinkerte ihm zu.

„Und nun ab ins Bett mit dir, Nico, du schläfst ja fast im Stuhl ein!“

Und so nahm sie ihn in die Arme und trug ihn die Treppen zu seinem Zimmer hoch.

Den anderen beiden Kindern zeigte sie mit einem Kopfnicken, dass sie ihr folgen sollten und bevor sie um die Ecke bog, gab sie Edward noch ein freundliches Abschiedslächeln.
 

‚Diese Leute waren so freundlich zu mir, luden mich einfach zu sich nach Hause ein!' ging es ihm erfreut durch den Kopf, als er bemerkte, wie beliebt er doch bei einigen Familien in Nevassa war.

Er schien etwas an sich zu haben, was die Kinder freute und den Menschen veranlasste, ihm deren Vertrauen zu schenken. Edward war in diesem Moment einfach nur glücklich.

Als er seinen Weg ging, wurde die Wärme, die er an seinen Klamotten haften hatte nun langsam von der frischen Herbstbrise davon geweht.

Einige Blätter raschelten auf dem Boden als der Wind sie forttrug.

Die wenigen Bäume, die auf seinem Weg lagen waren teilweise kahl geweht und bogen sich fast geräuschlos im Wind. Hier und dort fiel das letzte Laub von den Bäumen.

Seine Unterkunft lag in einem etwas abgelegenen und mehr heruntergekommenen Viertel der Stadt in einem gefährlichen Gebiet.

Banditen haben in dieser Gegend deren Hauptlager, dieses Viertel ist bekannt für die vielen Raubüberfälle.

Edward jedoch war dem Ärger meist entkommen.

Er erinnerte sich auf einmal zurück an den Tag vor einigen Jahren, an dem es ihn nicht gelang zu fliehen.

Leicht schauderte er bei diesem Gedanken.

Brutal wurde er aus dem Hinterhalt niedergeschlagen.

Die Mitglieder umzingelten ihn und hielten ihn fest, sodass er nicht fliehen konnte. Edward versuchte so gut es ging sich aus dem Klammergriff zu befreien, doch je mehr er sich wehrte, desto brutaler wurden sie.

Sie gingen sicher, dass er nicht mehr herumzappelte und würgten ihn letztendlich bewusstlos.

Sein durch ehrliche Arbeit erwirtschaftetes Geld hatte man ihm gestohlen und er wurde übel zugerichtet.

Blau und blutig hatte man ihn am nächsten Tag bewusstlos aufgefunden.

Eine Nonne des naheliegenden Klosters hatte ihn verarztet und umsorgt.

Er wüsste nicht was er getan hätte, wenn ihn Niemand gefunden hätte.

‚Ich denke nicht, dass ich das überlebt hätte...‚

Ein sanftes Lächeln schlich sich bei dieser Erinnerung auf sein Gesicht.

‚Irgendwie bin ich schon ein Glückspilz, immer werde ich gefunden und umsorgt wenn ich in Schwierigkeiten stecke...es gibt eben doch noch Leute mit einem guten Herz.’

Vor seiner Unterkunft blieb er stehen.

‚Ja, ich habe wirklich verdammt viel Glück…’ ging es ihm durch den Kopf, als er sich sein derzeitiges Zuhause ansah.

Es war ein heruntergekommenes, altes Bäckerhaus, indem er nun lebte.

Die Fenster an einer Seite waren eingeschlagen, durch den nun der frische Wind pfiff, die Tür hing an einem Haken und das Meiste vom Dach fehlte.

‚Na ja…wenigstens muss ich dafür keine Miete zahlen!’ dachte er sich scherzhaft und betrat das Haus.

Wenn man es von außen betrachtete, hätte man meinen können es sei ein ebenso wie seine Erscheinung, ein verdrecktes Loch das bereits vor sich hinmoderte.

Doch es ist vergleichsweiße recht sauber gehalten worden.

Der Raum war groß und an der hinteren Ecke des Raumes gelehnt stand ein alter Kehrbesen mit Laub an den Borsten. Das Haus war fast frei von jeglichen Blättern und Steinchen. An der linken Seite fiel ein großer Balken von oben herab bis an die Ecke des Raumes hinunter. Es war wohl ein Überbleibsel eines Halterungspfostens des ehemaligen Daches.

Obwohl es nicht das Gemütlichste ist, was sich ein Bürger mit Wohlstand vorstellen kann, fühlte er sich wie Zuhause.

Sein Rücken schmerzte ein wenig von der Arbeit und er hatte seid langem wieder einen Muskelkater in den Armen.

Das Einzige, was er jetzt tun wollte, war sich auszuruhen.

Er schmiss sich mit seinem Rücken auf den großen Strohsack in einer Ecke des Raumes, das noch das Glück hatte mit einem Stückchen Dach bedeckt zu sein.

„Puh!“ stieß er aus, als das vertraute Knistern eines Feierabends ertönte und blickte nach oben. Eine kurze Weile verharrte er.

Daraufhin richtete er sich auf und schaute sich im Raum um.

Nun stand er wieder ganz auf und rückte den Sack in die Mitte des Raumes, an der kein Stückchen schützendes Dach über ihn stand.

Dann ließ er sich wieder in den weichen Strohsack fallen.

Ein friedliches Schmunzeln überkam ihm dabei, den Blick über sich ins Freie gerichtet.

Der freie Himmel einer Spätherbstnacht erstreckte sich wolkenlos vor ihm und war mit dem klaren Funkeln der Sterne bedeckt.

Es war ein wundervoller und friedlicher Anblick, den Edward wie Nichts anderes liebte. Es war das Einzige, was ihn sicher fühlen ließ, ja, er fühlte sich unter ihnen am Leben zu sein. Seine Augen schienen ihm in jedem Moment schwerer als er den Anblick genoss.

Die Sterne gaben ihm die Hoffnung weiterzumachen und ermunterten ihn, in seinem Leben nicht aufzugeben, mit was für Problemen er auch zu tun hatte.

Es war das Einzige, was ihn seid Anbeginn seiner Zeit fest begleitete.

An schönen wolkenfreien Nächten wie diese ließ er sich mit den Anblick der Sterne in das Reich der Träume schicken.

Edward genoss die Zeiten des kleinen Friedens und lebte im Moment.

Doch manchmal fragte er sich, was ihn die Zukunft bringen würde und wie sie aussehen mag.

Eine Zeit lang verweilte er in dieser ruhigen Lage. Er spürte, wie seine Glieder schwer wurden und sein Herz in einem langsameren Tempo schlug.

Seine Augenlider drohten gänzlich zu fallen.

Auf einmal zischte eine große Sternschnuppe vor seinen Augen an ihm vorbei, heller als jede, die er bis jetzt gesehen hatte.

Leicht weiteten sich seine Augen bei dem Spektakel, bevor er sie aprubt schloss. Ein wenig erschien es ihm kindisch, an solche Märchen zu glauben, doch Hoffnungen und Wünsche waren seine einzigen Wegbegleiter, an denen er Halt fand.

Kurz überlegte Edward sich, was er sich wünschen sollte.

'Was nur, was nur wäre ein Wunsch wert, was wäre ein Wunsch...' dachte er sich zaghaft.

Zu müde jedoch um seine Augen wieder aufzumachen schlief er ein, den Gedanken um einen Wunsch nun in den Träumen kreisend.

Sein ganzer Körper lag nun völlig entspannt in seinem Bett, der Kopf fiel langsam zur Seite.

Dabei hatte er die Bilder des Abends im Kopf.

Die glücklichen Gesichter der Kinder, des Alten und der Frau, Margrets, wie sie am Tisch saßen und fröhlich miteinander scherzten.

Dann dachte er an das Foto der Familie, das über den Kamin hing, wie es diese unendliche Harmonie ausstrahlte, mit den Kindern, deren Vater und Mutter mit dem kleinen Jungen im Arm. Wie es sich geborgen im Arm seiner Mutter kuschelte und friedlich schlief.
 

‚Geborgenheit…wie es wohl ist?’

Eine schwermütige Vergangenheit

„Das ist zu gütig von Ihnen, Miss, jedoch…“

„Nein, ich bestehe darauf, bitte..."

sie trat bei Seite, mit ausgestreckter Hand der offenen Tür zugewiesen

"...tritt ein!

Unser Gästezimmer ist gemütlich und bereits gewärmt.

Außerdem ist es bereits zu dunkel um sich um diese Uhrzeit in den Gassen Nevassas herumzutreiben."

Leicht besorgt nahm sie ihre vorherige Stellung wieder ein.

Die Frau trat dann ein wenig aus der Tür heraus und blickte sich um.

Ihr ansehliches Haus war von dichten, hohen Tannen umgeben, die in dem Dunkel der Nacht aussahen wie zottelige, schwarze Monster.

Die kühle Herbstbrise wehte durch die vielen Arme der Riesen und ließ sie rauschen. Eine unangenehme Stille machte sich breit.

"Die Banditen suchen sich jeden erdenklich günstigen Zeitpunkt aus in der die Besatzungstruppen nicht in den Nebengassen patrouillieren, um ihre Opfer ausbeuten zu können.“

Sie schauderte.

Nach einer Pause fing sie wieder an.

Dabei schlich sich ein verführerisches Schmunzeln wieder auf ihre Züge.

„Und wir wollen ja nicht, dass das mit dir passiert, Hübscher!“ sprach sie und zwinkerte ihm dann zu.

Die noble Frau, die am Eingang ihres wohlhabenden Hauses stand, schien sich einen Narren an den jungen Mann vor sich gefressen zu haben und versuchte ihn davon zu überzeugen, bei ihr zu bleiben.

Vielleicht bekommt sie ja eine Chance, ihn näher kennen zu lernen…

Von ihrem Erscheinen schien sie eine Frau mittleren Alters zu sein.

Ihr dunkelbraunes Haar war in einer Hochsteckfrisur zusammengebunden, eine silberne Nadel gespickt mit Edelsteinen schmückte es.

Das Gesicht war gepflegt und geschminkt, Rouge zierte ihre Wangen und ihre Wimpern waren getuscht.

Eitel bekleidet mit einem edlen Pelzmantel und dunkelroten Seidenhandschuhen stand sie am Eingang des großen Hauses und bewarf ihn nur mit Werbesignalen.

Ihm jedoch schien es nicht aufgefallen zu sein oder er zeigte sich unwissend.

Im hellen Schein der Abendlaterne konnte man den jungen Mann gut erkennen.

Seine leicht blasse Hautfarbe stand im Kontrast zum Dunkeln um ihn herum, ebenso wie seine gelb-blonden Haare leuchtete sie im Laternenschein.

Sie fielen ihm an einer Seite ins Gesicht und an der Seite leicht herunter.

Hinten war der obere Teil seiner Haare in einen Halbzopf zusammengebunden, der Rest seiner Haare hing ihm unter dem kleinen Pferdeschwanz etwas mehr als schulterlang den Rücken runter.

Man musste sagen, dass er im Ganzen ein gut aussehender,hübscher junger Mann war.

Seine Statur war hoch gewachsen und im Vergleich zu einem Mann mit normalen Maßen gesehen, vergleichsweise zierlich.

Sein Gesicht war mit sanften Charakterzügen gezeichnet und er hatte ein schmales Kinn, ein wenig feminin konnte man denken.

Man konnte darauf deuten, dass er im ungefähren Alter von zwanzig Jahren stand.

Seine dunkelblauen Augen von der Frau abgewandt, wusste er nicht, was er auf ihre Anfrage erwidern sollte.

Es wäre unhöflich gewesen, ein solch freundliches Angebot abzulehnen, doch fühlte er sich wohl, wenn er dennoch akzeptierte?

Einmal ist ihm diese Situation bereits vorgefallen und diese Dame hatte alles daran gesetzt, sich ihm zu nähern.

Es war eine äußerst unangenehme Situation, um es mild auszudrücken.

Es ist wahr, es war gefährlich um diese Uhrzeit noch in den Gassen herumzulaufen.

‚Doch wird es wahrscheinlich nur gefährlicher um meine Unschuld ergehen, wenn ich mich länger in ihrer Umgebung befinde’ dachte er sich, halb mit Scherzhaftigkeit wie blanker Erkenntnis.

Ihm passierte das recht oft, dass die Frauen ihn zu sich nach Hause einladen möchten.

Sie boten ihm Spirituosen an, womöglich um seine Gedanken zu vernebeln.

Doch er lehnte Alkoholisches stets ab.

Er entschied sich: „Ich danke Ihnen vielmals für Speis und Trank, doch wird es nun Zeit für mich zu gehen. Und sorgen Sie sich nicht um mich, es wird mir nichts zustoßen.“

„Gut, wenn du meinst…“ schnappte die Dame leicht auf, fast unbemerkt, bevor sie ihre vorherige Haltung wieder einnahm „Komm zu mir, wenn du etwas brauchst, Süßer…

Apropos, du hast doch auch einen Namen, nicht?“

‚Nachdem sie mich eigenhändig auf die Namen „Hübscher“, oder „Süßer“ getauft hat, ist sie nun doch zu diesem vernünftigen Entschluss gekommen, nach meinem Wahren zu fragen,’ ließ er sich erleichtert durch den Kopf gehen, mit der Hoffnung, endlich diese schaudernden Kosenamen von sich abwenden zu können.

„Leonard, Miss“

„Oh, was für ein edler Name!“

Nun musterte sie Leonard von Kopf bis Fuß und legte dabei ihre Hand an den Mund.

Nachdenklich setzte sie wieder an zu reden, jedoch leiser als zuvor.

„Hmm, jetzt wo ich darüber nachdenke kannte ich ebenfalls einen Leonard, Sohn einer Freundin von mir, der mit ihr in einem Vorstadtgebiets Nevassas wohnte.

Ein hübscher kleiner Adelssohn..."

Sie hielt kurz inne.

"Und wenn ich dich so ansehe, sieht er dir sehr ähnlich...“

Es erschien als überkam sie eine Traurigkeit, bevor sich die Augen der Dame langsam weiteten.

Kann es sein…“ entgegnete die Frau ihm, doch bevor sie erneut ansetzen konnte, unterbrach er sie.

„Nein, Miss, das mag ein Zufall sein, doch ich bin nicht von solch hohen Kreisen. Wenn ihr mich entschuldigt, es ist bereits spät.

Ich vermag euch nicht länger zu stören.

Einen erholsamen Abend wünsche ich euch.“

Sobald er sich zum Abschied leicht verbeugt hatte, wandte er sich von ihr ab und lief mit schnellem Schritt eine willkürliche Gasse hinunter, die er vor sich erstrecken sah.

Überrascht von seiner raschen Reaktion hob sie noch einmal die Hand, doch hielt sie sich zurück.

Sie respektierte seine Entscheidung gehen zu wollen.

"Vielleicht war ich ein wenig zu aufdringlich..." dachte sie sich enttäuscht.

Seinen Blick in die Ferne gerichtet, sah er nicht mehr die dunklen Gassen vor sich. Er schüttelte seinen Kopf.

Nicht noch einmal möchte er an seine Herkunft erinnert werden.

An diese Bilder der Vergangenheit.

Und an den einen Tag, an dem sich sein ganzes Leben auf einen Schlag änderte…
 

Es war eine wundervolle Sommernacht, die Leonard mit seiner Verwandtschaft bei einem typischen Familientreffen verbrachte, wie sie einmal im Jahr abwechselnd bei den verschiedenen Anwesen veranstalten wurden.

Diesmal war der Treffpunkt die Villa seines Onkels, an einem wundervollen und abgeschiedenen kleinen See.

Seine Familie war nicht sonderlich groß, dachte er.

Hier einige Cousins und Cousinen, Tanten da und Onkel hier.

Doch er selbst hatte keine Geschwister. Die Villa war prachtvoll mit Verzierungen, Malereien und Reliefs an den Wänden geschmückt und die Fenster des Speisesaals mit den langen Gardinen waren dreimal so hoch wie er selbst.

Ein Kronleuchter hing über dem langen Tisch und die Kerzen darauf ließen das Kristallglas in alle Farben schimmern.

Mittlerweile befanden sich nur noch seine Erwachsenen Verwandten im Haus.

Die Kinder spielten im Vollmondschein auf einem mit Fackeln beleuchteten Wiesenplatz.

Deren Ball flog rauf und runter, gelegentlich befleckte er den großen Mond.

Das Lachen der Kinder wie der Erwachsenen erfüllte die ruhige Nacht.

Es war eine angenehme Atmosphäre in der Luft, als alle deren gemeinsame Zeit zusammen genossen.

Leonard entschied sich, von den Treppen der Veranda aus den Kindern einfach nur zuzusehen.

Er hatte kein sehr gutes Verhältnis zu den meisten seiner Cousins und Cousinen, da sie ihn oft hänselten und für deren kindischen Unfug missbrauchten.

Es war ihm einfach nur zu dumm.

Er willigte nie ein, Jemandem aus seiner Verwandtschaft eine Nadel auf den Stuhl zu setzen oder einen Eimer voll Wasser auf die Tür zu stellen, da er das für sinnlos hielt.

Die Kinder sahen ihn deshalb als einen Spielverderber an und luden ihn nicht mehr zum Spielen ein.

Nicht, dass er das nicht wollte, er war einfach ein anständiges Kind gewesen, das nie viel von miesen Streichen hielt.

All das fand er einfach nur irrelevant.

Leise Schritte näherten sich ihm von hinten, als sie auf einmal verstummten und er eine Gestalt aus seinem Augenwinkel neben sich erkannte.

„Na, Leonard, wieder am Nachdenken?“

Er würde diese Stimme aus tausenden wiedererkennen.

Es war sein Lieblingscousin, William, mit einem Bogen in der einen Hand, die andere locker in der Hosentasche seines Traininganzuges steckend.

Nachdem Leonard zu ihm aufschaute, wandte er seinen Kopf wieder den Kindern zu, legte ihn in beide seiner Hände zurück und seufzte.

„Warum nur bin ich so anders als die Anderen? Warum kann ich nicht auch so froh sein wie sie, was ist so falsch an mir?“ fragte er leise, mit einer Spur Enttäuschung in seiner Stimme.

Die Kinder lachten vergnügt, als der Kleinste unter ihnen den Ball aus den Büschen holen musste.

Sein Cousin William setzte sich neben ihn und blickte zum silbern leuchtenden Vollmond hinauf. Heute schien er besonders groß zu sein.

„Dass man anders ist, muss nicht bedeuten, dass man schlechter ist als die anderen, falls du das denkst. Man denkt nur auf seine eigene Weise.

Du bist anders, ja, aber du vertrittst einfach eine eigene Meinung zu deren Schabernack als deine kleinen Verwandten.“

Leonard musste leicht in sich hineinlachen.

„Wir sind zwar Verwandte, aber ich bezweifle, dass sie sich aus freien Stücken mit mir anfreunden wollen" erwiderte er daraufhin.

Neben ihn hörte er William einen leichten Seufzer ausstoßen.

„Leonard, du erinnerst mich an mich selbst zu meiner Zeit als ich auch so alt war wie du. In der Schule trieben unsere Klassenkameraden ständig einen Unfug mit den Lehrern.

Ich hielt es einfach nur für dumm. Doch um Freunde zu finden muss man sich nicht unbedingt ändern.

Man muss nur welche finden, die so denken wie einer selbst. Welche, die dich so akzeptieren, wie du bist.

Wenn sie das nicht tun, dann sind es meiner Meinung nach keine wirklichen Freunde“

Er wandte seinen Kopf zu Leonard, der weiterhin ernst und nachdenklich nach vorne blickte. Dann schlich sich ein Schmunzeln auf Williams Gesicht.

"Doch das Leben muss nicht immer ernst sein, man muss sich auch offen für diesen und jenen Spaß geben, weißt du? Manchmal tut es einfach gut, sich auch mal absurden Sachen hinzugeben.“ Daraufhin schaute Leonard zu ihm auf.

„Hast du…“ setzte er an, ein wenig ungläubisch.

„Ja, aber nur einmal, es war ein harmloser Streich.“ Er lachte an den Erinnerungen leicht auf.

Leonard konnte bei dieser Aussage nur wieder seufzen.

'Sie sind alle so unbeschwert, was so was betrifft.

Ich wünschte, ich wäre es auch.’

William hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Onkel, nicht nur in der Persönlichkeit, sondern auch im Aussehen.

Er hatte glatte, schwunglose hellblonde Haare, dessen Pony gerade über seinen Augen endend geschnitten war und an seinen Schultern abgrenzend ebenfalls gerade stand.

William war schon recht groß für seine fünfzehn Jahre, bemerkte er.

Hellbraune Augen zeigten ihm Verständnis, als er ihm ein Lächeln gab und seine Hand auf Leonards Schulter legte.

„Du bist einfach ein wenig erwachsener als die Anderen, dass du das ganze Herumalbern für nicht nötig empfindest, deswegen aber mache ich dir keine Vorwürfe. Jeder ist, wie er ist.“

Nach diesen Worten fühlte sich Leonard viel leichter.

Und gerade deswegen mochte er William am liebsten.

Er war der Einzige, der ihn verstand. Leicht lächelte er zu sich selbst.

Dann schweifte sein Blick auf den Bogen, den sein Cousin in der anderen Hand hielt.

„Sag mal...William?" fragte er leise.

Die gesagte Person wandte seinen Blick zurück auf ihn, bevor Leonard weitersprach.

"Kannst du mir paar Schüsse mit deinem Bogen zeigen?“ fragte er ihn, auf einmal große Begeisterung aufbringend.

Er war schon immer fasziniert von den Fähigkeiten seines Cousins als Bogenschütze. Irgendwann mal wollte er auch so sein wie William.

„Klar kann ich das!“ entgegnete er ihm aufgemuntert durch seine Frage.

Niemanden schien seine Aktivität zu interessieren, außer Leonard.

Deswegen war auch Leonard Williams Lieblingscousin.
 

„Haha, ich kann verstehen, dass es für dich noch ein wenig zu schwer ist.

Die Bogenstärke ist zu groß!“ lachte William auf, als der kleine Leonard sich an einem Schuss auf die Zielscheibe vor sich versuchte, aber kläglich scheiterte und der Pfeil, bevor er das Ziel erreichte, in den Boden sank.

Schmunzelnd stand er neben seinem kleinen Freund, als er ihn üben sah.

Dann fiel ihm etwas ein.

„Warte einen Augenblick Leonard“ und mit diesen Worten verschwand er in das Haus um etwas zu holen.

Verwundert über seine schnelle Reaktion fragte Leonard sich, was er vorhatte. Abgesehen dessen zog er weiterhin angestrengt an der Sehne des Bogens, um seine Fähigkeiten zu verbessern.

Nicht allzu lange dauerte es und William kam wieder.

Er hielt einen in einem purpurnen Satin-Tuch umwickelten, langen Gegenstand in seinen Armen und schritt damit heiter auf Leonard zu.

Neugierig, was er da versteckt hielt, überlegte er sich was das sei konnte.

Er hatte eine kleine Vorahnung.

„Was ist das?“ fragte er schließlich, bevor er es von William langsam vor sein Gesicht gestreckt bekam.

„Es ist für dich!“

Und er reichte es dem kleinen Leonard vorsichtig rüber.

Als er den Gegenstand von dem Tuch auswickelte, weiteten sich seine Augen und wandte sie ungläubig seinem Cousin zu.

„Das ist wirklich für mich?“ brachte er mit Erstaunen heraus.

„Ja, für dich. Das war mein erster Trainingsbogen, als ich so alt war wie du hab ich ebenfalls angefangen mit dem Bogen zu trainieren.“

Lächelnd schaute er Leonard dabei zu, wie er den schimmernden Bogen in seinen Händen bewunderte.

Er war aus einem besonders biegbaren, rötlichen Holz gefertigt.

Die stählenden Enden, die den Strang hielten, waren glänzend poliert und in bester Verfassung. Er hatte nicht einen Kratzer…

William musste besonders gut auf ihn aufgepasst haben, bemerkte Leonard.

Erstmals sprachlos über das unerwartete Geschenk öffnete er seinen Mund, um etwas zu sagen, doch es kam erstmals nichts dabei raus.

„Ich weiß wirklich nicht…es ist echt…Danke sehr!“ war das einzige, was er letztendlich nach dem Stammeln herausbrachte.

Ein breites, kindliches Lächeln zierte sein Gesicht, eines, das man sehr selten in seinen Zügen sah. Es freute William, ihn so fröhlich zu sehen.

Mit großer Motivation versuchte er sich wieder an sein Ziel vor sich.

Den Köcher an seinen Rücken angebracht, holte er mit der rechten Hand daraus einen Pfeil und legte ihn, wie es ihn William vorhin beigebracht hatte, an.

Konzentriert auf die Zielscheibe vor sich versuchte er das Freudenzittern zu unterdrücken und peilte den roten Punkt in der Mitte an.

So fest er kann zog er an dem Strang, Pfeil fest anliegend

Dann schoss ab.

Mit einer unübersichtlichen Geschwindigkeit sauste der Pfeil durch die Luft…und an der Zielscheibe vorbei in Richtung der Hecken.

'Upps!...' dachte er sich dabei und blickte verdutzt in die Büsche vor sich.
 

Unerwartet erfüllte ein schmerzvoller Laut den Bereich der Hecken, gefolgt von einem lauten Rascheln, bevor ein anderer laut aufschrie:

„Sie haben uns entdeckt!“

Gleich daraufhin sprangen drei bewaffnete Männer aus jeder Richtung aus den Büschen auf sie zu.

Leonard, wie zur Salzsäule erstarrt, begriff nicht, was vor sich ging.

Was war das für ein Geräusch? Hatte er etwa…jemanden getötet?

Er war vollkommen verwirrt. Was machten diese Männer hier? Und wie lange waren sie schon in den Büschen versteckt?

Noch eben hatte er harmlos mit dem Bogen trainiert und dann...

Auf einmal wandelte sich alles. Es ging alles viel zu schnell…
 

„Leonard, lauf!“ Schrie William ihn zu.

Das weckte ihn aus seiner Trance und ohne darüber nachzudenken tat er, wie ihm befohlen wurde.

Doch wohin? 'Ich weiß!'

Er musste zu Williams Vater und ihm bescheid sagen, dass Banditen aufgetaucht sind.

Als Schwertkämpfer ist er der Einzige neben William, der dem Umgang mit einer Waffe vertraut ist und helfen kann.
 

„Bleibt ja stehen wo ihr seid, oder mein Pfeil spießt euch den Schädel auf!“ drohte William den Banditen, wenn sie es wägen einen Schritt nach vorne zu setzen und wechselte die Spitze hastig zu jeden von ihnen.

Er war von ihnen umzingelt und wusste, dass er damit nur Zeit schinden würde.

„Du mit welcher Armee?“ lachte der kräftig gebaute Bandit auf, den Griff um sein Schwert festigend.

Seine Augen blitzten leicht auf, als er neben den Jungen blickte.

Dann sah er wieder auf William zurück und grinste.

'Wieso grinst er?...Moment!'

„Das Spiel ist aus, Kleiner!“ schrie ein weiterer Bandit hinter ihm und hob sein Schwert in die Luft.

Kurz blitzte es im Fackelschein, bevor es mit einem Hieb hörbar die Luft schnitt.
 

Ein lauter Schrei erfüllte die lauwarme Vollmondnacht.
 

„Onkel Georg!“ schrie Leonard so laut er kann, und stand leicht außer Atem an der großen Tür der Veranda.

Das fröhliche Gelächter und die Unterhaltungen ebbten davon, als seine Verwandtschaft die sonst so ruhige Stimme Leonards als Schrei vernahm.

Die gesagte Person im Speisesaal stand auf und wandte sich ihm zu.

„Was ist los, Leonard? Ist etwas passiert?“ fragte er besorgt.

„Banditen greifen an!“
 

Mit einem Stahlschwert in der Hand lieferte sich Georg einen erbitterten Kampf mit den Banditen.

Die vorher so ruhige Atmosphäre wurde mit dem Klingen von Schwerthieben wie Kampfschreien erfüllt.

Er alleine würde sie nicht aufhalten können…

„Lauft weg! Ich kümmere mich um diese Kerle! Bringt euch in Sicherheit!“ brachte er noch heraus, bevor er einen weiteren Hieb des Gegners blockte und zu parieren versuchte.

Zögernd stand seine Frau noch am Hintereingang des Speisesaals.

Was, wenn ihr Mann es nicht schaffen wird?

Ihre Beine zitterten, doch ihr gelang es nicht, sich in Bewegung zu setzen.

Auch die Kinder waren zu sehr geschockt und waren in einer Starre gefangen.

Sie begriffen nicht, was vor sich ging.

Leonard war im Zwiespalt, ob er seinem Onkel Georg helfen sollte, indem er den attackierenden Banditen mit einem Pfeil aus seinem Bogen abschieße.

Doch konnte er es nicht riskieren ihn zu treffen.

"Was soll ich nur tun?" ging es ihm verzweifelt durch den Kopf, als er das Szenario betrachtete.

Plötzlich ertönte hinter ihm aus den Hecken der Abgrenzung ein weiteres, leises Rascheln, als Leonard die andern sofort warnte: „Passt auf, hinter euch!“ schrie er auf, doch es war zu spät.

Ein weiterer Mitstreiter der Banditen ist aus dem Busch auf seine Tante zugesprungen.

Mit einer Keule schlug er auf den Kopf der Frau ein, als sie zu Boden zusammensackte, weitere Banditen packten die Kinder mit einem groben Griff und banden jeden von ihnen fest.

Sie schrieen vor Angst, der Kleinste unter ihnen weinte bitterlich mit lautem Schluchzen.

Mit seinem Schwert schlug er neben ihnen auf den Boden und blickte sie verhasst an.

„Haltet die Klappe, oder ich verpasse euren gepflegten Visagen einige farbige Tönungen!“ schrie er die Kinder an, denen vor Angst sofort im totalen Schock seiner Drohung der Atem stockte.

Leonard stand in einem dunklen Teil des Gartens neben einer Hecke und beobachtete das Geschehen, der einzige Gedanke durch seinen Kopf schwirrend:

Was sollte er nur tun? Er hatte eine Waffe in seinen Händen und konnte nicht einmal einen seiner Familie retten, doch...

‚William!’ Er erinnerte sich, wo sie sich zuletzt befanden und rannte zurück zum Hinterhof des Hauses zu den Zielscheiben.

Die Banditen waren mit dem Kampf an der Wiese und den anderen seiner Familie beschäftigt.

‚Mit ihm haben wir vielleicht eine Chance…

Ich komme gleich zurück um euch zu helfen, bitte haltet durch!’ dachte er, unwillig seinen letzten Funken Hoffnung diesen Kampf zu überstehen, aufzugeben. Daraufhin rannte er so schnell ihn seine Füße tragen konnten.

Er konnte nicht glauben, was da passierte.

Es war alles wie ein Alptraum, ein schrecklicher Alptraum…

Vor einigen Minuten war alles noch so friedlich gewesen.

Das vergnügte Lachen der Kinder wurde durch das grauenerfüllte Schreien ersetzt.

Die Unterhaltungen der Älteren sind dem Klingen der Schwerter seines Onkels erliegen.

Seine ruhigen Gedanken wie Atemzüge wichen dem hektischen Herzrasen und Keuchen, als er zu dem Zielscheibenplatz rannte.

„William! William, da sind noch m-“

Leonard blieb abrupt stehen.

Da lag Jemand im Gras.

Langsam näherte er sich ihm.

'Was?....Wer...Nein. Das kann nicht sein…’

Länger verharrte er im Stehen, als er die Person betrachtete.

Seine Augen weiteten sich langsam im Schock, als die Erkenntnis einschlug.
 

Da lag William.
 

Auf den sonst mit Tau benetztem Gras überflutete Blut den Boden.

Seine Klamotten waren vollkommen mit der roten Flüssigkeit voll gesogen.

Er konnte es nicht glauben.

‚Das alles ist ein Traum, nicht? Ich werde gleich aufwachen und…’

Langsam lief er weiter auf seinen reglosen Körper zu und legte eine Hand auf seinen aufgeschlitzten Oberkörper.

Die Wunde war tief und verlief quer bis zu seinem Hals hin. Seine Halsschlagader wurde aufgeschnitten.

Als er realisierte, dass sich alles so real anfühlte, bemerkte er nun endlich, dass all dies kein Traum war.

Ein krabbelndes, stechendes Gefühl stieg ihm in die Magengegend, als er fühlte wie sein Blut vor Schock nach unten sank.

Schnell drehte er sich von seinem toten Körper weg.

Er musste brechen.

Auf einmal erfüllten weitere Schreie das Anwesen.

'Georg!…'

Es schien als sei Georg ebenfalls etwas zugestoßen.

Was sollte er tun? Er war nicht stark genug, um ihnen zu helfen.

Doch er könnte seine Familie nicht einfach so im Stich lassen!

Aber sich den Banditen zu stellen wäre reinster Selbstmord.

Mord…sie würden getötet werden…

Leonard hatte Angst.

Er wird auch getötet werden wenn er jetzt nicht fliehen würde. Er musste sich entscheiden.

Leben, oder Tod.

Ein letztes Mal wandte er seinen Blick zu William und betrachtete seine reglose Form.

Mit seinen Augen weit aufgerissen lag er da, seine Hand schien noch nach etwas greifen zu wollen als sie nun in der Pfütze seines Blutes lag.

Das Gesicht war leichenblass. Sein Mund war noch leicht geöffnet als schien es, dass er noch ein letztes Wort ausrufen wollte.
 

‚Lauf…’
 

Diesen Anblick konnte er nicht länger ertragen, als er das Verlangen hatte sich ein weiteres Mal zu übergeben und versuchte aufzustehen.

Die Beine zitterten und sein ganzer Körper war wie Gummi.

Er richtete sich nun ganz auf und setzte an zum Rennen.

Er musste weg von hier, egal wohin, nur weg…

Leonard konnte nichts für sie tun, er war zu schwach.

Und nie wieder würde er seine Familie wieder sehen.

‚William…’
 

Er fing an zu rennen, wohin, wusste er nicht, aber selbst nach so langer Zeit schien er nicht ganz über diesen Tag hinweg gekommen zu sein.

Er wird ihn wahrscheinlich nie vergessen.

Das Einzige, was er nun vor sich sah, waren die ganzen Hecken und Büsche aus seiner Vergangenheit, die aus dem Grundstück der Villa führten…
 

Nachdem er realisierte, was er eigentlich tat, haltete er seine Schritte, bis er wieder langsam lief und sein Atem ging schneller als er sich fragte, wie lange er gerannt war.

Und wohin. Leonard schaute sich um.

In dem Viertel, in dem er sich gerade befand, waren die meisten der Häuser halb zerstört und heruntergekommen.

Eine Ratte nagte an den Knochen eines toten Tieres, die Augen einer Katze blitzen in einer Seitengasse auf, als beobachteten sie jeden seiner Schritte ins Genaueste.

Leise loderten die Flammen der Fackeln an den Wänden, die die dunklen Gassen Nevassas spärlich beleuchteten.

Es gefiel ihm hier nicht.

Leonard wusste nicht einmal, wo genau er sich in Nevassa befand.

Seine derzeitige Unterkunft befand sich auf der anderen Seite über der Brücke in dem etwas belebteren Gebiet.

Seitdem er nun eine feste Arbeit als Verkäufer hatte, konnte er sich nun eine gemäßigte Wohnung in der Mittelklasse leisten.

Wasser jedoch musste er jeden Morgen von dem kleinen Fluss, der die Stadt durchzog, entnehmen, wenn er sich waschen wollte.

Er dachte über seine Situation nach.

'Das Schicksal hat es wohl gut mit mir gemeint...'

Im Vergleich zu dem, was er vor drei Jahren in dem Krieg zwischen Crimea und Daein hatte, ist dies ein Luxus.

Er schüttelte sachte den Kopf, an diese Zeit mochte er sich nicht erinnern…
 

Es war die Zeit, an der ein Jeder um das nackte Überleben kämpfte und die Essensrationen knapp waren.

Plünderungen waren die Folge und viele lieferten sich ständig einen erbitterten Kampf.

Auch er musste kämpfen, um sein Hab und Gut zu verteidigen, denn die Plünderer waren überall. Man konnte Niemandem mehr trauen.

Es war ein schreckliches Gefühl vor einem zu stehen und nicht zu wissen, ob er einen gleich anfiel oder umbrachte.

Das ganze Land war ein Schlachtfeld.

Doch seit der Besatzung der Truppen aus Begnion begannen die Menschen sich gegen den gemeinsamen Feind zusammenzurotten und gaben sich die Chance, einander zu vertrauen.
 

‚Ein Paradox, wenn man bedenkt, dass sie unser Volk sowohl geschwächt, als auch gestärkt haben…’ dachte sich Leonard, als er sich auf dem Weg zu seiner Unterkunft machte.

Unwillkürlich musste er nach oben blicken.

‚Die Sterne dieser Nacht sind besonders klar…’ merkte er, als er sie betrachtete.

Ein friedliches Gefühl durchdrang ihn, als er das glitzernde Meer vor sich sah.

Plötzlich blitzte eine große Sternschnuppe vorbei und zerschnitt die Milchstraße mit seiner Intensität.

Leonard erschrak leicht, bevor er sich daran machte, sich einen Wunsch auszudenken.

Dann hielt er inne.

‚Das ist doch absurd, eine Sternschnuppe kann keine Wünsche erfüllen…’ war sein nächster Gedanke.

Doch dann kamen die Erinnerungen seiner Vergangenheit hoch.

Genauso wie die Worte Williams an jenem Tag:
 

„Das Leben muss nicht immer ernst sein, man muss sich auch offen für diesen und jenen Spaß geben. Manchmal tut es einfach gut, sich auch mal absurden Sachen hinzugeben.“
 

Unbemerkt zog sich ein sanftes Lächeln über seine Lippen.

‚Diese Schwermut…ich wünsche sie endlich überwinden zu können’

Der Ausbruch in ein Gemälde

„Ich sagte doch, ich habe es nicht getan!“ schrie der kleine Junge.

Auf einmal ertönte ein lauter Schall in dem leeren Flur, indem sie sich befanden.

Orangenes Licht der Abendsonne fiel in die vielen großen Fenster ein und schwach zog ein Wind durch die Gardinen.

Der Steinboden unter ihren Füßen glänzte und spiegelte die Gesichter der beiden wider.

Das Kind hielt sich seine stechend schmerzende Backe mit seiner linken Hand zu, auf der nun der volle Abdruck der Hand der Frau zu sehen war.

Drohend und leicht gebeugt stand die strenge Erzieherin über dem Jungen.

Sie hatte ein dunkelgraues Kleid an, das ihr bis an die Knöchel ging und grade noch ihre auf Hochglanz polierten Damenstiefel rausblitzen ließ. Ihre Statur war kräftig gebaut und doch hatte sie weibliche Rundungen.

Sie war dem Anschein nach mittleren Alters und hatte ihr rabenschwarzes Haar ganz nach Hinten zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden, nur zwei kleine Strähnen hingen an der Seite ihres Gesichts heraus.

Ihre spitz zulaufenden, dunklen Brauen ließen ihre stechend hellblauen Augen aggressiv und dominant wirken, wie es auch ihre große Höckernase tat.

„Solche Frechheiten sind hier nicht erlaubt, Edward! Man schreit die Erzieher nicht an, hast du das verstanden?“ ermahnte sie ihn, mit dem Zeigefinger vor seinem Gesicht erhoben und mit dem penetranten Blick.

Oh wie Edward diesen Blick hasste.

Ihr Versuch ihn einzuschüchtern war trotz der Ohrfeige vergebens; Edward parierte ihren Blick mit einem ebenso Intensiven.

Die Ungerechtigkeit flammte nur so in seinen Augen auf, als sie sich mit dem Schimmern der leichten Tränen verband, die die Wucht der Ohrfeige mit sich brachte.

Nun erhob sich die Erzieherin wieder. In ihrem Gesicht zeigte sich eine Mischung aus Autorität und Irritation. War da auch Einschüchterung zu sehen?

‚Dieses Kind!’ dachte sie sich.

‚Es hat einen unbeugsamen Willen…

Er wird uns später sicherlich nur Probleme bereiten…bei ihm müssen wir zu anderen Mitteln greifen!’

„Komm mit!“ befahl sie ihm, als sie ihn grob am Arm packte.

Als hätte er eine andere Wahl.
 

Sie liefen den Flur bis zum Ende entlang und stiegen dann die Treppen hoch. Die alten Stufen knarrten bei jedem Schritt und das schön verzierte Geländer, an dem Edward mit seiner freien Hand rüberglitt, roch nach lackiertem alten Holz.

Als sie den ersten Stock passierten, war der Geruch des Holzes von dem des Essens ersetzt worden, der nun den ganzen Korridor erfüllte.

‚Linseneintopf…heute muss Mittwoch sein’ dachte sich Edward.

Als die Wanduhr auf der Ebene sechs Uhr schlägt, hört man das Klirren von Besteck und Töpfen; das Abendessen hatte begonnen. Doch die Erzieherin zerrte Edward einen Stock weiter, auf dem sich die Lagerräume befanden.

Vom zweiten Stock aus konnte man nur dumpf das belebte Geräusch der Kinder hören, alles um ihn herum jedoch war still.

Nur die Absätze der Frau gaben einen rhythmischen Laut von sich, als er von den Wänden widerschallt und sie plötzlich verstummten.

Sie blieben vor einer Tür am Ende des Ganges stehen.

Dann holte die Frau die Schlüssel an der Seite hervor, die sie an ihrem Hüftgürtel trug und schloss die Tür auf.

Noch bevor Edward realisierte, was die Erzieherin vorhatte, stieß sie ihn unsanft in den dahinter liegenden Wandschrank.

„Dort wirst du nun warten und darüber nachdenken, was du getan hast!“

„Aber ich habe es nicht-“

„Schweig still, sage ich! Mit deinen trügerischen Ausreden kommst du nicht mehr weit! Das Abendessen fällt für dich heute aus! Du hast genug Zeit um dir über dein Verhalten im Klaren zu werden! Und du wirst dich entschuldigen, sonst gnade dir Gott!“

Und somit knallte sie unsanft die Tür vor seiner Nase zu.

Ein leises Klicken bedeutete für ihn, dass er wohl dort länger verbleiben musste, wie ihm lieb war.

Es war stockfinster, sodass er nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen konnte.

Neben ihm stand ein Kehrbesen, an dessen Stiel er mit seinem Ellbogen stieß.

Er konnte sich kaum bewegen.

Nun war es ihm wieder passiert.

Edward wurde fälschlicherweise für das beschuldigt, was andere taten.

Seitdem er sich seinen ersten Ausrutscher im Waisenhaus lieferte, machten sich die Erzieher sogleich ein Bildnis von ihm als einen ungezogenen, rebellischen Jungen, den es galt besonders zu bewachen.

Der älteste der Waisenkinder im Haus, ein langer, dünner Knabe mit dunkelgrünen, kurzen Haaren und einem genauso lang gestrecktem Gesicht, im ungefähren Alter von fünfzehn Jahren, trug den Namen Melot.

Er war an seiner Misere schuld.

Er hatte dem Neuling Edward vorgemacht, sein Freund zu sein, insgeheim jedoch nutzte er ihn für seine miesen Machenschaften aus.

Die meisten Kinder sahen ihn als eine Art Anführer an, da er Mut bewies und mit seinen Streichen etwas Abwechslung in den trägen Alltag des Waisenhauses brachte.

Begeistert unterstützten einige der Kinder jede seiner Vorhaben.

Wann sonst bekämen sie eine Chance auf Spaß in diesem langweiligen Schuppen?

Wut stieg in ihm hoch, als er darüber nachdachte in was für einen seiner miesen Angelegenheiten sie ihn diesmal zogen.

Es war auf dem Spielhof passiert, zu denen die Jungs für eine bestimmte Zeit rausgehen durften.
 

Es war Frühling und die Vögel zwitscherten in einem trügerischen Frieden.

Melot und seine Schergen nahmen diesmal den Kleinsten unter den Kindern in die Mangel und spielten mit ihm „Kugelschubsen“, wie sie es nannten, indem sie ihren „Spielball“ im Kreis hin und her schubsten.

Die anderen Kinder beobachteten ihn vorsichtig, still ignorierten sie die kläglichen Rufe des kleinen Jungen aufzuhören und gingen ihren Tätigkeiten nach.

Es herrschte immer eine gewisse Anspannung beim Spielen, niemand weiß, wann es sie erwischen würde. Melot und seine Helfer nahmen auf alles Anspruch, auf das sie gerade Lust hatten, ob es fair war oder nicht, interessierte sie kein Stück.

Edward jedoch hielt diese Ungerechtigkeit, die sich von seinen Augen abspielte nicht länger aus und schritt ein.

„Hey! Was denkt ihr, was ihr da mit dem Jungen macht?“ stieß Edward lautstark von sich, als er sich den Jungs mit selbstbewussten Schritten näherte.

Sein plötzliches Auftreten ließ die Jungs in ihrem „Spiel“ stoppen. Diese Chance sehend, nutze der Kleine aus um zu fliehen.

„Na Edward, hast du Lust mitzuspielen?“ fragte Melot ihn mit einem Grinsen, bevor er sich leicht bückte um seinen Arm um Edwards Schulter zu legen. Er jedoch erwiderte sein Grinsen mit einer weiterhin ernsten Miene. Er war so falsch, dachte sich Edward.

Als er merkte, dass er nicht antworten wollte, sprach er weiter

„Ach komm schon, das macht Spaß! Wir wollten doch nur mit dem Kleinen spielen! Nun sei mal kein Spielverderber…“

Sichtlich unwohl in den Armen eines solchen Menschen zu sein, entfernte er sich einen Schritt und befreite sich aus seinem Griff, indem er seinen Arm hochhob.

„Nein, bei so was mache ich nicht mit! Ihr seid echt nicht ganz dicht im Kopf!

Das habt ihr schon zu oft gemacht, länger werde ich das nicht mit ansehen!“ und setze an zu gehen, als sich Melot und seine Schergen vor ihn stellten und ihn den Weg zurück zum Waisenhaus versperrten.

„Hey, was hast du vor, Edward?“ fragte er ihn mit vorahnender Skepsis.

„Ihr tut und lasst was ihr wollt und achtet nicht einmal auf das Wohl der Anderen!

Die Erzieher sollten Hunde wie euch so einen Mist verbieten! Und nun geh zur Seite!

„Wie hast du uns gerade genannt?!“ fragte ihn Melot lauthals, sich leicht über ihn beugend. Seine Stirn runzelnd zeigte er sich sichtlich beleidigt.

Edward jedoch machte sich nur noch ein wenig größer, als er auf ihn zuschritt und kurz vor ihm stehen blieb. Dieser Ausdruck schien ihm nur gerecht angewendet.

Obwohl er ein Kopf kleiner war als Melot, fürchtete er sich doch nicht vor so einer großmäuligen Bohnenstange.

Mit einem stechenden Blick wiederholte er die Worte.

„H.u.n.d“

Etwas in seinem persönlichen Raum eingeschränkt, trat Melot einige Schritte zurück.

Durch Edwards fauchende Beleidigung eingeschüchtert, zuckte er ein wenig zusammen.

Noch nie hatte sich jemand getraut, sich ihm und seinen Mitstreitern zu widersetzen.

Er hatte einfach nicht mit einem so willensstarken Charakter wie dem von Edward gerechnet.

Als er jedoch merkte, dass er dabei war klein bei zu geben, und das bei jemanden, der auch noch kleiner war als er selbst, erlang er seine verlorene, dominante Haltung wieder.

„Das lass ich mir doch nicht von so einem Knirps gefallen! Ihr etwa?“ sagte er, als er sich kurz zu seinen Freunden umdrehte“

„Los Jungs, schnappt ihn euch!“

Auf sein Kommando hin attackierten ihn seine Kumpane.

Ein überraschter Ausruf und ein dumpfes Geräusch von Klamotten waren zu hören, als sich Staub aufwirbelte und Edward von der einen Sekunde auf der anderen auf dem Boden lag.

Edward hustete leicht auf, als er ein Gewicht auf seinen Lungen spürte.

Ein etwas molliger Junge von Melots Schergen schmiss sich auf ihn und drückte ihn auf den weißen Kalkkies. Die leicht spitzen Steinchen stachen seine zu Boden gedrückte Gesichtsseite.

Vergeblich versuchte er sich zu befreien. Dann kam ein anderer Junge dazu und packte Edward an beider seiner Arme, zog ihn nach oben und umklammerte ihn von hinten, sodass sich Edward nicht wehren konnte.

„Für deine Frechheit wirst du büßen! Man stellt sich uns nicht in den Weg, Knirps!“

Das gesagt, holte er mit seiner Faust aus und schlug ihn in den Bauch.

„Urgh“ brachte er heraus, als er den Schlag auf die Magengegend abbekam.

Melot fühlte sich nach diesem Schlag großartig; er hat über alles in seiner Umgebung die Kontrolle und konnte tun und lassen, was er wollte.

‚Und dieser Knirps wird das nicht ändern!’

Nacheinander kamen auch die anderen vier Schergen dran sich großartig zu fühlen und verpassten ihn ebenfalls einen Schlag in den Bauch.

Edward verzog sein Gesicht im Schmerz, als er letztendlich seinen Kopf hängen ließ.

Als sie merkten, dass sie genug hatten, schmiss der Junge Edward zu Boden.

Schmerz und Übelkeit durchdrang seinen Körper zur Magengegend hin, als er sich bückte und mit seinen Armen seinen Bauch stützte.

Melot stellte sich vor ihm hin, herablassend beäugte er ihn, sein Stolz erhoben.

Gerade war er dabei ihm einen Kick zu verpassen, als er plötzlich ein Klopfen der Fensterscheibe vernahm.

‚Oh-oh! Die Erzieherin!’ erschrak er und haltete seine Bewegungen.

Hatte sie gesehen, was er tat?

Laut hämmerten ihre Schuhe im Raum, als die Erzieherin vom großen Fenster verschwand und die Hintertür des Waisenhauses aufging und laut knarrte.

Alle Kinder schauten aus ihren Tätigkeiten auf.

„Was hat dieser Tumult hier zu bedeuten?“

Ihre Worte füllten den Spielplatz mit ihrer drohenden Frage. Sie war genervt von der Disziplinlosigkeit und dem Ungehorsam im Gebäude der Jungen.

Die Kinder hier waren rebellischer und experimentierfreudiger und schwerer zu pflegen, als die ruhigen Mädchen im gegenüberliegenden Ostflügel, die gehorsam das taten, was ihnen befohlen wurde.

‚Mit den jungen Rabauken hier hat man nur Ärger’ dachte sie sich, gestresst von den ständigen Vorfällen. Wäre sie nur im Ostflügel angestellt gewesen.

Die Pflegerin schritt nun auf die Gruppe zu.

‚Sie wird herausfinden, was wir gemacht haben!’

Melot war in Schwierigkeiten. Er wusste, dass sie sehr streng war und ihre Strafen fielen immer hart aus.

‚Ich muss mir was einfallen lassen!’ dachte sich der lange Knabe und blickte um sich.

Verängstigt hinter dem Baum aufschauend stand der kleine Junge, den sie vorhin gepiesackt haben.

Er hatte eine Idee.

„Du da! Komm her!“ der kleine Junge zuckte auf, Augen geweitet. „Los!“

Vollkommen eingeschüchtert, tat er, wie es ihm befohlen wurde.

„Du wirst nun der Erzieherin sagen, dass dich Edward bedroht und geschlagen hat und das wir gekommen sind, um dich vor ihm zu retten, hast du das verstanden?“

„A-aber Edward hat das doch gar nichts-“

„Sag es, oder willst du etwa, dass dein Teddy zu einem Krüppel mutiert?“

Geschockt blickte er auf zu Melot, den Tränen nahe bei dem Gedanken.

Es war das Einzige, was er von seinen Eltern noch hatte.

Dann schaute er auf Edward herab. Er war so ein lieber Junge, dachte er, immer half er denjenigen, die Hilfe benötigten und setzte sich stets für das Gerechte ein.

‚Verzeih mir, Edward…’ dachte sich der Kleine, den Blick von ihm abgewandt.

Die Frau stand nun vor ihnen. Sie blickte auf Edward herab, dann sah sie Melot und seine Gruppe mit einem giftigen Blick an.

„Ich verlange eine Erklärung dafür!“ und zeigte mit dem Finger auf den am Boden krümmenden Jungen.

„Na los!“ flüsterte Melot zu dem Kleinen neben ihm, als er ihn mit dem Ellbogen anstupste.

„E-Edward hat mich be-bedroht und da haben Melot und – und seine Freunde mich gerettet…“ stieß er leise aus, Blick zu Boden gerichtet und gerade noch über einem Flüstern zu hören.

Edward konnte nicht glauben, was er da hörte. Warum würde der sonst so ehrliche kleine Junge nur so etwas behaupten?

Er hatte nichts von Melots Manipulation an ihm mitgekriegt, da er von seinen Schmerzen abgelenkt war.

‚Melot hatte den Kleinen sicherlich dazu gezwungen. Wahrlich, was für ein feiger Hund…’ dachte er sich.

‚Wieder hat dieser Bengel etwas angestellt!’ Die Erzieherin blickte daraufhin verhasst auf Edward herab.

‚Seid dieser Junge hier angekommen ist, ist er immer dabei wenn es Ärger gibt!’

Wütend beugte sie sich zu ihm herunter und zog ihn am Arm hoch auf die Beine.

Wortlos wurde der leicht hinterher humpelnde Junge mit schnellen Schritten hinter sich her geschleppt.

Der Kies knackte bei jedem ihrer Schritte.

Als sie mit ihm in das Haus trat, drehte sie sich kurz um und schloss die große Tür hinter sich zu.

Die anderen Kinder, die das ganze Geschehen beobachtet hatten, fingen an untereinander zu munkeln.

„Ja!..ist fies!“ hörte man. „Armer Edward,…Melot...feige!“ flüsterte es aus der anderen Ecke.

Alle Blicke richteten sich auf die Gruppe. Melot hingegen bekam davon nichts mit.

Voller Erleichterung der Strafe entgangen zu sein, legte er eine Hand auf die Schulter des Kleinen.

„Gut gemacht.“
 

Edward fühlte, wie etwas kleines auf seinem Kopf krabbelte und strich sich mit seiner Hand durch seine verwuschelten Haare. Staub hing an den Regalen neben ihn und er musste niesen.

Wie lange dieser Schrank wohl nicht mehr geöffnet wurde?

Er dachte nach.

Es erschien ihm, als würde sich die ganze Welt gegen ihn stellen.

Was war so falsch an ihm? Was hatte er getan, dass ihn alle hassten?

Langsam glitt er den Schrank herab auf den Boden und zog seine Knie an.

Es war vollkommen finster und die Dunkelheit gab ihm das Gefühl innerer Leere.

An Momenten wie diese fragte er sich, wer seine Eltern waren.

Warum wurde er alleine gelassen? Eine Frage, die er sich so oft stellte, auf die er jedoch nie eine Antwort bekam.

Als er so dasaß, stieg in ihm eine große Traurigkeit auf. Er fühlte sich gerade so alleine auf dieser Welt. Niemand stand ihm zur Seite. Sogleich er doch jedem half, bekam er nie die Anerkennung zurück, die er sich wünschte.

Unfähig länger stark zu bleiben, ließ er seinen Kopf in die Knie sinken.

Er fing an zu weinen.

War es seine Schuld? War es denn so falsch, sich für das Gerechte einzusetzen? Muss man die ganze Demütigung still hinnehmen, damit man gemocht wird?

Wieso nur sind alle gegen ihn?

Er schluchzte leise.

Was für einen Sinn hatte es zu leben, wenn er nirgends willkommen schien?

‚Die Welt da draußen ist so groß, ’dachte er sich.

Dabei hatte er die Bilder im Kopf, die er einst aus einem Buch herauslas.

Wiesen, so riesig und grün, weiter als er blicken konnte.

Fröhlich spielende Kinder, die vergnügt lachten.

Städte, so groß und voller sich lebendig unterhaltender Menschen.

Ein fröhliches Treiben auf den Märkten, bellende Hunde und Rufe belebten die Gassen.

Er konnte sich all diese Dinge so gut vorstellen.

Dinge, die ihm verwährt waren und die es an diesem Ort nicht gab.

‚Dieser Ort…’ dachte er sich.

Er sah es nie als ein Zuhause an, die Kinder waren für ihn keine Brüder, Vertraute oder Freunde.

Es herrschte nahezu überall Schweigepflicht und das Leben dort war vollgepflastert von Regeln, an die man sich halten sollte.

Er sah das nicht als Leben.

Die ungerechte Pflegerin, die ihm ständig Strafen erteilte für Dinge, die er nicht getan hatte.

Er hatte sie sie niemals als eine Mutter angesehen.

Welche Mutter schon sperrte das eigene Kind in einen Schrank, schreite es an, schlug es und behandelte es derart lieblos?

Als ob er keine Ohren zum Hören oder ein Verstand zum Verstehen hätte versuchte sie nicht einmal normal mit ihm zu reden, geschweige denn, ihn zu verstehen.

Sie bestrafte ihn hemmungslos auf die ungerechteste Weise.

Er war unschuldig! Und er wusste es.

Seine einsame Trauer wandelte sich in große Wut um.

Auf diesen Ort.

Auf die ständigen Regeln wie die Erzieherin mit ihren Strafen.

Und auf Melot.

Melot und seine Schergen.

Nein, nicht länger wird er an diesem Ort verbleiben, nicht weiter wird er diese Ungerechtigkeit ertragen.

Er wird fliehen.

‚Vielleicht gibt es ihn.’ Dachte er, nun auch mit dem leichten Gefühl der Hoffnung erfüllt.

‚Einen Ort, an dem ich willkommen bin.’

‚Irgendwo da draußen muss es Jemanden geben, der dasselbe Schicksal teilt, wie ich…’
 

Eine ganze Weile saß er in dieser Haltung, als er bekannte Laute vernahm.

Sofort richtete er sich auf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.

Auf einmal klickte das Schloss und die Tür ging mit einem Schwung auf.

Das erste, was die Pflegerin sah, war wieder dieser stechende Blick des kleinen Edwards.

Nun engten sich ihre Augen zu Schlitzen

„Und?“ sagte sie, nur um die Stille zu durchbrechen.

Edward senkte seinen Kopf.

‚Es macht doch keinen Sinn mich ihr weiter zu widersetzen…’

Dann zog sich ein fast unbemerktes, hinterhältiges Grinsen über sein Gesicht.

‚…denn bald bin ich sowieso hier raus!’

Daraufhin blickte er die Erzieherin wieder an, der böse Blick völlig aus seiner Miene geschnitten.

„Ich habe über mein Verhalten nachgedacht und habe gemerkt, wie…gemein es war“ sagte er, nach den richtigen Worten ringend.

Die Erzieherin war überrascht, dass sie seinen sonst so widerspenstigen Charakter mit einer vergleichsweise milden Strafe brechen konnte, war aber dennoch erleichtert.

„Und nun, willst du dich entschuldigen?“ fragte sie mit auffordernder Erwartung.

„Ja“ antwortete er.

Fast verlor er seine Selbstbeherrschung und wollte bei dieser Aussage loslachen

‚Mich für etwas entschuldigen, was ich nicht einmal getan habe…’

Oh, wie falsch sie doch lag.
 

Nachdem sie die wahren Übeltäter wie auch das Opfer zu sich rief, überließ sie Edward das Wort zur Entschuldigung.

Er blickte Melot dabei direkt in die Augen, als er seine gut durchdachten Worte aussprach.

„Ich entschuldige mich hiermit für mein schlechtes Verhalten und dafür, dass ich den kleinen Jungen angegriffen habe. Melot hat das Richtige getan ihn zu beschützen.

Ich hoffe, dass so was nicht wieder vorkommt…“ beendete er diesen Satz, der ihn ewig lang erschien. Wie absurd er doch klang. Den Rücken zur Pflegerin zugewandt, sah sie nicht, wie Edward hinterhältig schmunzelte, seinen Blick immer noch nicht von dem langen Knaben abgewandt.

‚Was war das eben für ein Grinsen?’ dachte sich Melot. ‚Warum grinst er bei so was?

Er hat sicherlich was vor…dieser Knirps! Und ich werde auch dahinter kommen, was es ist!’

Entschloss er sich, als er darüber nachdachte, was er vorhaben könnte.

Als sich alle nach dem Zähneputzen und Umziehen in dem großen Schlafsaal befanden, blieben die Jungs vor ihrem zugehörigen Bett stehen und beteten mit der Erzieherin ein Nachtgebet wie es üblich war.

Dann machte sie die Tür zu und schloss sie ab.

Edward hörte seinen eigenen Magen grummeln als er zugedeckt in seinem Bett lag und hielt ihn sich zu.

„Nein! Das wird mich nicht aufhalten!“ dachte er sich, voll entschlossen.

Edward wartete, bis alle im Schlaf versunken waren und leise wie auch laut vor sich hin Schlummerten.

Er stand auf und schlich auf Katzenpfoten, oder eher Wollsocken, zum Fenster am Ende des Saals. Er riss es offen und blickte hinunter.

‚Uh…es ist ein wenig hoch um hinunter zu springen’ dachte er sich überrannt, als er die Höhe in Betracht zog. Kein Wunder. Sie waren im dritten Stock. Aber seine ungezügelte Wut auf diesen Ort ließ ihn die Höhe vergessen, als er aus dem Fenster stieg und vorsichtig auf den Ziegeln des Daches entlanglief. Der Halbmond über ihn leuchtete ihm sanft den Weg und die frische Frühlingsbrise zog durch seine leichten Schlafsachen. Weit links neben sich entdeckte er eine kupferne Regenrinne.

‚Das ist es!’ dachte er sich als er auf sie zulief und umklammerte.

Langsam machte er sich auf den Weg nach unten, als auf einmal ein bekannter Kopf aus dem Zimmer zu ihm runterblickte. Die Regenrinne wackelte in lauten Schwenken, als er seine Füße daran setzte und vorsichtig runterhangelte.

„Edward! Komm da sofort wieder runter! Was denkst du, was du da machst? Na warte, wenn ich dich in die Finger bekomme!“ hörte er Jemand über ihn schreien. Geschockt richtete er seinen Kopf zur Person, die nach ihm rief.

Aufmerksam wie immer bemerkte sie sein Vorhaben.

Es war seine Erzieherin. Oder wohl eher Peinigerin.

Abgelenkt von seinem Tun, verlor Edward den Griff an der Rinne, als sich die oberen zwei Schrauben aus der Halterung lösten und sie sich nach hinten bog.

„Ah!“ erschrak Edward und schrie.

Er stürzte zu Boden.

Nun ist es aus.

‚Als Junge im Rollstuhl werde ich mein Leben für immer in diesem Gefängnis verbringen…’

dachte er, als er wie in Zeitlupe hinunterfiel. Vor sich sah er das Waisenhaus mit den vielen Fenstern, die leicht abgerissene Regenrinne und das Gesicht der Frau. Dieser Frau…

Er schloss seine Augen und erwartet das Schlimmste.

Auf einmal erfüllte ein lautes Rascheln die Nacht.

Edward landete unsanft...in einen dichten Busch.

Regungslos lag er in dem Busch.

‚Also so fühlt sich das Jenseits an…stachelig und juckend, dabei hätte ich mir vorgestellt, das Wolken viel weicher sind als das! Was für eine Enttäuschung…’

Verwirrt, dass sich ihm kein Licht am Ende des Tunnels darbietet, öffnete er seine Augen.

‚Moment…heißt das…’ als er sich dann aufgeregt umblickt. Nichts als dunkelgrün vor seinen Augen.

‚…dass ich in der Hölle gelandet bin?? Oh Göttin...war ich wirklich so böse? Moment…ich wusste ja gar nicht, das Höllen dunkelgrün sind, ich dachte immer, die Hölle sei heiß und rot…’

Nach einiger Zeit in den Hecken im Hinterhof liegend, bemerkte er, dass er doch nicht gestorben war. Perplex versuchte er sich in ihnen aufzurichten, was recht schwer war.

Plötzlich griff eine feste Hand nach ihm. Die langen Fingernägel drückten sich in sein kleines Handgelenk, als er mit einem kräftigen Zug herausgezogen wurde.

Die Erzieherin hob ihn an einem Arm hoch, wutentbrannt schaute sie ihn an.

„Du hast dir zum Letzten Mal so einen Unfug ausgedacht, nun bekommst du einen Denkzettel, den du NIE wieder vergisst!“ drohte sie und riss ihn vollends aus den Hecken raus.

‚Vielleicht wäre mir die Hölle doch lieber gewesen…’ dachte er sich, als er Schlimmes ahnte.
 

Die Flammen knisterten leise in der Wärme, die den Wohnraum erfüllten.

Ein lautes Klopfen auf den Tisch ließ deuten, dass er sich zu wehren versuchte.

Dann erfüllte ein gedämpftes, schmerzvolles Schreien den Raum.

Das Klopfen war lauter zu hören.
 

Das Stück Eisen, das sonst für die Hoftiere des großen Waisenhauses gedacht war, brannte auf seinen Handrücken ein.

'Du gehörst hierher, das hier ist dein Zuhause' schien ihn das nun sichtbare Zeichen auf seiner Hand zu mahnen.

'So fühlt sich also die Hölle an...'

Eine Träne viel auf das brennende Mal und verdampfte.
 

Ein neuer Tag begann wie immer um 8 Uhr, als die Kinder geweckt wurden um sich zu waschen.Edward hatte kaum geschlafen, der Schmerz seiner Hand ließ ihn keine Ruhe. Eine Woche war es bereits seit diesem Tag vergangen. Das Fenster in ihrem Schlafraum bekam ein Gitter eingebaut, damit niemand diese Aktion wiederholen konnte. Der stechende Schmerz auf seinem linken Handrücken machte ihn das Waschen nicht leicht. Jetzt erst traute er sich, es genauer anzuschauen.

Ein Zeichen war darauf zu sehen; ein Stern mit einem Kreuz durchzogen.

Die besonders empfindliche Haut auf dem Handrücken zog sich zusammen und war stark errötet, er konnte sie kaum bewegen, denn sie drohte zu reißen wenn er es zu sehr versuchte.

Damit ihn niemand über sein Brandmal befragen würde, hatte er seine kaputten Winterhandschuhe drübergezogen und redete ihnen ein, er hätte einen hässlichen Ausschlag.

Kein Kind im Haus hatte etwas von seiner Strafe oder seinem Fluchtversuch bemerkt.

Ebenso wie von seinem geheimen Plan es wieder zu versuchen.

Diesmal würde er sich an einen gut durchdachten Plan halten.

Er hasste diesen Ort und will ihn so schnell wie möglich verlassen und Nichts würde ihn mehr aufhalten.
 

Kein einziger Vorfall ereignete sich, da Melot zu sehr damit beschäftigt war, Edwards Plan aufzudecken. Edward jedoch ließ sich nichts davon anmerken.

Er benahm sich wie immer…fast wie immer.

Er war ein wenig ruhiger als sonst und las in seinem Lieblingsbuch.

‚Und ich werde alle dieser Dinge mit eigenen Augen sehen!’ dachte er sich voller Hoffung erfüllt, als er mit strahlenden Augen die Passagen mit den Beschreibungen der Natur ein weiteres Mal durchging.

‚Nicht mehr lange…’ dachte sich Edward, sein Plan bereits im Hinterkopf.

Melot beäugte ihn misstrauisch hinter dem Bücherregal aus.
 

‚Nun ist es soweit’ dachte sich Edward. Die Sonne stand hoch, die Vögel zwitscherten fröhlich und die frische Frühlingsbrise wehte durch den großen Baum, der am Rande des Spielplatzes stand.

Er hatte diese Flucht sorgfältig geplant.

Genau beobachtete er die Pfleger in allem, was sie taten um sich die kleine Zeit, die ihm in derer Abwesenheit blieb, für seinen Plan einzusetzen.

Und Edwards Plan war sicher.

Einige Stunden nach dem Mittagessen, nachdem der Nachmittagsunterricht beendet war, wurde den Kindern eine Stunde zum Spielen auf dem Platz am Eingang freigegeben. Diese Zeit nutze er, um einen Weg über die Mauern zu suchen.

Er stand hinter der großen Linde an der hohen Steinmauer.

Edward kramte in den Büschen neben dem großen Baum und zog etwas heraus; einen Rucksack. Seinen Rucksack mit allerlei Dingen gepackt, die er für seine Reise als nützlich empfand.

Er setzte ihn auf und merkte, dass er ein wenig schwer war.

Das Lieblingsbuch aus der kleinen Bücherei war ebenfalls drin.

‚Man würde das Stehlen nennen…aber ich nenne es „Leihen für eine unbestimmte Zeit“ ‚ dachte er sich mit einem verschmitzten Grinsen.

Damit sein Rucksack nicht auffiel, hatte er ihn in jeder Nacht mit einem Gegenstand mehr gepackt und warf ihn jedes Mal vor dem Schlafengehen, bevor eines der Kinder den Schlafsaal nach dem Waschen betrat, aus dem Fenster durch das Gitter hindurch in die Büsche.

Am nächsten Tag trug er ihn wieder nach oben, getarnt als sein Schulranzen für den täglichen Unterricht.

Er soll nicht gesehen werden. Alle Kinder im Hof schienen zu beschäftigt in deren sorgloses Spielen, endlich erleichtert, dass Melot und seine Schergen scheinbar keine Lust mehr hatten, einen von ihnen zu ärgern.

‚Gut!’ dachte er sich, als er sich wieder der Mauer zuwandte.

Nun stand er vor dem Hindernis, dass ihn den Weg in die Freiheit verwährte.

Die Mauer war mit kleinen Stacheln überzogen, doch das wird ihn kaum daran hindern, sie überwinden zu können. Die dichten Ranken einer Efeupflanze ragten die solide Wand entlang nach oben.

‚Perfekt!’ dachte er sich, als er eine Hand danach ausstreckte.

‚Mein Gewicht müssten sie aushalten ‚hoffe nur, dass mein Rucksack mich nicht zu schwer macht!’ bangte es ihm.

Er war nervös. Er war kurz davor, sein altes Leben als gefangenes Waisenkind hinter sich zu lassen, was er nach jedem weiteren Klimmzug an den Ranken spürte.

Voller Aufregung kribbelte sein Bauch, als er an all das Tolle dachte, was er sehen und erleben wird wenn er hier raus ist.

Die Freiheit schien in greifbarer Nähe.

Plötzlich raschelte es hinter ihm und ertappt blickte Edward zurück, doch bevor er etwas weiteres vernahm, packte ihn Jemand an seinem Bein.

Auf einmal riss es ihn vom Efeu herrunter, als er schmerzvoll mit dem Rücken auf seinen Rucksack aufkam.

„Urg!“ stieß er dabei aus.

Wer war das, der ihn nach unten gezogen hatte?

„Du wolltest fliehen, nicht? Tja, das werde ich nicht zulassen, Knirps!“ hörte er die bekannte Stimme über sich rufen, als er von den Schuhen der Person aus nach oben blickte.

„Melot…“ zischte Edward verhasst durch seine Zähne heraus.

„Hunde wie dir sollte so ein Mist verboten werden! Und nun geh ich zur Erzieherin und werde petzen, dass du versucht hast zu verschwinden!“ zitierte Melot den ersten Satz höhnisch und war dabei davonzulaufen.

‚Nein…Nein! Nein! NEIN!’ ging es verzweifelt durch Edwards Kopf, als er sofort nach seinem Bein griff, wobei sein Rucksack zu Boden fiel.

Überrascht drehte sich Melot um.

„Von dir werde ich mir mein Leben nicht kaputt machen lassen!!!“ schrie ihn Edward an und schmiss ihn von vorne auf den Boden.

Er drückte einen Arm auf seine Brust, mit dem anderen ballte er seine Hand zu einer Faust zusammen um wütend für einen Schlag auszuholen.

'Nun wird er für alles büßen!'

Doch auf einmal spürte er eine andere Hand hinter sich, die seine Faust festhielt und ihn mit Kraft am Arm von Melot abwarf. Perplex schaute er sofort vom Boden auf. Es war eines seiner Schergen, der ihm zur Hilfe kam. Ein anderer tauchte ebenfalls auf einmal hinter der Linde auf, rannte auf Edward zu und packte ihn wie einige Wochen zuvor von hinten, sodass er sich wieder nicht wehren konnte.

"LASS LOS!" schrie er in seiner Rage auf und zappelte mit seinen Beinen herum.

„Tse…du Winzling hattest gedacht mich schlagen zu können, he? Tja! Ich habe Freunde und Verlierer wie du verdienen keine! Wenn du glaubst, du hast eine Chance gegen mich, hast du dir wohl irgendwo den Kopf angestoßen! Dummer Knirps!“

Die letzten Worte beendend verpasste er Edward einen kräftigen Tritt, der auch Melots Kumpel hinter ihm schüttelte.

Der Tritt war so heftig, dass sich alles in ihm rührte und Edward sich unweigerlich übergeben musste.

Die Kinder des Hauses sahen schon eine Weile geschockt zu, was für ein Szenario sich vor ihnen abspielte. Was sollten sie tun?

Sie hatten keine Chance gegen sie. Doch Edward alleine hatte eine ebenso geringe.

Eines der Jungen hielt es nicht länger aus und drehte sich in deren Richtung.

Sie mussten Edward helfen! Er nahm all seinen Mut zusammen und schritt zu der Gruppe voran.

Die Anderen bewunderten seine Entschlossenheit. Sie blickten auf Edward, der schlaff in den Armen von Melots Schergen lag und sich vor Schmerz zu krümmen versuchte. E sreichte! Nicht noch einmal würden sie dabei zusehen! Sie würden handeln! So wie es Edward jedes Mal für sie tat.

Nach und nach stand nun die ganze Gruppe dazu, Edward zu helfen und liefen auf Melot und seine Kumpane zu.

„Oh-oh…“ dachte sich der mollige der Schergen, als er sah, dass sie von den Kindern des Hauses umzingelt worden waren. Der andere, der Edward festhielt, war so eingeschüchtert, dass er ihn bei diesem Anblick losließ. Als er zu Boden fiel stützte er sich mit einem Arm daran ab und hustete. Melot war es egal, dass sein Helfer ihn nicht mehr festhielt.

‚Dieser Knirps kann sich sowieso kaum noch bewegen, ha!“ dachte er sich, als er ein weiteres Mal auf ihn eintrat.

Doch anstelle von Edwards Schmerzstöhnen hörte er den eines anderen Jungen.

Er schien den Tritt abgefangen zu haben.

„Was zum Teufel?“ stieß er überrascht aus.

Die einen Jungs hielten seine Schergen in Schach während die anderen Edward schützten.

Sie halfen ihm auf die Beine.

„Ihr wagt es, euch uns in den Weg zu stellen? Kleine Fürze! Was könnt ihr schon groß anrichten? Los Jungs, schnappt sie euch!“ rief er, doch das Einzige was er hörte, waren gedämpfte Rufe. Die Jungen hielten seine Helfer fest.

Erschrocken drehte er sich um. Er war in einem Kreis von den jüngeren Kindern gefangen.

„Was geht da vor sich??“ schrie eine bekannte Stimme von Weitem.

'Oh Nein...' dachte Edward sich. Die Erzieherin war auf dem Anmarsch.

Nun war alles umsonst. Niemals wird er das Gefängnis verlassen können...

Seine hoffnungslosen Gedanken wurden von den Worten eines der Kinder verdrängt.

„Los Edward, geh! Wir halten die anderen auf!“

Mit Mühe richtete er sich wieder auf, als er von dem kleinsten von ihnen den schweren Rucksack gereicht bekommt.

‚Das war der Kleine, den die fiesen Kerle damals gepiesackt haben’ dachte er sich.

„Edward, es tut mir wahnsinnig Leid, was ich da vor paar Tagen gesagt habe, ich habe gelogen! Ich musste lügen, sie wollten mir mein wichtigstes Ding kaputt machen…“ sagte er mit einer hohen Kinderstimme voller Schuldgefühle, aber Edward legte ihm nur eine Hand auf die Schulter und lächelte.

„Schon gut, ist halb so wild gewesen“ antwortete er ihm sanft.

„Nun mach dich Edward, sie ist gleich da!“ forderte ihn ein anderer Junge auf.

Daraufhin nickte er, winkte allen lächelnd zum Abschied zu und kletterte hastig die Ranken an der Mauer hoch.

Die anderen bewunderten seinen Mut, doch so sehr sie versuchten, ihn in diesem Gebiet nacheifern zu wollen, zu einer Flucht hätten sie sich nie getraut.

Aber ihm würden sie helfen, sie wussten, dass er den Willen besaß nicht aufzugeben.

„Viel Glück!“ schrie ihm der Kleinste hinterher und winkte ihm zurück.

Edward hatte allen gezeigt was es hieß, zusammenzuhalten und sich einander zu helfen.

Nun hatten sie sich endlich für all seine Taten revanchieren können.

Edward konnte fliehen.

Und sie würden sich nicht weiter von Melot und seinen Kumpanen piesaken lassen, sondern sich füreinander einsetzen.

'Danke Edward...'
 

Vorsichtig stieg er mit seinen kräftigen Sohlen auf die kleinen Stacheln und hüpfte sodann über sie hinweg. Die Höhe der Mauer übersehen, war das Einzige was er nun wollte frei zu sein…

Auf den Boden aufgekommen rollte er sich so gut ab wie es ihn mit seinem Rucksack möglich war. Der Staub auf dem Kies wirbelte sich leicht auf, als er sich mit den Händen darauf abstützte. Dann stand er auf.
 

War es das?
 

Ungläubig blickte er um sich und dann auf die Mauer hinter sich.

Er hatte sie überwunden.

Das grasgrüne Feld in der Ferne war so groß.

Kleine, mit roten Ziegeln belegte Bauernhäuser standen angereiht nebeneinander und vor ihm erstreckte sich ein ockergelber Landweg.

Er rieb sich bei den wundervollen Farben die Augen. Es erschien ihm alles so surreal. Weit am strahlend blauen Horizont des Frühlingtages konnte er einen kupfernen Kirchturm erkennen. Da hinten musste eine Stadt sein.

‚Eine Stadt…’ dachte er, vollkommen fasziniert von den Bildern vor sich und dem Gedanken in eine Stadt gehen zu können.

Alles war wie auf einem Gemälde gemalt.

Genauso bunt wie er es vor sich sah war es in seinem Buch beschrieben, nur ist es noch viel schöner.
 

Seine Augen weiteten sich vor Glück, sein Mund verzog sich langsam zu einem seines glücklichsten Lächelns seid er denken konnte, als er realisierte, was los war.
 

‚Ich bin frei…’

Heikle Situationen

Eine kühle Brise zog durch das Loch des eingeschlagenen Fensters und seine Haare kitzelten sein Gesicht.

Das Krächzen eines Raben war zu hören, wie auch das Rascheln des herabgefallenen Laubs auf dem Boden, wie es im Wind tanzte.

Ein vertrauter Geruch von Stroh stieg ihm langsam in die Nase, als er mit der Zeit das Erwachen seiner Sinne vernahm.

Sachte öffnete er die Augen. Es schien Edward, als hätte er etwas Wichtiges vergessen wobei er in den leicht nebeligen, dämmernden Herbsthimmel blickte.

‚Hmm, das muss wohl das Déjà-vu Gefühl nach einem Traum sein’ stellte er banal fest.

Kalter Schweiß saß auf seiner Stirn von der Nacht.

‚Von was habe ich nur geträumt?’ fragte er sich, als er versuchte sich an seinen Traum zu erinnern. Eine Weile noch lag er auf dem Strohsack, bedeckt mit seinem dicken Winterumhang.

Als er bemerkte, dass er auf keinen Anhaltspunkt kam, richtete er sich zu einem Sitzen auf und streckte seine Arme in die Luft, gefolgt von einem lauten, herzhaften Gähnen.

Dann rieb er sich die Augen.

Schließlich richtete er sich nun ganz auf und legte den Umhang als Decke beiseite.

'Die Latrinen rufen wohl nach mir...' ging es Edward wie jeden Morgen durch den Kopf.

Selbst das hatte er in seiner bescheidenen Hütte vorgefunden. Dazu musste er sich nur zum Hinterhof des ehemals verlassenen Hauses begeben, an dem sich eine kleine Holzhütte befand. Ein wenig schräg stand sie, doch erfüllte sie den Zweck nichts desto trotz. Moos verzierte das leicht modrige Holz und zwischen den Pflastersteinen sprießten Grashälme wie kleines Unkraut aus dem Boden hervor. Es sah aus wie eine Miniaturwiese. Neben den Latrinen an der hinteren Wand umschlang eine Efeuranke das gesamte Haus, angefangen am Hinterhof bis nach vorne bedeckte sie die Unterkunft. Es sah aus, als hätte man das Haus zuvor in einem Wald gebaut, bevor es in die Stadt gebracht wurde.

Man konnte sich denken dass es sehr alt war und eine lange Zeit leer stand, oder man hatte es nicht regelmäßig gepflegt.

Alte, kaputte Kisten befanden sich verlassen hinter den Latrinen, wie auch dichte Hecken neben ihnen.

‚Haus mit Toilette, der Garten als Sonderangebot dazu!’ dachte er sich scherzend.

Es war wirklich ein unglaubliches Angebot gewesen und trotz der langen Zeit, die er bereits in dem Haus verbrachte, konnte er es immer noch nicht vollends glauben, dass so ein Haus leer stand. Es schien, als sei Edward vom Glück verfolgt.

Als er fertig geworden war, machte er sich auf den Weg zum Fluss für seinen Waschgang.

Einen Waschlappen, eine kleine Holzschüssel, seinen Umhang und ein großes Stück Kernseife in seinem Korb gepackt lief er aus dem Haus.

Er hatte einen Stammort, an dem er sich täglich wusch, der sich nicht weit von seiner Unterkunft aus befand.

Dieser war ein abgeschiedener Ort, an dem er sich in Ruhe herrichten konnte. Dazu musste er die enge Gasse, hinter der sich sein bescheidenes Häuschen befand, durchlaufen und eine kleine Straße überqueren.

Auf einmal hörte er, wie sich ein Pferdekarren mit einem lauten Rattern zu seiner Rechten nähert.

In dem beladenen Anhänger stießen die metallenen Milchkrüge aneinander; es war Edward ein bekanntes Geräusch.

Das musste der morgendliche Milchlieferant sein.

„Guten Morgen, Edward!“ winkte der Mann auf dem Wagen zu ihm herüber.

„Morgen, Johann!“ erwiderte er mit einem freundlichen Lächeln, die freie Hand gehoben als er den Fahrer beim Vorbeiziehen begrüßte.

Edward war unter den Leuten dieses Viertels als gutmütiger Junge bekannt, immer mit einer freundlichen Miene; einen schwungvollen Charakter und frei von jeglicher Schwermut.

Er blickte wieder nach vorne.

Das erfreute Grinsen, das er noch von der freundlichen Begegnung trug, wich aus seinem Gesicht als hätte man ihm einen Eimer voll kaltem Wasser entgegen geworfen.

„Oh nein…“ ging es ihm missfällig durch den Kopf.

Da war SIE schon wieder!

Eine krächzende Stimme erfüllte die Gegend, als die alte Frau, fröhlich Edwards Waschplatz besetzend, ihren Krach von sich gab, das ein Geistesarmer als Lied definieren könnte.

Das ist ihm bereits öfters passiert.

‚Sie muss wohl neu in die Nachbarschaft eingezogen sein’, dachte er sich bitterlich.

Die alte Frau stand gebückt auf den Steintreppen, die zum Fluss hinabführten.

Weiße Bettlacke lagen halb in einer hölzernen Wanne, als sie einen Teil mit einem Waschbrett und Seife schaumig rieb. Das tuckernde Reiben jedoch hatte keine Chance gegen ihre schräge Gesangseinlage.

„Arg!“ stieß Edward verärgert aus, als er sich mit der freien Hand durch die Haare fuhr und genervt das Gesicht verzog. Dabei stampfte er mit seinen Stiefeln auf dem Boden.

Wie ihn das nervte!

Wie ein kleines Kind, das sich darüber ärgerte einen Wunsch abgeschlagen zu bekommen, zappelte er willkürlich herum.

Auf einmal stand er wieder kerzengerade.

Glücklicherweise schien ihn niemand dabei gesehen zu haben.

„Ruhig Blut…“ Sein Gesicht entspannte sich, er schloss dabei die Augen und holte tief Luft um sie dann wieder langsam auszustoßen.

„Dann werde ich mir einfach einen neuen Platz suchen müssen…“ dachte er sich mit gezwungenem Frohsinn, als er auf die kleine Brücke weiter vorne neben der Frau blickte.

Sie verband die beiden Viertel.

Steif, immer noch von leichtem Ärgernis geplagt, überquerte er sie wie eine aufgezogene Puppe.

Dabei schielte er den ganzen Weg mit geschlitzten Augen erfüllt mit Missgunst auf die alte Frau.

Voll in ihre Tätigkeit konzentriert, bekam sie jedoch nichts davon mit.

‚Blöde Hexe!’ dachte er sich und streckte ihr dabei die Zungenspitze heraus.

Mit der Hoffnung einen anderen günstigen Platz zu finden, suchte er den Fluss entlanglaufend nach einer Einbuchtung ab.

Als er weiterschritt, bemerkte er die größer werdende Ansammlung von Menschen.

Es war früh am Morgen und dem Sonnenstand zufolge um die acht Uhr. Das Schlagen der Turmuhr, die sich an der Stadtmitte an einer Kirche befand und nun laut zur vollen Stunde ausrief, bezeugte seine Vermutung.

Nun betrat Edward den großen Marktplatz.

Die Händler haben bereits ihre Lager aufgeschlagen und Mägde liefen mit ihren noch leeren Körben im Arm umher, Ausschau auf das günstigste Angebot haltend.

Die Rufe der Händler warben um ihre Waren.

„Wir haben das knackigste Brot! Frisch vom Bäcker!“ hörte man einen Rufen.

An den Lagern der Verkäufer hingen seine Waren aus. Der Duft von frisch gebackenen Broten und den geräucherten Salamistangen zog in der leicht nebeligen Morgenluft umher.

Glänzend rote und grüne Äpfel, Birnen, Weintrauben und jegliche Arten von Früchten und Gemüse der Saison zierten den Platz und tauchten ihn in wundervolle Farben.

Auch Kürbisse in allen Größenordnungen, und Formen besetzten den Boden vor dem Stand.

„Günstige Preise, gute Qualität! Ein Pfund Äpfel nur 5 Gold!“ rief der Besitzer.

Er wunderte sich wie günstig die Waren waren, aber das war wohl nicht weiter verwunderlich.

Es war Erntezeit. Die Zeit, an der die Preise für Obst und Gemüse recht gering war.

Edward behielt das im Hinterkopf als er sich weiter umsah.

Ein sanftes Lächeln zog über sein Gesicht, als er sich ein Bild vom Marktplatz vor ihm machte. Frieden herrschte trotz ihrer misslichen Lage in den Zügen der Menschen.

‚Morgens ist alles noch so schön ruhig’ dachte er sich.

‚Ja, so früh sind die Soldaten Begnions noch nicht auf den Beinen, was wohl die gelassene Stimmung der Menschen beweist. Vielleicht sind die Meisten deshalb so früh auf, damit sie ihre Einkäufe ohne die verdächtigen Blicke der Soldaten tätigen können…’ stellte er fest.

„Hm, das könnte ein Guter sein!“ sprach er zu sich selbst, auf einmal seine Augen hinter den Ständen fixierend, als er einen geeigneten Platz für seinen morgendlichen Waschgang entdeckte.

Ein kleines Fischerhäuschen, das mitten in den Fluss gebaut war, spaltete den flachen Flusslauf mit seinem hölzernen Grund in zwei Abzweigungen. Die halbabgeschlagene, schmale Holzbrücke, die ursprünglich auf das kleine Haus führte, sah geeignet aus um seine Sachen darauf zu legen.

Nachdem er die Steintreppen hinabstieg, setzte er sich auf einer von ihnen und zog seine Stiefel aus. Die Hose bis an die Knie gekrempelt und Socken auf seine Schuhe geschmissen, setzte er einen Fuß ins Wasser. Die schwache Strömung kitzelte seine Wade, wie auch die Flusspflanzen, die sich in der Strömung einige Meter von ihm entfernt wie langes, grünes Haar wogen.

Das Wasser was eiskalt.

Doch die Kälte schien ihm nicht viel auszumachen, da er die Routine bereits gewohnt war.

Als er weiter in den Fluss schritt, legte er seinen Korb neben sich an die halbe Brücke.

Edward zog mit seiner linken Hand den langen Handschuh der rechten aus, der seinen Oberarm bedeckte.

Der darunter liegende, fingerlose folgte, wie auch sein anderer Arm.

Langsam zog er den linken, schwarzen Handschuh aus. Dabei verzog er eine ernste Miene. Er hasste es, seinen Handrücken zu erblicken, denn jedes Mal an dem er es tat, erfüllte ihn ein Gefühl von innerer Gefangenschaft und vor allem pure Wut.

Wie ein Fluch wird ihn dieses gefühl wohl immer verfolgen...

Schnell schüttelte er diese Gedanken aus seinem Kopf.

Dann griff er mit seinen Händen in das Wasser, rieb sie sich mit der Kernseife schaumig und wusch sich sogleich sein Gesicht. Das kalte Nass erfrischte ihn und als er sich aufrichtete, rannen ihm einige Tropfen vom Kinn in sein Hemd.

„Whuuh…“ vorsichtig schüttelte er sich, als er das unangenehme Gefühl vernahm.

Der Wind pfiff in seine Ohren und kühlte seine leicht erröteten Backen aus, die er daraufhin mit dem Waschlappen abtrocknete.

‚Es wird immer kälter…’ bemerkte er nachdenklich. Offensichtlich, bei der Jahreszeit die nun herschte.

‚Aber das wird MICH doch nicht davon abhalten, ein Bad zu nehmen!’ dachte er sich, überzeugt von seiner Ausdauer und den starken Abwehrkräften.

Daraufhin zog er an den Schnüren seiner beiden Gürtel, die über seiner Hüfte lagen und schmiss sie in den Korb.

Sein rotes Oberhemd folgte, indem er die zwei Lederschnallen, die sich an seinen Schultern befanden, löste.

Das getan, streifte er ebenfalls sein unteres, hellbeiges Kragenhemd über sich ab und legte die beiden Teile auf den Korb neben sich auf die schmale Halb-Brücke.

Als er sich recht schnell seiner oberen Bekleidung entledigt hatte, bemerkte er nicht, wie sich einige Mägde nach ihm umdrehten und kicherten.

Sich an dem kleinen Fluss mitten in der Stadt so schamlos zu waschen war durchaus keine häufige Angelegenheit.

‚Aber wenn einem ein Anblick wie dieser geboten wird, würde mir das nicht viel ausmachen.’ flüsterte eines der Mägde ihrer Begleiterin zu, als sie an ihm vorbeiliefen und ihn von Kopf bis Fuß musterten.

Von seinem Körperbau konnte man ablesen, dass er viel trainierte.

Er hatte eine sportliche Erscheinung und der Ansatz von einem Waschbrettbauch war nicht zu übersehen. Trotz seines jungen Alters besaß er eine gut gebaute, jugendlich-männliche Statur.

Man konnte auch sehen, dass er des Öfteren in Kämpfe verwickelt worden war.

Er trug einige kleine Narben am Rücken, die sich kreuzten und auch am Bauch verlief eine dünne, jedoch lange Narbe quer über seinen Oberkörper.

‚Er muss eine Waffe führen, wenn er so viele Wunden mit sich führt…’

dachte sich die junge Magd.

Ein kleines Tuch aus dem Korb geholt, wusch sich Edward im Fluss sauber.

Mit der beiliegenden, kleinen Holzschale schöpfte er sich Wasser aus dem Fluss und schüttete es sich auf seinen Kopf, um auch den einzuseifen und wieder abzuwaschen.

Ein wenig fror er doch, als er unbewusst anfing zu zittern und deckte sich mit dem Umhang ab, um sich dann trockenzureiben.

Als er Blicke hinter sich spürte, drehte er sich neugierig wie ertappt um.

‚Ist es den Besatzungstruppen auffällig, wenn sich jemand im Fluss waschen möchte?’

dachte er sich dabei, erwartend einen der Soldaten aus Begnion zu sehen.

Doch anstelle des Soldaten, sah er zwei Frauen, wie sie von ihrem Tun abgelenkt worden zu sein scheinen und ihn aufmerksam beäugten.

Die beiden erschraken leicht bei seiner Reaktion und drehten deren Köpfe abrupt weg, anscheinend nach etwas bestimmten Ausschau haltend.

‚Oh, es scheint als sei es nicht üblich sich in der Stadt zu waschen…’ überlegte er, nichts ahnend.

Fertig gewaschen und abgetrocknet, zog er sich wieder an, packte seine Sachen zurück in den Korb und stieg die Steintreppen nach oben. Den jungen Beobachterinnen wandte er ein kurzes, freches Lächeln zu, bevor er an ihnen vorbei zum Markt lief.

Hinter ihm hörte er sie miteinander tuscheln.

‚Über Alles und Jeden flüstern und genauestens beobachten, was in der Stadt Neues passiert…Frauen sehen alles’ dachte er sich dabei verschmitzt.

Er schien den beiden schon einmal begegnet zu sein und es kam ihm vor, als kannten auch die Frauen Edward bereits, aber das war nicht weiter verwunderlich.

Auch Gegebenheiten wie diese ereigneten sich ihm hin und wieder. Es war nicht zu übersehen, dass er bei den Mädchen im Hof beliebt war. Und bekannt.

Er lebte bereits seid 2 Jahren in dieser Stadt und wird oft gesehen, sei es beim Arbeiten oder Einkaufen, neuerdings wohl auch beim Baden. Des Öfteren warfen die jungen Mädchen ihm Blicke zu, doch er genoss es schamlos.

Er hatte sich einen guten Zeitpunkt zum Einwandern ausgesucht, da Nevassa vor zwei Jahren immer noch zu beschäftigt war die Schäden des Krieges mit Crimea zu beheben, als sich um die neuen Einwohner kümmern zu können.

Zu dieser Zeit war alles ungeordnet und niemand brauchte eine Aufenthaltserlaubnis, um in die Stadt einziehen zu wollen.

‚Bei all diesen Menschen konnten sie das auch nicht kontrollieren’ dachte er sich erleichtert, als er an den Einzug in diese Stadt dachte.

‚Von allen Städten, die ich bis jetzt durchwandert und darin gelebt habe’ ,

überlegte er, als er sich auf dem Marktplatz umsah und das aufgeweckte Treiben beobachtete,

‚…ist diese hier mit Abstand die Schönste!’ Er musste lächeln.

Edward hatte bis vor seinem Einzug in Nevassa Niemanden gehabt, der bereit war ihm ein günstiges Einleben in die Stadt zu bieten, wie die Leute es hier taten.

‚Die gemeinsame Verachtung gegenüber den Soldaten aus Begnion hat die Anwohner wohl zusammengeschweißt. Ein schönes Gefühl, wenn man einander vertrauen kann…’

Als er glücklich über den Platz schlenderte, hörte man ein leises Grummeln aus seiner Magengegend. Sogleich blieb er stehen und legte sich eine Hand auf den Bauch.

‚Oh! Ich vergaß!’ merkte er, als er in seinen Korb schaute um den kleinen Sack mit den Goldmünzen zu suchen.

‚Zeit für mein Frühstück!’ Er lief einen heiteren Ganges weiter im Markt umher, als er sich an jedem Stand nach etwas zu Essen umsah.

Glücklich, und den Korb gefüllt mit einem frischen Laib Brot und einigen Äpfeln verließ er den Marktplatz nach den Einkäufen wieder, als er sich auf den Weg zurück in sein Haus machte.

Nachdem er seine noch nassen Waschsachen aus den Korb legte, begann er den Tisch zu decken.

Er war klein und rund und es hatte ihm ein Bein gefehlt, bevor Edward einen Ersatz fand und es ansetzte, doch unterschied er sich in der Praxis nicht mehr von einem anderen und erfüllte seinen Zweck.

Die Spitzen der langen Schrauben stachen immer noch an der Innenseite des Tisches heraus. Edward benutze seinen braunen Umhang als Decke und legte darauf den Leib Brot wie zwei frische Äpfel.

‚Etwas zum Anschneiden…’ brauchte Edward um das Brot anzuschneiden, als er sich planlos im Raum umsah.

‚Ah, genau!’ fiel es ihm ein.

‚Das Perfekte zum Schneiden’ hielt er als Gegenstand nun in seiner Hand. Sein Schwert.

‚Man, zu was sollte ich es sonst verwenden, wenn ich es nicht einmal mit in die Stadt nehmen kann? Die Soldaten würden mich als feindlich ansehen…’ dachte er sich, als er sein Schwert so betrachtete. Der Griff war mit grünen Bandagen umwickelt und die Halterung war mit zwei runden Verzierungen an jeder Seite geprägt. Vom Gewicht her war es ein wenig schwer, doch nichts, was er nicht heben konnte. Es hatte schon einige kleine Kratzer von seinen Trainingseinheiten, die er nahezu in all seiner Freizeit hielt wenn er nicht zu arbeiten hatte.

‚Apropos, scheint als sei es wieder Zeit, die Arbeit letztens hielt mich so ziemlich davon ab…’

dachte er sich.

Nachdem er sein Frühstück für beendet erklärte und alles abräumte, machte er sich sogleich zum besagten Trainingsfeld auf, zu dem er sich nahezu jeden Tag begab.

Das Schwert in der Scheide und den Gürtel daran zurechtgelegt, lief er los.

Diesmal wollte er all seine Techniken genauestens durchgehen und einige verbessern oder hinzufügen.

Und wie es schien, plante er wohl länger zu bleiben, da er einen großen Trinkbeutel Wasser mit sich trug. Der Weg zu dem Trainingsplatz war eher weit.

Er befand sich diesmal in einem abgelegenen, alten und verlassenen Grundstück tief im Wald. Edward musste stets zwischen den Plätzen wandern, weil er niemals an einem Ort bleiben sollte.

Es würde zu verdächtig aussehen, wenn viele nebeneinander stehende Bäume schwer hergerichtet vorgefunden würden und tiefe Kratzer trägen.

‚Es soll mich ja kein Soldat erwischen, sie könnten mich für einen potenziellen Aufständischen halten! Außerdem denke ich, wäre es wieder Zeit weiter zu ziehen, ich hab in meinem letzten Platz eine ziemliche Verwüstung dagelassen…’ dachte er sich verschmitzt, als er leicht grinste und an die Trainingszeiten vor einigen Wochen dachte.

Das war auch der erste Vorfall seid langem mit einem Soldaten aus Begnion…

Er war auf seinen Angriff unvorbereitet gewesen und reagierte nicht schnell genug, was der Grund war, dass er eine recht große Narbe an der Brust davontrug, da er damals ohne Oberhemd wie Schutz trainierte. Er konnte ihn aber bezwingen.

‚Er hatte mich nur unerwartet erwischt! Auch mit zwei von denen wäre ich doch ohnehin locker fertig geworden, pah!’ redete er sich den Vorfall seiner Wunde ein.

Zum Glück hatte er für den ernsthaften Fall immer ein Heilmittel dabei. Auch Kräuter mit heilender Wirkung fand er hin und wieder im Wald und verarbeitete sie, da er gelernt hatte, sie zu unterscheiden und richtig zu nutzen.

Aus dem Boden stieg noch ein sanfter Morgennebel und ein erdiger Geruch umfing seine Stiefel, als er im gelb-braunen Laub trat.

‚So weit in den Wald musste ich bereits seid langem nicht mehr vordringen um einen guten Platz zu suchen…’

Langsam die Bäume passierend, schien es, als erstreckte sich nun eine Lichtung vor ihm.

‚Hoffen wir mal, dass dies geeignet aussieht’ dachte er sich als er auf sie zuschritt.

Dann blieb er unweigerlich stehen.

Es war ein wundervoller Anblick. Das Laub der Bäume war gemischt von warmen Gelb- und Orangetönen bis zu einem leuchtend purpurnen Ton gefärbt.

Andere Bäume trugen bereits kaum Laub mehr. Die Nebelschleier hingen wie ein seidenes Tuch um alle Bäume gelegt und die goldenen Sonnenstrahlen durchflossen das Laub wie auch die Schleier mit dem sanften leuchten des Morgens.

Das Schönste jedoch war der einzelne Baum in der Mitte der Lichtung. Majestätisch stand ein breit geasteter Baum, immer noch beglückt, Laub zu tragen leuchtete er hinter den Strahlen und schien, als sei er aus Gold gemacht.

Edward brauchte einige Augenblicke um diesen Anblick zu genießen.

‚Ein so schöner Trainingsplatz…und ich hab ihn zuerst gesehen!’ freute er sich.

Er gab sich, sichtlich stolz diesen langen Weg auf sich genommen zu haben, selbst einen Schulterklopfer.

/Sssomp/

Ein eigenartiges Geräusch durchdrang die Stille und Edward drehte sich in alle Richtungen um.

„Was war das?“ dachte er sich laut. Es war weit und breit niemand auf der Lichtung zu sehen.

Er lief weiter in die Lichtung hinein, auf den großen Baum vor sich zu.

/Sssomp/

Da war es wieder! Doch nun dachte Edward, die Richtung ausfindig gemacht zu haben. Schnell lief er mit sachten Schritten auf den großen Baum in der Mitte zu und schlich sich hinter ihn um sich mit dem Rücken an ihn zu drücken, als horche er Jemanden aus.

‚Es scheint als befände sich die Ursache des Geräusches hinter dem Baum…’ angespannt, einen potenziellen Feind vor sich zu haben, legte er seine rechte Hand an den Griff seines Schwertes. Vorsichtig drehte er seinen Kopf nach hinten an den Baum vorbei um zu sehen was sich dahinter befände.

/SSSOMP/ hörte er es, lauter als zuvor und erschrak, als der Baum an den er sich lehnte nun leicht vibrierte.

Sofort sprang Edward aus seiner Haltung in die Offensive, sein Schwert gezückt und in beiden Händen haltend, stand er kampfbereit.

„Wer ist da?“ schrie er dabei.

Ein leises Rascheln ertönte im dichten Laub auf dem Boden, als sich eine Person abrupt zu ihm wandte.

„…Huch?“ war das Einzige, was Edward noch rausbekam.

Ein Bogenschütze mit hellem Haar stand in seiner Haltung erstarrt vor ihm, eine Hand zu dem Köcher hinter seinem Rücken halten und die andere sicher um seinen Bogen greifend hatte er einen überraschten Blick fest auf Edward gerichtet. Es schien als musterte er ihn, es könnte ein potenzieller Feind sein.

Eine Weile verharrten beide in einer angespannten Haltung und bereit für den Kampf.

‚Ich darf keine hektischen Bewegungen machen, die ihn denken lassen könnten, dass ich ihn angreifen möchte. Er hat einen Vorteil mit seinem Bogen und könnte mich jederzeit umbringen.

…Doch er scheint mir nichts Böses zu wollen, er hat nicht einmal die Waffe auf mich gerichtet.’ dachte er sich und lockerte seine Haltung ein wenig, indem er nun sein Schwert langsam sinken ließ. Außerdem hatte Edward keine andere Wahl als sich zu ergeben.

Hatte der Bogenschütze einen Verdacht, dass er ein Soldat Begnions sein könnte, würde er wahrscheinlich nicht zögern ihn zu erledigen.

‚Vermutlich trainiert er ebenfalls im Abgeschiedenen, um nicht von ihnen erwischt zu werden…’ beruhigte er sich selbst.

Doch was, wenn er selbst einer ist? Er würde ihn befragen, und ist es die falsche Antwort, wahrscheinlich auch unverzüglich abschießen.

Edward versuchte seine innere Anspannung nicht zu äußern. Die Situation in der er sich eben befand war heikel und könnte mit jeder falschen Bewegung den Tod bedeuten.

Der Andere ließ seinen Blick nicht von ihm, stets gefasst seine Bewegungen nach etwas Gefährlichem abzusuchen.

„Bist du ein Soldat Begnions?“ rief er unerwartet, seine Stimme leicht tief und ruhig, trotz der Anspannung. Edwards Atem stockte kurz.

Was sollte er nun antworten? Wenn er nein sagte, dann würde er ihn vielleicht erschießen, damit er nicht verraten würde.

Doch wenn er zustimmte, hatte er dann eine genauso große Chance nicht umgebracht zu werden?

Die unhöfliche Bekanntschaft

Dumpf hörte man das Brettern von Holz und riesige Leinentücher peitschten die Luft, nachdem sie ausgeschlagen und mit raschelnder Hektik ausgebreitet wurden. Langsam nahm man immer mehr Leute war, wie sie auf den Hof spazierten und miteinander redeten.

Der Herbstmorgen füllte sich mit Leben.

Das sanfte Licht des Morgens war mit leichten Schleiern bedeckt und fiel durch die vielen Gläser auf die durchsichtigen Gardinen des hölzernen Wohnhauses indem Leonard schlief.

Eine frische Luft wehte sachte durch das gekippte Fenster und nur am Rande bemerkte er, das es recht kühl war. Mit seinem friedlich schlafenden Gesicht der Sonne ausgesetzt, schien es, als kitzelten ihn die Strahlen.

Er verzog dabei leicht missfallend sein Gesicht.

"Mmmhh" gab er als leises Stöhnen von sich.

Daraufhin drehte er sich unwillkürlich von seiner Seitenlage auf den Rücken und öffnete vorsichtig wie langsam seine Augen.

Die Sonnenstrahlen waren sanft, doch die empfindlichen, hellen Augen schienen trotzdem leicht zu stechen. Leonard fühlte sich von ihnen belästigt.

Mit kleiner Mühe hob er seinen Arm vor sich und legte mit seinem Handgelenk einen dünnen Schatten auf die Stirn.

Seine langen blonden Haare waren über der Schulter verstreut auf seinem Kissen, als die etwas kürzeren im Gesicht lagen und eine Hälfte davon abdeckten.

Doch all seine Bemühungen des Ignorierens würde Leonard wohl leider nicht daran hindern können, aufzustehen.

Er saß sodann in seinem Bett auf und schob langsam die gefütterte Decke von sich. Eine Weile dauerte es einen klaren Blick zu erfassen und rieb sich dabei die Augen.

Dann stand er auf, wobei er unweigerlich auf seine Hausschuhe tappte, die er sich am vorherigen Abend zurecht gelegt hatte.

Sonst liefe er planlos wie Barfuss durch seine kleine Wohnung.

Heute jedoch wachten seine Sinne wohl gleichzeitig mit seinem Körper auf, was nicht allzu oft geschieht.

Leonard musste sich immer eingestehen, dass er kein Morgenmensch war.

Nur sein Pflichtbewusstsein nicht den ganzen Tag sinnlos zu verschlafen, schaffte es, ihn aus den weichen Federn seines Bettes zu reißen.

Die Holzdielen knarrten bei jedem Schritt, den er durch das Haus tat.

Es war zwar nicht das größte Häuschen, doch es hatte ein ordentliches, gemütliches Aussehen.

Und er hatte alles, was er brauchte in einem Raum. Nur das Bad wie die Latrinen befanden sich getrennt neben dem Eingang.

Sein noch ungeordnetes Bett lag gegenüber einem Fenster an der Ecke.

Links neben dem Bett war ein Schreibtisch an die Wand gestellt, auf dem eine kleine Kerze in einem Halter stand.

Ein Buch lag offen darauf, was darauf hindeuten könnte, dass er vor dem Schlafengehen etwas liest.

Daneben lehnte ein kunstvoll verzierter, hölzerner Schrank an, der aber an den Türrändern ein wenig splitterte.

Die rechte Seite des Schreibtisches besetzte ein kleines, ebenfalls hölzernes und sauber abgestaubtes Bücherregal mit einigen Büchern geschmückt, darunter Kochbücher und antike Geschichten;

Legenden über Kriege und Kulturen der Laguz und Beorc.

Laut verkündete die Turmuhr die Uhrzeit mit einem mahnenden Schlagen, dass es bereits acht Uhr morgens war.

Um zehn begann seine Schicht als Ladenaushilfe, erinnerte er sich.

‚Moment, wenn ich mich recht entsinne, ist heute Samstag.

Der Laden ist bereits durch jemand anders besetzt’ fiel es ihm ein.

„Nun, scheint als hätte ich etwas mehr Zeit“ murmelte er leise, doch munter zu sich selbst und sichtlich erleichtert, wobei er mit einem leicht heiteren Schwung seine Sachen zusammensuchte um sich anzuziehen.

Und zu richten. Unmöglich konnte er, wie er gerade aussieht, mit seinem halb offenen Schlafhemd, leicht verwuschelten Haaren und der Knielangen Hose auf die bereits belebte Straße gehen.

Leicht schmunzelte Leonard bei dem willkürlichen Gedanken, wie komisch es doch für die Leute aussähe, wenn jemand halbnackt in der Stadt herumlief.

Die Anziehsachen hatte er sich ebenfalls am Abend davor zurechtgelegt, eine Gewohnheit die der ordentliche junge Mann vertrat, damit er morgens alles schnell zur Hand hatte.

Auch, damit er pünktlich seiner derzeitigen Arbeit nachgehen konnte.

Sein bereits aufgeknöpftes, weißes Hemd ersetzte er durch ein langärmliges dunkelblaues, fast Schwarzes.

Eine weiße, lange Hose angezogen folgte seine hell- und dunkelblaue Tunika darüber, die etwas länger als das schwarze Unterhemd in zwei gespalten über den Hosentaschen endete.

Zwei weiße Gürtel legte er nun über seine Hüfte und zog sie an der Schnalle fest an.

Daran hängte er einen kleinen Sack mit Goldmünzen.

Vielleicht würde er ja gute Angebote auf dem Markt finden.

Seine starken, ledernen Armschoner über den fingerlosen Handschuhen aus Stoff angezogen, folgten seine Lederstiefel.

Nachdem er nun fertig gekleidet war, ging er in das kleine Bad um sich seine Zähne zu putzen und die Haare wieder in Ordnung zu bürsten.

Er warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel und war dabei den Raum zu verlassen. Doch dann drehte er sich nochmals um, als er in das große Halbfass, das ihm als Badewanne diente, hineinsah.

Von dem Regenwetter vor drei Tagen war das Fass nun etwas mehr als die Hälfte gefüllt.
 

„Scheint als bräuchte ich nicht all zuviel Wasser zu holen. Am besten drehe ich die Regenrinne wieder nach draußen, es kommt mir vor, als regnet es in den nächsten Tagen sowieso nicht mehr…“

dachte er sich dabei, als er den kleinen Teil der Rinne aus dem kupfernen Anker zurück in das höher liegende einhakte.

Mittlerweile genervt davon, jeden Morgen für den Waschgang einige Eimer aus dem Fluss schöpfen zu müssen, hatte er sich dabei ein ausgeklügeltes System ausgedacht.
 

Er nutzte einfach das Regenwasser, das sonst immer in der Rinne auf den Boden abgeleitet wurde.

Dazu sägte er einen Teil von ihr heraus und baute ein Gestell mit Einbuchtungen an, damit er sie nach Bedarf entweder durch das kleine Fenster in seiner Wanne leitete, oder die Regenrinne anschließend wieder in ihre ursprüngliche Halterung zurücklegen konnte.

Und damit es auch von kleinen Steinchen und anderem gefiltert war, montierte er davor ein kleines Gitter an um sicher zu gehen, dass das Wasser indem er sich wusch sauber war.
 

Leonard blickte aus dem kleinen Fenster vom Bad aus und sah eines der Besatzungstruppen Begnions patroullieren. Die Leute, die sich am Brunnen versammleten um miteinander zu reden, gingen flüchtig auseinander.

'Scheint, als wollten sie uns auch noch die Versammlungsfreiheit nehmen...Ihnen muss Einhalt geboten werden.'

Als er den gerüsteten Soldaten sah, fiel ihm etwas ein

‚Ich war schon eine Weile nicht mehr beim Trainieren…Ich denke, es wird wieder Zeit.’

Motiviert über die unerwartete Freizeit legte er sich die Schnallen mit dem Köcher um die Brust, den Gürtel mit dem Schulterschutz über sie. Pfeile wie Bogen verstaute und versteckte er in einem Tuch.

Ein kleines Döschen mit roter Farbe, wie eine große Flasche Wasser und einige belegte Brote, die er sich für seine freie Zeit bereithielt, legte er in seine kleine Umhängetasche dazu und lief los.
 

‚Vielleicht sollte ich mich ein wenig auf dem Markt umsehen, ich habe mir einiges zusammengespart.

Neue Eisen-Pfeile wären gut zu gebrauchen…’

Lebendig riefen die Verkäufer in die Menge, Menschen bauten ihre Stände auf und Marktfrauen gingen mit ihren Körben umher; in allem herrschte ein fröhliches Treiben.

Er atmete zufrieden die laue Morgenluft ein.

Heute war wirklich ein schöner, sonniger Herbsttag.

An einer eher abgelegenen Stelle des Marktplatzes lenkte ein leises Kichern und Tuscheln sachte seine Aufmerksamkeit auf zwei Mägde, die sich augenscheinlich über etwas amüsierten.

Da es nicht seine Sache war, drehte er seinen Kopf wieder zurück auf den Weg vor sich und ignorierte deren Anliegen. Solange es keine Soldaten mit einbezieht, ist alles in Ordnung.

Dann vernahm er ein kleines Plätschern aus der Richtung der beiden jungen Frauen.

Er erwartete nicht viel zu sehen, wobei er vorsichtig seine Augen zurück zu ihnen wandte.

Dann auf den Fluss.

Ein leicht verdutzter Gesichtsausdruck schlich sich auf seine Züge, als er nun auch seinen Kopf hindrehte.

‚…Ist das Jemand im Fluss?’

dachte er sich, als er seinen Augen nicht ganz traute.

Tatsächlich.

Einige Minuten zuvor hatte er sich in seinem Haus darüber lustig gemacht, wie es wäre wenn jemand halb unangezogen durch die Stadt lief, und nun hatte er es vor sich stehen. Die Situation wäre nur zu amüsant gewesen, wäre es nicht so frisch.

Er fragte sich, ob sich die Person bei dieser Waschaktion im Freien nicht erkälte.

Der Sommer war doch schon seid einigen Monaten vorbei.

‚Das war also der Grund für das Gemunkel der Mägde.

Nicht weiter verwunderlich…

Wie kann man sich nur so schamlos in der Stadt und das vor allen Leuten waschen? Und das bei so kühlen Temperaturen wie diesen?’ dachte er sich, als er den jungen Mann mit freiem Oberkörper in dem kleinen Fluss stehen sah.

‚Ich sollte weiterlaufen...’ dachte sich Leonard.

„Ja…die Muskeln, aber schau dir mal diese Narben an!“ flüsterte das Mädchen aufgeregt zu ihrer Begleiterin.

Daraufhin richtete auch er wieder seinen Blick auf den Jungen zurück.

Er hatte wahrlich viele Narben, und das nur auf seinem Rücken. Aber nach seinem Körper zu beurteilen, war er durch die Erfahrungen nicht schwächer geworden.

Wie die beiden jungen Frauen schon sagten hatte er ein durchtrainiertes Auftreten.

‚Vielleicht ist er ja ein Soldat Begnions in Ausbildung.

Die sind bekannt für ihre hohe Motivation immer früher als ihre Kommandeure auf zu sein. Doch auch diese sollte man in ihren Fähigkeiten nicht unterschätzen.

Ich sollte mich wieder auf meinen Weg machen, er könnte herausfinden dass ich eine Waffe mit mir trage…’ überlegte er, als er unter seinem rechten Arm geklemmt seinen Bogen wie die Pfeile fester hielt. Der Köcher auf seinem Rücken ist wohl ein Anhaltspunkt genug ihn als Bogenschützen identifizieren zu können.

Er setzte wieder zum Laufen an.

‚Außerdem fällt mir ein, wäre es besser ich wechsle meinen Trainingsort…’ ging es ihm durch den Kopf als er an den auszubildenden Soldaten im Fluss dachte.
 

Eine grobe dreiviertel Stunde musste er laufen, bis er den besagten Ort erreichte.

Es war ein Wald am Rande der Stadt.

Die wenigsten Besatzungstruppen trauen sich hinein, da sie wilde „Halbmenschen“, wie die Leute die Laguz nannten, antreffen könnten und wurde deshalb stets gemieden.

Bei dem Gedanken konnte Leonard nur müde seinen Kopf schütteln.

Er hatte keinen Grund sich zu fürchten. Es war vollkommen unlogisch, dass sie die Menschen ohne Grund attackierten.

Auch all die Gerüchte, dass die Laguz Menschen fräßen sind total unbegründet, niemals hatte man einen verstümmelten Körper gefunden.

Auch wenn eine Hälfte von ihnen ein Tier ist, ist die andere immer noch menschlich. Leonard hatte jedoch noch nie einen getroffen.

Seine Gedanken schweiften um die Laguz, als er immer tiefer in den Wald vordrang. Sein neuer Ort sollte abgeschieden sein.

Mit seiner roten Farbe aus dem Döschen malte er auf dem Weg etwas auf die Bäume.

‚Hmm, das sollte reichen...

Hier war ich wirklich noch nie, dieses Gebiet scheint abgeschieden genug.’

Noch nie befand Leonard sich so tief im Wald.

Alles erschien so ruhig und friedlich. Die Vögel, die vor einigen Monaten noch fröhlich sangen, sind größtenteils in den Süden geflogen.

Alleine ein sanftes Geräusch des Windes und Laubs war überall um ihn herum zu hören, als der exotische Schnee aus orangenen, gelben wie auch roten Flocken als Blätter zu Erde fiel um den bereits Gefallenen zu begegnen.

Leonard seufzte, als er diesen Anblick genoss.

Bilder wie diese faszinierten seinen Geist.

Unweigerlich fiel er dabei wie so oft in eine gedankliche Trance, als sich sein Körper innerlich entspannte. Er dachte nach.
 

‚Ein so wundervolles Schauspiel spielt sich Jahr für Jahr vor unseren Augen ab. Wie nur kann es sein, dass etwas geboren wird, um so schnell dahin zu gehen? Doch kurz vor ihrem Vergehen erstrahlen die Wälder in ihren Schönsten Farben...

Zu Leben, um zu sterben.

Aber vergeht es in deren besten Glanz um sich zu verabschieden, als sei der Tod ein Fest...’
 

Oft verleiteten ihn inspirierende Orte dazu, die alltäglichen Dinge zu hinterfragen.

Er dachte darüber nach, wie ein solches Spektakel in den Augen anderer aussah.

‚Dinge, die jedem anderen für verständlich und „normal“ scheinen, sind für mich manchmal unweigerlich wie ein Paradox.

Leben um zu sterben um dann wieder zu leben; ein irrer Kreislauf, der den Sinn des Todes hinterfragt...’

Auf einmal fühlte er sich, als erdrücke ihn etwas.

So viel wie er nachdachte kam er auf keinen logischen Gedanken.

Was ist der Sinn dahinter?

Doch dann fühlte er sich als sei die Last von ihm genommen zu sein, da er begriff.
 

‚Nur wenn vergeht kann Neues entstehen.

Und nur deswegen ist es so schön.

Erst, wenn man sieht, wie groß der Unterschied zwischen besitzen und verlieren ist, bemerkt man, wie wertvoll es einem war...

Wahrlich…der Tod als ein Fest für das Leben.’
 

Ein bittersüßes Gefühl überkam ihn, als er alleine in dem bunten Feld des Blättermeeres stand.

Bilder und Gedanken der Vergangenheit durchliefen seinen Kopf, als in ihm eine Traurigkeit aufstieg. So schnell wrchselten sich die Emotionen in den sonst so gefassten jungen Mann ab, dass es ihn leicht verwirrte.

Er schüttelte dann den Kopf und atmete tief ein.

Der erdige Geruch von feuchten Blättern stieg sanft in seine Nase.

Dann schloss er langsam seine Augen um dieses Gefühl, das ihn ihm aufsteigte wie der sanfte Duft der Erde zu huldigen.

Das Gefühl des Nichts.

Keine Meinung des ewigen Zwiespalts drohte seine Seele auf eine Seite zu zerren.

In dem Paradox von Tod und Leben zu stehen war, als gäbe es keinen.

Wie in einem sicheren Spalt zwischen den ständig aneinander reibenden, feindlichen Seiten fühlte er nun zu stehen.

Er hatte sich dem einfach hingegeben.

Es gibt Leben und Tod und es ist, wie es ist.

Nun fragte er sich, hatte er nur einen Umweg getan um sich dieser Erkenntnis klar zu werden?

Besitzen die Menschen, die alles akzeptieren wie es ist, ständig dieses befreiende Gefühl? Gedanken invasierten ihn wieder wie eine Kette einer Ameisenstraße.

Er schüttelte sachte ein weiteres Mal seinen Kopf.

Aus seiner Trance öffnete er die Augen, weit fokussierten sie ein nicht existierendes Ziel. Die Leere stand in ihnen wie geschrieben.

‚Wenn es ist, wie es ist, dann lass es sein. Die Zeit bleibt nicht stehen, genieße was du tust.’ war das, was die Kette nun unterbrach.

Seine Mundwinkel zogen sich hoch zu einem sanften Lächeln.
 

Eines von Leonards Charakterzügen war die, alles mit anderen Augen sehen zu wollen.

Momente wie diese widerfahren ihm ständig, denn immer suchte er eine Antwort für die Dinge, die er sah und manchmal verband er etwas Unbegreifliches an ihnen. Aber so sehr in diese Eigenschaft auch bindet, erleichterte sein vorrausschauender Charakter ihn viele Dinge im Leben, die es zu ordnen gilt und führt ein übersichtliches Leben.

All seine Gedanken wichen nun, als in ihm die Motivation stieg wie selten zuvor.

Es wird Zeit, dass er mit seinem Training anfing.
 

Als er dann an einer Lichtung ankam, stand ein einzelner riesiger Baum vor ihm.

Die Lichtung war riesig und um den Baum herum stand kein weiterer.

‚Dieser Ort ist perfekt...

Und der Baum mit seinem dicken Stamm bietet einen perfekten Halt für meine Pfeile! Eine Schande, dass ich diesen Ort nicht schon früher gefunden habe...’ dachte er sich.

Doch war er mehr als zufrieden.

Er begutachtete den Stamm des Baumes von allen Seiten.

Vielleicht befand sich ein Nest darin.

Als er aber nichts gefunden hatte, holte er sofort seine kleine Dose mit der roten Farbe, strich sich damit auf die Finger und malte kleine Punkte auf die raue Rinde.

Dies sollten seine Ziele sein. Er legte seinen Beutel mit dem Trinken und Essen vor den Baum und lief mit seinem Bogen zwanzig Schritte nach hinten. Dann blieb er stehen.

Sogleich holte er mit seiner rechten Hand einen Pfeil hinter seinem Rücken aus dem mit Pfeilen beladenen Köcher hervor, legte ihn mit einer geschickten Handbewegung auf und peilte sein Ziel an.

Leicht schloss er dabei die Lider in Konzentration.

Dann schoss er ab.

Mit einem hölzernen Laut fand der Pfeil sein Ziel. Er bedeckte mit seiner Spitze den gesamten, kleinen roten Punkt den er gemalt hatte.

Selbst aus einer solch großen Entfernung traf er sein winziges Ziel.

Sichtlich unzufrieden begutachtete er das Ergebnis.

‚Scheint, als sei ich ein wenig aus der Übung…Ich sollte mich mehr auf die Kraft konzentrieren.’

Somit legte er auch einen zweiten Pfeil an und schoss ihn daraufhin mit weiter ausgedehnter Sehne ab.

Ein weiteres Mal traf er den roten Punkt exakt, ein wenig tiefer jedoch lag die Spitze in der Rinde vergraben.

‚Nun sollte ich alles geben!’ dachte er sich entschlossen als er nun auch seinen dritten Pfeil auf das letzte Ziel visierte.

Langsamer jedoch als zuvor legte er den Peil auf seine Hand.

Nun holte er mit aller Kraft aus, die er in seinem linken Arm mustern konnte und ließ den Pfeil los.

Die Luft peitschend schlug die Sehne zurück und der Pfeil zerschnitt mit seiner Kraft ein fallendes Blatt auf dem Weg als dieser beim Auftreffen einen stärkeren Laut von sich kam.

Einige weitere Blätter fielen dabei vom großen Baum.

Überrascht, wie tief der Stahlpfeil in das Holz gedrungen war, wollte Leonard das wiederholen und reichte hinter seinen Rücken.

Ein weiteres, lauteres Rascheln erfüllte auf einmal den Platz.
 

„Wer ist da?“
 

So schnell wie der Pfeil sein Ziel fand, sprang Jemand hinter dem Baum hervor.

Schwert in beiden Händen haltend schrie er diese Worte erstmals ins Leere, bevor der Schwertkämpfer seinen Blick zu Leonard wandte.

Sichtlich überrascht darüber einen Bogenschützen vorzufinden, lockerte er seine Haltung für einen kurzen Moment.

Doch noch viel überraschter war Leonard über den unerwarteten Besuch, als er in seiner Haltung erstarrte.

‚...Jemand hier?? Warte, das war doch der Kerl, der sich im Fluss gewaschen hat! Er muss mir wohl gefolgt sein…’ war Leonards einzige Schlussfolgerung.

‚Also muss er doch ein Soldat Begnions sein.

Doch wo ist seine Rüstung? Weiß er nicht, dass er jederzeit eine leichte Beute für Bogenschützen ist?’

Die beiden starrten sich eine Weile an.

Sichtlich angespannt über die Situation ließ der Gegenüber seine Waffe sinken. Seine Chancenlosigkeit schien ihm wohl erst jetzt klar zu werden.

‚Er erschien mir so friedlich am Fluss, doch wenn er einer von Begnions Besatzungstrupp ist, muss ich ihn wohl oder übel erschießen.

Er wird mich ansonsten verraten und töten lassen.

Vielleicht aber…’
 

„Bist du ein Soldat Begnions?“ rief Leonard laut, jedoch mit gefasster Stimme zu ihm herüber.

Sein Gegner darf nicht merken, dass er ebenfalls so angespannt wie die Sehne seines Bogens war.

Ein wenig langsamer glitt er mit seiner Hand weiter zu dem Köcher.

Leonard musste bereit dafür sein, wenn er zustimmte.

Dann haltete er seine Bewegung.

‚Es kann auch sein, dass er keiner ist.

Dass er nur Jemand wie ich auch ist, der einen sicheren Ort zum Trainieren im Wald sucht...’

Er wollte ihn wirklich nicht umbringen.

So etwas tat er nur, wenn dringendste Notwendigkeit bestand.

Leonard hoffte einzig auf eine Bestreitung.

Weitere Sekunden zogen sich hin wie eine Ewigkeit, wobei sich die beiden immer noch voller Erwartung anschauten.

Es schien, als debattierte der braunhaarige Schwertkämpfer, was für eine Antwort er geben sollte. Kampfeslaunisch schien er jedoch nicht, als sein Schwert mit der Spitze den Boden berührte.

Leonard durchdachte die Situation, in die sie sich befanden.

Sagte er zu, würde Leonard sich als einen Bogenschützen aus Begnion abgeben und den Myrmidonen Näheres befragen. Antwortet er überzeugend, dann würde er ihn erschießen.

Auf einmal richtete der Schwertkämpfer das Gesicht wieder zu dem Schützen und verzog dabei eine entschlossen aggressive Miene.

Nun hielt Leonard den Pfeil griffbereit zwischen Zeige- und Mittelfinder.

Merkte er denn nicht, dass es Selbstmord war sich ihm stellen zu wollen?

Doch das, was ihn am Meisten überraschte waren seine kommenden Worte.
 

„Niemals diene ich so einem Schandfleck auf unserem Land!“

rief er ihm zu, sichtlich empört über seine Frage.

Durch den Ruf durchfuhr ihn Adrenalin wie ein Blitz, dann ebbte die Spannung ab. Die Hand ließ den Pfeil entgültig los.

‚Einen Mut hat er, etwas solch Beleidigendes über die Soldaten zu sagen.

Was, wenn ich selbst einer aus dem Schützentraining gewesen wäre?

Jeder aus dem Besatzungstrupp hätte sich so was nicht gefallen lassen und ihn auf der Stelle umgebracht. Und das riskiert er seiner Meinung willens...

Also ist er ebenfalls ein Bürger Daeins…’

Erleichtert über seine Antwort ließ er seinen linken Arm nun wieder sinken.

Er musste ihn glücklicherweise doch nicht umbringen.

Verwundert über Leonards Reaktion richtete auch er sich aus seiner Kampfhaltung auf.

Also war auch der Schütze kein Soldat Begnions gewesen…

Sichtlich erleichtert gab der Schwertkämpfer ein lautes Seufzen von sich und steckte sein Schwert zurück in die Scheide.

‚Es scheint, als baue er wohl recht schnell Vertrauen auf, dass er so einfach sein Schwert wegsteckt...Ich sollte ihn Näheres befragen’

„Was machst du hier im Wald?“ rief er ihm zu, eine Spur Forderung, aber auch Neugier in seiner Stimme.

Immer noch standen die beiden einige fünfzehn Meter voneinander entfernt.

Nicht lange wartete Leonard und er antwortete ihm.

„Ich habe einen neuen Platz zum Trainieren mit meinem Schwert gesucht.

Aber ich habe nicht erwartet, dass bereits jemand anders vor mir hier war.

Tut mir Leid, dass ich dich erschreckt habe!“ rief er ihm noch mit leicht erhobener Stimme zu, ein fast unverkennbares, verlegendes Lächeln zierte sein Gesicht. Dann drehte er sich weg, um langsam wieder weiterzulaufen.

‚Ein Trainingsplatz für sein Schwert...’ ging es dem Bogenschützen dabei durch den Kopf als er an die Worte des jungen Mannes dachte.

‚Moment. Dann müssen die großen Kratzer an den dicken Bäumen anderer Plätze wohl von ihm und seinen Schwerthieben stammen!’

Leonard erinnerte sich, in was für einem Zustand er einige andere Orte bei seiner Suche vorgefunden hatte. Regelrechte Verwüstungen sah er, tiefe Kratzer waren in den bereits gefällten Stämmen eingeschlagen.

Wenn der Myrmidone trainierte, dann wohl mit vollem Einsatz.

‚Ein eigenartiger Schwertkämpfer…’ dachte sich Leonard, als er ihm hinterher sah. Eine kleine Weile und er war nicht mehr hinter den farbig belaubten Bäumen zu sehen.

Anscheinend suchte er sich nun einen anderen Trainingsplatz.

Zufälle gab es...
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

„Man, das war aber irre...“ seufzte Edward ein weiteres Mal erleichtert, als er an einen Baum lehnte um sich dann in das Laub abzusetzen.

Es raschelte leise, als es wie ein weiches Kissen nachgab.

Er hätte dabei sein Leben lassen können!

Ein Zufall wie dieser eben ereignete sich recht selten. Es war gefährlich, zugegeben, doch leicht lächelte er bei dem Gedanken an die Situation doch.

Im Nachhinein war es sogar ein wenig lustig.

‚Irgendwie war es klar, dass ICH in so eine Lage kommen musste...’

Er dachte nach. Wie eine kleine Begegnung im Wald nur eine solch innerliche Furore aufbringen konnte.

Früher schienen solche Reaktionen absurd gewesen. Aber durch den Krieg vor drei Jahren und der Anspannung durch die Besatzungstruppen sind die Sinne der Kämpfer immer noch besonders aufgespitzt.

Man muss nahezu überall mit einem Kampf rechnen, besonders als Jemand, der sich den Willen der Soldaten entgegenstellt.

Nur bei der Frage des Bogenschützen sträubten sich ihm seine Nackenhaare.

Wie er die Soldaten doch verabscheute! In diesem Moment hatte er einfach nur gedacht:

‚Wenn ich schon sterben sollte, dann wohl mit einer fetten Beleidigung an sie!’

Nun musste er glucksen.

Wie das wohl bei seinem Gegenüber ankam? Dem Anschein nach sehr überzeugend, als er seine Hand wieder sinken ließ.

'Es ist gut zu wissen, dass ich nicht der Einzige bin, der heimlich trainiert, um sich den Soldaten begnions irgendwann mal entgegenstellen zu können...Ich frage mich, wieviele Bürger Daeins das ebenfalls tun?'

Eine Weile noch verharrte Edward in seiner sitzenden Position und dachte nach.

Das würde ihn aber nur aufhalten besser zu werden und erinnerte sich an sein eigentliches Vorhaben. Sofort stand er auf.

„Nun! Genug herumgetrödelt, Zeit für mein Training!“ sprach er motiviert zu sich selbst.
 

Kampfschreie verbanden sich mit dem sanften Wind und dem Rascheln der Blätter. Der sonst so ruhige Wald war gefüllt mit hölzernen Schlägen.

Schweiß rann ihm sein Gesicht herunter, als er keuchend mit gebeugten Beinen in seiner Angriffspose stand, das Schwert in beiden Händen haltend und auf sein Ziel vor sich gerichtet. Er holte ein weiteres mal aus.

„Hyaaaaaah!!!“ schrie er und verpasste dem Holz einen weiteren, kräftigen Hieb.

Das Laub, das sachte vom Wind abgetragen wurde, fiel wie Regen von den Bäumen.

Eines blieb in seinen ungeordneten Haaren stecken.

Er stand in der angespannten Haltung und versuchte seinen Atem zu regulieren.

Dann ließ er die Spannung fallen.

„Zeit für eine Pause...“

Er griff nach seinem Beutel an dem Baum.

Als er einen Apfel, ein Stück Brot wie etwas zu Trinken herausholte, lehnte er sich wie zuvor an ihn zurück und blickte in den Himmel.

Der Himmel hatte ein klares Blau mit Schäfchenwolken, die langsam vorbeizogen.

Er hatte gar nicht bemerkt wie schnell die Zeit vergangen war, als er dem Sonnenstand zufolge nach einer Uhrzeit absuchen wollte.

‚Ungefähr zwei Uhr Mittags...Meine Göttin, die Zeit fliegt vorbei!

Ich denke, ich sollte mich wieder auf den Weg zurück machen...

Am Abend hat der Alte wieder eine Lieferung vom Großgrundbesitzer.

Ich sollte ihm helfen, schließlich bin ich sein Glücksbringer! Hehe...’ ging es Edward verschmitzt durch den Kopf und dachte dabei an gestern zurück.

Vielleicht erwarteten ihn seine Enkel bereits. Ein Lächeln machte sich in seinen Zügen breit als er an diese angenehme Zeit mit dieser Familie dachte.

Er sollte gehen.

Nun stand er wieder auf und packte seine Sachen zurück in den kleinen Beutel.

Er war dabei zu laufen.

Dann blickte er um sich.

Wie ein Bleiklumpen fiel ihm etwas in die Magengegend, als er auf einmal etwas wichtiges realisierte.
 

„...Wo bin ich?“
 

Vollkommen verwirrt darüber, wo sich der Ausgang befände, drehte er sich in alle Richtungen um, ob er nicht einen bekannten Baum sähe.

„Oh...Mist verdammter!“ fluchte er, als er sich weiter verzweifelt umsah. Diesmal war er zu tief in den Wald gelaufen. Was aber sollte er nur tun?

‚Na, ich laufe einfach umher, vielleicht finde ich einen meiner früheren Trainingsplätze wieder und erinnere ich mich ja...’ dachte er sich, als in ihm durch diese simple Lösung Optimismus aufstieg.

Und so startete er seine planlose Wanderung durch den bunten Herbstwald.
 

Friedlich hörte man hier und dort regelmäßig ein Blatt fallen.

Es erschien so ruhig...

Doch innerlich war Edward mittlerweile vollkommen aufgewühlt.

‚Wo um der Göttinnen Namen befinde ich mich nur??? Ich weiß nicht wo ich bin! Aarrgh! Was soll ich tun?’
 

/Sssommp/
 

Er erschrak leicht.

Und wieder war dieses Geräusch zu hören. Kann es sein...

‚Ich muss wohl im Kreis gelaufen sein, wahrscheinlich ist der Bogenschütze immer noch am Trainieren...

Moment! Der Bogenschütze!’
 

Bei dem Gedanken weiteten sich seine Augen leicht und rannte mit neuer Hoffnung dem Laut entgegen.

‚Ich kann ihn fragen, ob er eine Ahnung hat, wie man hier wieder rauskommt! Sicherlich weiß er es. Ha, genauso mach ich’s!

An dem großen Baum angekommen lief er dem Schützen ungeniert entgegen.

„Hey, Bogenschütze! Ich wollte fragen ob du- WOAH!“

Reflexartig über den unerwarteten Besuch richtete der Schütze seinen Pfeil in Edwards Richtung und schoss ihn ab.

Noch am Rande bemerkte er in dieser minimalen Zeitspanne, wer ihn da ansprach und zwang sich die Richtung zu ändern.

Nur knapp verfehlte er den Myrmidone dabei, der sich ebenfalls überrascht zur Seite duckte und auf sein Gesäß fiel.

Seine Backe wurde durch die schiere Luft gestriffen, als ein Teil seiner Haare von der Kraft durchschnitten wurde.

Geschockt blieb Edward erstmals im Laub sitzen, als er seinen Kopf langsam und ungläubig zu dem Schützen vor sich drehte.
 

„Was sollte das denn werden??“ rief er ihm bei dieser Aktion willkürlich und mit großen Augen zu.

‚Wollte er mich nun doch umbringen?’ langsam zweifelte er an seiner Idee zurückgekommen zu sein...

‚Der Göttin sein Dank ich hab ihn verfehlt!’ dachte sich Leonard erschrocken, als er mit leichter Sorge zu ihm herabsah.

Auf seine Aussage hin fand er keine Antwort, er selbst hatte nun die Selbe im Kopf.

Aber war er nicht irgendwie selbst daran schuld, wenn er sich unerwartet an einem Schützen beim Training heranschleicht?

Er war viel zu unvorsichtig! Doch er hatte nichts desto trotz ein schlechtes Gewissen.

Fast hätte er ihn umgebracht! Trotzdem hatte der Schütze das Gefühl, als müsste er sich für seine unbedachte Aktion entschuldigen.

„Es tut mir Leid. Ist alles mit dir in Ordnung? Ich hatte nicht mit dir gerechnet...“ entgegnete er ihm.

Er debattierte, ob er zu ihm laufen sollte oder nicht. Die Begegnung war einfach zu plötzlich. Wieder Mal.

„Ja, halb so wild...“ antwortete Edward leise wie abwesend und stütze sich mit dem Arm auf die Knie um aufzustehen.

Nun erfüllte eine peinliche Atmosphäre die Luft, als eine Stille zwischen ihnen einkehrte.

Keiner der beiden Seiten hatte im Moment mehr etwas zu sagen.

Edward schien wie weggetreten, wahrscheinlich stand er noch ein wenig in dem leichten Schock fast getötet worden zu sein.

Leonard fühlte sich schuldig für sein Schweigen, und tat dem Schwertkämpfer den Gefallen ihm zuvorzukommen.

„Was war es, wofür du mich aufsuchen wolltest?“ fragte er Edward vorsichtig.

Nun schaute der Myrmidone zu ihm auf, als er sich an seine missliche Lage erinnerte.

„Nun...“ Peinlich berührt spürte er, wie sich seine Wangen ein wenig aufwärmten und legte eine Hand hinter seinen Kopf.

„Ich wollte fragen ob du weißt, wie man hier wieder aus dem Wald kommt.

Ich, ähm...habe den Weg verloren...“ Von so einem simplen Grund noch mehr verlegen, dachte er daran die Situation dringender zu beschreiben, als er aufgeregt fortfuhr

„Bereits einige Stunden irre ich hier umher und hab Nichts gefunden, was mir 'nen Hinweis geben konnte, Nichts erkannte ich wieder! Normalerweise passiert mir das nicht, aber ich war noch nie so tief in den Wald gelaufen...Na ja, da hatte ich mir gedacht,...dass du den Ausweg kennst...“ beendete er seine Anfrage nun etwas leiser.

Eine weitere Stille folgte.

‚Er läuft so tief in den Wald hinein und hat nicht einmal vorgesorgt, später den Ausweg zu finden? Dieser Kerl ist echt verantwortungslos...’ ging es ihm verdutzt, dann einfach nur belustigt durch den Kopf.

Leonard musste schmunzeln. Er konnte so was einfach nicht verstehen, da er nie so ungeplant vorging.

Doch um den Jungen nicht weiter verlegen zu machen, versteckte er es, indem er eine Hand vor seinen Mund legte. Man nahm an, er dachte über den Ausweg nach.

All das war einfach genauso unbegreiflich wie amüsant.

Er riss sich wirklich zusammen nicht zu lachen.

Er lenkte seine Emotionen in Gedanken um. Leonard blickte in den Himmel.

‚Es ist schon spät, ich denke ich sollte mich auch wieder zurück auf den Weg machen. Damit zeige ich dem Myrmidonen auch die Richtung zur Stadt, ich kann ihn unmöglich hier zurücklassen’

Er hatte keine Zweifel daran, dass ihm der Schwertkämpfer freundlich gesinnt war.

‚Nachdem er mir nun bereits zweimal eine Blöße gezeigt hat...’ Er kann kein Feind sein.

Dafür ist er viel zu lebensmüde.

Leonard hatte das Gefühl, als könnte er ihm vertrauen.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

„Siehst du die Markierung hier? Die habe ich mir provisorisch mit roter Farbe gemacht, sie zeigen die Richtung zurück an“ sprach Leonard zu seinem temporären Weggefährten, wobei er das Wort „provisorisch“ ein wenig und fast unbemerkt betonte.

Doch Edward fiel es nichtsdestoweniger auf und gab ihm als Antwort nur ein verlegendes Grinsen. Er hätte ebenfalls Hinweise machen sollen.

Dann blickte er neugierig auf das Gemalte, auf das Leonard seinen Finger gehalten hatte.

„...Punkte? Aber wie sollen die denn eine Richtung anzeigen?“

„ Man muss vorsichtig sein, was man auf die Bäume aufbringt, man kann nie wissen, wann sich die Soldaten ebenfalls daran machen, diesen Wald nach Aufständischen abzusuchen.

Normale Richtungspfeile würden die Trainingspositionen nur verraten und wir wären ein leichtes Ziel.

Um das zu vermeiden habe ich mir einen kleinen Code ausgedacht“ sprach er, als er mit seiner Erklärung fortfuhr.

„Ein hohler Kreis“ dabei deutete er auf den Stamm vor ihnen „bedeutet „nach links“, ein ausgefüllter Kreis „nach rechts“, ein horizontaler Strich „gerade aus“ und ein vertikaler „falsche Richtung“, dann sollte man wieder zurücklaufen.“

Edward war leicht erstaunt über seine vorausdenkende Art.

Wie er sich kannte, hätte er sicherlich banal Pfeile auf die Bäume gemalt, und damit er sie auch nicht übersieht, ebenfalls extra groß und in einer auffälligen Farbe.

‚Hier trainieren zwei aufständische Bürger Daeins.

Kommt und überrascht sie, sie würden sich über euren Besuch freuen!’ wäre das Einzige, was gefehlt hätte mit Schildern anzuhängen.

Falls er überhaupt so weit vorrausdachte, Schilde anzubringen.

Dem Bogenschützen hinterher trottend, versuchte Edward ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Eine Weile liefen sie in Stille, nur das Rascheln des Laubes mit jedem deren Schritte begleitete die Beiden.

Edward fühlte sich bei der Schweigsamkeit seines Gefährten ein wenig unwohl.

Er sollte die träge Atmosphäre ein wenig auffrischen.

„Und wie lange trainierst du bereits mit deinem Bogen hier im Wald?“

Überrascht über die unerwartete Frage wandte Leonard seinen Kopf zu dem Schwertkämpfer.

„Nun, in diesem Wald seid bereits zwei Jahren“

„In diesem? Gab es denn einen anderen Wald?“ entgegnete Edward ihm.

„Ja, genau gegenüber diesem Wald hier, aber seid nun die Soldaten Begnions den anderen gelegentlich für deren Trainingseinheiten gebrauchten, wurde es zu riskant und ich wechselte die Seite.“

„Dann wird es wohl nicht lange dauern und sie werden auch unseren Wald einnehmen...“ dachte er laut mit einer kleinen Spur Bitterkeit in seiner Stimme. Er brauchte sein regelmäßiges Training und dieser Wald war einwandfrei dafür geeignet.

„Das jedoch bezweifle ich. Sie fürchten sich zu sehr davor, als dass sie auch diesen betreten würden“ sprach Leonard skeptisch.

„Sie fürchten sich vor diesem Wald?“ entgegnete er ungläubig.

‚Was gibt es denn hier zu fürchten?’ ging es Edward durch den Kopf, erstmals ein wenig spöttisch.

Doch dann fühlte er sich nach einigen Gedankengängen selbst eingeschüchtert, wobei er sich die verrücktesten Geschichten in seinem Kopf ausmalte.

‚Vielleicht leben hier unruhige Seelen toter Menschen, die in dem Wald gestorben sind, weil sie nicht mehr aus ihm herausgefunden haben und nun in ihrer Zwischenwelt herumirren um verlorene Wanderer in den Wahnsinn zu treiben!...’

Eiskalt fuhr ihm ein Schaudern den Rücken runter als er daran dachte, was er ohne seinen Begleiter getan hätte.

Leonards Worte waren es, die ihn wieder aus den Horrorfantasien auf den Boden der Tatsachen holten.

„Sie fürchten die Laguz.“

„Die Laguz?? Was sollten die uns schon machen? Man sind die Soldaten feige.

Als ob sie jemals einen Menschen fressen würden...“

Das Gespräch kam ins Rollen.
 

Und so redeten sie über die Soldaten, die Kultur der Laguz und tauschten Meinungen darüber aus, wie sie lebten und was an den absurden Gerüchten der Soldaten wahr war.

Leonard war überrascht, was für ähnliche Meinungen sein Gefährte vertrat, wobei sie sich lebendig unterhielten. Ihre unterschiedliche Art ließ die Unterhaltung aufleben, Leonards braunhaariger Weggefährte fragte, er antwortete, und er gab eine Meinung. Dann ein neues Thema.

Schnell verging die Zeit, als sie auf einen Landweg traten.

Sie weigerten sich augenscheinlich die Diskussion abzubrechen und liefen zusammen in die Stadt. Normalerweise war Leonard Fremden gegenüber reservierter, doch das neugierige Wesen des Myrmidonen machte ihn gesprächiger.

„Du scheinst einiges über die Geschichten von Laguz zu wissen...“ war das Einzige, was Edward nach einer der interessanten Erzählungen des Bogenschützen antworten konnte.

Auf einmal bemerkte er.

Die Beiden redeten mittlerweile so offen miteinander, und er kannte noch nicht einmal den Namen seines Gegenüber.

Noch bevor der Schwertkämpfer diese Frage aussprechen konnte, fiel ihm der Schütze in seine Gedanken als ob er sie gelesen hätte.

„Es ist unglaublich unhöflich von mir.

Ich bezweifle, dass ich mich bereits vorgestellt habe.

Mein Name ist Leonard.“

Selten gab er Jemandem so schnell die Chance einer Kameradschaft, da er dachte, Freundschaften würden ihn in seinem Tun ablenken.

Nicht dass er sich bei Leuten unwohl fühlte, es war das Gefühl des übermäßigen Verlangen, da er einige schlechte Erfahrungen in kurzer Vergangenheit gemacht hattte. Außerdem ist es äußerst schwierig in Zeiten des Krieges so schnell Kameradschaften zu schließen.

Doch sein Gegenüber schien eine Ausnahme zu sein.

‚Seine offene Art ist frei von irgendwelchen Feindseligkeiten.

Ich denke, dass ich mir bei ihm keine Gedanken machen muss, dass er mir in jeglicher Hinsicht etwas Schlechtes möchte.

Er erscheint vertrauenswürdig.’ ging es Leonard bei seinen Worten durch den Kopf.

Dass aber Edward bis jetzt nicht darauf kam sich vorzustellen, war auch von seiner Seite unhöflich gewesen.

Große Höflichkeitsfloskeln waren einfach nicht seine Art, als er auch bei den Leuten in der Stadt oder im umliegenden Dorf nicht viel zu reden hatte um sich mit ihnen anzufreunden.

Er war jedoch unendlich erleichtert, dass er sich ihm, nach all dem was sich in dem Wald ereignet hatte, immernoch so freundlich gab.

Um ehrlich zu sein, hatte er nicht damit gerechnet, dass der anfänglich so ernste und reservierte Bogenschütze auch eine etwas lebendigere Art hatte.

Ein erfreutes Lächeln zierte sein Gesicht, als er seine Hand ausstreckte.
 

„Ich bin Edward! Schön, dich kennen zu lernen!“

In letzter Sekunde

‚Man, wie schnell doch die Zeit vergeht...’
 

Edward lag in seinem weichen Strohsack und blickte in den Nachthimmel.

Kaum sichtbare Schatten wanderten sachte über das Sternenmeer und verdunkelten sie, doch hin und wieder blitzen die Sterne hinter ihnen hervor.

Eine leichte aber kühle Brise wirbelte in seinem Haus die letzten Laubblätter auf, das leise Rascheln neben dem Knistern der Fackeln war das Einzige, was die leeren Gassen zu dieser späten Stunde noch erfüllte.

Als er sich so von seinem anstrengenden Tag ausruhte, erinnerte er sich zurück an jenen warmen Herbstabend vor genau einem Monat und der dabei merkwürdigen Begegnung mit einem jungen Mann im Wald.

In dieser Zeit hatte er des Öfteren den Bogenschützen namens Leonard bei seinen täglichen Waschgängen in der Stadt gesehen, als dieser Wasser holen ging.

Nach wie vor zog es Edward jeden Tag durch, sich den nun zu winterlich abgekühlten Temperaturen zu stellen.

Erst jetzt war ihm aufgefallen, wer dieser junge Mann war, denn auch vor ihrem eigenartigen Treffen begegnete er ihm gelegentlich am Fluss.

Doch er hatte bis dahin nie Kenntnis von ihm genommen, da er ihn wie alle anderen, als einen normalen Bürger sah und Edward so nie sonderlich auffiel.

Jedes Mal aber wenn sie sich sahen, und sei es auch nur kurz, begrüßte Edward ihn mit einer freundlichen Handbewegung und einem darrauffolgenden kleinen Lächeln.

Es war ihm anfangs eher ein unwohles Gefühl gewesen, dem Bogenschützen ein weiteres Mal unter die Augen zu treten, weil er stets daran dachte, wie ernst diese Situation gewesen war, in die er sich damals gebracht hatte.

‚Ohje, das war aber was. Aber noch angespannter wären die Begegnungen wohl gewesen, wenn ich ihn gar nicht beachtet hätte. So 'ne Begrüßung gehört einfach dazu und...nun ja, es ist besser sich mehr Freunde als Feinde zu machen, oder?’

Edward schmunzelte.

Doch nicht allzu lange, und deren Begrüßung war eine nette Geste beiderseits geworden und der scheinbar kühle, zurückhaltende Bogenschütze ist ihm seitdem auf jeden Fall sympathischer geworden.

Außerdem traf er ihn ebenfalls einige Male auf den Weg zu seinem Trainingsort an.

‚Es ist...irgendwie unheimlich wie oft sich unsere Wege in dieser Zeit nun schon kreuzten.

Einmal am Morgen, auf dem Weg zu meinem Trainingsplatz im Wald, dann ein weiteres Mal auf dem Marktplatz und ansonsten so fast jeden dritten Tag am Fluss! Entweder hab ich ihn nie beachtet, oder er ist ebenfalls neu in diesem Viertel.

Na ja, das liegt wohl eher daran, dass ich meinen Standort zum Waschen auf die andere Seite der Brücke verlagern musste. Wegen der blöden alten Hexe.

Ich glaube er hat dort in der Nähe seine Unterkunft. Ich hab' ihn nämlich in diesem Viertel am häufigsten getroffen. Na, ich hoff' mal, dass er mir nicht aus reiner Höflichkeit so freundlich entgegenkommt, nur damit die damalige Spannung aufgehoben wird.

So wie ich ihn mit seiner hohen Redegewandtheit und so einschätzen würde...

Das wäre mir irgendwie ziemlich peinlich!'

Dabei erinnerte sich Edward zurück, wie blöd er ihm gegenüber rüberkam.

'Sicherlich total bescheuert! Aber nach den Problemen, die ich ihm bereitet hab', denk ich, wär das wohl nur gerecht’

dachte er sich. Dann musste er einfach nur grinsen.

Wie ihm so was nur passieren konnte! Es war ihm im Nachhinein nur unangenehmer gewesen. Er sollte wirklich mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen können, denn er war bereits achtzehn Jahre.

‚Und im Sommer werde ich Neunzehn...Man, ich werde schon alt!’

Still überlegte Edward im Liegen weiterhin, was noch werden könnte und wie das Jahr bis zum Ende verlaufen wird. Er schauderte unmerklich. Nun stehen ihm die härtesten Monate bevor, die er trotz deren Schönheit recht wenig leiden konnte; der Winter.

‚Wie ich das wohl mit dieser Unterkunft hier in Ordnung bringen soll?

Das Dach ist ein einziges Loch und durch die Fenster hatte es bis vor 'ner Zeit gezogen wie Hechtsuppe...’ dachte er sich missfällig, als er sich in seiner löchernden Stube umsah.

Obwohl er einige der kaputten Fenster mit einem Brett zugenagelt hatte, entwich die Wärme nichts desto trotz durch das Größte über ihn.

Er seufzte.

‚Aber...sollte ich das Angebot annehmen?

Es erscheint mir ziemlich aufdringlich, aber es kommt bei der Jahreszeit eigentlich wie gerufen...’

Gestern hatten ihn Margrets Kinder bei seinem Besuch zu Tisch aus heiterem Himmel gefragt, ob er nicht Lust hätte bei ihnen einzuziehen.

Das Zimmer ihrer verstorbenen Großmutter wäre für Edward frei, da sie sowieso keine Verwendung dafür hätten.

‚Ich hoffe nur, dass es dem Alten nichts ausmacht wie er es immer bestreitet.

Es kann ja sein dass er nur den Kindern zuliebe zusagt und das Letzte was ich tun wollte, wär jemanden zu etwas bringen, was sie nicht möchten.

Ich würde wirklich nicht wollen, dass sie mir was übel nehmen...’

Es verstimmte alle in der Familie sichtlich traurig, wenn sie an dem Raum vorbeiliefen und sich dabei unwillkürlich zurück an die Zeit mit ihrer Großmutter erinnerten. Auch Margret konnte man ansehen, dass sie ein wenig in Erinnerungen schweifte, als sie von ihrer Mutter sprach.

Doch freundlich wie sie ist, hatte sie dem Vorschlag der Kinder nichts einzuwenden, auch sie mochte Edward sehr.

‚Vielleicht würde ich ihnen dadurch ja 'nen Gefallen tun...’

Edward überlegte.

Sicherlich bräuchten sie eine starke Männerhand, da der Vater der Kinder im Krieg vor drei Jahren gefallen ist.

Alleine mit ihrem Großvater und den Kindern könnten sie einige Dinge nicht mehr bewältigen, bei denen Edward kaum Probleme hätte.

Er würde ihnen zur Hand gehen können und ihnen helfen.

‚Die Kinder würden sich auch sicherlich riesig freuen, wenn ich bei ihnen leben würde...’ ging es ihm durch den Kopf, als er an den Tag vor drei Tagen zurückdachte und lächelte.
 

Es war wiedermal ein schöner Familienabend bei der Familie gewesen.

Er konnte sie doch nicht enttäuschen, da die Kinder damals so sehr darauf bestanden, ihn wieder zu sehen.

Und so kam er nach der Arbeit wieder zu ihnen nach Hause.

Sein Besuch erfreute alle und wie auch letztes Mal luden sie ihn herzlich zum Essen ein.

Die Kinder waren nach wie vor begeistert von ihm und haben ihn nach dieser Zeit schnell in ihr Herz geschlossen, sodass die Kinder ihn gleich als ein Familienmitglied bei sich behalten wollten.

Dort bekäme er auch warmes Wasser wie täglich warme Speisen, solange er im Haushalt und bei der Arbeit aushälfe.

Er war sich sicher, dass er das bei ihrer Großmütigkeit auch ohnehin gemacht hätte, da auch er die kleine Familie bereits lieb gewann.

Er genoss es wirklich, bei so herzlichen Leuten wie diesen zu sein und mit den Kindern zu spielen.

Für den kleinen Nico war er wie ein weiterer großer Bruder geworden, wenn nicht auch Onkel.

Seinen Vater jedoch könnte er wohl nie ersetzen, aber Edward könnte der Familie durch seinen Einzug helfen, seinen Verlust zu ertragen.

Er war ein wenig nervös bei dem Gedanken, auf einem Schlag eine Familie zu haben.

Nicht, dass es ihm unangenehm sein würde, das wäre es nicht im Geringsten.

Es war ihm schlicht zu fremd andere für so lange Zeit um sich zu haben.

Er konnte das Gefühl nicht beschreiben, wenn er daran dachte, anderen wertvoll zu sein.

Edward war sein ganzes Leben auf sich alleine gestellt und niemals hatte er eine Bindung gehabt, geschweige denn es wurde ihm die Chance dazu gegeben.

Und nun kam eine Anfrage ein Familienmitglied zu werden.

Edward hielt bei diesem Gedanken inne.

‚Ein Familienmitglied, Teil einer Familie sein...Bin ich dem gewachsen?

Sich um andere zu kümmern ist 'ne ziemlich wichtige Aufgabe.

Was, wenn ich etwas falsch mache und jemand von ihnen dadurch verletze?

Ich würde sie alle enttäuschen, und sie würden mir nicht mehr vertrauen können....’

Nun dachte er nach.

Was, wenn er nun doch so eine Bindung einginge und irgendwann die Zeit käme, gehen zu müssen? Dann würde er die Familie wieder alleine lassen.

Er musste sich entscheiden, denn das was er täte hält eine große Verantwortung, die er übernehmen würde.

Edward schüttelte den Kopf bei diesen Gedanken. Es war normalerweise nicht seine Art, sich über so Vieles Sorgen zu machen.

Er war stets dafür, sich den guten Dingen der Zukunft zu richten und zuversichtlich nach vorne zu blicken anstatt zu zweifeln.

‚Ich lasse das mal offen...zuviel Nachdenken ist nicht gesund für die Seele.’

Leicht schmunzelte er dabei und nach einem großen Gähnen schloss er seine Augen.

Aus einem unergründlichen Gedanken hatte er das Gefühl, dass der morgige Tag ein Aufregender werden würde.
 

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„Danke vielmals für ihren Einkauf. Beehren sie uns bald wieder.“

Ein leises Klingeln eines Glöckchens ertönte, als der Kunde den Laden verließ.

Leonard stieß ein lautes Seufzen von sich.

Seine Arbeit als Aushilfe war alles andere als spannend, da er nichts Weiteres zu tun hatte, als auf seine Kunden zu warten.

Gelegentlich musste er die Gerätschaften wie Feldsensen, Schwerter und Pflüge aus dem Lager holen, doch ansonsten bot sich ihm nicht viel an.

Wenige Menschen kauften dort ein, denn die Soldaten beäugten den kleinen Bauernladen kritisch; Waffen für Aufständische zu verkaufen ist im ganzen Land untersagt.

Dass dieser Laden neben den Feldgeräten welche wie Schwerter anbot, war den Soldaten nicht geheuer.

Leise hört man hinter der Tür des Hinterhofes ein im Takt ablaufendes Aufeinanderschlagen von Metall.

Das einzige Geräusch, das ihn neben seinen ständigen Seufzern durch diesen stillen Tag begleitete.

Ein weiteres, diesmal Kleineres entwich dabei seinen Lippen, als er hinter der der Theke aus den Fenstern hinausblickte und mit abwesenden, dunkelblauen Augen den grauen Himmel anstarrte.

Ein sanfter Nieselregen ließ den halbleeren Marktplatz vor ihn verschleiern.

Tage wie diese verstimmten ihn immer ein wenig trostlos, was aber vielleicht an seiner Wetterfühligkeit liegen könnte, redete er sich ständig ein.

Der Kunde eben war sein erster seid vier Stunden gewesen.

‚Es kommt mir vor, als ließe ich hier mein Leben, so sinnlos erscheint mir die Zeit an diesem Ort mit Nichtstun verbringen zu müssen...’

Er dachte nach.

Dieser Kundenmangel hätte neben den Soldaten Begnions daran liegen können, dass die Erntezeit bereits seit langem vorbei war.

Aus den nun kahlen Feldern könnte man bei diesem Wetter vergeblich versuchen, etwas herauszuholen, die Bauern hätten bereits für den Winter das Heu geerntet haben müssen.

Weiter Ackergeräte und besonders Waffen zu verkaufen erschien Leonard vollkommen sinnlos.

Er verdiente jedoch nicht schlecht an dieser Arbeit. Auf jeden Fall genug, um seinen Unterhalt wie Nahrung kaufen zu können ist in ihr enthalten.

Es ist unabdingbar, dass er seine Stelle hier behält. Doch er möchte nicht für Nichtstun bezahlt werden, das war ihm schlicht weg unrecht, aber wie es schien hatte er wohl keine andere Wahl.

Nach den trostlosen Gedankengängen verlor er seine sonst aufrechte Haltung und stütze mit seinem Arm seinen hängenden Kopf auf den Verkaufstresen ab.

Dies würde eine lange Schicht werden...
 

Nach etlichen Stunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, hörte er das erlösende Läuten der Turmglocken zur sechsten Stunde, das sein Schichtende verkündete.

Ebenso geplättet von dem spärlichen Ergebnis seiner Verkäufe an diesem Tag wie Leonard trat sein Arbeitgeber aus der Hintertür. Er war nicht allzu groß, Leonard überragte ihn mit zwei Köpfen.

Er war kräftig gebaut, in seiner linken hielt er einen Hammer und seine ehemals weiße Schürze war größtenteils schwarz, bedeckt von Bleistaub.

Als Schmied stellte er die Geräte im Hinterhof selber her. Kurz blickte er seinen Aushilfen an und schüttelte den Kopf

„Mager ist der Ertrag in letzter Zeit, meine Preise kann ich nicht noch weiter sinken lassen...Die Soldaten erschweren einem Jeden den Alltag.

Du hast eine gute Arbeit getan, Leonard“ sprach der Mann zu ihm als er dabei war zurückzulaufen.

„Oh und noch etwas“ erneut drehte er sich zu ihm um

„Morgen werde ich den Laden geschlossen halten, ich muss mich um meine Familie kümmern. Wie du bemerkt hast ist es eher sinnlos noch Verkäufe zu tätigen.

Du brauchst also morgen nicht zu kommen. Einen schönen Abend wünsche ich dir.“

„Danke sehr, Ihnen auch einen erholsamen Abend.“

Somit verabschiedete er sich und verlies den Laden.

Das Klingeln am Türrahmen wies auf seinen ersehnten Feierabend hin.

Die leichten Tropfen legten sich auf sein Gesicht und in seinen langen blonden Haaren nieder, als er durch den Marktplatz den Weg zu seiner Unterkunft ansteuerte. Draußen war es bereits Nacht und der Vollmond beleuchtete den nebeligen Herbsthimmel wie die Straßen, dessen Mondlicht ihn begleitete.

‚Mein Körper fühlt sich so ausgelaugt an, das ganze Sitzen und Warten tut mir gar nicht gut. Ich fühle, wie meine Vitalität stetig sinkt.'

Leonards Körper war träge und müde vom ganzen Stehen.

Er fühlte ein leichtes Kribbeln in den Fingern, als er einen Einfall hatte.

Vielleicht bleibt mir noch etwas Zeit...Ja, das wäre jetzt genau das Richtige’ dachte er sich und schmunzelte leicht, als sich ein entlastetes Gefühl in ihm breit machte.

"Mein Training"

Doch da war irgendwie noch etwas anderes, was ihn veranlasste, einen Abstecher in den Wald zu machen...
 

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Matschiger Boden gab den Stiefeln nach und ein klebriges Geräusch war bei jedem Schritt zu hören.

Das Wetter hatte sich nach den ganzen Stunden kein bisschen verändert, immer noch hing eine feuchte Kälte in der Luft und die Nebelschleier des Nieselregens umhüllten die inzwischen leeren Ästen und klebten an seinen Kleidern.

„Hatschii!“

Das Niesen erfüllte die Totenstille im Wald, als er sich mit seinem Ärmel ungeniert die laufende Nase trocken rieb.

‚Oh je...scheint, als hätte ich mich nun seid langem wieder erkältet.

Arg! Wieso nur??’

Edward stand nun vor seinem Trainingsplatz im Wald. Durch Leonards Methode war er sich auch sicher, wieder heil zurückzufinden.

Er nahm die damals von dem Bogenschützen gesetzten Zeichen an den Bäumen frecherweise für sich selbst als Wegweiser.

‚Noch einmal mag ich nicht wieder wie ein Volldepp im Wald herumlaufen...’ und erinnerte sich dabei noch frisch an die dumme Situation vor einem Monat am selben Ort.

‚Mann, das Wetter in letzter Zeit ließ es nicht zu, dass ich mal wieder ordentlich trainieren konnte, aber es hat sich kein bisschen gebessert.

Länger zu warten erschlafft nur meine Schwerttechniken, nun muss ich mich wieder ranhalten!’

Daraufhin zog Edward sein Schwert. Ein Startsignal seines Trainings...
 

Keuchend stand er vor seinem unbeweglichen Opfer, fest hielt er dabei das Schwert in seiner rechten Hand und visierte den dicken Baum vor sich konzentriert an.

‚Und nun nochmals den „Finish-move!" ’

Mit Anlauf rannte er ihm entgegen, beugte seine Knie kurz vor dem Stamm und sprang daraufhin mit aller Kraft im hohen Bogen vom belaubten Boden zu einem Rückwärtssalto ab.

„Heeyyaahh!!!“ schrie er, als das Schwert in den Baum einschlug.

Edward nutzte dabei den Schwung seines Sprunges um seinen vertikalen Hieb mit der Beinkraft zu stärken.

Ein kratzendes, splitterndes Geräusch war zu hören, als einige kleine Holzteile durch die Luft flogen. Gleich daraufhin wandte er abrupt seinen Rücken wie den Kopf elegant nach hinten um wieder auf seinen Füßen zu landen.

Dabei richtete er seinen Blick auf den Stamm. Seine Augen weiteten sich vor Freude, als er flüchtig noch in der Luft, überrascht wie stolz, sein Ergebnis begutachtete.

‚Das ist mir noch nie so gut gelungen! Und das, obwohl ich ihn seid langem nicht mehr geübt habe!’ fuhr es dabei duch seinen Kopf.

So früh wie er sich gefreut hat, kam sein linkes Bein auf dem Boden auf.

Das rutschige Laub jedoch ließ ihm keinen Halt, wobei sein Fuß unerwartet zur Seite glitt und gleich daraufhin folgte sein ganzes Gewicht mit dem rechten Fuß.
 

/Knack/
 

„Argh!“

Ein übles Geräusch war in seinem Körper zu hören, als ihn gleich danach ein übler Schmerz wie ein Blitz durchfuhr, angefangen von seinem Knöchel zog es sich bis zu seinen Schultern hin hoch und ließ ihn aufzucken.

Sofort drückte er dabei seine Augen zu und verzog eine schmerzvolle Miene.

Ein dumpfes Rascheln der nassen Blätter ertönte, wobei Edward in den Boden einknickte.

‚Oh nein...Ich hoffe es ist nicht das, was ich denke...’

Doch seine Vermutung bestätigte sich, als er versuchte aufzustehen.

Wieder schoss ihm der stechende Schmerz durch das Bein.

„Mhm...Mist!“

Langsam setzte er sich wieder hin und stütze das aufgesetzte heile Bein mit seinem Arm ab.

‚Und dabei war ich eben noch so gut!’

Nun ärgerte sich Edward über seinen Übermut, ohne großes Aufwärmen und überhaupt Vorsicht seinen Spezialangriff versucht zu haben. Sein Knöchel war verstaucht und es war ihm nun klar, dass damit seine Trainingseinheit für heute beendet war.

„Wenn der Boden nicht so eklig matschig wäre, hätte es sicher geklappt! Dieses blöde Wetter ist an allem Schuld...“ redete er sich ein, wobei er genau wusste, dass er nicht so hätte voreilig sein sollen eine solch anspruchsvolle Attacke bei dieser Witterung auszuprobieren.

Edward konnte schlichtweg nicht auf trockenere Zeiten warten.

‚Und siehste’? Das hab ich mal wieder davon!'

Doch es machte keinen Sinn sich über das ergangene Missgeschick weiter zu beschweren.

Seine oberste Priorität war es nun seine Verstauchung so milde wie möglich zu behandeln und sollte sich deshalb auf den Heimweg machen.

‚He, in diesem Zustand wäre ich wohl eine leichte Beute für eines der Soldaten Begnions. Ich bezweifle, dass sie soweit im Wald auf Patrouille sind.‚

An der Vostellung alleine hörte er Schritte im Laub wie ein leises Klingen von Metall an einer Rüstung.

'Als ob sich um diese Uhrzeit einer hierher ver-'
 

„Hey, Junge! Was machst du hier im Wald?“
 

Jegliche Gedanken erstarrten in diesem Moment, als er die rufende Stimme nicht allzu weit hinter sich vernahm. Sein Blut sank vor Schreck in die Magengegend ab.

‚Was...? Ein Soldat?! Hier? Dann...hab ich mir das Geräusch also doch nicht nur eingebildet??’

Seine Augen weiteten sich und er bemerkte, dass er vollkommen hilflos war.

In diesem Zustand könne er so gut wie kaum kämpfen.

Dieser Augenblick zog sich in die Länge und Edward hielt den Griff des Schwertes wieder fest, sein Körper angespannt.

'Was soll ich jetzt tun? Ich kann nicht weglaufen...Ich muss mich ihm stellen.'

Er hoffte darauf, dass der Soldat alleine war.
 

„Antworte!“
 

Auf seine aufdringliche Frage hin wusste Edward nur eines zu erwidern:

‚Um euch Abschaum später so hammerhart in den Hintern zu treten!’

Wie gerne hätte er ihm das ins Gesicht geworfen, doch wäre das in Anbetracht der Situation eine eher lebensmüde Aktion, deshalb schwieg er.

‚Doch wie hat er mich so tief im Wald finden können? Den Code muss man kennen um den richtigen Weg zu finden. Vielleicht...’

Edward wagte es nun seinen Kopf langsam hinter sich seinem Eindringling zu zuwenden und sah einen in einer rot- messingfarbener Rüstung gekleideten Lanzenträger.

Als hätte der Hellebardier seine Gedanken gelesen, gab er ihm daraufhin eine Antwort.
 

„Ich bin dir auf den Weg hierher gefolgt. Zu dumm, dass du kein bisschen Verantwortung hattest um umsichtig auf deine Umgebung zu achten.

Du hast keine Chance gegen mich, also ergib dich solange dir noch die Gnade dazu gegeben wird, Aufständischer!“
 

Mit diesen Worten schritt er langsam auf Edward zu.

Jeder seiner Schritte trug mit dem matschigen Geräusch der Blätter eine Bedrohung mit sich, als er sich ihm erhobenem Hauptes immer weiter näherte. Seine Rüstung klapperte in seinem Gang und man könnte ihm seine Überheblichkeit auch von hunderten von Metern ansehen.

‚Verdammt! Was soll ich tun? Mit seiner Lanzenreichweite könnte er mich jederzeit aufspießen, wenn ich es wage aufzustehen um mich zu verteidigen!’

Sein Bauch kribbelte aus einer Mischung von Anspannung und Angst.

Unsicher, was Edward nun machen sollte, stand ihm wohl nur ein Ausweg zur Verfügung.

‚Doch wie es scheint, ist er alleine unterwegs...'

Edward dachte nach, was die beste Methode wäre, sich zu wehren, als ihm etwas einfiel.

'Ja, das wäre wohl das Einzige, was ich jetzt noch tun könnte...’

Er ließ sein Schwert sinken und versteckte es hinter sich im dichten Laub.

Sichtlich zufrieden mit seiner Überlegenheit dem jungen Schwertkämpfer gegenüber stand der Soldat wenige Meter vor ihm. Edward schluckte.

Womöglich würde er ihn an Ort und Stelle umbringen.

Es schien, als stünde Edward ein weiteres Mal vor einer lebensbedrohlichen Situation, aus der er sich nicht befreien konnte. Sein Kopf zu dem belaubten Boden gesenkt, ging ihn nur ein Gedanke durch den Kopf.

‚Ich habe nur diese Chance...’

Der Soldat unterschätzte jedoch die Gefahr, die von dem knieenden Myrmidonen ausging und näherte sich im, bis sie nur noch einen Schritt voneinander entfernt waren.

'Der macht sich gut als Rekrut in unserem Gefangenenlager!' ging es dem Lanzenträger durch den Kopf, bereit ihn festzunehmen.

Edwards Körper war vollkommen angespannt und als er sich zu bewegen versuchte, erinnerte ihn der stechende Schmerz unter seinem linken Stiefel an die missliche Lage.

Ein leises Zischen entwich dabei seinen Lippen, als er seine kniende Position zu verändern versuchte.

Er umgreifte die Halterung seines Schwertes ein weiteres Mal so fest er konnte.

Doch der Schmerz wird ihn an Nichts hindern können.

‚Mit solchen Kleinigkeiten kriegt man mich nicht so schnell!’

Seinen Kopf abrupt nach oben zu dem Soldaten gerichtet, schlich sich ein verschmitztes Lächeln auf seine Züge. Er hatte Glück.
 

‚Nun ist er nah genug! Zu dumm, dass du nicht daran gedacht hast, dass dir dein Vorteil bei dieser Nähe zum Nachteil werden könnte!’ war es Edward wie ein Blitz durch den Kopf gegangen.
 

Sichtlich verwirrt blickte der gerüstete Soldat alarmierend auf den Myrmidonen hinunter.

„Hey, leg dein Schwert weg, sofort!“ schrie der Hellebardier, als er dabei fest um seine Lanze griff um auszuholen.

Jeglichen Schmerz ignorierend spürte Edward, wie das Kribbeln des Adrenalinschubs ihn durchfuhr.

Ruckartig drückte er seine gebeugten Beine vom Boden ab und sprang mit seinem Schwert gezückt in die Luft zu einem erneuten Rückwärtssalto.

Der Soldat vor ihm realisierte erstmals nicht, was passiert war, als er plötzlich eine Wucht auf ihn einfallen spürte und mit lautem Klingen von Metall nach hinten zu Boden fiel.
 

‚Attacken von so 'nem kleinen Abstand machen Lanzenträger zu langsam, es braucht zuviel Zeit, bis sie ausholen können!’
 

Diesmal hatte er seinen Spezialangriff perfekt ausgeführt, nur bei der Landung stach ihn der Schmerz ein weiteres Mal. Er blickte sein Gegenüber am Boden an.

Eine tiefe Delle zierte nun seinen Brustpanzer, ebenso wie eine quer verlaufende Wunde an seinem weniger geschützten Bauchbereich, dessen aufgeschlitzter Lederschutz sich langsam mit Blut befleckte.

Ein schmerzvolles Stöhnen war von dem Soldaten zu hören, als er sich langsam wieder aufrichtete. Seine Miene war unter seinem robusten Helm kaum zu erkennen, nur seine zusammengepressten Zähne wiesen auf seine innere Wut an.

Gekrümmt stand er nun ein weiteres Mal über ihn, diesmal jedoch mit größerer Distanz, als Edward erneut auf seinem linken Bein einknickte.

'Nicht jetzt!'

Ein lautes Rascheln ertönte.
 

„Du Köter wirst dafür büßen! Nun stirb!“
 

Wie unpassend doch sein kleines Schwächeln war...

Alles kam Edward nun so langsam vor.
 

War es das?
 

‚Oh man...was für'n dummes Ende.

Und dabei wollte ich doch mindestens als Held draufgehen, gefeiert von der Menge. Daraus wird wohl nichts...

Na ja, wenn dies mein Ende sein soll, dann muss ich es wohl annehmen.

Nur wünschte ich mir für meine wohl unsichtbare Zukunft, dass so ein Abschaum wie die Besatzungstruppen für ihre Taten büßen werden...’

Als Edward langsam seine Augen schloss, gab er sich selbst auf.

Er senkte seinen Kopf zu Boden und verließ sich nun auf die letzten Momente seines Gehörs.

Das Laub ließ darauf andeuten, dass er mit seiner Lanze zu einem verheerenden Schlag ausholte.

‚Moment, das Rascheln kam nicht von ihm, sondern aus der Richtung hinter-’

Weitere, eigenartige Geräusche erfüllten in binnenschnelle die Luft.

Während er auf den großen Schmerz wartete, vergingen die Sekunden wie eine Ewigkeit, doch ist es nur das Gefühl, oder schien wirklich soviel Zeit vergangen zu sein?

Wo bleibt der Schlag, die totbringende Verletzung?

Edward wagte es jedoch nicht, seine Augen zu öffnen und sich umzublicken.

Er hörte etwas die Luft zerschneiden und ein Knacken wie Klingen von Metall folgte, dann ein lauter, dumpfer Fall und ließ den Boden vor ihm leicht beben.

Das war nun zu merkwürdig gewesen!

‚Wie...’ Langsam traute er sich, seine Augen zu öffnen.

Erstmals ein Spalt weit, dann ganz.

Er erhob aufgeregt seinen Kopf und was er daraufhin vor sich erblickte, schockierte ihn.
 

Da lag der Hellebardier, seine Lanze nun locker in seiner Hand verweilend und vollkommen reglos.

Doch, da schien etwas aus seinem Kopf zu stechen. Etwas Langes.
 

‚Was...ist das?’ Nun zwang sich Edward aufzustehen und langsam zu ihm hinzuhumpeln um nachzusehen, was mit dem Soldaten überhaupt passiert war.

Edward erschrak leicht bei dem Anblick. Seine rechte Augenhöhle wurde von einem Pfeil durchbohrt und durchdrang ebenso den Helm auf der hinteren Seite.

Er schien mit der Wucht nach hinten gerissen worden zu sein und starb dabei auf der Stelle.
 

„Das wir uns hier wieder begegnen war mir in gewisser Weise bewusst, ebenso wie dass es eine missliche Lage sein würde.

Ist alles mit dir in Ordnung?“ sprach eine nur allzu bekannte Stimme zu ihm herüber.
 

‚Das ist doch...’ Und als Edward sich umsah, um die Person ausfindig zu machen, erkannte er ihn aus der Entfernung hinter sich stehen, aufrecht und mit einem Bogen in seiner Hand.

Es war der Schütze namens Leonard. Sein Lebensretter.

Edward konnte es nicht fassen, wie günstig sein Erscheinen war.

Wie es schien, hatte er ihn ein weiteres Mal aus der Patsche geholfen.

"Zu zweit gegen den Rest der Welt!"

„Ich habe leider keine Kräuter oder ein Heilmittel bei mir...“

Als der Blondhaarige „Kräuter“ erwähnte, dachte Edward direkt daran in seinen Notfallbeutel zu schauen, in dem er immer welche aufbewahrte. Dabei vergaß er.

‚...Verdammt! Meine Kräuter sind seid langem alle! Grade jetzt...’

Verärgert darüber und gleichzeitig beschämt von der Tatsache, dass er auf Hilfe angewiesen war, richtete er seinen Blick wieder zu Boden.

Eine kleine Weile überlegte Leonard was er dem verletzten Schwertkämpfer auf dem Laub weiterhin sagen sollte. ‚Ob es eine gute Idee ist...?’

Leonard wusste immer noch nicht, ob er dem Braunhaarigen so schnell vertrauen sollte.

‚Aber er ist in derselben Lage wie ich. Ein Aufständischer, der sich die Unterdrückung Daeins durch die Besatzungstruppen nicht gefallen lässt und insgeheim trainiert. In der Erwartung jemanden zu finden, der ihm damit beisteht...’ Plötzlich hatte Leonard verstanden. Sie beide sind Kämpfer, die dieselbe Hoffnung tragen:

Eine Truppe finden um stark genug zu sein die Soldaten Begnions aus ihrem Land zu vertreiben und für die Gerechtigkeit und Freiheit zu kämpfen.

Auf einmal hatte er keine Zweifel mehr dem Myrmidonen zu helfen.

‚Wenn wir uns zur Unabhängigkeit vorkämpfen wollen, brauchen wir jeden der bereit ist, sich ihnen entgegenzustellen.

Es ist selbstverständlich, dass man sich im Krieg gegenseitig helfen sollte.’

„...aber in meiner Wohnung habe ich welche. Wenn du es schaffst mitzukommen, können wir deine Schwellung lindern und abbinden. Kannst du aufstehen?“

Edward richtete sich von Boden auf.

„Ja, das geht schon...Hsssss..ah!“ Er verzog leicht das Gesicht.

Als er versuchte auf beiden Beinen zu stehen, durchfuhr ihn wieder der stechende Schmerz welcher sein linkes Bein kurz aufzucken ließ.

Er sackte wieder zusammen und fand an dem Baum Halt, an dem er sich stützte.

„Ähh...schon, wenn dieser Baum was anderes könnte als Wurzeln schlagen...“

Edward gab mit seinem Witz nur ein leicht gequältes Grinsen von sich.

‚Wie es scheint kann er das nicht. Jedenfalls nicht ohne einen Halt. Bei dieser Witterung ist der Boden total aufgeweicht und mit einem verstauchten Bein durch das weiche und glitschige Laub zu laufen ist zu schwierig’ dachte der Blonde sich.

„Ich verstehe. Stütz dich auf meine Schulter, ich werde dir helfen zu laufen.“

„Ähm...okay.“ Zögerlich nahm Edward sein Angebot an.

Daraufhin bückte Leonard sich leicht zu ihm runter und hob Edwards Arm, damit er den Myrmidonen auf seine Schulter hieven konnte.

Um ihn darauf zu sichern, legte er den anderen Arm unter sein Schulterblatt und umgriff es, sodass die Hand an den Rippen lag.

Der Rücken des Braunhaarigen war noch leicht feucht vom Training, bemerkte Leonard.

„Ist es so in Ordnung?“ fragte er.

„Ja, so ist’s okay...danke“ entgegnete der verletzte Schwertkämpfer ihm leise.

Den Arm um Leonards Schulter gelegt ließ Edward sich von ihm Schritt für Schritt durch dem Wald führen. Auf einmal fiel ein kleiner Tropfen auf die Wange des Blonden. Rasch blickte er auf.

Leonard bemerkte erst jetzt, dass sich der Himmel in das Grau eines starken Gewitters umfärbte und die Dämmerung hinter den dunklen Wolken hereingebrochen war.

‚Das ist nicht gut. Wenn wir es nicht vor Einbruch der Dunkelheit zu meiner Bleibe geschafft haben, müssen wir durchnässt im Wald übernachten, mit diesen Wolken würde man nicht mal die eigene Hand vor Augen erkennen...’

Besorgt blickte er auf das nächste Zeichen vor sich, das er sich zur Orientierung auf die Bäume malte ‚Nordost...’ und lief so schnell es Edwards Bein zuließ weiter.

‚...Und wenn uns am Morgen die Soldaten im Freien erwischen, sind wir geliefert.’

Langsam war deren Atem war mit der sinkenden Temperatur zu sehen.

Die Atemzüge des Blonden waren aufgeregt mit der Last auf seinen Schultern und seiner Gedanken.

Edward bemerkte, dass den Bogenschützen etwas plagte, da er sich hin und wieder aufgeregt umblickte. Beide waren jedoch zu sehr mit den Geschehnissen beschäftigt, die sich so plötzlich abgespielt haben, als dass sie reden wollten.

Beiden war auch die Konsequenz bewusst, die das Töten des Soldaten mit sich brächte. Sie mussten jetzt umso vorsichtiger sein, wenn sie unentdeckt bleiben wollten. Würde der Leichnam des Soldaten entdeckt, werden die Kontrollen der Besatzungstruppen schärfer werden.

Vielleicht könnten sie in diesem Wald sogar gar nicht mehr trainieren.

Dem Schwertkämpfer fiel die unangenehme Stille auf, die sich seid einiger Zeit in deren Gedankengängen breit machte.

Auf einmal war ihm die Nähe zu dem Bogenschützen peinlich, als er bemerkte, dass sich seine Wangen leicht erhitzten.

Er kannte den Blondhaarigen nicht mal gut und trotzdem war er so hilfsbereit.

Gleichzeitig empfand Edward Schuld dem jungen Mann neben sich eine solche Last zu sein.

Er war es, der die Ruhe zwischen ihnen mit leiser und leicht beunruhigter Stimme unterbrach.

„Hey...Ähm, meinst du, die Soldaten werden uns nun verfolgen?“

„Höchstwahrscheinlich. Doch noch hat der Trupp nicht gesehen, wer ihn getötet hat. Aber sie werden jeden mit einer Waffe verdächtigen. Um nicht verfolgt zu werden, müssen wir unsere Waffen gut verstecken.“

Daraufhin blickte Leonard erwartungsvoll wie leicht verstohlen zu seinem Gegenüber an die Hüfte.

Das Schwert, in der Schwertscheide am Gürtel des Braunhaarigen befestigt, schlug beim Laufen an seinen Oberschenkel. Es war vollkommen unabgedeckt und sofort zu sehen.

Hätte Leonard eine Hand frei, hätte er sich mit ihr an die Stirn geschlagen.

Wie kann man nur so verantwortungslos sein? Er musste sich das bei seinem Gefährten immer wieder fragen.

„...Und so wie du dein Schwert mit dir führst, werden sie uns direkt ins Verlies werfen, wenn nicht exekutieren.“ entgegnete Leonard dem Schwertkämpfer leicht zynisch.

„Hä, wie?“ Er blickte an seine Hüfte.

„Oh! Aber...ich hatte es mit ’nem Tuch abgedeckt! Ich...es muss wohl runtergefallen sein. Mist!“ Edward regte sich auf. Er trat von einem Fettnäpfchen ins andere.

Neben ihm hört er den Blonden einen Seufzer ausstoßen.

Er fühlte sich im Moment vollkommen bescheuert.

‚Erst renn ich einem Bogenschützen im Wald entgegen, dann wäre ich fast von ihm umgebracht worden! Er rettet dann mein Leben indem er mich aus dem Wald lotst, worin ich mich aus purer Dummheit verirrt hab.

Ich verstauch mir beim Finish-Move auf nassem Boden mein Bein und lass mein erneut gefährdetes Leben wegen dem Soldaten von Blondie hier retten!! Und jetzt trägt er mich auch noch zu seiner Wohnung! Arg...Mir ist so was Dummes noch NIE passiert!!...Naja, jedenfalls nicht in Reihenfolge.’

Edward war genervt. Genervt von seinem Versagen und seiner Verplantheit.

Aber, was er nicht wusste; er war sich zu stolz zuzugeben, dass die Wut eigentlich auf sich und seine Enttäuschung daraus bezogen ist.

Doch unbewusst richtete sich sein kleiner Groll auf den Bogenschützen, der ihn mit seiner Hilfsbereitschaft bloßzustellen scheint und stapfte mit seinem heilen Bein ein wenig stärker in das glitschige Laub.
 

Es regnete heftig und die pechschwarzen Wolken erhellten sich nach jedem der tobenden Blitzschläge, die wie leuchtende Fäden den Himmel durchzogen.

Der Donner dröhnte durch die Nacht und heftiger Regen prallte gegen das Fenster, aus dem Leonard blickte. Auf seinem Schreibtisch brannten eine Kerze und ein Kerzenständer neben dem Fenster.

Beide waren kurz vor seiner Wohnung vom Regenschauer überrascht worden und nun vollkommen durchnässt. Edwards Bein war bereits mit einer Kräutertinktur behandelt und verbunden und wurde vom Bett gestützt.

Er saß auf einem Stuhl mit seinen Armen an seinem Körper gewinkelt und zitterte. Seine Klamotten klebten unangenehm und kalt an seinem Körper und tropften vom Stuhl auf den Boden. Seine sonst so ungebändigten Haare lagen ihm im Gesicht, die von dem Regenschauer geplättet worden sind. Nur wenige standen hinten noch leicht ab.

Auch Leonards Klamotten waren mit Wasser voll gesogen, als er wegen der Kälte frierte.

Mit der Hand fuhr er sich durch sein schulterlanges blondes Haar und wringte es vom Wasser aus.

„Ich habe hier leider keinen Kamin, aber in der Küche kann ich am Sandgraben ein Feuer machen und eine Suppe für uns kochen, wenn du möchtest...“ fing Leonard erstmals zögerlich an. Er musste sich eingestehen, dass er es nicht gewohnt war Besuch zu haben und benahm sich deshalb ein wenig befangen, besonders weil ihm nicht allzu viel von seinem Gefährten bekannt war. Aber es ist eine angenehme Abwechslung, dachte er sich, da er sonst niemanden lange um sich hatte. Irgendwie mochte er seine Gesellschaft.

„Ich habe im Flur ein Handtuch, Ersatzkleidung und ein Umhang für dich, du wirst dich nämlich erkälten, wenn du in deinen nassen Sachen bleibst“ sagte er, als er den Braunhaarigen frieren sah.

Den Groll, den Edward auf ihn hatte schien sich bei der höflichen Freundlichkeit des Blonden vollkommen gelegt zu haben. Er wollte ihn also doch nicht bloßstellen, dachte er, sondern sich nur um ihn kümmern.

Warum er das alles so selbstverständlich tat, war ihm nicht ganz offensichtlich, aber er wusste, dass er ihm so EINIGES schuldig war.

‚Mit was ich das nur verdient hab, echt...dabei mache ich ihm nur Ärger! Es ist verdammt freundlich von ihm all das zu tun, und dann noch für jemanden wie mich! Ich sollte mich erkenntlicher zeigen...’

Edward wandte seinen Blick zu dem Bogenschützen am Fenster. Mit einem ehrlichen Lächeln entgegnete er ihm

„Danke sehr. Und t’schuldige, dass ich dir solche Probleme mache.“ leicht senkte sich sein Kopf als ihm die Scham überkam.

Als Antwort bekam er ein leichtes Schmunzeln und kameradschaftliches Kopfschütteln.

„Das geht schon in Ordnung.“

Edward stand auf und lehnte sich an dem Stuhl. Die Holzdielen gaben seinem Humpeln nach und knarrten beim Aufkommen.

„Moment, das mach ich schon, bitte bleib sitzen.“ Leonard kam ihm entgegen und lief vor Edward durch die Tür, um ihm die Sachen zu bringen.

Er sollte sein verstauchtes Bein schonen, solange die Kräuter darauf ihre Wirkung verbreiteten. Verdutzt blickte Edward auf.

‚Soviel dazu ich mache ihm keine Umstände..., dabei hätte ich das auch allein hingekriegt.’

„Diese Sachen sollten dir passen. Du darfst deine nasse Kleidung auf den Stuhl ablegen. Ich hänge sie nachher an die Feuerstelle in die Küche zum Trocknen.“

Mit diesen Worten legte der Blondhaarige die Kleidung neben Edwards Bein aufs Bett und gab ihm ein kleines ermutigendes Lächeln.

Leonard nahm seine trockene Nachtkleidung aus dem Schrank und schloss die Tür hinter sich, um dem Braunhaarigen Privatsphäre zu überlassen.

Edwards Blick lag noch eine Weile auf der Wohnzimmertür als er darüber nachdachte, was für ein Glück er ständig mit den Leuten hatte.

Als er das beige Leinenhemd ausgebreitet vor sich hielt, gluckste er erleichtert in sich hinein.

‚Bei meinen Missgeschicken könnte man das denk’ ich nur „Die Gnade der Göttin“ nennen...’
 

Die leeren Schüsseln lagen gestapelt auf dem Schreibtisch und ein sanfter Geruch von Holzkohle lag noch in der Luft, dass vom Kochen in der Küche aus ins Wohnzimmer kam.

Das halboffene Fester der Küche ließ die Rauchschwaden austreten, wie es der kleine Schacht über dem Sandgraben tat. Leise hörte man noch das Knistern der schwachen Flammen.

Die nasse Kleidung der beiden trocknete an einem dünnen Seil nicht allzu weit davon.

Beide saßen auf ihren Stühlen, von der Kürbissuppe gesättigt und mit einer Decke vor der Kälte geschützt.

Leonard blickte wieder aus dem Fenster.

“Wie es aussieht, wirst du in dieser Nacht nicht nach Hause gehen können“ bemerkte er zu seinem Gegenüber.

„Wie? Wegen dem Regen? Meinst du damit etwa ich äh...darf hier übernachten?“ Edward konnte es nicht glauben. Er fühlte sich im Moment so wohl wie selten zuvor. Edward bemerkte nicht, dass sich sein kleines Lächeln auf seinem Gesicht breit machte, als er darüber nachdachte was er alles für ihn tat. Er fühlte sich wie ein ausgesetzter Welpe, der von einem Schlag auf den anderen von einem großzügigen Herz aus dem Regen gerettet und in sein Zuhause aufgenommen wurde.

Trocken, warm, satt, gemütlich in einem Haus und mit gesprächiger Gesellschaft, besser konnte es für ihn nicht laufen.

"Ja, das darfst du. Ich kann es doch nicht verantworten dich bei diesem Wetter wegzuschicken. Ich lege dir nachher eine Strohmatte mit dicken Wolldecken und einem Schlafsack bereit. Ich habe leider kein Gästezimmer oder zweites Bett, deshalb hoffe ich, dass das genügt."

Edward konnte sich seinen erstaunten Blick nicht verkneifen.

Sein Mund lag offen und er wollte etwas sagen, aber er möchte sich nicht noch blöder geben, deshalb gab er nur ein aufgeregtes Nicken von sich, gefolgt von einem noch breiterem Lächeln. Seine grauen Augen blitzen vor Freude auf.

'Das ist viel besser als bei mir!'

Leonard konnte sich sein Schmunzeln nicht verkneifen. Der Braunhaarige war sicherlich nicht allzuviel jünger als er und strahlte doch eine solche Kindlichkeit aus.

„Wohnst du in diesem Viertel?“ fragte er, die Antwort bereits erahnend.

„Ja, paar Straßen weiter in der Nähe des Bachs am Marktplatz“ antwortete Edward.

„Dort? Ist das nicht der Stadtteil jenseits der Brücke, an dem ein Großbrand austrat?“

‚Ich habe mir bereits gedacht, dass er hier in der Nähe wohnt, da ich ihn oft wieder sah. Aber dass er dort lebt? Das ist eines der gefährlichsten Gebiete dieses Viertels, wenn nicht eines der schlimmsten in Nevassa!’ dachte Leonard sich leicht geschockt.

„Ich habe gehört das sei ein Glücksspielviertel in dem sich Banden herumtreiben, die dort neben de Glücksspielen auch einen Schwarzmarkt betreiben...“ dachte er diesmal laut.

„Hmm, ja, das ist es, aber solang man sich nicht beteiligt, ist’s nicht so schlimm wie die Gerüchte darüber. Eigentlich lässt es sich dort recht gut leben!“ Edward grinste. Dabei dachte er an seine mietfreie Bruchbude.

Er kannte den Ruf dieser Umgebung und war von der Reaktion des Blonden nicht überrascht. Den Soldaten begnions interessierte ein heruntergekommenes Viertel nicht, genauso wie Banditenüberfälle. Es war das perfekte Versteck für jemanden wie ihm.

Und so unterhielten sie sich über Edwards ungewöhnliche Bleibe in dem halb durchlöcherten Bäckerhaus, deren Lebensgewohnheiten, den Leuten aus Nevassa und natürlich den Besatzungstruppen, der die Bürgerschicht durch deren Vorfall im Wald wohl nun strenger bewachen würde. Sie kamen zufällig auf das Thema ihrer Arbeit.

„Ich arbeite für ’ne echt nette Familie, die eine Gastronomie betreibt. Manchmal aber beschlagnahmen die Begnion-Köter paar der Weinflaschen oder Bierkrüge, angeblich aus „Sicherheitsmaßnahmen“ und blah blah...Seid ich aber die Sachen so schnell reintrage, ist nichts passiert!“

Edward grinste und hob spielerisch seinen Arm an, um seine Muskelkraft zu beweisen. In der Pose verharrend wich sein Grinsen auf einmal aus seinem Gesicht, als er seinen Blick zum Boden wandte. Einen für ihn ungewöhnlichen Gesichtszug war zu sehen. Er wurde ernst.

„Die Familie mag mich so sehr, dass sie mir anboten bei ihnen zu wohnen. Ich würde gerne! Aber...es wäre zu gefährlich. Für sie meine ich.“ dachte er nach.

Wenn es um ihn selbst ging, war er vollkommen sorglos und nahm alles hin, wie es sich bot. Es war eigentlich nicht seine Art besorgt zu sein, weil er der Meinung war, dass alle Probleme eine einfache Lösung hatten.

Aber Edward wusste, dass ihm die Familie ans Herz gewachsen war. Und wenn er sich für sie entscheiden sollte, übernähme er die Verantwortung für sie.

Er wusste nicht, ob er ihnen gerecht werden könnte. Er fürchtete sie zu enttäuschen, ihnen eine Last zu sein oder ihnen gar Problemen zu bereiten, besonders mit den Problemen, die er jetzt zu tragen hatte.

„Du meinst, weil wir nun Gefahr laufen verfolgt zu werden, könntest du die Soldaten mit deinem Einzug bei ihnen auch auf sie aufmerksam machen und gefährden. Ist es das, worüber du dir Gedanken machst?“ schlussfolgerte Leonard aus der Besorgnis seines Gegenübers.

„Ja, genau das. Und ich weiß nicht, was dieses Pack mit ihnen anstellen würde! Das kann ich nicht verantworten...“

Leonard erstaunte seine unscheinbare Charakterseite.

‚Also kann er doch Verantwortung übernehmen, zwar nicht für sich selbst aber er sorgt sich um andere...’ Edward richtete seinen Blick zu dem Blonden wieder auf.

„Sag mal ähm, Leonard?“

„Ja?“

Leonard war überrascht, dass der Braunhaarige ihn zum ersten Mal bei seinen Namen ruft. Dass Edward sich bei ihm nun vertraut machen möchte schien die Barriere zwischen Fremder und Freund aufzulösen, da er ihn nun direkt ansprach.

„Was hältst du davon, wenn wir eine Art Gruppe aufmachen? Ich meine, du bist auch ein Kämpfer wie ich und wir sollten uns irgendwie zusammentun, meinst du nicht auch? Zusammen hätten wir bessere Chancen die Bürger zu schützen und diesem Begnion-Abschaum so richtig in den Hintern treten!“

Seinen plötzlich aufflackernden Enthusiasmus unterstreichend hob er seinen Arm und ballte seine Hand zur Faust.

Leonards dunkelblaue Augen weiteten sich in dem Moment.

Eigentlich war das auch ein Gedanke von ihm, eine Gruppe zu finden, was er aber nicht weiterhin durchdachte es wirklich umzusetzen. Bei der Anfrage des Braunhaarigen aber ging ihm nur eines durch den Kopf.

‚Das ist gar nicht mal so eine schlechte Idee...Nicht leicht zu bewerkstelligen, aber auch nicht unmöglich. So was würde Zeit kosten und auch Risiken mit sich bringen...Aber das wäre es wert, Daein vor der inneren Zerrüttung des Friedens und einem Bürgerkrieg zu schützen. Mit einer Truppe könnten wir zusammen für die Freiheit und Unabhängigkeit der Besatzungstruppen unseren Heimatlandes kämpfen!’

Leonards bequeme Sitzhaltung richtete sich auf einmal auf, als ihn dieser inspirierende Gedanke der Erlösung Daeins durchfuhr. ‚Das könnte es sein!’

„Aber...“ So schnell wie die ihn Inspiration überkam, machte sich plötzlich Unsicherheit in Leonard breit, als er weiter darüber nachdachte, wie dieses Ziel zu erreichen wäre.

„Wie können wir Mitglieder für einen Bund finden, wenn die Soldaten Begnions jeden nur kleinsten Aufstand im Keim ersticken? Größere Versammlungen sind strengstens verboten.“

„Na, dann soll unsere Gruppe eben nicht so groß sein! Und wenn wir an öffentliche Orte gehen, dann dort wo Versammlungen schon immer waren. Wir können uns an den Gesprächen der Leute schlau machen und ein Wörtchen mitmischen! Wir müssten halt nur aufpassen, dass uns die Soldaten nicht hören!“ Edward gab ein verschmitztes Grinsen von sich.

Er brauchte nicht lange um zu antworten, denn ihm fiel immer schnell etwas ein.

Leonard wollte dem erwidern, aber durchdachte seinen einfachen Plan.

‚Es klingt naiv, aber diese simple Idee ist gar nicht mal so übel. Eine große Gruppe würde sofort mit größerem Widerstand erschlagen werden und wäre auch zu auffällig. Der Marktplatz ist ein öffentlicher Ort, an dem man Versammlungen nicht verhindern kann genauso wie eine Gaststätte...Insgeheim gibt es viele Leute, die über die Soldaten reden, vielleicht gibt es dann auch welche, die bereit sind sich ihnen entgegenzustellen...’

„Das ist eine gute Idee! Wir müssen uns die Mitglieder gut aussuchen und eine Truppe zusammenstellen, denen wir auch vertrauen können, dann wäre es kein größeres Problem.“

Leonard gab ein offenes Lächeln von sich.

Ihm alleine war noch nie der Gedanke einer großen, geheimen Revolte gekommen, aber dieser Schwertkämpfer schien nur so vor Ideen und Motivation zu strotzen. Wie ansteckend ein Gedanke sein kann, dachte sich Leonard.

„Ja, nich'? Dann hab ich einen schon gefunden! Hiermit nehme ich dich in meinen Bund auf!“ Edwards breites Grinsen schien sich auf den Anderen zu übertragen, als der ihm sogleich antwortete

„Dein Bund? Willst du damit sagen, dass du dich zum Commander erklärst? Na gut, dann darfst du die Verantwortung und Entscheidung unseres ersten Schachzuges übernehmen. Was gedenkst du als erstes zu tun, Commander Edward?“

Dabei zog er das Wort "Commander" ein wenig in die Länge. Leonards leicht neckisches Verhalten war nicht typisch für ihn bemerkte er.

Aber sein Gefährte brachte ihn dazu, einen Teil seiner Schwermut abzulegen und seid langem für Scherzen aufgelegt zu sein.

„Urgh...Ähm...“ Mit der Anfrage überfordert wich Edwards Grinsen aus seinem Gesicht als er nur verdutzt nach einer schlauen Antwort suchte, aber nichts anderes herausbekam.

Leonard konnte sich ein begnügtes Schmunzeln nicht unterdrücken, wohingegen Edward erstmals nur verlegen, dann ebenso begnügt lachte.

„Naja, jetzt sind wir schon zu zweit! Einer mehr als alleine, das ist doch schon was!

Zwei Kämpfer; ein Bund, der Bund für die Freiheit!“

Edwards motivierende Ansprache schien Wirkung zu haben. Er hatte das Gefühl den Anfang von etwas Großem geschaffen zu haben und mit jemanden an seiner Seite hatte er keine Angst auch die Verantwortung zu übernehmen.

Ein kribbeln machte sich in seinem Bauch breit wenn er nur daran dachte, was für Gefahren sowas mit sich bringen würde, aber auch auf was für ein Abenteuer er sich einließ. Aber er hatte keine Absichten auch nur ein bischen an seiner Idee zu zweifeln. Er würde es durchziehen, koste es was es wolle.

„Für unsere Freiheit!“ rief er.

Dabei hielt er Leonard seine Hand entgegen.
 

Leonard nahm die Hand Edwards in einem festen Griff, als sie mit diesem Händedruck den frisch gegründeten Bund beschlossen.

Sie waren von nun an Partner. Für die Gerechtigkeit Daeins.

Edwards sonst so sorglose Grinsen machte sich wieder breit.

Von jetzt an heißt es

„Zu zweit gegen den Rest der Welt!“

Belastende Freundschaft

Vor ihnen erstreckte sich die typische Szenerie, wie sie jeden Tag stattfand. Ein reges Treiben scheuchte die Menschen zur Bewegung, doch nicht gehetzt sondern gemächlich ging jeder seine Schritte in der bunten Menge des Marktplatzes. Die rufenden Händler erfüllten die eher bedrückende Atmosphäre, welche in der Luft lag, nur widerwillig, denn es schien, als gingen sie in der Dichte der Gedanken und dem wolkengeschwängerten Himmel unter.

Am Rande, weiter weg vom lebendigen Geschehen, standen einige Soldaten der Besatzungsarmee Wache. Ihrer Körperhaltung zu beurteilen waren sie eher unmotiviert, gelegentlich wanderten ihre Blicke teilnahmslos durch die Menge. Doch jeder spürte sie in ihrem Tun. Auch wenn sie aktiv nichts taten so waren sie ihrem Urteil in jeder Sekunde ausgesetzt und Gefangene ihrer mehr willkürlichen Entscheidungen. Um jeden Verdacht von sich zu schieben versuchen die Menschen so unauffällig wie möglich zu sein, nur nicht zu sehr ihre Aufmerksamkeit erregen hieß es und waren in allem bedächtig. So passten sich auch die beiden Kämpfer der neuen Bedingung an und gaben sich, um nicht als Aufständische verdächtigt zu werden, die Blöße und ließen ihre Waffen bei Leonard zu Hause.

Da Edward viel in der Stadt herumkam und sich gelegentlich mit einigen Leuten unterhielt, wusste er auch schon ungefähr, bei wem er mit seiner Suche nach Informanten anfangen sollte.

„Wie bitte, was? Ah...Verfluchter Mist!!“

Bei der Anfrage Edwards ließ der Verkäufer eines seiner Töpfe fallen und riss sogleich die Arme in die Luft, nur um sich danach betroffen an den Kopf zu fassen.

Es war ein lautes, keramisches Klirren zu hören, als sich die Scherben auf dem Boden verteilten. Für eine kleine Weile herrschte scheinbar eine betretende Stille, doch kurz darauf blickte er zu Denjenigem, der augenscheinlich für sein Ungeschick verantwortlich zu sein schien.

Es verging ein weiterer peinlicher Moment, bevor sich sein Gesichtszug langsam zu einem etwas Ruhigeren wandelte. Dann legte er seine Hände auf die hölzerne Theke und lehnte sich mit dem Kopf zu den beiden vor. Da er schien, als wolle er ihnen auf ihre Frage antworten, traten die beiden näher heran.

„Doch ja, ich denke schon, dass ich euch etwas verraten kann aber erst...wenn ihr mir diesen Topf ersetzt!!!

Leonard und Edward sprangen bei seinem plötzlichen Ausbruch einen Schritt zurück, als der Töpferhändler hinter der Theke bei seinem Zornesausbruch zu spucken anfing. Dabei deutete dieser mit seiner Hand und einem vor Wut verzogenem Gesicht auf die Scherben, die unter den Regalen auf dem Pflastersteinboden lagen.

„Äh...“ Zurückgeschreckt wusste Edward nicht, was er ihm entgegnen sollte, wobei Leonard daraufhin das Wort ergriff.

„Das werden wir, aber haltet dafür bitte Euer Wort, denn diese Information wäre uns sehr wichtig.“

Direkt nachdem Leonard seinen, wie es Edward erschien, sehr höflichen Satz beenden konnte, unterbrach ihn der Töpfermeister mit einer Handbewegung, die andeutete, dass sie ein weiteres Mal etwas näher an die Theke treten sollten, was beide diesmal zögernder taten. Ihnen wurde mit der plötzlichen Ernsthaftigkeit bewusst, dass sie ihre Mission besser mit Diskretion behandelten. Bevor sich der Händler mit dem Wort an die beiden Kämpfer wandte, blickte er noch vorsichtig in alle Richtungen.

„Wenn Euch das, was ihr dort vorhabt wirklich ernst gemeint ist, dann habe ich genau die richtige Adresse für euch! Er ist ein guter Kämpfer mit großer Kraft, der für das Militär im Einsatz war. Der Krieg vor drei Jahren gegen König Ashnard ist euch Jungs sicherlich noch ein Begriff, oder? Er und sein damals achtzehnjähriger Sohn haben mitgekämpft als Soldat Daeins. Vater und Sohn kämpften Seite an Seite, doch nur er kam lebend zurück. Wirklich tragisch.

Er ist sicherlich lebensmüde genug ist euer verrücktes Vorhaben zu unterstützen.“

Seine Stimmung schlug von anfänglich wütend auf angeregt interessiert und schließlich begann er ihnen sensationsgierig und freiwillig mehr von dem Jemand zu erzählen, der ihnen anscheinend weiterhelfen könnte. Um alles unauffällig von Statten zu bringen, sortierte er bei ihrem Gespräch weitere Töpfe in die Regale, hin und wieder drehte er sich dabei kurz von ihnen weg.

„Er arbeitet in einer Bar, nur paar Gassen weiter von hier...wie hieß sie noch?

‚Krähenfuß’ , ja genau! Diese ist so heruntergekommen und viel zu uninteressant für die Besatzungstruppen, als dass sie irgendwie auffällig wäre.

Der ideale Platz für Leute mit Langeweile und daraus resultierenden Revolte-Ideen. Ihr würdet gut reinpassen!“ Er ließ ein leichtes Gelächter los.

Sie hatten gehört, was sie brauchten. Edward und Leonard wussten nun, was zu tun ist und nickten sich gegenseitig zu. Edward überhörte dabei die sarkastische Anspielung auf seine, für ihn scheinbar zu idealistische Vorstellung. Sie waren nun einen Schritt näher an ihrem Ziel und das war das, was zählte.

„Hey, danke für die Info! Schönen Tag noch!“ rief er mit gehobener Hand und einem verschmitzen Grinsen hinterher, bevor er gleich ansetzte zu gehen und dabei einen protestierenden Leonard durch den festen Griff an seinem Arm zwang sein Versprechen zu brechen.

Schnell waren beide hinter einer Gasse verschwunden.

„Ach, nichts zu dank- Warte...HEY! Ihr habt für den Topf nicht bezahlt!!! Oh VERMALEDEIT!

Erneut ertönte ein dumpfes Klirren als er bei seinem Ausruf einen weiteren Topf zu Boden schellen ließ.
 

„Hey Nolan, ich habe interessante Neuigkeiten für dich.“

Als er bemerkte, dass er angesprochen wurde, wandte er sich von der Arbeit hinter der Bar ab und dem Anderen zu.

„Was gibt es denn jetzt? Siehst du nicht, dass ich zu tun habe?“

Er war ein stattlicher Mann in den frühen Vierzigern mit weinrotem Haar im Mittelscheitel, welches ihm gewellt fast den Schultern auflag und sein kurzer, gepflegter Vollbart zierte seine Oberlippe bis zum Kinn. Das Gesamtbild, welches seine Erscheinung ausstrahlte, könnte man als sehr freundlich bezeichnen. Nur seine dunklen, zyanblauen Augen verzogen sich von seiner neutralen Miene in eine leicht Misstrauische, als er sich seinem bekannten Gegenüber mit recht wenig Interesse zuwandte. Bei seinem Blickkontakt fuhr er fort.

„Es sind zwei Träumer an der Tür, die es wohl wirklich ernst meinen mit...du weiß schon was...“

Die nun lässige Sitzhaltung des Stammgastes an der Bar wandte sich zum Eingang, an dem Leonard und Edward standen, welche ihn zuvor an der Türschwelle darüber ansprachen, was allen ohne Worte offensichtlich war.

Die gesamten Blicke der anderen Gäste waren auf sie gerichtet soweit es ihre Sitzhaltung ermöglichte. Beide versuchten einen so souveränen Eindruck zu vermitteln, bei dem sie eine stramme Haltung einnahmen, doch bei genauerem Hinsehen war es die Wirkung ihrer Anspannung auf diese äußerst unangenehme Situation. Sie sahen sich in ihrem Zielort, dem „Krähenfuß“ um.

Leicht schauderten die beiden bei diesem Anblick und fühlten sich wie Eindringlinge in dem Bau eines Laguz. Die Luft war stickig und feucht und roch nach einer Mischung aus Essen, Alkohol, Rauch und Menschenmengen. Das Lokal wies an einigen Stellen Löcher in den Dielen auf, an einer Ecke sah man eine Maus die Wand entlang flitzen, einige Fliegen kreisten um die Öllampen, welche an der Decke hingen und von denen einige zerbrochen waren und auf einem Tisch in der rechten Mitte des großen Raums lag ein betrunkener Mann, aus dessen offenem Mund der Speichel träufelte.

Sie waren offensichtlich die jüngsten in diesem Lokal. Die Blicke, die ihnen die Gäste zuwarfen waren mürrische, alkoholisierte und leere Blicke ohne jegliche Hoffnung.

Die heruntergekommene Gaststätte vermittelte einen elenden Eindruck, ideal für einen Standort geheimer Machenschaften weit von den Ohren jeglicher Besatzungstruppen.

Es war fast bemitleidenswert, dachte sich Leonard, wenn er nicht wüsste, dass sie selbst den Weg der Resignation eingeschlagen haben. Doch er würde handeln.

Auf einmal grölte ihnen Jemand entgegen.

„He, Jungs, der Spaß geht doch erst in der Nacht los!“ Der offensichtlich betrunkene Besucher lachte bei seinem anstößigen Kommentar auf, begleitet von dem Gelächter anderer Gäste.

Ein wenig eingeschüchtert betraten beide nun das Lokal und liefen auf die Bar zu, den Ruf geschickt ignorierend. Der Informant, welcher am Rand der Theke saß, beäugte die beiden aufs Genaueste.

Edward fühlte sich in jedem Schritt, den er tat unwohler und versuchte an der Bar so locker wie möglich zu wirken.

„Zweimal das Übliche“ rief er dem Barkeeper zu, während er sich lässig auf einen der Stühle setzte und seinen Arm an der Theke abstützte. ‚Ich muss nur cool genug wirken, dann kommen wir leichter weiter!’

„Jemanden wie dich habe ich hier nie gesehen, also wie kann ich wissen was dein Übliches ist, Bürschchen?“

„Ehhh...“ kam es ihm dabei als Einziges heraus.

‚Soweit hab’ ich wohl noch nicht gedacht. Mist!’ Edward war sonst nie ein aktiver Gast in einem Lokal gewesen und kannte sich mit den Sitten und den Getränken nicht aus als dass er etwas bestellen konnte.

Man konnte ihm die innere Anspannung und Hilflosigkeit fast schon ansehen.

Leonard, der bis jetzt noch hinter Edward stand, ging mit einem leichten Kopfschütteln auf den Braunhaarigen zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter, warf ihn einen kurzen Blick zu, der ihm sagte ‚Ich mach das schon’ und wandte sich dann zu dem Barkeeper.

„Zweimal einen doppelt geschossenen Cyder“ bestellte er.

Edward kam sich nur noch mehr wie ein Idiot vor, aber seine Anspannung legte sich mit Leonards Rettungsaktion.

„Mensch Leonard, du hast wohl auch so deine Abende gehabt, oder?“ entgegnete er ihm flüsternd, als der Blonde sich an seine linke Seite stellte.

‚Der kennt sich mal wieder aus hier...’ Ein leicht genervter Blick ging dabei auf seinen Kumpanen, da es erscheint als wüsste er alles besser.

Leonard konnte dabei nur leicht grimassieren. „Das waren wohl weniger meine Abende...Nun ja, man kann als gesitteter Mann keine Anfrage einer Dame ablehnen.“

Leonard erinnerte sich nicht gerne an die offensiven Anfragen einiger Frauen jüngster Vergangenheit. Aber er musste sich selbst eingestehen, dass ihn das für einige alltäglichen Dinge gerüstet hat, wie das Problem in der Bar bewies.

‚Also ein Frauenheld. Bei seinem gesitteten Verhalten und gutem Aussehen ist es nicht verwunderlich, dass die Frauen auf ihn fliegen...’ leichte Komplexe stiegen in dem Braunhaarigen auf, als der Blondhaarige ihn kurz von seinen Erfahrungen erzählte.

Leonard erntete für seine Aussage einen Hauch von Neid. Wie konnte es nur immer sein, dass er in allem so gelassen erschien und so leicht jedes Problem löste?

„Hier. Und nicht zu schnell trinken, Jungs.“

Der Mann an der Bar mit den stechenden, blauen Augen schmunzelte kaum erkennbar den beiden jungen Kämpfern zu, während er ihnen ihre Spirituosen an die Theke abstellte. Anscheinend amüsierte er sich an dem Blick zweier Junggesellen, die selbst in Zeiten wie dieser noch versuchten sich den Abend schön zu trinken. Edward war mit dieser neuen Umgebung ein wenig überfordert und schien nicht wirklich darauf zu reagieren, was sein Gegenüber ihnen sagte. Er schaute sich mit nervösen und leicht verstohlenen Blicken in dem heruntergekommenen Schuppen um, indem die unzurechnungsfähigen Menschen ungewöhnliche Sachen von sich gaben und eine teilnahmslose Existenz darstellten.

Dieser Ort war ihm sichtlich nicht ganz geheuer, denn er strahlte eine fast unerträgliche Spannung aus mit einer Mischung von schwerwiegender Passivität, welche die raucherfüllte Luft um sie herum in Edward dumpf knistern ließ.

Nur einige Sitze zu seiner Rechten entfernt hing der Kopf eines stark alkoholisierten Gast knapp über einem Maß Bier, was er fest in seiner Hand hielt.

Als er Edwards Augen auf sich spürte, richtete er seinen Blick von seinem Fass langsam auf ihn. Der Schwertkämpfer schauderte merklich, als sich ihre Blicke trafen und das leichte, fast schon düstere Lachen des Mannes mit einer Nuance Amüsierung ließ seine Nackenhaare aufstellen. Hastig wandte er sich ihm wieder ab und richtete sich an dem Hocker der Bar auf, sodass er kerzengerade und stramm dasaß und so tat, als wäre nicht das Geringste geschehen.

Nicht, dass er wieder eine Dummheit anstellte.

Leonard ergriff die Chance und hielt bei dem Kommentar des weinrothaarigen Mannes Augenkontakt. Sein Blick wurde ernst und wandelte sich zunehmend zu einem, der etwas verstecken möchte und mit einer leichten Handbewegung bat er ihn näher an die Theke zu treten.

Auch die Miene des Mannes wurde ernster und doch trat zwischen ihnen eine Art stilles Verständnis auf, da es sich augenscheinlich um das handelte. Er wusste nicht was genau ihm der blonde junge Mann mit diesem Zusammenhang mitteilen wollte, aber er schien ein wenig zu zögern als sei er empört darüber mit jemanden reden zu müssen. Er verfinsterte seine Miene ein wenig, dennoch trat er näher zu ihm heran, um ihn anzuhören.

„Was ist?“ Nur für einen kurzen Augenblick zeigte sich die Anspannung in ihm, welche er eigentlich durch seine kurze Anfrage zu verstecken versuchte.

Leonard riss sich zusammen, um so gelassen wie möglich zu wirken, denn auch er war angespannt.

„Seid Ihr Nolan?“ Nach Leonards Frage schien die Umgebung für einen kurzen Moment zu verstummen. Er wartete auf eine Antwort, doch der Mann gab ihm nur einen leicht überraschten Blick, welcher so schnell wie er kam sich auch wieder verflüchtigte.

Er richtete sich auf, wandte sich dem Blonden ab und seiner Bar zu, um ein Trinkfass zu ergreifen, welches in dem Waschbehälter darauf wartete gereinigt zu werden und ging, als sei nichts geschehen, seiner gewohnten Tätigkeit nach.

Leonards Blick war dabei geduldig auf seinem Rücken fixiert, die Hand, die er bei seiner Frage flüsternd gehoben hatte, legte er nun wieder sanft auf die Theke ab und wartete.

Es schien, als müsste sich sein Gegenüber erstmals sammeln.

„Ja, ich bin Nolan. Ich wette ihr seid deswegen hier.“ Seine Stimme klang gefasst doch in ihr verbarg sich etwas Eigenartiges, was Leonard nicht herauszufinden vermochte.

Woah...Das brennt!!!“ kam es auf einmal zu Leonards Rechten, als Edward seinen Apfelschnaps wieder auf den hölzernen Untergrund legte und dabei eine missfallende Miene zog. Leonard richtete seine Aufmerksamkeit nur kurz auf den Schwertkämpfer, ehe er sich wieder Nolan zuwandte, der seinen Kopf bei Edwards Kommentar leicht in seine Richtung über die Schulter neigte, als wolle sehen was passiert war.

In seiner Position verharrend konnte Leonard einen kaum hörbaren Seufzer vernehmen.

„Nicht hier. Trinkt aus und trefft mich am Hintereingang, dort reden wir weiter.“

Er setzte an zu gehen, doch drehte sich noch einmal zu den jungen Männern und flüsterte ihnen zu.

„Noch einen gut gemeinten Rat, Jungs. Ihr solltet euren Schnaps wirklich austrinken, er ist die Spezialität des Hauses, auf die die Chefin sehr stolz ist. Es wäre nicht sehr vorteilhaft ihren Unmut auf euch zu ziehen...“

Daraufhin winkte er einer vollschlanken Frau in der Küche zu, die vor ihr auf den Tresen ein halbes Schwein liegen hatte und ihr Metzgermesser schärfte. Sie antwortete auf Nolans Ankündigung, indem sie ihren Arm hob und erlaubte ihm in seine wohlverdiente Pause gehen zu können.

Ihr Blick wanderte von ihm auf die neuen Besucher an der Theke, in dessen Gläsern sie ihren Apfelschnaps erkannte und lächelte ihnen zu.

Nolans Gesicht konnte man noch ein Lächeln aberkennen, bevor er sich wegdrehte und nach wenigen Schritten hinter einigen Türen verschwand, um nach draußen zu gehen.

Bei diesem Anblick zwangen sie sich automatisch ein Lächeln auf, was eher gequält als freudig erschien.

Sichtlich eingeschüchtert nahmen die beiden Kämpfer daraufhin völlig synchron ihre Gläser in die Hand, lächelten der Chefin zu, um ihr wohlwollen zu begrüßen und tranken sie in einem Zug aus. Ohne jeglichen Protest oder Anzeichen der Schwäche zu zeigen liefen sie stramm und gerade, nachdem sie die passende Anzahl Goldstücke auf der Theke hinterließen, mit brennender Kehle aus der Stube in Richtung Hauptausgang.

Sobald die Türe hinter ihnen geschlossen war, brach aus Edward ein Hustenanfall und Leonard griff sich, ein wenig dezenter als sein Begleiter, an das Stück heiße Kohle in seinem Hals. Er musste zugeben, dass dies ein starker Schnaps war.

„Boah!! Das war wie brennender Saft! Aber ehrlich, warum musstest du auch ’nen „doppelt geschossenen“ bestellen? Hätte da ein normaler denn nicht gereicht?“

kam es aus dem Braunhaarigen geplatzt, das leichte Entsetzen war dabei deutlich zu hören, wobei er in einer leicht gekrümmten Haltung stand.

Sein Gesicht hatte immer noch die leicht missfallende Miene, welche diesmal auf Leonard gerichtet ist. Er stand da, als wollte er sich jederzeit übergeben. Zugegeben, es war ihm ein belustigender Anblick, dachte der Blondhaarige.

„Manchmal muss man sich den Respekt durch die härtesten Spirituosen ertrinken, bevor man weiterkommt. Nur dann sind die Informanten auch bereit ihr Wissen zu teilen und dir zuzuhören.“ Als er den Schwertkämpfer so sah kam ihn ein Gedanke auf.

„Aber...Sag bloß das war das Erste, was du jemals an Alkohol zu dir genommen hast?!“

Die Antwort war nur ein leicht grimmiger Blick, welcher von seiner weiterhin gebeugter Haltung vergeblich versuchte ernsthaft auszusehen. Daraufhin fühlte Leonard sich schuldig und schluckte leicht, nicht nur wegen dem brennenden Effekt des Schnapses.

„Nun...Herr Nolan wartet hinter der Gaststätte. Wenigstens sind wir unserem Ziel ein kleines Stückchen näher, meinst du nicht auch? Komm, lass uns gehen.“ versuchte der Blondhaarige ihn zu ermutigen, sodass der stechende Hals nicht umsonst eingebüßt wurde.

Das schien Ermutigung genug, als sein Kumpan mit schnellem Schritt in die dunkle Gasse lief, nun scheinbar völlig frei jeder Beschwerden. Leonard schüttelte nur leicht den Kopf.

‚Ich werde aus ihm einfach nicht schlau...’ Er folgte ihm stillschweigend.

Doch als Leonard um die Ecke ging, lief er leicht in den Braunhaarigen, welcher ruckartig stehen blieb. Bevor er ihn fragen konnte warum er stehen blieb, folgte er dem festen Blick seines Begleiters und beobachtete die Szene, welche sich vor ihnen abspielte.

Drei der Soldaten Begnions standen an einem Haus und es schien als redeten sie mit einigen der Bewohner. Doch dies schien kein sehr versöhnendes Gespräch zu sein, denn sie beugten sich bedrohlich zu ihnen herab. Die alte Dame, welche an der Tür stand schien die Lage nicht ganz zu verstehen und reagierte nur sehr langsam auf ihre Anfragen.

Auf einmal packte einer der Soldaten sie am Arm und riss sie aus dem Haus, die Kinder, die hinter ihr standen schrieen vor Schreck und eines stolperte bei dem Versuch, sich an ihre Großmutter zu halten. Das älteste ihrer Enkel, ein junges Mädchen, wollte ihnen entgegenkommen und versuchte die Soldaten verzweifelt davon abzuhalten sie zu verletzen. Der Kleinste von ihnen, und doch noch beträchtlich größer als die alte Frau, trat an sie heran und packte sie am Kinn, um ihr Gesicht von allen Seiten wie eine Ware zu begutachten. Sein Gesicht war unter dem Helm nicht zu erkennen, doch es ekelte das Mädchen an und sie versuchte ihr Gesicht aus seinen Händen zu winden. Die alte Frau konnte nur schwach ihren Arm packen, den sie vergeblich aus dem festen Griff des Soldaten zu befreien versuchte. Ihr Gesicht war schmerzerfüllt und ihre Haltung krumm und sie räkelte sich elendig. Es schien als hatte er ihr bei dem heftigen Ruck etwas ausgerenkt.

Als erschlüge ihn der Anblick solch heuchlerischer Grausamkeit musste Edward sich an die Wand der Gaststube neben sich stützen. Leonard bemerkte, dass er zitterte und konnte sich vorstellen was dieser in dem Moment dachte, auch er empfand so, weshalb er ihn zurückzuhalten versuchte. Doch gerade als er die Hand hob, rannte Edward wie vom Pfeil getroffen mit einem lauten Geschrei auf die Soldaten zu.

‚Dass diese es wagen...!!!’ Sein Bauch füllte sich mit Rage und sein Gesicht verzog sich wutentbrannt. Untätig zusehen, das würde er absolut nicht dulden.

„Nein!! Komm zurück!“ hörte er noch seinen Kumpane rufen, doch stießen sie auf taube Ohren.

‚Was tut er da? Das ist Selbstmord!!’ dachte er sich entsetzt, als er nun sah, dass Edward deren Aufmerksamkeit auf sich zog. Sofort richteten sie ihre Blicke auf ihn, der Größte der Soldaten zückte sogleich seine Lanze und richtete sie auf ihn.

Doch auf einmal wandelte sich die Haltung des tollkühnen Retters und er schwankte heftig zur linken Seite. Mit einem überraschten Ausruf und lautem Getöse stieß er, vollkommen unheroisch, gegen den Stapel leerer Fässer und stolperte über sie. Sie verteilten sich daraufhin über die gesamte Gasse hinweg, einige rollend, andere hüpfend wie Springböcke mit hölzernem Klang. Wie eine akrobatische Meisterleistung landete er mit einem Salto mit dem Rücken in der leeren hölzernen Pferdetränke, welche sich versteckt hinter den Fässern befand. Er lag nun vollkommen reglos darin, ein leicht schmerzhaftes Stöhnen war noch von ihm zu hören, bevor sein Arm unkontrolliert und vergessen aus der Tränke an der Seite schwang.

Er war nun vollkommen wehrlos und offen für jeden Angriff.

‚Sie werden ihn töten!’ Leonard befürchtete das schlimmste.

Doch dann passierte das Unerwartete. Der kleinste der Soldaten platze aus vor Gelächter und hielt sich vor Amüsierung den Bauch, das Mädchen wurde dabei vollkommen vergessen. Er krümmte sich vor Lachen und suchte an der Schulter des anderen Soldaten Halt, welcher nun auch den Arm der Großmutter losließ. Der dritte Soldat mit der Lanze in den Händen war bei dieser Reaktion völlig überfordert. Sein Sturz war so unglaublich unvorhergesehen wie bescheuert, dass er erst überlegte was er tun sollte. Doch das unendlich begnügte Gelächter seines Kameraden stimme ihn auch amüsiert und er konnte sich ein vergnügtes Lachen nun nicht mehr verkneifen. Seine Reaktion wandelte alles ins Lächerliche.

Auch Leonard konnte es nicht fassen. Die Stimmung war eine vollkommen andere und seine Knie schienen durch die schwerwiegende Erleichterung nachzugeben.

Die Soldaten taten einfach nichts außer zu lachen, es war für alle einfach nur unbegreiflich wie man so eine Landung hinblättern konnte. Und der Soldat nahm, nachdem er mit dem stumpfen Ende höhnisch auf Edwards Bauch piekste, um zu sehen wie er reagierte, nach einer fast unerträglichen Weile, wie es Leonard schien, seine Lanze weg.

‚Ich muss etwas tun!’ dachte er dabei, denn jetzt ist die Zeit sich ihnen anzunähern. Und er muss ihn da rausholen solange sie noch heiter gestimmt sind.

„Haha...Das nenn’ ich mal ’ne Bruchlandung!“ kam es aus dem Anfang der Gasse, als Leonard langsam auf die Soldaten zulief. Auch auf ihn hatte der Schnaps seine Auswirkungen, doch zeigten sie sich nicht so stark wie bei seinem Gefährten, denn er konnte noch klar denken, laufen und sehen. Um ihnen einen vollkommen gefahrlosen Eindruck zu vermitteln gab er jedoch vor stark betrunken zu sein und torkelte auf sie zu.

Sie waren nicht sehr zufrieden widerwillig einen weiteren Eindringling zu sehen. Das Gelächter verstummte langsam, doch der kleinste der Soldaten zeigte immer noch mit dem Finger auf den Braunhaarigen in der Pferdetränke und durch die wohl scheinbar schon tränenden Augen unter seinem Helm waren die Worte kaum noch zu vernehmen, doch sie hätten etwas mit „Mensch, wie blöd, eh so was hab ich noch nie gesehn’! Der Salto, der Salto! Und plumms, hahaha!“ sein müssen.

„Und wer bist du? Noch so’n Spinner mit versteckten akrobatischen Fähigkeiten?“

Der Lanzenträger kam nun dem Blondhaarigen entgegen, sein Gesicht trug ein schelmisches Grinsen, ein leeres, denn es könnte alles Mögliche bedeuten. Innerlich bebte sein Körper vor Anspannung, er fühlte wie sein Herz schneller schlug und ein komisches Gefühl von Übelkeit. Er darf jetzt nichts falsch machen sonst gefährdete er die Leben beider. Er muss besonnen handeln und so erscheinen, als sei er willkürlich, den perfekten Grad von dreister Offenheit finden, wie es Betrunkenen angemessen wird und kameradschaftlicher Höflichkeit mit respektvoller Distanz vereinen.

‚Alles...nur tötet ihn nicht!’ Die Last der Verantwortung schien an seinem Inneren zu reißen.

Die ganze Aufmerksamkeit galt nun ihnen und er musste sie auf sich halten, sodass Edwards tollkühner Rettungsversuch nicht umsonst gewesen war. Alles, was noch geschehen würde, oblag der Laune der Soldaten. Er war vollkommen hilflos.



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  Lahmy
2010-10-19T12:54:55+00:00 19.10.2010 14:54
Schönes Kapitel ;D
Darauf habe ich gewartet.
Den ersten Schritt haben sie jetzt getan.
Ich finde es klasse, wie du die Euphorie und die Gefühle der beiden beschrieben hast, da sich ja mit diesem Schritt ja nicht nur positive Dinge bevorstehen und sich die beiden oder eher Leonard damit beschäftigen. Das zeigt den Ernst der Lage und stellt das Ganze in ein realistisches Licht. Den Effekt hast du gut erreicht.

Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel ;D

lg Lahmy


Von:  Lahmy
2010-07-21T12:46:57+00:00 21.07.2010 14:46
Holla ;D

Jetzt erstmal allgemein: Die Ff ist echt toll. Mir gefällt dein Schreibstil gut, wobei ich manchmal durch die etwas langen Sätze ein wenig verwirrt war, aber, dass hatte jemand schonmal erwähnt.

Man kann sich gut in die Leute hineinversetzen. Vorallem die Leute, die es so nicht gibt, also die, die du dir ausgedacht hast finde ich sehr authentisch in ihrem Verhalten.

Jetzt zum Kapitel selbst: Es war auf jeden Fall spannend. Die Stelle, die du als Ende genommen hast ist gemein xD Ich will wissen wie es weitergeht.

lG Lahmy
Von:  Toja_Satsuma
2009-10-24T15:12:52+00:00 24.10.2009 17:12
als erstes, du hast einen klasse Stil.
Wenn ichs so lese bereue ich's, Edward und Leonard im Spiel verloren zu haben.
Hoffe du schreibst weiter
LG
Toja_Satsuma
Von:  Black_Sakura
2009-08-28T13:37:31+00:00 28.08.2009 15:37
Huii~! X3

Ich finde dieses Kapitel sehr schön!! ^__^
Jener schicksalhafte Tag in Leonard's Leben wurde suuper beschrieben! Jede Menge Spannung war auch dabei!! Was mir besonders gefallen hat ist, dass du Leonard's inneren Kampf zwischen wegrennen und kämpfen sehr schön beschrieben hast!!
Die Parallele zu Edward's Geschichte mit der Sternschnuppe fand ich auch eine gute Idee! X3


Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel!! X3~
Mach weiter so!!! ^__^d

LG dat Stoffel! X3~
Von:  Black_Sakura
2009-08-26T11:52:42+00:00 26.08.2009 13:52
Sohooo, jetzt komm ich auch endlich mal zum Kommi schreiben!! ^__^

Ich weis, ich hab es schon öfters gesagt, aber ich sags gerne immer wieder,..
ich LIEBE deinen Schreibstil!! X3
Deine Charaktere wirken sehr lebendig und glaubwürdig!^__^ Vorallem gefällt mir der letztere Abschnitt indem man sich so richtig schön in Edward quasi "hineinversetzen"kann. Seine Gedankengänge sind echt schön beschreiben! ^__^

Das Einzige, was ich noch auszusetzen habe ist, dass du manchmal nen Zeitenwechsel drin hattest,... das verwirrt manchmal ein bisschen,.. lieber einfach ganz in der Vergangenheit bleiben^^

Ansonsten find ich das supper gelungen!!! X3
Mach weiter so!! ^__^d

LG dat Stoffel X3~
Von:  Akimon
2009-08-24T16:45:41+00:00 24.08.2009 18:45
Hoi hoi! ^^-

Sooooo....jetzt will ich doch mal die Erste sein! :D

Also erst mal finde ich den Anfang schön gelungen. Er zieht den Leser in die Geschichte und den Text hinein.

Ach ja Humbug wird mit "g" geschrieben nicht mit "ck" und der lange Ausbruch des alten Mannes ganz zu Anfang ist ziemlich verworren geschrieben. Teilweise hast du auch die Perspektive gewechselt. Er hat sehr viel um den heißen Brei herumgeredet und zum Schluss hat man nicht wirklich verstanden, was er eigentlich damit meinte. Die Sätze sind einfach etwas verzwickt sag ich mal.

Der Schreibstil ist auch recht flüssig, nur hat man das Gefühl, dass der Text nicht richtig "lebt" sag ich mal. Du gibst der Vorstellung nur die Augen, aber keine Nase, Ohren oder Spürsinn. Was sieht der Chara alles? Was hört er oder riecht er? Welche Tageszeit oder Jahreszeit ist es gerade? Wie fühlt er sich? Eine Besonderheit die ihm auffällt?
Nun ja, viele Fragen, die ruhig in knappen Sätzen beantwortet werden können. Dann häuft sich das trotzdem und man hat schon einen schönen Absatz ^^-
Manchmal sind deine Sätze jedoch etwas verworren, teilweise durch seltsame Kommasetzung verstärkt. Versuch nicht allzu kompliziert zu schreiben. Oft wirkt das Simple viel effektiver als etwas Kompliziertes.

An kontreten Beispielen versteht mans am Besten; hier dieser Satz ist ziemlich abgehackt. Da würden Punkte oder Verbindungsworte besser passen
Zitat:
~Am Kamin brannte ein Feuer, das leise Knistern der Flammen ließ ihn unweigerlich schaudern, er verband eher schlechte Erinnerungen daran.~

Und hier ist was doppelt gemoppelt
Zitat:
~Es scheint als müsse Edward gehen. „Musst du schon gehen?“ sagte er leise.~

Mir ist auch aufgefallen, dass du von der Vergangenheit oft einfach in die Gegenwart wechselst. Darauf musst du achten. Ne Geschichte wird grundsätzlich immer in der Vergangenheitsform geschrieben.

Was mir allerdings sehr gut gefallen hat ist deine Charaktergebung. Alle Leute in der Story wirken glaubhaft, echt und heben sich durch ihre kleinen Besonderheiten hervor! Da muss ich dich wirklich loben. Das ist dir richtig gut gelungen.
(ich frage mich, ob ich das bei den Links auch so gut hinbekomme? <_<)

Und ich finde, dass dieses Kapitel als Prolog ungeeignet ist. Es ist nicht so aussagekräftig und zieht sich für einen Prolog auch zu lange. Als einleitendes Kapitel wärs echt gut. Abgesehen davon braucht man nicht immer einen Prolog. Ich hab ja auch keinen! xD

Nun ja, sorry wenn ich vielleicht etwas gemein bin, gleich am Anfang so viel zu kritisieren ^^" Ich wollte dir einfach ein umfassenden Kommentar schreiben und alles ist absolut gut gemeint!
Ich finds toll, dass du dich dran gewagt hast und ich freue mich schon riesig darauf wenn Edward und Leonard aufeinandertreffen!!! x3
Und wenns dann richtig mit der Liebe anfängt!!! X333

Schreib auf jeden Fall weiter!!!

*knuffz*

Deine Aki


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