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Die Super Nanny in Japan

von

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Ein letzter Versuch

Ich erwartete Hiroses Ankunft im Garten.

Der vordere Bereich des Grundstücks am Haupteingang war nicht so idyllisch landschaftsgärtnerisch gestaltet, sondern eher karg gehalten. Lediglich einige niedrige Büsche säumten den Weg aus Steinplatten.

Ich verließ den inneren Bereich des Wohnkomplexes, der durch eine zusätzliche Mauer innerhalb des Geländes umschlossen war, und setzte mich auf einen großen Findling etwas abseits des Weges, von wo aus ich das Tor gut im Auge behalten konnte.

Eigentlich hatte ich mir jetzt in Ruhe meine Worte überlegen wollen und wie ich die Konfrontation am besten eröffnen sollte. Die Art meiner Gesprächsführung war von entscheidender Bedeutung. Mehr denn je fehlten mir gerade jetzt meine beiden Psychologen, die mir sonst bei meiner Arbeit mit dem Fernsehteam beratend zur Seite standen. Ich versuchte, mich an alles zu erinnern, was sie mir je vor schwierigen Gesprächen erzählt hatten.

Stattdessen war mein Kopf plötzlich wie leer gefegt. Und obwohl der Garten hier so scheinbar weniger kunstvoll gestaltet war, überkam mich eine große Ruhe.

Vielleicht war es aber auch nur meine Müdigkeit.

Oder die Abendstimmung, die sich über die Stadt senkte.

Auf dem Dach eines der vielen Häuser der Nanjos sang ein Vogel eine wundervolle Melodie.

So kam es, dass ich überhaupt keinen Plan hatte, als Hirose endlich durch das Tor schritt.

Es war schon fast dunkel, und die Laternen an der Gartenmauer brannten bereits und tauchten das Gelände in ein grautöniges Dämmerlicht.

Kurauchi hatte ihm die Tür geöffnet (musste er nicht den Wagen parken?), und als ich mich aus dem Schatten löste, fuhr seine Hand unter das Jackett. Zum Glück erkannte er mich noch, bevor er mich erschießen konnte, und entspannte sich wieder.

„Saalfrank-san. Guten Abend. Haben Sie mich erwartet?“ fragte Hirose und klang genauso erschöpft wie ich mich fühlte. Anscheinend hatte er einen langen, anstrengenden Tag in der Firma hinter sich. Ich gab mich einen Moment der Versuchung hin, unser Gespräch auf den nächsten Tag zu verschieben. Hirose hielt einen merkwürdigen, unförmigen, dunklen Gegenstand in der Hand.

„Guten Abend. Ja, ich habe auf Sie gewartet. Ich möchte heute noch mit Ihnen sprechen, wenn das möglich ist“, hörte ich mich sagen. Es war zu dringend, und ich hatte zu wenig Zeit, um es aufzuschieben.

„Natürlich“, entgegnete er höflich. „Bleiben wir ruhig im Garten und genießen die Nachtluft.“

Es war wirklich eine schöne, milde Nacht, und er führte mich in den hinteren Bereich des Anwesens, den ich noch nicht kannte, und wo sogar ein kleiner Bachlauf angelegt war. Niedrige, steinerne Laternen zeigten uns den geschwungenen Verlauf des Weges, und Hirose blieb auf einer anmutig gewölbten Holzbrücke stehen, die über das schmale Bachbett führte. Zum Glück hatten wir fast Vollmond. Die goldene Kugel schien durch die schwarzen Zweige einer Kiefer und erhellte Hirose gerade soweit, dass ich seine Gesichtszüge erkennen konnte. Und noch etwas anderes konnte ich jetzt erkennen. Er hatte den Gegenstand, den er in der Hand gehalten hatte, auf das Brückengeländer gesetzt, und während er sich eine Zigarette anzündete, erkannte ich, was es war: ein kleiner Stoffaffe, dessen Arme weit ausgebreitet zu einer Umarmung einluden.

„Der ist ja süß“, sagte ich überrascht. „Da wird sich Tatsuomi bestimmt freuen.“

„Ich hoffe es“, sagte Hirose und klang merkwürdig unbeteiligt. „Er soll helfen, die Monster fernzuhalten.“

Ich war gerührt über diese Geste. „Aber das wird leider nicht ausreichen“, sagte ich bedauernd. „Ich habe inzwischen erfahren, was mit Tatsuomi geschehen ist. Warum er sich so verhält. Und ich weiß auch, warum ihm das passiert ist. Ich habe mit Yugo Horiuchi gesprochen. Und übrigens auch mit seinen Eltern.“

Ich beobachtete Hiroses Gesicht, das jedoch völlig ausdruckslos blieb. Er nahm lediglich einen tiefen Zug aus seiner Zigarette.

„So“, sagte er. „Dann wissen Sie es jetzt also.“

Er blickte auf das vom Mondlicht besprenkelte, dunkle Wasser. „Das ändert aber nichts an meiner Einstellung dazu.“

„Das ist Ihre Entscheidung. Es ist nicht meine Aufgabe, Sie zu verurteilen. Ich möchte Sie nur verstehen. Immerhin kann ich jetzt besser nachvollziehen, warum Sie nicht möchten, dass über diese ganze Angelegenheit gesprochen wird. Allerdings werden Yugos Eltern sicherlich mit seinem Bruder sprechen. Vielleicht kommt da doch noch eine Anzeige auf Sie zu.“

Hirose hob nur lässig die Hand und blies eine graue Rauchwolke in die Nacht. „Ich habe gute Anwälte. Aus dieser Richtung habe ich nichts zu befürchten.“

Bedeutete das, aus einer anderen Richtung befürchtete er etwas?

„Wie konnten Sie überhaupt so etwas tun? Das passt gar nicht zu dem Eindruck, den ich von Ihnen habe. Wie passt das zu den festen moralischen Grundsätzen Ihrer Schwertkunst? Ehre, Pflichtgefühl…“

Er lachte trocken, humorlos. „Schon gut. Ich weiß selbst, dass das ein Fehler war. Und es tut mir leid, dass Tatsuomi darunter zu leiden hat.“

„Wenn Ihnen das wirklich leid tut, dann geben Sie ihm die Hilfen, die er braucht.“

„Er bekommt ausreichend Hilfe. Wir werden Ihre Ratschläge umsetzen, dann geht es ihm bald besser. Sie machen hervorragende Arbeit, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.“

Himmelherrgottnochmal! Er sprach so ausdruckslos, als würden wir über das Wetter reden. Wo waren seine Gefühle dazu? An die musste ich irgendwie heran kommen… Stattdessen spürte ich nur mein eigenes Gefühl sehr deutlich, und zwar, dass ich mal wieder wütend wurde auf ihn, vielleicht, weil er mich für etwas lobte, wobei ich selbst das Gefühl des Versagens hatte.

Ich bemühte mich um einen neutralen Ton: „Ich bin Pädagogin. Eine traumatische Störung, wie Ihr Sohn sie hat, übersteigt meine Kompetenzen, wie Sie ganz genau wissen.“ Ich ließ das Thema erstmal wieder fallen; ich spürte, dass es keinen Zweck hatte, noch weiter auf diesem Punkt herum zu reiten. „Aber jetzt wollte ich auch eigentlich über Sie sprechen und weniger über Tatsuomi. Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Warum haben Sie Takuto vergewaltigt?“

„Das geht Sie nichts an. Das hat mit Ihrer Arbeit nichts zu tun.“

„Das sehe ich anders“, sagte ich, nicht willens, locker zu lassen. Aber ich änderte die Richtung. „Yugo hat gesagt, er schläft schlecht seit jenem Tag. Er wacht nachts auf und hört Tatsuomi schreien… Wie geht es Ihnen mit Ihrer Tat? Ist es das, was Sie von sich abwaschen wollen – Ihre Schuld?“

„Das ist Unsinn. Ich will nichts von mir abwaschen. Und diese Sache ist völlig unwichtig.“ Die Zigarette glimmte unbeachtet zwischen seinen Fingern.

„Unwichtig?“ entfuhr es mir. „Das ist jetzt doch wohl nicht Ihr Ernst, oder? Das ist ein Verbrechen, wenn ich Sie daran erinnern darf.“

„Ich sagte doch schon, dass es ein Fehler war. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen. Es hat auch gar nichts gebracht.“

„Was sollte es denn bringen?“

„Das verstehen Sie nicht.“

„Dann erklären Sie es mir!“

Er schwieg. Er holte einen kleinen Taschenaschenbecher aus seiner Manteltasche und entsorgte den Zigarettenstummel, nur um sich gleich eine neue Zigarette anzuzünden.

„Es geht um Koji, Ihren jüngsten Bruder, nicht wahr?“ bohrte ich weiter. „Ihn wollten Sie damit treffen. Aber warum ausgerechnet auf diese Art?“

„Sie verstehen das nicht“, wiederholte er.

„Versuchen Sie es doch“, sagte ich ruhig.

Wieder schwieg er, doch dieses Mal wartete ich ab. Und tatsächlich. Nach einer gefühlten halben Ewigkeit, begann er endlich, mit mir zu reden.



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