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Die Super Nanny in Japan

von

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Beichte

Yugos Familie wohnte ganz in der Nähe in einem dieser mehrstöckigen, unpersönlichen Wohnblocks, die in jeder großen Stadt reichlich vorhanden waren. Obwohl ich wusste, dass in Japan Wohnraum sehr knapp und teuer war, war ich doch erstaunt, wie beengt die Menschen hier lebten. Die Wohnung war für europäische Maßstäbe winzig, das Haus der Nanjos dagegen wirklich ein Palast, aber trotz der Enge war es sehr ordentlich und sauber.

Yugos Eltern waren erstmal total perplex, als wir mit ihrem Sohn vor der Tür standen. Nachdem wir uns vorgestellt und kurz erklärt hatten, dass wir wegen ihres Sohnes mit ihnen sprechen wollten, und dass es dringend war, baten sie uns höflich herein. Wir wurden in ein Wohnzimmer geführt, das vielleicht zwölf Quadratmeter groß und völlig ausgefüllt war mit einer Schrankwand, in der neben vielen Büchern ein Fernseher stand, und einem niedrigen Tisch mit den obligatorischen Sitzkissen.

Ich war sehr froh, dass Nami dabei war und die Formalitäten für mich übernahm, denn am Anfang wurden erstmal nur ausführliche Entschuldigungen wechselseitig ausgetauscht. Wir, weil wir unangemeldet unhöflicherweise hereinplatzten und sie, weil sie uns nur ihre bescheidene Behausung ohne große Annehmlichkeiten bieten konnten, oder so. Danach beschränkte sich Nami wieder auf ihre Dolmetscherinnenrolle, aber ich hatte auch hier noch das Gefühl, dass sie irgendwie nervös war unter ihrer kühlen Fassade.

Yugo berichtete kleinlaut von seiner Tat, nicht so ausführlich wie uns und jetzt auch ohne jede Schadenfreude. Er war wie ausgewechselt, aber seine Beschämung wirkte echt. Und obwohl er zu seinen Eltern sprach, ließ er Nami genügend Zeit, um mir zu übersetzen. Seine Eltern reagierten völlig normal und waren erstmal total fassungslos. Ich war erleichtert, als sich herausstellte, dass der Junge offenbar vorher noch nie in solch einer Richtung auffällig geworden war.

„Wieso hast du das nur getan?“ fragte seine Mutter erschüttert.

Yugo erzählte, wie es dazu gekommen war. Sein Vater hieb mit der Faust auf den Tisch und knurrte ein paar unfreundliche Worte, die mir Nami vorenthielt, glaube ich.

„Damit ist er zu weit gegangen“, sagte er und schon auf, noch während Nami mir übersetzte. „Den zeige ich jetzt bei der Polizei an!“ Er griff nach dem Telefon.

„Er meint Hirose“, fügte Nami, ein wenig hektisch, hinzu.

„Nein, lassen Sie das bitte!“ sagte ich schnell. „Sie sollten jetzt nichts überstürzen! Bevor Sie Schritte einleiten, sollten Sie auf jeden Fall vorher mit Takuto sprechen. Bitte, setzen Sie sich erstmal wieder, und lassen Sie uns reden.“

Die Hand hielt unschlüssig den Telefonhörer.

„In einem solchen Fall hat der Opferschutz immer absolute Priorität“, erklärte ich. „Ich kann verstehen, dass Sie aufgebracht sind und etwas unternehmen wollen, aber Sie müssen unbedingt dabei bedenken, was für Ihren Sohn das Beste ist. Wenn Sie Mr. Nanjo anzeigen, bedeutet das für Takuto peinliche Verhöre bei der Polizei, er muss vielleicht öffentlich vor Gericht seine Aussagen wiederholen, wird womöglich von einem skrupellosen Anwalt ins Kreuzverhör genommen… das alles kann den Schaden durchaus noch vergrößern. Bitte, unternehmen Sie nichts, was Sie nicht mit Takuto abgesprochen haben!“

Er setzte sich mit düsterer Miene wieder zu uns an den Tisch.

„Es ist ja auch noch nicht sicher, was wirklich geschehen ist. Vielleicht hat Yugo auch etwas missverstanden…“, sagte ich.

„Nein, ich bin aber ganz sicher“, protestierte er sofort.

„Das glaube ich dir ja auch. Trotzdem kann es sein.“ Ich wandte mich wieder an die Eltern. „Bitte, klären Sie das mit Ihren Söhnen. Ich werde heute noch mit Mr. Nanjo sprechen. Und im Moment geht es auch erstmal um Yugo. Er hat große Angst, dass Sie ihn jetzt nicht mehr bei sich haben wollen, und er wieder ins Kinderheim muss.“

Die Mutter schüttelte sofort entschieden den Kopf und strich ihm liebevoll über das Haar. Sie sagte ein paar Worte, und ich brauchte keine Übersetzung, um zu hören, dass Yugos Sorge unbegründet gewesen war.

„Was raten Sie uns, sollen wir jetzt tun? Wie bestraft man so etwas?“ fragte mich der Vater.

„Mit Strafe erreichen Sie nicht viel“, sagte ich. „Wichtiger ist, dass er Verantwortung für seine Tat übernimmt, dass er einsieht, welchen Schaden er verursacht hat. Da ist er schon auf einem guten Weg, denke ich. Trotzdem empfehle ich Ihnen dringend, sich Hilfe zu holen, es gibt gute Konzepte für die Arbeit mit Tätern. Er muss auch lernen, mit der Schuld umzugehen. Unterschätzen Sie dieses Problem nicht. Es gibt hier sicherlich wie in Deutschland Beratungsstellen, an die sie sich wenden können, und die Ihnen gerne weiter helfen.“

Nami nickte bestätigend, und im weiteren Gespräch hatte ich das Gefühl, dass in dieser Familie die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden würden.

Beim Abschied fragte Yugo mich etwas verlegen: „Kann ich mich denn bei Tatsuomi entschuldigen? Ich könnte ihm doch sagen, dass es mir leid tut, und dass er keine Angst mehr zu haben braucht.“

„Das ist eine gute Idee, das finde ich toll, dass du das sagst. Vielleicht kannst du das irgendwann tun, aber Tatsuomi muss das auch wollen, verstehst du?“

Er nickte ernst.

„Ein echtes Schuldeingeständnis kann Opfern von Gewalt total gut tun“, sagte ich zu seinen Eltern. „Aber das muss in jedem Fall individuell entschieden werden. Solch ein Treffen sollte nicht unbedacht arrangiert werden, und muss mit allen Beteiligten gut abgesprochen werden. Das Wohl des Geschädigten, also Tatsuomis Wohl, sollte dabei immer im Mittelpunkt stehen. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen alles Gute, und melden Sie sich ruhig, falls Sie noch Fragen haben sollten. Sie haben einen sehr einsichtigen Sohn. Ich glaube, er wird so etwas nicht noch einmal tun.“



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