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Antarctica - im Herzen des Eises

eine Sammlung von Oneshots, zu einer durchgehenden Story zusammengefasst
von

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Vorstoß

omg, sorry, dass es gar so lange gedauert hat! *verkriecht sich in eine Ecke* jedenfalls, jetzt gibts eine weitere kleine Geschichte über Antarctica. Cesaja spielt hier wiederum nur eine sehr winzige Rolle, dafür hab ich diesmal die Generäle stärker in die Pflicht genommen.
 

Hauptcharaktere: Chargal (53 Jahre alt, Fähigkeiten: Gestik/Empathie 2. Grades, Rang: General), Sarmagon (51 Jahre alt, Fähigkeiten: Dunkelheit/Telepathie, Rang: General), Lucarna (25 Jahre alt, Fähigkeiten: Nekromantie/Beschwörung, Rang: General), Arius (61 Jahre alt, Fähigkeiten: Licht/Voraussicht, Rang: General), Marina (44 Jahre alt, Fähigkeiten: Illusion/Schild, Rang: General)
 

Chargal lehnte sich zurück und betrachtete das Brett vor sich. Dann seufzte er resigniert: “Du betrügst doch! Das gibt’s doch nicht, dass du dauernd gewinnst!” Sarmagon, der ihm gegenübersaß, lächelte bloß. “Ach was. Du bist bloß mit deinen Gedanken woanders. Kann es sein, dass du dir Sorgen um unser Nesthäkchen machst?” Der Ältere schüttelte den Kopf. “Luca kann auf sich selbst aufpassen. Was mir tatsächlich Sorgen macht, ist die Tatsache, dass uns beide Allianzen Probleme bereiten wollen. Zuvor haben sie sich immer noch zurückgehalten. Aber jetzt…”

Die beiden holten sich ihre Figuren zurück und brachten sie erneut in die Grundstellung. Sarmagon machte den ersten Zug - sein Standartzug, den Chargal wie üblich erwidern konnte. Doch der Ältere konnte sich nicht wirklich auf das Spiel konzentrieren. Seine Gedanken waren weit weg, weit draußen, in der Nähe der Streitkräfte des Eurasischen Imperiums. Er versuchte die Pläne der Menschen zu durchschauen, die ihnen allen nach dem Leben trachteten. Irgendwo musste die Front eine Schwäche haben. Doch zugleich wusste er, dass sie sie, außer durch einen außergewöhnlichen Glückstreffer, niemals finden würden. Und dieses Fort an der Westfront, das das amerikanische Zentralbündnis so beharrlich hielt, bereitete nicht nur ihm Zahnschmerzen…

“Chargal?” Der General wurde aus seinen Überlegungen gerissen. Sarmagon sah ihn nachdenklich an, während seine langen Finger mit einer von Chargals gefallenen Figuren spielten. “Du bist wirklich kilometerweit weg heute. So bringt das keine Entspannung, eher Frust, weil ich immer stundenlang auf deinen nächsten Zug warten muss!” Er grinste. “Beruhige dich. Wir werden eine Lösung finden. Und wenn wir beide Parteien erst attackieren müssen, bis sie uns in Ruhe lassen!” “Das können wir nicht. Und das weißt du.” Sarmagon seufzte schwer. “Ich weiß. Dennoch hilft es uns nicht, wenn wir jetzt nur trübselig herumsitzen und über einer Sache brüten, die wir doch nicht lösen können.”

In diesem Moment öffnete sich die Tür. “Chargal?” Eine schwarzgekleidete Gestalt betrat das Zimmer. “Ah, Lucarna. Gut, dass du zurück bist.” Sarmagon erhob sich und trat auf den Jüngeren zu. Chargal stand ebenfalls auf. Lucarnas blasse Haut wirkte noch heller durch das dunkle, hochgeschlossene Gewand. Er wirkte erschöpft, dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. “Es gibt kein Durchkommen. Vom Boden aus sind wir nicht in der Lage, ihren Belagerungsring zu knacken. Port’Nor ist zwar nach wie vor neutrales Gebiet, aber sie ziehen die Schlinge langsam zu. Wenn uns nicht bald etwas einfällt, werden sie genügend Auswahl für ihre Angriffsrichtung haben. Die Ostfront schließt schon fast an die Außengebiete Port’Nors an. Wir müssen etwas tun.” Chargal nickte. Diese Neuigkeiten waren düster. “Ich verstehe. Setz dich erst einmal, Luca, du siehst aus, als hättest du drei Nächte lang nicht geschlafen!” Ein schwaches Lächeln huschte über die schmalen Lippen des jungen Mannes. “Dem ist tatsächlich so. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes zurückgejagt worden. Wir wollten einen kurzen Abstecher hinter die Linien der Westfront machen, wurden dabei aber überrascht und übel zugerichtet. Zusammen mit dem ersten Zusammenstoß, von dem ich noch berichtet habe, habe ich sieben Achtel der Truppe, die ich dabei hatte verloren.” Sarmagon sah entsetzt aus. “Sie halten sich also jetzt nicht mehr zurück, sondern töten feindliche Spione, die sie aufspüren?” Lucarna nickte. “Wie gesagt. Um ihre Linien zu durchbrechen braucht es jetzt schon mehr als ein paar kleine gezielte Attacken. Um sie zu zerschlagen bräuchte es Antarcticas gesamte Infanterie.” Er ließ sich auf den angebotenen Stuhl fallen und Chargal tat es ihm gleich. “Das sind wirklich finstere Nachrichten. Unsere Situation ist wirklich denkbar schlecht.” Lucarna starrte mit unergründlicher Miene auf seine Schuhspitzen, während Sarmagon nervös im Raum umhertigerte. Chargal betrachtete die finstere Gestalt seines jüngeren Kollegen. Lucarna hatte es sich seit der Nacht, in der er zum Nekromanten geworden war angewöhnt, nur noch schwarze Kleidung zu tragen, bevorzugt lange, teils bodenlange, Roben mit weiten, ausladenden Umhängen und hohen, teilweise bis zum Kinn reichenden Krägen. Der Ältere konnte nicht umhin, dass die düstere Erscheinung seines Schülers, Forschungsobjektes, Kollegen und zugleich etwas wie ein Sohn, ihn betroffen machte. Wie sah es wohl im Herzen dieses missbrauchten Menschen aus? War es ebenso finster wie sein Äußeres? Oder war all das Schwarz nur eine Maske, hinter der Lucarna Schutz suchte?

Dann hob der Jüngere den Blick. Die eisigen grauen Augen blitzten vor Tatendrang. “Ich weiß eine Möglichkeit.” Sarmagon hielt mitten im Schritt inne und blickte zu Lucarna hinüber. “Und die wäre?” “Wir haben es zu Land und sogar zu Wasser versucht. Beides schlug fehl. Also bleibt nur noch die Möglichkeit, es über die Luft zu probieren!” Chargal grinste. “Und wie willst du das anstellen? Die Invasoren haben ihre Luftabwehr nicht vernachlässigt!” “Wir sind nicht so einfallslos wie sie. Wir sind die stärkste Macht dieses Planeten! Wir können ihre Abwehrversuche wegwischen, wie du eine Fliege wegwischt! Wenn sie sich aggressiv zeigen, warum sollten wir dann zaudern, auch einmal unsere Krallen zu präsentieren?”

Sarmagon schüttelte den Kopf. “Ich bin mir nicht sicher, ob ich das gutheißen soll. Ich meine, bisher sind wir auch ohne viel Gegengewalt ausgekommen.” Lucarna fauchte: “Irgendwann muss Schluss sein! Sie provozieren uns! Sie wollen es doch nicht anders als dass wir ihnen zeigen, dass wir auch anders können!” “Ruhig, Hitzkopf. Mit übereilten Aktionen gewinnen wir nichts.”, kam es da von der Tür her. “Ah, Marina. Somit wären wir vollzählig.” Chargal nickte ihr zu und bedeutete, der Illusionäre Schild möge sich ebenfalls setzen. Marina zögerte nicht, sondern ließ sich in der Runde nieder. Sie seufzte. „Also ist es tatsächlich wahr. Wir sind eingeschlossen und sie werden immer aggressiver?“ Sarmagon nickte. „So sieht es aus, ja. Lucarna hat einen Großteil seiner Truppe verloren, als er auf Spionagemission war. Es wird immer schwerer für uns, die Fronten zu halten und es scheinen immer mehr Soldaten zu werden, die sie gegen uns ins Feld werfen. Wir haben zwar gegenwärtig noch die Oberhand, aber wie lange das so bleiben wird, vermag ich nicht zu sagen. So oder so, wir müssen etwas unternehmen!“ Er seufzte tief. „Aber ich stimme Lucarna nicht zu, so können wir nicht agieren. Wir dürfen nicht riskieren, dass beide Mächte ihre Nuklearwaffen gegen uns einsetzen, nur weil sie in Panik geraten, wenn sie unsere wahre Kraft sehen!“ „Aber was können wir tun? Ich würde bevorzugen, dass wir sie direkt angreifen, nicht aus der Luft, aber vom Land aus. Die Ostfront scheint festgefahren zu sein, beide Parteien haben sich eingegraben und verharren. Aber die Westfront ist in Bewegung. Chargal, dies ist dein Gebiet. Glaubst du, dass du die Reihen durchbrechen kannst, wenn du nur genügend Streitkräfte zur Verfügung hast?“, fragte Marina. Chargal zögerte. „Ich weiß nicht… gebt mir ein wenig Zeit.“ Lucarna schüttelte den Kopf. „Zeit ist das Einzige, was wir nicht haben. So leid es mir tut. Aber eine Entscheidung muss jetzt fallen, und nicht irgendwann später.“ „Ruhe, junges Gemüse. Etwas zu überstürzen bringt nichts, das solltest du gelernt haben, als du dir eine blutige Nase geholt hast bei deinem letzten Einsatz!“, wies ihn Sarmagon zurecht. Lucarnas Augen wurden schmal. „Ich habe nichts überstürzt. Das Einzige, was ich getan habe, war, die gegnerischen Stellungen auszuspähen.“

„Genug jetzt!“, unterbrach Chargal das sich aufbauende Streitgespräch. „Wir haben Besseres zu tun, als um verletzten Stolz zu streiten, Menschen sterben!“ Er sah in die Runde. „Wenn ich für kurze Zeit alle Streitkräfte Antarcticas zur Verfügung hätte, denke ich, ich könnte zum Fort durchbrechen und es einnehmen. Allerdings würde das bedeuten, die Ostfront unbewacht zurückzulassen.“ Marina schüttelte den Kopf. „Das allein dürfte nicht das Problem sein. Meine Einheit von Illusionisten könnte eine Illusion für etwa einen bis eineinhalb Tage aufrechterhalten. Aber nicht länger.“ „Ich verstehe. Du willst die Truppen abziehen, aber eine Illusion über das verlassene Lager legen, damit es so aussieht, als wären wir noch alle dort?“ Sarmagon nickte. „So könnte es funktionieren. Wie schnell kannst du die Illusionisten einsatzbereit machen?“ Marina lächelte. „Binnen weniger Stunden. Wann wollt ihr diese Operation ansetzen?“ „Je eher desto besser. Übermorgen, bei Sonnenaufgang, sollten alle Streitkräfte der Ostfront an der Westfront stehen, damit wir losschlagen können, sobald es geht!“, beschloss Chargal. „Die Westler sind relative Spätaufsteher, vor zehn Uhr morgens geht es nicht los. Wenn wir sie aus den Betten werfen können, haben wir einen nicht zu unterschätzenden Vorteil.“

Marina sah zu Chargal hinüber. „Also übernimmst du bei dieser Mission den Oberbefehl. Wen bestimmst du zu deinen Unterführern?“ „Die Frage erübrigt sich, meine Gute. Du wirst die Illusionisten führen und unterstützen. Wir zählen auf euch, also sorgt dafür, dass die Ostfront nicht einbricht. Sarmagon, du übernimmst deine Fünfte und dazu noch Marinas Vierte, Luca du nimmst deine Dritte, während Arius zu seiner Sechsten noch die Zweite hinzunimmt. Ich behalte den Befehl über die Erste. Seht zu, dass ihr gute Offiziere bekommt, es wird stressig werden. Genaueres zum Schlachtplan gibt es, wenn ich die Karten studiert habe.“

Alle erhoben sich. „Also bis dahin erst einmal. Ich lasse euch alle rufen, wenn ich soweit bin.“ Chargal sah jedem von ihnen tief in die Augen. Sarmagon erwiderte den Blick ruhig und zuversichtlich, Marina zweifelnd und unsicher. Lucarnas Blick war kalt wie Eis, aber der alte General wusste genau, dass sich dahinter dieselbe Unsicherheit wie bei Marina befand. Nein, vielleicht nicht dieselbe. Bei Marina war es Zweifel, ob sie der Aufgabe gewachsen war, die auf sie wartete. Lucarna war bezüglich des ganzen Unternehmens unsicher. Spontan meinte er: „Schickt alle Illusionisten, die ihr habt zu Marinas Spezialtruppe. Auf die paar Kämpfer kommt es nicht an. Die Illusionisten brauchen dringend Verstärkung, jeder Krieger zählt.“ Dann entließ er sie.
 

Lucarna sah sich im Hauptquartier der Streitkräfte um. Die Hallen summten vor Betriebsamkeit. Zwar befanden sich nur noch die Reservetruppen und der Versorgungszug hier, doch das waren immer noch genügend Menschen, um die Säle zum Vibrieren zu bringen. Er sah, wie sich Chargal durch die Menge kämpfte, sich mit den Ellenbogen einen Weg bahnte. Und er bemerkte den gequälten Gesichtsausdruck. Lucarna gestattete sich ein leises Lächeln. Empathie war wirklich ein Fluch, wenn man sich durch Menschenmassen bewegen musste. Er war froh, dass dieser Kelch an ihm vorübergegangen war.

Arius neben ihm seufzte. „Ich wünschte, wir hätten etwas mehr Zeit.“ Der alte General fuhr sich durch das lange weiße Haar. „Wenigstens zwei Nächte hätte man meinen alten Knochen gönnen können.“ Lucarna schwieg, sah Chargal zu, wie er sich die Treppenstufen nach oben mühte zu dem Punkt, wo die beiden anderen Generäle standen. „Ah, Arius. Gut, dass du schon da bist. Ich hatte nicht erwartet, dich schon so früh hier zu sehen.“ Der Lichtstrahl schüttelte den Kopf. „Ich bin, ebenso wie du, Sarmagon, Marina und Lucarna, ein General Antarcticas. Die Pflicht steht bei mir an erster Stelle, vergiss das nicht.“ Chargal lächelte. „Genau diese Antwort habe ich von dir erwartet, alter Haudegen. Aber vergiss du lieber nicht, dass von dieser Mission das Schicksal Antarcticas abhängt.“ Arius nickte ruhig. Lucarna sah die aufrechte Haltung des älteren Generals und spürte plötzlich, dass es, wenn es Adel in Antarctica geben konnte, Arius sicherlich dazugehört hätte. Dieses Pflichtbewusstsein und dieser Stolz auf das, was die Nation war… Arius sah sich um, beobachtete das Wespennest unter ihnen. „Ich hoffe nur, wir bekommen keine unangenehmen Überraschungen. Selbst ein leichter Schneesturm könnte die Mission zum Scheitern bringen.“ Lucarna hörte die Sorge aus seiner Stimme. Er nickte schweigend. Ihn plagten dieselben Nöte.
 

An einem anderen Ort herrschte ebenfalls große Betriebsamkeit. Sarmagon überwachte den Abzug seiner Truppen, während Marina ihre in Stellung brachte. Und das alles möglichst leise, unter dem Deckmantel einer trüben Illusion. Genauer gesagt eines Nebelbandes, das sich zwischen die beiden Frontlinien gelegt hatte. Wie zufällig trieben die schweren Schwaden über die Eisebene. Niemand, der nicht selbst Mage-Kräfte besaß, würde erkennen, was der Nebel in Wahrheit war. Der Illusionäre Schild sah sich um. „Ich glaube, wir bekommen das hin. Macht euch keine Sorgen, wir sollten in der Lage sein, sie lange genug aufzuhalten.“ Sarmagon seufzte schwer. „Ich hoffe, du hast recht. Es behagt mir absolut nicht, euch alle so lange zurücklassen zu müssen. Wenn nur irgendetwas schief geht…“ „Dann ist es nicht mehr zu ändern, Sarmagon. Wir tun, was wir können. Mach dir nicht auch noch Sorgen um uns, ja? Du kümmerst dich um die Westfront, wir hier halten die Ostfront beschäftigt.“ Der Blick der Finsternis ging in die Ferne. „Ja… das wird das Beste sein.“
 

Als sich die Truppen trafen, ließ Chargal seinen Blick über die versammelten Soldaten Antarcticas schweifen. „Wir sollten genügend Leute sein. Bringen wir uns in Stellung. Die Sechste ist die zahlenmäßig stärkste Truppe. Arius, du und deine Sechste, ihr bildet die Sturmspitze. Postiere die Zweite direkt dahinter, Lucarna und ich übernehmen die Flanken. Sarmagon, ich bitte dich, unseren Rückzug zu decken mit den verbleibenden zwei Legionen. Vielleicht kannst du uns ein wenig von hinten her unterstützen, aber halte uns Rückzugswege offen, ja?“ Die drei Generäle nickten. „Seid vorsichtig. Wir können es uns nicht leisten, einen General zu verlieren.“ Sarmagon klang ernst. Sein eindringlicher Blick glitt zu Chargal und Lucarna hinüber. Beide starrten zurück, Chargal nachdenklich, Lucarna selbstsicher. Was das wohl noch werden würde?

Kurz vor dem Aufbruch blieb Arius plötzlich kerzengerade stehen. Sein Blick wurde leer, sein Gesicht verlor alle Farbe. „Nein… nicht jetzt!“ Sarmagon, der bei ihm stand, berührte ihn vorsichtig an der Schulter, doch Arius schüttelte ihn grob ab. „Nicht… das ist meine Vision. Bitte…“ Der alte General fasste sich an die Schläfe. „Ich… ich komme damit klar. Bitte.“ Sarmagon fing ein vages Bild ein, das eine blutüberströmte Schneelandschaft zeigte. Tote auf beiden Seiten… dann war es verschwunden, als Arius die Türen zu seinem Geist schloss, nicht grob, aber bestimmt. Der Telepath nickte. Es war Arius‘ gutes Recht, seinen Geist vor Sarmagon zu schützen. Aber dennoch machte er sich Sorgen. Was hatte der Lichtstrahl gesehen?
 

Die Mages von Antarctica regruppierten sich mit der Routine eines eingespielten Teams, trotz der Masse an Menschen. Die Generäle wachten über ihre Truppen, gaben vereinzelt Befehle an ihre Offiziere aus und warfen immer wieder Blicke auf die ruhigen Lager der gegenüberliegenden Westfront-Soldaten. Sarmagon wirkte sehr ruhig, fand Chargal. Im Gegensatz dazu sah er bei Lucarnas Bewegungen Hast, die noch immer von Vorbehalten gegen den Plan zeugte. Aber ihnen blieb keine andere Wahl als sich zu stellen. Wenn sie zu lange zögerten, würden die Menschen sie vollkommen einkesseln und dann bliebe ihnen als einzige Alternative, die wahre Macht Antarcticas einzusetzen – und das mit allem, was sie hatten. Chargal befürchtete einen nuklearen Angriff, falls sie gezwungen waren, die Kraft der Mages zu entfesseln. Und das durfte unter keinen Umständen passieren. Antarctica war der einzige Ort, an dem die Mages leben durften, sie hatten keinen anderen Platz, auf den sie ausweichen konnten, sollte der Südkontinent verstrahlt werden.

Er sammelte seine Leute. Dann nickte er Arius zu, dieser gab das Zeichen zum Angriff, als auch Bestätigungen von Lucarna und Sarmagon kamen. Als die Mages nach vorne marschierten, holte Chargal tief Luft. Irgendwie wusste er, dass sie heute schwere Verluste erleiden würden. Er betete nur, dass Lucarna nicht zu den Opfern zählen würde, er brauchte den Jungen zu dringend, als dass er ihm erlauben konnte, in der Schlacht zu fallen.
 

Es war ein Gemetzel. Soldaten des Zentralbündnisses krochen völlig überrascht aus Zelten und Hütten, wurden niedergemacht, ehe sie überhaupt begriffen, was geschehen war. Die Mages zeigten keine Gnade, sondern töteten alle, die nicht ihre Farben trugen. Chargal war froh, dass er eine Dosis psychischer Blocker genommen hatte, andernfalls wäre er wohl nicht in der Lage gewesen, dies hier durchzustehen. All diese sterbenden Menschen... er schüttelte sich, dann hob er die Hand und spreizte die Finger. Blitze schossen aus ihnen hervor, töteten zwei weitere Soldaten binnen Sekunden.

Seine Leute konnten problemlos die Flanke halten, es war ihnen ohne Schwierigkeiten gelungen, ihre Feinde zurückzudrängen und schlussendlich zu vernichten. Das Heer Antarcticas breitete sich langsam auf der ganzen Länge der Front aus. Lucarnas Truppen waren ein klein wenig schneller als seine eigenen, während Arius an der Spitze mit den Reservisten der Westfront kämpfte. Diese Soldaten waren ausgeruht und hatten eine Verteidigung auf die Beine gestellt. Nichts ernstes, aber doch störend bei ihrem Sieg. Sie konnten...

Chargal fuhr zusammen. Seine Augen weiteten sich, als er spürte, wie das Band in seinem Geist sich spannte und schließlich zurückpeitschend riss. Wie von selbst fuhr seine Hand zum Mund. Claris, sein Schild, sah überrascht zu ihm hinüber. Sie fragte: „General? Stimmt etwas nicht?“ Chargal gelang es nur, abzuwinken. Schmerz erfüllte sein Denken. Arius... „Arius ist tot. Sorge dafür, dass Sarmagon davon erfährt, wir brauchen ihn hier. Ich werde die Spitze übernehmen!“ Claris sah ihn verwirrt an, kontaktierte aber beinahe sofort einen Kreuz-Telepathen, der den weit zurückgebliebenen Sarmagon informieren sollte, was passiert war.

Nur wenige Minuten später hörte Chargal Sarmagons Worte: „Ich habe verstanden. Pass auf dich auf da vorne. Wenn sie Arius umbringen konnten, können sie dich auch töten! Wir können es uns nicht leisten, noch einen General zu verlieren!“ Chargal nickte. „Ich weiß. Lucarna hat es mitbekommen, er stellt sich darauf ein, dass er unter Umständen Besuch bekommt.“ Er selbst war nicht stark genug, um den Kontakt von sich aus offen zu halten, aber Sarmagon war ein starker Telepath, dem es nun, da Chargal nach ihm suchte, möglich war, den Kontakt zu halten, insbesondere, weil er rasch näherkam. Chargal seufzte. Er hatte gehofft, diesen Kampf ohne große Verluste erledigen zu können, aber wie es aussah, hatte er schon den ersten erleiden müssen. Er betete nur, dass nicht noch mehr dringend benötigte Mages den Tod erleiden mussten.
 

Lucarna stand an vorderster Front. Unter seinen finsteren Energiewellen fielen Menschen, andere starben durch das Wasser, das plötzlich an Stelle von Blut durch ihre Adern floss, wenn sie Lucarna zu nahe kamen. Der Nekromant stand hochaufgerichtet in den Reihen seiner Leute, der lange Mantel umwehte ihn wie eine pechschwarze Rabenschwinge. Arius war fort. Ein Teil Lucarnas trauerte um den Lichtstrahl, der ihm ein Lehrer gewesen war, wenn Chargal von den Aufgaben an der Westfront in Beschlag genommen war. Doch ein zweiter, ungleich finsterer Teil war in gewisser Weise froh, dass es so gekommen war. Arius war kurz davor gewesen, das Geheimnis um Lucarnas Fähigkeiten zu lösen. Er hatte bereits Kontakt mit Cesaja aufgenommen. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis er erfahren hätte, dass Lucarnas Kräfte nicht natürlich waren.

Cesaja... er musste irgendwas gegen diesen Störenfried unternehmen. Diese Barriere wusste einfach nicht, wann es genug war. Ständig schien er aus dem Nichts aufzutauchen, verfolgte dieser Kerl ihn etwa dauernd? Lucarna war fast zu Tode erschrocken, als Cesaja ihm ins Gesicht gesagt hatte, dass er wusste, dass Lucarnas Fähigkeiten auf Chargals Experimenten beruhten. Jetzt, wo der Schock abgeklungen war, war da nur noch kalte, berechnende Wut. Wie konnte dieser Kerl es wagen, seine Pläne zu durchkreuzen! Nein, er musste einen Weg finden, Cesaja zum Schweigen zu bringen!

Wie konnte er Cesaja am besten ruhig stellen? Ihn zu töten kam nicht in Frage, das würde nur mehr Probleme schaffen als lösen. Duellieren konnten sie sich nicht, das würde ebenfalls unerwünschte Fragen aufwerfen. Ihn bei Nacht und Nebel verschwinden zu lassen wäre zwar möglich, aber Lucarna fürchtete Bellevianus' ungetrübte Sicht auf die Dinge. Der ältere Nekromant würde sicher herausfinden, was der Barriere zugestoßen war. Und sonst? Cesaja gehörte zu Sarmagons Legion. Er konnte ihn nicht einfach irgendwo hin abkommandieren.

Plötzlich kam ihm eine Idee, als er sich gerade ein paar Schritte zurückzog und seinen Artemis-Schild nachkommen und die Verteidigung aufbauen ließ. Er wusste, wie er Cesajas Schweigen sicherstellen konnte. Jetzt musste er nur noch mit Chargal, Sarmagon und Marina reden...
 

Letztere befand sich bei ihrer persönlichen Schutztruppe. Der Illusionäre Schild wagte sich, umgeben von vierzehn weiteren Illusionisten, weiter nach vorne. Marina wusste, was sie tat, war äußerst gefährlich. Aber noch schlimmer war es, wenn die Soldaten des Imperiums herausfanden, dass ihnen nur eine einzige Truppe, ein Bruchteil einer Legion gegenüberstand und die Mages diese Entdeckung nicht bemerkten. So schlichen sie, verborgen von schweren Nebelschwaden, vorwärts. Marina hatte befohlen, jegliche Konversation zu unterlassen und sich stattdessen auf Telepathie und Zeichensprache zu verlegen. Schon das kleinste Geräusch konnte ihrer aller Tod bedeuten.

Sie fragte sich, wie es Chargal wohl erging. Der Gestiker war der begabteste General Antarcticas, was das Kommandieren anging. Viele mochten in ihm den wahren Anführer der Nation sehen, doch Marina wusste es besser. Chargal war in der Tat oft derjenige, der den Befehl letztendlich aussprach, doch er konnte jederzeit von Arius, Sarmagon oder ihr selbst eingebremst werden. Und wenn die Kanzler ein Machtwort sprachen, mussten sie sich alle vier fügen. Zwar besaßen die Kanzler keine wirkliche militärische Macht, aber sie waren die Oberhäupter der Nation. Sie regelten das Leben in Antarctica, und davon war auch das Militär nicht ausgenommen.

Marina war so versunken in ihre Überlegungen, dass sie fast das vorgeschobene Lager eines Außenpostens der Ostfront übersehen hätte. Erst im letzten Moment konnte sie ihre Gruppe zum Halten bringen. Mit beiden Händen gab sie zu verstehen, dass sich die Mages langsam zurückziehen sollten, ohne Rückendeckung mindestens einer gesamten Legion machte es keinen Sinn, einen Guerillakrieg im Nebel anzufangen. Zumal ein Gutteil ihrer eigenen Truppe eben diesen Nebel aufrechterhalten musste. Marina wusste genau, wenn sie die Ostfront aufscheuchten, und sei es auch nur wegen des Verschwindens eines Außenpostens, hätten sie keine Chance mehr und ihre Truppen würden bis nach Antarctica Stadt zurückgedrängt werden. Sie durften auf keinen Fall entdeckt werden!

Langsam zogen sich die Mages zurück. Marina blieb noch ein wenig zurück, sie war die stärkste Illusionistin der Gruppe, außerdem konnte sie Lasergeschosse und Ähnliches abwehren, falls tatsächlich jemand auf sie aufmerksam werden sollte. Sie mussten nur noch...
 

Marina führte den Gedanken nie zu Ende. Der Schuss saß so präzise, dass die Illusionistin sofort tot war, als die Kugel in ihren Schädel drang. Ihre Barriere, eine junge Frau namens Anna, konnte nichts mehr tun, als hilflos zusehen, wie der Illusioniäre Schild nach hinten stürzte. Wohl wissend, dass sie nun, nach dem Tod ihrer Schutzbefohlenen, den höchsten Rang innehatte, befahl sie den Soldaten, sich zurückzuziehen. Noch hatten die Feinde sie nicht entdeckt, Marinas Zurückbleiben hatte ihnen scheinbar das Leben gerettet. Mit einer Handbewegung gab sie zwei Illusionisten zu verstehen, dass sie den Nebel zwischen ihnen und den Feinden noch verdichten sollten.

Anna hatte keine Ahnung, wie sie eine so große Gruppe führen sollte, das überstieg ihre Kompetenz. Doch eines wusste sie umso besser: General Chargal musste informiert werden, je schneller desto besser. Also trieb sie die Überlebenden im Laufschritt zurück zum Hauptteil der Truppe. Sie hoffte nur, dass sie in der Lage war, die Illusionisten so lange am Leben zu halten, bis Verstärkung eintraf. Aber zunächst musste sie die Generäle informieren.
 

Doch dies war nicht wirklich nötig. Sarmagon spürte es als erstes, dass Marina nicht mehr unter den Lebenden weilte. Marina war eine sehr schwache Telepathin gewesen, außerdem war sie am anderen Ende des Kontinents gefallen, also wurden sie nicht durch eine solch Aufsehen erregende Szene wie bei Arius aufgeschreckt. Dennoch, Sarmagon stiegen Tränen in die Augen, als er realisierte, was das bedeutete. Sie hatten in einer einzigen Schlacht zwei der begabtesten Mages von ganz Antarctica verloren, und noch dazu zwei von sehr hohem Rang. Und nebenbei waren beide Freunde von ihm gewesen, sehr gute Freunde. Sarmagon drehte sich der Magen bei dem Gedanken um, wenn er daran dachte, dass er nie wieder ausführliche und lange Gespräche mit Arius führen und nie wieder lange Spaziergänge mit Marina machen würde. Einmal mehr verfluchte er die schreckliche Situation, in der sich Antarctica befand. Er wusste, nun waren sie wirklich unterbesetzt in der Ebene der Generäle. Nominierungen würden folgen, ein weiterer Punkt, der das Chaos nur noch vergrößern würde, wenn ein Neuling eine der führerlosen Legionen übernehmen musste. In Zeiten wie diesen war dies ein sehr gefährliches Unterfangen. Sarmagon hoffte nur, dass Antarctica diese Krise überleben konnte. Wenn nicht... er wollte lieber gar nicht daran denken...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Nezumi
2009-04-27T09:16:52+00:00 27.04.2009 11:16
Wieder sehr spannend!! Das Warten hat sich sehr gelohnt <3 Bin sehr gespannt auf den nächsten Teil.. *__*
Von:  Rooro
2009-03-31T19:12:50+00:00 31.03.2009 21:12
Herrlich! Aber was anderes war ja von dir nicht zu erwarten :)
Die Mages sind also in die Zange genommen worden und ihr Plan scheint ja nicht wirklich so zu verlaufen, wie geplant.
Und Lucarnas erster Gedanke ist, wie er Cesa zum Schweigen bringen kann.... das interessiert mich ja fast noch mehr wie der Ausgang dieses Krieges! Bin schon voll gespannt, was du dir ausgedacht hast. Alle Möglichkeiten hast du ja schon aufgezählt, aber die scheinen ja nicht zu funktionieren. Und so besonders waren ja Cesas Fähigkeiten nicht, als dass er Luca recht hätte schützen können. *rumhibbel* Ich freu mich so wahnsinnig auf das nächste Kapitel ;)

Und Luca kann ich mir in seiner schwarzen, langen und hochgeschlossenen Kleidung richtig gut vorstellen. Dann noch sein langer schwarzer Zopf <3


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