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Die Affinität der Düsternis

Autor:  Sabazious_Demorg
Wie kommt es, dass immer dann, wenn sich ein Ausweg aus dem Schlechten zeigt, in mir der Wunsch entsteht im Dunklen zu bleiben?
Es scheint ein solch tiefer Teil meiner Selbst zu sein, dieser Hang zum Düsteren, dieser Wunsch zu leiden.

Ich denke, ich bin die Dunkelheit so sehr gewohnt, dass mich das Licht blendet und mir Angst macht. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein, und ich täte nichts lieber, als alle Bande zu kappen und davon zu rennen, bloß alle um mich herum, die mir helfen, verlassen, niemanden an mich heran kommen lassen.
Ich fühle mich so unsicher, und ja, ich habe wirklich Angst.
Nicht davor zu leiden, nicht davor alleine zu sein, nicht davor zu sterben. Aber davor weiterzumachen, meinen Weg fortzusetzen in die Unwagbarkeiten des Lebens, davor, nicht mehr alleine sein zu müssen, davor, Freude zu empfinden.
So viele Dinge erscheinen mir neu und ungewohnt, und ich habe das Gefühl, mich selbst zu verlieren.

Ich habe dieses Bild im Kopf:
Ich stehe am Rande eines tiefen Waldes, in dessen Innern kein Licht fällt. Ich stehe im Schatten, direkt vor mir das Licht. Die wenigen Strahlen, die durch die Zweige und Blätter fallen, schmerzen in meinen Augen, was vor mir ist blendet mich und lässt meine Sicht verschwimmen. Aber ich weiß, dass ich im den sicheren, behütenden Tiefen des Waldes immer alleine bleiben werde, und so setze ich ängstlich meine ersten Schritte in das Unbekannte.
Dabei lasse ich etwas zurück, einen wichtigen, tiefen Teil von mir. Ich stelle ihn mir vor wie einen Menschen, den ich liebe, jemand, der mir alles bedeutet.
Er kann mir nicht folgen, und das weiß ich - trotzdem muss ich weitergehen.
Doch noch stehe ich an der Schwelle, einen Fuß in der Luft, mit Tränen in den Augen, und suche nach Gründen zu bleiben.


Vielleicht sind Ängste ganz normal. Die Angst vor dem Erwachsenwerden. Vielleicht hat jeder an dieser Stelle im Leben Angst.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Brief, eine Ärztliche Stellungnahme. Darin steht, dass zur Aufrechterhaltung meiner Gesundheit es unabdingbar für mich ist, bei meinem Vater auszuziehen, eine eigene Wohnung zu suchen.
Ich will das im Grunde nicht. Und ich fürchte mich davor, in Eigenverantwortung nicht bestehen zu können. Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringt, nicht einmal, was mich in den nächsten Wochen erwartet.
Kann ich noch mal ein Jahr an der Schule bleiben? Ich würde es gerne, doch ein "Ja" habe ich dazu nicht, im Gegenteil, ich habe von meinem Schulleiter ein "Das wird SEHR schwer für dich; Willst du dir nicht lieber eine Ausbildung suchen? Einen kleinen Job, den du machen kannst? Glaubst du nicht, Patrick, du wärst damit zufriedener?" ...

Mein Leben lang war ich unnormal, haben Menschen mich verspottet, verachtet oder neuerdings auch gefürchtet.
Anfangs wollte ich nichts mehr, als einfach nur zu sein wie die anderen.
Dann wollte ich einfach nur normal sein.
Es hat lange gedauert zu akzeptieren was ich bin. Ich weiß nämlich nicht, wer oder was ich bin - nur, dass ich anders bin und irgendwie schon immer anders war.
Irgendwann endlich war ich stolz darauf, ich zu sein. Ich war total alleine, verlor alles, worüber ich zuvor mein Leben definiert hatte, aber ich war stolz darauf, ich selbst zu sein und mich von anderen zu unterscheiden.
Jetzt... habe ich Angst davor, normal zu werden, nichts Besonderes zu sein.
Meine Probleme, meine Vergangenheit - das unterscheidet mich sehr deutlich von anderen. Und indem ich meine Probleme überwinde, mit meiner Vergangenheit abschliesse, so habe ich das Gefühl, auch meine Individualität zu verlieren. Am Ende stehe ich ungefähr da, wo auch alle Anderen sind.

Ich weiß nicht genau, was ich tun soll, aber ich gehe dennoch weiter.
Ich nehme meine Gefühle bewusst wahr, all die Ängste vor dem Ungewissen, spüre, dass alles in mir mich beschwört umzudrehen, wieder in das Dunkel hinabzusteigen, mich in meinem Leid zu suhlen bis ich mich wieder sicher fühle. Spüre, wie ich etwas zurücklassen muss, etwas sehr, sehr wichtiges, einen geliebten Teil meiner Selbst.
Und trotzdem gehe ich weiter. Schritt für Schritt, einen Fuß vor den anderen.
Mit aller Gewalt gegen mich selbst; gegen Ideale, die ich für richtig hielt.
Gegen die Widerstände, die vor mir liegen.
Schritt für Schritt, solange, bis ich wieder den Kopf heben und in die Sonne lächeln kann - an einem neuen Tag, einem neuen Morgen.

Ich liebe euch.
Patrick


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