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Snowflakes keep falling on my head (Ryu x Tats)

von

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Friendship

Soo, ein neues Kapi ist da. Mit diesem habt ihr dann 21 von 32 Seiten gelesen, also zwei gute Drittel.

Vielen Dank für die Kommis vom letzten Mal und natürlich würde ich mich auch jetzt wieder tierisch über welche freuen. ^^

Viel Spaß - Kat
 

~ Friendship ~
 

Auf dem Weg nach oben zu Anikis Wohnung hatte ich die Hände tief in den Jackentaschen vergraben und dachte nach. Zumindest versuchte ich zu denken, doch alles war viel zu wirr und verschwommen. Wie ein Knäuel aus Fäden, wo man keinen einzelnen an sich unterschieden und herausziehen konnte.

Möglichst leise schloss ich die Tür zur Wohnung auf, zog die Schuhe aus und trat auf Zehenspitzen ein. Ich war unheimlich spät dran und wenn Aniki mal nicht den gesamten Tag in seiner Höhle zugebracht hatte, hatte er das bemerkt. Was zwangsläufig hieß, dass ich mir sein Gemotze anhören durfte, von wegen, ihm sei die Aufgabe aufgedrückt worden, auf mich aufzupassen, also solle ich gefälligst vor Zehn meinen Arsch wieder in seiner Wohnung haben.

Glücklicherweise überlebte ich meinen Weg ins Wohnzimmer ohne ein Zusammentreffen mit einem wild gewordenen Romanautor. Auf der Couch saß Shuichi mit angezogenen Beinen und starrte auf den Fernsehbildschirm. Als er mich bemerkte, drehte er den Kopf. "Yuki hat sich Sorgen gemacht."

Ich war mir sicher, dass der Kleine mal wieder alles hoch puschte. Aniki machte sich nie ernsthafte Sorgen um irgendwen. "Aha."

"Aber ich habe ihm gesagt, dass alles okay ist. Du warst ja mit Sakuma-san zusammen unterwegs und der kann schon aufpassen."

Ich nickte nur stumm und setzte mich neben ihn. Er hatte so eine dämliche Spielshow laufen, bei der Menschen um die Wette Sushi aßen und nebenbei Fragen beantworteten.

"Und, hast du Sakuma-san... na ja... du weißt schon... ins Bett gekriegt?"

Musste er mich jetzt daran erinnern? "Ich hab's versucht, aber..."

"Aber...?"

Ich entschied mich, ihm die Story zu erzählen. Er ist kein schlechter Typ, der über das Leid anderer lacht, und außerdem ist er ein kleines Sensibelchen. Was bedeutete, er konnte die Situation besser deuten als ich, oder? "Irgendwie konnte ich plötzlich nicht mehr. Er lag unter mir, ich hab seinen Hals geküsst und dann hab ich ihn angesehen, er hat mich angesehen und..."

Shuichi sah mich mit großen erwartungsvollen Augen an, wie ein Kind, das der Märchentante lauschte. "Und?"

"Dann bin ich rot geworden und vom Sofa gefallen. Und danach habe ich die Flucht in die Küche ergriffen und mich gefragt, was zum Geier das für eine Aktion gewesen sein sollte."

"Warum hast du es nicht noch mal versucht?" Man muss sich mal vorstellen, dass diese Frage von Shuichi himself kam. "War die Stimmung weg oder hat Sakuma dich voll geschnauzt?"

Resigniert schüttelte ich den Kopf. "Weder, noch. Ich weiß selbst nicht, was da in mich gefahren ist. Danach war ich auch total eingeschüchtert und habe kaum noch was gesagt. Mist, ich hatte sogar schon fast Berührungsängste, weil es sich plötzlich so seltsam angefühlt hat."

Er sah mich lange schweigend an, bis er zweimal blinzelte und fragte: "Bist du schon mal verliebt gewesen?"

Okay, meine Reaktion war etwas... heftig. "Bist du irre?! Wieso sollte ich?!"

"Na ja, du warst doch schon immer gewissermaßen besessen von Sakuma-san und flachlegen wolltest du ihn auch." Shuichi zuckte mit den Schultern. "Liegt es denn da so fern, dass du dich in ihn verliebt haben könntest?"

"Es *liegt* fern!"

"Okay." Damit war die Unterredung für ihn beendet und seine Aufmerksamkeit gehörte wieder dem Fernseher. Wahrscheinlich hat er in der Beziehung mit Aniki gelernt, wann er die Klappe halten musste.

Ich selbst lehnte mich zurück und starrte mit leeren Augen auf die Mattscheibe. Ich hatte mich nicht verliebt, da war ich mir sehr sicher.
 

Die Nacht schlief ich endlich mal durch, auch wenn ich es vorher nicht wirklich erwartet hatte. Erst gegen Mittag wachte ich auf, als das Handy in meiner Hosentasche zweimal piepte. Leicht verschlafen setzte ich mich auf und kramte das Ding hervor, um die SMS zu lesen. Sie war von Ryuichi und in ihr stand - mit einigen Rechtschreibfehlern versehen - dass es ihm Leid täte, dass wir uns am Tag nicht treffen konnten, aber ob ich nicht vielleicht Lust habe, mit ihm den Abend in eine Disco zu gehen. Ich schrieb zurück, dass ich mich wirklich sehr freuen würde, bekam darauf jedoch keine Antwort.

Und von da an war ich den ganzen Tag über hibbelig und ich nehme an, dass ich sogar Shuichi nach einer Weile mit meinem nervösen Herumgelaufe auf die Nerven ging. Was, wenn Ryuichi mich nur hatte ärgern wollen und die Frage gar nicht ernst gemeint gewesen war? Oder wenn er es aus reiner Höflichkeit geschrieben hatte, mit der Hoffnung, dass ich absagen müsse? Dieser eine Gedanke fraß sich wie Salzsäure in mein Gehirn und machte mich fast wahnsinnig. Je weiter die Zeit voran schritt, umso schlimmer wurde es. Aniki war zu Beginn des Tages in der Küche gewesen, hatte sich jedoch bald in sein Arbeitszimmer verkrümelt, als er gemerkt hatte, wie ich drauf war.

Es war gegen Acht. Noch immer war ich aufgedreht wie wahnsinnig, saß auf dem Sofa und wippte unruhig mit dem rechten Bein auf und ab. Die Vorstellung, dass er mich versetzen und sich einfach nicht mehr melden würde, war für mich unerträglich. Ich verstand mich ja selbst nicht richtig. Ich hatte in meinem Leben schon mehr Weiber hängen lassen als ich Körbe kassiert hatte. Es war ganz einfach und ich hätte ihm sicher nicht einmal böse deshalb sein können.

Überrascht hob ich den Kopf. Ich dachte über das alles tatsächlich nach, als wäre es ein Date. Wie so eine dumme Pute, die auf ihren Prinzen im weißen Anzug wartete, der sie zum Schulball abholen sollte. Es mochte daran liegen, dass ich noch immer etwas von Ryuichi wollte und wenn man etwas von jemandem will, legt man automatisch jedes Treffen als Date aus.

Es klingelte an der Tür und mal wieder war ich so schnell da, um zu öffnen, dass ich mich über meine eigene Geschwindigkeit wunderte. Tatsache, vor mir stand Ryuichi und grinste mich an. Der Anblick verschlug mir glatt die Sprache. Er trug ein rotes Stirnband, das seine Haare noch wilder in alle Richtungen abstehen ließ, eine halb durchsichtige Sonnenbrille, ein rotes T-Shirt mit schwarzem Aufdruck und dazu eine dunkle Jacke und eine ebenso dunkle Hose, beide aus Leder. Was nicht so ganz ins Bild passte, war der rote Schal, der seinen Hals zierte. Nun gut, es war auch tierisch kalt draußen.

"Sorry, dass ich nicht auf deine SMS geantwortet hab", erklärte er schuldbewusst und wippte auf den Füßen vor uns zurück. "Meine Mittagspause war da gerade zu Ende. Verzeihst du mir?"

Welcher Arsch hätte darauf schon mit ,Nein' geantwortet?

"Ach, halb so wild. Also steht das mit der Disco?"

Er nickte. "Ja! Allerdings solltest du dich umziehen, was?"

"Okay." Ich ließ ihn rein und sprintete dann zurück in das Wohnzimmer und zu der Tasche, die auf dem Boden neben dem Sofa stand. Die Befürchtung kroch in mir hinauf, dass Mika vielleicht meine Abendklamotten ausgepackt haben könnte, um einem dieser kratzigen Rollkragenpullover Platz zu machen. Zum Glück lief einmal alles gut. Nach fünf Minuten stand ich fertig in schwarzen Jeans und schwarzem ärmellosem Shirt, auf dem ein roter Drache aufgedruckt war, vor ihm.

Ryuichi musterte mich kurz und gab mir dann meine Jacke und Schal, die ich mir sofort überwarf.
 

Den Weg zur Disco bewältigten wir zu Fuß. War schon ein feines Ding, das muss ich gestehen. Nicht zu verraucht, nicht zu laute Musik, die einem fast das Trommelfell raus springen lässt...

Ryuichi zog mich zur Bar, bestellte uns beiden je eine Cola und schleppte dann mich und die Gläser zu einer Sitzecke. Ich entledigte mich meiner Jacke und dem Schal und warf beides auf den kleinen Haufen, den bereits seine eigenen überflüssigen Klamotten gebildet hatten.

Wir setzten uns beide nebeneinander und tranken unsere Cola, während wir die Menge beobachteten, die sich zu der Musik bewegte. Alles war in blaues Licht getaucht und nur einige Scheinwerfer beleuchteten einzelne Stellen des Raumes

"Tanzt du gern?", fragte er schließlich, was ich mit einem Nicken beantwortete.

"Ich auch, na no da!"

Natürlich wusste ich das bereits. Jeder einzelne Grasper Konzertmitschnitt verriet, wie sehr er Performances und das Tanzen liebte. Und mit Sicherheit wusste er es selbst, dass er das auf jedem Konzert nur zu deutlich zeigte, sich seinem Können bewusst war. Neben ihm sah jeder andere Sänger wie ein Deutscher in Lederhosen mit einer Ziehharmonika aus.

"Komm, lass uns tanzen!"

Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach meinem Arm und zerrte mich zur Tanzfläche. Ich kenne einige Menschen, die dabei erstarrt wären und sich gar nicht mehr hätten rühren können, doch ich war anders. Ich weiß, dass ich tanzen kann und ich muss gestehen, dass ich durch meine geschickten Bewegungen schon das ein oder andere Mädchen rumgekriegt habe.

Fast natürlich tanzte ich zur Musik und ich hatte riesigen Spaß. Auch Ryuichi amüsierte sich und von Sekunde zu Sekunden nahm er meine Blicke mehr gefangen. Wenn ich seine Videos sah, dachte ich immer, dass die Musik ihn völlig beherrschte, doch ich erkannte nun, dass es genau umgekehrt war. Er beherrschte die Musik. Seine Bewegungen waren flüssig, locker, perfekt. Der Rhythmus der Bässe gehörte ihm. Leichte Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und er war völlig im Tanzen gefangen. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Vielleicht bildete ich es mir auch ein, aber die Tanzfläche wurde voller. Irgendwann so eng, dass seine Arme und Hüfte mich ab und zu leicht streiften. Plötzlich fiel es mir sehr schwer, mich auf die Musik und den Beat zu konzentrieren.

Mit jeder Berührung wuchs die Hitze um mich herum, bis ich es nicht mehr länger ertrug und wieder zurück zu unseren Plätzen ging. Dort kippte ich erst mal meine gesamte Cola, um mich abzukühlen. Der Tropfen auf dem heißen Stein.

Ich saß da etwa zehn Minuten, bis Ryuichi auch zurückkam. Er ließ sich neben mich sinken, atmete tief durch und exte seine eigene Cola. Dann sah er mich an und grinste. "Hat Spaß gemacht!"

Das konnte er nicht wirklich einschätzen, zumindest was es mich anbetraf. "Ja, wir haben ganz schön lange getanzt."

Ryuichi nahm das als Stichwort, um auf seine Uhr zu sehen. "Schon nach Mitternacht. Wird dein Bruder nicht böse sein, wenn du so spät kommst?"

Ich schluckte. "Das wäre milde ausgedrückt."

"Dann ab nach Hause."

Wir standen auf und gingen. Warum hatte die Zeit nicht stehen bleiben und uns für immer auf der Tanzfläche festhalten können?
 

Der nächste Morgen hielt für mich Kopf- und Nackenschmerzen bereit. Das Sofa kann schon bequem sein, allerdings nicht, wenn man in irgendwelchen seltsam verrenkten Positionen darauf schlief. Fragt mich nicht, wie ich meinen linken Oberarm in die rechte Kniekehle geklemmt bekam.

Ein Blick auf die Uhr. Hatte ich ,Morgen' gesagt? Ich meinte ,Mittag'.

Aus der Küche drang die Stimme Anikis, der sich über etwas aufzuregen schien. Im Wechsel dazu vernahm ich auch Shuichis Stimme, die einen weinerlichen Ton angeschlagen hatte. Gott, bitte nicht! Kein Beziehungskrieg, wenn ich da war!

"Du bist gemein, Yuki!"

"Ich brauche meinen Schlaf! Entweder schlafen wir also zu unterschiedlichen Zeiten oder du vertreibst Tatsuha vom Sofa. Wenn du Weichbirne mit einem übergroßen Herz für Möchtegerncasanovas -"

Wer war hier ein Möchtegerncasanova?!

"- es jedoch nicht über dich bringst, dann schlaf meinetwegen in der Wanne oder auf dem Balkon!"

"Es ist Winter!"

"Dann friert vielleicht deine Klappe ein und du schnarchst nicht die Nachbarn aus dem Schlaf!"

Daher wehte der Wind. Shuichi hatte geschnarcht. Nun ja, das soll ja hin und wieder bei leicht erkälteten Männern vorkommen.

"Dann stoße mich an, wenn ich schnarche!"

"Dazu ist mir mein Schlaf zu wichtig. Häng dich doch kopfüber an die Decke, du nichtsnutziger Blutsauger!"

"Du bist herzlos!"

Ich konnte mir nicht helfen - Shuichi tat mir furchtbar Leid. Jeder schnarcht mal und jetzt, wo er es ins Schlafzimmer geschafft hatte, wollte ihn Aniki eben deswegen wieder rauswerfen. Ich fragte mich, ob Eiri nicht die ganze Zeit auf so eine Gelegenheit gewartet hatte.

Langsam stand ich auf und streckte meine Glieder.

"Du willst deinen eigenen Bruder vom Sofa jagen?"

"Ist mir scheißegal, wer von euch beiden auf dem Boden pennt. Meinetwegen mach's dir auf dem Boden bequem, aber verschwinde bloß aus dem Bett!"

Stille folgte.

Ich kam in der Küche an und betrachtete die beiden Streithähne. Eiri drückte gerade eine Zigarette im Aschenbecher aus, griff kampfeslustig schon nach der Zigarettenschachtel in seiner Tasche. Shuichi hingegen schien noch kleiner geworden zu sein, als er ohnehin schon war, und sah ihn wütend und verletzt an. Besonders fair war Aniki wirklich nicht.

Onii-san entdeckte mich. Wütend funkelte er mich an: "Raus mit dir, Tatsuha!"

Das beeindruckte mich nicht im Geringsten, dazu kannte ich ihn einfach schon viel zu lange. Ich trat vor, packte Shuichi am Arm und stieß ihn leicht in Richtung Tür. "Lass uns bitte mal zu zweit, Shu-chan!"

Der sah mich nur mit großen feuchten Augen an, bewegte sich allerdings kein Stück. "Aber..."

"Da will ich mich einmal auf deine Seite schlagen, also geh jetzt", verlangte ich ruhig von ihm und es wirkte. Er verließ die Küche.

"Was mischst du dich da ein?", fauchte Eiri.

"Es war kein gerechter Kampf, denn Shuichi lässt sich viel zu leicht unterkriegen." Ich deutete den Daumen an, mit dem Eiri immer sinnbildlich auf Shuichi drückte. "Warum willst du ihn unbedingt aus dem Schlafzimmer vertreiben?"

"Weil der verdammte Idiot mich um den Schlaf bringt!"

"Wenn es dir wirklich um deinen Schlaf ginge, hättest du ihn schon am Sonntag Morgen rausschmeißen können", erklärte ich kühl. Im Gegensatz zu Shuichi bin ich eine harte Nuss und weiß, wie man kühlen Kopf bewahrt. Zumindest in solchen Lagen. "Macht es dir etwa Angst, dass er sich nachts an dich schmiegt und du ihn beim Schlafen beobachtest?"

Er biss die Zähne zusammen und knurrte leise. Ich hatte ihn.

"Jeder schnarcht mal und immerhin habt ihr eine Beziehung. Wenn du ihn jetzt aus dem Schlafzimmer jagst, schießt du dir ein Eigentor, aber voll." Aniki hasst die Jugendsprache, aber was soll's? Ich bin nun mal ein Jugendlicher.

Er drückte die halb aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. "Warum hältst du dich nicht einfach da raus, du Bastard?"

"Danke, aber ich wurde in Ehe geboren."

"Verpiss dich, du gehst mir so auf den Keks! Ich habe dich hier nur aufgenommen, weil Mika bettelnd zu mir kam und mich ihre dämliche Heuchelei angekotzt hast, also bilde dir nichts drauf ein, dass ich dich auf dem Sofa pennen lasse!"

Ihr könnt euch vorstellen, dass ich gerne etwas Netteres gehört hätte.

Meine Antwort klang kühl, aber in meinem Inneren schrie eine Wunde, die in den letzten sechs Jahren nie verheilt war. Er machte mir nur zu deutlich klar, dass ich nicht mehr den Bruder besaß, mit dem ich zusammen aufgewachsen war. "Weißt du, ich mag kein perfekter Mensch sein und nicht immer die selbstlosesten Absichten haben, aber so ein egozentrischer Arsch wie du werde ich nie."

Ich verließ die Küche. Auf dem Flur begegnete ich Shuichi, der mich angsterfüllt ansah. Natürlich hatte er gehört, was Aniki zu mir gesagt hatte, aber eine Mitleidsbekundung sollte er besser für sich behalten.

Wortlos ging ich an ihm vorbei, zog mich an und ging aus der Wohnung. Manchmal frage ich mich, warum sich Menschen für andere ohne bestimmten Grund einsetzen, auch wenn sie dafür nur Spott und Verachtung kassieren. Gibt es so etwas wie völlig gute und selbstlose Menschen? Ich blickte in den eisblauen Himmel und blieb stehen. Ja, ich kannte jemanden.
 

Die folgenden Stunden verbrachte ich damit, ziellos durch Tokyo zu spazieren und die Leute zu beobachten. Alle waren im Weihnachtsstress, da es nur noch knapp zwei Wochen bis zum Heiligabend waren. Hier und da hörte man Menschen lachen, schwatzen oder schimpfen. Ich glaube, nirgends sieht man das Leben deutlicher und facettenreicher als in der Großstadt. Keiner kennt den anderen und man verhält sich dadurch ungezwungener.

Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich immer hoffte, Ryuichi würde mich auf dem Handy anrufen. Er hatte es mir schließlich am Vorabend versprochen.

Seufzend holte ich mein Handy hervor und sah auf das Display. Mein Herz blieb stehen. Der Akku war leer. Habt ihr auch schon mal den Drang verspürt, alle Leute um euch herum zu rütteln und jedem einzelnen von ihnen euer Unglück entgegen zu schreien?

Planlos stand ich da und starrte auf mein Handy - sicher drei Minuten lang - bevor ich mich wieder in Gang setzte. Ich hatte keineswegs vor, den Tag ohne Ryuichi zu verbringen. Ich hatte mich schon fast zu sehr an seine Nähe gewöhnt.
 

Eine weitere Stunde später stand ich vor seiner Apartmenttür. Draußen war es schon dunkel und Schnee bedeckte meine Schultern und Haare. Mir war verdammt kalt und meine Zehen spürte ich schon gar nicht mehr. Wenn er jetzt nicht da war, würde ich mich vor die Tür setzen und warten, so viel war sicher.

Ich klopfte an. Es dauerte nicht lange und schon wurde geöffnet.

Da stand Ryuichi in einem übergroßen roten Pullover und sah mich verdutzt an. "Tats?"

Ich hob leicht die rechte Hand und winkte. "Hi."

"Komm rein, dir ist doch kalt, na no da!"

Er zog mich in die Wohnung und stieß mich direkt auf das Sofa. Dann verschwand er und kam wenig später mit einer großen Wolldecke, einem Pullover und einer Tasse Tee zurück. Verrückt, dass er das alles auf einmal tragen konnte.

Ich zog meine Jacke aus, den Pullover an, wickelte mich in die Decke ein und nahm dankend den Tee. Ryuichi setzte sich neben mich und mir fiel wieder brühend heiß ein, was das letzte Mal geschehen war, als wir auf dem Sofa gesessen hatten. Doch heute wollte ich mich zurückhalten.

"Wird es dir langsam warm?", fragte er besorgt.

Um ihn zu beruhigen, nickte ich lächelnd. Der Tee war schnell geleert und tatsächlich breitete sich die Wärme wieder in meinem Körper aus.

"Wollen wir was spielen?"

Ich drehte den Kopf und blinzelte. Spielen? Na ja, den Begriff kann man weit fassen. Es gibt tausende von Spielen und ich kenne auch das eine oder andere unanständige.

Auf meine ungestellte Frage hin deutete er auf eine Spielkonsole, die vor dem Fernseher stand. Playstation One, also nicht das neuste Modell. Es gab inzwischen bessere Konsolen mit fabelhafter Grafik, doch das war wohl für ihn zweitrangig.

Er sprang auf und sprintete zur Playstation, neben der eine Spielhülle lag, die er mir zeigte. "Das hat mir Nori-chan geschenkt!"

Es war ein Rennspiel. Gut, das erklärte, warum ich fast nie gegen ihn in der Spielhalle gewonnen hatte.

"Okay, lass uns das spielen!", sagte ich und sofort hatte er das Gerät und den Fernseher eingeschalten, war neben mich gesprungen und hatte mir einen Controller in die Hand gedrückt.

Wir spielten bestimmt drei Stunden lang und ich wurde ein immer härterer Gegner für ihn. Zum Schluss gewann nur noch ich und frustriert stieß er mir den Ellenbogen in die Seite.

"Tats ist zu gut, na no da!"

Ich musste grinsen. "Übung macht den Meister."

Ryuichi schaltete die Playstation aus. "Wann musst du zu Hause sein?"

"Eigentlich vor Zwölf, aber Aniki wäre überglücklich, wenn ich gar nicht mehr bei ihm auftauche."

Es herrschte Ruhe. Ryuichi sah mich mit großen blauen Augen an, blinzelte und nahm dann Kumagoro zur Hand. Stumme Beratung.

"Möchte Tats vielleicht bei uns übernachten? Wir können Videos gucken, na no da."

Dieses Angebot war die süßeste Verlockung und ich bin mir sicher, dass ich keinen Nittle Grasper Fan gefunden hätte, der das abzulehnen bereit gewesen wäre.

"Aber dann müsste ich zumindest bei Aniki Bescheid sagen."

"Kein Problem, na no da!"

Ryuichi drückte mir das schnurlose Telefon, das auf dem Tisch gelegen hatte, in die Hand.

Ich wählte langsam die Nummer. Endlos war ich dabei, zu beten, dass es nicht Eiri war, der abheben würde. Bitte nicht Eiri, bitte nicht Eiri, bitte nicht...

"Hallo?" Shuichis Stimme, gefolgt von einem kaum hörbaren Keuchen.

Ups. In manchen Situationen kann ich echt naiv sein, aber manche verstehe ich auch auf Anhieb. Was ich wusste, war, dass ich wohl mit meinem Anruf gerade verdammt störte.

"Hier ist Tatsuha. Ich werde bei Ryuichi übernachten." Schon hatte ich aufgelegt.

"Warum hast du so schnell aufgelegt?"

Unbehaglich sah ich ihn an. Das wollte ich ihm sicher nicht erklären und zudem spürte ich, wie ich leicht rot wurde. Wieso war mir in letzter Zeit so vieles in seiner Gegenwart peinlich?

"Dann lass uns jetzt Animes gucken!", entschied er, hüpfte zum Schrank und gab durch das Öffnen einer Tür den Blick auf wahrscheinlich hunderte von DVDs frei.
 

Wir sahen vier Stunden lang einige seiner Lieblingsfolgen. Manchmal lachten wir gemeinsam, manchmal auch nur Kumagoro. Ryuichi erklärte, der Hase habe einen seltsamen Sinn für Humor, aber es war dennoch zu süß.

Schließlich legten wir eine Pause ein, in der er frisches Popcorn in der Mikrowelle machte.

Zusammen saßen wir um die Schale und knabberten, bis er plötzlich die angenehme Stille brach.

"Kommst du zu unserem Konzert am Dreiundzwanzigsten?"

Ich verschluckte mich. Oh Hölle, das war die furchtbarste Frage, die er mir stellen konnte!

Helfend klopfte er mir auf den Rücken und obwohl ich kurz vorm Ersticken war, wünschte ich mir doch, der Hustanfall würde nicht enden. Was er zu meinem Unglück im Glück tat.

"Hab keine Karte mehr bekommen", bekam ich trocken heraus und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Obwohl man ja nichts dafür kann, wenn man den Ticketverkauf nicht rechtzeitig abfängt.

"Aber ich will, dass du mich singen siehst!", beharrte er wie ein Kleinkind, als ob ich etwas an den Tatsachen drehen konnte. Konnte ich zu meinem Bedauern nicht.

"Wie gesagt, ich würde es ja gerne sehen, aber ohne Karte geht das nicht." Ich erklärte es so behutsam wie möglich, obwohl er die Tatsachen natürlich selbst kannte.

"Warte!", rief er, als könne ich im nächsten Moment aus dem Fenster springen, und begann, in seinen Hosentaschen zu wühlen. Ein wenig ratlos gab er es auf, bis ihm dann einfiel, wo das Gesuchte zu finden war. Ryuichi verschwand blitzschnell aus dem Wohnzimmer und kam fast im selben Moment wieder zurück. In der erhobenen Hand hielt er - Mein Herz machte einen Hüpfer, so dass es fast meinen Kehlkopf berührte - ein Ticket für das Konzert, versehen mit einem goldenen Sicherheitsstreifen. Komisch. Shuichis hatte einen silbernen.

Ryuichi hockte sich wieder neben mich und drückte mir das Ticket in die Pfote. "Jetzt kannst du kommen, na no da!"

Ich sah es mir an und bekam zuerst keinen Laut heraus. ,Special Visitor' stand da ,Backstage entrance permission'. Das war zu gut, um wahr zu sein. Ohne mir weiter irgendwelche Gedanken zu machen, umarmte ich ihn überschwänglich und rief: "Danke, das ist super!"

Als ich ihn wieder losließ, grinste er glücklich. "Kumagoro und ich freuen uns auf dich!"

Ich nickte und drückte das Ticket gegen meine Brust. So ein tolles Weihnachtsgeschenk im Voraus hatte ich noch nie erhalten.

"Wir sind doch Freunde, oder?"

Mit dieser Frage überraschte er mich. Sie kam aus heiterem Himmel und ich musste mir selbst eingestehen, dass ich nie so darüber nachgedacht hatte in den letzten Tagen. Wir hatten so viel Spaß miteinander gehabt, dass mir die Antwort allerdings leicht fiel. "Ja, das sind wir."

"Für immer und immer, versprochen?"

"Versprochen." Ich wusste nicht, dass ich dieses Versprechen bald brechen würde.

Nun war es er, der mich umarmte, und ich erwiderte die Geste lachend. Wir waren Freunde geworden.
 

tbc...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  halfJack
2014-04-28T15:00:51+00:00 28.04.2014 17:00
Meine Frage vom ersten Kommentar hat sich erledigt, weil mir nachträglich aufgefallen ist, dass du ja meintest, du könntest die kürzlich beendete längere Fanfiction zu Tatsuha und Ryuichi von dir hier auf Mexx wegen Adulteinstufung nicht hochladen. (Warum eigentlich nicht?)
Mir gefiel die Formulierung, dass Ryuichi nicht vollkommen von der Musik beherrscht werden würde, sondern dass er selbst die Musik beherrschte. Was ich auch gut fand, war die unverblümte Beziehungskiste zwischen Eiri und Shuichi, die Tatsuha lediglich am Rande mitbekommt, also das nicht gerade perfekte Schnarchen von Shuichi. War ja nur eine Frage der Zeit, bis Eiri ihn aus dem Schlafzimmer schmeißen wollen würde, aber am Schnarchen lag es gewiss nicht. Es war berechtigt, dass Tatsuha seinem Bruder mal die Meinung geigt, aber dessen Reaktion war - natürlich wieder typisch Yuki - nicht gerade herzerwärmend. Wieder so eine Situation, in der man die eigentlich unterschwellige Gutmütigkeit von Tatsuha bemerkt, die er hinter seiner aufgesetzten Jugendlichkeit verbirgt, selbst wenn er älter wirkt, als er in Wirklichkeit ist. Einen solchen Umgang hatte er jedenfalls nicht verdient. Aber wenigstens hat er einen Ort, zu dem er sich flüchten kann.
Übrigens finde ich die Vorstellung treffend, dass Ryuichi keine teure Bude hat und sich sogar mit einer überholten Spielekonsole zufrieden gibt. Okay, er hat eine Protzkarre, aber wenn er Rennspiele mag, wird er wohl auch das Autofahren an sich mögen. Hingegen ist seine Übernachtungsstätte ja nebensächlich. Betrachtet man seine Klamotten, kann man zwar eine gewisse Extravaganz erkennen, aber sonderlich viel Wert legt er darauf offensichtlich nicht.
Mir kommt es so vor, als könne sich Tatsuha bei Ryuichi ein bisschen seinem Alter entsprechend verhalten, Unsinn treiben und Spaß haben.
Von:  Zasukia
2005-12-21T21:18:01+00:00 21.12.2005 22:18
Wuhaaaa~, ja ja, es bleibt spannend
Also du schreibst super.
Einfach genial deine Geschichte. Das Pairing ist toll, dein Schreibstil gefällt mir... alles supi sozusagen.
Bis zur Fortsetzung ^~ -+- L.G., Cira


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