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Urlaub und andere Grausamkeiten

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URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 3
 

Die Ansage betraf das Programm des Abends und auf Pietros Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, das mir überhaupt nicht gefiel.
 

'War keine gute Idee, mit zu gehen...'
 

Gleich darauf lief jemand zwischen den Tischen hin und her und verteilte weiße Nummernschilder aus Stoff, die sich die Frauen um den Hals legen ließen.
 

Irgendwie hatte ich eine schlechte Vorahnung und ich hätte schreien können, als Pietro nach einem Stoffschild griff und es mir um den Hals hängte. Die Nummer sechzehn.
 

Dabei murmelte er etwas wie: nur für heute und nur so aus spaß.
 

Okay, gut, ich gab mich geschlagen.
 

'Was soll's, hätte auch schlimmer kommen können...'
 

Wir begaben uns also auf die Tanzfläche und die Band begann erneut zu spielen.
 

Zuerst tanzten wir ganz bequem, nicht so übertrieben wie manch anderes Paar.
 

Später ging es dann richtig los.
 

Der absolute Wahnsinn!
 

Die Lichter ringsum begannen zu kreisen und Pietro und ich brauchten uns nur anzurühren, nur anzutippen, mehr nicht.
 

"Das ist ein Tänzerpaar", hörte ich jemanden auf Deutsch sagen, war mir aber nicht sicher, ob es auf uns gerichtet war.
 

War mir aber auch egal.
 

Ich sah nur noch seine Augen, sie wirkten irgendwie magisch anziehend.
 

Nun gab es kein Entrinnen mehr.
 

Hoffentlich würde mich die gute alte Schwerkraft auf dem Boden halten, ich war kurz vor dem Abheben.
 

Stopp.
 

Die Musik verstummte und Nummern wurden aufgerufen.
 

Unsere war nicht dabei, wir durften also weiter tanzen.
 

Mann, wenn ich das nachher Mama erzählen würde...
 

Nachher?
 

Oh Shit, ein Blick auf meine Uhr holte mich in die Realität zurück. Es war schon elf und wir hatten Mama versprochen, um zwölf da zu sein.
 

Wie lange das wohl noch dauerte?
 

Wir waren noch mindestens fünfzehn Paare auf der Tanzfläche. Und wenn jede Runde nur drei Paare ausstiegen, würde es noch Ewigkeiten dauern - oder auch nicht und wir waren schon bei der nächsten Runde out.
 

Also ging es weiter.
 

Bei langsamen Tänzen legte Pietro seine Wange an meine und sein Arm presste meinen Oberkörper an seinen, dass mir die Luft wegblieb.
 

Zuerst stemmte ich mich noch dagegen, aber dann wurde in mir alles so butterweich, da gab ich es auf.
 

Ich konnte es selbst nicht glauben: dass ich Spaß an diesem engen Getanze hatte und das auch noch mit einem *Kerl*.
 

Als die Musik endete, wurden auf der Bühne von Tanzgirls Nummern auf weißen Pappschildern hochgehoben.
 

Ich hatte unsere Nummer schon längst vergessen und war der festen Überzeugung, wir seien out.
 

Pietro hingegen jubelte und wirbelte mich einmal im Kreis.
 

"We are in the competition!"
 

Nur noch acht Paare durften den nächsten Durchgang mitmachen.
 

Und wir waren dabei.
 

Die restlichen verbliebenen Paare fingen an, sich kritisch zu mustern.
 

Wohl um abzuchecken, wer die größte Chance hätte zu gewinnen.
 

Ich fand das total bescheuert, das hier war doch eh nur Spaß, aber die meisten schienen es voll ernst zu nehmen.
 

Es ging also weiter und es wurde ein Rap gespielt, den ich von unserer Schulband kannte und so legte ich noch einmal richtig los, lies meine Hüften und Schultergelenke kreisen.
 

Und ich hätte wetten können, dass mindestens die Hälfte der Konkurrenz versuchte, mir das nachzumachen.
 

Einmal stießen wir bei einem meiner obergeilen Manöver mit einer alten blonden Tussi zusammen, deren hellblaues enges Kleid so um ihre Rundungen drapiert war, das es mich an den Vorhang im Foyer unseres Stadttheaters erinnerte. Sie schoss einen Laserstrahl auf mich ab. Ich spürte, dass sie mich beneidete oder verachtete oder beides.
 

Egal, schließlich war das hier nur just for fun.
 

Und weiter?
 

Megamäßiges Glück, denn Pietro und ich waren beim Siegertrio dabei. Mit uns noch ein nett aussehendes blondes Mädchen mit ihrem Partner und - du kriegst die Motten - die drapierte Tussi.
 

"We shall win and you will be the queen!", flüsterte Pietro mir zu und ich war so gut drauf, dass ich ihm die Bezeichnung *queen* verzieh.
 

Es ging weiter und ich wusste gar nicht, wie mir geschah.
 

Mich hatte ein Schwindel erfasst.
 

Diese Superlocation, die ganze Deko, das ewige Tanzen mit Pietro, seine Anmache... und dann auch noch der Alkohol, die heiße Nacht und über uns dieser unglaubliche Sternenhimmel.
 

Alles drehte sich um mich und ich hatte die Kontrolle über meine Schritte verloren.
 

Nur gut, dass Pietro mich so fest im Griff hatte.
 

Der letzt Ton verebbte und Pietro blieb in einer Umarmung stehen, starrte zum Mikrofon hinüber, das nun leise knackte.
 

Es war längst nach eins, als die Ansagerin ans Mikro herantrat um das Ergebnis zu verkünden.
 

Pietro packte meine Hand, zog mich ein bisschen näher in Richtung Bühne.
 

Endlich wurden die Siegernummern vorgelesen und ehe ich reagieren konnte hatte Pietro mich schon ganz vor an die Rampe.
 

Wir hatten gewonnen.
 

Es dauerte ein Weilchen bis ich das realisierte.
 

Plötzlich stand ich auf den Podest und starrte geblendet in das Dunkel vor mir, sah die im Scheinwerferlicht blass wirkenden Gesichter von Pietro und den anderen.
 

Mir wurde ganz heiß in dem grellen Licht.
 

Der Applaus war *mein* Applaus!
 

Dann wurde mir ein blaues Seidenband mit Goldschrift umgelegt.
 

Unentwegt lächelte ich, in die glücklichen Gesichter der anderen Siegerinnen und in die Blitze der Fotografen.
 

Die Ansagerin drückte uns Geschenke in den Arm, Blumensträuße, Konfektschachteln und eine kleine blaue Schatulle auf der in Goldschrift 'Miss Bellezza e Moda' stand.
 

Und diese Miss war ich!
 

Ich dachte nicht eine Sekunde daran, dass ich mich normalerweise darüber aufregen müsste, dass ich es nicht leiden konnte, als Mädchen bezeichnet zu werden, aber das war mir im Moment egal.
 

Ich erwartete, dass jeden Augenblick ein Blitz in den Boden vor mir fahren würde, gefolgt von einem grausamen Donnerschlag und ich würde schweißgebadet in meinem Bett aufwachen.
 

Ich kniff mir in den Arm, hatte ganz menschliche Empfindungen dabei.
 

Dieser Abend *war* echt, die Blumen, der Händedruck der Gratulanten, das Megawattgeflimmer.
 

Genau so wie Pietros heiße Umarmung später draußen auf der leeren Straße.
 

Er flüsterte etwas auf Italienisch und bedeckte mein Gesicht mit Küssen.
 

Ich fühlte mich wehrlos mit all den Geschenken im Arm.
 

Ich wollte nicht, dass er weiter machte und gleichzeitig wünschte ich es mir doch.
 

Das holte mich schlagartig von meinem Höhenflug zurück auf den Boden der Wirklichkeit.
 

Verdammt, wir waren viel zu spät dran und so langsam spürte ich auch wieder die Schmerzen in meinem Fuß.
 

"Wir sollten uns beeilen, Pietro, meine Mutter wartet bestimmt."
 

Ich drückte ihm das Bukett in den Arm, so dass er mit seiner Umklammerung aufhören musste. Er hatte nur noch einen Arm frei, den er auch schon sofort um mich gelegt hatte.
 

'Pha, der hat sich bestimmt schon ne schöne Lovestory für uns ausgedacht, dieser Idiot. Am kühlen Strand und nur den herrlichen Sternenhimmel als Beobachter. Tja, wenn Mama nicht gewesen wäre!'
 

Unterwegs öffnete ich die Schatulle, die offensichtlich meinen Gewinn enthielt.
 

Wäre mein Kiefer aus Gummi, wäre mein Unterkiefer sicher schmerzhaft auf den Boden geknallt.
 

Ein Armband aus Gold lag auf hellblauem Samt, bestehend aus drei schimmernden Bänder, die mit einem Verschluss zusammengehalten wurden.
 

Mama würde staunen.
 

Und die zu Hause erst!
 

Kurz vor dem Clubgelände hielt Pietro an, legte die Blumen auf eine Bank und umfasste mich um die Hüfte, zog mich eng an sich.
 

"Ein Kuss noch", hauchte er.
 

Er küsste wie ein Weltmeister, wie er auch getanzt hatte.
 

Sicherlich tat er auch das *andere* wie ein Weltmeister, aber jetzt war wirklich nicht die Gelegenheit, sich das auszumalen.
 

Scheiße, ich konnte ja nicht mal behaupten, dass ich betrunken war, als ich mich von ihm hab küssen lassen - und zwar so richtig!
 

Das und die Tatsache, dass ich mich gleich in die Höhle einer wilden, beinahe unbesiegbaren Löwin begeben musste reichte aus, um mich entschlossen gegen ihn zu stemmen.
 

Den würde ich sicher nie wieder mehr als zwanzig Meter an mich ran lassen.
 

Und überhaupt, was fällt dem ein, mich zu küssen.
 

Ich stand schließlich nicht auf Kerle, schon gar nicht auf so einen Idioten.
 

Das mir mein Gefühl einreden wollte, dass mir der Kuss durchaus gefallen hatte und ich ihn auch nicht gerade sehr entsetzt erwidert hatte, übersah ich einfach.
 

Wer hörte schon auf sein Gefühl.
 

Pietro ließ mich sichtlich ungern gehen, aber Mama wartete nun mal...
 

Auf geht's...
 

***
 

Als ich an der Tür unseres Bungalows angekommen war, spürte ich, wie sich mein Pulsschlag bestimmt verdoppelte.
 

Warum eigentlich?
 

Trotzig drückte ich die Klinke und machte mich innerlich auf eine Standpauke gefasst, wie ich sie wahrscheinlich noch nie gehört hatte.
 

Mama schließ - wie erwartet - nicht, sondern saß mit einer Zeitung in der Hand auf dem Bett, aufrecht wie eine Eins.
 

'Vielleicht ist das auch gar nicht meine Mutter, dieses keifende Weib', mutmaßte der krankeste und paranoideste Teil meines Hirns, der wirklich selten zum Vorschein kam.
 

"Bist du denn von allen guten Geistern verlassen!", schnauzte sie, als ich mich meiner Siegertrophäen entledigt hatte.
 

"Ich weiß, dass es spät ist."
 

"Wie kannst du mir so etwas nur antun?"
 

Aha, da hatte man es wieder. Aber *sie* durfte das immer, ja?!
 

"Lass es mich erklären, Mama! Das war s-"
 

"Und dieser infame Kerl, dem werd ich auch noch was erzählen!", unterbrach sie mich. "Mein Gott, da lässt man dich auch nur ein Mal allein."
 

'Kein Zweifel, die wurde ausgetauscht und hat jetzt irgendwelche spleenige Ideen. Wahrscheinlich denkt sie...'
 

Ich ließ mein konfuses Hirn gar nicht erst zuende denken, das was dabei rauskommen würde, würde mir sicher nicht gefallen - oder vielleicht eher doch??
 

"Es kam, dass wir bis zum Schluss bleiben mussten.", versuchte ich es ihr zu erklären.
 

"Ich wollte schon die Polizei einschalten, täglich passier so etwas!"
 

Sie hörte mal wieder nicht zu.
 

Ob sie Peter jemals so niedergemacht hatte??
 

"Mama, ich habe gerade ein Goldarmband gewonnen!", versuchte ich sie zu besänftigen - und hätte mich gleich darauf am liebsten geohrfeigt.
 

Mama starrte mich an, als wäre ich ein Zombie, ein Mörder oder was weiß ich was für ein Monster.
 

"Um Himmels Willen!", hauchte sie entsetzt.
 

Allmählich langte es mir.
 

Was soll diese Szene, vertraute sie mir etwa überhaupt nicht?
 

Also trat ich zu ihr, hielt ihr die meerblaue Schatulle unter die Nase und öffnete sie.
 

Im Schein der Zimmerbeleuchtung schien das Goldband noch mehr zu strahlen als zuvor unter dem Mondlicht.
 

Aber Mama war wohl vor Frust und Zorn blind und taub.
 

"Davon will ich nichts wissen", sagte sie mit einer Stimme, als wollte ich ihr ein schreckliches Geheimnis anvertrauen. "Das dir das passiert ist, ausgerechnet dir!"
 

"Häh?"
 

Spinnt die?
 

Die dachte doch jetzt nicht wirklich...?
 

Oh Mann, die dachte!!
 

Die traute mir also allen ernstes zu, dass ich mit einem Kerl, den ich erst ein paar Tage kenne, in die nächstbeste Kiste hüpfe??
 

Mit einem *Kerl*?
 

Und so was war meine Mutter?
 

"Dass du dich darauf eingelassen hast! Dass du dich auf ihn eingelassen hast!" jammerte sie auch weiter.
 

Jetzt reicht's!!
 

Das muss ich mir nicht geben!!
 

"Du täuscht dich da ganz gewaltig! Denkst du etwa wirklich... Mann, du bist auf der falschen Fährte, wenn du wirklich glaubst, ich hätte es mit *ihm* getrieben!"
 

'Der ist nämlich nicht mein Typ... Wenn er wenigstens ein *bisschen* wie Lucas wäre...'
 

Ich war so damit beschäftigt, meine Mutter anzubrüllen, dass ich diesen Gedanken, der sich da so ganz ohne mein Zutun eingeschlichen hatte, glatt übersah.
 

"Es gab einen Tanzwettbewerb, kapierst du? Nur einen einfachen, guten, alten Tanzwettbewerb. Und wir haben halt mitgemacht! Und gewonnen! Deshalb hat das so lange gedauert, wir konnten doch nicht mittendrin einfach abhauen!"
 

Mama sah mich aus leeren Augen an, sie konnte einem wirklich leid tun.
 

Aber ich war nicht in der Stimmung, darauf einzugehen.
 

"Kapierst du endlich?"
 

Sie beobachtete die - inzwischen wieder geschlossene - Schatulle, als würde sie jeden Moment aufspringen und eine Vogelspinne hervorzaubern.
 

"Ist das wahr?"
 

Wenigstens schien sie wieder sprechen zu können.
 

"Ja, auch wenn du es mir vielleicht nicht zutraust. Alles was wir getan haben war tanzen, tanzen und nochmals tanzen! Und dann war es auf einmal halb zwei und ich war Sieger!"
 

"Und danach ist nichts passiert?", wollte sie misstrauisch wissen.
 

"Doch! Als Sieger wurde mir dieses Schmuckstück überreicht!"
 

Ich deutete auf die Schatulle mit dem Armband.
 

"Und er ist wirklich nicht zudringlich geworden?"
 

Aha, Mama hatte also doch wirklich gemerkt, dass Pietro auch dem gleichen Geschlecht nicht abgeneigt war.
 

Aber das sie mir das ebenfalls zutraute war irgendwie erschütternd.
 

Ich dachte immer, Eltern würden es schrecklich finden, wenn ihr Kind sich als Homosexuell entpuppte.
 

Oder zumindest würden sie es nicht so einfach hinnehmen.
 

Aber meine Mutter schien ja davon auszugehen, dass ich schwul war.
 

'Also, irgend etwas läuft hier nicht so richtig wie es soll!'
 

'Wieso, wäre es dir lieber, deine Mutter würde versuchen, dich mit allen möglichen und unmöglichen Mädchen bekannt zu machen und zu verkuppeln?'
 

'Nein!! Aber trotzdem... Wie kommt sie darauf, dass ich schwul bin? Ich stehe nicht auf Jungs!'
 

'Ach ja? Und wie kommt es dann, dass du ständig *davon* träumst? Das es dir gefallen hat, diesen Kerl zu küssen?'
 

'Klappe! Was mischt du dich hier eigentlich ein? Du hast dich sonst ja auch immer raus gehalten, also mach das du weg kommst, sonst...'
 

Die Diskussion mit meinem inneren Schweinehund beendend, registrierte ich, dass Mama immer noch auf eine Antwort wartete.
 

Ich musste kichern.
 

"Mama, ist er nicht. Aber selbst wenn..., Mann, ich bin siebzehn Jahre alt, glaubst du nicht auch, dass ich mich wehren könnte, wenn es gegen meinen Willen geschehen würde?"
 

Klar, als ob ich Schwächling gegen Pietro eine Chance hätte, träum weiter!
 

"Und außerdem, jeder in meiner Klasse hat schon mal mit jemanden geschlafen und du denkst, ich müsste bis in alle Ewigkeit meine Unschuld bewahren, oder was! Hey, in welchem Zeitalter lebst du denn?"
 

Hach, ich war so richtig schön in Rage, nichts und niemand konnte mich stoppen!
 

"Und eins sag ich dir, irgendwann werd ich's auch ausprobieren, ich werd nicht mehr lange warten!"
 

Mama guckte irgendwie komisch.
 

"Aber doch nicht mit jemandem x-beliebigen, mit so einem alten..."
 

"Gestern fandest du Pietro aber nicht alt...", sagte ich vieldeutig.
 

Während unserer 'Unterhaltung' hatte ich mich ausgezogen und stand nun in Boxershorts vor dem Badezimmerspiegel und entfernte die letzten Make-up-Reste.
 

"Erlaube mal!", rief Mama empört.
 

Ich gähnte nur, löschte überall das Licht und kroch unter die Baumwolldecke.
 

Plötzlich weinte Mama.
 

Ich kapierte wirklich nicht weshalb.
 

Vielleicht, weil sie ganz alleine einen öden Abend verbringen musste, während ich mich amüsierte.
 

Vielleicht, weil sie sich doch in Pietro verguckt hatte, nur ein kleines Bisschen, und dass, obwohl er bestimmt knapp zwanzig Jahre jünger war als sei.
 

Ich schwor mir im Stillen, nie wieder allein mit Mama in den Urlaub zu fahren, und sei das Reiseziel noch so verlockend!
 

Warum ließ sie mich auch nicht alleine erwachsen werden, mischte sich immer ein und komplizierte dadurch nur alles, ihr eigenes Leben und meines.
 

War sie doch selbst schuld, dass sie sich jetzt so mies fühlte.
 

Trotzdem konnte ich sie nicht einfach so da liegen lassen.
 

Also rutschte ich näher zu ihr hin und strich ihr durchs Haar.
 

"Ich bin wirklich froh, dass dir nichts passiert ist", wisperte sie.
 

"Ich weiß. Jetzt lass uns endlich schlafen", antwortete ich.
 

Keine fünf Minuten später hörte ich ihre gleichmäßigen Atemzüge.
 

Ich konnte nicht schlafen, meine Nerven waren überreizt und so dachte ich nach.
 

Was, zum Kuckuck, sollte ich mit einem Goldarmband anfangen?
 

Verschenken?
 

Mama hatte nächstes Jahr ihren Fünfzigsten, das wäre doch ein schönes Geschenk.
 

Bald schon glitten meine Gedanken zu diesem einen Thema.
 

Nicht, dass ich freiwillig so oft und so intensiv über dieses Thema nachdachte, aber auch wenn ich mich zwang, an langweilige Mathestunden oder Chemieversuche zu denken, glitten meine Gedanken unweigerlich zurück.
 

Bedauerte ich etwa, dass ich nicht mit Pietro geschlafen hatte?
 

Eher nicht.
 

Mittlerweile hatte ich mich mit dem Gedanken angefreundet, wohl doch schwul zu sein.
 

Was war daran denn sooo schlimm??
 

Es gab schließlich eine Menge Leute, die Homosexuell sind, warum also nicht auch ich?
 

Und schließlich gab es ne Menge hübsche Kerle...
 

Ich dachte an die Leute aus meiner Klasse, an Karsten und Mark, meinen Vater und an Peter.
 

Wie die das wohl aufnehmen würden?
 

Mama schien ja offensichtlich keine Probleme damit zu haben...
 

Würde sich die Freundschaft zu Karsten ändern?
 

Würde er es vielleicht ekelhaft finden?
 

'Am besten du erzählst es ihm einfach nicht - noch nicht!'
 

'Aber ich hab ihm immer alles erzählt! Und ich glaube nicht, dass er es eklig finden wird! Er ist schließlich mein Freund.'
 

'Na und, du würdest dich wundern, wie schnell sich dass ändern kann...'
 

Über meine Gedanken hinweg glitt ich in die Traumwelt, begleitetet von Karstens lächelndem Gesicht.
 

Und in meinen Träumen waren wir keine Freunde.
 

Da waren wir mehr, viel mehr...
 

Und als dann auch noch Lucas Karstens Platz einnahm, wurden die Träume auch noch sehr, sehr feucht...
 

***
 

'Nur noch zwei Tage' schoss es mir durch den Kopf, als ich mich faul im Bett räkelte, die Sonnenstrahlen, die in mein Gesicht fielen, ignorierend.
 

Mann, hatte ich einen Kopf!
 

Der wog mindestens eine Tonne!
 

Und es waren bestimmt zwanzig Drummer damit beschäftigt, darin zu üben!
 

Mama summte aus dem Badezimmer, anscheinend hatte sie blendende Laune.
 

Da kam sie auch schon wieder, in Jeans und Blümchenbluse.
 

"Morgen", nuschelte ich in ihre Richtung.
 

Irgendetwas stimmte nicht so ganz mit meinen Stimmbändern, ich klang so eingerostet.
 

"Morgen Mandy!" trällerte sie fröhlich. "Was soll denn jetzt mit den Blumen passieren? Auf ewig kannst du sie nicht in der Badewanne lassen - und dass auch noch ohne Wasser!"
 

Träumte ich noch oder hörte ich tatsächlich einen Vorwurf wegen meiner hartherzigen Behandlung der Blumen gegenüber?
 

"Ich werd mich mal um eine Vase kümmern."
 

Ohne auch noch eine Erwiderung oder ähnliches abzuwarten war Mama auch schon verschwunden.
 

Ächzend setzte ich mich auf und krabbelte aus dem Bett.
 

Der Blick in den Badezimmerspiegel wirkte ernüchternd.
 

Das konnte unmöglich ich sein, der mir da entgegen starrte.
 

Müde Augen, nein falsch, müdes Gesicht, als hätte ich nächtelang durchgemacht.
 

Meine Haare standen ohne jegliche Ordnung und Sinn in alle Himmelsrichtungen ab.
 

Ich schnitt mir selbst eine Grimasse, nicht gewillt mich in Selbstmitleid und Depressionen zu stürzen.
 

Eine Ladung kaltes Wasser wirkte bestimmt...
 

***
 

Nach einem wirklich gemütlichen Frühstück, das ausnahmsweise auch noch richtig gut schmeckte, entschieden Mama und ich, noch mal an den Strand zu gehen.
 

So liefen wir in stummer Eintracht mit unseren Badesachen los.
 

***
 

Also, man glaubt ja gar nicht, was so alles passieren kann!
 

Zuerst stießen wir, keine zwei Meter vom Clubgelände entfernt auf einen grünen Kleinbus mit Berliner Nummernschild, der dann auch noch voll besetzt war.
 

Das Auto und die Besatzung - sechs eigentlich ganz nett scheinende Jungs - wirkten irgendwie staubig, so, als wären sie vorher quer durch Afrika gefahren und das auch noch jahrelang.
 

"He, Puppe", quatschte mich einer der Kerle an, die gerade dabei waren, aus dem Minibus zu klettern, "weißte, dass ich ne Schwester hab, die genau so aussieht wie du?"
 

Ja, ja, das kennt man ja, die typischen bescheuerten Anmachsprüche, die heute doch bei keinem mehr zogen.
 

Ich ignorierte die Typen also und als wir schon fast an ihnen vorbei waren, wollte er noch wissen, wo man hier denn surfen konnte.
 

Zugegeben, ich hatte von surfen und so keine Ahnung, wusste also echt nicht, ob man das hier kann oder nicht, aber ich sagte ihnen trotzdem, sie sollen einfach hinter uns herlaufen.
 

Und Wunder, oh Wunder, sie taten das dann auch tatsächlich.
 

Mama schien darüber nicht sehr erfreut, aber was machte das schon, die kleine Wegstrecke bis zum Strand...
 

Denkste, die mussten sich dann natürlich gleich neben uns niederlassen!
 

Die wollten tatsächlich nichts, außer ins Wasser und Mama beruhigte sich wieder.
 

Nur einer der Berliner wurde richtig zutraulich, und so fing dann auch ein richtig nettes Gespräch an: wo sie gerade herkamen, wer sie waren, ob sie hier bleiben wollten und so weiter und so fort.
 

Dass sie aus Berlin kamen, das wusste ich ja schon, aber das Beste kam ja noch.
 

Die kannten doch tatsächlich diese 'supertolle' Sängerin, von der mir Lucas schon vorgeschwärmt hatte.
 

Tja, daran konnte man mal wieder sehen, wie klein die Welt doch ist.
 

Ich beschloss mich bei ihm - ganz diskret, nebensächlich und natürlich überhaupt nicht vorsätzlich - über diese Sue zu informieren, und er ging dann auch gleich darauf ein.
 

Er erzählte also munter darauf los, alles was ich wissen wollte oder auch nicht, er konnte mir alles sagen.
 

Die Temperaturen kletterten immer höher, schließlich hielt ich es nicht mehr aus und streifte mir mein T-Shirt über den Kopf.
 

Immerhin hatte ich schon ein bisschen mehr Farbe als die Berliner, die mich fast alle anstarrten.
 

"Was? Hab ich was im Gesicht oder warum starrt ihr so?"
 

Im Grund kannte ich die Antwort ja schon, es war doch immer das Gleiche.
 

"Na ja, eigentlich hatten wir dich für ein Mädchen gehalten..."
 

Entschuldigend grinste mich der 'Zutrauliche' an - und verlor auch schon fast schlagartig das Interesse an mir.
 

Ich musste in mich hinein grinsen.
 

'Ja, ja, Kleiner, hast dich bestimmt schon auf was weiß ich was alles gefreut!'
 

Ich widmete mich wieder meiner Mama, die gerade klitschnass aus dem Wasser kam.
 

Gemütlich grillten wir bis in den späten Nachmittag in der Sonne, ich würde bestimmt einen Sonnenbrand ohne gleichen bekommen.
 

Dann hielt ich es nicht mehr aus.
 

Die Rumliegerei stieg mir zu Kopf und ich langweilte mich furchtbar.
 

Schließlich stand ich auf, zog mir mein Shirt wieder über und sagte: "Ich bin ein bisschen bummeln."
 

"Pass auf dich auf!"
 

"Sicher!"
 

Als ob an jeder Ecke große, böse Männer auflauern würden, um mich, mehr einem Mädchen als einem Jungen gleichenden Schwächling mit einem Messer anzugreifen.
 

***
 

Kaum hatte ich mich in Bewegung gesetzt fühlte ich mich auch schon viel besser.
 

Ich wanderte den Strand entlang, der jetzt nicht mehr ganz so brechend voll war, wie ein paar Stunden zuvor.
 

Ich zog meine Turnschuhe wieder aus, wirbelte mit den Zehen Sand auf und fühlte mich einfach großartig.
 

Ich lief, bis ich an eine Bucht kam, die nicht aus Sand, sondern aus Steine bestand.
 

Ich setzte mich, planschte ein weinig mit den Füßen im seichten Wasser und genoss es einfach.
 

Entspannt lehnte ich mich zurück, dachte daran, wie schön es doch wäre, wenn Lucas jetzt hier bei mir wäre, neben mir sitzen würde.
 

Wir wären Händchenhaltend hierher gelaufen, hätten einen Platz ganz für uns allein, würden die leichte Briese genießen, uns immer wieder zärtlich küssen...
 

Seufzend schloss ich die Augen.
 

'Warum nur schleichst du dich immer in meine Gedanken?'
 

'Na, weil du in ihn verliebt bis!'
 

'Quatsch, ich bin nicht verliebt! Das hätte ich gemerkt.'
 

'Klar, du träumst nur ständig von ihm, stellst dir vor, wie schön es wäre, mit ihm zusammen zu sein, mit ihm Zärtlichkeiten austauschen zu können, aber du bist natürlich nicht verlieb!'
 

'Nein, bin ich auch nicht... Na gut, vielleicht ein ga~anz kleines bisschen... nur minimal, nicht der Rede wert...'
 

'Ja, ja und morgen ist Weihnachten! Klar bist du verliebt, dich hat es erwischt, hundertprozentig und richtig heftig.'
 

'Nein. Nein, nein, nein, nein, nein! Ich will mich nicht verlieben! Nicht jetzt, wo er doch diese blöde Tussi aus den USA hat.'
 

'Seid wann kannst du es dir denn aussuchen, wann du dich verliebst? Und außerdem, soo toll scheint die auch nicht zu sein, wenn dass was der Berliner da erzählt hat auch nur zur Hälfte stimmt. Wenn du wieder zu Hause bist, rede mit ihm. Ich wette er wird nicht abgeneigt sein und dann...'
 

'*Spinnst* du? Ich soll ihm das auch noch sagen? Nie im Leben!! Der lacht mich doch aus und hält mich für total bescheuert!'
 

'Ach ja, ich vergaß, du bist ja ein Feigling ohne Ende...'
 

'Na und? Lieber ein Feigling sein als sich vor dem Freund seines eigenen Bruders total lächerlich zu machen! Und außerdem, wer sagt denn, das er wirklich schwul ist? Vielleicht war das ja nur ein blöder Spaß von Peter. Schließlich hat Lucas jetzt ja diese Sue.'
 

'Ach, glaubst du? Vielleicht ist er ja auch nur bi und du hast somit noch alle Chancen?'
 

'Aber klar doch, ausgerechnet ich! Schau mich mal an, glaubst du ernsthaft, ich hätte bei nem Typen wie Lucas eine Chance? Und jetzt halt die Klappe! Um deine Meinung hat dich nämlich niemand gebeten!'
 

Meine eiskalten Füße rissen mich aus meinem innerlichen Streit zurück in die Wirklichkeit.
 

Und mein knurrender Magen erinnerte mich daran, dass ich das Mittagessen ausfallen hab lassen und nun einen ganzen Ochsen verdrücken könnte.
 

Die Sonne ging auch schon unter und tauchte die Landschaft in ein wunderschönes rötliches Licht.
 

Irgendwie wurde es mir schwer ums Herz.
 

Es war so ein schöner Anblick und ich saß hier alleine.
 

Einsam und verlassen.
 

Das Leben war doch echt zum Heulen.
 

Langsam schlenderte ich wieder zurück, es waren nur noch wenige Menschen unterwegs.
 

Unser Platz am Strand war auch leer, Mama war also schon gegangen.
 

Ich ging die Straße hoch, keine zweihundert Meter vor mir lief ein Paar.
 

Der Typ hatte gelben Hosen an und ein weißes Shirt, ein ebenfalls weißer Pullover hatte er sich locker um die Hüften gebunden.
 

Den Arm hatte er um die Schultern der gelegt, die Badetasche kam mir vertraut vor.
 

Ein interessantes Paar - Pietro und meine Mutter.
 

Ich konnte einfach nicht wegschauen, diese Szene hatte etwas unwirkliches an sich, wie eine Halluzination.
 

Wirklich wunderbar, so ein verdammter Macho!
 

Unterwegs blieben sie kurz stehen, meine Mutter erklärte ihm etwas mit Händen und Füßen.
 

Ich setzte mich auf den Boden, wollte nicht, dass sie mich bemerkten, wollte nicht mit ihnen reden müssen.
 

Ich hatte auch keinen Appetit mehr, war mir nicht sicher, ob ich zum Essen gehen sollte.
 

Ich fühlte mich komisch - so ein Gefühl wie dieses hatte ich noch nie.
 

Eifersucht?
 

Nein, ich machte mir ja nichts aus dem Typen.
 

Aber was war es dann.
 

Ich saß also noch ein Weilchen da, grübelte darüber nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
 

***
 

Als ich mich dann doch dazu entschied, etwas essen zu gehen, und im Speisesaal eintraf, war meine Mutter schon fertig.
 

"Na, hast du genügend nachgedacht?", wollte Mama wissen und lächelte mich an.
 

Ich gab keine Antwort, zuckte nur mit den Achseln.
 

Konnte ihr ja egal sein.
 

Sie hatte sich doch prächtig amüsiert.
 

Sie betrachtete mich prüfend mit diesem typischen Mutterblick, der mir eindeutig sagte, wie reif, selbstbewusst und abgeklärt sie doch war.
 

"Vielleicht solltest du dich etwas hinlegen", schlug Mama mir vor.
 

Auch das noch.
 

"Was heißt das? Willst du mich loswerden?"
 

"Unsinn, Mandy - ich denke nur, es kann dir nicht schaden, nachdem du dir die Nacht um die Ohren geschlagen hast..."
 

"Ich habe mir nicht die Nacht um die Ohren geschlagen, ich war nur tanzen, das war's auch schon."
 

Darauf antwortete Mama nicht.
 

Ich wurde nervös.
 

Keine Ahnung warum, aber die Nervosität hielt mich und so stopfte ich Weißbrot in mich hinein.
 

Und dass, obwohl ich genau wusste, dass dieses Zeug bekanntlich dick macht und ich die überflüssigen Pfunde nicht so ohne weiteres los werden würde.
 

Aber was interessierte es mich?
 

"Und?", fragte ich schließlich, das Schweigen wurde mir einfach zu blöd.
 

"Was und?"
 

"Na, kommt er nun oder kommt er nicht?"
 

Mama guckte erstaunt.
 

"Tu nicht so scheinheilig - der Heilige Geist."
 

"Du meinst Pietro, hast du ihn schon gesehen?"
 

"Euch habe ich gesehen, interessiert mich aber nicht die Bohne."
 

Oh Mann, Mandy, du bist ja so ein Idiot!!
 

Das hat sich jetzt auch so richtig glaubhaft angehört!
 

"Er kam vorbei, kurz nach dem du gegangen bist", sagte Mama und mir kam es so vor, als wollte sie sich entschuldigen.
 

"Und da bleibt dir nichts anderes übrig, als eng umschlungen mit ihm durch die Gegend zu rennen? Macht schon einen etwas komischen Eindruck."
 

"Was ist denn in dich gefahren?", fragte Mama.
 

Tja, das wüsste ich auch gerne!
 

Also: ablenken!!
 

"Sag mal - wie heißt Papa denn mit Vornamen?"
 

Nicht das ich es nicht wüsste, aber ich glaube, ich war gerade dabei, meiner Mama den Spaß ganz schön zu verderben, da wollte ich das wenigstens auch richtig tun!
 

Sie zuckte leicht zusammen, antwortete aber ohne mit der Wimper zu zucken: "Michael. Wie kommst du denn jetzt darauf?"
 

"Weil ich dich mit Michael mal gerne so rumlaufen sehen möchte!"
 

Mama ignorierte meine Bemerkung: "Gleich kommt Pietro. Er hatte die nette Idee, mich heute Abend auszuführen, sozusagen als Entschädigung für gestern."
 

Aha, so lief das hier also!
 

Ich musste wohl ein ziemlich blödes Gesicht gemacht haben, wahrscheinlich sah ich aus als hätte ich einen Liter puren Zitronensaft auf ex getrunken, jedenfalls sagte Mama: "Ach Mandy, was ist denn los? Soll ich lieber hier bleiben und mit dir etwas unternehmen?"
 

"Nicht nötig, eine Tragödie aus der Geschichte zu machen!"
 

Dann schwiegen wir uns wieder an.
 

Was sollte ich auch schon großartig sagen?
 

Mama ich finde es scheiße, dass du dich von einem Typen um den kleinen Finger wickeln lässt, der sich gestern noch am liebsten an deinen Sohn rangeschmissen hätte und wenn wir weg sind, keinen Gedanken mehr an dich verschwendet, außer, wie gut du im Bett warst?
 

Nee, das konnte ich unmöglich sagen, schon gar nicht hier.
 

***
 

Als wir den Speisesaal verließen stand Pietro schon abfahrtbereit da.
 

"Ciao, bella!"
 

Was für ein Heuchler!
 

Ich betrachtete das lächerliche Gefährt, dass sich einen Motorroller schimpfte.
 

Ein paar übliche Begrüßungs- und Verabschiedungsfloskeln, Mamas Versprechen, nicht zu spät zurück zu kommen und meine Bemühungen, so gleichgültig wie nur möglich auszusehen.
 

Macht mir echt nichts aus, dass meine Mama mit einem Macho der übelsten Sorte unterwegs war.
 

Wieso auch?
 

Mit abartigem Geknatter verschwand die beiden auf dem Motorroller.
 

Jetzt stand ich also da, wusste absolut nicht, was ich mit dem angefangenen Abend anfangen sollte.
 

So eine verdammte Scheiße.
 

Ich beschloss, mir noch einmal die absolut tödlich langweilige Einkaufsmeile anzusehen, vielleicht entdeckte ich irgendwo ein Kino, in dem ich mir einen Schnulzfilm anschauen konnte, mit mehr Amore und dem ganzen Mist als eigentlich zulässig und ertragbar.
 

Vor einem anderen Hotel lag ein Pärchen am Swimmingpool und küsste sich wie verrückt in aller Öffentlichkeit.
 

Ob Mama sich eigentlich von ihm betatschen ließ?
 

Ich war mir zwar sicher, dass sie ihn nicht weit kommen ließ, aber es machte mich dennoch irgendwie rasend.
 

Ich hatte die kuriose Idee, Papa anzurufen, als ich eine öffentliche Telefonzelle sah, verwarf den Gedanken aber genau so schnell wieder, wie er sich in mich geschlichen hatte.
 

Dann kam mir der blitzartige Einfall, Lucas' Stimme zu hören.
 

Es war wie ein Schlag in den Bauch und ich spürte erschüttert, was für eine Sehnsucht ich empfand, wenn ich auch nur an ihn dachte.
 

Aber ich hatte ja noch nicht mal seine Nummer.
 

Ob ich mich auf englisch durch die Auskunft kämpfen konnte?
 

Und was sollte ich ihm am Telefon sagen, falls er wirklich ran ging?
 

Hallo, wollte nur mal hören, wie bei dir das Wetter so ist??
 

Oh man!
 

Ich zermaterte mir also das Gehirn, ohne auf eine gescheite

Lösung zu kommen.
 

Aber ich hatte ja Zeit...
 

Ich kam gerade an einem Zeitungsladen vorbei, den ich eigentlich gar nicht wirklich beachtete, als etwas dort meine Aufmerksamkeit fesselte.
 

Waren das etwa...
 

Sie waren es!
 

Bilder von gestern Abend, unsere Bilder.
 

Ich und die Vorhangtussi, ich in Großaufnahme, Pietro und ich beim Tanzen, ein Foto auf dem er mich küsst, und noch eins und noch eins...
 

Wow!
 

Die musste ich haben!!
 

Damit die mir zuhause das alles auch glaubten.
 

Leider hatte der Laden schon geschlossen, also musste ich wohl morgen noch mal her kommen.
 

Ich starrte die Bilder noch eine Zeitlang an, hatte doch eh nichts besonders vor.
 

Auf einen Schnulzfilm hatte ich keine Lust mehr, außerdem war nirgends ein Kino in sicht.
 

Ich machte mich also wieder auf den Rückweg.
 

Zum Glück begann meine Stimmung, sich zu heben.
 

Dass meine Mutter mal für ein paar Stunden nicht in meiner Nähe war, schien mir ganz gut zu tun.
 

Eine Weile schlenderte ich einfach so in der leeren Empfangshalle unseres Clubdorfes umher.
 

Und ich überlegte schon wieder, welchen Grund ich haben könnte, Lucas anzurufen.
 

Vielleicht Peter?
 

Ich könnte ja behaupten, Peter ginge nicht ans Telefon, ob er denn wüsste, wo er sei?
 

Würde er mir das glauben.?
 

Ach, scheiß drauf, ich konnte dann ja immer noch ganz spontan Reagieren, mit "Ich wollte einfach deine Stimme hören" oder so.
 

Ich notierte also alles, was ich wusste - was sich also auf Vor- und Nachnamen und die Stadt beschränkte - schön sauber in Blockbuchstaben auf einem Zettel und schob ihn der Telefondame unter die Nase.
 

"Please give me a connection. "
 

Es dauerte ewig, aber schließlich winkte die Frau mich in eine Kabine und ich nahm den Hörer ab.
 

"Wer da?", wollte eine fremde, aber eindeutlich männliche Stimme wissen.
 

"Ist dort Lucas Berger?"
 

Ich war mir sicher, dass er es nicht war, es sei denn, er hätte ne fette Erkältung oder sonst was.
 

"Melly, bist du's?"
 

"Nein, hier spricht Mandy, aus Italien."
 

"Hey, toll, was machst du denn in Italien?"
 

Idiot, was macht man wohl in Italien?
 

Bestimmt nicht auf den Eifelturm steigen!!
 

"Bin ich eigentlich richtig verbunden?", wollte ich nun wissen, irgendwie kamen mir Zweifel daran, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, Lucas anrufen zu wollen.
 

Aber jetzt hatte ich den Salat.
 

"Tja, der Lucas ist momentan nicht da, aber du kannst dich ja stattdessen mit mir unterhalten."
 

Er lachte leise.
 

Hahaha, was für ein Witzbold.
 

Für wen - oder was - hielt der sich eigentlich?
 

Ich hatte echt keine gesteigerte Lust darauf, mich von irgendwelchen Ärschen auf den Arm nehmen zu lassen.
 

"Wer sind Sie?", fragte ich.
 

"Ich bin der Toby", sagte der Typ in einem Tonfall, als müsste jeder auf der Welt ihn kennen.
 

"Toll, das sagt mir aber jetzt gar nichts!", sagte ich ungeduldig.
 

"Ein Freund von Lucas, wir wohnen zusammen."
 

Mich traf fast der Schlag.
 

Also doch schwul.
 

Also doch noch ne Chance...
 

"Aha.", sagte ich blöde.
 

"Soll ich ihm was ausrichten. Ich seh ihn heut noch.", bot mir dieser Typ - Toby - an.
 

Ich hätte kreischen können.
 

Das er ihn heute noch *sah* konnte ich mir lebhaft vorstellen!
 

"Nein, nicht nötig", sagte ich, und ich wusste, dass ich ziemlich schnippisch klang.
 

"Na dann, viel Spaß noch in Italien, Mandy!"
 

Ich verabschiedete mich mehr oder weniger höflich von ihm und wollte gerade den Hörer einhängen, als ich sah, wie Mama von diesem blödsinnigen Motorroller stieg und erstarrte.
 

Ihre sonst so ordentliche Frisur war windverzaust, ihr Gesicht strahlte.
 

Pietro war noch mit dem Vehikel beschäftigt und Mama warf sich in einer noch nie da gewesenen Geste die Haare zurück und stich sich abwartend die Hose glatt.
 

Immer noch hielt ich den Hörer in der Hand und war sprachlos.
 

Dann legte ich auf.
 

Ich war mir nicht sicher, wie ich mich jetzt verhalten sollte.
 

Sollte ich mich verdrücken, damit ich den Beiden da draußen nicht in die Arme lief oder einfach so tun, als wäre alles total normal?
 

Ich ging zur Telefonistin, bezahlte mein Gespräch - ganz schön teuer, dafür, dass ich nicht mal seine Stimme zu hören bekommen hab.
 

Draußen drückte Pietro Mama auf beide Wangen Küsse und sie lachte ihn strahlend an.
 

Plötzlich war meine gute Laune weg, ich fühlte mich ohne jeden Schwung, wie ein Auto, dem das Benzin fehlte.
 

Alles lief schief.
 

Mann, ich hatte entgültig die Nase voll, ich wollte nur noch weg, raus aus Italien, zurück in die Heimat.
 

***
 

Um ins Bett zu gehen war es noch zu früh, gerade mal kurz nach zehn.
 

Also beschloss ich, mal in die Disco zu gehen, die es hier gab.
 

Das hatte ich beim Telefonieren eher zufällig entdeckt, aber vielleicht war dort ordentlich was los, wer konnte das schon wissen.
 

Viel versprach ich mir nicht davon, aber es war immer noch besser, als jetzt mit Mama allein in unserem Zimmer zu sein.
 

Sie hatten mich nicht gesehen, ich hatte mich praktisch an ihnen vorbei geschlichen.
 

Nun marschierte ich also die Treppe hinab in den Keller, immer meinen Ohren nach.
 

Aber es war absolut nichts los.
 

Die Musik war zum Kotzen, an den Tischen hockten ein paar langweilig aussehende Typen, noch mehrere genauso langweilig aussehende Mädchen und einige Zuhältertypen.
 

Niemand in Sicht, wegen dem es sich gelohnt hätte zu bleiben.
 

Aber ich wollte auch nicht wieder auf dem Absatz kehrt machen und verschwinden, nur um dann doch mit meiner Mutter auf so engem Raum eingesperrt zu sein.
 

Ich setzte mich also an die Bar und bestellte mir eine Cola.
 

Dann beobachtete ich die Tanzfläche, auf der sich einsam und verlassen ein altes Ehepaar aufhielt, dass ein ziemlich schrilles Bild gab: megaalt, aber superstilvoll gekleidet.
 

Sie tanzten Tango, als würden sie an der Endausscheidung für lateinamerikanische Tänze teilnehmen, ganz allein und das wirkte für mich eben so traurig wie verrückt.
 

Wo bin ich bloß gelandet?
 

Es kam mir ein wenig vor, wie der letzt Abend auf der Titanic, kurz vor dem Untergang.
 

Plötzlich tauchte so ein Knabe auf, genau neben mir und fragte: "Wollen Sie tanzen?"
 

Er sah nicht gerade toll aus, aber selbst wenn, ich hätte garantiert nicht mit ihm getanzt.
 

Ich hatte keine Lust darauf, ihn höflich abzuweisen, also erklärte ich ihm ziemlich schroff: "Ich habe keine Lust zu tanzen."
 

Er schien nicht davon beeindruckt zu sein, sondern setzte sich einfach neben mich an die Bar.
 

Dabei ließ er mich nicht aus den Augen.
 

"Haben wir uns nicht gestern gesehen?"
 

Aha, jetzt versuchte er es also auf die Tour.
 

War wohl schon lang nicht mehr unterwegs gewesen, sonst hätte er gewusst, dass er mit dem Spruch doch nur nen Korb bekommt.
 

"Ich dachte, Sie hätten gestern da mitgemacht, bei dieser Misswahl durch Tanzentscheidung. Von weitem hat es so ausgesehen, aber so aus der Nähe..."
 

Er ließ den Satz unvollendet, aber es gab mir auch so einen Stich.
 

So ein Arschloch.
 

"Die konnte es vielleicht gut! Tanzen meine ich. War aber auch ein paar Jahre älter als Sie."
 

Hah, wenn du wüsstest!
 

Gerade kam das alte Tänzerpaar von der Tanzfläche und stellten sich neben uns an die Bar und bestellten Whisky.
 

Sie sprachen Englisch und sahen aus der Nähe aus wie mindestens hundert.
 

Aber als sie sich zuprosteten sahen sie aus wie Jungverliebte.
 

Der Typ neben mir quatschte immer weiter, aber ich achtete schon gar nicht mehr auf ihn.
 

Irgendwann wurde es mir aber zu viel.
 

"Bitte zahlen!", rief ich dem Barkeeper zu.
 

Ich zahlte also, stand auf und wandte mich zum gehen.
 

"Moment!", rief der aufdringliche Typ und grabschte auch schon nach meinem Handgelenk.
 

"Was wetten wir, dass Sie es doch sind?"
 

"Lassen Sie mich los!"
 

Ich war kurz davor, einen Anfall zu bekommen und auszurasten.
 

"Ich war auch dort", quatschte der Typ weiter, "es sind auch Fotos von Ihnen gemacht worden. Haben Sie sie schon gesehen? Jede Menge! Ich habe Sie sofort wieder erkannt!"
 

Der Kerl hielt mich immer noch fest am Handgelenk, keine Chance, von ihm loszukommen.
 

Warum passierte mir auch dauernd so etwas??
 

***
 

Ende Teil 3



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