Zum Inhalt der Seite

Eine Kiste voller Kätzchen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

„Tse ... Lässt die mich wieder links liegen!“

Astarion sah ihr hinterher, drehte sich dann um und ging zu seinem Zelt zurück. Auf dem Weg dahin trat er einen Kiesel weg, der platschend in einer Pfütze landete.

Halsin, der seinen Platz nicht weit weg hatte, merkte nichts von seiner schlechten Laune. Oder wollte nichts mehr merken. Der Druide hatte einmal den Fehler gemacht, ihn auf seine negative Einstellung hinzuweisen. Und dass diese Astarion auf Dauer mehr schaden als nutzen würde. Als er dann noch vorschlug, gemeinsam zu meditieren, ist ihm die Hutschnur geplatzt, und er hatte ihm ziemlich deutlich und mit gefletschten Fangzähnen zu verstehen gegeben, was er von seinen unerwünschten Ratschlägen und Ideen hielt. Als ob er sich in den Dreck setzen und mit geschlossenen Augen “Ommmm” sagen würde.

Abends hatte sie dann gar nicht mehr mit ihm gesprochen, sondern sich direkt schlafen gelegt. Es war zum Haareraufen. Ob Halsin getratscht hatte? Sicherlich, der konnte ja seinen Mund nicht halten, fing mit allen im Lager Gespräche an. Anders als Lae’zel oder Schattenherz, die sich meist nur um ihren eigenen Kram kümmerten und die anderen Mitglieder ihrer kleinen bunten Truppe wenig bis gar nicht beachteten.

Astarion hatte sogar überlegt, sie nachts zu beißen. Ohne sie vorher aufzuwecken. Er hatte immer artig im Lager gewartet, gehofft, dass sie ihn doch mal wieder in die Party holen würde. Mit dem Ergebnis, dass er seit einigen Tagen schon kein Blut mehr getrunken hatte. Die anderen Leute im Lager hatten alle abgewunken, sobald sie erfahren hatten, dass er ein Vampir war. Der Einzige, der vielleicht offen gewesen wäre dafür, den hatte er tags zuvor vergrault. „Verflixte Vampirerei. Warum muss man da zwingend Blut trinken, um zu überleben? Wäre es denn nicht einfacher, nicht mehr ins Tageslicht zu können, aber sich normal von allem ernähren zu können?“

Wie gerne hätte er einfach mal wieder ein Steak gegessen, dazu geröstete Kartoffeln mit Zwiebeln und leckere, selbst gemachte Kräuterbutter. Sich an einfachen Lebensmitteln gesättigt und dabei ein angenehmes Völlegefühl entwickelt?

Astarion trat noch mal ein Kieselchen weg, dieses Mal ein Imaginäres. Danach setzte er sich im Schneidersitz auf den Boden, verschränkte die Arme und überlegte.

Sie hatten ja nie wirklich darüber gesprochen. Hatten nie Regeln für ihr Lager festgesetzt. Natürlich verstand es sich von selbst, dass immer jemand anwesend war, besser noch zwei Leute, schon allein, um aufeinander ein Auge zu haben, und dass nichts von den einzelnen Lagerplätzen wegkam.

Astarion hatte sein Lager etwas abseits errichtet, es würde als nicht unbedingt auffallen, wenn er sich verkrümelte. Wäre ja gelacht, wenn er Raphael nicht alleine aufstöbern könnte, um sich sein Angebot noch mal anzuhören. Und er wusste immerhin, worauf er zu achten hatte, wollte er den Teufel finden.

Er packte schnell die nötigsten Sachen zusammen und sah sich dann um. Halsin hatte ihm nach wie vor den Rücken zugekehrt, mischte gerade irgendeinen Trank zusammen, wie es schien. Astarion schlich auf leisen Sohlen an ihrem Lagerfeuer vorbei, den Druiden immer aus den Augenwinkeln beobachtend.

Gerade, als er den Weg aus dem Lager betrat, schlug ihm jemand beherzt auf den Rücken. Warum hatte er den Schlag nicht kommen sehen?

„Verdammt, Karlach“, zischte er zwischen seinen Zähnen hindurch.

Astarion fuhr herum und fauchte in ihr breit grinsendes Gesicht. Gerade so, als hätte sie darauf gewartet, ihn aus dem Konzept zu bringen.

„Was geht?“, fragte sie.

„Alles, was nicht angebunden ist. Hör mal, ich hab grad wirklich keine Zeit ...“

„Wieso? Hast nen Termin?“

„So ungefähr.“

„Hast was dagegen, wenn ich mitkomme?“

„Ja. Ich will mir im Dorf nur die Ausrüstung bei den Händlern anschauen.“

„Ah, genau mein Gebiet, da kann ich dich beraten!“

Astarion musterte süffisant Karlachs abgetragene Lederrüstung.

„Ich glaube nicht. Unser Verständnis von geschmackvoller Kleidung ist ziemlich konträr, findest du nicht?“

Karlach sah überrascht einmal an sich herab.

„Wieso? Was stimmt denn nicht mit meiner Ausrüstung?“

„Sie ist löchrig, da, schau mal an den Knien ... ich würde wahnsinnig werden!“

„Das muss so!“

„Das muss so? Kaufst du deine Ausrüstung schon kaputt, oder wie?“

„Ja. Notfalls muss ich aber etwas nachhelfen, wenn ich mit dem Trend gehen will.“

„Mit dem Trend gehen ...“

Astarion schüttelte den Kopf.

„Ich hab meine Kleidung lieber ohne Löcher. Mit Stickereien, und etwas Farbe natürlich.“

„Mhm. Mach’s nur nicht zu auffällig.“

„Ich bin überhaupt nicht auffällig!“

„Nein gar nicht. Blau-lila mit Goldstickerei? Unauffälliger geht’s fast nicht.“

„Lila? Das ist beere, nicht lila! Außerdem bin ich unauffällig genug, hab schließlich keine rote Haut und brennende Haare, so wie du.“

„Beere? Was soll das für eine Beere sein? Erdbeere?“

Astarion grummelte, drehte sich um und verließ das Lager. Karlach folgte ihm.

„Also, kann ich mitkommen?“

Er blieb wieder stehen.

„Weißt du, ich will wirklich nicht unhöflich erscheinen. Ich würde lieber gerne alleine meine Sachen zusammensuchen.“

Karlach stemmte die Hände in die Hüften.

„Das wirkt aber verdächtig ...“

„Mir egal, wie du das findest ...“

Sagte er und ließ sie stehen, wo sie war. Das fehlte ihm gerade noch, dass nach Halsin nun die nächste Person im Lager meinte, anhänglich zu werden. Nachdem er außer Sichtweite war, wandte Astarion eine Schriftrolle an.

„Sicher ist sicher“, dachte er und machte sich auf den Weg ins Dorf.

 

* * *

 

Es war zum Mäusemelken. Astarion hatte das komplette Dorf abgegrast, hatte Gespräche belauscht, jeden verdächtigen Schatten, jedes noch so finsterste Eck ausgiebigst inspiziert, doch nichts. Weit und breit keinerlei Anzeichen für teuflische Aktivitäten.

Dabei war es ihm immer ein Leichtes gewesen, gesuchte Gegenstände, Personen oder was auch immer aufzuspüren. Gerade so, als hätten den Schurken seine schurkischen Fingerfertigkeiten verlassen.

„Oder will er nicht gefunden werden, das kann natürlich auch sein ...“

„Wer will nicht gefunden werden?“

Astarion zuckte zusammen und fuhr herum. Aber hinter ihm stand nur ein Kind, das er vorhin schon beim Ballspielen auf dem Dorfplatz gesehen hatte.

„Los, heb dich hinfort ...“

Die Göre ignorierte seine erwachsene Anweisung. Astarion dachte kurz darüber nach, seine Fangzähne auszufahren, entschied sich aber dagegen. Er wollte so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Seine kleine Truppe war im Dorf bekannt und es war nie gut, im Beisein anderer Dörfler ein Kind zu bedrohen.

„Willst du was?“, fragte er stattdessen.

Es nickte nur. Astarion rollte mit den Augen, aber für Reaktionen dieser Art war das Kind unempfänglich. Er bemerkte, dass sich andere Kinder in Rufweite sammelten und in ihre Richtung schauten.

„Wie heißt du?“

„Mila.“

„Und was willst du, Mila?“

„Ihr habt doch der Gertrude ihre gestohlenen Gänse wieder gebracht.“

„Ja, stimmt schon. Hat euch auch wer was gestohlen?“

„Weiß ich nicht. Wir haben Minka seit einiger Zeit nicht gesehen.“

Astarion spitzte die Ohren.

„Minka? Ist sie eine Freundin?“

„Ja.“

„Seit wie lange ist Minka verschwunden?“

„Seit einiger Zeit schon. Erst ist es uns nicht aufgefallen, sie ist länger mal unterwegs. Aber sonst kommt sie meist nach drei Tagen wieder.“

„Also Mila, du willst mir erzählen, dass ein Mädchen in eurem Alter seit Tagen verschwunden ist und ihr euch erst jetzt Gedanken darum macht?“

„Mädchen, höh? Nein, Minka ist eine Katze.“

Astarion ließ den Kopf hängen, sein Puls ging nur langsam wieder zurück. Er hatte ehrlich geglaubt, eines der Kinder sei verschwunden. Aber dann hätten die Dörfler sie schon längst um Hilfe gebeten, spätestens, wenn eines abends nicht nach Hause kam.

„Äh, bist du krank?“, fragte Mila.

„Nein, geht schon.“

„Sicher? Du bist käsweiß.“

„Ja. Wann und wo habt ihr eure Minka denn zuletzt gesehen?“

„Hm, lass mich mal überlegen. Willy stellt ihr abends immer eine kleine Schüssel Milch hin. Minka hatte meist in der Nähe gewartet und kam dann, wenn Willy die Hand von der Schüssel zurückgezogen hat. Die letzte Zeit war sie nie da.“

„Und wo hat Willy sie gefüttert.“

Statt zu antworten, nahm Mila Astarion bei der Hand. Er zuckte zusammen und riss sie weg. Mila drehte sich zu ihm um und sah ihn verwirrt an.

„Ich mag es nicht, angefasst zu werden.“

Wie auf ein Stichwort kamen nun die anderen Kinder heran, insgesamt drei Stück. Das Jüngste schätzte er auf drei Jahre, ein kleines, rothaariges Mädchen, das die Pfote eines Plüschteddys vollsabberte und mit großen Glubschaugen zu ihm auf sah. Astarion wich unbewusst zurück. Mila war doch alt genug, den „Auftrag“ der Kinder an ihn zu formulieren. Da reichte es doch, wenn sie ihm allein zeigte, wo die Katze verschwunden war.

„Wer von euch ist Willy?“

Ein Junge, der etwas kleiner als seine Verhandlungspartnerin war, hob schüchtern die Hand.

„Du musst keine Angst vor mir haben, Kleiner“, log er ihn an. „Wo hast du Minka zuletzt gesehen?“

Willy drehte sich um und lief davon, die anderen Kinder dem Knaben hinterher. Astarion folgte ihnen mit hängenden Schultern. Sie führten ihn zu einem kleinen Verschlag, in dem er nicht aufrecht stehen konnte, die Kinder aber schon. Auf der einen Seite war Stroh gelagert. Astarion streckte die Nase demonstrativ in die Luft.

„Wo habt ihr denn die Ziegen gelassen?“

„Auf der Wiese hinter der Taverne, wo sie tagsüber immer sind.“

Astarion sah sich um. Bis auf ein flaches Schälchen, das auf einem Holzbalken in Brusthöhe stand, deutete nichts darauf hin, dass hier auch eine Katze lebte. Er kroch in den Verschlag hinein, soweit er es mit seinem Geruchssinn vereinbaren konnte, griff nach dem Schälchen und schob sich wieder hinaus. Im Tageslicht inspizierte er seinen Fund, sauber abgeleckt. Er hielt es Willy hin.

„Das solltet ihr einmal sauber machen. Katzen haben eine sehr feine Nase. Wenn die Milch sauer geworden ist, wird sie sie nicht mehr anrühren.“

„Das Schälchen ist doch leer ...“, meinte Mila.

„Das ja, aber wenn einige Tropfen daneben ins Stroh gegangen sind, werden die Tropfen sauer. Wir Menschen können das leider nicht riechen, aber Hunde und Katzen schon.“

Willy nahm das Schälchen entgegen.

Astarion ließ seinen Blick noch mal über den kleinen Stall schweifen. Beim zweiten Mal Hinsehen fielen ihm die Kratzspuren am Eingang des kleinen Verschlags auf, die für ihn sehr stark nach Katze aussahen. Aber ob es sich um Kratzspuren von Minka handelte, oder von einer anderen Katze, die Minka möglicherweise vertrieben hat, konnte Astarion auch nicht sagen.

„Katzen sind sehr ortsbezogen, müsst ihr wissen. Sobald etwas an ihrem Ort verändert wurde, kann es sein, dass sie für ein paar Tage verschwinden.“

Die Kinder schauten ganz traurig.

„Was natürlich nicht heißen soll, dass Minka euch nicht mehr mag“, fügte Astarion schnell hinzu.

„Und wo ist sie hingegangen?“

„Vielleicht zu wem anderes, wo sie auch Milch bekommt?“

Die Kinder sahen sich an. Keines schien eine Idee zu haben, ob Minka noch von anderen gefüttert wurde.

„Wie sieht sie denn aus, eure Minka?“

„Komplett schwarz mit einem weißen Fleck vorne dran und weißen Pfoten.“

„Aha, also eine Unglückskatze, sozusagen.“

„Unglückskatze?!“

Die Kinder erschraken.

„Wenn sie schwarz sind, sind es Unglückskatzen. Für abergläubische Leute, was ihr ja hoffentlich nicht seid. Dreifarbige Katzen sind Glückskatzen. ... Kennt ihr das nicht?“

„Nein.“

Zwei schüttelten den Kopf.

„Gibt es hier noch andere Katzen?“

„Na ja, einige“, meinte Mila. „Aber die sind eher scheu, lassen sich nicht streicheln und spielen nicht mit uns.“

„Und Hunde? Sind in letzter Zeit Reisende mit Hunden durchgekommen?“

„Letzte Woche waren mal welche da. Haben sich in der Taverne Vorräte geholt und sind dann zum Jagen raus.“

Astarion seufzte. Wenn die Gruppe einen Jagdhund dabei hatte, war es gut möglich, dass er Minka in einem unbewachten Moment durch das Dorf gehetzt hat. Zumindest traute er das schlecht erzogenen Jagdhunden zu.

„Gut, ich schau mich mal um. Aber versprechen kann ich nichts.“

Die Kinder strahlten ihn an.

„Braucht ihr noch was?“, fragte er, als sie keine Anstalten machten, zu verschwinden.

„Wir kommen natürlich mit bei der Suche ...“

„Äh, ich arbeite grundsätzlich alleine ...“

Enttäuschung schlug ihm entgegen.

„Keine Diskussion. Vielleicht muss ich bei der Suche nach Minka in eine Bärenhöhle klettern. Das ist für euch viel zu gefährlich.“

„Aber ...“

„Nein! Eure Eltern würden mir den Kopf abreißen, nähme ich euch mit. Und jetzt huschhusch!“

Die Kinder sahen ihn enttäuscht an. Das rothaarige Mädchen hielt ihm seinen vollgesabberten Teddy hin. Zögerlich nahm er diesen.

„Danke ... glaube ich.“

Er versuchte ein Lächeln. Endlich trollten sich die Kinder.

Astarion seufzte. Da hatte er sich ja schön reingeritten. Astarion, der Katzenspezialist. Wieso hatte er sich überhaupt darauf eingelassen? Er hatte den Kindern zwar nicht versprochen, ihre Katze auf jeden Fall zu finden, hatte von vornherein klar gemacht, dass sie möglicherweise fortgejagt worden war, oder noch Schlimmeres. Aber Hoffnung machten sich die lieben Kleinen nun trotzdem und würden traurig sein, wenn er Minka nicht fand.

Und wo sollte er überhaupt mit seiner Suche beginnen? Gut möglich, dass die Katze einen Unfall hatte und nicht mehr lebte. In dem Fall würde er den Kindern natürlich sagen, dass er sie nicht gefunden hatte. Und der Kadaver musste verschwinden, am besten verbrannte er ihn. Besser, die Kinder glaubten, dass ihre Minka anderswo ein schönes Leben fand, als dass er ihnen sagte, dass sie tot war. Immerhin hatte er seine Bezahlung bereits erhalten.

Astarion betrachtete den vollgesabberten Teddy und bekam Würgereiz.

 

* * *

 

Es dämmerte bereits, als Astarion die Tür zur Taverne aufstieß. Drinnen herrschte ein stickiges Durcheinander, das ganze Dorf schien sich in dem kleinen Schankraum versammelt zu haben. Er quetschte sich an den Tresen durch und schaffte es erst beim dritten Versuch, beim Wirt einen Humpen Bier zu bestellen. Astarion stürzte die Hälfte des Gebräus hinunter, den stark bitteren Geschmack ignorierend. Das Bier war angenehm kühl. Hätte er die Wahl gehabt, hätte er lieber zu einem vollmundigen Roten gegriffen, aber guter Wein war hier in der Wildnis Mangelware.

In einem zweiten Zug leerte Astarion seinen Krug und hatte immer noch Durst, allerdings nicht auf Bier. Trotzdem bestellte er sich einen zweiten Humpen und verdrückte sich damit in die Ecke links vom Kamin, wo es etwas dunkler war. Er trank noch mal einen Schluck und ließ den Tag Revue passieren.

Zweimal hatte Astarion das Dorf auf links gedreht, das erste Mal, um Spuren von Raphael zu finden, das zweite Mal, um eine Katze namens Minka zu finden. Er hatte weder den Teufel noch den Vierbeiner ausfindig machen können. Selbst bei seiner zweiten Suche, bei der er auch Dorfbewohner nach der Katze befragte, hatte er keine Spuren des Teufels finden können. Dabei hatte er sich noch einige Tage zuvor gezeigt.

Katzen hatte er in dem Dorf einige gesehen, allerdings keine Schwarze mit weißem Latz und weißen Stiefeln. Minka wäre ihm wohl aufgefallen, nachdem die meisten anderen Stubentiger, die er gesehen hatte, hellere Fellfarben hatten.

Astarion überlegte, wie er den Abend beschließen sollte. Ein guter Humpen oder zwei trösteten ihn zwar über seine erfolglose Suche hinweg. Seinen Blutdurst hatte er aber immer noch nicht gestillt und dieser wurde langsam drängender. Er entschied sich dazu, noch etwas abzuwarten und zu hoffen, dass ein besoffener Dörfler mit dem Kopf voran aus der Taverne befördert wurde.

Danach würde er ins Lager zurückgehen. Er wunderte sich etwas, dass er niemanden aus seiner Truppe im Dorf gesehen hatte. Nicht mal Karlach, die gerne mitgekommen wäre. Er hätte ihr zugetraut, ihm heimlich zu folgen und ihm im Dorf dann auf die Pelle zu rücken, aber nichts dergleichen war geschehen. Und sie war mit der Party auch nicht vorbei gekommen. Insgesamt war Astarion dafür dankbar. Wenn die anderen mitbekamen, warum er sich hier aufhielt, würden sie ihn vermutlich fortjagen.

Der Vampir musste nicht lange warten, ehe sich eine Gelegenheit für einen Schluck Blut entwickelte. Statt einer Kneipenschlägerei beobachtete er, wie eine gedungene Gestalt zwischen den Schatten hin und her schlich, mal hierhin, mal dorthin griff und sich zuletzt am Tresen breit machte.

„Dich Dieb werd‘ ich schnappen“, dachte Astarion.

Er nippte wieder an seinem Bier und sah dabei zu, wie sein Opfer sich mit den Leuten links und rechts unterhielt. Astarions Geduld wurde nicht allzu lange strapaziert. Trotz allem wollte der Dieb wohl doch früher statt später vom Ort des Geschehens verschwinden. Astarion ließ seinen Humpen stehen, verließ die Taverne und suchte sich in der Nähe ein finsteres Plätzchen, um dem Mann aufzulauern.

„Idiot“, meinte er, als der Mann rauskam und eine der Börsen in die Luft warf und wieder fing. Danach wandte er sich um, ohne seine Umgebung weiter zu beachten. Am Dorfbrunnen vorbei Richtung Schmiede, in deren Esse noch die Kohlen glühten. Er ging links an der Schmiede vorbei.

Astarion schälte sich aus den Schatten und folgte ihm. Sein Opfer schien sich seiner Sache sicher zu sein, denn es schlenderte inzwischen frohen Schrittes die Gasse entlang. Der Vampir konnte sich nicht daran erinnern, den Mann tagsüber im Dorf gesehen zu haben. Vielleicht ein Einsiedler, der seinem Glück von Zeit zu Zeit etwas auf die Sprünge half? Astarion sollte es recht sein, der Mann würde sich eh nicht mehr an ihn erinnern, sobald der Morgen anbrach.

Er sprang ihn von hinten an und biss ihm in den Hals. Dem Mann blieb nicht mal mehr Zeit überrascht aufzuschreien. Astarion stillte seinen Blutdurst und zog sein Opfer, das mittlerweile bewusstlos war, an ein Hauseck. Danach suchte er ihn ab und förderte einiges zu Tage.

„Bin gespannt, ob die Dörfler Mitleid mit einem Dieb haben werden, der von einem Vampir gebissen worden ist ...“

Er verteilte einige der Börsen, die er bei dem Mann gefunden hatte, um ihn herum. Mit etwas Glück fand ihn ein Dorfbewohner, bevor er aufwachte.

Astarion richtete sich wieder auf und streckte sich.

„Wird Zeit, den Tag zu beschließen“, dachte er.

Und stockte dann.

Aus dem Dunkel heraus leuchteten ihm zwei helle Punkte entgegen.

„Miez miez miez ...“, murmelte er.

Die Katze blinzelte.

„Miez miez ...“

Astarion trat näher heran. Die Katze streckte sich einmal ausgiebig, wie es schien. Er nahm ein Gähnen wahr.

„Na komm ...“

Die Katze hörte tatsächlich auf ihn und kam aus den Schatten. Astarion fluchte fast.

„Na da hast du dich die ganze Zeit versteckt?“

Er ging in die Hocke und hielt die Hand hin. Minka kam vorsichtig näher, schnupperte an seiner Hand und rieb dann das Köpfchen an ihr. Vorsichtig fing Astarion an, sie unter ihrem Kinn und hinter den Ohren zu kraulen. Minka fing zu Schnurren an.

„Wo bist du denn gewesen?“

Sie strich seinen Arm entlang und einmal um seinen Körper herum. Blickte in die Dunkelheit, schnurrte leicht. Astarion wandte sich um, um ihr über den Körper zu streicheln. Minka stellte den Schwanz senkrecht in die Höhe und strich dann an seinen Knien entlang.

„Kein Wunder, dass die Kinder so an dir hängen ...“

Minka miaute zur Antwort. Sie schnupperte noch einmal an seiner Hand, ging dann mit schwingendem Schwanz weg, sah aber noch mal zu ihm hoch. Miaute noch mal. Astarion versuchte, das Verhalten der Katze zu lesen.

„Möchtest du, dass ich dir folge?“, fragte er.

Minka miaute noch mal und ging dann weiter. Schulterzuckend folgte er ihr.

Die Katze führte ihn wieder auf die andere Seite des Dorfes, jedoch nicht quer über den Dorfplatz, wie es wohl jeder Mensch getan hätte. Nein, die Katze blieb stets in den Schatten und der Vampir musste mehrmals seine Sinne bemühen, um ihre Fährte nicht in irgendwelchen Büschen zu verlieren. Sie führte ihn zu einem Bauernhof und zielsicher in den Stall. Natürlich passte er nicht durch das Katzenloch, das die Bauernfamilie wohl extra zu diesem Zweck angebracht hatte. Eine entsprechende Schriftrolle hatte er auch nicht dabei.

„Verflucht ...“

Astarion sah sich um. Im Bauernhaus brannte zum Glück kein Licht mehr. Die Stalltür war mit einem dicken Schloss gesichert. Er hatte also die Möglichkeit, das Schloss zu knacken oder über eine Dachluke einzusteigen. Minka schaute einmal durch ihr Loch in der Stalltür und miaute ihn an.

„Ich komm ja schon ...“

Die Katze verschwand wieder. Astarion ging zur Rückseite des Stalls und entdeckte eine offene Luke. Flink wie ein Wiesel kletterte er hoch und schob sich durch die Luke hindurch. Im Stall war es noch dunkler als draußen. Zum Glück musste der Vampir nicht lange suchen, um Minka zu finden. Sie lag in einem Heuhaufen und tretelte vor sich hin. Vorsichtig kam Astarion näher.

„Wie süß ...!“

Astarion entdeckte drei kleinere Fellknäuel, die sich an Minka anschmiegten.

„Also darum hast du dich versteckt ... Da werden sich die Kinder aber freuen ...“

 

* * *

 

„Miez miez miez ...“

Astarion hockte an seinem Lagerplatz und ließ sich von Minka die Hand ablenken. Die Katze war inzwischen noch zutraulicher geworden, als sie anfangs war, ließ es zu, dass er hier und da mal eines der Jungen streichelte. Insgesamt vier hatte Minka geworfen, ein komplett Schwarzes, ein Schwarzweißes, ein Getigertes und eine Dreifarbige.

Nur beim Umzug in die Kiste war Minka etwas stinkig gewesen, aber Astarion konnte sie mit seinen Vampirsinnen so weit beeinflussen, dass sie sich daran gewöhnte. Zunächst hatte er an seinem Lagerplatz klar Schiff gemacht und etwas wie einen Verschlag gebaut, in dem er die Kiste voller Kätzchen vor neugierigen Blicken verbergen konnte.

Dass Minka die Kiste allzu lange verließ, war unwahrscheinlich. Dafür hatte sie viel zu viel Angst vor Kratzer, dem weißen Schäferhund im Lager. Astarion hatte den Hund einmal angefaucht, als er in seine Richtung kam. Seitdem hatte Kratzer nie wieder die Nähe des Vampirs gesucht. Astarion war es nur recht, Katzen waren ihm sowieso viel lieber als Hunde. Sehr viel selbständiger, weniger anhänglich und bei weitem nicht so dumm, wie es manche Hunde waren.

Mittlerweile war eine Woche vergangen, seit er die Katzen ins Lager gebracht hatte, und es hatte sich augenscheinlich nicht viel verändert. Sie nahm ihn nach wie vor nicht mit in die Party, was ihm mittlerweile mehr als nur recht war. So konnte er sich besser um den Katzennachwuchs kümmern.

Inzwischen hatten die lieben Kleinen die komplette Kiste in Beschlag genommen, neugierig erkundeten sie sie immer wieder, was auch daran lag, dass Astarion halbwegs regelmäßig das Heu austauschte. Minka fütterte er regelmäßig mit rohem Fleisch und einem gelegentlichen Schälchen Milch. Nachts ging sie gelegentlich auf Mäusejagd und Astarion hatte die Möglichkeit, sich alleine mit den Kätzchen zu beschäftigen.

Zwei Kater, der Getigerte und der Schwarze und zwei Kätzinnen, die Schwarz-Weiße und die Glückskatze. Seit Tagen überlegte er, welche Namen er den Kleinen geben sollte. Minka war ein Allerweltsname für Katzen, aber ihre Kleinen sollten was Besonderes sein.

Astarion strich dem Getigerten mit einem Finger über den Kopf.

„Du bist Strolchi ...“

Der Getigerte ignorierte ihn, versuchte stattdessen immer, aus dem Nest zu krabbeln. Astarion hatte schon einmal beobachtet, wie er hilflos am Rand des Körbchens hing, Minka aber mit den anderen beschäftigt war. Da hatte er den Kleinen kurzerhand zurück ins Nest befördert, sich einige Kratzer und ein Fauchen von Minka eingefangen.

Bei dem Schwarzen hatte er zunächst überlegt, ihn Schattenherz zu nennen. Aus Gründen. Allerdings hielt er es doch für besser, die Stubentiger nicht nach Mitgliedern seiner Gesellschaft zu benennen. Hernach schürte das nur falsche Erwartungen oder Animositäten. Stattdessen kristallisierte sich „Stinker“ immer mehr heraus. Er furzte einfach zu häufig.

Die Schwarz-Weiße nannte er „Schach“ und bei der Glückskatze überlegte er, ob er ihr den Kosenamen für sie geben sollte, obwohl er genau das bei dem schwarzen Kitten noch abgelehnt hatte.

„Wobei die Bezeichnung Schmetterling für eine Katze auch seltsam ist ...“

Astarion wuschelte Schmetterling gerade mit dem Finger über das kleine Köpfchen, als ein Schatten über ihm auftauchte.

„Was hast du da?!“

Astarion zuckte zusammen, fuhr herum und fauchte das vampiriges Vampirfauchen seines Lebens. Hinter ihm stand Karlach und sah ihn bedröppelt an.

„Du musst mir nicht gleich an die Kehle springen ...“

Astarion fuhr die Fangzähne ein und wandte sich wieder seinen Katzen zu.

„Was willst du?“

„Nur sehen, was du da versteckst. Glaub nicht, ich hätte nicht bemerkt, wie du seit Tagen für dich alleine bleibst und ständig unter dein Zelt gebeugt hockst.“

Sie schob sich an ihn heran, während er versuchte, den Blick auf die Kiste voller Katzen mit seinen breiten Schultern zu verdecken.

„Sind das ... mei wie SÜÜÜSSSS!“, rief sie dann aus.

Astarion ließ die Schultern hängen.

„Darf ich sie mal streicheln?“

„Nein!“

„Och, warum denn nicht?“

Karlach kannte überhaupt keine Distanz. Motiviert hockte sie sich neben Astarion, schob ihn sogar etwas zur Seite, um einen besseren Blick auf die Katzen werfen zu können. Ihre Hand wanderte Richtung Körbchen. Astarion schlug sie zu Seite.

„Nicht! Minka kratzt mich auch immer noch ...“

„Och ...“

Er zeigte Karlach die Kratzer an seiner Hand. Astarion sah, dass sie kurz vor einem Lachanfall stand. Er wandte sich wieder von ihr ab und beobachtete Minka, die große Pupillen bekommen hatte und ihre Jungen zusammenhielt.

„Minka, hast du gesagt ...?“

Astarion nickte.

„Die Minka aus dem Dorf?“

Er reagierte nicht mehr, strich der Mutterkätzin über den Kopf, aber die blieb reserviert.

„Du hast nicht ernsthaft kleinen Kindern ihre Katzenkinder gestohlen?“

„Die wussten doch nicht mal, dass Minka Junge bekommen hat ... Was sollte ich machen? Sie bei den Kindern zurück lassen, die nicht wissen, wie man anständig mit Katzen umgeht?“

„Aber du weißt es?“

Er ignorierte sie. Schmetterling war mittlerweile aus dem Körbchen geklettert und hielt zielsicher auf Karlach zu.

„Auch das noch!“, dachte Astarion wutentbrannt.

„Wie süß!“

Karlach hielt der Kleinen die Hand hin, die daraufhin schüchtern dran schnupperte.

„Ich glaube, sie mag meine warme Hand.“

Minka schien es nun doch zu bunt zu werden. Sie stieg aus der Kiste und holte Schmetterling zurück, nicht jedoch, ohne ebenfalls an Karlachs Hand zu schnuppern und dann einmal sogar ihr Köpfchen gegen die Finger zu reiben. Danach wurde Schmetterling in das Körbchen zurückgebracht und geputzt.

„Ich glaub, sie mag mich ...“, meinte Karlach fasziniert.

„Wie schnell du das Thema Kinder fallen gelassen hast ...“

„Och ...“

„Was macht ihr da?“

Der Vampir zuckte wieder zusammen, während Karlach sich nur umdreht.

„Astarion hat einer Gruppe Kinder aus dem Dorf eine Kätzin mit Nachwuchs geklaut“, erzählte sie Halsin.

„Katzen? Lass mich mal sehen!“

Er bückte sich über die beiden, um auf die Kiste blicken zu können. Minka reagierte dieses Mal gar nicht.

„Wie tapsig sie sind“, bemerkte der Druide. „Darf ich mal eine streicheln?“

„Nein“, antwortete Karlach.

„Warum nicht?“

„Minka möchte das nicht ... Wobei ich eher glaube, Astarion will nicht, dass sich die Katzen an einen von uns gewöhnen!“

„Stimmt doch gar nicht ...!“

„Na ja, sie sind ja auch zu goldigst. Da kann ich schon verstehen, dass man sie lieber alle für sich alleine möchte ... Haben die Kleinen denn schon einen Namen?“

„Ja. Die Mutter heißt Minka. Und das sind Strolchi, Schach, Stinker und Schmetterling.“

„Stinker?“

„Er furzt ständig.“

Karlach sah Astarion schief an.

„Gibt es eigentlich einen Grund, warum ihre Namen alle mit S beginnen?“

„Äh, nein ...“

„Also Strolchi, Schach und Stinker kann ich ja noch nachvollziehen, aber warum Schmetterling? Ihr Muster sieht einem Schmetterling nicht mal ähnlich ...“

„Aus persönlichen Gründen ...“

Karlach und Halsin schwiegen. Selig blickten die drei auf die Katzenkinder und ihre Mutter. Minka hatte sich inzwischen an die beiden Fremden gewöhnt, säugte ihre Jungen und schnurrte leise.

„Falls du mal jemanden brauchst, der auf die Kleinen aufpasst ... ich melde mich freiwillig“, bot Halsin ein.

„Ey, ich hab sie zuerst entdeckt! Wenn hier einer ein Anrecht auf Aufpassen hat, bin ich das!“, meinte Karlach.

Minka riss die Augen auf.

„SSSHHHHH!! Streitet gefälligst wo anders! ... Wie kommt ihr überhaupt auf die Idee, dass ich dafür jemanden bräuchte?“

Karlach und Halsin schauten sich an.

„Willst du das Lager nie wieder verlassen?“, fragte der Druide und verschränkte die Arme.

„Na ja ...“

„Cazador wirst du nicht aus dem Lager heraus besiegen, weißt du ...?“, fügte Karlach hinzu.

Astarion fluchte.

„Ihr habt euch gegen mich verschworen! Wollt mir meine Katzen abspenstig machen ...“

„Nein gar nicht, nur mal drauf aufpassen ...“

„Ein Dieb sollte sich nicht beschweren, wenn er selbst bestohlen wird ...“

Wieder grummelte der Vampir. Dann hellte sich sein Gesicht auf.

„Ich frag am besten Mal Schattenherz, ob sie auf die Kleinen aufpassen würde.“

„Ey!“, meinte Karlach eingeschnappt.

„Mit deiner feurigen Art bist du im Kampf gegen einen Vampirlord eine große Hilfe, daher hätte ich ich dich gerne lieber dabei, wenn ich mich Cazador stelle ...“

Karlachs Kiefer mahlten, während Halsin amüsiert auflachte.

„Aber mal ehrlich, die Kleinen werden nicht ewig so klein und süß und hilflos bleiben. Irgendwann werden sie freiwillig ihr Nest verlassen wollen ... Das kannst du nicht aufhalten“, meinte der Druide dann.

„Wenn sie freiwillig ihr Nest verlassen und Minka sie nicht mehr so viel beaufsichtigt und beschützt, werden sie dazu übergehen, mein Lager zu zerstören ... überall hochklettern, alles zerkratzen, alles runter werfen, was man runterwerfen kann ...“

Karlach und Halsin nickten zustimmend.

„Eure Zelte werden dann auch Fenster bekommen ...“

„Stört mich nicht, das näh ich wieder zusammen. Ich hab eher Sorge, dass sie ihre Häufchen bei mir setzen.“

Die drei sahen auf die Miezen hinab.

„Das wird noch ein Haufen Arbeit ...“, meinte Astarion.

Sie seufzen einstimmig.

 

 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück