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Des Nachts sind die Labore still

Wie Josh zu Mael fand
von

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Zusammenarbeit

Kapitel 8: Zusammenarbeit
 

Nachdem ich die Peinlichkeit um meinen Namen heruntergeschluckt hatte, spazierten wir zurück zum Lindenpark. Der Brunnen, an dem wir uns getroffen hatten, war leer und kein Wasser plätscherte mehr. Wir sprachen nicht viel. Ich hatte mich noch für den schönen Abend bedanken und für das verkappte Date entschuldigen wollen, brachte aber keinen Ton heraus. Schließlich schob Joshua seine Hände in die Hosentaschen und sagte schlicht: „Bis Morgen.“ Ich nickte und schaffte ein ehrliches Lächeln.
 

Ich freute mich auf den nächsten Tag. Wirklich. Erst da fiel mir ein, dass Morgen Dienstag war und wir direkt mit einer Nachtschicht beginnen würden. Ich zückte mein Handy und schrieb Elias, wie ich demnächst Arbeiten würde. Als Abteilungsleiter sollte er wenigstens mal davon gehört haben. Ruhiger steckte ich mein Handy in die Hosentasche und stutzte, da diese besetzt war. Ich zog die Serviette heraus und betrachtete die darauf geschriebenen Wörter. Joshua hatte eine wirklich schöne Handschrift. Und wie das mit den Verknüpfungen im Gehirn so war, hallte seine Stimme in meinem Kopf wider, meinen Zweitnamen rufend. Ich spürte, wie ich rot wurde und schüttelte schnell den Kopf. Verdammt, verdammt, verdammt! Es war nur ein Name! Ein einfacher Name! Wie konnte der mich so aus der Fassung bringen? Zugegeben, wenn ich ehrlich war, war es nicht mein Name an sich, sondern wie Joshua ihn ausgesprochen hatte.
 

Ich seufzte schwer und von Herzen. Dann hakte ich den Tag ab und ging heim.
 

Ich schlief diese Nacht gut. Eigentlich schlief ich die nächsten Tage immer gut. Auch wenn ich tagsüber den Schlaf aus den Nachtschichten nachholen musste. Die Zusammenarbeit mit Joshua war ein bisschen so, wie ich es mir vorgestellt hatte und dann wieder nicht. Seine Einführung und Anweisungen waren präzise und er war geduldig mit mir. Ich denke ich konnte seine Erwartungen ein bisschen erfüllen. Hoffte ich zumindest. In den Pausen war er lockerer. Es stellte sich ein gewisser Rhythmus ein, den wir auch tagsüber umsetzten. So war es nachts nichts Besonderes, wenn ich mit Joshua zur Küche ging, um uns einen Kaffee zu machen, tagsüber jedoch …
 

Wenn Joshua nicht gerade angestarrt wurde, sprachen die Kollegen ihn an. Es waren gute, fachliche Fragen, meistens. Von den Damen jedoch kamen immer mal wieder ein paar persönliche dazu. Als Maria, die Sekretärin, einmal dazu gekommen war und Joshua umtanzte wie eine Biene eine Blume, kam mir beinahe der Kaffee hoch. Zu meiner Enttäuschung ließ Joshua all das über sich ergehen. Zwar wirkte er zurück im Labor etwas erschöpft, aber er beschwerte sich nie. Ich hingegen verlor beinahe jedes Mal meine gute Laune und verzog mich mit den zu lesenden Unterlagen an meinen Tisch.
 

Ich las sehr viel dieser Tage. Daheim oder auf Arbeit, wenn es reichte, dass nur eine die Proben handhabte. Joshua sagte nichts dazu. Manchmal setzte er sich zu mir und wir besprachen eine Statistik oder eine These. Die Tage verflogen wie nichts. Ratzfatz waren zwei Wochen vergangen. Ich war endlich und offiziell nicht mehr in der Probezeit, was mich doch sehr erleichterte. Geändert hatte sich durch diesen Umstand nichts, außer dass ich mich jetzt etwas entspannter fühlte.
 

Joshua kannte ich nun seit einem Monat. Daran, dass er mich Mael nannte, hatte ich mich immer noch nicht gewöhnt. Besonders peinlich war es mir gewesen, als Elias davon erfahren hatte. Seitdem Joshua und ich ein Team gebildet hatten, überzogen wir morgens oft. Das hatte zur Folge, dass Elias und wir noch eine Weile zu dritt im Labor rumlungerten. Neugierig wie eh und je, fragte Elias mich zu meinem Zweitnamen aus. Artig antwortete ich ihm und hatte das Gefühl mein letztes bisschen Würde vor ihm zu verlieren.
 

„Dann darf ich dich auch so nennen?“, fragte Elias ausgelassen.
 

„Nein“, kam es doppelt. Verwundert sah ich zu Joshua, der nur entschuldigend die Arme hob. Ich mein … das war die Antwort, die ich sagen wollte, aber warum antwortete er synchron mit mir? Ich schob den Gedanken weg und erklärte Elias, dass ich diesen Namen nicht verbreiten möchte. Elias nickte verständlich und hörte mit den Sticheleien auf. Dankend wandte ich mich der vorerst letzten Schrift auf meinem Schreibtisch zu und bemerkte dadurch nicht, wie feist Elias hinter meinem Rücken grinste oder wie Joshua die Schultern hob. Hätte ich mich doch nur umgedreht, wäre mir diese mimische Unterhaltung nicht verborgen geblieben.
 

Es war Freitagfrüh, als ich endlich in meinem Stuhl zurücksank und die Decke durch meine Augenlider hinweg anstarrte. Mir summte der Kopf. Nachdem ich in dieser Nacht die letzte Schrift fertiggelesen hatte, behauptete ich großspurig jetzt noch die bisherige Ausarbeitung von Joshua lesen zu können, da gerade nicht viel los war. Joshua hatte nichts dagegen, sagte aber, dass ich das auch ruhig am Wochenende machen könnte. Aber der Ehrgeiz hatte mich gepackt. Ich dachte, dass wenn ich all das gelesen hätte, wäre ich auf dem gleichen Stand wie Joshua. Jetzt schwirrte mir der Kopf von all den Fachbegriffen und ich sah Auswertungszahlen vor meinen Augen tanzen.
 

Ich war ein Idiot. Joshuas Klasse würde ich durch bloßes Lesen nie erreichen können!
 

Ein leises Geräusch ließ mich träge den Kopf drehen. Auf meinen Arbeitstisch stand eine Tasse, leise vor sich hin dampfend. Der Hand folgend, welche sich zurückzog, fand ich schnell die hellen grauen Augen.
 

„Mach Schluss für heute“, sagte Joshua und ging zu seinem Tisch. Ich nickte und beugte mich vor. Er hatte mir Tee gebracht. Nun … betrachtete man meinen derzeitigen Kaffeekonsum, war das wohl die bessere Wahl. Ich starrte in die dampfenden Wolken. In diesen zwei Wochen hatte ich mich nicht daran gewöhnt, Joshua direkt in die Augen zu sehen. Oder dass er mich Mael nannte. Ab und an meinte mein Herz einen Hüpfer machen zu müssen. Dann schlug es mir bis zum Hals oder mein Puls raste von einem Moment auf den anderen. Die ersten Male hatte ich es ignoriert, aber mittlerweile fiel mir gerade das schwer.
 

Überlegungen dieser Art stellte ich immer mal wieder an. Meist wurde ich unterbrochen, wie heute durch Elias.
 

„Max, du siehst ziemlich geschafft aus.“
 

„Danke, so fühle ich mich auch.“
 

„Er hat alles fertiggelesen. Sogar die aktuelle Ausarbeitung“, sagte Joshua.
 

„Wow. Eh, warte, die Aktuelle?“, fragte Elias.
 

„Jupp“, erwiderte Joshua. Ich nickte nur schwach.
 

„Ohhh wie gemein! Ich wollte sie auch lesen.“
 

Joshua drehte sich in seinem Stuhl und maß Elias streng. „Du kannst sie lesen, wenn sie fertig ist, wie jeder andere auch. Mael arbeitet mit mir zusammen. Natürlich muss er es lesen, um mitdiskutieren zu können.“ Da, wieder … ein kleiner Aussetzer und ich musste mich konzentrieren um nicht rot anzulaufen. Diesmal war es nicht nur mein Name, sondern auch, dass Joshua so klar verdeutlichte, dass ich ein mitbestimmendes Teammitglied war. Ein gleichwertiges, dass mit ihm zusammen an einem so tollen Projekt arbeitete und nicht nur dümmlich nebenherlief. Das hatte Joshua von Anfang an getan. Auch bei den neueren Ergebnissen fragte er mich nach meiner Meinung. Letzte Woche hatte ich kaum antworten können, aber nun? Von ihm so hochgeschätzt zu werden, freute mich unheimlich.
 

Zugleich spürte ich Missmut in mir rumoren. Mein Kopf auf den Handballen gestützt, schielte ich an Elias vorbei zu Joshua. Das Halbprofil seines Gesichts war ebenso sehenswert wie alles andere an ihm. Wenn er mit Elias diskutierte, sah ich kleine Besonderheiten. Zum Beispiel, dass er flüchtig den Mundwinkel nach oben verzog und die Augenbrauen etwas nach unten, wodurch seine Böse-Bub-Aura aufblitzte. Oder dass er die Augen verdrehte, wenn Elias zu überschwänglich wurde. Oder dass, trotz dessen er in einem Gespräch war, flüchtig zu mir schielte und schnell wieder weg. So wie jetzt gerade. Doch Joshua lief nicht rot an oder wirkte peinlich berührt. Ich indes lächelte vor mich hin.
 

Ach verdammt, ich sollte meinen Tee trinken.
 

Kurz bevor wir in unseren wohlverdienten Feierabend gehen wollten, fing Elias an mich zu belehren. Ich sollte mich doch bitte mehr bewegen. Dabei hatte ich nur kurz über meinen steifen Nacken geklagt. Das kam halt beim Lesen!
 

„Ich hatte vor morgen Abend joggen zu gehen“, gab ich als Erklärung ab. War mir aber sicher, dass ich es im Endeffekt nicht tun würde.
 

„Du joggst?“, fragte Elias.
 

„Nicht mehr wirklich. Anfangs war es mehr, aber alleine ist es mir doch zu langweilig.“
 

„Geh du doch mit ihm joggen“, sagte Elias und ich wandte mich verwirrt zu ihm um. Elias hatte nicht mit mir geredet, sondern mit Joshua, der gerade nur elegant den Kopf zur Seite legte und eine Augenbaue hochzog.
 

„Josh, du joggst auch?“, fragte ich unnötig nach, aber mein Kopf war schon zu lahm zum Mitdenken.
 

„In letzter Zeit auch weniger, aber ja.“ Joshua dachte einen Moment nach, ehe er hinzufügte: „Elias hat aber Recht, wir sollten uns mehr bewegen. Wenn du magst, würde ich gerne mit dir joggen gehen.“
 

„Ja, klar. Von mir aus gerne“, erwiderte ich etwas steif, aber das schien keiner außer mir zu bemerken.
 

Nachdem wir uns ausgecheckt hatten, bog Joshua zum Parkplatz ab und ich zur Tram. Erst als sich die Straßenbahn in Bewegung gesetzt hatte, ließ ich mich vollends in meinen Sitz gleiten. Ich sah mein Spiegelbild in der Scheibe und selbst dort waren meine Wangen rot.
 

Schien ganz so, als könnte ich mich doch nicht drücken …
 

Der Samstag kam und die Tagschicht verlief in ruhigen Bahnen. Joshua ließ mich die Überprüfungen machen, assistierte oder sah nur zu. Anschließend saßen wir beisammen und diskutierten. Beim Lesen hatte ich mir einige Notizen gemacht, zu denen Joshua mir nun Rede und Antwort stand.
 

Es war ein rein fachliches Gespräch. Wir beide waren hoch konzentriert und ich möchte meinen, keiner würde in solch einer Situation an was anderes als die Arbeit denken. Trotzdem freute ich mich. Ich konnte nicht mal wirklich benennen warum. Ob es das Gesprächsthema war, der Gesprächspartner oder die Tatsache überhaupt nach all den Monaten jemanden zum Fachsimpeln gefunden zu haben. Ich freute mich einfach.
 

Kurz vor achtzehn Uhr machten wir Feierabend. Ich lief auf Toilette um mich umzuziehen. Meine Sportsachen bestanden aus einer langen Leggins und einer weiten Shorts drüber, einem engem Laufshirt über das ich einen lockeren, dünnen Pulli zog. Farblich war ich dunkel unterwegs. Nur meine Laufschuhe waren knall Grün und Blau. Im Labor hatte Joshua meine Abwesenheit genutzt, um sich ebenfalls umzuziehen. Er trug eine lockere sportliche Jogger, ein Shirt und eine Laufjacke, die er gerade zuzog. Ich ließ meinen Blick auf seine Schuhe wandern, um nicht an seinen, vom Shirt definierten, Oberkörper zu denken. Seine Schuhe waren Blau und Grau, die Hose war schwarz und die Laufjacke dunkelgrau mit Reflektoren. Vorbildlich.
 

„Fertig?“, fragte ich und ignorierte meine kratzige Stimme.
 

„Ja.“ Joshua schulterte seine Tasche und ich stellte meine zeitgleich ab. „Nimm sie ruhig mit.“
 

„Läufst du etwa mit Gepäck?“, fragte ich etwas verwirrt. Joshua schüttelte leicht den Kopf und trat auf mich zu. Er griff nach meiner Tasche und reichte sie mir. Dabei war er mir so nah wie noch nie.
 

„Nimm sie mit. Wir lassen die Taschen in meinem Auto, dann müssen wir nicht noch mal ins Labor.“
 

„Ok.“ Ich nickte und schaffte es ungerührt in die so nahen Augen zu sehen. Mein Glück war, dass man lautes Herzklopfen noch nicht hören konnte.
 

Ich folgte Joshua aus dem Labor und dem Gebäude heraus, hin zum Parkplatz und seinem Auto. Das Auto wirkte sportlich, aber auch stadttauglich. Ein Fünftürer mit getönten Scheiben, komplett in mattiertem Dunkelblau. Im letzten Licht des Tages sah man das Blau noch etwas herausschimmern. Doch ich konnte mir vorstellen, dass das Auto bei Nacht eher schwarz wirken musste. Joshua öffnete die Kofferraumklappe und legte seine Tasche hinein. Ich tat es ihm gleich. Nachdem die Klappe zu und das Auto abgeschlossen war, steckte Joshua den Schlüssel in seine Jackentasche. Wir dehnten uns noch etwas auf dem Parkplatz. Dann liefen wir los.
 

„Josh? Wo willst du eigentlich hin?“
 

„Egal. Es ist eine Weile her, also lass uns entspannt laufen.“
 

„Hm, ok.“ Ich hatte erst überlegt, welche Route wir am besten nehmen konnten, doch schlussendlich war dieser Gedanke komplett untergegangen. Wir liefen einfach los. Zunächst eine Weile auf dem Fahrradweg neben der Tramstrecke. Dann durch einen angrenzenden Park, durch eine ruhige Blockhausreihe hin zum nächsten Park. Joshua lief neben mir. Nur wenn es zu eng wurde, durch Passanten oder hervorstehendes Gestrüpp, wurde er langsamer und ließ mich vor. Ich schaffte es mich nur auf das Laufen zu konzentrieren. Mein Kopf wurde schön leer und leicht. Alles Unnütze ließ ich schlicht hinter mir. Es wurde bereits dunkler und bald wäre die Sonne hinter den ersten Hochhäusern verschwunden. Die Straßenlaternen gingen eine nach der anderen an. Ich steuerte auf einen Spielplatz zu. Dieser enthielt ein großes, metallenes Klettergerüst, Schwingstangen, einen metallenen Barren und eine übergroße Halbkugel. Diese besaß auf zwei Seiten kleine Stufen, womit man die Rundung nach oben hin erklimmen konnte. Zu einer Seite war sie mit leichten Dellen versehen, für die Wagemutigen, die einen schwereren Weg nach oben suchten. Warum sie die vierte Seite nicht auch noch mit Kletterutensilien ausgestattet hatten, wusste ich nicht. Vielleicht diente es schlicht der Optik, wer wusste das schon genau.
 

„Na?“, fragte ich etwas atemlos. „Lust auf einen kleinen Parkour?“
 

„Hab ich noch nie gemacht, aber wenn du vormachst, mach ich es nach.“ Joshua klang weniger außer Atem als ich. Das war fies. Aber gut. Vielleicht könnte meine kleine Kür ihn ja beeindrucken?
 

„Dann pass gut auf!“ Ich begann mit flinken Tritten und Sprüngen auf das große Klettergerüst zu kraxeln. Oben angekommen, schwang ich mich an einigen Streben hinab und sprang aus zwei Metern Höhe ab, um fachmännisch auf dem weichen Untergrund zu landen. Wieder stehend klopfte ich den Sand von meinen Händen. „Jetzt du.“
 

Joshua hob eine Augenbraue. „Du bist ja richtig gelenkig. Und das nach all dem Sitzen und Lesen.“
 

„Hehe, dafür werde ich morgen Muskelkater haben“, gab ich lachend zurück. Zu der gehobenen Augenbraue gesellte sich ein fieses Grinsen. Ich schluckte, weil es Joshua wieder eine verspielt-böse Art gab.
 

„Ja, das glaube ich auch.“
 

Ich verschränkte die Arme und nahm eine abwartende Pose ein. Ein guter Bluff, denn mir fiel kein guter Konter ein. Joshua setzte sich in Bewegung und war in wenigen eleganten Schwüngen und Drehungen oben auf dem Gerüst. Mit der Straßenlaterne im Rücken könnte er auch der Superschurke in einem Blockbuster sein. Dann schwang er sich herunter und für einen Moment glaubte man wirklich, dass Schwerkraft für ihn nicht existieren würde. Joshua landete präzise neben mir. Seine Kür war perfekt, brillant, atemraubend. Aber sagen konnte ich nichts. Ich starrte ihn mit halb offenem Mund an und konnte mich erst Sekunden zu spät losreißen. Seinem Blick ausweichend, sagte ich: „Wer als erster auf der Halbkugel ist.“ Dann lief ich los. Vor uns lag die eingedellte Seite. Beide liefen wir direkt darauf zu und waren binnen Sekunden oben angekommen. Zeitgleich. Aus Reflex hatte ich in die Mitte der Kugel geschlagen. Dort war ein kleines, rotes X eingezeichnet, das nun von meiner flachen Hand bedeckt wurde. Auf meiner Hand lag die Größere von Joshua. Der Druck der Hand fühlte sich schwer an, aber angenehm. Ich starrte auf unsere Hände und mein Atem beruhigte sich langsam wieder. Joshua war der Erste, der seine Hand wegnahm. Er richtete sich auf und sah in den nun dunklen Nachthimmel. Die Sterne waren bereits aufgegangen und die wenigen, welche man durch das Licht der Stadt sehen konnten, leuchteten zu uns herunter. Um uns herum war es still geworden. Keine Spaziergänger weilten mehr im Park oder in der Nähe des Spielplatzes. Wir hatten die ganze Gegend für uns alleine. Es war ein wunderschöner Abend, aber ich starrte nur auf meine Hand auf dem X und spürte dieses Unbehagen in mir. Frustriert biss ich die Zähne zusammen und legte mich einfach auf den Rücken, alle Glieder von mir gestreckt.
 

Beim Laufen war mein Kopf frei gewesen. Nun war alles wieder da und schien präsenter zu sein als jemals zuvor.
 

„Du solltest nicht zu lange dort liegen. Es ist frisch geworden. Du verkühlst dich noch.“
 

Ich hatte die Augen geschlossen und hörte Joshua klar und deutlich. Als ich nicht reagierte, trat Joshua etwas auf der Stelle. „Hörst du? Mael, du-“ Ich öffnete meine Augen und sah ihn direkt an. Joshua hatte gestockt. Die Pause zog sich, ehe er seinen Satz beendete. „Du erkältest dich noch.“ Seine Stimme war sanft und nicht einen Hauch tadelnd.
 

„Nur eine kurze Pause, ehe wir zurücklaufen. Leg dich doch dazu.“ Joshua zögerte. Dann legte er sich neben mich.
 

„Der Boden ist kalt“, kommentierte er bitter. Ich lachte nur.
 

„Ja, er ist kalt. Aber schau mal hoch.“ Es waren nicht so viele Sterne wie außerhalb der Stadt, aber ich mochte den Nachthimmel schon immer. „Man kann das W sehen.“
 

„Hm.“
 

„…“
 

„…“
 

„Mael, wir sollten weiter.“
 

„Ja, ist gut.“ Die Kälte des Bodens und der Blick in die Sterne halfen mir, mich zu beruhigen. Den Oberkörper bereits aufgerichtet, sah ich Joshua neben mir sitzen. Im nächsten Moment sollte alles Kopf stehen. Joshuas Anblick machte mich wieder nervös, darum hatte ich schnell von ihm weg und von der Halbkugel runter gewollt. Etwas zu hastig, stellte ich mein Bein auf und dachte ich würde es auf festen Untergrund abdrücken können, um dadurch aufzustehen. Doch mein Fuß erwischte eine der Dellen, auf denen wir hochgekommen waren. Ich verlor meinen Halt und griff um mich. Schließlich fiel ich und landete schmerzvoll auf meinem Rücken. Meinen Kopf stieß ich mir nicht. Dafür tat meine Taille umso mehr weh und ich bekam schwerer Luft. Es dauerte einen Moment, ehe ich den Grund für all das erkannte.
 

Joshua lag auf mir. Nicht nur das. Wie auch immer er es geschafft hatte, die Arme um mich zu legen, hielt er mich fest an sich gedrückt. Mein Kopf war weich auf seiner Hand gelandet und das unangenehme Gefühl im Rücken, kam durch seinen Arm, den er um mich gelegt hatte. Ich hatte keine Zeit rot zu werden. Schnell befreite ich meine Arme und tastete nach seinem Kopf.

Wir lagen im Schatten der Halbkugel. Hier war es noch dunkler. „Josh, Josh. Was soll denn das? Hey?!“ Er murrte und schüttelte leicht den Kopf. Mir schlug das Herz wild vor Panik. Als er sich langsam auf seinem Unterarm abstützte, kam die Erleichterung. „Hey“, sagte ich sanfter. „Was sollte das? Du kannst dich doch nicht einfach mit runter stürzen.“
 

„Was heißt hier mit runter stützten? Du hast dich beim Fallen an mir festgehalten und mich mitgerissen.“ Er schüttelte seinen Kopf und kniff die Augen zusammen. Tjaja, das kommt davon, wenn man den Kopf anderer schützt und nicht seinen eigenen, dachte ich bei mir. Milde gestimmt für seine Opferbereitschaft legte ich ihm beide Hände auf den Kopf. Vorsichtig fühlte ich, doch fand ich keine Wunde. An einer Stelle am Scheitel zuckte Joshua zusammen.
 

„Wird wohl nur eine Beule. Glück gehabt“, schloss ich und ließ meine Hände bis in seinen Nacken sinken, ehe ich doch leise lachte. „Wenn du Montag mit einem Horn auf dem Kopf zur Arbeit kommst, was werden da deine Fans wohl zu sagen?“ Ich stellte mir vor wie Maria oder sonst wer schockiert umfallen würde, weil ihr kostbarer Graf zu den Dämonen gewechselt hätte. Ich lachte noch, während meine Finger in seinem Nacken halt fanden. Eine am Kragen der Jacke, die andere verweilte noch immer am unteren Ansatz seiner Haare. Joshua sah mir beim Lachen zu, ich spürte wie er näherkam, weil meine Arme nachgaben.
 

„Du würdest mich so verunstaltet auf Arbeit gehen lassen?“ Seine Stimme war leise und dunkel, aber sanft mit einer Spur Verspieltheit darin.
 

Ich schob meine Hand durch seine Haare und ließ sie vorsichtig auf der zukünftigen Beule verweilen. „Nein, ich würde dich öffentlich zu Schau stellen“, gab ich lachend zu.
 

„Wie gemein.“ Ich grinste nur.
 

„Wäre es dir lieber, ich ließe dich mit einem Hut rumlaufen?“ Obwohl als Graf der Nacht … „Oder ist es dir lieber, ich verstecke dich in einem Kämmerlein, sodass dich keiner außer mir zu Gesicht bekäme?“
 

Diesmal grinste Joshua. „Wenn du mein persönlicher Wächter bist, wäre mir das lieber.“
 

Mein Lachen hatte sich gelegt und ich schluckte schwer. Wieder blickte Joshua mich auf diese diabolische Art und Weise an, dass mir ein kalter Schauer den Rücken runterlief, während meine Wangen immer heißer wurden. Ich atmete flacher und konnte den Blick nicht von seinen Augen lassen. Dieses Grau schien selbst im Dunkeln zu leuchten. Mein Kopf war blank und doch fanden meine Lippen leise Worte.
 

„Und wenn ich dich bitten würde, nochmal mit mir auszugehen?“
 

Joshuas Augen weiteten sich unmerklich und huschten suchend hin und her. Ich wusste nicht, was er suchte, doch seine Lippen waren so nah, dass ich sehen konnte, wie die Antwort auf meine Frage sich hervorkämpfte. Mich durchfuhr ein Anflug von Panik. Es fühlte sich an wie ein Schluckauf und ein Eisbeutel in meinen Gedärmen. Doch es reichte aus, um Joshua die Antwort zu verwehren.
 

Mein Kopf hob sich die letzten Zentimeter bis zu seinem und ich beendete das zögerliche Zittern seiner Lippen mit den meinen. Sie schmeckten nach kalter Luft und noch ein bisschen nach Kaffee. Aber sie waren weich, obwohl sie so dünn waren. Da ich keine Reaktion erwartet hatte und auch keine kam, löste ich mich nach wenigen Sekunden von selbst. Das Blut, welches mir vorher zu Kopf gestiegen war, ebbte ab und stieß mich aus meiner tuffigen Vorstellung in die Realität zurück. Erschrocken ließ ich von Joshua. Mein Kopf schnellte zurück und traft den harten Boden, doch ich verzog keine Miene. Meine Hände lösten sich komplett von Joshua.
 

Der Grund war mitunter, dass ich wieder klar denken konnte. Aber auch Joshuas Blick. Keine Ahnung, ob er verärgert oder verletzt über mein Verhalten war. Ich hätte es ihm im Moment auch nicht erklären können. Joshua räusperte sich und stand auf. Sobald er von mir runter war, stand auch ich auf. Einerseits war ich froh, nicht seine Antwort abgewartet zu haben, andererseits schollt ich mich dafür, ihn nicht auf andere Weise vom Reden abgehalten zu haben.
 

Joshua stand immer noch mit dem Rücken zu mir. Keine Ahnung was er dachte. Doch ich für meinen Teil würde gerne nach Hause wollen. Von hier aus war es nicht weit und der Ersatzschlüssel lag versteckt unter der Türmatte. Meine Klamotten könnte ich mir auch morgen von ihm abholen, wenn wir beide einen kühleren Kopf hätten. Außerdem war das nur ein kleiner Kuss gewesen, nicht weiter tragisch. Obwohl… Erschrocken sah ich zu Joshua. Zwar hatte er gesagt, dass er mit mir auf ein Date gewollt hatte, aber da wir nun Kollegen waren, hatte er nicht gefragt. Zudem hatte er gemeint, dass er schlechte Erfahrungen mit Teamarbeiten hatte. Aus Rücksicht hatte ich nicht nachgefragt, aber was, wenn es daran lag, dass seine bisherigen Kollegen ihm verfallen waren? Immerhin war Joshua verdammt attraktiv und ich … ich …
 

Unbewusst tat ich einen Schritt zurück und stieß gegen die Halbkugel. Meine Arme und Knie fühlten sich weich an, doch konnte ich mich noch irgendwie abfangen. Ich vernahm Sand knirschen und sah auf. Joshua kam auf mich zu. Sofort stand ich gerade und gab mich gezwungen locker. Die Hände in die Hüfte gestützt, lächelte ich automatisch. „Hey, eh Josh. Sorry, wirklich. Das eben … also“, ich hustete in meine Hand. „Du hattest Recht, es ist verdammt frisch geworden. Besser wir lassen das Laufen sein und gehen heim.“ Ich klopfte ihm auf die Schulter und machte mich zum Gehen bereit.
 

„Warte.“ Ich blieb sofort stehen. „Ich kenne eine Abkürzung zum Parkplatz. Lass mich dich nach Hause fahren.“
 

Darauf hatte ich nun gar keine Lust! Ich wollte nur nach Hause und das am besten alleine! Ich musste über so vieles nachdenken, meine Gefühle ordnen und vor allem und zu förderst wollte ich Joshua nicht noch mehr auf die Pelle rücken. Keine Ahnung was von meinen Vermutungen nun stimmte oder nicht.
 

Was ich schlussendlich tat, war hinter Joshua zum Parkplatz zu laufen. Folgsam und brav ließ ich mich von ihm nach Hause fahren. So saß ich im ledernen Sitz und schulte meine Mimik. Wir sprachen kaum. Hauptsächlich sagte ich die Richtung an. Es half etwas, sodass ich Joshua ein Lächeln schenken konnte, als ich ausstieg. Meine Tasche geschultert, winkte ich und sah den roten Lichtern nach. Ich nutzte diesen Schwung emotionaler Gefasstheit und ging in meine Wohnung.
 

Die Tasche fiel in eine Ecke im Flur, meine Klamotten zog ich im Gehen aus und ließ sie liegen, ehe ich in die Dusche stieg und das Wasser aufdrehte. Der erste kalte Schwall ließ mich zusammenzucken, dann wurde das Wasser wärmer und prasselte mir ungehindert auf den Kopf.
 

Mit geschlossenen Augen spürte ich, wie die Wärme in meine Muskeln drang. Joshua hatte Recht gehabt. Es war kalt gewesen. Aber an ihn zu denken, machte mich unruhig. Seit diesem blöden Essen ging es mir so. Jeden Tag ein bisschen mehr und nun … nun stand ich da. Biss mir auf die Unterlippe, so lange bis sie nicht mehr zitterte und ich vielleicht etwas Blut schmeckte. Erst dann traute ich mich den Kopf in den Nacken zu nehmen und das Wasser direkt auf mein Gesicht fallen zu lassen. Tief atmete ich ein, beruhigte mich. Für den Moment war mein Kopf leer und ich genoss diesen Zustand.
 

Beim Waschen kehrte mein analytischer Teil des Hirns zurück und ging für mich alle Fakten durch.
 

Joshua war ein Kollege. Er wollte nach einem Date fragen, tat es aber nicht, weil wir Kollegen waren. Ich hatte keine Anhaltspunkte warum genau er keine Teamarbeit mochte. Eine Möglichkeit wäre, die Unfähigkeit und Fehlerhaftigkeit anderer. Eine andere, dass er aufgrund seines guten Aussehens belästig worden war. Das alles waren nur Vermutungen. Aber wie sonst wäre sein Blick zu erklären, seine Reaktion?
 

Ja, ich hatte wirklich mit dem Gedanken gespielt, ihn nochmal nach einem Date zu fragen. Aber mich nicht getraut. Nun fragte ich ihn und unterband seine Antwort mit einem Kuss! Auch wenn es nur ein kleiner Schmatzer war, aber unsere Lippen hatten sich berührt. Sie hatten … Gott, ich wollte gar nicht wissen, wie lange mein letzter Kuss her war.
 

Ich warf mich ins Bett und zog mir die Decke bis zum Kopf. Üblicherweise machte ich mir einen Schlachtplan, ging Strategien und mögliche Reaktionen durch. Bei solchen Dingen jedoch wusste ich bereits, würden alle Vorbereitung nichts bringen. Ich war super schlecht im Vorhersehen menschlicher Reaktionen. Wenn ich morgen zur Arbeit käme, würde ich schon sehen, wie er sich verhalten wird.
 

Bis gestern hatte ich mich nur einmal getraut die Initiative zu ergreifen. Damals war es bitterlich schief gegangen und diesmal konnte ich kaum leugnen, dass es anders gelaufen war. Gut, mir fehlte noch Joshuas Antwort, doch hatte ich Angst etwas zu hören, dass ich vielleicht nicht wollte. Etwas zögerlich zog ich meine Chipkarte durch den Scan und betrat das Foyer. Auf einen Sonntag war ich wirklich noch nie im Labor gewesen. Die Flure bei Tageslicht so verlassen zu sehen, empfand ich grusliger als nachts.
 

Wie dem auch sei. Ich kratzte meine Courage zusammen und ging ins Labor. Gestern war schließlich nichts passiert, was ich nicht noch kitten könnte. Ich stellte meine Tasche neben den Tisch und den Kaffee neben die Tastatur.
 

„Guten Morgen.“ Die Stimme erreichte mich, ehe ich mich in meinen Gedanken hätte verlieren können.
 

Mein Kopf schoss hoch. „Guten Morgen.“ Joshua stand in der Tür und taxierte mich mit seinem Blick. Mein Herz machte einen Hüpfer und krampfte sich zusammen. War das anatomisch überhaupt möglich? „Bist du gestern gut heimgekommen?“, begann ich trotz seines Blickes in geübter Munterkeit. „Du hattest übrigens Recht gehabt. Beim Duschen hab ich gemerkt, wie kalt es gestern geworden ist. Ich bin anschließend gleich ins Bett, also entkomme ich vielleicht einer Erkältung. Allerdings graut mir vor dem Muskelkater.“
 

Joshua hob, während meiner Erzählung, eine Augenbraue, ehe er den Blick abwandte und zu seinem Tisch ging. „Ja, die Straßen waren frei. Aber heißt es nicht, nur Idioten erkälten sich?“
 

„Hmmm? War es nicht anders rum? Erkältungen meiden Idioten? Ich weiß es nicht mehr.“ Verlegen lachte ich. „Ich habe einen Kumpel, der dauernd mit solchen Binsenweisheiten um sich wirft. Er wüsste es sicherlich genau.“
 

„Dann frag ihn doch mal. Vielleicht kann er uns unwissende Laborratten erleuchten.“
 

Ich verzog etwas das Gesicht. Die Spitze war deutlich rauszuhören. Joshua schien nicht wirklich sauer zu sein, sonst würde er dieses Wir-Spielen-Normal nicht mitmachen. Aber verdaut schien er es auch noch nicht zu haben. Dafür war der Unterton doch etwas harsch gewesen.
 

Ich seufzte innerlich, war aber zufrieden. Nehmen was man kriegen konnte, nicht wahr? Ich machte das Beste daraus. Achtsamer als vorher, schätzte ich ab, wann ich fachlich sein musste und wann ich einen kleinen Scherz machen konnte. Um von jener Sache abzulenken, erzählte ich öfters mal Anekdoten von Freunden oder aus meiner Kindheit. Es war mir ein leichtes mich aus dem Schussfeld zu reden. Schließlich hatte ich darin jahrelange Übung.
 

Nachdem ich den Korb von meinen Crush bekommen hatte, waren die nächsten Tage, die wir uns in der Schule gesehen hatten, ziemlich ätzend gewesen. Ich wusste nicht wie ich mich verhalten sollte. Er jedoch tat so, als wäre nie etwas gewesen. Die ersten Tage redeten wir kaum, nach einer Woche schien alles vergessen. Nach einem Monat kam er wie früher von hinten angerannt, legte mir einen Arm um die Schulter und machte seine Scherze. Körperlich waren wir uns so nah wie gute Kumpel es eben waren. Emotional schien nur ich etwas zu empfinden.
 

Das Geständnis hatte ich ihm unter vier Augen gemacht. Keiner unserer anderen Freunde wusste etwas davon. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und fragte ihn, das nächste Mal als wir alleine waren, was das sollte.
 

„Ich weiß nicht, was du meinst.“
 

„Du weißt es genau. Ich hatte dir gesagt, wie ich mich fühle, aber du sagst einfach nur „Nein“, ignorierst mich ein paar Tage und nach einem Monat ist alles vergessen?“
 

„Max, was willst du eigentlich? Das Thema ist gegessen.“
 

„Aber nicht für mich! Glaubst du, ich kann das alles einfach so abschalten?!“, meine Stimme überschlug sich leicht. „Hör zu, ich habe mich wirklich in dich-“ Er trat auf mich zu und legte mir seine Hand auf den Mund. Sein Blick war so finster als wollte er mich direkt töten. Ekel und Ablehnung sprachen aus seinen braunen Augen.
 

„Was auch immer du zu fühlen glaubst, ist nicht echt. Das bildest du dir nur ein. So was kann zwischen Kumpeln nicht entstehen, verstanden? Du wirst einfach nie wieder darüber reden oder daran denken. Und sollte dieser Quatsch von irgendjemanden gehört werden, Gnade dir Gott. Verstanden?“ Seine Stimme war kalt und die Worte niederschmetternd. Ich nickte und er ließ mich los. „Dann ist doch alles prima!“
 

Er klopfte mir auf die Schulter und ich grinste wackelig. „Sicher, alles prima.“
 

Das war das erste Mal, dass ich mich innerlich wie in Scherben zertreten fühlte und äußerlich einfach funktionierte. Am nächsten Tag war ich natürlich krank und blieb es für eine ganze Woche. Als ich wieder da war, beäuget er mich flüchtig und das wars. Wir sprachen nie wieder darüber und ich entwickelte mein „funktionieren“ bis zur Perfektion. Es gab immer mal Momente in denen ich mich unwohl fühlte. Sei es beim Vortragen vor der Klasse, beim ersten Besäufnis mit den Kumpeln, beim Einzug ins Wohnheim … es gab so viele Momente, aber das machte mir nichts mehr aus. Die Gefühle von Nervosität und Unwohlsein versteckte ich hinter einer perfekten Fassade aus angelesenem Wissen und erlernter Schauspielkunst.
 

Darum fiel es mir auch bei Joshua nicht schwer mich wie der gute Freund und tüchtige Kollege auszugeben. Nicht mehr, nicht weniger. Am Montag in der Tagschicht plapperte ich Elias voll. In der Nachtschicht am Dienstag las ich oder fachsimpelte mit Joshua über verschiedene Themen. Mittwochabend war es kurz brenzlig geworden. Joshua war mir in die Küche gefolgt und sah mir, wie üblich, beim Kaffee kochen zu.
 

„Mael?“ Mein Herz machte mittlerweile keinen Satz mehr, wenn ich ihn das sagen hörte. Es blühte für einige Sekunden auf und ließ meine Ohren kribbeln.
 

„Was gibt’s?“, fragte ich gut gelaunt.
 

„Schulde ich dir nicht noch eine Antwort?“ Für den Bruchteil einer Sekunde gefror ich in der Bewegung.
 

„Nicht doch“, wiegelte ich freundlich ab.
 

„Sicher nicht? Du warst weder betrunken noch high. Ich denke deine Frage war ernst gemeint. Da gehört es sich zu antworten.“
 

Ich drückte den Wasserkocher an und drehte mich zu ihm um. Meine Hände locker auf die Kante der Arbeitsplatte gelegt. „Nicht doch, nicht doch. Eigentlich müsstest du eine Entschuldigung von mir verlangen.“
 

„Wofür eine Entschuldigung?“
 

„Für den Sturz und die Beule.“
 

„Und mehr ist nicht passiert?“
 

Ich lachte flüchtig und meine Hände griffen fester und fester die Kante der Arbeitsplatte. „Mehr sollte nicht passiert sein, oder?“
 

Joshua fixierte seinem Blick auf mich. Ich spürte den Druck den er aufbaute, traute mich aber nicht ihn direkt anzusehen. Schließlich seufzte er hörbar und verließ die Küche. Als er raus war, sah ich an die Küchendecke und biss mir schmerzlich doll auf die Unterlippe. Der Wasserkocher blubberte laut vor sich her, ehe er sich abschaltete.
 

Ich war doch geübt darin … warum fiel es mir gerade nur so schwer?
 

Ich brachte Joshua seinen Kaffee, doch die Stimmung blieb diesen Abend ziemlich mies. Am Freitagmorgen erklärte Joshua, dass er das Wochenende daheim arbeiten würde. Er musste einige Seiten schreiben. Ich hinterfragte ihn nicht, sondern nickte es nur ab.
 

„Soll ich dir dann die Ergebnisse der Überprüfung per Mail schicken?“
 

„Ja, kannst du machen.“ Damit war klar, dass ich am Wochenende allein im gruseligen Labor sein würde.
 

Es war stinkend langweilig. Einfach nur langweilig. Um die Zeit totzuschlagen, wanderte ich durch die Flure und probierte den Zwischenweg aus, welchen Joshua mir in unserer ersten gemeinsamen Nachtschicht verraten hatte. Ich schmunzelte und drehte noch eine Extrarunde. Selbst wenn er nicht da war, brachte er mich zum Schmunzeln. Und wenn ich ihn sah, bekam ich sofort gute Laune. Ich gab es nicht gerne zu, aber die Regel Nummer Eins schien sich zu bewahrheiten. Eine alte Liebe vergaß man am besten mit einer Neuen. Zumindest dachte ich kaum noch an meinen Crush. Wenn ich die beiden gedanklich verglich, verlagerten sich Dinge wie Herzrasen und Unruhe auf Joshua. Als mich diese Erkenntnis traf, war ich so erleichtert, dass ich Joshua am liebsten direkt „Danke“ gesagt hätte.
 

Da ich alleine im Labor war, war das nicht möglich und ich besann mich, dass ein schlichtes Danke nicht ausreichte. Zudem wäre es taktlos Joshua jetzt zu danken. Ich hatte noch immer nicht den Mut aufgebracht ihn zu fragen, ob ich zu weit gegangen war. Oder woran es lag, dass er keinen Kollegen haben wollte. Die Vorstellung kein Team mit Joshua mehr zu bilden, schnürte mir schlicht die Luft ab. Daher wollte ich alles tun, um das zu verhindern.
 

Nun fast alles. Wie bereits erwähnt, schaffte ich es einfach nicht auf ihn zuzugehen. Auch das Gespräch in der Küche hatte ich klassisch abgewiegelt. Es war zum Teil Automatismus, zum Teil Feigheit gewesen. Je mehr mir bewusst wurde, dass ich Joshua mochte, desto mehr Schilde fuhr ich hoch. Schlussendlich saß ich da und seufzte von Herzen. Ein Teufelskreis!
 

Montag waren wir wieder zu dritt im Labor. Elias und ich diskutierten über eine neue Studie, die sich mit der Beschaffenheit von Nährböden befasst. Ich fand es erstaunlich, dass es Forscher gab, die sich damit beschäftigten. Aber gut. Es gab wohl nichts, was nicht noch verbessert werden konnte.
 

Joshua bereite die heutige Probe vor. Es fehlten aber noch Utensilien, die er flott besorgen wollte und so verließ er den Raum.
 

„Nun sag schon. Was ist passiert?“, fragte mich Elias aus heiterem Himmel.
 

„Was meinst du?“
 

„Zwischen dir und Josh. Du plapperst mich seit letzter Woche voll und wenn er den Raum verlässt, sinkt deine ganze Haltung. Sogar dein Gesicht wird trübe.“ WA-!
 

„Stimmt gar nicht“, widersprach ich und schielte beleidigt zur Seite. Nicht rot werden, nicht rot werden, dachte ich zeitgleich.
 

„Findest du nicht? Josh was meinst du dazu?“ Sofort saß ich wieder gerade und sah mich um. Keiner da. Shit…
 

„Das zählt nicht“, murrte ich und lümmelte wieder in meinem Stuhl.
 

„Das zählt“, beharrte Elias. „Nun sag schon, was passiert ist. Oder muss ich erst den Abteilungsleiter raushängen lassen, damit du redest?“
 

„Schon gut, schon gut“, sagte ich schnell und setzte mich etwas gerader hin. „Als wir laufen waren, ist etwas dummes passiert. Mehr nicht.“ Ich lehnte mich nach rechts zu meinem Schreibtisch und stützte meinen Kopf auf den Fingerknöcheln der rechten Hand ab. Die Kratzer von damals waren schon lange verheilt, narbenfrei. Elias sah mich mit verschränkten Armen an und wartete. Ich seufzte und ließ den Kopf hängen. „Ich hab ihn gefragt, ob er nochmal mit mir ausgehen würde.“
 

Elias hob eine Augenbraue und sein Blick hellte sich voller Neugierde auf. „Du meinst ein Date?“
 

Ich nickte und schielte auf meine Tischplatte. Ehe Elias weiter sticheln oder ich alles abwiegeln konnte, senkte sich ein Schatten von oben über mich. Eine rechte Hand legte sich flach neben meinen Ellenbogen auf den Tisch und links erschien der Rest des dazugehörigen Körpers. Mein Herz stoppte vor Schrecken und hüpfte vor Freude.
 

„Du möchtest ein Date?“ Die Stimme kam von über mir. Ich wusste, es wäre besser nicht aufzusehen, doch meine Nackenmuskeln gehorchten mir leider nicht. Joshuas Blick war so eindringlich und dominant. Ungewohnt ernst und finster, mit mir unbekannter Erregung. Ich konnte nicht deuten, ob es gut oder schlecht war und meine Stimme entschied sich den Hals hinunter zu kriechen und stumm zu werden. „Du fragst nach einem Date, willst aber keine Antwort haben? Findest du das nicht etwas dreist?“ Die grauen Augen blitzen auf. Keine Ahnung wie er es machte, aber ich bekam langsam ein bisschen Angst und eine Gänsehaut auf meinen Unterarmen. Warum mein Puls dabei wie wild raste, verstand ich erst recht nicht.
 

Ich schluckte und wollte mich zurückziehen, was natürlich nicht funktionierte, weil Joshua mich praktisch eingekesselt hatte. Um zu antworten schüttelte ich nur den Kopf. Ich traute mich nicht zu Lügen, denn ich fand es nicht im mindesten dreist. Unerwarteterweise verzogen sich die schmalen Lippen zu einem Lächeln. Einem wirklich fiesen, diabolischen Lächeln.
 

„Möchtest du ein Date mit mir?“, fragte Joshua erneut und so bestimmend, dass ich mich nicht traute gestisch zu antworten.
 

„Ja“, krächzte ich etwas atemlos mit wiedergefundener Stimme. Joshuas Gesicht heiterte sich augenblicklich auf. Etwas diabolisches blieb, aber es kleidete ihn nur umso mehr. Er richtete sich auf und nahm seine Hand vom Tisch.
 

„Nun gut. Dann lass uns auf ein Date gehen.“ Er stand in voller Größe vor mir und sah mit leuchtendem Grau auf mich hinab. „Freitagabend, nachdem ich den Zwischenbericht abgegeben habe.“



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