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Ein Leben für das Druidentum

von

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Kapitel 8

Paracelsa und Ronan übten wieder einmal Schwertkampf. Es gehörte inzwischen zu ihrer morgendlichen Routine zuerst alles wichtige für die Auftritte vorzubereiten und dann noch zu trainieren. Paracelsa machte gute Fortschritte. Sie fühlte sich immer sicherer im Umgang mit den Waffen. Und auch Ronan setzte immer mehr Kraft bei seinen Angriffen ein. Sie konnte seine Hiebe inzwischen entweder gut parieren oder ihnen ausweichen. Natürlich lag das auch daran, dass sie Ronans Strategie durch die vielen Fechstunden mittlerweile sehr gut kannte. Doch ein wenig stolz war sie schon, dass sie mehr und mehr zu einem ernst zu nehmenden Gegner für ihn wurde. Sie waren ein eingespieltes Team, was natürlich auch immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Zwar war es im Moment ausschließlich innerhalb der Truppe, dennoch bekamen sie von allen Seiten Anerkennung. An diesem Morgen waren Grimmbart und Abrax die ersten, die sich zu ihnen gesellten und einfach nur zusahen, wie Paracelsa und Ronan kämpften. Nach und nach kamen dann auch die anderen hinzu. Die Zwerge feuerten Paracelsa irgendwann stark an und riefen ihr immer wieder zu wie sie sich bewegen oder wie sie Ronan ausweichen sollte. Doch durch diese ganzen Zwischenrufe wurde Paracelsa immer unsicherer in ihrem Handeln. Sie strauchelte zuerst nur ein wenig, konnte sich aber schnell wieder fangen. Grimmbart riet ihr daraufhin, dass sie eine Finte versuchen sollte. Paracelsa wollte es auch versuchen, scheiterte aber kläglich.

Ronan brach ihren Kampf schließlich ab als es zu schlimm wurde. Paracelsa war zu aufgeregt und brachte keinen guten Hieb mehr zu Stande. Betreten blickte sie zu Boden. Ihr Publikum zerstreute sich schnell, als Ronan die Übung beendet hatte und ließ ihn und Paracelsa allein. Sie fühlte sich schlecht, dass sie ihren Kampf nicht beenden konnten und gab sich die Schuld daran. Es hatte sie ja auch gestört, dass die Truppe immer wieder etwas dazwischen rief. Doch anstatt selbst etwas deswegen zu sagen, hatte Ronan das Wort ergriffen. Und wieder hatte jemand anderes sich um das kümmern müssen, was eigentlich sie betraf. Dazu kam noch, dass sie maßlos enttäuscht von sich selbst war, weil sie sich so leicht hatte ablenken lassen. Dass Ronan die letzten Zuschauer noch verscheuchte, bekam sie nur am Rande mit.

Sie stapfte in Richtung ihres Wagens, wo sie die Schwertscheide abgelegt hatte. Mit einem Seufzen nahm sie sie in die Hand und blieb einen Augenblick so stehen. Dieser Kampf war ganz und gar nicht gut gelaufen. Doch plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Als sie aufblickte, sah sie in Ronans Gesicht, der sie aufmunternd anlächelte. Er sagte ihr noch einmal, dass sie jeden Tag besser wurde. Doch Paracelsa hatte jetzt kein Gehör für solche Worte. Sie wandte den Blick ab und entgegnete schnippisch, dass Ronan es sich sparen konnte zu versuchen sie zu trösten. Das sie ihn damit vor den Kopf stieß, bemerkte sie gar nicht. Paracelsa war einfach nur frustriert und musste ihre Wut auslassen. Dass Ronan gerade jetzt in ihrer Nähe war, war leider Pech für ihn. Paracelsa wusste einfach nicht wohin mit sich und ihrem ganzen Frust. Doch Ronan ließ sie daraufhin schnell in Ruhe. Er ging ohne ein weiteres Wort zu Gerd und half ihm dabei etwas an der Bühne aufzubauen.

Als Paracelsa in ihren Wagen stieg, traten Tränen in ihre Augen. Wieso war das alles nur so schwer? Wieso ließ sie sich von Zuschauern so leicht aus der Fassung bringen? Und es waren ja nicht einmal Fremde, die ihnen zugesehen hatten. Ihr Schwert legte sie wie automatisch an seinen angestammten Platz neben ihrem Bett. Egal wie viel Wut noch in ihr war, mit der Waffe ging sie immer äußerst behutsam um. Eigentlich hatte sie sich nur noch aufs Bett werfen wollen, um dann in ein Kissen zu schreien, doch von draußen hörte sie Ana nach ihr rufen. Also atmete sie einmal tief durch, dann ging sie zu ihr.

Ana nahm sie mit in ihren Wagen und gab ihr dann ohne weitere Umschweife Anweisungen, welche Tränke sie zubereiten sollte. Paracelsa kannte inzwischen ein paar der Rezepte auswendig. Anas belebender Trank war sehr wichtig für die Truppe. Ein großzügiger Vorrat musste immer auf Lager sein. Schmerzstillende und beruhigende Tränke waren ebenso wichtig. Und diese fanden auch immer Absatz. Deshalb gehörte es für Ana schon zur Routine, dass sie, kaum dass das Lager aufgebaut war, Kräuter und Gewürze kaufte oder sammelte, um ihre Tränke brauen zu können. Und da Paracelsa sehr gut kochen konnte, widmete sich Ana dieser Tätigkeit inzwischen sehr viel stärker. Paracelsa hatte indessen die Truppe zu versorgen. Doch das war für sie in Ordnung. Sie bereitete nicht nur schmackhaftes Essen zu, sondern tat es auch sehr gerne. Oft genug kam es aber auch vor, dass Ana Hilfe benötigte. Auch da ging ihr Paracelsa gern zur Hand. Diesmal würde es auch so sein, dachte Paracelsa. Ana hatte ihr den Auftrag gegeben ein Aphrodisiakum zuzubereiten und danach noch etwas belebenden Trank zu brauen. Die Handgriffe waren ihr klar, weshalb sie sich an ein Regal stellte und begann alle benötigten Zutaten zurecht zu legen und Kräuter zu hacken. Kurze Zeit später wies Ana sie allerdings an etwas anderes zu brauchen. Paracelsa tat wie ihr geheißen und suchte nach dem passenden Kraut. Als sie begann dieses zu zerkleinern, stieg ihr ein beißender Geruch in die Nase. Als sie noch als Sklavin bei der Orkfamilie gelebt hatte, musste sie Gerüche dieser Art sehr oft ertragen. Sie verzog daher keine Miene während sie ihrer Arbeit nachging. Von den Orks war sie viel Schlimmeres gewohnt. Was Ana aber zubereiten wollte, war ihr schleierhaft. Menschen konnten diese Pflanze jedenfalls nicht zu sich nehmen – weder roh noch irgendwie verarbeitet. Und auch als Ana zu ihr trat, erläuterte sie Paracelsa nicht, wofür dieser Trank gebraucht wurde. Stattdessen fragte sie, was zwischen ihr und Ronan vorgefallen war. Paracelsa verstand allerdings nicht, worauf Ana hinaus wollte und fragte deshalb nach. Und in ihrem üblichen harschen Ton wurde Paracelsa erklärt, dass Ana nicht entgangen war, wie die letzte Fechtstunde beendet worden war. Paracelsa bekam sofort wieder ein schlechtes Gewissen und wollte sich auch erklären, doch Ana ließ sie gar nicht richtig zu Wort kommen. Sie hätte Ronan nicht so anfahren sollen, niemand hier machte sich über sie lustig oder wollte ihr etwas Böses. Und nur, weil sie einmal patzte, musste sie nicht gleich die ganze Welt verwünschen. Paracelsa sah wieder betreten zu ihren Füßen. Als Ana ihre kurze Schimpftirade beendet hatte, konnte sich Paracelsa endlich rechtfertigen. Sie war doch bloß wütend auf sich selbst gewesen, sie hatte niemanden verletzen wollen.

Anas Gesichtsausdruck hatte sich schnell geändert als sie sah, wie sehr es Paracelsa zu Herzen ging, dass sie so ungehalten reagiert hatte. Und sie kannte Paracelsa gut genug, um zu wissen, dass sie niemanden mit Absicht hatte verletzten wollen. Doch Ana hatte noch einen Rat für Paracelsa: Offensichtlich fühlte sie sich noch nicht so geübt im Umgang mit Schwertern, dass sie auf ihre gesamte Umgebung achtete und sich deshalb leicht ablenken ließ. Sie sollte einfach weiter üben. Sovara könnte ihr außerdem helfen alles um sich herum zu ignorieren. Mit der Zeit würde sie die Übungskämpfe auch meistern, wenn sie von jemandem beobachtet wurde. Und ganz nebenbei erwähnte Ana auch noch, dass es niemandem von der Truppe entgangen war, dass sie sich sehr gut mit dem Elf verstand. Das wunderte nicht nur Ana. Aber da Sovara eh sehr wählerisch war, wem er seine Gunst erwies und er Paracelsa offensichtlich mochte, würde Ana nicht einschreiten. Denn sie hatte auch gesehen, dass es Sovara ganz gut tat, dass ihm jemand näher stand. Paracelsa verstand allerdings nicht, worauf Ana anspielte und sah sie deshalb fragend an. Ana begann daraufhin zu erklären: Kiki hatte sich lauthals jedem, der es hören und auch nicht hören wollte, erzählt, dass Paracelsa Sovara schöne Augen machen würde. So wirklich glauben, konnte das niemand. Aber keiner traute es sich Sovara direkt darauf anzusprechen. Ana hatte sich schließlich doch ein Herz gefasst und war zu Sovara gegangen. Es tat der Truppe nicht gut, wenn solche Gerüchte im Umlauf waren. Denn nicht nur Kiki, sondern auch alle anderen bekamen mehr und mehr den Eindruck, dass sie wahr waren. Und es war nicht gut, dass neben Kiki auch noch Paracelsa Liebeskummer haben sollte, weil sie nicht mit Sovara zusammen sein konnten. Doch Sovara hatte Ana schnell beruhigen können. Für Paracelsa hatte nie die Gefahr bestanden in die gleiche Situation wie Kiki zu kommen. Paracelsa verstand davon allerdings kein Wort. Und Ana machte keinerlei Anstalten ihr das genauer zu erklären. Es schien ihr sogar unangenehm zu sein so ein Gespräch mit Paracelsa führen zu müssen. Auf Nachfrage bekam Paracelsa lediglich ein entschuldigendes Lächeln, dann durfte sie wieder gehen.

Es war fast Abend, als Paracelsa wieder auf Ronan traf. Sie wollte sich bei ihm entschuldigen, dass sie ihre Wut am Morgen an ihm ausgelassen hatte. Doch Ronan hatte ihr schon längst verziehen und machte ihr keine Vorwürfe. Sie hatten schließlich alle mal einen schlechten Tag. Paracelsa atmete auf, als Ronan ihr das sagte. Zwischen ihnen war alles wie vorher. Und weitere Vorkommnisse sollte es zum Glück auch nicht mehr geben an diesem Tag, so glaubte sie.

Der Auftritt lief jetzt schon eine ganze Weile. Sie wollten gerade zu den Schattenspielen übergehen – die Feuerschlucker waren noch dabei die Bühne zu räumen – als Cyrias zu ihnen kam. Er machte eine besorgte Miene und hatte auch keine guten Neuigkeiten für sie. Paracelsa und auch die restliche Truppe verwunderte es nur sehr, mit welcher Selbstverständlichkeit Cyrias in ihren abgeschotteten Bereich gekommen war. Publikum hatte zwischen den Wagen normaler Weise nichts zu suchen. Und ohne ein Truppenmitglied waren auch niemals Fremde hier zu sehen. Cyrias nahm sich sehr viel heraus. Er wurde folglich auch nicht sehr freundlich begrüßt. Doch davon ließ er sich nicht weiter beeindrucken. Stattdessen wartete er, bis er Ana und Gerd erblickte, dann verkündete er der Truppe, dass ein Krieg bevorstand. Er empfahl ihnen auch sofort, nach Norden zu ziehen und das Lager so schnell es ging abzubrechen. Gerüchte von kriegerischen Auseinandersetzungen und Konflikten waren allerdings nichts neues. Außerdem durchstreiften Orkheere schon seit Jahren den gesamten Kontinent. Dass es dabei zu Kämpfen kam, war für niemanden überraschend. Und dass diese Kämpfe nicht weit von ihrem Standort entfernt waren, war auch nicht verwunderlich. Cyrias blieb allerdings hartnäckig. Sovara kam aus dem Hintergrund und stellte sich schließlich genau vor ihn. Die beiden musterten sich einen Augenblick wortlos, dann begannen sie auf elfisch miteinander zu sprechen. Sie redeten nur einige Minuten miteinander, doch das Thema schien ernst. Schließlich kam Sovara wieder zu ihnen mit ernstem Blick und wollte mit Ana und Gerd sprechen. Und auch, wenn niemand Sovara wirklich lächeln gesehen hatte, hatte er doch nie ein so besorgter Blick wie jetzt. Ana wusste, dass es wirklich ernst sein musste, wenn sogar Sovara sich sorgte. Also verkündete sie, dass sie am nächsten Morgen in aller Frühe das Lager abbrechen würden, und weiter zogen. Dann ging sie zu ihrem Wagen, Gerd, Sovara und in einigem Abstand auch Cyrias folgten ihr. Sie würden die ganze Nacht darüber sprechen, welche Route sie am besten nehmen würden und ob sie noch Zwischenstopps einlegen konnten. Die Truppe konnte sich derweil ausruhen, um für die nächsten Tage genug Kraft zu haben. Cyrias' Nachrichten mussten wirklich besorgniserregend sein, wenn Ana sich dazu durchgerungen hatte, seinen Rat zu befolgen. Und wenn sogar Sovara ihm glaubte.

Dieser letzte Abend hatte ihnen noch einiges an Einnahmen gebracht. Alle hatten nach Cyrias Verkündung versucht normal zu agieren, doch die Anspannung war fast greifbar. Paracelsa konnte es bei allen erkennen. Denn so dankbar sie Cyrias sein konnten, dass sie wahrscheinlich noch rechtzeitig vor einem heran nähernden Heer fliehen konnten, kam diese Nachricht doch zur Unzeit. Der Sommer neigte sich gerade erst dem Ende zu. Sie hatten geplant noch einige Städte anzufahren. Erst im Herbst, wenn das Wetter auch nicht mehr angenehm wäre, wollten sie sich auf den Weg nach Schneeberg machen. Die nördliche Hauptstadt war seit Jahren ihr Ziel, um den Winter dort zu verbringen. Denn auch, wenn die Stadt hoch oben in den Bergen sehr kalt war – auch im Sommer wurde es nicht sehr warm – bot sie doch Schutz und duldete Schausteller in ihren Mauern. Sie könnten dort auch kleinere Auftritte abliefern. Die Wintersonnenwende bot einen entsprechenden Anlass. Und da die meisten von ihnen ein Handwerk beherrschten oder Kenntnisse besaßen, die auch den Stadtbewohnern zu Gute kamen, könnten sie sich zusätzlich als Handwerker, Schreiber oder ähnliches verdingen. Und erst nach der Tag- und Nachtgleiche im Frühling würden sie die Stadt wieder verlassen und sich auf den Weg gen Süden begeben.

Schneeberg war vor Jahrhunderten von Zwergen erbaut worden. Allerdings konnte niemand mehr genau sagen, wann genau das war. Die Fundamente waren uralt. Und nicht einmal die dort ansässigen Zwergenfamilien, die seit Generationen dort lebten, wussten ein ungefähres Alter der Stadt. Durch Kriege, Lawinen oder Schneestürme waren Teile Schneebergs immer wieder zerstört oder anderweitig unbewohnbar geworden. Doch Schneeberg war nie komplett vernichtet worden. Das hatte aber weniger mit Glück zu tun, sondern hing auch damit zusammen, dass viele Wohnhäuser und auch das Regierungsviertel in den Berg gehauen worden waren. Die Handwerksviertel und alle Gasthäuser befanden sich vor dem Berg. Sie waren dadurch leichter angreifbar und der Witterung auch sehr viel Stärker ausgesetzt. Zusätzlich war die Stadt ringförmig angelegt. Die Bewohner konnten im Notfall in den innersten Ring, der ebenfalls in den Berg gebaut war. Dieser natürliche Schutz hatte Schneeberg Jahre und Jahrhunderte bei allen Widrigkeiten überstehen lassen. Paracelsa hatte bisher nur Geschichten über „Die Stadt im Berge“ gehört. Als sie noch bei den Orks gelebt hatte, war Schneeberg ein häufiges Thema. Denn trotz vieler Feldzüge war es nie gelungen die Stadt einzunehmen. Ronan hatte ihr ebenfalls schon erzählt wo und wie die Truppe den Winter verbrachte. Er fand es eigentlich ganz schön dort. Und wären die Winter in Schneeberg nicht so lang und kalt, würde er vielleicht sogar dort bleiben. Doch er brauchte einen Sommer, der länger als ein paar Wochen war.

Durch Cyrias' Verkündung stand die Truppe allerdings vor einem Problem: Sie hatten noch nicht genug Geld eingenommen, um problemlos über den Winter zu kommen. Und sie würden auf ihrem Weg nach Schneeberg auch keinen größeren Halt machen, sie mussten so schnell es ging nach Norden gelangen. Als Ana ihnen das mitgeteilt hatte, war die Überraschung gewaltig. In der Truppe regte sich Protest, doch Ana wusste diesen schnell zu unterbinden. Unruhen konnten sie jetzt nicht gebrauchen, ihre Lage war dafür viel zu ernst, wenn Cyrias mit seiner Vermutung Recht behalten sollte.

Es waren Situationen wie diese, in denen Paracelsa erst wieder klar wurde, dass Ana das Sagen über die Schausteller hatte. Momente wie eben waren selten. Die meiste Zeit war es deshalb so, dass bei der Truppe kein wirklicher Anführer erkennbar war. Von Außen noch weniger als als Teil der Schausteller. Jeder wusste um seine Aufgaben und Fähigkeiten. Es war niemand wirklich nötig, der sie alle koordinierte. Und wenn der Auf- und Abbau doch einmal länger dauerte als geplant, gab es immer noch Gerd, der sie allein mit seiner gewaltigen Stimme zur Eile antreiben konnte.

Die Dienste, die sie anboten, um über den Winter zu kommen, würden nicht genug Geld einbringen, damit sie sich in Schneeberg bequem versorgen konnten. Doch da ein Krieg bevor stand, wären sie mit Sicherheit nicht die einzige Truppe, die dort Zuflucht suchte. Deshalb wollten sie so schnell es ging aufbrechen. Als Schausteller mussten sie immer mit Anfeindungen rechnen. Und in so kritischen Zeiten wie sie jetzt anbrachen, war fahrendes Volk nicht sehr gern gesehen in den Städten und Dörfern. Ein Spion könnte sich schließlich sehr leicht unter sie mischen. Außerdem könnte man leicht auf das fahrende Volk verzichten. Sie gehörten schließlich nicht zu einer Stadt oder Gilde. Ob sie kämpfen konnten und wollten, wenn es nötig wurde, war für die meisten ebenfalls fraglich. Die Schausteller waren niemandem verpflichtet außer sich selbst. In der Bevölkerung war die allgemeine Erwartung deshalb, dass sie sich aus dem Staub machen würden, sobald es gefährlich wurde. Und je größer die Karawane war, desto weniger gern gesehen waren sie. Das lag aber auch an den Flüchtlingsströmen, die durch Krieg auf der Suche nach einer neuen Heimat oder wenigstens einem sicheren Ort waren. Und Flüchtlinge wurden immer als Eindringlinge betrachtet, die den Einheimischen alles weg nehmen wollten. Paracelsa musste noch lernen, dass viele Menschen eine eingefahrene Meinung hatten und diese auch nicht ändern wollten. Sie wusste von all diesen Vorurteilen und Anfeindungen nur wenig. Doch ihr war klar, dass es viel zu bequem für war einem selbst erschaffenen Feindbild nachzujagen, als zu hinterfragen, was wieso passierte. Doch der schlechte Ruf, den fahrende Händler und Schausteller besaßen, kannte sie. Und sie hatte es am eigenen Leib erfahren müssen, was diese Vorurteile bedeuteten. Sie selbst hatte bisher zwar keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht, wenn die Schausteller ins Birkental gekommen waren. Doch sie war noch ein kleines Kind und viele ihrer Erinnerungen waren mit Sicherheit geschönt. Noch dazu kam, dass ihr abgeschottetes Tal immer nur von ein und derselben Truppe angefahren wurde. Andere Schausteller hatte sie nie gesehen. Sie hatte deshalb ein recht positives Bild vom fahrenden Volk. Und seit Paracelsa das Birkental hatte verlassen müssen, war es ihr nie so gut gegangen wie bei den Schaustellern. Sie war ihnen dankbar, dass sie so einfach aufgenommen wurde. Und sie hatte in ihnen so etwas wie eine zweite Familie gefunden.

Paracelsa war gerade damit beschäftigt einige Vorräte sicher für die Weiterfahrt zu verstauen, als Sovara zu ihr trat. Sie begrüßte ihn herzlich, doch Sovara sah sie einfach nur ernst an, dann erzählte er von der Nachricht, die er von Cyrias aus an sie überbringen sollte. Seine Miene war versteinert, er wollte wohl so kühl und unnahbar wie immer wirken. Doch Paracelsa war klar, dass sich alles in ihm sträuben musste, wenn er ihr gegenüber so auftrat. Und dass er das Mindestmaß an Höflichkeit übersprang, sprach ebenfalls Bände. Sovara wahrte die Formen, auch ihr gegenüber. Natürlich war es nicht ganz so gezwungen wie bei anderen, wenn er mit ihr sprach, aber das elfische Auftreten legte er nie ab. Außer heute. Und das beunruhigte Paracelsa. Viele, viele Jahre später, als Paracelsa ihre Geschichte zu Papier bringen wollte und sich all diese Situationen noch einmal in Erinnerung rief, war ihr erst klar geworden, dass Sovara so etwas wie seinesgleichen in ihr gesehen haben musste. Denn während sie den Winter in Schneeberg verbrachten, gab es noch mehr solcher Situationen, in denen Sovara offener als sonst zeigte, was seine wahren Gefühle waren. Wenn er verärgert war, blieb er gegenüber der Truppe kalt, niemand sollte ihm anmerken, wie es ihm wirklich ging. Wenn er allerdings mit Paracelsa allein war, erzählte er ihr in aller Ausführlichkeit, was ihm gegen den Strich ging. Doch es gab auch Ausnahmen. Sovara erzählte ihr im Grunde nur einen kleinen Teil von dem, was in ihm vorging. Das tat er natürlich immer auf elfisch. Offen beleidigen wollte er schließlich niemanden. Und da ihre Lage eh angespannt war, mussten sie immer vorsichtig sein mit dem, was sie sagten oder taten.

In Schneeberg lebten die verschiedensten Völker. Elfen waren dort keine Seltenheit. Und so kam es, dass Paracelsa des öfteren von ihnen angesprochen wurde. Sie war ein bekanntes Gesicht, auch wenn sie es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Sovara hatte schnell begonnen ein Auge auf Paracelsa zu haben und begleitete sie oft, wenn sie in der Stadt unterwegs war. Mal lief er offen an ihrer Seite, mal hielt er sich im Verborgenen. Doch Paracelsa wusste immer, dass er in ihrer Nähe war. Und die Elfen, die sie nach wie vor sehr freundlich grüßten, schienen das ebenfalls zu ahnen. Dass Sovara dieses besondere Menschenkind aber von ihnen fern halten wollte, kam überraschend, auch für Paracelsa. Doch sie vermutete, dass es mit dem Zusammenhing, was Sovara ihr von Cyrias überbracht hatte.

Da Sovara so oft in elfisch mit Paracelsa sprach, war sie schnell besser geworden in dieser Sprache. Es fiel ihr generell sehr leicht so etwas zu erlernen. Und sich Elfisch anzueignen, machte ihr sogar Spaß. Am Ende des Winters sprach sie mit Sovara daher kaum noch in der Gemeinsprache. Kikis Eifersuchtsattacken hatten dadurch natürlich wieder zugenommen. Denn Paracelsa und Sovara sprachen offen in ihrem Lager oder auf den Straßen der Stadt elfisch. Und das gefiel Kiki ganz und gar nicht. Paracelsa ließ Kikis spitze Kommentare irgendwann aber nur noch an sich abprallen. Wenn Kiki unbedingt wissen wollte, worüber sie sich mit Sovara unterhielt, sollte sie elfisch lernen. Paracelsa würde ihr dabei sogar helfen. Außerdem war für sie klar, dass Sovara nur ein Lehrer und guter Freund für sie war. Er brachte ihr eine neue Sprache und ein paar einfache Zaubertränke bei, mehr nicht. Von daher konnte Kiki denken, was sie wollte.

Den ganzen Winter über ging Paracelsa allerdings nicht aus dem Kopf, was Cyrias von ihr wollte. Sovara hatte ihr am Ende des Sommers gesagt, dass sie mit Cyrias gehen sollte. Er würde sie zum Eichen-Hain bringen. Dort wartete bereits jemand auf sie, der sie im Druidentum ausbilden wollte. Der Eichen-Hain war bekannt als Heimat der elfischen Druiden. Denn natürlich gab es auch in den anderen Völkern Druiden und Gelehrte, die auch ein wenig heilen konnten. Doch Paracelsa wusste einfach nicht, wer dort auf sie warten sollte. Sie kannte keine Elfen. Sovara war der einzige, mit dem sie Umgang hatte. Und bei Cyrias war sie sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt von dort stammte. Doch wahrscheinlich war das nicht der Fall, wenn sie Sovaras Anspielungen richtig gedeutet hatte. Es war ihr auch schleierhaft, wieso sie als Druidin ausgebildet werden sollte, noch dazu von einem Elf. Die Ausbildung begann für Elfen schon im Kindesalter. Doch sie war fast Erwachsen. Ein paar der Grundlagen kannte sie zwar schon – sie wusste von vielen Kräutern, welche Wirkung diese allein oder in Kombination mit anderen hatten – doch wahrscheinlich hätte sie noch einmal ganz von vorn anfangen müssen. Wenn die Kinder Kräuterkunde beherrschten, wurden sie in den ersten Heilzaubern und den alten Ritualen unterrichtet. Es war eine lange Lehre, bei der sehr viel gelernt werden musste. Paracelsa hatte von all diesen Dingen einige Kenntnisse. Es war kein strukturiertes Wissen, und sie war auch nicht daran interessiert alles genau so zu machen, wie es laut elfischem Druidentum vorgeschrieben war. Sie interessierte sich einfach nur dafür und fand es nützlich, um anderen zu helfen. Und sie hätte niemals damit gerechnet, dass sie eine wahrhaftige Druidin – noch dazu die bedeutendste des Jahrhunderts – werden würde. Was sie während des Winters in Schneeberg nicht ahnte war, dass derjenige, der auf sie im Eichen-Hain wartete, ein alter Freund war. Ihr zukünftiger Lehrmeister musste aber noch eine Weile auf seine beste Schülerin warten...



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