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Spuren

Bis wir da sind (Elliot/Leo)
von

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One Shot

Leo befand sich nicht in der Position, seine Zweifel offen zu zeigen. Nicht in seiner Rolle als momentaner Glen Baskerville; nicht jetzt, da ihr großes Ziel so kurz bevor stand. Er musste so tun, als würde er mehr an die erfolgreiche Umsetzung ihrer Pläne glauben als all die anderen zusammen. Er musste stark sein, für seine Gefährten und für sich und für die Welt. Und für Elliot.

Leo durfte nicht zweifeln, wenn er Elliot nicht enttäuschen wollte.

Aber manchmal konnte Leo nicht anders, als seine Zweifel ans Tageslicht kriechen zu lassen. Wenn das geschah, wenn die dunklen Gedanken zu gewinnen drohten, zog er sich für gewöhnlich an einen Ort zurück, an dem es Bücher gab. Dann zog es ihn in den Epos irgendeines mutigen Helden, der gegen das Böse kämpfte und gewann, selbst wenn er zweifelte. Leo hoffte, durch diese Helden zu lernen, wie er gegen seine eigenen Zweifel ankämpfen, wie er sie besiegen konnte, aber das wollte ihm nie so recht gelingen. Er hatte bereits in all den Jahren, in denen er Elliot beobachtet hatte, nicht gelernt, wie man ein Held war, also hatte er schließlich aufgegeben.

Stattdessen zog er sich jetzt in die Natur zurück, ließ sich unter einem großen Baum nieder, dessen überladene Krone ihm Schatten bot, und schloss die Augen in der Hoffnung, dass die Stimmen in seinem Kopf dann endlich leiser wurden. Leo las keine Bücher mehr, denn er fand keinen Trost mehr in fremden Geschichten. Das Einzige, das ihn jetzt noch in dieser Welt verankert hielt, war das schwarze Schwert, das er nicht mehr aus den Augen ließ, seit er es zum ersten Mal in die Hand genommen hatte.

Leo atmete aus, zittriger als er zugeben wollte, und schloss seine Fäuste fester um das kühle Schwert. Egal wie sehr er versuchte, seine Gedanken davon abzuhalten, so wanderten sie dennoch in die gewohnte Richtung. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er an das letzte Mal dachte, dass er mit Elliot gesprochen hatte.

Ein bitteres Auflachen blieb ihm im Hals stecken. Wenn Elliot jetzt hier wäre, würde er wissen, was zu tun war. Elliot hatte immer gewusst, welcher Weg der richtige war, egal wie schwierig die Wahl in Leos Augen gewesen war. Das war eine der vielen Eigenschaften, für die Leo ihn nach wie vor bewunderte und auch ein wenig beneidete.

Aber er wusste auch, dass all das Lamentieren nichts brachte. Elliot konnte diese Last nicht an seiner Stelle tragen, und auch wenn das eine Option gewesen wäre, hätte Leo das nicht gewollt. Es war seine Verantwortung und sein Schicksal, nicht das von irgendeinem jungen Helden, in dessen Geschichte er eingetaucht war. Niemand sollte durchmachen, wozu er berufen worden war; schon gar nicht jemand, der ihm etwas bedeutete.

Leo bemerkte Elliot erst, als dieser sich neben ihn ins Gras fallen ließ. Vor Schreck riss er die Augen auf und starrte den anderen eine Weile stumm an, zu viele Fragen auf den Lippen, als dass er sich für eine hätte entscheiden können. Ohne sich an Leos verwirrtem Gesichtsausdruck zu stören, griff Elliot wie selbstverständlich nach dem schwarzen Schwert, das sein Freund fest umklammert hielt, und ließ es dann an seiner eigenen Schulter ruhen.

»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, sagte Elliot nach einigen Augenblicken säuerlich, so als würde er es als persönliche Beleidigung auffassen, dass Leo ihn angaffte wie einen zweiköpfigen Raben.

Leo nahm sich Zeit, sein vor Aufregung pochendes Herz wieder zu beruhigen. Obwohl Elliots plötzliches Auftauchen ihn aus der Bahn geworfen hat, merkte er dennoch, wie viel ausgeglichener ihn seine Anwesenheit machte, selbst wenn sie nicht miteinander sprachen. Irgendwann hielt Leo die Stille zwischen ihnen jedoch nicht mehr aus.

»Wie lange soll das weitergehen, Elliot?«

Elliot sah stur nach vorne, die Stimme fest. »Bis wir da sind.«

Die Aussage war so typisch Elliot, dass Leo sich ein leises Auflachen nicht verkneifen konnte. Dabei zog sich seine Brust so unangenehm zusammen, dass er eigentlich keinen Grund hatte zu lachen. In der Hoffnung, die Schmerzen ein wenig zu lindern, zog er die Beine an den Körper und vergrub den Kopf in seinen Knien.

»Ich will nicht mehr, Elliot«, gestand er nicht nur seinem Freund, sondern auch sich selbst mit zitternder Stimme. »Es gibt keinen Grund mehr, weiterzumachen.«

Auch wenn er es vermied, Elliot anzusehen, konnte Leo sich gut vorstellen, wie sein Freund bei seinen nächsten Worten die Stirn in Falten lag.

»Es gibt immer einen Grund. Wenn du es nicht für dich tust, dann tu es für die, die dir folgen.«

Das wäre der noble Weg gewesen; die Wahl, die Elliot an seiner Stelle getroffen hätte. Aber Leo wusste am besten, dass er niemals so sein konnte wie Elliot es ihm vorlebte, also beließ er es bei einem traurigen Lächeln, anstatt ihm all die Dinge aufzuzählen, die sie unterschieden.

»Du hast gut reden. Es ist nicht deine Existenz, die am seidenen Faden hängt.«

»Und du meinst, es lässt mich kalt, dich scheitern zu sehen?« Leo konnte spüren, wie sich Elliots lodernder Blick in seine Haut brannte. »Mach dich nicht lächerlich.«

Darauf wusste Leo nichts zu erwidern. Das Letzte, was er wollte, war auch noch Elliot mit seinen Taten unglücklich zu machen. Es war die eine Sache, wenn er sich selbst in eine Lage brachte, die nur mit seinem Ableben enden konnte; doch Elliot durfte nichts geschehen. Lieber hätte Leo seinem Leben selbst ein Ende gesetzt.

Bei seinen nächsten Worten war Leos Stimme kaum hörbar. »Ich darf nicht die Kontrolle verlieren.«

Es war eine Ermahnung an ihn selbst ebenso wie ein Versprechen an Elliot und die anderen Baskervilles. Alles ruhte auf seinen Schultern, machte seinen Körper so unendlich schwer, dass er ohne Hilfe nicht mehr weitergehen konnte.

»Das wirst du nicht, Leo«, sagte Elliot mit so viel Überzeugung, dass Leo endlich wieder den Kopf hob und ihn hilfesuchend ansah. Seine Stimme klang beinahe flehend, so als erhoffte er sich von Elliot die richtige Antwort auf all seine Fragen.

»Ohne dich schaffe ich es nicht.«

»Du musst. Ich kann dir nicht mehr helfen.«

Leo spürte, wie seine Augen mit all den Tränen brannten, die er sich bisher verboten hatte.

»Ich will nicht mehr allein sein.«

»Das bist du nicht«, presste Elliot hervor.

»Aber du—«

»Du kannst es schaffen, Leo.« Mit einem entschlossenen Ausdruck in den Augen drückte Elliot ihm das Schwert in die Hand, an das er sich bis eben beinahe so verzweifelt gekrallt hatte wie Leo vor ihm. Dann stand er auf und lächelte ihn so aufmunternd wie möglich an. »Ich glaube an dich, mein Freund.«

Leo wollte etwas sagen, irgendwas, doch seine Stimme versagte. Also sah er Elliot einfach nur an, die Brust zu voll von Dingen, über die er nie mit ihm hatte reden können. Doch Elliot verstand, was er ihm sagen wollte, so wie er immer schon verstanden hatte, was in ihm vorging. Sein Lächeln wurde eine Spur trauriger.

»Es tut mir leid, Leo. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich dich nicht allein gelassen.«

Jetzt kamen die Tränen, liefen unaufhaltsam seine Wangen hinab und trübten seine Sicht. Leo wusste nicht, ob er Elliot aus diesem Grund immer schlechter sehen konnte, oder weil sein Verstand endlich realisierte, dass er tatsächlich nur einen Geist gesehen hatte. Das schwarze Schwert umklammernd schloss Leo die Augen und hoffte darauf, dass das Ende seiner Reise bald kommen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  ButterFay
2020-08-03T00:42:50+00:00 03.08.2020 02:42
;///; Wunderschön geschrieben. Ich liebe den Beiden, und vor allem Elliot. Sein Ende hat mir damals das Herz gebrochen und mich echt lange Zeit davon abgehalten Pandora Hearts weiterzulesen. Irgendwann hab ich den Manga dann Gott sei Dank doch beenden, und es ist heute mein absolutes Lieblingswerk. Danke für diese tolle Geschichte, ich habe dabei ein paar Tränen vergossen.
Antwort von:  ButterFay
03.08.2020 02:43
"die Beiden" natürlcih
Antwort von:  Schangia
03.08.2020 21:46
Aww, vielen lieben Dank für deinen Kommentar!
Ich kann das aber voll verstehen, mich hat Elliots Ende damals auch echt fertig gemacht :") Aber schön zu sehen, dass du den Manga doch noch beenden konntest! Und danke für die Tränen~ >:3


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