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Der magische Papyrus

von

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Krank

Erst, als ich bei meiner Mutter war, begann ich langsam wieder, klar zu denken. Ihre Katzen, Maunzi und Pieps, sprangen über mein Bett. Ich sah ihnen dabei zu, rief sie auch, doch sie hörten nicht und jagten einander, so als gäbe es nichts Schöneres auf dieser Welt.
 

Es war früh am Morgen und ich wusste, dass Weihnachten vor der Tür stand. In ein, zwei Tagen … Aber im Grunde war mir das egal … wie alles um mich her, wenn es eben nicht gerade die Katzen waren, die über mein Bett hinwegsprangen oder sich des nachts neben mich legten, leise schnurrend. Dann kuschelten wir drei uns aneinander und ich genoss ihre Wärme.
 

Nur manchmal stand ich auf, um zur Toilette zu gehen, mich zu waschen oder, um etwas zu essen. Die meiste Zeit über aber lag ich. Ich wollte es nicht anders.
 

Der Arzt meiner Mutter hatte von einem Überlastungssyndrom gesprochen und mir eine leichte depressive Verstimmung bescheinigt. Die Konsequenz dessen war, dass ich nun hier, im Gästezimmer meiner Mutter weilte – mit einem Attest und dem gut gemeinten Rat des Arztes, mich einmal richtig auszuschlafen und nicht an die Arbeit zu denken. Nun, von dem Rest hatte ich ihm nicht erzählt und würde es auch nicht tun, denn irgendetwas sagte mir, dass das nicht gut wäre und es die Diagnose dahingehend beeinflussen könnte, dass ich den Platz im hiesigen Bett mit dem in einer Anstalt würde tauschen müssen. Oder? Zumindest aber würde ich Pillen schlucken müssen. Und das wollte ich nicht. Ich behielt all das also für mich. Auch meiner Mutter erzählte ich nur, dass ich mich durch meine Arbeit zuweilen überfordert fühlte, na ja, zumindest von meinem Chef.
 

Zum Glück war meine Mutter eine ruhige Frau, die sich nicht so leicht aufregte, doch gelassen, das sah ich ihr an, nahm sie meinen Zustand auch nicht hin. Aber was sollte ich tun? Ihr etwas vorspielen? Wenn ich nicht fröhlich sein wollte, dann war ich es eben auch nicht. Ich hatte in letzter Zeit genug lachen müssen. Jetzt wollte ich ernst sein und wenn, dann überhaupt nur, mit den Katzen spielen.
 

Manchmal stand ich auch auf, um das Fenster zu öffnen und die frische, gute Luft hereinzulassen. Klare, reine Winterluft, die ich so sehr mochte. Seit der Scheidung von meinem Vater lebte meine Mutter in einem kleinen westthüringischen Dorf. Sie hatte es irgendwie geschafft, eines der wenigen Häuser, die der Gemeinde gehörten, zu mieten, für sich und ihre Katzen. Maunzi und Pieps waren nur zwei von insgesamt sechs. Aber außer den beiden kam keine Katze in die Wohnung. Nur, wenn es ganz kalt war, kamen sie in den Flur, ansonsten trieben sie sich immer draußen herum.
 

Das Haus meiner Mutter befand sich gleich neben der Kirche, sodass wir die Glocken jede Viertelstunde – und zur Nacht jede halbe Stunde – hörten. Ich empfand das als sehr beruhigend. Denn, wenn ich nachts erwachte und Pieps und Maunzi nicht bei mir wusste, fühlte ich mich allein. Doch wenn dann die Glocke ging, war das schön, angenehm und ich konnte wieder einschlafen. Ebenso schön war es, wenn ich von Ferne Hunde bellen hörte. Dann wurde diese dörfliche Stille von Leben durchflattert.
 

Manchmal setzte sich meine Mutter am Nachmittag nach ihrer Arbeit an mein Bett und fragte mich, ob wir reden wollten. Doch meist war mir nicht danach. Dann blieb sie entweder noch ein Weilchen und erzählte mir irgendetwas von den Leuten aus dem Dorf oder sie ging wieder. Ich mochte auch das. Sie war wirklich nicht aufdringlich. Doch ich wusste, dass sie für mich da wäre, wenn ich sie bräuchte.
 

Manchmal lag ich einfach nur so da – stundenlang – und sah an die Decke, die weiß gestrichen war. Ich wusste, dass meine Mutter dafür Hilmer hatte kommen lassen, ihren Kumpel aus dem Dorf. Hilmer hatte sie, anders als viele andere aus dem Dorf, sofort angenommen und war ihr fortan auch nicht mehr von der Seite gewichen. Sie nannte ihn heimlich, ihren kleinen Hund. Wenn sie das tat, bemühte ich mich zu lächeln. Ich kannte Hilmer nur flüchtig, konnte aber bestätigen, dass er hündische Allüren an den Tag legte. Kurzum: er liebte meine Mutter, wohl dafür, dass es endlich jemanden gab, der ihn nicht abwies. Ja, Hilmer hatte keinen guten Stand im Dorf, gleichwohl hier geboren. Was der Grund dafür war, wusste auch meine Mutter nicht. Und Hilmer selbst mochte sie nicht fragen. So blieb es vorerst bei der rein äußerlichen Betrachtung des Umstandes, dass Hilmer immer Gewehr bei Fuß stand, wenn ihn meine Mutter rief. Oft tat sie es nicht – und wenn doch, dann dankte sie es ihm, mit einer warmen Mahlzeit, die sie ihm kochte. Denn seit dem Tod seiner Eltern schien er gerade das zu vermissen. Er würde auch am Weihnachtsheiligabend zu uns kommen. Ob ich etwas dagegen hätte, wollte meine Mutter wissen. Ich schüttelte den Kopf. Warum sollte ich auch? Wenn es mir zu viel werden würde, könnte ich mich ja zurückziehen.
 

Hilmer hatte jedenfalls gute Arbeit geleistet. Die Decke war weiß, blütenweiß. Ich mochte diesen Farbton. Er strahlte Reinheit und vor allem Ruhe aus. Da gab es nichts, was mich hätte aufregen können. Nichts. Kein Rot oder Blau. Nur weiß. Die ganze Decke war so, gleichmäßig weiß gestrichen. Und wenn ich die Augen schloss, versuchte ich sie mir weiterhin vorzustellen. Einfach nur sie und sonst nichts. Und wenn mir das gelang, spürte ich so etwas wie Zufriedenheit in mir. Ruhe, Zufriedenheit – davon hatte auch der Arzt gesprochen. Und auch davon, dass mich nichts und niemand davon würde abhalten können, einmal nicht an die Arbeit zu denken. Und seltsamerweise fiel es mir auch gar nicht schwer. Am Anfang, als ich noch fast den ganzen Tag geschlafen hatte, durchzuckte mich nur ab und an ein Gedanke an sie, an meinen Chef, an all das, was auf meinen Schreibtisch lag und sich vielleicht auch stapelte. Doch jetzt, da ich diese, von Hilmer so wunderbar weißgestrichene Decke mehr und mehr in mein Leben ließ, verschwammen diese Gedanken so als stellte jemand ein Teleobjektiv unscharf.
 

Aber dann geschah etwas, das mich augenblicklich aus dieser Ruhe, diesem Gleichmut riss. Es war ein Brief von der Universität, aus meinem Institut. Ich erkannte die Schrift. Es war die unserer Sekretärin. Meine Mutter war gerade nicht da und hatte den Brief in die Ablage im Flur getan. Ob sie ihn mir später würde zeigen wollen? Ich zögerte jedenfalls und spürte plötzlich wieder eine Leere in meinem Kopf. Ich dachte, ich würde gleich in Ohnmacht fallen. Doch im nächsten Moment fing ich mich, streckte meine Hand nach diesem Brief aus, der doch recht dick war. Mein Herz raste, während ich auf den Institutsstempel starrte. Was, wenn mir mein Chef mitteilte, dass er mich nach Neujahr nicht wiedersehen wolle? Augenblicklich zog sich mein Magen zusammen und meine Hände begannen zu zittern. Mein Arzt hatte gesagt, dass ich jegliche Aufregung vermeiden sollte, doch nun stand ich hier und wusste nicht weiter. Sollte ich den Brief einfach wieder in die Ablage tun und so tun, als wäre nichts? Doch könnte ich das? Jetzt, da ich hier stand und am ganzen Leib zitterte und mit mir kämpfen musste, nicht wieder diese Leere in meinem Kopf aufkommen zu lassen. Unwillkürlich taumelte ich zum nächsten Stuhl, ließ mich auf ihm nieder, den Brief noch immer in den Händen. Der Brief war nicht ganz leicht. Und klein war er auch nicht. Vielleicht, nein, ganz sicher hatte mein Chef unserer Sekretärin befohlen, mir die Post nachzuschicken … Ja, wahrscheinlich war’s nur das. Denn auch wenn ich arbeitsunfähig war, musste ich ja meine Post lesen können. Und im Grunde hätte ich auch schon längst einmal in meine Emails schauen müssen … Hätte, hätte, hätte … Ungestüm riss ich den Umschlag auf und heraus fiel ein Brief, mir direkt vor die Füße. Rasch bückte ich mich, riss auch ihn auf und entnahm ihm einen Bogen.
 

Liebe Kathi – ich darf Sie doch ‚Kathi‘ nennen?,
 

stand da in sauberer, fast kalligraphischer Schrift. Ich stutzte. Was, was hatte das zu bedeuten?
 

bitte verzeihen Sie mir, dass ich mir die Freiheit nehme, Ihnen dieses Büchlein mit Anekdoten rund um die Ägyptologie zu schicken, verbunden mit der Hoffnung, dass Sie es noch nicht besitzen. Meines Wissens ist es seit Jahren vergriffen, aber erst neulich fiel mir ein Exemplar in die Hände und da dachte ich sofort an Sie. Mir hat dieses Büchlein durch mein Studium und letztlich auch durch die Zeit der Promotion geholfen. Sehr empfehlenswert sind die Abdrucke der Rezensionen aus dem frühen 20. Jahrhundert, die Art, wie sich die Wissenschaftler gegenseitig angingen … Lesen Sie es!
 

Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest und hoffe, dass Sie recht bald genesen.



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