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Chapter 127 reloaded

Wenn Agni nicht gestorben wäre...
von

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Chapter 127 reloaded

„Waren das gerade Pferde?"

„Ja, eine Kutsche kam gerade an. Es sieht so aus als bekämen wir Besuch. Soll ich sie herein bitten, mein Prinz?"

„Du musst dir keine Umstände machen, ich gehe schon. Bereite einfach etwas Tee für uns vor."
 

Freudig stürmte der Prinz aus dem Zimmer hinaus in den Flur, tänzelte Stufe für Stufe herunter und summte fröhlich vor sich hin. Sein groß gewachsener Diener hingegen blieb im Raum und tat, wie es ihm sein Meister befiel. Während er aus den Schränken das feine Geschirr nahm – er konnte ja nicht wissen, was für einen Gast sie empfangen – spielte sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen. Er richtete ein Tablett und mit jedem weiteren Glas, die er neben einander, fein säuberlich arrangierte, wuchsen seine Mundwinkel ein kleines Stückchen weiter nach oben. *Wie kann mein Prinz sich nur über jede Kleinigkeit erfreuen. Eben war er noch so ernst, sprach mit der Weisheit eines alten Mannes und nun hüpft und springt er wieder wie ein kleines Kind. Dass mein Meister in kurzer Zeit die Volljährigkeit erreicht und sich einen gestandenen Mann nennen darf, wer würde das nur denken? Worum mach ich mir eigentlich Sorgen? Ich kenne ihn wie meine Westentasche und eines ist sicher: Es wird alles bestens werden, solange ich ihn nur beschütze.* Mit diesem Gedanken griff Agni das Tablett. Nicht dass sein Prinz noch auf ihn warten muss, das wollte er Soma nicht antun und so eilte er in das Nebenzimmer – die Küche.
 

In der Eingangshalle angekommen, sprang der Prinz gleich zur prächtigen Haustür und öffnete sie mit einem kräftigen Ruck. Die vertraute Seele, die ihm begegnete, ließ sein Herzchen gleich etwas höher schlagen. Bedenkenlos lud der Inder seinen Gast ein, eine fatale Entscheidung, wie er später merken sollte. Mit einer flotten Handbewegung deutete Soma seinem Gast an, ihm zu folgen. Doch er tat es nicht. Sein Gast - fast bis zur Unkenntlichkeit in seinen Mantel gehüllt – blieb schweigend vor der Tür stehen. „Was ist den los mit dir? Agni hat für uns Tee gekocht. Willst du das er kalt wird?", pflichtete der Prinz bei, doch von seinem Gast kam immer noch keine Reaktion. *Was ist los mit ihm? Warum benimmt er sich so komisch? Ist irgendetwas passiert?* Besorgt ging Soma zwei, drei Schritte vor bis er vor dem riesigen Mantel stand, unter dem sich irgendwo sein Freund verstecken musste. Von diesem war jedoch nicht einmal mehr eine Haarlocke zu sehen und so fiel der Blick des Prinzen unausweichlich auf den Mantel. Ein wirklich schäbiger Mantel, vollkommen abgetragen und mit Dreck nur so überzogen! Der Hut sah keinen Dolch besser aus. Sein Freund würde so etwas doch niemals tragen. *Was war bloß los mit ihm? Irgendetwas stimmt nicht.* Vorsichtig ging Soma einen weiteren Schritt auf seinen Gast zu, beugte sich zu ihm über und griff nach vorn. Er wollte seinem Freund die Hand auf die Stirn legen. *Vielleicht ist er ja krank?*, dachte sich der Prinz, doch bevor seine Finger die Stirn seines Gastes berühren konnten, drückte sich gegen seine eigene etwas kaltes und hartes. Plötzlich erkannte er, um was für einen Gegenstand es sich handelte. Seine Augen weiteten sich, sein Herz schlug schneller als es je zuvor geschlagen hat und er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Eine Pistole – sein Gast drückte ihm einen geladenen Revolver gegen die Stirn und die Finger zitterten schon am Abzug.
 

„SOMA!!!"
 

Es schien die Zeit still zu stehen. Wie in Zeitlupe sah der junge Prinz seinen Diener im Türrahmen stehen, seinen Gast den Abzug drücken und mit einmal spürte er einen Stoß und dann einen entsetzlichen Schmerz. Ein Blinzeln und Soma fand sich auf den harten Hallenboden wieder. Seine Rippen brannten vor Schmerz – er musste sich sie beim Sturz verletzt haben – doch dieser Schmerz beschrieb kaum das Gefühl in seinen Arm. Mit kreidebleichem Gesicht schielte der Prinz auf seine rechte Hand. *Scheiße!* Tief rotes Blut sprudelte wie eine Fontäne aus einer großen Schusswunde hervor. Ihm wurde spei übel und instinktiv legte er seine linke Hand auf die Verletzung, bedeckte damit das grausige Massaker. Angst und Unverständnis breitete sich im Inneren des Prinzen aus. Wer sollte ihm so etwas antun, ihm, dem höfflichen, fröhlichen jungen Inder wie er In England nur zu Gast war und sich wie ein hervorragender Gast gab? Wie hätte er sich in der kurzen Zeit einen Feind machen können? In seinem Bauch bildete sich ein riesiges Fragezeichen. Soma stoß ein erbärmliches Schluchzen aus: „Wieso?"
 

Agnis Augen brannten tiefrot. Eine Wut, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte, brodelte in ihm und mit einem grausigen Kampfschrei „RAWH!" riss der Diener sich den Verband von seiner Hand. Er würde mit beiden Händen kämpfen müssen, um seinen Prinzen vor dem Eindringling zu schützen und ihn zu rächen. Niemand verletzt seinen Soma und kommt damit ungestraft davon! Soma war von der sich ihm bietenden Szene völlig versteiner. Er hatte seinen Diener kein einziges Mal so gesehen. Sein gutmütiger Riese wirkte so, als war der Geist einer wilden Bestie in ihn gefahren, wie er sich auf die deutlich kleinere Gestalt vor ihm stürzte. Von seiner Wut geblendet, blieb Agni etwas unbemerkt. Ein kleines, glänzendes und messerscharfes Etwas, das sein Gegner aus der Tasche zog. *Ein Dolch!*, schoss es dem Prinzen durch den Kopf,* Aber er wir doch nicht etwa? Nein! Das darf er nicht tun! NEIN! NEIN! NEIN!*
 

„AGNI!!!"
 

Doch es war zu spät. Nur eine flinke Bewegung seines Gegners und Agnis Augen weiteten sich ängstlich. Ein stechender Schmerz breitete sich in seinem Rücken bis in sein Inneres aus. Er spürte wie sich Blut in seinem Magen sammelte. Sein Hals huckte plötzlich und mit einem kleinen husten floss ihm der purpurrote Saft aus dem Mund, das Kinn hinunter. „Jetzt muss ich mich nur noch um den Rest kümmern.", zischelte die Stimme unter dem dunklen Mantel gefährlich hervor. Agni überkam die Furcht. Diese scheußliche Gestalt hatte offensichtlich noch nicht einmal mit ihrem eigentlichen Plan angefangen, sein Prinz und er selbst waren ihr einfach nur in die Quere gekommen. Das hieß auch, dass beide ihr völlig gleich waren, es war ihr gleich ob sie tot oder lebendig waren und Agni wusste eines mit Sicherheit, keinem Scheusal war bei seiner Tat ein Zeuge recht. Er musste seinen Prinzen beschützen, das hatte er sich geschworen. So holte der Weißhaarige aus und schlug mit geballter Faust auf seinen Gegner zu. Statt Knochen zertrümmerten seine Fingerknöchel jedoch nur das Geländer. Die zwielichtige Gestalt war ausgewichen und – bevor der Inder zum Gegenangriff ansetzen konnte – mit einem Küchenmesser auf ihn zu gestürmt. „AH!", keuchte der Diener als sich das Messer seinen Weg über Agnis Gesicht bahnte. *Mein Auge! Mein Auge!* Kaum war die Klinge vorüber, ergoss sich das Blut in Strömen. Wie eine Miniaturansicht der Niagarafälle, deren Wasser durch ein flüssiges Rot ersetzt wurde. Es schmerzte höllisch, doch Angi hatte jetzt keine zeit sich um sein Auge zu sorgen. Die Waffe war seinem Gegner aus der Hand gefallen – er hatte den dumpfen Schlag auf dem Teppich gehört – und mit der Gewissheit, seinem Gegner wohl das erste und zugleich letzte Mal einen Schritt voraus zu sein, griff Agni an. Seine Hände packten die Gegnerischen und ein kräftiges Raufen begann. Sein Gegner war schnell und flink, das hatte er ihm bereits zur Schau gestellt, jedoch zählte jetzt ganz allein die Stärke und in der schien der Weißhaarige überlegen. Zumindest bis eine Hand aus Agnis Griff löste und in die ranzige Manteltasche schnellte, um den glänzenden Revolver erneut vor zu ziehen. Sein Gegner zielte nach unten auf den Hallenboden, direkt auf den jungen Prinzen gerichtet. Nein! Er konnte das nicht zulassen. Er durfte seinen Prinzen, seinen Meister und seinen besten Freund nicht verlieren, er muss ihn beschützen. So tat der Diener etwas Unfassbares.
 

Soma konnte nicht reagieren. Er war wie erstarrt. Kaum hatte er zum zweiten Mal dem Tod ins Auge oder besser gesagt dem Revolver in seinen Lauf geguckt, ertönte das mechanische Geräusch des Abzuges zum zweiten Male. Ein Geräusch, das seinen unvermeidlichen Tod ankündigte und ihn unter Höllenqualen leiden lassen sollte. Der Prinz schloss die Augen verängstigt, stellte sich auf all den kommenden Schmerz ein, doch er kam nicht. Soma öffnete seine Augen, sie zitterten dabei vorsichtig als würden sie Angst haben, der Realität ins Auge zu sehen. Und Soma hatte Angst. In seinem gesamten leben hat der 17-Jährige noch nie so viel Angst verspürt wie in den letzten paar Minuten. Irgendetwas musste die Kugel davon abgehalten haben, sich ein Loch durch seinen Körper zu bohren, und wer dieses Irgendetwas war, wusste er ganz genau. Ein warmer Tropfen fiel auf seine Wange. Ein Zweiter und ein Dritter gleich hinterher und seine Augen waren endlich offen. Sie starrten in ein Gesicht - kreidebleich doch zugleich blutrot. Es war Agnis Gesicht und die Vermutung des Prinzen hatte sich schmerzlich erfüllt. Die Kugel hatte nicht ihn sondern seinen wertvollen Freund durchbohrt und dieser kniete immer noch mit seiner letzten Leibeskraft vor ihm, ganz allein um ihn zu schützen. Er weinte. Er weinte mit aufgerissenen Augen, die gerade ein Grauen sahen, das für das menschliche Gemüt nicht bestimmt war. Ein Albtraum beschriebe die Situation wohl perfekt. Es war ein Realität gewordener Albtraum. Sein Gewandt wurde allmählich von seinen Tränen aber auch von Blut durchtränkt, so verharrten beide – Prinz und Diener – einen Moment in dieser Position. Plötzlich griff Agni nach Somas Hemd und zog den Prinzen zurück auf seine wackeligen Beine. Sie hatten beide viel Blut verloren, standen unter Schock, doch sie mussten fort. Egal wohin sie gingen, diese grausame Gestallt würde ihnen folgen und sie töten. Sie waren nirgendwo sicher, aber Agni konnte wenigstens dafür sorgen, dass sein Meister überleben würde, und so rannten sie ihn das Innere des Hauses.
 

*Soma – mein Prinz und Meister – vor all den Jahren, als ich dich das erste Mal getroffen habe, warst du für mich einfach nur ein jämmerliches, weinerliches Baby. Doch mit der Zeit habe ich mich und hast du dich verändert. Du wurdest die Sonne in meinem Himmel, nein, du warst es schon von Anfang an. Du wirst es vielleicht noch nie gemerkt haben, aber dein strahlendes Selbst, dein leuchtendes Selbstbewusstsein hat Leben gerettet. Doch so wie es die Leben der anderen verschönerte, war es heute der Grund für all dein Unglück. Du bist so unschuldig und rein – ein weiterer Grund wieso du die Sonne selbst bist. Dein warmes Herz hat mein Leben endlich lebenswert gemacht und diese Wärme konnte sogar die frostigen Nächte Londons erwärmen. Ich glaube nicht einmal das stärkste Eis auf Gottes Erden könnte deiner Herzlichkeit widerstehen. Dafür liebe ich dich.*
 

„Ich ... liebe dich.", keuchte Agni dem Prinzen in seinen Armen. Sein Geständnis stieß jedoch auf taube Ohren. Der Prinz war viel zu beschäftigt damit, einen Fuß vor dem anderen zu setzen, holte ihn doch rasch ein seltsames Schwindelgefühl ein. Vollkommen darauf konzentriert, bekam er nichts mehr von seiner Umgebung mit: Nichts von Agnis Liebesgeständnis, nichts von den dunklen Flur, den sie entlang gerannt waren, und nichts von dem Geschrei eines Wahnsinnigen, der sie weiterhin verfolgte. Er fühlte sich wie in einer Wolke aus Schmerz, Erschöpfung und Angst gebettet, die mit einmal verpuffte. Agnis warme Arme hielten in nicht mehr, sie stießen ihn unsanft von sich auf den Boden einer verstaubten Kammer. *Was passiert hier? Agni, was machst du?* Der Prinz war verwirrt. Hatte Agni die Kraft verlassen und er war gestürzt? Sollte das ihr Todesurteil sein? Ängstlich sah der Prinz sich um, doch von seinem Diener keine Spur. Panik stieg in ihm auf – er weinte und schwitzte – bis er sich umdrehte und es ihm buchstäblich einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Sein Blick war auf den Türrahmen gerichtet, in welchem kein anderer stand als sein Butler - und obwohl dieser von Messerstichen übersät war, in Schweiß und Blut gebadet keuchte und bis zur völligen Entkräftung seinen Meister gestützt hatte - lächelte er. *Er lächelte?! Warum lächelt er.* Die Situation wurde dem Prinzen noch viel verrückter. Ohne Vorwarnung trat sein Butler aus dem Türrahmen und schlug die Tür zu. Es wurde mit einmal dunkel und still in der kleinen Kammer. Soma war in seiner Schockstarre gefangen und es vergingen einige Momente, in denen der Inder keinen einzigen Finger zucken ließ. *Warum hatte Agni das getan?*, fragte sich sein bereits vernebelter Verstand. Sein Blick war stur auf die Tür gerichtet, seine Augen wirkten tot, als es plötzlich kräftig rumste. Die Tür bebte und unter ihr floss eine dunkle Flüssigkeit hervor. Mit seiner unverletzten Hand griff Soma in die Flüssigkeit, es riss ihn aus seiner Starre. Bei dieser Flüssigkeit handelte es sich um nichts anderes als Blut – Agnis Blut. Unbekannte Kräfte wurden mobilisiert, der Prinz stand auf, schmiss sich gegen die Tür und schrie: „AGNI!" Immer wieder pochte er gegen das Holz, bald brannte auch seine Kehle vom vielen Geschrei, die Augen schmerzten von den vielen Tränen, doch es regte sich nichts. Er hörte nur immer und immer wieder wie das Scheusal das Messer aus Agnis Leib zog und erneut hinein rahmte. Ihm wurde schlecht. Er wollte einfach nur, dass es aufhörte, aber es tat es nicht. Es wiederholte sich und wollte kein Ende finden – die Tränen wurden immer größer und die einstiege Kraft hinterließ nichts Weiteres als pure Erschöpfung. Soma fiel zu Boden und seine Welt färbte sich endgültig in ein tiefes Rabenschwarz.
 

~~~
 

„AGNI!!!"
 

Der Prinz schreckte hoch. Blutrote Bilder spielten sich vor seinen Augen ab. Ein gewaltiges Massaker, ein Blutbad, in dessen Tiefen sein alles geliebter Diener versank. Nein! Sein Agni versank nicht nur einfach, das rote Meer verschluckte ihn, lies ihn auf seinen Boden sinken. Er streckte die Hand nach ihm aus, wollte ihn noch greifen, doch sein Agni entfernte sich immer weiter von ihm. Bald war er gar nicht mehr zu sehen, doch plötzliche ertönte ein grässliches Lachen. Das Lachen des Teufels und mit ihm zwei stechend blaue Augen, die ihn mit spöttischen Blick von oben bis unten musterten. Ihm wurde schlecht. Alles drehte sich, das Szenario wiederholte sich abermals, wurde immer grausamer und monströser. Auf einmal packte ihn etwas - Zwei kleine Klauen! Der Prinz sah sich gefangen, schlug wild um sich, doch er konnte den Klauen nicht entkommen. Tränen bildeten sich in seinen Augen, während er sich die Kehle wund schrie. Er war gefangen in einen Albtraum und er fürchte, nicht mehr erwachen zu können. Doch schlagartig war alles vorbei. Der Albtraum verpuffte und Soma fand sich in einem ruhigen Krankenzimmer wieder. Helle Wände löschten das Bild des purpurroten Blutbades aus seinem Kopf und das gleichmäßige Ticken der Kuckucksuhr ersetze das Dämonische Lachen. Auf den zweiten Blick sah er auch die vermeidlichen Teufelsklauen, die nichts anderes waren als die behandschuhten Finger einer kleinen Dame. Die Dame starrte ihn ganz besorgt an, ihr Blick hatte etwas Mütterliches und das rasende Herz des Prinzen fing an wieder in Gleichschlag zu geraten. Hinter ihr stand ein großer Mann, der beschämt zu Boden sah. Somas Wange pochte und ihm wurde klar, wer ihn wie aus diesem Schock geholt hatte.
 

Der Prinz rutschte ein wenig nach rechts – eine schlechte Idee. Urplötzlich durchströmte seine Hand ein zähneknirschender Schmerz. Er zuckte zusammen. „Sie müssen sich noch ausruhen, Prinz Soma. Legen Sie sich bitte wieder hin, ruckartige Bewegungen stören den Heilungsprozess.", pflichtete die kleine, unbekannte Dame bei, eh ihr Blick auf seine Hand fiel. Ängstlich tat er es ihr gleich und blickte auf seine bandagierten Finger. Soma erinnerte sich: Eine Kugel wurde durch seine Handflächen geschossen und die Schmerzen hatten ihn in die Knie gezwungen. Nun waren seine Finger taub, er hatte nur einen leichten Druck verspürt beim Aufsetzen, bevor der elendige Schmerz kam. Auch beim Bewegen der Einzelnen Finger, hatten diese doch höchstens gezuckt. *Ob das so bleiben wird?* Die fremde Dame, die der Prinz nun als Ärztin identifizierte, drückte ihn vorsichtig zurück in sein Kissen. Ihre zarten Finger berührten seine Schultern, die kleine Dame hatte sich dafür wohl auf ihre Zehenspitzen gestellt, und so wie der Prinz im Bett lag, durchzuckte ihn ein Gedanke. *Der Albtraum ist vorbei. Ich bin in Sicherheit. Mein ... Freund ... wird mir nichts mehr anhaben können, aber wo ist Agni? Es ist doch alles gut ausgegangen, oder etwa nicht?*Er räusperte sich, sein Hals war ganz trocken, und dann fragte er: „Agni. Wo ist Agni? Geht es ihm gut?" Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in Somas Innerem aus. Wollte er wirklich die Antwort wissen? Die blutroten Bilder schwirrten immer noch vor seinen Augen umher, waren lediglich etwas verblasst, und er konnte sich daran erinnern, dass nicht nur er den Boden in dieses grässliche Rot ein gefärbt hatte. Mit ängstlichem Blick sah er zur kleinen Dame. Als Ärztin wüsste sie doch am ehesten über den Diener Bescheid und hatte vielleicht sogar seinen Liebsten behandelt. Ihr Blick veränderte sich. Wo vorher die Besorgnis tief verborgen lag, zeigten sich Entsetzen und Angst. Sie hatte Angst, dem Prinzen zu antworten – das wussten sowohl sie, der Prinz und ihr Begleiter – und nur schweren Herzens kam sie der Bitte nach.
 

„Als der Herr Sebastian sie beide zu uns brachte, waren Sie wie auch Ihr Diener in einer schrecklich körperlichen Verfassung: Hoher Blutverlust, tiefe Stichwunden und Schusswunden. Herr Agni hatte schwere innere Verletzungen und nur mit Müh und Not gelang es uns, Ihr Personal zu retten. Er liegt im Nebenzimmer, aber er ist nicht ansprechbar. Er findet sich in einer Art komatösen Zustand und wann oder ob er jemals wieder erwacht ist fraglich. Es tut mir sehr Leid." Sie antwortete mit gespielter Gleichgültigkeit, denn obwohl sie mit fester Stimme sprach, hatten ihre Mundwinkel gefährlich stark gezittert. Soma hatte das Gefühl, noch einmal von einer Kugel durch schossen zu werden, doch waren diesmal nicht seine Finger betroffen, viel mehr schmerzte nun sein Herz. Sein Kopf fühlte sich an wie einmal fest durchgeschüttelt und seine Gefühle spielten verrückt. Die eine Seite in ihm schrie vor Glück – sein Liebster lebte! – aber der Rest verkrampfte sich. *Agni liegt im Koma und wird vielleicht nimmer mehr aufwachen. Das ist schlimmer als der göttliche Verstoß aus dem Paradiss, das ist die Hölle auf Gottes Erden. Nur Hades spielte dazu einen ebenbürtigen Gegner.* Die ersten Tränen flossen ihm über die Wangen, seine Nase kribbelte und sein Körper zitterte, bevor sich eine warme Hand auf seine Schulter legte. Es war die grobe, raue Männerhand, die ihm die Wange rot geschlagen hatte. Der Mann hatte sich zu dem Inder gestellt und blickte mitfühlend zu ihm herunter. „Momentan sind Sie noch zu schwach, aber sobald es Ihnen besser geht, können Sie ihn gern besuchen. Auch wenn er es Ihnen nicht sagen kann, wird er die Anwesenheit spüren." Soma nickte. Es war zwar nur ein kleiner Trost, doch um die Trauma der letzten Stunden zu besiegen, war wenigstens schon der Anfang gemacht, auch wenn es noch länger dauern wird, um endgültig alle Wunden zu schließen. Die kleine Dame und ihr Begleiter wussten dies und ließen von ihrem Patienten ab, der sich völlig allein in den Schlaf weinte.
 

In den kommenden Wochen fühlte der junge Prinz sich wie in Trance. Seine Tage waren ihm wie verschwommen und wenn sich doch sein Blick fokussierte, dann starte er immer wieder auf dieselbe Einöde. Alles wirkte trist und traurig, was nicht zuletzt an den fehlenden Gerüchen und den fehlenden Farben lag. Sobald er erwachte, sah er – auch wenn seine Augen vom nächtlichen Weinen noch schmerzten – in ein weißes Zimmer mit weißen Vorhängen an den Fenstern, weißen Laken auf seinem ebenso weißem Bett und schließlich weiße Kleidung auf einem weißen Stuhl. Keinen Funken Farbe begrüßte ihn, so wie er es von daheim gewohnt war. Wenn der immer noch verletzte und schwache Prinz sich nun aus dem Bett geschleppt hatte und die so schrecklichen, farblosen Hemden angezogen hatte, störte ihn auch schon das nächste. Der Geruch fehlte ihm nämlich. Seine lieblichen Blumen hatte er sonnst immer riechen können, jetzt stach ihn nur der bittere Gestank von Kernseife in der Nase. Er vermisste seine prächtigen Gewänder und die vielschichtigen, butterweichen Stoffbahnen auf seiner Haut. In diesem kratzigen Baumwollhemd frierte er, aber noch mehr sehnte er sich nach dem Heimatgefühl, das es ihm gab. Und er sehnte sich nach dem Grund, warum die prächtigen Farben, der frische Blumenduft und die geschmeidige Seide ihn an seine ferne Heimat erinnerten: Agni. Meistens führte sein erster Weg den Prinzen dann zu seinem Diener, er frühstückte bei ihm am Bett und dann verbrachte er den restlichen Tag bei seinem Agni und erzählte. Dabei saß Soma auf einem Stuhl und stand von diesem nur auf, wenn sich die Tür öffnete. Anfangs zuckte er immer noch unfreiwillig zusammen, hatte er doch immer noch Angst, ein neuer Angreifer könnte zu den beiden stürzen. Mittlerweile wurde er ruhiger, fast schon zu ruhig. Von seinem fröhlichen und sorglosen Wesen war nicht viel geblieben seit dem Vorfall. Er war schreckhaft, zu Beginn fast schon misstrauisch und erst langsam wurde er offener. Wenn hin und wieder die Bediensteten der scheinbaren Klinik nach Agni sahen, wechselten sie mit Soma ein paar Worte. Ohne Zweifel befand der Inder sich in einer Situation, wie er sie nicht kannte, doch allmählich stellte sich Normalität ein. Die kleine Dame führte mit ihm Übungen durch, um seiner verletzten Hand wenigstens ein paar Bewegungen wieder bei zu bringen und machte häufig Spaziergänge in der nahe liegenden Stadt. Es würde besser, die physischen wie psychischen Wunden begannen zu heilen, aber von einem so schönen Leben, wie er es einst geführt hatte, war er noch lange entfernt. Dafür fehlte ihm einfach eine zu wichtige Person, mit der er seine Fortschritte teilen wollte: Agni. Doch sein Zustand blieb unverändert, zumindest bis zu jener Nacht.
 

Soma hatte schlecht geschlafen. Seit dem Vorfall hatten ihn die schrecklichsten Albträume heim gesucht und er war schweißgebadet aus dem Schlaf geschreckt. Heute war wieder so eine Nacht gewesen und der Prinz weinte erbärmlich in seinem Bett. Er hatte Angst und konnte dieser einfach nicht Herr werden. Dabei versuchte er jede Art von Entspannungsübung, die ihm die kleine Dame gezeigt hatte: Vom „Tief-durch-atmen" bis zum „An-etwas-Schönes-Denken" war alles dabei. Wenn aber mal wieder nichts half, stahl sich der junge Mann heimlich aus seinem Zimmer und schlich vorsichtig zu Agni herüber. Dort legte er sich neben seinen Diener und kuschelte sich an seine warme Brust. Dasselbe passierte in heutiger Nacht, doch irgendetwas war anders. Soma wusste nicht ob er sich das einbildete, aber heute fühlte er sich seinem Liebsten irgendwie viel näher als sonst. Da es ihn aber nun wirklich nicht störte, genoss der Kleinere einfach die zusätzliche Nähe. Langsam wurden seine Lider schwerer und er wusste, er würde jeden Moment einschlafen und bei Agni einen erholsamen Schlaf finden, doch heute wollte er das nicht. Seit Wochen hatte er sich nicht mehr so nah bei ihm gefühlt und wer konnte ihn sagen, ob dieses Gefühl am nächsten Morgen noch da war? Er fasste einen Entschluss: *Wenn ich es ihm heute nicht sagen, jetzt, wo er mir und ich ihm so nah bin, dann werde ich es ihm nie mehr sagen können.* Bemüht, möglichst lautlos dabei zu sein, setzte der Prinz sich auf, drehte sich zu seinem Diener und legte seine immer noch verbundene Hand Agni auf die Wange. Sein Daumen streifte einmal über das leicht eingefallene Gesicht, über Narben und den letzten Überbleibseln von Prellungen und ihm kann nur ein Gedanke in den Sinn: *Pure Schönheit.* Leise flüsterte der Prinz: „Ich liebe dich.", und gab seinem Geliebten einen Kuss auf die trockene Stirn. Somas Wangen röteten sich und peinlich berührt drehte er sich wieder zurück, kuschelte sich in die nach Agni riechende Decke. Sein Körper durchführ ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Bedenkenlos schloss er seine Augen und bevor er ins Reich der Träume einzog, hörte er ein kleines, mehr gehaucht als gesprochenes: „Ich liebe dich auch."
 

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