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Kein Entkommen

von

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Auf der Flucht

Nea drückte sich in den schmalen Durchgang zwischen den Betonriesen. Sie bemühte sich flach zu atmen. Die beiden Hochhäuser ließen ihr kaum mehr als dreißig Zentimeter Platz. Es war einer der Momente, in denen sie sich wünschte, kleinere Brüste zu haben.
 

Rufe erklangen von der Straße. Das Bellen eines Hundes. Dann ein Schuss.
 

Scheiße. Verfluchte Kackscheiße. Sie saß echt in der Klemme. Wortwörtlich. Dabei war sie sich nicht sicher, was eigentlich genau so hatte schieflaufen können.
 

Egal wie oft sie den Abend in ihren Gedanken durchspielte. An sich hätte es doch simpel sein sollen, oder? Eine Party. Ein paar Mafiosi. Eine geforderte Leiche. Ein üblicher Abend. Mafiosi verführt, ihm das Gift verabreicht, während er sich vergeblich bemühte, seinen Lümmel zum Laufen zu bringen und dann? Tja, dann war er nicht umgekippt. Arschloch.
 

War er immunisiert? War es ein Opts? Oder irgendeine Art von Mutant …
 

Die Arbeit war nicht einfacher geworden, seitdem mehr Mutanten nach Manhatten gekommen waren. Und zu sagen, dass es vorher leicht war …
 

Egal. Egal. Sie musste erst mal weg. Der Auftrag war eh gelaufen und ihr hing nicht genug daran, als dass sie ihren Arsch riskieren würde. Oder ihre Titten, wobei sie das gerade tat.
 

Mühsam quetschte sie sich weiter durch den engen Durchgang. Soweit sie wusste, sollte es ein Stück weiter den Spalt hinab ein Zugang in die Kanalisation sein sollte. Unschön, stinkig, aber auf der Insel immer ein guter Weg zu entkommen. Es sei denn, da unten war es wieder geflutet …
 

Nein. Nicht so viel denken. Ohne Denken lief es meist eh besser.
 

Sie schaute voraus. Die Schatten zwischen den Wolkenkratzern waren beinahe undurchdringbar. Es war komplette Schwärze, die sie nach wenigen Metern umgab.
 

Dabei brauchte sie kein Licht, um zu wissen, dass sich ihr Top gerade verabschiedete. Zwischen Tüll-Stoff und Beton gewann der Beton. Wer hätte das gedacht?
 

Weiter, weiter. Mit dem Fuß tastete sie nach dem Kanaldeckel. Irgendwo musste er kommen.
 

Klonk.
 

Ja, das war er. Und dem Laut nach war er auch noch locker. Klasse.
 

So gut es der enge Durchgang erlaubte, ging sie in die Hocke. Gerade so konnte sie mit ihren Fingerspitzen das Gitter umfassen, um es zu umfassen. Anheben und … Ja! Es funktionierte.
 

Gut. Damit würde sie davonkommen.
 

Dann ein weit weniger willkommener Laut: Ein Knurren.
 

Das Knurren eines Hundes, der weit weniger Probleme mit der Enge zu haben schien.
 

Mist. Heute war ihr Mutter Fortuna nicht wohl gesonnen.
 

Mit dem Fuß tastete sie nach dem Tritt an der Wand des Kanals. Fand ihn nicht. Dann halt so. Sie ließ sich fallen und landete in der stinkenden Feuchtigkeit.
 

Dankbarerweise hatte sie früh genug daran gedacht, die Luft anzuhalten. Dennoch fluchte sie in ihren Gedanken auf die unschönsten Arten. Also waren die Rohre geflutet. Nicht bis zur Decke, so dass sie einen Moment später mit dem Kopf die Oberfläche durchbrechen konnte, doch hochgenug, als dass die Strömung sie nun mitriss.
 

Es war so widerlich!
 

Oh, verflucht. Womit hatte sie es verdient?
 

Raus hier. Sie musste raus.
 

Im Versuch die Comlinkverbindung zu aktivieren blinzelte sie. Doch das AR in ihren Kontaktlinsen aktivierte nicht. Wahrscheinlich, weil das Com unterwasser war. Elendiges Billigteil!
 

Aber gut. Da. Da hinten. Vielleicht dreißig, vierzig Meter entfernt meinte sie Licht zu erkennen. Leicht bläuliches Licht, wie sie es von den Straßenlaternen kannte. Dann würde sie wohl diesen Ausstieg nehmen, ehe sie auf einen Fettberg, einen Alligator oder eine Sammelstelle traf.
 

Rasend schnell kam sie dem Licht näher. Jetzt musste sie sich nur noch irgendworan festhalten. Moment. Da waren Sprossen. Metallstreben, die in die Wand eingelassen waren. Damit käme sie hoch.
 

Dankbar um die eigenen Opts schaffte sie es danach zu greifen. Zwar rutschte sie auf dem glibberigen Metall, doch schaffte sie es, sich festzuklammern. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass sie da oben rauskam.
 

Schwer atmete sie ein und aus, nur um es im nächsten Moment zu bereuen. Sie brauchte eine Dusche. Sie würde die nächste Zellendusche nehmen, die sie fand! Und daheim …
 

Alles der Reihe nach.
 

Erst einmal …
 

Sie kletterte die Sprossen hinauf, bis nur noch ihre Stiefel im Wasser waren und drückte dann gegen den Gullideckel – der sich kein Stück bewegte. Natürlich nicht. Er war verschlossen, wie sie es eigentlich alle sein sollten.
 

Nicht verzagen.
 

Sie griff nach ihrer Waffe. Dasselbe Spiel hatte sie mehr als einmal gespielt. Mit ein wenig Glück schaffte sie es, dass Mechanismus genug zu beschädigen. Mittlerweile lief alles über Magnetschlösser. Immerhin bekam so die Verwaltung mit, wenn irgendwas nicht stimmte. Nicht, dass sich dort jemand daran störte, aber so wurde den Leuten Sicherheit vorgespielt.
 

Also ein Schuss an die richtige Stelle. Der Knall dröhnte in ihren Ohren nach. Dann drückte sie dagegen. Mist. Noch immer nichts.
 

Es war alles andere als leicht mit einer Hand daran zu hantieren. So nahe der Freiheit und doch so fern. Es war wie eine Metapher für ihr ganze beschissenes Leben.
 

Noch einmal …
 

Bevor sie dazu kam, die Waffe abzufeuern, hörte sie Schritte. Ein Knurren. Ein Gespräch auf Ruska. Hieß das, ihre Verfolger … So still wie möglich drückte sie sich an die Wand, Waffe in der Hand.
 

Dann ein Klacken. Bevor Nea reagieren konnte, warf jemand den Deckel auf, als wäre er aus Styropor, nicht gusseisernem Metall.
 

Sie konnte nicht einmal fluchen, bevor jemand ihre Waffenhand ergriff und sie daran hochzog. Wie ein Spielzeug baumelte der Hüne sie in der Luft. Er war sicher zwei Meter groß, vielleicht sogar größer. Nicht dass es bei ihren beschaulichen Eins-Fünfzig viel bedeutet hätte.
 

Sie musterte den Mann. Er war pure Muskulatur. Er war gebaut wie ein Wandschrank und – wenn sie nach seinen goldenen Augen ging – ein Mutant.
 

Ja. Sie hatte kein Glück.
 

Jetzt drückte er ihren Arm, versuchte sie dazu zu bringen, die Waffe loszulassen und ihr nebenbei den Arm zu brechen.
 

Unter ihr knurrte der Hund. Ein breit gebauter Dobermann, während zwei Leute die Waffen auf sie gerichtet hatten.
 

Sie saß in der Patsche. Aber so richtig.
 

Wieder blinzelte sie und tatsächlich erschien dieses Mal die UI des visuellen Overlays. Zumindest etwas.
 

Nur in der Situation brachte es ihr nur eingeschränkt was.
 

Ihr blieben zwei Möglichkeiten. Entweder sie kämpfte oder, nun … Sie schrie auf. „Bitte. Bitte. Lass mich los.“ Wie so oft geübt, beschwor sie die Tränen hervor, die prompt über ihre Wangen strömten. „Bitte. Du tust mir weh.“ Sie ließ die Waffe los, darauf hoffend, dass sie sie einsammelten. Wild fuchtelte sie mit der Hand in Richtung des Hünen, in der Hoffnung so verbergen zu können, was sie eigentlich tat. Da. Sie hatte das Schnellwahlmenü aktiviert. Gut. TJ. Sie musste TJ erreichen.
 

Tatsächlich wählte ihr Com, während sie weiterschrie und strampelte. „Bitte. Lass mich los. Bitte.“
 

Einer grunzte, sagte etwas auf Ruska.
 

Der Hüne brummte zur Antwort. „Die Kleine spielt doch nur“, murrte er in ihrer Sprache.
 

„Nein. Bitte. Ich spiele nicht. Ich …“ Sie schluchzte, während TJs Stimme in ihrem Ohr erklang.
 

„Was ist, Süße?“
 

Er sollte dasselbe sehen, was sie sah. „Ich habe keine Unterstützung“, schluchzte sie weiter. „Ich … die haben mich gezwungen. Bitte. Ich schulde denen Geld. Au!“
 

„Jetzt lass sie“, meinte derselbe Mann wie vorher.
 

Der Hüne brummte nur wieder. „Deine Verantwortung.“ Damit ließ er sie runter.
 

Derweil sprach TJ in ihrem Ohr: „Habe verstanden. Schicke jemanden.“
 

Weinend brach Nea neben dem offenen Kanalisationszugang zusammen. Sie kniete sich vor die Herren. Hauptsache, sie nahmen die nicht als Gefahr war. Hauptsache, niemand schoss auf sie.
 

Zumindest für den Hund ging die Taktik auf. Er schnaubte zufrieden und stellte sich zu seinem Herrchen.
 

Wenigstens einer der Männer schien gerührt. Er hockte sich neben sie. „Sag mal, Kleine. Was ist den passiert?“
 

Sie sah ihn mit hoffentlich großen, verweinten Augen an. „J-Joshka hat mich geschickt“, stammelte sie. „Ich … ich habe Schulden bei ihm.“
 

„Joshka, eh?“, murmelte der Mann.
 

Natürlich machte es Sinn. Von allem was sie wusste, kam der Auftrag ja sogar von Joshka. Immerhin hatten er und Pietro seit Ewigkeiten Kleinkriege um jeden Quadratmeter Turf geführt. Daher schluchzte sie und sah den Mann an. „Das tut mir so leid. Ich … Ich habe S-Schulden. Weil … Ich … I-ich …“
 

„Bist du eins seiner Mädchen?“
 

Beschämt sah sie zu Boden und nickte. „Also, ich arbeite im B-Bella R-Ru…“ Sie schluchzte wieder auf.
 

Der Typ fasste sie nicht an. Wahrscheinlich war dafür der Ekel doch zu groß. Dennoch bemühte er sich aufmunternd zu klingen. „Ist ja gut … Hey, Kleine. Ist ja gut. Was arbeitest du aber auch für jemanden, wie ihn?“
 

„I-Ich hatte doch keine Wahl. I-Ich … Seine Leute haben …“ Sie stammelte. „M-Mein Bruder. E-Er arbeitet für sie und dann …“ Ein weiteres Schluchzen untermalte es.
 

Eigentlich hasste sie dieses Schauspiel. Es ließ sie sich noch absolut hilfloser fühlen, als sie es in der Situation sowieso tat. Denn sie wusste genau, dass sie nicht gut genug kämpfen konnte, um hier herauszukommen. Und sie hasste es, dass man sie sowieso als hilflos ansah, ob ihrer kleinen Körpergröße.
 

„Ich sag dir was, Kleine“, meinte der Typ. „Du kommst mit zu Pietro und erklärst ihm das. Vielleicht kann er dir einen besseren Job anbieten.“
 

Großartig. Und dann würde er weiter versuchen sein Teil zum Laufen zu bringen, eh?
 

Dennoch nickte sie. Nur ein wenig Zeit schinden.
 

„Gibst du mir dein Com?“, fragte er nun.
 

„Mein C-Com?“
 

„Es tut mir leid. Aber mit …“
 

„I-Ich verstehe …“ Mist. Sie würden den Anruf sehen. Sie konnte es nicht ausschalten. Dennoch griff sie danach, löste es aus ihrer Tasche, und reichte es ihm. „Hier …“
 

Er nahm es an, ließ seinen Finger über die Oberfläche wandern, um die Projektion zu aktivieren. Natürlich erschien eine kleinere Version der UI nun auch auf dem Gerät selbst.
 

„Es ist nur ein B-Billigteil“, hauchte sie.
 

„Nicht schlimm“, meinte er mit einem Lächeln und steckte es tatsächlich weg.
 

Puh. Dann bemerkte er den Anruf nicht. Denn sie hatte garantiert nicht vor mit ihnen noch einmal zu Pietro zu kommen. War sie einmal bei Pietro, wäre sie geliefert. Entweder, das Schwein würde sie töten oder weitaus schlimmere Dinge mit ihr machen.
 

„Komm“, meinte nun der nette Herr.
 

„Fessel sie doch zumindest“, knurrte der Hüne.
 

„Sie ist nur ein Mädchen“, erwiderte der nette Mafioso.
 

„Ein Mädchen, dass den Boss töten wollte.“
 

„Sie hat es nicht gewollt“, verteidigte der eine sie. Man, er war wirklich gutgläubig. Es war Nea immer wieder ein Rätsel, wieso so viele Kerle darauf reinfielen.
 

Doch so konnte sie versuchen, es weiter auszunutzen. Sie zitterte auffällig, rieb die feuchten Oberarme mit ihren Händen. Wenn sie nicht komplett irrte, war die Jacke, die der Typ trug, zumindest etwas kugelsicher. Vielleicht noch ein wenig Zähneklackern?
 

Bevor sie dazu kam, brummte der Hüne wieder. „Heh, Kleine, wie biste überhaupt in die Kanalisation gekommen?“
 

„L-Lockerer Zugang. A-Als der Hund kam. I-Ich wusste nicht, was ich sonst tun s-sollte.“
 

„Und die Waffe?“
 

„Von Joshka“, murmelte sie.
 

Wieder kam ein Brummen. „Ich sag dir, Vic, die Kleine lügt wie gedrückt.“
 

„Das sagst du über jeden.“
 

„Weil die meisten Leute nun einmal lügen“, murrte der Hüne.
 

„Lass uns einfach gehen“, erwiderte Vic, der Freundliche, und wandte sich Nea zu. „Wie heißt du überhaupt?“
 

Generischer Name. Generischer Name … „Mala.“
 

„Wir werden jetzt zurück zu Pietro, Mala, okay?“
 

Sie nickte und setzte sich in Bewegung, als die anderen es auch taten. Wo blieb die verdammte Hilfe, die TJ versprochen hatte?
 

Dabei bemühte sie sich so langsam und so stolpernd wie möglich zu gehen, immer darauf bedacht, so zu tun, als würde sie furchtbar frieren. Wie lange würde es dauern? Wie lange konnte sie es hinauszögern.
 

Endlich ein Klackern in ihrem Ohr. Eine Stimme. „Halt dir die Ohren zu. Schließ die Augen.“ Es war eine überraschend hohe Stimme. Wohl jemand anderes, wie sie.
 

Egal. Sie hinterfragte es nicht. Stattdessen ging sie auf Ablenkung. Sie stürzte, schrie und warf sich die Hände über die Ohren.
 

Sie merkte die Aufregung, erwartete schon den Biss des Hundes, doch nichts kam. Stattdessen ein schriller Laut, der selbst mit den Händen auf den Ohren kopfschmerzerregend war.
 

Sie presste die Augenlider zusammen. Jemand fiel auf ihre Beine. Darum würde sie sich später kümmern.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit berührte sie jemand an der Schulter.
 

Sie öffnete die Augen und sah in ein maskiertes Gesicht. Doch selbst die Maske konnte die goldenen Augen nicht verdecken. Noch eine Mutantin.
 

„Nea?“, fragte die Frau.
 

Rasch nickte Nea, ehe sie sich von dem Körper befreite, der auf sie gefallen war. Es war Vic. Blut sickerte aus seinen Ohren.
 

War er tot oder nur ohnmächtig? Hatte der Schrei der Mutantin ihm und den Kollegen nur die Trommelfelle zerfetzt oder klein sein Hirn gekocht oder so? Nea ging davon aus, dass es ein Schrei gewesen war.
 

Vom Hund jedenfalls fehlte jede Spur. Wahrscheinlich hatte er schnell genug das weite gesucht.
 

Die Frau schien von alledem nicht besonders berührt. Sie lächelte, soweit man es anhand des nicht maskierten unteren Teil des Gesichts ausmachen konnte. Sie war ganz in schwarz gekleidet und trug zu allem Überfluss auch noch einen Umhang.
 

Nea hatte so ein Kostüm schon einmal in einem dieser alten Heftcomics gesehen. Das, was die Frau als nächstes sagte, hätte jedoch nicht wirklich in diese gepasst: „Du schuldest mir 500 Creds.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2019-09-06T22:43:59+00:00 07.09.2019 00:43
okay, man wird hier völlig ins geschehen hinein geworfen. ich mag so was. auch wenn hier noch so gar keine antworten vorhanden sind, so ist meine neugierde doch erweckt worden XD
verdammt... es ist ja nicht so, das ich nicht schon einige storys verfolge... und vor ungeduld platze XD
aber ich würde mir hier tatsächlich auch mehr wünschen, um eben das wie warum und überhaupt erfahren kann XD


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