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Nur ein Haufen Motten

von

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Eine schwere Entscheidung

„Herbert.“ Keine Reaktion. „Herbert!“ Wieder nichts. Langsam aber sicher verlor Breda seine Geduld. In Kürze würde die Sonne aufgehen und wenn der Graf eines ganz sicher nicht wollte, war das ein Sohn in Form eines Aschehaufens. Einige Sekunden lang spielte er ernsthaft mit dem Gedanken, den Vampir einfach so wie er war aus der Wanne zu heben und ihn in sein lichtgeschütztes Zimmer zu tragen. Dann dachte er an das letzte Mal, als Herbert in seinen Armen aufgewacht war und ihm, entsetzt von der Tatsache, dass sein Vater ihn splitterfasernackt durch die Gänge trug, die kunstvollsten Flüche ins Gesicht geschleudert hatte. Es war zwar nicht so, dass Herbert sich für seinen Körper schämte – Gott bewahre, manchmal wünschte Breda sich, es wäre so – aber solange sein Sohn nicht selbst über gewisse Einblicke entscheiden konnte, war es ihm doch recht unangenehm. Durchaus verständlich, wie der Graf fand. Seufzend beobachtete er den Schlafenden, der leise in der Wanne vor sich hin schnarchte.
 

Nach beinahe vierhundert Jahren wollte man meinen, dass es ihm gelungen wäre, eine Methode zu entwickeln, Herbert ohne erhöhtes Verletzungsrisiko zu wecken. Dass dem nicht so war, bewiesen mehrere halb entstellte Friedhofsvampire. Die traurigen Gestalten hatten vor einigen Jahren ihr letztes bisschen freien Willen zusammengekratzt, um sich gegen den Befehl ihres Herrn aufzulehnen und sich zu weigern, ihr beinahe unsterbliches Leben wegen Herberts Tiefschlaf aufs Spiel zu setzen. Widerwillig hatte Breda sie gewähren lassen, wenn auch erst, nachdem drei weitere der Untoten seinem Sohn zum Opfer gefallen und ihm langsam aber sicher die Bediensteten ausgegangen waren. Immerhin konnte er mit Stolz behaupten, dass Herbert ihm trotz des Altersunterschieds beinahe ebenbürtig war. Um seine Nachfolge musste er sich also keine Sorgen machen. Genaugenommen brauchte er als jahrhundertealter Vampir zwar ohnehin keinen Nachfolger, allerdings war Vorsicht immer besser als Nachsicht. Und ein Leben – oder zumindest eine Existenz - ohne seinen Sohn konnte und wollte Breda sich nicht vorstellen.
 

Doch genug der Gefühlsduselei - der Junge musste aus dem Wasser, ob er nun wollte oder nicht. Mit skeptisch zusammengekniffenen Augen umrundete der Graf die Badewanne. Irgendwie würde er schon eine Lösung finden, da war er sich sicher. Nur leider schien ihm die Keramikwanne mit seinem Dilemma auch nicht helfen zu können. Ein weiterer Seufzer. Verstimmt verschränkte er die Arme vor der Brust. Wenn das so weiter ging, konnte er statt der ganzen Seufzerei auch gleich wieder zu atmen beginnen. Ein plötzlicher Windstoß wehte die samtenen Vorhänge zur Seite und gab den Blick auf das sich langsam erhellende Tal frei. Gleichzeitig machte sich eine Idee in Bredas Kopf breit und ein diabolisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Kurzerhand griff er nach den schweren Gardinen und riss sie mit einem Ruck herunter. Prüfend hielt er sich den Stoff vor die Augen und nickte zufrieden. Jetzt musste er nur noch seinen Sohn unbeschadet aus dem Wasser bekommen. Das Wasser war längst kalt, als Breda mit seiner freien Hand Herberts Fuß zur Seite schob - natürlich waren selbst seine Zehen perfekt pedikürt, aber von seinem Sohn hatte er auch nichts anderes erwartet - und den Stöpsel zog. Etwas angewidert trocknete er seine Hand an der Gardine ab. Man konnte nie wissen, was Herbert beim Baden so alles anstellte. Endlich floss der letzte Rest Wasser ab. Den Vorhang breitete Breda über seinem Sohn aus, ehe er ihn an der Schulter packte und vorsichtig in den Stoff einwickelte. Sanft, aber fest genug, dass Herbert kaum noch Bewegungsfreiheit hatte. Dann hievte der Graf seinen Sprössling aus der Wanne und warf ihn sich über die Schulter. Um ihn in dieser Aufmachung im Brautstil die Treppen nach unten zu tragen, fehlten Breda im Moment wirklich die Nerven.
 

Nachdenklich ging Breda einen der langen Gänge entlang. Seit er beim Aufstehen den Brief auf dem Boden entdeckt hatte, spukte ihm dessen Inhalt ununterbrochen im Kopf herum. Zwar hatte er Herbert gegenüber Zuversicht gezeigt, doch war er keineswegs so entschlossen, wie er sich gegeben hatte. Breda war nicht dumm, und selbst wenn er sich die letzten Jahrhunderte erfolgreich vom Rest der Menschheit ferngehalten hatte, so war ihm doch sehr wohl bewusst gewesen, dass es nicht für immer so weitergehen konnte. Und doch hatte er sich noch ein wenig mehr Zeit erhofft. Nur ein paar Jahre. Ach, was versuchte er sich denn einzureden! Ein paar Jahre früher oder später machten doch keinen Unterschied. Nicht für ihn, nicht für einen Vampir, der seit Jahrhunderten auf Erden wandelte. Tiefe Sorgenfalten durchzogen Bredas Stirn, als er in der Gruft ankam. Auf dem kalten Steinboden lagen noch immer die Stücke des Briefs, den er vor wenigen Stunden eigenhändig zerfetzt hatte und die ihn schmerzlich daran erinnerten, dass auch Koukol vor nicht allzu langer Zeit von ihnen gegangen war. Nun gab es nur noch einige der erbärmlichen Ewigkeitsvampire, seinen Sohn und ihn.
 

Sanft legte der Graf die vampirische Vorhangrolle zurück in ihren Sarg und schob so leise wie möglich den Deckel zu. Dann stand er für einen Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte, einfach nur da und starrte ins Nichts. Ein quiekendes Geräusch riss ihn aus seinem tranceähnlichen Zustand. In einem Loch in der Wand hatte sich eine Mäusefamilie eingenistet, die den Vampir nun aus schwarzen Knopfaugen anstarrte. Kopfschüttelnd wandte er sich ab. Seit Koukols Tod hatte sich die Verfassung des Schlosses rapide verschlechtert - die Mäuse waren dabei nur ein Problem von vielen. Vielleicht hatte der Denkmalschutzbeauftragte gar nicht so Unrecht. Breda selbst konnte das Gebäude nicht am Verfall hindern, schon gar nicht ohne qualifiziertes Personal. Und als Vampir sah das Angebot diesbezüglich ohnehin eher mager aus.
 

Zögernd bückte er sich und griff nach einem der Schnipsel, ehe er den Brief wie ein Puzzle zusammenfügte und die Worte ein zweites und danach noch ein drittes Mal las. Nachdenklich runzelte er die Stirn. So übel, wie Herbert es dargestellt hatte, war das Angebot genau genommen gar nicht. Finanzielle Unterstützung durch den Staat würde der Graf zwar sicherlich nicht benötigen - trotz seiner Abneigung gegenüber der Außenwelt hatte er sich vor Jahrzehnten dazu überreden lassen, ein vernünftiges Bankkonto anzulegen, wobei er dieses vorsichtshalber alle dreißig Jahre verlegte. Die Zinsen mussten inzwischen enorm sein, und das, obwohl sein geerbtes Vermögen bereits nicht zu verachten gewesen war. An Geld mangelte es ihm also wirklich nicht. Doch der für ihn relevante Part war nicht das Geld, sondern die erwähnte Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Unterkunft. Irgendwo mussten sie schließlich wohnen. Sein Blick fiel auf eine Zahlenreihe am unteren Rand des Briefs. Kontaktdaten. Eine Telefonnummer? Breda meinte sich daran zu erinnern, das Wort bereits einmal aus dem Mund seines Sohnes gehört zu haben. Wenn ihm nur der Zusammenhang einfallen würde... Plötzlich erhellte sich sein Gesichtsausdruck. Er wusste ganz genau, wo er zu suchen hatte.
 

Wenige Minuten später stand der Graf erneut vor der Leiche des Briefträgers, die sie so sorgfältig entsorgt hatten. Missbilligend rümpfte er die Nase. Der Tote begann bereits zu riechen. Aber was tat man nicht alles, um der Familie ein einigermaßen glückliches und sicheres Leben zu ermöglichen. Breda stellte seine ohnehin kaum vorhandene Atmung ein und durchsuchte die Taschen des Mannes. Und tatsächlich wurde er fündig. Neugierig betrachtete er das rechteckige Gerät in seinen Händen und drückte auf den erstbesten Knopf, in der Hoffnung damit etwas ausrichten zu können. Nichts passierte. Ungeduldig probierte er einen weiteren Knopf aus, mit ähnlichem Erfolg. Um ihn herum erhellte sich langsam aber sicher der Wald und wenn er nicht als Aschewölkchen enden wollte, blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Mit einem letzten Blick auf den Toten verstaute er das Telefon in seiner Fracktasche und kehrte zum Schloss zurück. Gerade rechtzeitig, denn als er die schweren Türen hinter sich schloss, berührten bereits die ersten Sonnenstrahlen das Gemäuer.
 

Mit einem sehr ungräflichen „Umpf“ ließ sich Breda rückwärts in seinen Sarg fallen. Den Deckel schob er von innen zu, dann holte er erneut das Telefon aus seiner Tasche und inspizierte es kritisch. Was, wenn das merkwürdige Ding kaputt war? Nun, er hoffte lieber das Beste. Einer plötzlichen Eingebung folgend drückte er einmal alle Knöpfe gleichzeitig und siehe da, es tat sich etwas. Die Oberfläche wurde erschreckend hell und Breda musste sich die Hand vor die Augen halten, um das gleißende Licht ertragen zu können. Wie hielten die Menschen das nur aus? Es war ihm ein Rätsel. Blinzelnd und mit zusammengekniffenen Augen musterte er die helle Oberfläche. Sollte er einen weiteren Knopf drücken? Was erwartete das Ding von ihm? Testend berührte er es mit einem Finger und lies das Gerät vor Schreck beinahe fallen, als ohne Vorwarnung ein buntes Kästchen auftauchte. ‚Einstellungen‘ stand in schwarzer Schrift drüber. Nun gut, dann würde er eben etwas einstellen. Auch wenn er keinen blassen Schimmer hatte, was genau das sein sollte. Seufzend drückte er seinen Zeigefinger auf ein Symbol, das ihn entfernt an eine Sonne erinnerte. ‚Anzeigeoptionen‘. Ob er damit etwas an der Helligkeit ändern konnte?
 

Eine gute Stunde und unzählige Versuche später hatte er endlich herausgefunden, wie das Handy - so nannte man diese Geräte wohl heutzutage - funktionierte. Zugegeben, Breda war stolz auf sich. Das Ding tat, was er ihm befahl und er war damit sogar in der Lage, anderen Menschen kleine Briefe zu schicken. Und genau das würde er jetzt tun. Den Papierfetzen mit Leontin Mateis Nummer hatte er mit in den Sarg genommen und die Telefonnummer erfolgreich in sein Handy eingespeichert. Zögernd tippte er auf das Briefsymbol neben der Nummer und begann zu schreiben.
 

Herr Matei,
 

mir ist der Ernst der Lage bewusst, doch ich bin für den Moment noch nicht gewillt, Ihrem Angebot zuzustimmen. Sie mögen nichts davon verstehen, doch mein Sohn und ich hängen sehr an diesem Schloss. Es befindet sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Von Krolock und etwas daran zu ändern, würde meinem Sohn wohl das Herz brechen.
 

Breda nahm einen tiefen Atemzug. Was er im Begriff war zu tun, würde Herbert ihm wohl lange nicht verzeihen. Und er sich selbst vermutlich auch nicht. Mit zitternden Fingern schrieb er weiter.
 

Jedoch bin ich mir darüber im Klaren, dass ich nicht mehr in der Lage bin, das Schloss mit eigenen Mitteln zu erhalten. Geben Sie mir Zeit. Sobald ich eine Lösung gefunden habe, werden wir Ihnen das Schloss widerstandslos überlassen.
 

Gez. Breda Von Krolock
 

Schweren Herzens drückte er auf ‚Senden‘.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier ist auch schon Kapitel 2. Natürlich werden die normalen Uploadzeiten nicht so kurz sein, aber da ich die Fanfiktion vor einem Jahr auch auf anderen Plattformen gepostet habe und die Geschichte dort bereits auf dem neuesten Stand ist, wollte ich auch hier gleiche Verhältnisse schaffen. Von jetzt an könnt ihr voraussichtlich mit einem neuen Kapitel pro Woche rechnen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  HeijiKID1412
2019-06-04T14:04:40+00:00 04.06.2019 16:04
Uiiiiiii😍
Die Geschichte ist voll cool, genau wie dein Schreibstil^^
Da bekommt man gleich Lust auf mehr :)
Ist zwar irgendwie schade, dass sie das Schloss abgeben müssen, aber mann muss sich ja mal der Zeit anpassen.
Ich frage mich wie es weiter geht...
Ich hoffe du schreibst bald weiter😘😍☺️


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