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Zwei Seiten einer Medaille

von

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„Nathan?! Du glaubst wirklich, dass deine Flucht unbemerkt geblieben ist, oder?“ Mein Vater begrüßte mich zornig kaum dass ich das Gartentor hinter mir schloss. Ich wusste, dass ich Angst haben sollte oder mich zumindest erschrecken, doch schon die ganze Fahrt über fühlte sich mein Kopf wie in Watte gepackt an. Ich konnte nicht mehr denken und wollte nur noch dass es irgendwie aufhörte. Dieses Gefühl gänzlich allein zu sein sollte nur verschwinden.
 

„Was willst du jetzt tun, Vater?“ Meine Stimme war viel zu nüchtern und diese Tatsache überraschte mich genauso sehr wie meinen Vater, wodurch erst einige Herzschläge vergingen, bevor er seine Sprache wiederfand. „So, brauchst du mir nicht kommen! Dein Hausarrest wird verlängert!“
 

Ich lächelte kurz künstlich, bevor ich dann an ihm vorbeiging. Sollte es wirklich so sein und ich mal ohne Schläge davon kommen? Das könnte ich ja direkt rot im Kalender anstreichen. Ich wünschte mir, dass alles anders wäre. Dass ich noch mit den Leuten spielen konnte. Dass ich den Mut gefunden hätte zu ihnen zu gehen. Ich könnte jetzt bei ihnen auf der Decke sitzen. Lachen. Etwas essen. Mich gut fühlen. Aber es sollte nicht sein. Nicht heute. Nicht morgen. Nie wieder.
 

Mein Vater folgte mir und schien immer noch zu überlegen, was er jetzt tun wollte. Ich konnte die Wut in seinem Körper direkt spüren, doch es war mir immer noch egal. Gerade herrschten andere Probleme für mich und so ging ich weiter. Hoch in mein Zimmer und knallte ihm die Tür vor der Nase zu, bevor ich die Kette sofort vorlegte.
 

Er wollte mir nachkommen, doch sofort wurde er von meiner Sicherheitsvorkehrung gestoppt. Ich konnte in sein fassungsloses Gesicht sehen, dass dann sofort von Zorn gestürmt wurde. „Du?! Du wagst es mich auszusperren! Wir waren noch nicht fertig! Mach sofort die Tür auf!“
 

„Das hatten wir schon und nein werde ich nicht tun. Ich will noch ein wenig lernen und du störst.“ Warum war ich so ruhig? Woher nahm ich diese Ruhe und die Kraft ihm so zu begegnen? Von der Kette oder weil mir jeder Gedanke immer noch unsagbar schwer fiel?
 

Warum bin ich dorthin gegangen? Wollte ich Luzifer noch einmal sehen? Mir sicher sein, dass dies keine Zukunft hatte? Oder hatte ich gehofft, dass sie mich vermissen würden? Ihre Leben ohne mich nicht mehr zum Lachen waren? Hatte ich gehofft, dass ich irgendwie abgehen würde? Töricht.

Ich ließ mich auf meinem Stuhl nieder und griff wahllos nach einem Buch. Neben mir rüttelte immer noch mein Vater an der Tür und drängt um Einlass, doch ich ignorierte ihn. Seine Worte kamen nur gedämpft zu mir durch. Ich wollte kein Teil mehr dieses Lebens sein. Ausbrechen und irgendwo anders existieren, dennoch blieb ich sitzen. Blätterte die Seite um. Überflog die Zeilen ohne zu wissen, ob ich gerade Buchstaben oder Zahlen las. Es war unbedeutend.
 

Mit einem lauten Knall schloss mein Vater endgültig die Tür und riss mich dadurch kurz aus meinen Gedanken, doch als ich erkannte dass ich alleine war, versuchte ich mich wieder auf das Buch zu konzentrieren. Die Schule beenden. Gute Noten schreiben. Dann ganz weit weg von hier. Nur weg von hier.
 

Ich blätterte erneut um. Erfasste nichts, sondern konnte nur an eine Frage denken: „Warum war Luzifer nicht gekommen?“ Ich musste an sein Lächeln denken. An sein neckisches Verhalten. An seine Berührungen und ohne es zu wollen schleckte ich mir kurz über meine Lippen.
 

Es war vorbei! Ich musste endlich los lassen! Nur los lassen! Verdammt nochmal! Er wollte mich nicht, sondern hatte sich für sie entschieden. Nie stand er hinter mir. Niemals stand er zu mir. Es war nur ein Spiel. Ein bescheuertes Spiel für ihn! Gott, ich musste endlich los lassen! Die Zukunft existierte für mich. Es gab Menschen, die mich wollten und begehrten.
 

Kurz erschien Viktor vor meinem geistigen Auge, als ich daran dachte und das Gefühl benutzt worden zu sein kam zurück. Es war lächerlich. Ich wollte es und es hatte mir ja auch irgendwie gefallen. Warum? Das war so lächerlich! So unendlich lächerlich!
 

Ich atmete tief durch und hoffte, dass dieses beklemmende Gefühl damit verschwand, doch es funktionierte nicht so gut, wie ich gerne wollte. Klar, fühlte ich mich ein wenig besser, aber das war auch schon alles.
 

Erneut versuchte ich mich auf das Geschriebene vor mir zu konzentrieren, doch es klappte nicht. Die Buchstaben verschwammen vor meinem Auge zu kryptischen Symbolen. Es war hoffnungslos, aber ich wusste, dass ich es endlich in Griff bekommen musste und so stand ich auf. Ohne groß nachzudenken nahm ich die zwei Ein-Kilo-Hanteln von meinem Schreibtisch und atmete noch einmal tief durch.
 

Im nächsten Moment begann ich in die Luft zu schlagen. Links. Rechts. Ein Tritt. Links. Links. Rechts. Von unten. Von oben. Ich ließ all meinen Frust in meine Bewegungen fließen. Spürte wie sich meine Muskeln anspannten und so langsam dieses dumpfe Gefühl aus meinem Kopf vertrieben. Ich konzentrierte mich nur noch auf meine Bewegungen. Darauf, dass ich gleichmäßig im Rhythmus meiner Atmung schlug und nichts beschädigte.
 

Für mich existierten nur die Gewichte in meiner Hand und der Schweiß, er langsam auszubrechen begann. Ich wollte mich lebendig fühlen. Würdig und wertvoll fühlen. Immer wieder musste ich an Luzifer denken. Sein Lächeln und seine netten Worte. Sein Duft, der mir in die Nase stieg und mich betörte. Die sanften Berührungen, die mir zeigten, dass ich es doch eigentlich wert war, dass man mich vernünftig behandelte. Doch dann das!
 

Zorn brach in mir aus, als ich mich an seine Erklärung zurück erinnerte. Sie wollte eine Wahl. Er hatte sich entschieden! Nicht für mich! Sondern für sie! Das Weib, das mich vertrieb! Lügen über mich erzählte und versuchte mich fertig zu machen! Diesem verlogenem Miststück hatte er geglaubt! Sie soll schmoren!
 

Plötzlich durchzuckte meine rechte Hand ein erneuter Schmerz. Erst dann begriff ich, dass ich gewandert war und ich meinen Kleiderschrank getroffen hatte. Der dumpfe Knall hallte noch in meinen Ohren nach und ich schluckte trocken. Er hatte meine Gedanken zerrissen und die Wut aus meinem Körper gefegt.
 

Plötzlich war dort nichts mehr. Nur eine angenehme Leere, die sich Stück für Stück mit sanften Glücksgefühlen füllte. Der Schmerz in meiner Hand pochte nur leicht und erhoffte sich so ein wenig Aufmerksamkeit während ich weiter auf die Stelle sah an der ich das Möbelstück getroffen hatte.
 

Es war nur eine leichte Delle zu sehen, doch wenn man nicht wusste, dass sie existierte, dann war sie kaum zu erkennen. Gut, dann würde mein Vater es nicht merken. Obwohl... aktuell würde es wohl eh nur mehr Hausarrest bekommen. Scheinbar schien es doch langsam bergauf zu gehen. Luzifer hatte also Unrecht. Es konnte von selbst aufhören.
 

Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich ein paar Schlücke aus meiner Wasserflasche nahm und mir dann neue Kleidung heraussuchte um duschen zu gehen. Denn es fühlte sich unangenehm an, wie sie langsam unter dem Schweiß an meiner Haut zu kleben begann. So gut wie sich Sport auch anfühlte, so ekelhaft war dieses Gefühl danach und so war ich ganz froh, dass unser Badezimmer aktuell frei war.
 

Ich stieg unter die Dusche und ließ das warme Wasser über meine Haut laufen. Die Duschkabine war nur zwei Tage nach meinem Anfall ausgetauscht wurden und so war nur die Wunde an meiner eigenen Hand der Beweis für meine ungestüme Handlung. Ich wusste nicht, ob ich stolz darauf sein sollte, doch mir war klar, dass ich sie gebraucht hatte. Irgendwann mussten all die Frustrationen mal an die frische Luft gelassen werden sonst wurde man darunter nur verrückt.
 

Ich musste kurz lächeln und lehnte meinen Kopf gegen die Wand. Genoss diese sanfte Berührung des angenehmen Nasses und die Ruhe, die nur durch dessen Plätschern durchbrochen wurde. Vielleicht war dies wirklich ein Neuanfang. Konnte es endlich bergauf gehen? Hatte ich es überstanden? Das wäre zu traumhaft um wahr zu sein.
 

Ich wusch mich und ging dann auch schon wieder aus der Kabine. Trocknete mich ab und zog mich an, bevor ich dann das Zimmer verließ. Doch was ich dort sah, ergab keinen Sinn für mich. Amber stand mitten im Flur und starrte mich mit verweinten Augen an.
 

„Amber?“ Ich verstand es nicht, doch sie zischte nur und schnaubte verachtend. „Was ist passiert?“ Sie starrte mich an. Unendlich lang hob sich nur erregt ihr Brustkorb und ihr Körper spannte sich an. Bevor sie dann ruckartig in die Richtung ihres Zimmers davon eilte. Erst in ihrem Türrahmen drehte sie sich um, damit sie mir noch einen letzten Satz ins Gesicht werfen konnte, bevor sie ihre Tür zuknallte: „Du hast alles kaputt gemacht!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2018-11-03T15:28:57+00:00 03.11.2018 16:28
Wieso hat er alles Kaputt gemacht? Sein Vater ist doch der Terrorist in der Familie.
Warum sieht das seine Schwester nicht, und das auch noch als sein Zwilling?
Nathy macht es schon richtig, er wird es lernen sich zu wehren, das muss er.
Weiter so, freue mich auf das Happy End.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Shino-Tenshi
03.11.2018 18:28
Normales Denken von Kindern. Geben sich dann die Schuld und na ja... manche sehen die Wirklichkeit nicht. Beziehungsweise zeigt diese Reaktion von Amber wie "normal" dieser Zustand schon ist.
Ja, manchmal muss das sein ^^ sich zu wehren ;)

Grüße Shino Tenshi


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