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Wo du Zuhause bist

von

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Unwillkommen

Es traf sie wie ein Blitz. Unmittelbar schossen ihre Mundwinkel hoch und voller Vorfreude nahm sie ihren Rucksack vom Boden hoch, öffnete ihn und kramte darin. In all der Aufregung hatte sie fast vollkommen ihr Handy vergessen, doch nachdem sie verzweifelt eine Ablenkung von all dem Trubel im Haus suchte, fiel es ihr wieder ein. Als sie es schließlich ganz unten fand und heraus holte, stellte sie nach ein paar Handgriffen verblüfft fest, dass es ausgeschaltet war. Hatte sie das Handy nicht einfach so in ihren Rucksack getan? Schulterzuckend stellte sie nun den Rucksack achtlos neben sich auf dem Bett. Vielleicht war es durch den Weltenwechsel ausgegangen, oder was  auch immer damit passiert war. Plötzlich riss sie weit ihre Augenlider auf. Was war, wenn es durch die Entführung nach Mittelerde kaputt gegangen war? Eilig versuchte sie es anzuschalten und atmete direkt erleichtert auf, als der Bildschirm aufleuchtete. Es funktionierte noch! Es besaß zwar nicht mehr vollen Akku, war zum Telefonieren nutzlos, aber zum Ansehen der vielen Bilder und Musik hören reichte es noch eine Weile und diente wunderbar zum Ausblenden der Umgebung. Demnach stecke sie sich die kleinen Kopfhörer in ihre Ohren, rückte ans Kopfende des Bettes und drückte auf Abspielen. Sofort schloss sie genüsslich ihre Augen, während sie sich treiben ließ. Eine Welle von Gänsehaut erfasste sie, die ihren gesamten Körper überflutete - Sie hatte das Gefühl wieder Zuhause zu sein.
 

„Wir sollten nicht ohne Erlaubnis eintreten.“, merkte Fíli an, welcher von der großen, runden Tür zu seinem Bruder sah. Kíli zuckte nur unsicher mit den Schultern. Es war unangebracht ohne Erlaubnis das Zimmer einer Frau zu betreten. Das sollte sein Bruder allerdings wissen, da er schon einmal diesen Fehler begangen hatte. Obwohl er für einen Moment grinsen musste als er daran zurückdachte, da es anschließend zu einem lustigen Gespräch zwischen Onkel und Kíli geführt hatte.

„Was ist, wenn etwas passiert ist und sie deshalb nicht antwortet?“ Kíli konnte sich nicht vorstellen, wieso sie sonst nicht antwortete.

„Was soll ihr denn passiert sein?“ Fíli schüttelte in Unverständnis leicht den Kopf. Wie kam sein Bruder auf solche Gedanken?

„Ich weiß nicht“, meinte Kíli als er sich den Hinterkopf kratzte. „Weißt du noch die Freundin von Mutter? Die ist einfach mitten im Gespräch ohnmächtig geworden. Vielleicht ist sie ja auch ohnmächtig?“

Fíli blickte nachdenklich auf die Tür vor sich, während sich die längst vergangene Szene in seinem Kopf wiederholte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Freundin in Erwartung war und sie deshalb ohnmächtig wurde. Aber traf das auch auf diese Menschenfrau zu? Doch was tat sie dann hier? Wenn er so betrachtete. Was wusste er schon von der Menschenfrau? Ihr ganzes Hiersein war ein Rätsel. Balin hatte sich leider nicht dazu überreden lassen, etwas preiszugeben. Zunächst würde sein Onkel mit ihr sprechen und das hinterließ ein ungutes Gefühl bei ihm. Letztendlich schmunzelte er und kreuzte den besorgten Blick seines Bruders. „Ich denke nicht, dass das hier der Fall ist. Sie will uns wahrscheinlich nur nicht sehen.“

„Warum? Haben wir was falsch gemacht?“, fragte Kíli verwundert, das seinen älteren Bruder gleich zum Lachen brachte.

„So unschuldig, Bruder. Du musst noch viel über Frauen lernen“, kommentierte der blonde Zwerg mit einem weiteren Kopfschütteln und zog seine Mundwinkel amüsiert an. Kíli warf ihm einen grimmigen Blick zu, was sein Grinsen nur verstärkte. „Lassen wir sie besser in Ruhe. Sie wird schon noch heraus kommen.“ Sein Bruder schien nicht überzeugt, nickte aber zu seinem Vorschlag. Gerade als sie abziehen wollten, war ein lautes Gepolter hinter der Tür zu hören. Fíli tauschte nur eine Sekunde einen Blick mit seinem Bruder als Kíli im nächsten Moment die Türe zum Zimmer aufriss und hinein stürmte, er selbst kaum später.
 

Voller Schreck schrie sie kurz auf, während ihr Herz fast aus dem Brustkorb sprang. Entsetzt starrte sie auf die Zwerge in der Türe, die höchst alarmiert und mit ernstem Ausdruck auf den Gesichtern so aussahen, als wären sie bereit wen auch immer zu vermöbeln. Nur die Waffen fehlten noch, aber dann hätte sie sich wirklich Sorgen machen müssen. Somit atmete sie erleichtert durch und versuchte so ihr hämmerndes Herz zu beruhigen. Sie war gerade dabei gewesen, die aus versehen herunter gefallene Tasche, wieder aufzuheben. Die kampfbereiten Zwerge entspannten sich sichtlich und sie zog die Kopfhörer verwirrt aus den Ohren als sie sich auf den Bettrand zurück plumpste.

„Um Gottes Willen, Jungs. Was ist los? Ist was passiert?“ War es schon soweit? Wollte Thorin sie sofort sehen? Wie lange hatte sie auf dem Bett gesessen und laut Musik gehört? „Will Thorin mich sehen?“ An dieser Stelle hoben sich synchron die Augenbrauen der Brüder. Nicht? Was war denn dann los? Es musste ja einen wichtigen Grund geben, wieso sie sie fast zu Tode erschreckten. Oder das war der Plan gewesen und sie war voll darauf hereingefallen?

„Onkel? Nein, er ist -“ Kíli bekam von seinem Bruder nicht gerade sanft einen Ellbogen in die Rippen. Mit einem verärgerten Blick auf Fíli gerichtet, rieb er sich die schmerzende Seite. Wofür war das denn? Ehe es ihm der Blick seines Bruder deutlich verriet. Er durfte gegenüber Fremden kein einziges Wort über die Reise verlieren. Darunter zählte auch das Kommen seines Onkels, der es sicher nicht gerne gesehen hätte, wenn er solche Dinge munter ausplauderte. Doch woher wusste sie davon, dass sein Onkel noch kommen würde? Was tat sie eigentlich hier? Vorher hatte er keinen Gedanken daran verschwendet. Jetzt jedoch war er neugierig geworden.

Misstrauisch beäugte Fíli die Menschenfrau, welche begann schief zu lächeln und ihn mit ihren blauen Augen schlicht ansah. Was sollte er von ihrer Frage halten? Sie wusste vom Kommen Thorins. Was wusste sie noch? Diese Reise stand unter strenger Geheimhaltung. Zwar hatte sie ihm später Antworten versprochen, aber er konnte sein Interesse nicht weiter unterdrücken. Und was war das in ihrer Hand, das sie so fest umklammerte?

Anna biss sich auf ihre Unterlippe. „Ähm... Schon gut. Ich weiß, dass Thorin kommt und all das. … Und ich hätte vielleicht erwähnen sollen, dass Gandalf mich hierher geschickt hat. Habt ihr noch nicht mit Balin gesprochen?“

Angesichts ihrer Antwort, wusste Fíli nicht genau wie er reagieren sollte. Natürlich war ihm bewusst gewesen, dass ihre Anwesenheit etwas zu bedeuten hatte, aber sie angeworben vom Zauberer? Das konnte nur eines heißen.

„Ihr kommt mit auf die Reise?“, fragte Kíli verwundert. Er musterte die junge Menschenfrau mit ganz anderen Augen erneut und entdeckte dabei den Köcher und Bogen, welche an dem Bett neben ihr standen. Überrascht und gleichermaßen begeistert, begann er breit zu lächeln. „Ihr könnt mit einem Bogen umgehen?“, platzte es aus ihm heraus, da er sich nun nicht mehr bremsen konnte. Eine Menschenfrau, die das Bogenschießen beherrschte? Das sprach so gut gegen alles, was ihm über Menschen beigebracht wurde. Sie war doch einer, oder? Als sie den Blickkontakt mit Fíli abbrach und sich ihm zuwandte, beantwortete sie ihm mit einem schwachen Nicken seine Frage. „Seid Ihr vielleicht doch eine Elbe?“ Neben sich verschluckte sich sein Bruder und begann zu husten, hingegen sie verblüfft die Augenbrauen anzog, ehe sie belustigt kicherte. Kíli grinste zufrieden vor sich her.

Da war er, wie man ihn aus den Filmen kannte. War das ein Kompliment? Obwohl das für einen Zwerg sehr eigenartig wäre ihr so ein Kompliment zu geben. Immerhin mochten sie allesamt nicht so die großen, eleganten, dünnen und vor allem haarlosen Elben. Ehe es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Sie sprach hier von dem Kíli, der sich später in eine Elbe verliebte. Sollte sie sich also jetzt wirklich geschmeichelt fühlen? „Hab ich etwa spitze Ohren?“, fragte sie amüsiert und deutete auf ihr linkes Ohr, dass sie ihm leicht hinhielt. Kíli legte daraufhin nachdenklich seine Hand an sein Kinn und fuhr sich durch die Stoppeln am Kinn. Er verengte die Augen, um von seiner Position genauer hinsehen zu können. Als sich schließlich ein schelmisches Grinsen einschlich, wusste sie, was folgen würde.

„Vielleicht wenn ich einen näheren Blick auf Euer Ohr werfen und es überprüfen könnte...“, meinte er mit einem Augenzwinkern.

„Näher?“, verließ es ihre Lippen interessiert. „Wie nah hättet Ihr es denn gern?“, erwiderte sie und zwinkerte Kíli verlockend zu, jener daraufhin nur verschmitzt grinste. Oh ja, er flirtete wohl wirklich sehr gern und das ohne Rot zu werden. Neben Kíli räusperte sich Fíli laut, sodass sie sich von den braunen Augen des Zwerges losriss.

„Wenn ihr dann fertig seid“, begann Fíli unbeeindruckt. Normal beteiligte er sich gern an solchen Späßen, aber es stand Wichtigeres auf dem Plan. „Ihr kommt mit auf die Reise?“

Anna wandte sich zwangsweise wieder Fíli zu. Sie hätte lieber mit Kíli weiter geflirtet als wieder über dieses Thema zu sprechen. „Keine Sorge, nur ein kleines Stück.“ Hoffte sie zumindest. Auch wenn es sich laut Balin nicht gut anhörte. Oh je, das erinnerte sie wieder an Thorin, weshalb sie schlucken musste. Das Gespräch mit ihm wurde sicher kein Spaß. Fíli schien kurz in Gedanken versunken zu sein, da er seine Stirn in tiefe Falten zog. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Kíli näher an den Bogen heran trat und ihn mit voller Aufmerksamkeit betrachtete. Ihm stand die Frage schon dick im Gesicht geschrieben, weshalb sie lächelte. „Ihr dürft den Bogen ruhig in die Hand nehmen.“, meinte sie und bekam ein kleines, aber kurzes Lächeln von Kíli geschenkt, ehe er sich der Waffe wieder zuwandte. Woraufhin er den Bogen neben ihr in die Hände nahm und mit einer solchen Sorgfalt und einem Glanz in den Augen über die Wurfarme mit seinen kurzen Fingern fuhr, dass sie dachte, er hätte sich eben unsterblich verliebt.

„Was ist das für ein Material?“ Kíli wendete erstaunt den Bogen, griff ihn fest am Mittelteil und zog geübt an der Sehne, die aus zwei gezwirbelten Fäden bestand. Mit noch größerer Verwunderung stellte er fest, dass er sich im Vergleich zu seinem Bogen viel leichter spannen ließ und auch ein geringerer Handschock beim Lösen der Sehne entstand. Ohnehin war dieser Bogen unvergleichlich. Die Oberfläche war glatt, glänzte im Licht der Kerzen und war fast komplett schwarz. Derartiges hatte er noch nie gesehen. Auch schien dieser Bogen aus mehreren Teilen zu bestehen. Wie konnte er dann derart stabil sein?

„Oh, die genaue Zusammensetzung weiß ich nicht. Die Sehne ist aus Nylon, das Mittelteil ist aus Rosenholz und die Wurfarme aus Ahorn, überzogen mit Fiberglas.“ Für einen Moment huschte ihr Blick prüfend zu Fíli, der still dem Gespräch zu folgen schien. Hatte er keine weiteren Fragen mehr?

„Glas?“, lenkte Kíli ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Wie konnte Glas so auf Holz angebracht werden? Und wie konnte es so elastisch sein? Dieses Stück Handwerk musste ein Meister angefertigt haben. „Wer hat es hergestellt?“

Anna lachte leise. „Ich habe keine Ahnung. In meiner Welt läuft das ein wenig anders als hier. Und Fiberglas ist kein wirkliches Glas. Das ist Kunststoff, was ...“ Anna brach in ihrer Erklärung ab und seufzte als sie den verwirrten Ausdruck von Kíli bemerkte. „Sagen wir einfach, das ist nicht das übliche Glas, ja?“ Mit einem zögerlichen Nicken stimmte Kíli zu und wandte sich wieder voll dem Bogen zu. Diesen Moment schien Fíli zu nutzen und kam nun ebenfalls näher, bis er neben seinem Bruder mit verschränkten Armen zum Stehen kam. Sein Augenmerk beschränkte sich allerdings auf etwas anderes als dem Bogen, dem er nur einen kurzen Blick würdigte. Neugierig musterte er ihr Handy in der Hand. Oh oh.

„Was habt Ihr da die ganze Zeit in der Hand?“

„Nichts Besonderes...“, versuchte sie es mit einem Abwinken und einem Lächeln. Wie sollte sie bitte einem Zwerg aus Mittelerde ein Handy erklären? Fíli jedoch schien dieses mal das Thema nicht wechseln zu wollen. Sie seufzte auf. Vielleicht wurde es ja ganz witzig. Mit einem Lächeln stand sie auf, zog den Stecker für die Kopfhörer heraus und hielt es ihm mit dem schwarzen Bildschirm nach oben flach auf ihrer Handfläche entgegen. Der blonde Zwerg senkte seinen Kopf etwas um es besser betrachten zu können, wobei sein geflochtener Bart wieder zu baumeln begann. Es hatte irgendwie eine hypnotisierende Wirkung. „Damit kann man Musik hören, Bilder und Videos machen und schauen, telefonieren und daran Spiele spielen.“ Prompt biss sie sich auf ihre Unterlippe um ein aufkommendes Lachen zu unterdrücken als Fíli wieder seinen Kopf hob. Sein Ausdruck war goldwert.

„Dieses... Ding? Wie macht man damit Musik?“, fragte er konfus. Es besaß keine Saiten, kein Blasloch und auch sonst keine weiteren Eigenschaften, das ein Musikinstrument zu einem machte. Ein simples schwarzes Rechteck, in dem er sich selbst spiegeln konnte. Daher bezweifelte er doch stark, dass dieses Ding Musik spielen konnte. Und wie spielte man damit? Warf man es? Da eigneten sich Steine besser für. Was hatte sie noch gesagt? Bilder? Wie malte man damit Bilder? Videos? Er verstand nichts davon.

„Musik?“, warf Kíli interessiert ein, der den Bogen sinken ließ und nun ebenfalls das Ding auf ihrer kleinen Hand musterte. Skeptisch darüber zog er seine Stirn in Falten und blickte hinauf in ihr schmales Gesicht, das eindeutig Belustigung zeigte.

„Ich zeig es Euch. Moment.“ Sie nahm ihr Handy vor sich, stellte die Kamerafunktion ein und begann breit zu grinsen als sie die Gesichter der beiden auf dem Bildschirm sah. Kurzerhand entschied sie sich für ein kleines Video und drückte den Aufnahmebutton. Die beiden Zwerge rührten sich keinen Millimeter, ganz so als wären sie plötzlich versteinert. Sie beäugten ihre Bewegungen und ihr Handy teils neugierig und misstrauisch genau. Dachten sie, das Handy war gefährlich? Anna kicherte leise. Nun ja, sie wusste ja nicht, was das war. Hier in Mittelerde gab es wenig Ungefährliches. Ein gesundes Maß an Skepsis war hier der Lebensretter. „Keine Sorge, das Ding ist harmlos. Dann sagt mal was.“

Es sah tatsächlich harmlos aus, aber Kíli konnte deutlich die Anspannung seines Bruder neben sich spüren, was ihn selbst leicht in Unruhe versetzte. Mit einem Seitenstupser, löste sich etwas davon bei Fíli, der ihm einen Blick zuwarf. Er wusste was Fíli dachte. Sie sollten vorsichtig im Umgang mit ihr sein, da noch nicht endgültig alles geklärt war. Kíli jedoch sah in der Menschenfrau kaum eine Bedrohung. Wie auch? So dünn und, für einen Menschen, klein noch dazu? Natürlich war sie anders und eigenartig. Aber es machte ihn eher neugierig. Das war wohl auch der Grund, wieso ihn alle für leichtsinnig hielten. Kíli zuckte mit den Schultern, was seinem Bruder signalisierte es nicht all zu eng zu sehen und wandte sich ihr wieder zu. „Was denn?“

„Das reicht eigentlich schon.“ Sie brach die Aufnahme ab, nahm das Handy runter und lächelte die beiden an. „Dann kommt mal her. Ich zeige es euch.“ Kíli setzte sich sofort mit einem strahlendem Lächeln in Bewegung und stellte sich rechts neben sie, so nah dass sie schon seine Körperwärme spürte. Fíli zögerte einen Augenblick, ehe er sich links von ihr aufstellte. Es umhüllte sie ein Gemisch aus Gerüchen, welche sie nicht sicher einordnen konnte. Teilweise roch es nach Holz, ihr unbekannten Ölen und Rauch, weshalb sie unbewusst die Luft stärker um sie herum auf sog. Irgendwie war der Geruch angenehm. Kurz blinzelte sie überrascht. Wo kam denn der Gedanke her? „S-Schaut jetzt darauf.“, sagte sie mit einem anschließendem Räuspern. Unter einem überraschten „Oh!“ und einem perplexen „Wie..?“ suchte sie das Video heraus. Ehe sie auf Abspielen drücken konnte, zeigte Kíli mit seinem Zeigefinger darauf.

„Das sind ja wir! Sieh nur, Bruder!“, stieß Kíli aufgeregt aus. „Wie ist so etwas möglich?“ Doch statt ihm die Frage zu beantworten, drückte sie auf diesem Ding erneut herum. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken. Das war er. Und sein Bruder. Wie er sich bewegte, wie sie etwas sagte und was er selbst daraufhin fragte. Es war die Szene vor wenigen Augenblicken gewesen, eingefangen in diesem eigenartigen schwarzen Kasten. Was war das für eine Zauberei?

„Das, meine Herren, ist ein Handy und was ihr eben gesehen habt, ist ein Video. Und jetzt...“, sagte sie mit einem Grinsen, nahm leichten Abstand zu Fíli, sodass sie fast mit ihrem Rücken an Kílis Brust stieß und hob erneut ihr Handy. Prompt schoss sie vom extrem verwirrten blonden Zwerg ein Foto. Kichernd öffnete sie das Bild und zeigte es Kíli, der direkt mitlachte. „habe ich ein Foto von Fíli gemacht.“, meinte sie belustigt und ihr fiel auf, dass sie das erste mal Fíli beim Namen genannt hatte - Unweigerlich fing er sie mit seinen blauen Augen ein.

„Wie macht dieses... 'Hendi' ... das?“, fragte Kíli, auf das Handy in ihrer Hand fixiert. Das Wort fühlte sich auf seiner Zunge eigenartig an.

„Gute Frage“, sagte Anna als sie ihr Starren unterbrach und sich Kíli zuwandte. Er war ganz eindeutig von all dem fasziniert, weshalb sie sanft lächelte. „Ich habe mich nie dafür interessiert wie die Teile funktionieren. Hauptsache sie tun es.“

„Das ist Zauberei.“, meinte Kíli überzeugt, woraufhin sie sofort ein weiteres mal auflachte und er grinsen musste.

„Nein, das ist keine Zauberei. In meiner Welt gibt es keine Magie. Das nennt man Technik und Fortschritt.“ Das brachte ihr wieder volle Aufmerksamkeit. Die beiden Brüder schienen plötzlich das Handy vergessen zu haben.

„Eure Welt? Wie meint Ihr das?“, frage Kíli und warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu, jener allerdings nachdenklich nickte. Hatte er etwas verpasst?

„Sie stammt nicht von Mittelerde.“, erklärte Fíli in Richtung seines Bruders, ehe er sie wieder anblickte. „Ihr sagtet, ihr stammt von einem Ort namens Erde? Wo liegt das?“

Anna seufzte leise auf. So viel zu den Antworten, die er später alle erhalten würde. Da Balin aber anscheinend nicht die Güte besessen hatte, die Brüder einzuweihen, war sie wieder gefragt. „Die Erde ist...“, begann sie und verzog angestrengt ihr Gesicht. „Sie ist nicht in Mittelerde. Ein vollkommen anderer Planet... Obwohl es hier auch den Mond gibt, der genauso wie bei mir aussieht...“ Ja, wenn sie es so betrachtete, war das höchst komisch. Als wäre sie auf dem richtigen Planeten, nur nicht der richtigen Zeit. Verrückt.

„Planet?“

Aus ihren Gedanken gerissen, blickte sie wenige Sekunden stumm zu Kíli. „Oh Gott, … vergesst das gleich wieder. Von Astronomie und all dem habe ich nämlich keine Ahnung. Ich versuch es besser zu beschreiben. Mittelerde ist eine Welt. Und die Erde ist eine Welt. Zwei vollkommen verschiedene Orte, die man normal niemals von der jeweils anderen erreichen könnte. In meiner Welt gibt es zum Beispiel auch keine Zwerge.“ Wenn die Brüder nicht schon vorher an ihren Worten hingen, taten sie das jetzt ganz sicher. Fíli sah schockiert aus, hingegen legte Kíli den Kopf schief.

„Keine Zwerge? Seid Ihr Euch sicher?“, fragte Fíli, der diese Information nicht glauben konnte. „Was ist mit ihnen passiert?“

„Dann sind wir die ersten Zwerge, die Ihr seht?“, kam es von Kíli, der ganz andere Gedanken verfolgte.

„Nichts ist mit ihnen passiert. Die gab es nie bei uns. Nur in Geschichten.“, sagte sie gegen Ende hin leiser. Sie mussten ja nicht wissen, dass sie Teil einer dieser Geschichten waren. „Und ja, ihr seid also die ersten Zwerge, die ich treffen durfte. Obwohl streng genommen es Dwalin war.“ Bei der Erinnerung überkam sie ein ungutes Gefühl. Bei aller Bewunderung ihm gegenüber, aber er hatte ihr ganz schön Angst gemacht. „Auf jeden Fall bin ich wegen Gandalf hier. Er hat mich hergebracht.“ Wie sie gelernt hatte, ließ sie die Valar besser außen vor. „Ich soll der Unternehmung beitreten und … und...“

„Und?“

Ihre Gedanken waren schlagartig wieder auf eines fokussiert. Der Grund, warum sie hier in Mittelerde war. Sie sollte das Schicksal verändern. Sie sollte... Schwer schluckte Anna als sie Fíli ins Gesicht sah. Das Gesicht, das in einem Jahr blass und reglos in einem steinernem Sarg tief im Erebor auf Ewig ruhte. Sein Name fortan nur eine Erinnerung in der Geschichte Mittelerdes. Im Raum dehnte sich fast unerträglich die Stille aus. Seine tiefblauen Augen suchten in den ihren eine Antwort, die sie ihm aber nicht geben konnte. Wie konnte sie ihm sagen, dass sie unter anderem wegen ihm hier war? Sie wollte seinen Tod nicht. Und auch nicht Kílis, oder Thorins. Keiner sollte sterben. Aber... sie hatte Angst. Angst alles zu verändern. Nicht nur deren Zukunft. Hier gab es ein größeres Bild. Wie konnten die Valar sie nur herholen? War denen nicht bewusst, was sie anrichten konnte? Aber was war... wenn sie es genau wussten. Wenn sie wussten, dass sie erfolgreich war? Das es alle überleben und sie nicht das Schicksal zum Schlechten wenden würde? Hoffnung keimte auf. Perplex blinzelte sie und ihr Atem beschleunigte sich. Nein, es war naiv von ihr so zu denken. Ganz egal wie sehr sie Fantasiegeschichten mochte, in der wirklichen Welt war sie ein Realist. Beinahe hätte sie bei dieser Absurdität aufgelacht. Hier war sie aber nicht in der wirklichen Welt. Hier gab es Magie und Götter. Ganz von den fiesen, ekelige Gestalten abgesehen, denn die gab es in anderer Form auch Zuhause. Zuhause... Sie hatte die Wahl zu gehen. Das alles hinter sich zu lassen. Doch was, wenn sie die nicht hatte? Wenn Thorin wollte, dass sie mitkam. Konnte er das überhaupt? Wenn sie einmal in Bruchtal waren, was konnte Thorin wirklich dagegen tun, wenn sie nicht weiter mitwollte? Herr Elrond würde ihr bestimmt Schutz anbieten. Jedoch wenn sie in die fragenden braunen Augen von Kíli sah, war sie sich nicht sicher, ob sie wirklich noch in Bruchtal bleiben wollte. Es war verrückt! Sie wusste nicht was sie tun wollte. Wer würde schon jemanden, den man bereits mochte, wissentlich in den Tod schicken, wenn man das ändern konnte? Die Frage war nur, war sie wirklich so selbstlos und mutig? Sie war sich nicht sicher. Anna brauchte noch Zeit darüber nachzudenken. Zunächst blieb sie bei ihrer Entscheidung. Sie räusperte sich und lächelte bedrückt. „Es ist so. Gandalf will, dass ich mit zum Erebor komme. Ich kann aber nicht.“

„Warum?“, fragte Kíli leise, der ihre Gesichtsregungen beobachtete. Sie wirkte plötzlich traurig und unsicher.

„Das ist eine wahnsinnig gefährliche Reise und ich... ich bin einfach noch nicht bereit. Auch wenn Gandalf anderer Meinung ist und mich unbedingt dabei haben will. Ich bin unnötig auf dieser Reise.“

Kíli verstand nicht warum sie an sich zweifelte. Wenn ein so mächtiger Zauberer sie für diese Unternehmung unerlässlich hielt, war sie das ganz sicher. Sie musste also wichtig für diese Reise sein. Wieso also zögerte sie? „Aber -“

„Sie hat recht, Kíli.“, unterbrach Fíli seinen Bruder direkt. Er wusste was Kíli bewegte. Aber das hier war etwas vollkommen anderes. „Das ist eine gefährliche Reise und sie könnte auf dem Weg sterben.“, fügte er sachte hinzu. „Sie ist noch jung und hat sicher noch keinen Kampf bestritten. Sie sollte an einem sicheren Ort bleiben.“

„So wie ich.“, verließ es ernst den Mund von Kíli, was Fíli sichtbar zu überraschte. Jeder wollte ihn in den Bergen zurücklassen. Als sei er noch ein kleiner Zwergling, der hilflos Schutz von seiner Mutter brauchte. Er würde es seinem Bruder und Onkel beweisen, dass er seinen Platz an deren Seite verdiente. Da kam ihm eine Idee. „Wir könnten ihr doch helfen? Was meinst du, Fii?“ Fílis Augenbauen schossen hoch und Kíli wandte sich mit einem breiten Lächeln an sie. Nein, er hatte eine bessere Idee. „Ich schwöre bei meinen Vorvätern und meiner Ehre, solange ich lebe, wird Euch auf der Reise nichts geschehen.“, schwor er stolz und drückte seine geballte Faust an seine Brust.

„Bei Mahal!“, stieß Fíli entrüstet aus. „Kíli!“ War sein Bruder wahnsinnig worden?! Wie konnte er solch einen Schwur leisten! Er hatte sich eben als ihr Beschützer verpflichtet! Sein unbekümmertes Verhalten brachte sie beide in eine üble Lage. Thorin würde vor Wut schäumen. Nicht nur das. Fíli befürchtete Schlimmes, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, der ihn überglücklich mit der neuen Aufgabe anlächelte. „Wir wissen doch noch nicht einmal -“ Plötzlich vernahm er ein Schluchzen, das ihn irritiert innehalten ließ. Gemeinsam mit seinem Bruder wandte er sich zur Seite um und fand die Ursache.

Es ging einfach nicht mehr. Anna konnte nicht länger die Tränen zurückhalten, egal wie sehr sie es versuchte. Hatte Kíli gerade wirklich geschworen sie zu beschützen? Bis zu seinem Tod? Sie sollte es sein, die es sagte! So selbstsicher, voller Elan und ehrlich! Wie konnte sie nur so zögern ihnen zu helfen? Was für ein schlechter Mensch war sie eigentlich? Sie fühlte sich miserabel. Je mehr sie versuchte weitere Tränen zu unterdrücken, desto größer und schwerer wurden sie. Beschämt vor den beiden Brüdern zu weinen, hob sie ihren Arm und hielt ihn sich vors Gesicht, was es nur schlimmer machte. Dieser ganze Druck war kaum auszuhalten. Was konnte sie denn tun?! Sie war doch nur ein jämmerlicher Mensch, der aus der Großstadt und einer anderen Welt stammte! Was hatte sie denn für Qualitäten? Sie war ein totaler Fehlgriff. Nur Sekunden später spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, wagte es aber nicht nachzusehen wer es war.

„Es tut mir leid, falls ich Euch gekränkt haben sollte,... Anna.“ Ihm war noch immer nicht wohl bei dem Gedanken ihren Namen ohne Titel auszusprechen, doch wollte er ihr jetzt gern diesen Gefallen tun. Auch wenn sie alle drei nun tief in der Klemme steckten, stieß Fíli die Luft langsam aus. Der Anblick einer weinenden Frau machte selbst den noch so standhaften Zwerg weich.

„Oder habe ich etwas falsches gesagt?“, fragte Kíli besorgt und bekam einen kurzen aber sehr scharfen Blick von Fíli zugeworfen.

„I-Ich... E-Es...“, weinte sie und konnte den Schluckauf kaum kontrollieren. „Es ist nicht so“ Eilig wischte sie sich die Tränen mit ihren Ärmeln weg. „W-Wie kann ich nur so egoistisch und ängstlich sein? Wie kann mein Leben mehr wert sein?“, fragte sie an die beiden Brüder gerichtet, die natürlich nicht begriffen was sie meinte. Wie konnten sie auch? Anna musste einen jämmerlichen Eindruck machen und dann belästigte sie damit auch noch ausgerechnet Fíli und Kíli.
 

„Frau Anna?“, fragte Bilbo entsetzt als er die junge Frau dort vor den Zwergen weinen sah und sogar wie einer seine Hand von ihrer Schulter nahm. Hier war eindeutig die Grenze überschritten. Es reichte schon, dass die Zwerge ungefragt seine Vorräte plünderten und es sich in seinem Zuhause gemütlich machten, doch Frau Anna so zuzusetzen, dass sie begann zu weinen, reichte dem Hobbit endgültig. Hatten diese ungehobelten Zwerge denn absolut keine Manieren? Somit bahnte er sich furchtlos einen Weg genau zwischen die überraschten Brüder hindurch, stellte sich vor ihr und hob das Kinn an. „Raus mit euch! Schämt euch, eine Frau so unter Druck zu setzen!“ Bilbo war dabei die verdutzten Zwerge mit einigen Handbewegungen hinaus zu scheuen, als Frau Anna einen hastigen Schritt nach vorn machte.

„Nein! Nein! Alles gut, Bilbo!“ Oh Gott, es war zwar unheimlich süß, wie der kleine Bilbo zu ihrer Hilfe eilen wollte, aber es war vollkommen überflüssig. Davon abgesehen, dass die Brüder gar nicht genau wussten was sie tun oder sagen sollten. Das war ein Bild, das man schießen musste. „Die beiden sind unschuldig“ Als der skeptische Ausdruck von Bilbo blieb, seufzte sie auf und zwang ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. Die Brüder konnten nichts für ihr emotionales Chaos. Oder allgemein was vor sich ging. Gut, dass Bilbo gekommen war, sonst wäre sie wohl noch immer am Heulen wie ein Schlosshund. „Wirklich. Eigentlich sind sie sogar sehr nett und lustig.“

Bilbo schüttelte leicht seinen Kopf. Den Eindruck hatte er nicht gewonnen, auch wenn der braunhaarige Zwerg jetzt heftig dazu nickte und der blonde ihm einen Blick zuwarf. „Warum weint Ihr dann?“

„Nicht so wichtig. … Das ist so ein Frauending.“, meinte sie schnell und hoffte sie fielen auf die kleine Notlüge herein. Sie erntete von all den Männern einen fragenden Gesichtsausdruck, ehe Kíli sich leicht an Fíli wandte.

„Was bedeutet das, Fii?“ Sein Bruder zuckte nur ratlos mit den Schultern.

Das hatte offenbar niemand verstanden. Anna räusperte sich daraufhin, da die Blicke langsam unangenehm wurden. Zeit das Thema zu wechseln. „Warum seid Ihr gekommen, Bilbo?“

„Oh!“, meinte er und blinzelte einige male. „Gandalf fragte nach Euch.“
 

Anna verließ irgendwie ungern das sichere Gästezimmer und noch viel unwohler fühlte sie sich als Fíli sie am Arm packte, sodass sie zum Halt kam. Kíli ging weiter vor, wohl annehmend sie und Fíli folgten ihm. Fragend blickte sie in das absolut ernste Gesicht von Fíli. Hatte er im Film mal so ernst drein gesehen? Sie erinnerte sich an keine gezeigte Szene. Aber es überraschte sie positiv und zeigte ihr wie erwachsen er im Gegensatz zu Kíli war. Trennten die beiden nicht wenige Jahre? Das konnte sie kaum glauben.

„...Ja?“

„Ihr wisst, wozu mein Bruder sich verpflichtet hat?“

Unsicher was genau der blonde Zwerg meinte, lächelte sie schief. „Jain?“ Fíli zog daraufhin seine Augenbauen zusammen. Huch, das kannte sie doch irgendwoher. Dieses Wort musste sie dringend aus ihrem Wortschatz streichen. Bevor er fragen konnte, setzte sie erneut an. „Ich meine, ich weiß nicht? Wozu hat er sich denn genau verpflichtet?“

Er nahm seine Hand von ihrem Arm und seufzte schwer. „Ein Schwur ist für einen Zwerg bindend.“ Dazu nickte sie stumm als wüsste sie das bereits. „Und ich weiß warum mein Bruder das geschworen hat“, fuhr er nun behutsam fort als er an ihn dachte. Sein Bruder hatte es nie einfach gehabt. Es fing schon mit dem untypischen Aussehen an, weshalb er in der Zwergengesellschaft nur schwer akzeptiert wurde. Einzig dass er der Neffe von Thorin Eichenschild war, rettete ihn auf gewisse Weise – und dann doch nicht. Es wurden hohe Erwartungen an ihn gestellt, die er immer versuchte pflichtbewusst zu erfüllen. So war er immer bereit sich zu beweisen, doch leider sehr oft sehr leichtsinnig. Bisher hatte Fíli ihn immer unterstützt, war an seiner Seite und teilte den Ärger. Jedoch war das hier ganz anderes. Damit zog Kíli den Zorn und die Enttäuschung von Thorin auf sich. „Ich bitte Euch ihn von seinem Schwur zu entbinden.“

Wortlos starrte Anna in seine blauen Seen, die voller Sorge und Angst von seinem Bruder sprachen. Zwar verstand sie nicht völlig was Fíli dazu bewegte, aber sie war gern gewillt zuzustimmen, weshalb sie ein weiteres mal nickte. Wie konnte sie da auch Nein sagen? Fíli schenkte ihr dafür ein sanftes Lächeln, das sie automatisch erwiderte.

„Was macht ihr da?“, rief Kíli als er bemerkte, dass keiner der beiden ihm gefolgt war.
 

„Eine menschliche Frau...“ „Hier?“ „Bei Durins Bart...“ „Was hat sie da an?“ Alle Augenpaare waren auf sie gerichtet. Manche zeigten Überraschung, Freude und wieder andere Missgunst. Vor allem die Blicke der älteren Zwerge zeugten von großer Ablehnung, weswegen sie tunlichst die Blicke von Dori, Óin und Glóin mied. Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken und stand dort in der Halle vor dem Esszimmer wie bestellt und nicht abgeholt. Dann trat ein nur allzu bekannter Zwerg mit einem breiten freundlichen Lächeln und einer lustigen Kopfbedeckung vor. Er nahm seinen geflügelten Hut von seinem Kopf und verbeugte sich schwungvoll.

„Bofur, zu Euren Diensten“, stellte er sich herzlich vor. „Mit wem haben wir die Ehre, hübsches Fräulein?“

„A-Anna Schubert. Auch zu Euren Diensten, Herr Bofur.“ Sie knickste vor ihm, so wie sie es aus Filmen kannte und versuchte nicht allzu lächerlich dabei auszusehen. Bofur setzte seinen Hut wieder auf seinen strubbeligen, rotbraunen Haarschopf, welcher nun in zwei dicken Zöpfen an den Seiten geflochten, hervorlugten. Neben Fíli besaß Bofur auch einen beeindruckenden Schnurrbart, der ihm sogar über das Kinn hinaus reichte. Als sie dann in die Runde sah, war es Nori, mit der urkomischen Sternfisch Frisur, der nächste, der an sie heran trat. Er verbeugte sich, stellte sich vor und zwinkerte ihr sogar zu, als er sich wieder aufstellte. Damit schien das Eis für alle gebrochen zu sein und jeder stellte sich nacheinander vor. Doch von allen Begrüßungen war ihr die von Ori am liebsten. Der schüchterne, junge Schreiberling konnte ihr kaum in die Augen sehen und stotterte nur so vor sich her. Sie hätte ihn am liebsten fest gedrückt.

„Setzt Euch doch, Liebes“, bot Gandalf ihr mit einem Hauch von einem Lächeln an. „Und esst etwas. Noch gibt es reichlich davon.“

Und erst jetzt fiel ihr das auch auf. Wie im Film war der Tisch überbeladen mit Essen. Und so appetitlich es aussah, sie hatte keinen Hunger. Nachdem sie sich still, und unter einigen argwöhnischen Blicken, den Platz neben Gandalf aussuchte, kam wieder Leben in das Haus von Bilbo. Balin setzte sich mit einem kurzen, aber warmen Blick neben sie. Und schnell waren die restlichen Plätze vergeben. Schließlich lehnte sie sich vorsichtig zum Zauberer hinüber.

„Ihr wolltet mich sprechen?“, sagte sie leise, doch laut genug damit es Gandalf hörte.

Gandalf zog überrascht eine Augenbraue an. „Oh, aber nicht doch. Ihr solltet nur noch etwas essen, bevor Ihr heute Nacht hungrig zu Bett gehen müsst“ Als er ihren wachsenden Unmut über diese Antwort sah, lächelte er freundlich. „Ihr müsst doch zugeben, dass diese Versammlung recht erheiternd ist.“

Anna verengte ihre Augenlider. Dieser gewitzte alte Mann. Er wollte sie einfach nur in die Gesellschaft einbinden, die sie aber mehr als offenkundig ablehnte. Nun, bis auf Bilbo und wohl Kíli, der jetzt kurioserweise ihr Beschützer war. Sie musste dringend mit Kíli darüber sprechen und ihn aus dieser Pflicht entlassen. Hoffentlich nahm er es ihr nicht all zu übel. „Ich weiß was ihr vorhabt. Das funktioniert nicht.“

Gandalf setzte zu einer Antwort an als gegenüber vom Tisch Dori mit viel Kraft seinen Humpen auf den Tisch knallte und sich laut räusperte, sodass er von wirklich allen die Aufmerksamkeit besaß. Still und mit neugierigen Augen aßen die Zwerge weiter.

„Was, gnädige Frau, macht Ihr hier?“, fragte er unmissverständlich und lenkte damit sämtliche Blicke auf die Frau, die sichtbar zusammenzuckte. „Ich spreche wohl für alle hier, wenn ich sage, dass Eure Anwesenheit höchst fragwürdig ist.“

„Ich... Uhh...“ Überfordert suchte sie Blickkontakt mit Gandalf, der ihr aufmunternd zunickte. „Ich komme mit auf die Reise.“ Alle Zwerge, bis auf die bereits eingeweihten, stoppten mit dem Essen – sogar der dicke Bombur. Eine wirklich tolle Atmosphäre, in der sie am liebsten unter den Tisch gekrochen wäre. Schweigen füllte den Raum vollkommen aus, in welcher jedoch reger Blickverkehr zwischen den Zwergen herrschte.

„Was hat sie gesagt?“, fragte Óin, der seine Hörtrompete ans Ohr hielt.

„Was? Wiederholt das, Frau.“, mischte sich nun Glóin ungehalten ein.

„Auf wessen Geheiß?“, fragte Dori, obwohl er schon eine leise Ahnung hatte und zu Gandalf sah, jener für alle hörbar die Luft ausstieß. Er hegte große Bewunderung für diesen Zauberer, aber diese Sache konnte er nicht gutheißen.

„Auf meinem, Herr Zwerg. Und ich würde es begrüßen, wenn diese junge, fähige Frau“, begann er und blickte einmal ernst in die Runde und gab vor allem jedoch Glóin und Dori einen Blick. „akzeptiert wird. Sie wird den Erfolg dieser Reise garantieren.“

„Auf dieser Reise ist kein Platz für eine Frau“, meinte Glóin streng, nicht im geringsten davon überzeugt. „Eine so dürre, kleine Menschenfrau noch dazu. Worin ist sie fähig? Kochen? Das übernimmt bereits Bombur.“

„Sie kann mit dem Bogen umgehen!“, warf Kíli mit einem breiten Lächeln ein. Prompt starrte ihn jeder an und Fíli schüttelte neben ihm den Kopf. „Was? Stimmt doch, Bruder?“, fragte er konfus.

„Was sonst? Axt? Schwert? ... Dolch?“, fragte Dwalin nun am Gespräch wirklich interessiert. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie auch nur eine Waffe beherrschte.

Da brach die Hölle los. „Hammer?“ „Ein Hammer ist doch viel zu schwer für sie.“ „Stab?“ „Ja, das könnte passen.“ „Wie sieht es mit Heilkunst aus?“ „Reich mir mal was von dem Schinken.“ Alle redeten durcheinander, sodass ihr schwindlig wurde. Und Gandalf wurde es wohl auch zu viel, da er sich in einem mal von seinem Stuhl erhob und dem Raum nicht nur das Licht entzog, sondern auch jedweder Wärme.

„Wenn ich sage, diese Frau ist fähig und für den Erfolg unabdingbar, dann ist sie es auch!“, donnerte er erbost und jede Bewegung im Haus kam zum Stillstand. Gandalf entspannte sich kaum Sekunden später und die dunkle Aura nahm ab. Zu seiner Überraschung räusperte sich die junge Frau und begann mild zu lächeln.

„Schon gut. Ich verstehe euch alle. Wirklich“, begann sie und ließ langsam ihren Blick durch die Runde schweifen. „Nein, ich kann mit keiner anderen Waffe umgehen. Nein, ich besitze keine Heilkünste und ich bin eine Null im Kochen. Ich würde euch eher damit vergiften als etwas auch nur ansatzweise Essbares zu kochen.“ Ein Raunen und Flüstern ging durch die Menge. „Und ich habe noch nie gekämpft. Ihr alle habt recht. So sehr ich Gandalfs Vertrauen in mich schätze...“ Sie gab ihm ein entschuldigendes Lächeln. „Ich wäre nur im Weg und jemand, auf dem man aufpassen müsste. Auch ohne mich werdet ihr den Erebor zurückerobern. Und die Zwerge werden zum einsamen Berg zurückkehren, genau wie der Wohlstand. Das weiß ich ganz sicher.“ Doch zu was für einem Preis?
 

Nach ihrer Ansprache hatten sich die Gemüter beruhigt. Besonders nach ihren Worten, der Erebor wäre wieder in Zwergenhand, schien auf große Zustimmung zu treffen. Sie nickten ihr sogar teilweise respektvoll zu. An dieser Stelle wandte sich Balin ein und sagte, es müsse ohnehin Thorin entscheiden und damit war das Thema vorerst beendet. Nur Gandalf schien über ihre weitere sture Entscheidung, nicht Teil der Unternehmung zu werden, enttäuscht. Aber sie war noch nicht dazu bereit sich voll darauf einzulassen. Nein, noch nicht.

Den Rest des Essens verbrachte sie still zwischen Gandalf und Balin, die sich angeregt über ihren Kopf hinweg unterhielten. Allgemein schien es so, als hätte es sie nie gegeben, was ihr vollkommen recht war. Ihre Gedanken hefteten sich an Thorin, der dem Hobbithaus immer näher kam. Wenn sie dachte, die Reaktionen der Zwerge waren zuvor schon hart, was würde er sagen? Natürlich hatte sie mit keinem Beifall gerechnet, aber ein paar Worte waren verletzend gewesen. Ja, sie war schlank und klein. Na und? Mit Training könnte sie bestimmt trotzdem eine passable Kriegerin abgeben – das aber würde viele Jahre dauern. Wem machte sie überhaupt etwas vor? Niedergeschlagen trank sie von einem Humpen, den ihr irgendjemand dort hingestellt hatte. Na ja, zumindest schmeckte das Bier ganz lecker.

Die Zwerge lachten, warfen mit Essen um sich, wenn sie es nicht in sich hinein stopften und becherten was das Zeug hielt, was oft in einem Rülpskonzert endete. Als dann so gut wie alles verdrückt war, folgte dem Film und Buch treu, das Singen und ein panischer Bilbo, der Angst um sein altes Geschirr hatte. Vom Nahen betrachtet sah es wirklich sehr riskant aus, doch kein einziger Teller wurde durch das Jonglieren und Werfen beschädigt. Anna war mehr als beeindruckt, wie einfach es tatsächlich aussah, weshalb sie mit großen Augen alles beobachtete. Kíli hatte ihr sogar einmal unter all seinem Werfen, Fangen und Singen zugezwinkert, was sie kurz zum Lächeln brachte. Und plötzlich stellte sie geschockt fest, dass sie ganz vergessen hatte mit ihm zu reden. Jetzt wäre es viel zu auffällig ihn von allen wegzuschleifen, was bestimmt weder sie noch Fíli wollte. Doch sie versuchte sich zu entspannen. Es blieb ihr noch viel Gelegenheit mit ihm zu reden, weswegen sie sich weiter auf das Geschehen fixierte.

In der Küche landete alles sicher auf einem Stapel und Bifur spülte alles blitzschnell. Nachdem das saubere Geschirr gestapelt war, das Singen stoppte und gelacht wurde, wusste sie es – jetzt war es soweit, weshalb sie tief Luft holte und sich auf den berühmtesten Zwerg der ganzen Geschichte konzentrierte.
 

Ein lautes Klopfen an der Haustüre ließ jeden inne halten. Schnell versammelten sich die Anwesenden in der Eingangshalle und teilweise bis ins Kaminzimmer. Anna positionierte sich weiter hinten in der Eingangshalle im Schatten neben Nori, der mit den Armen verschränkt aufmerksam alles verfolgte. Ihr Atem beschleunigte sich als Gandalf zur Türe ging und sie aufzog. Zum Vorschein kam niemand anderes als Thorin Eichenschild und ihr Herzschlag setzte kurz aus. Seine Präsenz flutete augenblicklich jeden noch so kleinen Winkel und erfasste sie mit voller Stärke, sodass sie Gänsehaut bekam. Bei allem was heilig war, das war wirklich Thorin.

„Gandalf“, begrüßte er den Zauberer schlicht und trat in das Haus des Hobbits ein. „Hattest du nicht gesagt, dieser Ort sei leicht zu finden?“ Mit einem schnellen Blick zu seiner Linken konnte er seinen alten Freund Dwalin und außerdem Dori und Ori im Türrahmen stehen sehen. Er wandte sich anschließend wieder Gandalf zu. „Ich habe mich verirrt. Zwei mal“ Als sein Blick auf seine Neffen fiel, lächelte er für den Bruchteil einer Sekunde und knöpfte seinen Umhang auf. „Ohne das Zeichen an der Tür, hätte ich es überhaupt nicht gefunden.“ Wortlos kam Kíli zu ihm und nahm ihm den Umhang ab.

„Zeichen? Da ist kein Zeichen. Die wurde erst vor einer Woche frisch gestrichen.“, meinte Bilbo als er sich an Dwalin vorbei zwängte und zur Tür ging, um sie sich anzusehen.

„Es gibt ein Zeichen. Ich habe es selbst angebracht.“ Gandalf holte einmal tief Luft, ehe er sich vom Hobbit an den Zwergenkönig wandte. „Bilbo Beutlin. Darf ich Euch den Anführer unserer Unternehmung vorstellen? Thorin Eichenschild.“

Thorin drehte sich zu dem kleinen Hobbit um und musterte ihn kritisch. „So. Das ist also der Hobbit“, stellte er fest, während er langsam diesen zu umkreisen begann. Der Hobbit blickte ihm sichtlich unwohl entgegen. „Sagt, Herr Beutlin, seid Ihr im Kampf erfahren?“

„Bitte was?“

„Axt oder Schwert?“, fragte er unbeirrt weiter als er vor Bilbo zum Stehen kam.  „Welche Waffe ist die Eure?“

„Ich werfe eine ganz elegante Rosskastanie, wenn Ihr es wissen wollt. Aber ich weiß nicht, inwiefern das von Bedeutung sein sollte.“

Das ließ Thorin einen Moment auf sich wirken und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einer ähnlichen Antwort hatte er gerechnet. „Dachte ich es mir.“, kam es somit wenig überrascht von ihm. „Eher ein Krämer als ein Meisterdieb.“ Daraufhin lachten die übrigen Zwerge im Hintergrund belustigt.

Anna rieb sich schon ihre Arme, weil ein Schauder den nächsten jagte. Es war so echt und es passierte tatsächlich. Und vor allem sie hatte Gewissheit. Sie musste nämlich mit einem weniger freundlichen Thorin darüber diskutieren, ob er so nett wäre und sie bei den Elben zurücklassen würde. Obwohl das, zu ihrem Leidwesen, nicht mehr ganz ihr Plan zu sein schien. Sie war definitiv verrückt geworden.

Balin räusperte sich, nachdem er sich zu Thorin stellte, welcher gerade dabei gewesen war sich in Bewegung zu setzen. Sein alter Freund zog seine Stirn kraus. „Ich fürchte, wir haben noch ein kleines Problem“, begann Balin in allem Respekt und zog so nicht nur Thorins Aufmerksamkeit auf sich, sondern die der ganzen Versammlung. Automatisch formte sich eine Straße in die Halle, was den Blick auf Fräulein Schubert freigab, die auf der Stelle versteinerte.

Thorin ahnte Übles und sein Bauchgefühl wurde nicht enttäuscht. Seine Augen fanden eine junge Menschenfrau, welche sonderbare Kleidung trug und ihm ängstlich entgegen starrte. War das eine Frau? Was tat diese hier? Und das zu diesem Zeitpunkt? Sein Gesicht verdunkelte sich. „Was tut diese Frau hier?“, wandte er sich schroff an Gandalf, der sich eilig zu ihm stellte.

„Darf ich vorstellen? Das ist Anna Schubert. Und das ist eine ausgesprochen gute Frage“, fing Gandalf an. Jetzt kam der schwierige Teil und es war Vorsicht geboten. „Es ist auch mir verborgen, was genau der Grund ihrer Anwesenheit ist.“

Wie immer Sprach der Zauberer in Rätseln, doch dafür bestand kein Bedarf. Er wollte nur wissen, was diese Frau hier tat. Eine simple Frage und er wollte darauf eine Antwort. „Ich frage noch einmal, Gandalf. Und ich wiederhole mich nicht ein weiteres mal. Was tut diese Frau hier?“

„Sie wird Euer Vorhaben unterstützen. Ihr könnt versichert -“

„Nein.“, lautete seine Antwort überaus deutlich und brach jeden Versuch des Zauberers ab, es ihm schönreden zu wollen. Es gab Grenzen, die er nicht gewillt war zu überschreiten. „Von einem sechzehnten Mitglied war nie die Rede. Ihr solltet lediglich das fünfzehnte auftreiben.“ Noch einmal überflog er die Gestalt der Frau als er die ersten Schritte auf sie zu nahm.

War es übertrieben zu denken, dass sie dabei war sich in die Hose zu pinkeln? Wie hypnotisiert stierte sie den König an wie er auf sie zukam. Sein Kettenhemd rasselte leise und seine pechschwarzen, langen Haare, samt den geflochtenen vier Zöpfen darin schwangen mit jedem seiner schweren Schritte mit. Der harte Blick von Thorin stampfte sie regelrecht in den Boden. Und sie hatte gedacht Dwalin war schlimm? Nein, der war im Vergleich zum Zwergenkönig ein lieber Kuschelbär. Vor ihr blieb er stehen und zu ihrem Entsetzen stellte sie auch noch fest, dass er so groß wie sie selbst war. Seine dunkelblauen Augen musterten sie wach, nahmen jedes noch so kleine Detail von ihr wahr. Sie kam sich wie ein Vieh bei der Schlachtbank vor, das man zuvor gründlich inspizierte. Und sie wurde gerade ganz eindeutig ausgemustert. Das war doch ein Grund aufzuatmen, richtig? Wieso konnte sie es dann nicht? Ach ja, sie war ja dabei ihr Leben für seine Neffen und ihn zu riskieren.

„Eure Dienste sind hier nicht nötig, Fräulein Schubert. Geht zurück. Woher Ihr auch immer gekommen seid.“ Sein abschätziger Blick blieb an ihrer Kleidung hängen. Er brauchte keinen Menschen bei seinem Vorhaben. Und noch viel weniger eine Frau, die schon bei seinem Anblick in Panik ausbrach. Plötzlich jedoch veränderte sich ihr Ausdruck in den Augen.

Sie wusste nicht genau warum, aber die Wut packte sie. Langsam reichte es ihr! Sie hatte im Grunde keine freundliche Antwort von ihm erwartet, aber das war weit weniger als nur unfreundlich! Er hatte ihr nicht einmal Gelegenheit gegeben etwas zu sagen! Und das begann sie wirklich aufzuregen! Was konnte sie denn für all das? War sie es, die gesagt hat, dass sie mitkäme? Gandalf war doch hier der, der seine Klappen nicht halten konnte und es allen auf die Nase band! Anna nahm tief Luft und setzte zum Sprechen an als Thorin nur seine Hand als Warnung hob.

„Ich will kein Wort von Euch hören. Ihr reist unverzüglich ab.“

Jetzt reichte es wirklich! Sie durfte nicht einmal etwas dazu sagen?! Er schmiss sie einfach so raus? In die dunkle Nacht hinaus? Allein? „Sonst noch Wünsche, Eure erlauchte Majestät?“, fragte sie bissig. Um sie herum konnte sie hören wie die Zwerge scharf die Luft einsogen. „Vielleicht noch eine Fußmassage, oder -“

„Ich warne Euch. Stellt meine Geduld nicht auf die Probe, Weib.“

„Deine Warnung geht mir am Arsch vorbei. Wie wäre es mal mit beschissener Freundlichkeit? Ein Hallo wäre mal ein Anfang gewesen. Oder was zur Hölle ihr Zwerge immer so sagt. Aber nein, ich werde direkt angekackt und rausgeschmissen! Und ich soll dahin zurück woher ich gekommen bin? Gern! Das geht nur nicht, weil dieses verfickte Mittelerde nicht einmal meine Welt ist! Ich stecke hier fest und bin verzweifelt! Das interessiert hier aber anscheinend keinen Schwanz!“ In Rage und schwer atmend starrte sie Thorin an, der keine einzige Mine verzog. Ein erstauntes Raunen ging durch die Zwerge. Was?! War sie etwas zu unhöflich gewesen?! Irgendwann reichte es auch mal! Es war nicht ihre Schuld, dass sie hier festsaß!

„Seid Ihr fertig?“

„Fürs Erste! Ja!“

„Gut, dann hört mir jetzt genau zu“, kam es ihm gefährlich ruhig über die Lippen. Und Thorin hatte alle Mühe seinen Zorn zu zügeln. Solch eine Respektlosigkeit war ihm in seinem ganzen Leben noch nie unter gekommen. „Mir ist gleich woher Ihr kommt, oder wie Ihr Euch fühlt. Hier ist kein Platz für Euch. Verlasst dieses Haus und tretet mir nie wieder unter die Augen, oder Ihr werdet es mit Eurem Leben bezahlen.“

Als Balin sah, wie sie dabei war ihren Tod gleich hier und jetzt herauf zu beschwören, räusperte er sich laut und unterband somit ihre nächste Rede. „Thorin.“

„Was?“, raunte er gereizt seinen alten Freund an, der sich neben ihn gesellte.

„Wir sollten das mit Fräulein Schubert und Gandalf privat klären.“, lenkte Balin diplomatisch ein und blickte in die mehr als neugierige Runde voller Zwerge. Hier waren zu viele Ohren und Augen. Thorin schloss kurz seine Augen und massierte sich den Nasenrücken, was ihm etwas von der Wut nahm. Schließlich nickte er.
 

Anna war noch immer wütend. Nicht mehr so sehr wie vorher, aber noch genug um nicht unter dem eiskalten Blick Thorins eingeschüchtert zu werden. Bilbo hatte ihnen das Raucherzimmer zur Verfügung gestellt, welches sich gegenüber von der Eingangshalle befand und über Sitzgelegenheiten verfügte. Jedoch viel wichtiger war, dass dieser Raum die nötige Privatsphäre gewährte, die für dieses Thema angemessen war, laut Balin zumindest. Obwohl es ihr auch egal war. Sollten es doch gleich alle mithören. Sie hatte die Nase gestrichen voll. War sie wirklich soweit gewesen zu helfen? Ihr Leben für Thorins zu riskieren? Das hörte sich jetzt nach dem Witz des Jahrhunderts an.

„Ich höre“, forderte Thorin auf. Ihm war nicht klar, warum Balin es diskutieren wollte. Seine Anweisungen waren klar und deutlich gewesen. Weshalb also dieses Theater?

Gandalf lächelte den König freundlich an und nahm auf einem Hocker platz, während er sich seine Pfeife stopfte. „Ein nettes Häuschen nennt Bilbo sein Eigen, findet Ihr nicht auch?“

Fast berührten sich Thorins Augenbrauen, so stark zog er sie zusammen. Was sollte diese sinnlose Frage? Diese Frau hatte bereits genug Geduld und Zeit gekostet. „Gandalf.“, begann er fest. „Ich möchte wissen, was hier gespielt wird. Warum ist es nötig die Angelegenheit privat zu klären?“

„Das ist leider nötig“, schaltete sich Balin ein, der seufzte. „Dieses junge Dame hier weiß offenbar gut über unser Vorhaben bescheid.“

„Bitte was?“, fragte Thorin als habe er sich verhört. Hatte der Zauberer sie etwa ohne seine Erlaubnis eingeweiht? Gandalf lächelte ihn mild an. Dieser …

Es bescherte ihr beinahe Genugtuung als sie sah wie die Adern auf Thorins Stirn bedrohlich anschwollen. Und als nächstes folgten harsche Worte von Thorin, in einer Sprache die sie nicht verstand. So ging es für den Moment auch weiter. Balin und Thorin brachen in eine hitzige Diskussion aus, woran sich Gandalf nicht beteiligte und lieber rauchte. Aber im Gegensatz zu ihr schien er sie zu verstehen was die Zwerge sich in ihrer Sprache an den Kopf warfen, ehe es abrupt endete. Thorins stechender Blick fiel schlagartig auf sie. Unmittelbar verspannte sie sich.

„Entspricht dies der Wahrheit? Seid Ihr von den Valar geschickt worden?“

„Ja.“

Das konnte und wollte Thorin nicht akzeptieren. Ein schwächliches, dazu noch freches, Menschenweib als Unterstützung für sein Vorhaben? Wollten die Götter sich lustig über ihn machen? „Was könntet Ihr schon beitragen?“

Oh, wie es sie reizte ihm sein Schicksal an den Kopf zu knallen. Wie er dem Goldwahnsinn verfiel, das Leben vieler opferte, nur damit er sicher in seinem Berg voller Gold saß und anschließend selbst starb und niemals herrschen würde. Gandalf schien ihre Gedanken zu lesen.

„Thorin Eichenschild, wollt Ihr König unter dem Berge werden und die Zwerge in ein neues Zeitalter des Friedens und Wohlstands führen?“, fragte Gandalf ernst, woraufhin sich der König ihm überrascht zuwandte.

„Selbstverständlich.“, beantwortete Thorin ihm die Frage. Warum stellte ihm der Zauberer eine solche Frage? War sein Vorhaben nicht offensichtlich genug?

„Dann seid kein Narr und nehmt die Hilfe an, die Euch die Valar gesandt haben. Denn diese Frau wird zu Eurem Erfolg maßgeblich beitragen.“ Zufrieden konnte Gandalf erkennen, wie Thorin über seine Worte nachdachte. Noch hielt der Zwergenkönig stur an seiner Sicht fest, aber Gandalf war zuversichtlich. Irgendwann musste der Zwerg die Wichtigkeit einsehen.

„Moment!“, rief nun Anna dazwischen. Wieder Mittelpunkt des Raums, setzte sie fort. „Wer hat überhaupt gesagt, dass ich mitwill? Ich dachte, ich habe mich klar gegen diese Mission ausgesprochen. Ich will wieder nach Hause.“

Verwirrt über ihre Worte, bildeten sich tiefe Falten auf Thorins Stirn. Sie wollte nicht mit? Warum führte er dann dieses Gespräch? Und weshalb war sie in diese geheime Unternehmung eingeweiht? Zumindest war dies mal eine positive Überraschung. „Ihr wollt Euch nicht anschließen?“

„Ich fasse es nicht. Nein! Ich will nach Hause! Aber ich kann nicht, weil der da“ Anna zeigte auf Gandalf, jener überrascht seine buschigen Augenbrauen anzog. „Der will mich nicht nach Hause schicken!“

„Wie meint Ihr das?“, fragte Thorin und beobachtete den Austausch an Blicken zwischen dem Zauberer und der Frau.

„Ich weiß ganz genau, dass Ihr mich nach Hause schicken könnt. Genau hier und jetzt! Ich bin nur hier, damit ich mich mit allen anfreunde und es mir so schwerer fällt, damit ich irgendwann einknicke! Habe ich nicht recht?“, äußerte sie ihre Vermutung verärgert. Offenbar erwischte sie ihn eiskalt, da er hustend von seiner Pfeife abließ. In seinem Gesicht stand dick und fett das Wort Schuldig. Nein … ? Sie hatte wirklich recht?! Unfassbar! „Schickt mich auf der Stelle zurück!“

„Ich fürchte, Liebes, das kann ich nicht.“

„Okay, jetzt wird’s lächerlich. Kann oder will nicht?“

„Ich kann es nicht. Die endgültige Macht Euch Heim zu schicken obliegt allein den Valar.“

Geschockt schnappte sie nach Luft. Was?! Und was war mit dem Gelaber von wegen in Bruchtal schickt er sie Heim, wenn alles erledigt ist? Doch noch viel schlimmer: Saß sie hier fest? „Was... was heißt das? Ihr sagtet doch... Bin ich jetzt hier in Mittelerde gefangen? Für immer?“

„Ihr müsst verstehen, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um Euch sicher nach Hause zu schicken. Doch ohne das Einverständnis der Valar werden mir die Hände gebunden sein“ Gandalf schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln als er sah wie niedergeschlagen sie den Kopf hängen ließ. „Wenn Ihr Euch jedoch dazu entschließen solltest mit auf diese Reise zu gehen … Sicher werdet Ihr nach Abschluss Eurer Aufgabe nach Hause geschickt.“

„Also bleibt mir gar keine Wahl? Ich muss mit? Ob ich will oder nicht?“ Fassungslos darüber schüttelte sie heftig ihren Kopf. Nein, das konnte alles nicht sein. „... Obwohl ich sterben könnte?“ Obwohl? Sie würde sterben. Ganz sicher. In einer Welt, in der sie niemand kannte. Was war mit ihren Freunden? Ihrem Onkel? Würden sie jemals wissen was ihr passiert war?

Eine unangenehme Stille nahm den Raum gefangen, in welcher Balin sich ein Herz fasste. Fräulein Schubert war den Tränen nahe und kämpfte erbittert dagegen an. Er verstand ihren tiefen Wunsch nach Hause zurückzukehren und auch ihre Furcht das alles nicht zu überleben. Und wie es aussah teilten sie sich jetzt ein Schicksal. Aber war sie bereit dazu ihr Leben dafür zu lassen? Nein, sie war es nicht und hatte keine Wahl, was es noch grausamer machte. Der alte Zwerg trat zur jungen Frau hinüber und legte behutsam eine Hand auf ihren Rücken. „Ihr werdet Euer Heim wiedersehen. Habt keine Angst.“

„Balin“, verließ es weicher den Mund von Thorin. Er war nicht herzlos und konnte ihre Verzweiflung über diese Situation nun nachvollziehen. Aber sie stellte noch immer eine große Gefahr dar. Wegen ihr konnte er seine Mission und die Leben seiner Leute nicht riskieren. „das kannst du nicht mit Sicherheit sagen.“

„Nein, das kann ich nicht. Aber brauchen wir alle nicht zumindest ein wenig Hoffnung?“, gab er allen Anwesenden zu denken.

Thorin seufzte leise. „Ich bleibe dennoch bei meiner Entscheidung. Fräulein Schubert wird nicht ein Teil der Unternehmung.“

„Und zu wem soll sie gehen? Wo ist es noch sicher? Stell dir vor sie fällt dem Feind in die Hände?“, entgegnete Balin, was einen Nerv bei seinem Freund traf. Thorin verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du willst sie also mitnehmen?“ Sein Freund besaß jedoch recht. Was, wenn sie dem Feind in die Hände fiel und so Informationen über sein Vorhaben ausplauderte? Und das würde sie sicherlich, ob freiwillig oder unter Folter. Egal wie er es drehte, sie war eine Gefahr. Ob sie mitkam oder fern blieb. Die Frage war also; kontrollierte er selbst die Gefahr? Oder ließ er das Schicksal entscheiden? Thorin war eindeutig für Ersteres. Er nahm es selbst in die Hand. Dennoch blieb keine der endgültigen Entscheidungen ohne Konsequenz. Und die nächste Frage lautete; wer kümmerte sich um diese Frau? Er bekam schon Kopfschmerzen, wenn er daran dachte. Wertvolle Mühe wurde an diesem Menschen verschwendet. „Wer sorgt für ihre Sicherheit?“

Wie aufs Stichwort, wurde die Türe zum Zimmer aufgerissen, sodass jeder im Raum erschrocken herum wirbelte. Im Türrahmen stand Kíli, der mit einem ernsten Ausdruck hinein trat, dicht gefolgt von einem Fíli, der wohl versucht hatte seinen Bruder aufzuhalten und noch seinen Armen halb ausgestreckt hochhielt. Zornig starrte Thorin seinen Neffen an.

„Ich mach das.“, meldete sich Kíli mit stolzgeschwellter Brust.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  vampiergirl-94
2017-05-03T21:24:55+00:00 03.05.2017 23:24
Ok bis jetzt ist die Geschichte super. Auch wenn ich ahne das die Probleme erst jetzt richtig beginnen. 😂 bin gespannt wie du weiter schreibst und was du vom Film und was vom Buch du mit hinein nimmst.
Antwort von:  Xynn
09.05.2017 12:31
Huhu

Oh ja, die Probleme fangen erst jetzt richtig an, das hast du richtig erkannt ;)
Und natürlich tolle Sache, dass es dir bis jetzt gefällt ♥ Hoffe, dass es dir auch weiterhin gefallen wird.
Vielen Dank für dein Kommentar! Habe mich wirklich sehr darüber gefreut :D

Viele Grüße,
Xynn


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