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Ich bin immer für dich da

Island Story
von

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9

Der Mittwochmorgen war strahlend hell. Elvar hatte recht gut geschlafen. Sie hatten sich auf eine humane Zeit geeinigt, zu der sie sich dann treffen würden. Seine Aufregung kam erst, als er nach dem Duschen vor seinem Schrank stand und sich fragte, was zum Teufel er heute anziehen sollte? Er hatte keine schönen Kleider. Keine besonders schönen jedenfalls. Das meiste waren Arbeitssachen und ein alter Anzug, der verstaubt und in die Jahre gekommen aussah. Verdammt, so konnte er sich doch nicht sehen lassen. Von seinen Mützen, den Beanis, hatte er einige mehr. Eine besonders wenig getragene Hose und ein Shirt fanden sich dann doch noch. An mehr musste er doch nicht denken, oder? Stümpfe waren doch egal und Unterwäsche? Elvar wurde rot, als er seine Gedanken schweifen ließ. Nein, Schluss! Es war ein erstes Date und wenn er sich recht erinnerte, hatte Daan auch gesagt 'klassisch'. Hieß das dann nicht, dass beim Ersten nichts passiert, beim Zweiten vielleicht ein Gute-Nacht-Kuss und beim Dritten... Naja, je nachdem halt? Und da sie eh gesagt hatten, es gäbe nur Eines und Elvar dazu noch vorhatte, Daan sowieso abzuschreiben – es wäre für sie beide einfach besser – wäre das ihr einziges Treffen dieser Art. Elvar hielt kurz in seiner Bewegung, das Shirt anzuziehen, inne und starrte enttäuscht vor sich hin. Nur dieser Tag, dachte er. Es wäre nur... für heute.

Punkt Zehn stand Elvar am Hafen und fragte sich, warum er vorhin noch so betrübt gewesen war? Was dachte er sich überhaupt? Er war so dumm, das hier überhaupt zuzulassen! Aber egal wie sehr er sich selbst in Gedanken beschimpfte, er tat es nur, weil er gerade absolut aufgeregt war! Er war so gar viel zu früh hier am Hafen gewesen. Seine Finger waren kalt und zitterten vor Aufregung und er könnte sich in den Hintern treten. Daan bemerkte es sicher und dann grinste er nur, wie ein Volldepp, weil er mit allem recht hatte. Elvar hatte noch nie ein Date gehabt und trotz aller Vernunft, konnte er seine Aufregung nicht abschütteln oder seine Nerven beruhigen.

Zu der dunkelblauen Jeans und dem dunkelgrünem Shirt hatte er noch eine graue Beanie auf und trug schwarzblaue Stiefeletten. Seine Hände hatte er in seine Hosentaschen geschoben und versuchte sich mit dem Blick auf das glitzernde, ruhige Meer selbst zu beruhigen. Die Sonne schien heute, der Himmel war blau und es war angenehm warm für isländische Verhältnisse.

Daan war ebenfalls pünktlich. Er kam exakt fünf Minuten zu spät.

„Hey, sorry. Ich hoffe, du hast nicht zu lange gewartet.“ Daans Wangen waren leicht gerötet und er atmete schwerer. Sicher war er das letzte Stück gerannt. Dennoch schmollte Elvar.

„Na, du bist ja jetzt da.“ Elvar gab sich cool, als ob das alles hier total normal wäre. Aber als ihn die kühlen Fingerspitzen an der Wange berührten, zuckte er zusammen. Ja, total cool. „Was?“ Er wollte die Finger nehmen und wegschieben, aber Daan entwand sich ihm und umschloss die viel kälteren Finger.

„Du siehst hübsch aus.“ Daan lächelte so zuversichtlich, dass Elvar ihm vor Scharm am liebsten eine gescheuert hätte. „Aber deine Finger sind eisig. Du wartest doch schon lange, oder?“

„Nein, wie ich schon sagte. Und ich habe oft kalte Finger...“ Elvar erstickten die Worte, als er sah, wie Daan seine Finger anhob und mit seinen viel wärmeren Lippen berührte. Es war ganz zart, sein Atem war warm und doch... brannte diese Stelle so sehr nach. Er war sprachlos.

„Selbst wenn. Du erlaubst doch, dass ich sie dir heute wärme, nicht wahr?“ Wieder dieses Lächeln. Elvar schluckte, eh er sich zur Ordnung rief.

„Sag mal, muss das jetzt schon sein?!“ Er spürte wie seine Wangen wärmer wurden. Hoffentlich war er nicht rot geworden oder bitte, lass Daan denken, es läge an der Kälte – und das, wo es heute warm war...

„Was denn?“

„Musst du jetzt schon mit mir flirten?“ Mist, nun wurde er wirklich rot! Aber sonst tat auch niemand so was mit ihm. Er war irgendwie verwirrt und glücklich zu gleich.

„Ich hab ja nur heute, wo ich offiziell darf. Also werde ich jede Gelegenheit nutzen.“ Charmant umfasste er Elvars Finger und steckte sie zusammen mit seiner Hand in seine Jackentasche. Beide Hände hatte gut Platz und Elvar war über sich selbst erstaunt. Obwohl Daan ihn wieder aufzog, gestattete er all das heute mal. Es war ja nur dieser eine Tag. Dennoch sah es merkwürdig aus, wie seine Hand in der dunklen Lederjackentasche verschwand. So was hier hatte er wirklich noch nie erlebt. Vielleicht verzieh er Daan deshalb so schnell. Wenn er schon die Chance hatte, wollte auch er mal erfahren, wie das sonst so läuft, wenn Pärchen sich verabredeten.

„Ja, schon klar, aber übertreib es nicht.“

„Ich mache nur so lange, bis du dich in mich verliebst.“ Elvar hätte jetzt vieles machen können. Die Hand wegziehen, ihn anfauchen, das Date beenden, alles wäre wohl besser gewesen, als einfach nur ruhig zu bleiben und Daan mit einem gezielten, bohrenden Blick zu mustern.

„Du bist ja sehr überzeugt von dir...“

„Muss ich ja auch“, grinste Daan, doch stockte dieses Grinsen, als Elvar ihm ein Lächeln schenkte und dem Holländer dabei näher kam.

„Pass aber auf, dass du es nachher nicht bist, der an meinem Harken zappelt.“ Elvar kam Daan kurz näher und hatte nur leise ins Ohr gesprochen. Er legte all seine Überzeugungskraft und Verführungskunst in seinen Blick und allein für Daans Blick, hatte es sich gelohnt, Konter zu geben.

Als der Holländer sich wieder gefasst hatte, lenkte er gleich alle Aufmerksamkeit auf das Date. Sicherlich hatte Elvar sich schon Gedanken gemacht und eine Art Schlachtplan entworfen. Immerhin sollte dieser Tag super-mega-genial werden – und das in mehreren Schichten. Dass er damit am Ende richtig liegen würde, wusste er jetzt allerdings noch nicht.

Sie begannen den Tag mit einem Ausritt. Ganz in der Nähe von Grindavik gab es ein Gehöft mit Schulpferden. Alles Islandponys und alle gut auf Besucher eingestellt, die eigentlich nicht reiten konnten. Diese Pferde waren toll, fand Elvar. Sie waren schon seit Ewigkeiten auf der Insel und einige wurde sogar schon in jungen Jahren mit einigen Altpferden weiter oben auf den höheren Bergen allein gelassen und erst im Herbst wieder herunter getrieben. Elvar erzählte einiges, was er noch aus der Schule wusste. Über die Sagen und Märchen. Die Trolle, Elben und Gnome, die es hier überall auf der Insel gibt – zu deren Schutz selbst Straßen um deren Gebiete drum rum führten.

Wie damals die Wikinger hierher ausgewichen waren, weil auf England und in Schottland kein Platz für sie war, als sie aus ihrem eigenen Land geflohen sind. Damals war die Insel noch bewaldet. Daraus bauten die Siedler ihre ersten Häuser und Boote. Irgendwann aber ging das Holz zuneige und durch die vielen Tiere wuchsen keine Wälder mehr nach. Elvar schaute etwas betrübt, doch als sie an einer Herde von Schafen vorbei ritten, schnitt er ihnen gehässige Grimassen. Diese dummen, blöckenden Tiere waren schuld daran, dass kein Baumkeimling es schaffte, größer als zwei Zentimeter zu werden.

Daan seinerseits sah sich lange und ruhig um. Er hörte ihm zu und lachte ab und an, wenn eine Sage etwas lustiger war. Während er sich die weiten Felder, die langsam zur Steppe wurden, ansah, erzählte er Elvar einige von seinen Märchen und Sagen. Einige typisch für Holland und die Niederlande, andere waren die allseits bekannten Grimmschen Märchen. Aber vor allem bewunderte Daan die Landschaft. Und Elvar betrachtete Daan. Meist verstohlen, nur wenn sie erzählten, sah er ihm offen ins Gesicht und war wirklich gefangen von der Art, wie der Dunkelhaarige alles beschrieb.

„Ich habe in einer Dokumentation mal von Island gehört. Dort haben sie die Gletscher, die Wüste und die unwegsamen Krater gezeigt. Sie haben von den Vulkanen gesprochen und den mittelatlantischen Rücken. Stimmt es wirklich, dass die Vulkane hier so oft ausbrechen?“ Voller jugendlicher Neugier blickten diese braunen Augen ihn an und Elvar lachte nur.

„Naja. Mein Vater hatte einige Kleine miterlebt. Ich selbst kann mich nur verschwommen an einen erinnern, den ich mal gesehen hatte, als ich ganz klein war. Und dann sah ich auch nur die schwarzen Rauchschwaden in der Ferne. Nicht den Lavastrom vor der Tür.“

„Ach so... Schade.“ Daan wirkte enttäuscht und sah schon etwas niedlich aus, wie er auf seinem Pferd schmollte.

„Die Regierung würde alle evakuieren, eh die Lava zu nah käme“, erklärte Elvar amüsiert.

„Ja, hast ja recht. Hmm...“ Er sah sich um.

„Was?“

„Shh. Hast du das gehört?“ Wieder musste Elvar lächeln. Daan hatte verdammt gute Ohren. Selbst ihre Pferde fingen jetzt erst, an mit dem Schweif zu wedeln und am Zügel zu ziehen. Dennoch ließen sie sich leicht lenken.

„Los! Versuch Schritt zuhalten!“ Daan sah ihn an, da gab Elvar seinem Pferd schon die Sporen. Er galoppierte los und fühlte sich toll. Seit zwei Jahren ritt er nun schon. Angefangen hatte er in Norwegen und alsbald er wieder daheim war, hatte er sich einen Gutshof gesucht und war dann und wann heimlich zu Reitstunden gegangen. Es war immer wieder toll, wie der Wind an seinen Haaren und der Mütze zogen, wie alles in seinen Ohren rauchte und er nichts mehr hören musste. Es war sein persönliches Stück Freiheit, das sein Herz schneller schlagen ließ und ihm dieses unbeschreiblich schöne Gefühl schenkte. Eirik hatte für Tiere nichts übrig. Nicht mal für Hunde. Das Beste aber war, dass Elvar beim Reiten oft einfach nichts dachte. Keine Sorgen, nichts.

War es wirklich schon so lange her, dass er gefangen war?

Der Geysir war schon zu riechen und Elvar war sich sicher, dass er gewinnen würde, als an seiner Seite Daan auftauchte und ihn sogar um eine Nüsternlänge überholt hatte. Seine Haltung war die eines Reiters. Sicher und geschickt lenkte er das Pferd, grinste ihn an und wollte weiter an ihm vorbei ziehen. Dann fasste Elvar sich wieder und zog nach. Gleich auf hielten sie langsam vor dem Parkplatz, der sich mit mal mitten in der Steppe befand und so richtig fehl am Platz wirkte. Ebenso das kleine, weiße Häuschen mit dem großen Schild über der Tür, worauf »KASSE« stand.

Elvar keuchte, atmete schnell und versuchte seinen Plus wieder zu beruhigen. Langsam schritten die Handwerker mit ihren Pferden zu einem hölzernen Unterstand, der extra für Pferdereisende eingerichtet worden war.

„Du kannst reiten“, fragte Elvar noch außer Atem, aber mit bewundernder Überraschung in der Stimme.

„Sicher. Meine Tante meinte, es gehöre zu den guten Manieren eines Mannes, reiten zu können.“ Daan war ebenso außer Atem wie er. Das, wie auch sein Lächeln und die roten Wangen, machten ihn gerade einfach nur niedlich. „Sie bestand auch darauf, dass ich ein Instrument lerne. Am besten Geige oder Klavier, aber ich bin dazu einfach zu ungeschickt. Ein Klavier reparieren kann ich, aber spielen nicht. Für sie war das ein Ding der Unmöglichkeit.“

„Hehe, na nur gut, dass dich Reiten so interessiert hat“, grinste Elvar und band sein Pferd vor der Tränke fest. Als beide Pferde sicher standen und sie sich aus ihrem Rucksack die Wasserflasche geholt hatten, gingen sie weiter zur Kasse.

„Wolltest du nicht, nicht mit mir herkommen?“

„Schon, aber ich dachte mir, dass es vielleicht doch ganz schön wäre, wenn ich dir die Insel zeige.“

„Und was ist mit dem 'Ich werde alles ruinieren'-Spruch?“ Elvar sah ins Braun und winkte dann ab. Sicher hatte er tiefgründigere Gedanken, als nur nett zu sein. Aber die konnte er Daan doch nicht einfach so verraten.

„Ich dachte nur, dass es ein schöner Ort zum Reden ist.“

„Das war es auf den Pferden auch.“ Daan ließ nicht locker und Elvar schenkte ihm einen grimmigen Blick.

„Willst du nun oder nicht?“ Daan lächelte und lenkte ein. Eigentlich wollte Elvar bezahlen, doch beim Packen seines Rucksackes hatte er sein Portemonnaie vergessen. Daan bezahlte und versuchte, Elvar mit netten Worten zu versöhnen – was ihm leider auch gelang. Er erzählte einen Witz, Elvar lachte und schon war das Schmollen vergessen. Wie auch immer Daan das machte, es war entwaffnend! Auch jetzt, als sie den leicht glitschigen Weg bis zur Absperrung gegangen waren. Vor ihnen breitete sich eine wüste Fläche aus. Der Boden schimmerte wässrig in verschiedenen Farben der Erde. Da war der normale dunkle Oberflächenboden, je näher man an ein Loch kam, desto heller wurde das Sediment. Farben von Ockergelb bis zu Rostrot. Elvar zählte 4 große Löcher aus denen warmer Dampf austrat. Dann grummelte die Erde und aus dem hinterstem Loch wurde Wasser in einer fünf Meter hohen Fontäne gespien, dass sich dann in feinsten Niesel verwandelte und vom Wind getragen wurde. Es war wärmer hier und außer ihnen war noch niemand hier. Es war wohl noch zu früh für Besucher. Dabei war das die am dichtesten gelegene Quelle, die auch Besucher zu ließ.

Aber andere Besucher waren Elvar egal. Daan sah gerade unglaublich aus. Unverhohlen musterte Elvar sein Profil. Es war markant, aber nicht zu sehr. Die braunen Augen bekamen in dem warmen Sonnenschein einen eigenen Glanz und die eigentlich vorhin noch perfekt gemachten Haare lagen jetzt wirr von Ritt und Wind da. Eine Strähne lag so falsch, dass Elvar sich zweimal daran hindern musste, sie zu richten. Dann war der erste Geysir leer und versiegte wieder.

„Hast du das gesehen? Das war unglaublich! Und das alles wegen Hitze und Wasser in der Erde“, er sah den Tischler erstaunt an und wirkte wie ein kleiner Junge. So süß, dachte Elvar und legte ihm die Strähne nun doch richtig hin. Der zweite Geysir brach los, doch Daan blickte nur ins Grün. Als Elvar es bemerkte, blinzelte er schnell und wandte sich zu den Geysiren um. Wie peinlich, dachte er nur und besah sich nun die zweite Fontäne.

„Ja, schon erstaunlich, was Mutter Natur so alles schafft, ne?“ Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Daan seine Haare anfasste und nun selbst richtete. Elvar kaute auf seiner Unterlippe und seine Finger kribbelten. Daans Haare waren trotz des Gels weich und...

„Elvar?“ Innerlich erschrak er, doch drehte er sich etwas mehr zu Daan. Seinen Blick hielt er auf das Kinn gerichtet. Besser als die Augen, dachte er. „Mir gefällt es hier.“ Sein Magen kribbelte und er stellte fest, dass es dumm war, auf das Kinn zu sehen. Da waren die Lippen, schmal und hell und sie redeten von ihnen beiden. „Es ist heute beinahe das erste Mal, dass ich dich einfach nur als dich selbst erlebe. Losgelöst und total locker“, fuhr Daan fort und Elvar dachte nur, dass er gerade alles andere als locker war. Seine eine Hand griff fester an das raue Seil, das als Absperrung diente. Ja, er war total locker. Wenn er nicht aufpasste, würde er gleich einen Fehler machen. Obwohl er innerlich irgendwie schon wusste, dass er den Fehler längst begangen hatte.

So in Gedanken versunken bemerkte Elvar den musternden Blick nicht. Er wusste nicht, wie seine verkrampfte Hand, sein abwesendes Gesicht, die roten Wangen, die niedergeschlagenen Lider und die gematerte Lippe auf den Holländer wirkten. Er gab es ja zu, er hatte überhaupt keine Ahnung. Nicht von Dates und nicht von Menschen. Er war ein Einsiedlerkrebs und damit bisher immer sehr glücklich gewesen. Denn allein war es vielleicht manchmal einsam, aber mit der richtigen Denkweise, konnte er ebenso viel Spaß haben wie andere.

Und doch wich er nicht zurück, als die wärmeren Finger sich unter sein Kinn legten – vermutlich wäre er nur hingefallen mit seinen wackeligen Beinen. Sein Kopf wurde angehoben und unwillkürlich sah das Grün ins Braun. Der Daumen zog etwas an seinem Kinn und Elvar entließ seine Unterlippe, die nun sicherlich schön gerötet aussah. Das Braun war unnatürlich dunkel, trotz der vielen Lichtreflexe. Die Augen sahen ihn gebannt an und Elvar umfasste das Seil nur noch fester. Der zweite Geysir war versiegt und doch rauschte es noch immer in seinen Ohren. Elvar holte Luft und wollte etwas sagen, doch erstickte der erste Laut in seiner Kehle, als Daan den Kopf schüttelte und den anderen Arm um seine Taille legte. Elvars freier Arm baumelte nutzlos an seiner Seite und gerade schlug ihm sein Herz so sehr, dass er glaubte, man müsste es doch in seinem Hals sehen können. Zur Sicherheit hielt er auch noch die Luft an.

„Es ist vielleicht etwas früh, aber du lässt mir ja keine Wahl.“ Daans Worte klangen so laut in seinen Ohren, dabei waren sie so leise gesprochen worden. Elvar holte nochmals Luft, wollte etwas Trotziges erwidern und hatte es im nächsten Moment vergessen. Warme Lippen lagen auf seinen. Das Grün starrte aus großen Augen ins Braun. Ein Braun, das ihn zwang, die Lider zu senken und zu fühlen. Elvars Herz schlug jetzt so schnell und unregelmäßig, dass jedes EKG gemeckert hätte. Seine Lippen schienen übersensibel zu sein und er hatte Null Erfahrung im Küssen, und trotzdem folgte er den vorgegebenen Bewegungen, ahmte sie nach und mit mal befand er sich in seinem ersten richtigen, atemraubenden Kuss. Der Arm um seine Taille zog ihn näher und endlich ließ er das Seil los. Seine Hände griffen nach Daans Jackenärmeln und hielten sich daran fest. Die Hand an seinem Kinn hielt ihn bei sich, als sie sich das erste Mal lösten und Luft holten. Das Braun sah jetzt anders aus. Irgendwie wärmer, weicher und unendlich tief. Der Geysir, ihnen am nächsten, spie nun seine Fontäne hoch und hüllte sie beide in weichen, nassen Nieselnebel.

„Daan...“ Er kam nicht weit. Die Hand vom Kinn legte sich nun in seinen Nacken, zog ungeschickt an seiner Beanie und hielt ihn doch sicher fest. Wieder küsste Daan ihn und diesmal irgendwie anders. Energischer, dass Elvar sich erst erschrak und dann seufzend nachgab und ihn einfach machen ließ. Daan küsste gut. Wirklich gut. Auf eine Weise, der er nicht widerstehen konnte oder wollte. Für den Moment wollte Elvar nur, dass Daan ihn hielt und niemand anderes mehr von ihm so geküsst werden dürfte. Näher zog er sich, öffnete auf eine Ahnung hin die Lippen und versuchte dem aufkommenden Schwindel stand zu halten. Die warme Zunge in seinem Mund war erst sonderbar, doch ebenso aufregend und bei Gott, er bot Daan sogar mehr Raum, um sich auszutoben, eh Elvar sich auch traute und in den Kampf einstieg.

Keuchend löste er sich. Sein Plus schlug deutlich in seine Ohren und seine Wangen waren mindestens genauso rot wie die Daans. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Hände sich in Daans Haar und seinen Nacken gestohlen hatten. Verwundert sah er sich das an, als er langsam zu Atem kam und seine Hände wieder senkte. Er dachte, Daan ließe ihn ebenso los und wollte sich abwenden, doch es ging nicht. Denn der Mechaniker hielt ihn immer noch bei sich. Als Elvar sich ihm wieder zuwandte, legte dieser ihm nur seinen Kopf auf die Schulter.

„Elvar, lass uns noch eine Runde reiten gehen“, flüsterte Daan. Für einen Moment wurde Elvar rot, denn er dachte zu zweideutig, eh ihm die Pferde wieder einfielen. Für eine Sekunde war der Tischler enttäuscht, dann lehnte er seinen Kopf gegen Daans und zog den muffigen Geruch der Umgebung ein, sowie den herben des Mechanikers.

„Gern.“

Als sie zurückgingen, kamen ihnen erste Besucher entgegen. Eine junge Familie, ein älteres Paar und an der Kasse stand noch eine ganze Reisegruppe. Elvar wusste nicht, was er denken sollte. Seine Gedanken waren ruhig und aufgewühlt zugleich. Er war so mit sich beschäftigt, dass es ihn nicht störte, seine Hand in Daans zu wissen oder dass sie von einigen Besuchern ausgibig gemustert wurden. Wahrscheinlich war Elvar immer noch hoch rot und wie sollte er auch nicht. Das eben war sein erster Kuss. Sein erster, wirklich echter, gefühlvoller Kuss. Nicht so wie das, was Eirik vor zwei Jahren mal gemacht hatte. Sein Herz beruhigte sich nur langsam, was Elvar einerseits nur recht war. Andererseits war er schon etwas enttäuscht. Was war dieser Kuss? Gehörte das nur zu Daans Plan, ihn verliebt zu machen? Aber warum hatte er dann so erregt und verwundert gewirkt?

Der Ritt zurück wurde wesentlich ruhiger. Sie sprach hier und da noch mal über die Landschaft, aber nicht über sich. Die Fragn, die er eigentlich noch zu Daan und dessen Leben stellen wollte, blieben ihn jäh im Halse stecken. Elvar konnte sich nicht vorstellen, dass es Daan nichts ausgemacht hatte. So energisch, so...

„Da sind Schafe.“ Grob wurde Elvar aus seinen abschweifenden Gedanken gerissen und starrte erst Daan, dann die Herde von Schafen an. Verärgert verzog Elvar das Gesicht.

„Blödes Viehzeug...“

„Magst du keine Schafe?“

„Nein, das sind die natürlichen Feinde aller Bäume.“ Er seufzte, dann lenkte er sein Pferd langsam durch die Schafe.

„Ich glaube, wir sollten lieber absteigen.“

„Glaub ich auch...“

Mit den Zügeln in der Hand kamen sie wesentlich leichter durch die Herde. Aber immer noch sehr langsam. Elvars Laune hob das nicht, anders als Daans. Er wuschelte in den dichten Fellen und lächelte. Tss, wie konnte er nur so blödes Viehzeug anlächeln? Eben hatte er noch ihn so angelächelt... Betrübt sah er zu dem Mechaniker herüber, der sich einen anderen Weg durch die Schafe suchte und ihn schon beinahe überholt hatte. Energisch schüttelte Elvar den Kopf und hätte sich am liebsten selbst geschlagen. Was dachte er hier bitte?! Er war doch nicht wirklich im Begriff, sich in Daan zu verlieben?

Prüfend sah er auf und musste schmunzeln. Daan wurde von so vielen Schafen umzingelt, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Gerade kam eines von hinten an und stupste ihn an die Seite, was den Mechaniker mächtig zusammenzucken ließ. Amüsiert lächelte Elvar.

Es waren doch nur dumme Schafe.

Gegen Zwei Uhr waren sie wieder zurück auf dem Gutshof. Der Besitzer hatte schon auf sie gewartet, doch lachte er nur, als sie ihm von der Schafsherde erzählten. Anschließend holten sie sich einen Döner und aßen ihn ganz unromantisch am Hafen.

Für Elvars Geschmack verlief der restliche Tag eher wie ein normales Treffen unter Freunden. Daan flirtete nur noch ab und an mit ihm, und dann eher halbherzig. Er hatte sich irgendwie mehr vorgestellt. Gerade nach dem Kuss, aber, ach, so genau wusste er auch nicht, was er wollte.

Am Abend fuhren sie mit dem Bus einen Teil der Strecke zu Elvars Hof zurück und gingen den Rest schweigend nebeneinander her. Was war das nur für ein Tag? Irgendwas war komisch und das war nicht er. Mit Mal griff Daan nach Elvars Hand und verschränkte die Finger in seinen. Elvar Herz stolperte. Eben noch hatte er daran denken müssen, aber dass Daan es wirklich tun würde? Wieder war er so nervös und das von einer einzigen Berührung. Beinahe schüchtern sah er zu Daan, welcher nur geradeaus sah. In Gedanken versunken und endlich sah er so aus, wie er schon die ganze Zeit ausgesehen haben sollte. Unerreichbar für ihn. Elvar steckte hier in seinem Sumpf fest und Daan war jemand, der von oben auf ihn herabstrahlte. Mit all seinen edlen Ansichten und überhaupt!

„Du musst mich nicht zuhause absetzten. Es wird bald dunkel und dein Weg heim ist noch weit.“

„Ich dachte, ich darf bei dir schlafen?“ Überrascht sah Elvar ins amüsierte Braun.

„Wo denn bitte? Die Couch ist dir doch viel zu hart.“

„Hast du nicht Stroh in deinem Schuppen?“ Erstaunt musste Elvar blinzeln.

„Ja, schon, aber der Schuppen ist zugig und im Stroh gibt’s bestimmt Mäuse.“ Doch Daan zuckte mit den Schultern.

„Stört mich nicht. Also, wenn du nichts dagegen hast und vielleicht noch einen Schlafsack dazu, dürfte ich dann?“ Dieses amüsierte Braun war so anziehend und sah Elvar auf eine Weise an, dass er sich gezwungen fühlte „Ja“ zu sagen.

„Warum willst du hier übernachten?“ Ein kleines bisschen dumme Hoffnung machte sich in ihm breit. Vielleicht hatte er es ja geschafft Daan in sich...?

„Na, damit wir morgen ganz früh anfangen können. Immerhin haben wir heute einen ganzen Tag blau gemacht“, grinste Daan. Der Funken Hoffnung in Elvar erstarb. Ach ja... klar... es war schon süß, dass Daan da an ihn dachte, denn er hatte in der letzten Zeit ja deutlich gemacht, dass er lieber in Ruhe seine Aufträge fertig bekäme. Er hatte eine ganze Woche durch Krankheit verloren und ihnen blieben nur noch etwas mehr als zwei Monate. Dazu hatte er Daan immer wieder gesagt, dass er ja Eirik hatte. Er war schon 'vergeben' und Daan sollte sich keine Hoffnungen machen oder mit ihm spielen. Nein... Sein Herz tat weh. Verdammt, nun war er doch drauf reingefallen. Wie konnte er nur so dumm sein? Sein Sumpf, sein Käfig waren hier. Er blickte auf und sah das schief hängende Tor des Hofes, als er Daans Hand in seiner fester drückte.

„Wie nett von dir, aber ich möchte das 'Date' hier gerne beenden. Wie ich dir gesagt habe, wirst du mich nicht überzeugt bekommen. Besser du schläfst heute bei dir.“

„Ähm, aber Elvar? Wie kommst du darauf?“ Selbstironisch lächelte der Tischler, eh er sich von der größeren Hand losriss.

„Wie ich darauf komme?! Das zeigst du mir doch die ganze Zeit! Pah! Ich soll mich in dich verlieben? So ein Scheiß! Was würde mir das bringen? Etwa, dass ich mich von Eirik befreie, dass ich danach ganz alleine bleibe und dich vielleicht mal sehe, wenn ich in die Firma fahre? Am besten zusammen mit einem neuen Lover? Nein. Danke. Da lass ich lieber alles, wie es ist. Klar fühl ich mich nicht wohl bei ihm, aber von ihm werde ich gebraucht und das ohne Liebe. Und sobald der Vertrag eingelöst ist, bin ich eh frei. Das stell ich mir erträglicher vor, als mein Herz von dir brechen zu lassen.“ Leider füllten seine Augen sich mit Tränen. Er redete gerade so großspurig, dabei war es doch schon zu spät. Und Daan sah ihn nur verwirrt an. Es tat ihm leid und machte ihn wütend. Warum sagte er nichts?! „Oder was war das heute bei der Quelle? Küsst du jeden einfach nur so und dann buff? Denkst du, das reiche, um ein Herz zu stehlen?“

„Elvar, warte mal. Was? Ich mein... das vorhin-“

„Vor allem du-“ Elvar knurrte das letzte Wort beinahe, als er nun seine ganze Wut spürte. „Kommst daher und glaubst, mit Nettigkeit alles lösen zu können und mischst dich da ein, wo es dich absolut nichts angeht! Tu mir einen Gefallen und verschwinde wieder dahin, wo du herkommst!“ Damit drehte Elvar sich um und rannte auf seinen Hof. Er weinte und wusste, dass er nun alles kaputt gemacht hatte. Aber besser so, als noch länger so gequält zu werden. Das Schlimme war nur, dass er es viel zu spät gemerkt hatte. Daans Wunsch hatte sich heute Vormittag schon erfüllt. Vielleicht sogar schon vor dem Kuss?

Elvar riss die Haustür auf und trat keuchend in den Flur. Er stützte seine Arme auf den Knien ab und wusste sich in Sicherheit. Als er aufsah, meinte er Eirik zu sehen und schon überzog sich sein Körper mit einer eisigen Gänsehaut. Nein, er wollte nicht...

„Verdammt! Renn doch nicht weg!“ Erschrocken drehte Elvar sich zur Tür und sah Daan. Nein... „Was war das eben für Blödsinn?“

„Hau ab. Warum folgst du mir?“

„Weil ich wissen will, was in deinem Schädel vor sich geht.“

„Das geht dich ja wohl einen feuchten Dreck an!“ Daan trat auf ihn zu und wieder fand Elvar es schwer, dem dunklen Braun zu widerstehen.

„Warum willst du das Date beenden?“

„Hab ich doch schon gesagt...“

„Was war an dem Kuss falsch?“ Gott, musste Daan ihn so leidlich ansehen? Elvar wich zurück, wollte weiter in die Wohnung rennen, doch Daan griff nach seiner Hand und zog ihn zurück.

„Lass mich los!“

„Nein, du läufst nur wieder weg.“

„Was ist dein Problem, man! Lass mich los. Lass mich los!“ Je mehr Elvar sich wehrte, desto entschiedener zog Daan ihn an sich. Er umfasste sicher den zweiten Unterarm und im nächsten Moment hielt Daan ihn im Arm. „Lass. Mich. Du bist genauso schlimm wie Eirik“, schrie er nun und hoffte Daan damit endgültig verletzt zu haben. Aber der hielt ihn noch immer im Arm. Es war warm und Daan roch nach Metall, frischer Luft und frischen Sachen, nach etwas Schaf und Pferd und muffigen Wasser, aber auch nach sich selbst. Es war so gemein. Warum? Warum musste er sich auch in ihm verlieben?

„Warum?“ Seine Tränen kamen schneller, als er wollte, „Warum bist du so? Ich gehe dich nichts an. Warum hilfst du mir? Warum verwirrst du mich so?“ Er schluchzte und griff doch in Daans Jacke, in der er sein Gesicht versteckte. Wenn er sich was wünschen dürfte, würde er gerne mit Daan zusammen sein. Er wollte dieses Lachen für sich, die fesselnden braunen Augen und nochmal so einen Kuss. Er hatte für die Minuten alles vergessen. Es war wie beim Reiten und doch viel besser, denn er war nicht allein.

Daan aber hielt ihn, zog ihn sogar noch näher und wartete, bis er sich etwas ausgeweint hatte.

„Du gehst mich sogar sehr viel an“, begann Daan nun leise zu sprechen. „Wenn ich dich verwirre, um so besser, aber ich will dir einfach helfen.“

„Warum“, kam es verweint von Elvar und er merkte, wie Daan den Kopf bewegte und ihn ansah. Es war eine Weile still, eh Daan doch antwortete.

„Ich habe einen Grund, aber ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich es deswegen mache. Ich dachte, wenn ich dir helfe, bin ich ein guter Mensch und kann mich selbst wieder ansehen.“ Elvar wollte Daan gerne ansehen, doch der zog ihn enger in seine Arme, was dem Tischler die Hitze in die Wange trieb. War Daan immer so warm? „Bevor ich hergekommen bin, waren die letzten Jahre ein einziges Chaos. Aber wenn du willst, erzähle ich es dir.“ Nun schwieg Daan und Elvar spürte, wie unruhig sein Herz schlug. Er hörte es laut und deutlich an seinem Ohr pochen.

„Ich würde es gerne hören“, sagte er leise. Immerhin weinte er nicht mehr. Vorsichtig schob Elvar sich von Daan weg und traute sich, ihm ins Gesicht zu sehen. Daan verzog verbittert das Gesicht und schien schon in Gedanken versunken zu sein. Doch dann sah er ihn an und das Braun wirkte beinahe schwarz. Eine warme Hand legte sich an Elvars Wange und ließ ihn scharf die Luft einziehen, als er diesen sanften Kuss so unerwartet auf seinen Lippen spürte. Nur kurz. Dann sah das Grün wieder auf – stumm fragend, was das sollte.

„Eine lange Geschichte. Machen wir es uns gemütlich?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rees
2015-12-01T19:57:30+00:00 01.12.2015 20:57
So herzlich willkommen zu einer neuen runde reichiis unqualifizierte kommentare :P
Denn jetzt komm ich auch dazu es zu lesen und ich freu mich schon sehr drauf, also los.
warum haben die eigentlich ein date am Mittwoch? Und klar sollte elvar sich gedanken um seine unterwäsche machen xd und es ist ja niedlich, dass er sich so was schon fragt *lach* ach ja elvar… du bist schon ganz schön verknallt, auch wenn du das nicht zugeben willst…
ach ja schön händchen halten… das ich voll niedlich
so und ganz viel mehr kann ich auch erstmal nicht sagen ausßer: süüüüüüüüüüüüüüüßßßßßßßßßßß, niedlichhhhhhhhhhhhh, sweeeeeeeeeeeeeet...
hihi und reiten, jetzt so ernsthaft???
und der kuss... ach schmaaaaaaaaaaaacht..
und daan hat sich glaub ich auch etwas verknallt... und elvar soll sich nicht so komische dinge ausdenken... aber daan erzählt ihm ja jetzt alles, worauf ich auch schon sehr gespannt bin....

Reichii ende


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