...Empfinde keine Reue.
Ein zuckendes Schnäuzchen tauchte über einem Kaffeebecher auf. Die kleine blaue Zunge streckte sich - ganz lang - und tippte die Flüssigkeit an. Heissss.... Ein Schaudern durchlief die ganze Kreatur. Sie war eine kleine Schönheit. Ein blaues Kaninchen, mit sanften, gelben Augen. Und der Kaffee war eine Katastrophe! Das Kaninchen sah mit einem Auge in den Becher. Bodenseekaffee... Uwwww, nein.
Der Blondschopf, auf dessen Tisch das Kaninchen saß, schwatzte fröhlich mit den anderen Jugendlichen. Sie waren in einer Art großem Raum. Wo Menschen Essen bekamen. Oder so. Das System war dem Kaninchen noch fremd. Und es wollte hier auch gar nichts verstehen.
Plötzlich! Da, ein unharmonischer Laut. Wie Fingernägel auf einer Tafel. Aber so leise, dass es gewiss keiner hören konnte. Außer das Kaninchen. Es richtete sich auf und spitzte die Ohren, was zu ein paar "Oh, wie süß", Ausrufen führte. Nervig.
Der Misston kam aus einer Ecke. Es war eine Unterhaltung mit stark verzerrten Stimmen. Dann ein paar Ausrufe. Ein Strahl auf einen Jungen. Und dann Schwärze in der Luft. Die Welt veränderte sich. Schnappte ins Dunkel. Um das Kaninchen herum wurden Schreie laut. Jungen stritten sich. Es ging um Essstäbchen. Und schließlich sah das Kaninchen das Monster. "Altaaa, iwwa'treib's nett'", brummte es mit viel zu tiefer Stimme und sprang mit einem Satz vom Tisch. Die Menschen beachteten es nicht mehr, waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Überall flog Essen herum. Und Kinder. Das Kaninchen musste mehrfach den stürzenden Zweibeinern ausweichen, als es mit großen Sprüngen den Gestalten hinterherrannte, die wohl die Ursache für diese Katastrophe waren.
Hin und wieder Aufsetzen und hören, ob die Richtung stimmt. Weiterrennen. Die Treppe hinaufspringen. Jede einzelne Stufe verfluchen. Weiter hoch. Immer Weiter...
Wollten die in den Turm, oder was? Die Lungen des Kaninchens brannten. Es kletterte nunmehr jede Stufe einzeln hoch. Es war ziemlich fertig. Die Stimmen waren aber noch weiter oben. Es quälte sich weiter, um beim nächsten Treppenabsatz eine Pause zu machen. Total fertig rollte es auf den Boden.
Eine riesige Explosion erschütterte das Gebäude. Komplett erschrocken sprang das Kaninchen auf die Füße. Es schleppte sich ächzend mit hängenden Ohren zum nächsten Fenster, blickte hinaus... und stutzte. "Altaaa', mach' mich net narrisch'", brummte es, drehte sich kurz und trat mit den Hinterläufen die Scheibe ein. Diese Gewalttat blieb unbemerkt, denn unten entbrannte gerade ein Megashowdown. Das Kaninchen kauerte sich vors Fenster und beobachtete mit aufgestellten Ohren das Geschehen. Das Monster von unten war durch die Wand gebrochen. Und Kämpfte gegen Fünf Mädchen. Nein... Kerle. Das Kaninchen schüttelte den Kopf. Dass sich manche Leute immer so anziehen mussten, wie das andere Geschlecht. Aber viel auffälliger war der verzerrte Kopf. Hm... Ein Schimmern durchlief die gelben Augen des Kaninchens. So war es besser. Es konnte durch die Privatsspähreeinstellung spielend umgehen. "Wer hatt'n die Typen faa'broche?", fragte es laut ins leere Treppenhaus. Bestimmt irgendwer, der sich am Rand aufhielt. Aufmerksam suchten die Augen des blauen Kaninchens die Wiese ab. Doch immer wieder wurde es vom Kampf abgelenkt. Die lauten Geräusche, das Gerede… nicht gut für ein Wesen, dessen stärkster Sinn das Hören war. Es schüttelte sich. Richtete sich wieder auf. Nun, dort unten war eines der Ziele. Nur Wo, das war die Frage. Andererseits - und damit wandte das Kaninchen den Blick vom Fenster ab und sah zur Treppe - war oben ganz sicher eines der Ziele. Mit neuer Kraft spurtete es die Treppe hoch. Tatsächlich bis ganz oben hin. Die Luke stand offen. Unten schien es wieder ruhig geworden, doch oben waren noch Menschen. Sie sprachen mit verzerrten Stimmen. Das Kaninchen hielt unterhalb der Luke inne und spitzte die Ohren. Es zuckte kurz zusammen und konnte die normalen Stimmen hören. Wesentlich angenehmer. Dann atmete es tiiief durch und stellte sich auf die Hinterläufe, sodass erst die langen Löffel, dann das Köpfchen über den Rand schauen konnte. Noch bemerkte es keiner der Drei. Aber die waren auch nicht für das Kaninchen interessant. Wohl aber das kleine Knäul, dass in des einen Tasche steckte. Der Donner. Die Ohren des Kaninchen legten sich an, und auch wenn diese Tiere nicht zu richtiger Mimik fähig sind - jeder, der das Kaninchen jetzt angesehen hätte, würde schwören, dass es gewinnsicher lächelte. Wie ein Raubtier, dessen Beute in der Falle sitzt. Irgendwie.
Leise zog es sich hinauf auf den Boden und kauerte sich dort hin. Die Menschen sprachen noch, aber das war unerheblich. Es fuhr die königsblauen Klauen aus, scharf, wie die Krallen einer Katze. Er würde das grün schimmernde Etwas jetzt fangen und Töten. Für die Gerechtigkeit. Für die gute Sache! Die Menschen ahnten noch nichts, obwohl ihre Unterhaltung versiegte. Das blaue Kaninchen spannte die Beinmuskeln an, aktivierte alle Kraft, die es hatte. Und dann katapultierte es sich nach vorn. Schneller, als ein Pfeil und so tödlich wie ein angreifender Tiger. Es war pure Kraft. Pure Vernichtungsmacht. Mit ausgefahrenen Krallen sprang es… ins Nichts?
Wo waren die Menschen hin?!
Wo war Donner?!
Komplett irritiert fing das Kaninchen zu strampeln an und fand sich dennoch in der Luft und im freien Fall wieder. Warum waren die Menschen weg…? Moment… Hatten sie nicht eben etwas von 'Springen' gesagt? Tatsächlich! Bei einer Drehung erblickte das Kaninchen die Menschen, wie sie sich mit übernatürlicher Sprungkraft vom Acker machten. "Faaa'dammt!", heulte es auf, als es vom Fallwind herumgewirbelt wurde und nun mit dem Rücken voran dem Boden sehr schnell immer näher kam. Viel zu schnell. Es versuchte verzweifelt, spontan fliegen zu lernen und strampelte unbeholfen in der Luft. Aber es half nichts. Wie eine Kanonenkugel fiel es vom Himmel und landete auf einem Menschen, der im Gras auf einem Haufen Einwegessstäbchen lag. Von diesem prallte es ab, rollte ins Gras und verlor das Bewusstsein.
Als die Sinne des blauen Kaninchens wieder Meldung machten, stand der Mond schon hoch am Himmel. Erst zuckte ein Ohr. Dann ein Barthaar und schließlich erhob sich das kleine Wesen aus dem Gras. Während der Bewusstlosigkeit hatte sich sein Körper komplett regeneriert. Es blieb nur die Erinnerung an den Fall und den Schmerz. Und eine tiefe Müdigkeit.
Es zitterte am ganzen Leib.
Kurz sah es hoch und seufzte. Heimzulaufen, dazu war es nicht mehr in der Lage. Also tappte es nur zu einer Straße, schnappte sich den erstbesten Menschen mit einer unfreundlichen Gedankenkontrolle und lies sich nach Hause bringen.
Dort zog es sich müde durch die Katzenklappe rein und humpelte in sein Zimmer. Der Blondschopf lag schon im Bett des Kaninchens. Nun, eigentlich war es schon das Bett des Menschen, aber… nun ja. Lassen wir das. Wenn der Blondschopfglaubte, dass sich das Kaninchen dazu hinabließ, in einem Hundekorb zu schlafen, dann war er eben selbst schuld. Mit einem letzten Kraftaufwand sprang das Kaninchen aufs Bett und lies sich schwer auf das Kissen fallen. Neben ihm in den Laken regte sich etwas und blaue Augen blinzelten ihn unschuldig an.
"Hast du dein Ziel erreichen können?", fragte der Blonde schläfrig.
Das Kaninchen schnaufte, doch wurden seine gelben Augen sanft. "Nee…, awwa'sch werd's morj'che widdaa' faa'suche'. Ich lass'e net entkomme'." Mit diesen Worten in angefressenem Tonfall rollte es sich zusammen und schwieg. Der Mensch grinste, streichelte dem Kaninchen sacht durch das blaue Fell und kuschelte seine Wange an es. Er hatte vermutlich kein Wort verstanden. Das Kaninchen schnaufte nochmal, diesmal versöhnlicher er Natur und schlief ein.
Der nächste Morgen konnte kommen.
