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The Karanest Tales

Geschichten rund um Ansedom
von

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Die Runen von Karn

Irgendwo tropfte Wasser beständig auf Stein. Das Geräusch hallte laut durch die dunklen Gänge. Wenigstens würde er hier unten nicht verdursten. Seit Stunden schon wanderte der Welt berühmtester (und berüchtigtster) Archäologe und Schatzjäger durch die Katakomben. Die Fackel knisterte und spuckte Funken. Von monotonem Tropfgeräusch begleitet, folgte er dem dunklen düsteren Gang. Alles deutete darauf hin, dass hier unten seit Jahrhunderten keiner mehr gewesen war. Vorsichtig teilte er ein riesiges Spinnennetz. Wie immer blieb ein Teil davon äußerst dekorativ an seinem unverwechselbaren Schlapphut hängen. Er machte sich schon gar nicht mehr die Mühe, es beiseite zu wischen. In der felsigen Wand entdeckte er einige Vertiefungen. Der Abenteurer hielt die lodernde Fackel dichter an die Wand um sie genau untersuchen zu können. Sein kundiges Fachauge identifizierte sie als einfache Kratzer, wohl verursacht durch die Eisenbeschläge einer Holzkiste. Er datierte sie auf irgendwann zwischen 1760 - 1810 a.D. Er war auf dem richtigen Weg! In diesem ganz besonderen Fall hatte das X doch einen bedeutenden Punkt markiert.
 

Der Schatzjäger war auf der Suche nach den Runen von Carn. Gemäß der alten Chronik, die er in der Bibliothek entdeckt hatte, würden diese ihn zum "aurun liquide" also zum flüssigen Gold führen. Von einem "Via occulta" war die Rede gewesen. Er war allen Hinweisen gefolgt und hatte ihn entdeckt.
 

Neben der verkrüppelten Pinie führte ein verborgener Pfad tief in die Klippen hinein. Drei Schritte hinter dem Felsen, der aussah wie eine alte Frau, unter dem Wasserfall hindurch fand er den alten Schmugglertunnel. Aus der Zeit der Schmuggler stammten wohl auch die Kratzer, die er soeben entdeckt hatte. Es musste schnell gehen damals, die Patrouillen kannten mit Schmugglern keine Gnade. Unser Held sah die Szene vor sich: Die von qualmenden Pechfackeln nur vage erhellten Gänge, die schwitzenden Seeleute, die hastig und verstohlen über den Strand zu dem Tunnel stapften, schwer beladen mit Fässern voll Rum, Kisten voll edlem Champagner und mit Ballen von kostbarstem Brokat und leuchtender Seide. So manches Vermögen mochte in solchen Nächten begründet worden sein. Doch diese Schätze interessierten den Archäologen nicht. Er war, selbstverständlich aus rein uneigennützigen Gründen, nur an den Runen von Carn interessiert.
 

Der Gang gabelte sich. Nach einem kurzen Blick auf seinen Plan entschied er sich für den linken Tunnel. Stirnrunzelnd betrachte er Maß- und Zeitangaben, die er hastig daneben gekritzelt hatte. Laut Plan müsste jetzt bald eine Brücke kommen.
 

Die Brücke entpuppte sich als morsches Brett, das über eine Spalte im Tunnelboden gelegt worden war. Vorsichtig tippte er mit der Zehenspitze dagegen. Er glaubte nicht, dass es ihn halten würde. Allzeit Bereit! Das Motto der Pfadfinder galt auch ihm. Er löste die Peitsche von seinem Gürtel, holte schwungvoll aus und schwang sie geschickt in Richtung eines Balkens an der Tunneldecke [es ist immer ein Balken da, wenn man einen braucht]. Die Lederschnur wand sich um das Holz, er zog die Windungen an und schwang sich dann über den Abgrund. Ein Ruck und die Peitsche war wieder frei. Der Abenteuer hängte sie zurück an den Gürtel und tätschelte zufrieden den Griff. Dem hatten sie es aber gezeigt! Von so einem läppischen Abgrund von mindestens einem halben Meter ... hust ... Kilometer Breite ließ er sich doch nicht aufhalten.
 

Das Aussehen des Tunnels hatte sich geändert. War es bis jetzt eine auf natürliche Weise, vermutlich durch Wasserkraft, entstandene Spalte im Fels, so zeigte er jetzt deutliche Spuren von Bearbeitung. An manchen Stellen war die Decke mit Holzpfosten abgestützt und der Fels von Menschenhand verbreitert worden. Der berühmte Archäologe bemühte sich, seine Aufregung zu unterdrücken. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein. Und in der Tat, er stieß auf roh behauene Felsstufen, die nach oben führten. Misstrauisch musterte er seine Fackel. Hielt sie noch bis zum Ausgang durch? Für Notfälle hatte er ja noch seinen Glücksbringer dabei.
 

Mutig erklomm er die Stufen. Er stellte Berechnungen an, wo er wohl ans Tageslicht kommen würde. Nachdem er jetzt eine gute Strecke landeinwärts marschiert war und es jetzt wieder nach oben ging, tippte er auf die Kerker der alten Burg, die auf den Klippen stand.
 

Die Fackel rauchte schon verdächtig, als er das Ende der Treppe erreichte. Vorsichtig wischte er jahrhundertealten Staub und die schon obligatorischen Spinnweben zur Seite und stand vor einer alten Holztür. Behutsam klopfte er dagegen. Steineiche! Archäologen lieben diese Holzart, der der Zahn der Zeit kaum etwas anhaben kann. Er nahm so gut es auf der engen Treppe ging Anlauf, konzentrierte sich auf die Schwachstellen und warf sich mit seinem vollen Gewicht gegen die Tür. Die rostigen Scharniere und Bügel gaben knirschend ihren Widerstand auf und krachend landet die schwere Eichentüre auf dem Boden. Der aufwallende Staub gab der nur noch vor sich hindimmenden Fackel den Rest und still und leise verlosch sie. Hustend richtete sich der Schatzjäger, der buchstäblich mit der Tür ins Haus gefallen war auf, wedelte die Staubwolken vor seinem Gesicht zur Seite und tastete in seinen Taschen nach seinem Glücksbringer. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, etwas zu erkennen, mit den Fingerspitzen erwischte er sein Feuerzeug, bekam es nicht richtig zu fassen und wie nasse Seife flutschte es ihm durch die Finger. Mit leisen, in dieser Stille wie Donnerschlag zu hörenden Klackgeräuschen, fiel es die Treppenstufen hinunter. Er wagte nicht, in der Dunkelheit danach zu suchen und wandte sich der Türöffnung zu. Es blieb ihm nur dieser Weg.
 

Situationen wie diese waren ihm nicht unbekannt. Genau genommen waren sie für ihn das Salz in der Suppe der Archäologie. Er wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab, holte tief Luft und tastete sich dann vorsichtig in die Dunkelheit vor ihm hinein. Er schloss die Augen, versuchte mit allen Sinnen seine Umgebung zu erfassen. Es war still hier. Und kühl. Wenn die Schmuggler hier ihre Waren gelagert hatten, hatten sie einen wirklich guten Platz dafür gewählt, Er ging langsam vorwärts, trotzdem konnte er nicht verhindern, dass er in dieser Finsternis mit der Hüfte gegen etwas stieß. Seine Finger berührten vorsichtig den Gegenstand. Holz? Eine Kiste? Lagerte hier unten immer noch Schmugglerware? Behutsam tastete er an den Kanten entlang, versuchte den Deckel zu öffnen. Knirschend gab dieser endlich nach und er konnte ins Innere greifen. Seine Finger fühlten Glas, umgeben von Stroh. Es roch betäubend nach Alkohol. Er spürte, wie sich die Flüssigkeit in der Flasche, die er herausgenommen hatte, verlagerte. Sie war also voll. Er würde auch hier unten nicht verdursten. Ein quiekendes Geräusch hallte laut durch das Gewölbe. Wenigstens vermutete er anhand des Echos, dass er sich in einem hohen Gewölbe befand. Noch ein Quieken. Ratten? Sorgfältig legte er die Flasche zurück in die Kiste und schloss den Deckel. Weiter ging es durch die absolute Finsternis. Er schaffte es mehr recht als schlecht, nicht mehr gegen weitere Kisten zu stoßen. Er hielt sich so dicht es ging an den Kisten um zu vermeiden, dass er im Kreis ging. Irgendwann, er hatte schon jedes Zeitgefühl verloren, nahm er auf einer der Kisten ein karges Mahl zu sich, eine Handvoll Kekse und ein paar Schluck Wasser. Dann ging es wieder weiter. Wenn er nicht bald hier raus käme, würde eines Tages ein Kollege IHN ausgraben Als er mit der Hutkrempe gegen ein Hindernis stieß und seine Hände eine Wand abtasteten, wäre er vor Dankbarkeit fast auf die Knie gefallen. Jeden Gedanken, dass dieses Gewölbe möglicherweise nur einen Ein- bzw. Ausgang hatte und zwar den, durch den er gekommen war, ignorierend, marschierte er an der Wand entlang. Und seine Zuversicht wurde belohnt. Der Umriss eines hell schimmernden, türgroßen Rechtecks war in der Wand zu sehen. Andächtig zeichnete er die Umrisse der Türe nach. Ein Wunder! Er griff nach der Türklinke, was für ein gutes Gefühl! Er drückte den Griff nach unten, sie bewegte sich auch willig, aber ... die Tür ging nicht auf! Abgeschlossen!
 

Dieses Mal hatte der Schatzjäger mehr Platz um Anlauf zu nehmen. Und er nutze ihn gut. Die Türe hatte praktisch keine Chance! Ohne großes Aufheben löste sie sich in ihre Bestandteile auf. Fein säuberlich stapelten sich die Holzbretter auf dem Steinboden. Ohne den Resten der Tür auch nur einen Blick zu gönnen, stieg er über sie in den angrenzenden Raum. Ein bisschen blinzelte er in die ihm ungewohnte Helligkeit. Gut, der Raum wurde nicht gerade von einer Osram de Luxe Halogenröhre (Energiesparmodell) beleuchtet, aber die einfache, batteriebetriebene Sturmlaterne tat ihr Bestens, um ihm wenigstens einen gewissen Überblick über seine neue Umgebung zu vermitteln. Eine Vorratskammer, soviel stand fest. Hohe Regale, auf denen Konservendosen und Einmachgläser ordentlich einsortiert darauf warteten, zum Einsatz zu kommen. Von hier aus sollte es ihm doch ein Leichtes sein, einen Ausweg zu finden. Vorsichtig setzte er sich in Bewegung. Die Sturmlaterne hatte schließlich nicht von alleine den Weg hier herunter gefunden. Lautlos schlich er an den Regalen entlang. Er hatte schon fast sein Ziel erreicht, es [in Form der Kellertür] war zum Greifen nahe, als es irgendwo hinter ihm leise klirrte. Von den beiden Möglichkeiten die er hatte, wählte er die heldenhafte. Er ging zum Angriff über. Mit einem lauten "aaaaaaaaaa" stürzte er sich auf das, was da immer um das Regal herumkommen mochte. Abrupt wurde er gestoppt. Etwas festes, kaltes, hartes legte sich bremsend gegen seine Stirn. Er verdrehte die Augen und mit einem nicht ganz so melodiösen "uhaaaaa" ging er zu Boden. Unter uns, auch diese Situation war ihm nicht völlig unbekannt.
 

"Jesses," kreischte die Köchin Sanella und schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Der Schatzjäger schüttelte sich wie ein junger Hund und versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Die hilfreich angebotene Hand der Köchin lehnte er mit einem wütenden Blick ab.
 

"Jesses, der Herr Fürscht," jammerte Sanella weiter. Schließlich passiert es einem nicht alle Tage, dass man, wenn auch unbeabsichtigt, seinem Arbeitgeber eines mit der Flasche überzog. Wie ein nervöses Huhn flatterte sie um ihn herum, wusste nicht, was sie tun sollte. Nachdem er es geschafft hatte und endlich wieder aufrecht stand und sich nicht mehr alles um ihn drehte, nahm Vivlest, Fürst von Karanest den markanten Schlapphut ab und legte ihn zusammen mit der Peitsche in ein Regal. Dann nahm er die Sturmlaterne vom Haken und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Ganz hinten im Vorratskeller konnte man den leeren Türrahmen sehen. Sanella, ihrer Lichtquelle beraubt, hielt sich so dicht es ging und der Anstand es zuließ an ihren Chef. Gemeinsam betraten sie das Gewölbe und Vivlest hielt die Laterne so hoch es ging.
 

Das andere Ende des unterirdischen Raumes konnte man nur erahnen, doch die Menge der Holzkisten ließ die Köchin leise aufseufzen "Jo mei". Vivlest interessierte sich mehr für die Beschriftungen der Kisten. KIERAN war da zu lesen und BARNE. Sieh mal an. Auf diese Weise hatte also sein Urururgroßvater und dessen Sohn das Familienvermögen angehäuft. Kein Wunder, dass sein Vater nicht so gerne darüber sprach. Der hielt sich mehr an seinen eigenen Urgroßvater Zeeran von Karanest, der die Raubritterdynastie begründet hatte. Und so waren wohl das Schmugglerlager und die Höhle in Vergessenheit geraten. Das Personal hatte kein besonders großes Interesse an der alten Holztür gezeigt und welcher Fürst von Karanest ging schon höchstpersönlich in den Keller, um eine Flasche Wein zu holen oder eine Dose Bohnen?
 

Nur eines würde Vivlest noch interessieren. Was hatte es denn nun mit den Runen von Karn auf sich? Nicht weit vom Eingang entfernt wurde er fündig. Auf einer der Kisten stand mehr als nur KIERAN oder BARNE. Ein K war zu entziffern, ein A und ein R, nächster Buchstabe fehlte, dann ein N, die letzen drei Buchstaben waren verstümmelt. Nun dieses Rätsel war also gelöst. Aber wo war jetzt das aurum liquide? Er drückte Sanella die Laterne in die Hand und öffnete den Deckel. In einem Bett aus Stroh lagerten dort einige wenige Flaschen uralten edelsten französischen Cognacs. Vivlest nahm eine heraus und hielt sie ans Licht. In der Tat, das war wirklich flüssiges Gold.



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