Zum Inhalt der Seite

Denn sie wissen, was sie tun…

von Susu-chan
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 8 - Remember me

Kapitel 8 – Remember me
 

„Und, an was arbeitet Shadow denn gerade???“, wollte Raimi sofort wissen, als ich aus der Tür von seinem Labor trat.

„Es...ist eine Maschine“, sagte ich vage und schüttelte den Kopf „Und irgendwas mit Master Emerald Splittern...er hat mit mir nicht viel darüber geredet. Der Master Emerald ist auseinander gebrochen und die Splitter sind von bösartiger Natur...sie versuchen einen zu hypnotisieren oder so. Ich weiß nicht genau wie das funktioniert, aber es funktioniert. Deswegen will er nicht, dass jemand sein Labor betritt...nur die wenigsten halten der Hypnose stand...“

„Und du tust es?“, fragte Sichi grinsend „Tja, hätte ich nicht gedacht...aber anscheinend bist du Dickköpfiger als ich dachte.“

Ich streckte ihm die Zunge raus.

„Ach deshalb durfte ich nie rein...“, murmelte Ciel „Hält Shadow mich wirklich für so schwach...?“

„Natürlich nicht, ich glaube eher, dass er dich nicht der Gefahr aussetzen will“, erwiderte Pandorra aufmunternd und sah zu mir „Der Master Emerald ist auseinander gebrochen? Wie ist denn das passiert?“

„Ähm...keine Ahnung...das weiß er nicht so genau.“, entgegnete ich „Er vermutet, dass es daran liegt, dass die Erde so zugerichtet wurde...“

„Verständlich. Immerhin hängen die Emeralds und die Erde irgendwie miteinander zusammen...“, meinte sie noch gedehnt und seufzte „Wie will Shadow die Splitter wieder zusammenbekommen?“

„Uhu?“, schlug Sichi bloß grinsend vor, während Raimi ihm ihren Ellenbogen in die Seite – Na ja, eher in den Oberschenkel – rammte.

„Das ist nicht lustig! Die Lage ist ernst, es geht hier immerhin um unseren Planeten!“

„Komm schon, ein bisschen Spaß muss auch sein...“

„Ich weiß nicht wie. Aber es muss mit dieser Maschine zusammenhängen...er hat gesagt, dass er uns das erklären wird, sobald er soweit ist.“, antwortete ich auf Pandorras Frage und sah kurz zu meinen Freunden.

„Wie genau wollt ihr ihm denn jetzt helfen?“, wollte Ciel noch wissen. Ich fragte mich, warum sie nur von uns dreien sprach.

Wollte sie nicht mit helfen?“

„Ähm...das weiß ich auch nicht...wie gesagt, er erklärt uns das, sobald er soweit ist...wann auch immer das sein wird...“

Ich fragte mich, warum Shadow so ein Geheimnis darum machte. Vielleicht machte es ihm Spaß den verschlossenen Igel zu spielen. Vielleicht wartete er darauf, dass wir von alleine verschwanden weil wir die Nase voll vom Warten hatten.

Vielleicht wusste er aber auch selbst nicht, was er eigentlich tun musste um die Emeralds wiederherzustellen.
 

Das Gespräch mit Shadow hatte mich nachdenklich gemacht. Ich hatte nicht viel aus ihm herausbekommen – Nach meiner letzten Bemerkung war er einfach wieder in sein Schweigen verfallen und hatte nicht mehr mit mir geredet.

Anscheinend war das ein wunder Punkt bei ihm...genau wie bei mir.

Shadow hatte jemanden verloren, der ihm viel bedeutet hatte. Dass er nicht darüber reden wollte, war offensichtlich.

In dieser Hinsicht waren wir gleich.

Doch es gab einen gravierenden Unterschied zwischen uns: Er wurde durch den Verlust hart, kaltherzig und emotional abgestumpft. Ich hingegen wurde sentimental, traurig und unsicher.

Im Prinzip hatten wir die Wege eingeschlagen, die den größten Unterschied hatten.

Aber das waren nicht die einzigen Beiden Wege, dass wusste ich. Den dritten Weg, hatte ein guter Freund von mir eingeschlagen: Alle negativen Emotionen unterdrücken und immer fröhlich sein.

Ich wusste nicht, ob dieser Weg besser war. Klar, man war für andere Leute erträglicher und man fand mehr Freunde, doch...die negativen Emotionen fraßen sich in einen hinein, da sie nicht heraus konnten und irgendwann...
 

„Hey, Marik.“

„Ja?“

„Was ist dir wichtiger? Unsere Freundschaft oder dein Leben?“

„Ich weiß nicht. Beides, würde ich sagen. Unsere Freundschaft ist mein Leben...“

„Würdest du mir was versprechen?“

„Was denn?“

„Versprich mir, dass du dich nicht umbringst bevor ich es tue, okay?“
 

Ich schüttelte den Kopf und sah dann wieder zu meinem Tagebuch.

Seit ich klein war, hatte ich Tagebuch geführt. Aus Angst, etwas Wichtiges zu vergessen...

Ich blätterte ein paar Seiten weiter vor und sah zu dem Bild, das darin klebte.

Weiße Haare. Schwarze Augen.

Dieses Foto hatte ich damals im Waisenhaus aus unseren Bilderalben geschnitten. Die Erzieherin hatte mich zwar angeschrien, aber das war es mir wert gewesen.

Ich durfte ihn nicht vergessen...
 

„Nero?“

„Hm?“

„Versprichst du mir im Gegenzug auch was?“

„Klar. Was denn?“

„Bitte lass mich nicht allein.“


 

Er hatte nur gegrinst und mir durch die Haare gewischt.
 

„Mit langen Haaren sahst du besser aus.“
 

Und dann war das Thema vorbei. Ich hatte nur zu Boden gesehen und geschwiegen.
 

Er hatte es mir nie versprochen.
 

„Alles in Ordnung?“, durchbrach Pandorras Stimme die Stille und ich sah erschrocken auf.

Ich saß auf der Couch im Wohnzimmer, während die Anderen in der Küche etwas aßen. Ich hatte einfach etwas Ruhe gebraucht.

„J-Ja...“, erwiderte ich bloß und versuchte zu lächeln, was aber mehr traurig als fröhlich aussah.

„Wer ist das?“, fragte sie noch und wies auf das Bild in meinem Tagebuch. Schnell klappte ich es zu und verstaute es in meiner Tasche.

„Nur...nur ein guter Freund.“

Pandorra blieb noch eine Weile stehen und beobachtete mich, ehe sie sich neben mich setzte.

„Willst du darüber reden?“

Und wieder mal bewies sie damit, wie leicht man in mir lesen konnte. Ich wusste, dass man mir ansah, dass ich immer bedrückt war, doch weder Raimi noch Sichi hatten je nachgefragt.

Nicht, weil es sie nicht interessierte. Sondern, weil sie dachten es läge an unserer gemeinsamen Vergangenheit...die auch ihren Teil dazu beitrug.

Doch dieser Teil war winzig im Vergleich zum Rest.

Jetzt hätte ich die Chance mit jemandem darüber zu reden, vielleicht würden dann die Schatten verschwinden.

Und dennoch...

„Nein. Lieber nicht...“, murmelte ich bloß und die Pantherdame nickte leicht.

„Manchmal geht es einem besser, wenn man darüber redet. Ich weiß, dass du glaubst ich würde dich sowieso nicht verstehen, weil ich reich bin und es mir bis jetzt immer gut ergangen ist...“

„Nein, das stimmt nicht“, erwiderte ich langsam „Ich...ich habe sogar das Gefühl, dass du mich besser verstehen würdest als Raimi und Sichi. Nur...ich bin noch nicht bereit, mich meiner Vergangenheit zu stellen.“

„Wenn du soweit bist und jemanden zum Reden brauchst, kannst du mich jederzeit fragen.“, sagte sie und lächelte leicht.

„Okay. Danke...“

„Keine Ursache.“

Pandorra stand auf und ging dann zurück in die Küche, während ich mich gleichzeitig für meine Feigheit mental Ohrfeigte.

Doch ich wusste auch, dass es noch zu früh dafür war. Ich könnte mit niemandem reden – Noch nicht.

Nicht, bevor ich überhaupt wusste, was genau geschehen war.
 

„Langsam hängen mir diese künstlichen Nahrungen zum Hals raus...“, murrte Sichi und schob mit seiner Gabel seine weißen Brocken auf dem Teller hin und her. Seit der Apokalypse wurde alles künstlich hergestellt, in Form von Brocken oder Flocken. Sie enthielten alles, was man zum Überleben bräuchte, aber sie schmeckten wie Kleister.

„Was genau ist das eigentlich?“, fragte ich argwöhnisch und stieß den Klumpen vor mir an. Er wackelte hin und her, ehe er wieder bewegungslos verharrte.

„Öhm...ich weiß nicht. Joghurt? Wackelpudding?“, vermutete Raimi und schob sich ihre Gabel voll mit Flocken in den Mund.

„Du siehst es so an, als würde es dich gleich anspringen“, sagte Pandorra lachend, als ich weiterhin mit meinem Löffel dagegen stieß.

„Das Gefühl habe ich auch.“, erwiderte ich grinsend und versuchte ein Stück mit dem Löffel abzumachen, doch der >Wackelpudding< rutschte unter ihm weg.

„Das Ding will mich vera*schen...“, grummelte ich und stach nochmal zu – Mit demselben Ergebnis wie davor.

„Ich glaube, dass muss man an einem Stück essen“, behauptete Ciel und ich sah mit schiefem Blick zu ihr.

„Was heißt hier >ich glaube<? Das ist doch dein Essensvorrat, hast du das noch nie probiert?“

„Öhm...eigentlich isst Shadow das Zeug immer...man braucht es nicht zu kauen und es wird schneller verdaut, weswegen man kein Müdigkeitsgefühl danach bekommt...und da er fast 24 Stunden am Tag arbeitet, ist das praktisch für ihn. Wir hatten nichts anderes mehr, morgen muss ich wieder in die Nachbarstadt einkaufen...tut mir leid.“

„Okaaay...“, machte ich gedehnt und stocherte weiterhin auf dem Wackelpudding herum „Ist es für ihn denn okay, dass ich sein Essen esse?“

„Ich denke schon.“, meinte Ciel und zuckte mit den Schultern „Wir haben nichts anderes mehr als das Zeug gehabt...und hungern lassen kann ich dich auch nicht...“

„Hm. Na dann“, murmelte ich und betrachtete den Klumpen in meiner Schüssel. In meinen Mund würde er passen...nur war ich misstrauisch bei Dingen, die ich noch nie gesehen bzw. Gegessen hatte.

Aber vergiftet konnte es auch nicht sein. Wenn Shadow das ständig aß...

Kurzerhand hob ich die Schüssel an meine Lippen und schluckte den Klumpen runter.

„Hey, schmeckt sogar ganz okay“, sagte ich überrascht und schüttelte dann den Kopf „Iih. Es hat nur einen bitteren Nachgeschmack...“

Ich spürte, wie mein Magen grummelte, als er den Wackelpudding verarbeitete.

Und dann merkte ich, wie müde ich wurde.

„Ich glaube...“, fing ich noch mühsam an, ehe mein Kopf zu schwer wurde und ich ihn kurzerhand auf den Tisch legte.

„Alles okay?“, hörte ich Raimi noch verwundert fragen, ehe alles schwarz wurde.
 

„Entschuldige.“, sagte er, während er das Blut von seinen Händen abwischte.

„Wofür? Das du mich angeschrien hast, oder das du den Typen beinahe umgebracht hast?“

„Ich weiß, es ist nicht immer toll in meiner Nähe zu sein.“

„Was ist dein Problem, Nero? Warum machst du so was?“

„Der Kerl hat dich belästigt!“

„Dafür musst du ihm doch nicht gleich beide Arme brechen!!“

„Hey, wenn ich nicht da gewesen wäre, wäre vielleicht noch schlimmeres passiert“

„Ich weiß, dass du für mich immer den Beschützer raushängen lassen musst, aber ich bin groß genug um auf mich alleine aufzupassen. Das weißt du doch.“

„Ja“, machte er nur und wischte sich den Blutfleck vom Gesicht „Es ist nur als Waise ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden.“

„Nero...“

„Nein, im Ernst. Wenn du nicht gebraucht wirst und dich keiner zur Kenntnis nimmt...dann ist es so, als würdest du nicht existieren. Alles was du tust, alles was du erreichst...das tust du, um andere zu beeindrucken oder um Lob zu ernten oder für andere Leute. Für dich selbst machst du nie etwas. Denn was bringt es dir, wenn es keiner zur Kenntnis nimmt? Und wenn Keiner dich beachtet...ich weiß nicht. Es ist halt Scheiße, nicht existent zu sein. Was macht das Leben noch für einen Sinn, wenn keiner einen braucht? Ich fühle mich einfach so...nutzlos.“, er schloss die Augen und sah Richtung >Himmel<. Das tat er immer, wenn es ihm zu viel wurde.

Ich legte meine Hand auf seinen Arm.

„Du bist nicht nutzlos. Für mich bist du die wichtigste Person in meinem Leben.“

Er schwieg erst mal. Schließlich sagte er nur: „Danke.“

„Wir passen aufeinander auf, richtig?“

„Aber immer doch, Kleine.“


 

„Hast du das gehört? Der eine hat sich umgebracht!“

„Was, echt? Er war's denn?“

„Irgend so ein Nero...“

„Und wie hat er sich umgebracht?“

„Er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten oder so. Der Typ soll schon sau oft Probleme gehabt haben und sogar Drogen genommen haben...“

„Dann ist ja kein Wunder, dass der sich umgebracht hat. Ist auch besser so, als wenn so ein Asozialer weiter frei rumläuft! Ich hab gehört, der Typ soll sich voll oft geprügelt haben...“

„Meine Rede! Und dieses komische Mädel in seiner Nähe...ich wette, die ist spätestens in einer Woche auch weg, so depressiv wie sie ist. Sie hat ihn ja auch gefunden. Die war aber so oder so pausenlos am Flennen.“

„Pff, ich konnte die Beiden nie leiden. Waisen halt.“


 

„Sie wacht auf!“

„Zum Glück, hätte sie noch mehr gegessen, wäre sie wohl nie wieder aufgewacht...“

Ich blinzelte. Dann sah ich mich verwirrt um.

Shadow stand neben mir, Raimi kniete vor mir und Pandorra sah mich besorgt an.

„W-was...“

„Du warst ohnmächtig. 2 Tage lang.“

„Was!?“

„Der Wackelpudding den du gegessen hast, war eine Art Schlafmittel. Und zwar ein starkes...hättest du ein bisschen mehr gegessen, wärst du nicht mehr aufgewacht.“, erklärte Shadow knapp, während er seinen Schraubenzieher in der Hand drehte.

„Ein Schlafmittel?“, wiederholte ich ungläubig „Will Ciel mich umbringen!?“

„Das war bestimmt nur ein Versehen“, winkte Pandorra sofort ab und ich sah mich um.

„Wo sind Ciel und Sichi?“

„Die sind in der Stadt, Besorgungen machen. Wir wollen in zwei Tagen losfliegen, die Splitter der Master Emeralds suchen.“

„Ähm...was?“

„Das erkläre ich dir noch.“, erwiderte Shadow bloß und ich blinzelte nur.

„Öhm...okay...was habe ich alles verpasst?“

„Ich erzähle es dir nachher.“, meinte Raimi nur beruhigend, ehe sie fragte: „Sag Mal...wer ist Nero?“

„Nero?“, wiederholte ich und schluckte „Woher...w-woher kennst du ihn!?“

„Du hast die ganze Zeit nach ihm gerufen. Im Schlaf.“

„Oh.“, machte ich und schüttelte leicht den Kopf „Das ist...nur jemand, den ich von früher kenne.“

„War das dieser Weißhaarige, der sich...“

„Hast du Hunger?“, fragte Pandorra dazwischen und ich nickte hastig. Ich sah sie dankbar an, was sie nur mit einem leichten lächeln erwiderte.

Raimi hingegen warf der Pantherdame einen kurzen, verärgerten Blick zu, ehe sie aufstand und sagte: „Ich gehe duschen.“

„Ich gebe dir was zu Essen. Dann kann ich dir auch den Plan erklären.“, Shadow ging in die Küche, während Pandorra mir aufhalf. Schnell folgte ich ihm und hoffte, dass jede Frage über Nero nun im Keim erstickt war.
 

„Wer ist Nero?“, ich zuckte zusammen, als Shadow mir diese Frage wieder stellte und starrte auf meine Breimischung auf dem Teller vor mir.

„Du hast tatsächlich oft nach ihm gerufen.“, fuhr er fort und stocherte selbst in seinem Essen herum, während er den Kopf auf einer Hand abstützte.

Ich schwieg bloß und schob mir schnell eine Gabel voll von dem Brei in den Mund, als Vorwand, ich könnte nicht reden, da ich ja aß.

Er wartete aber geduldig ab und sah zu, wie ich extra langsam kaute.

Schließlich musste ich doch irgendwann schlucken und öffnete daraufhin den Mund, um etwas zu sagen. Meine Kehle war plötzlich staubtrocken, als ich an Nero dachte und ich konnte nur schwer ein Würgen unterdrücken.

So viel Blut...
 

„He - Nicht weinen, Mareike. Es ist alles gut...ich bin glücklich...“
 

„Du musst es nicht sagen.“, meinte Shadow ruhig, als er merkte, wie schwer es mir fiel darüber zu reden „Ich habe meine Antwort.“

Langsam schüttelte ich den Kopf um das grausame Bild darin zu vertreiben.

„Ich...“, machte ich und stockte dann kurz „Schon gut. Ich...in letzter Zeit...da träume ich immer von ihm...“

„Wer ist er?“

„Er ist...war...mein bester Freund...“, erwiderte ich leise und sah auf den Teller mit Brei.

Der Brei schien sich wie ein Wirbel zu drehen, färbte sich rot, verwandelte sich in eine riesige Grimasse, die mich verschlingen wollte. Hastig schob ich den Teller von mir und kniff die Augen zusammen, damit die Umgebung aufhörte sich zu drehen.

„Was ist passiert?“

Ja...was ist passiert? , dachte ich bitter und merkte, dass meine Augen Staub trocken waren.

Keine Tränen. Kein Schluchzen.

Shadow musste mich für den gefühlslosesten Menschen auf dem Planeten halten.

Aber...ich konnte nicht weinen. Nicht, wenn es um Nero ging.

Ich wusste, dass er es hasste, wenn ich weinte.
 

„Nichts bessert sich, wenn du weinst. Na komm, lach doch mal, dann bist du viel hübscher“
 

Nero hatte nie geweint. Er war fröhlich, er war wütend, er war nachdenklich...aber er war nie traurig.

Und dabei war sein Schicksal fast genauso schlimm wie meins.
 

„Nero war nie jemand, der seine Probleme zeigte.“, sagte ich stockend, aber mit klaren Worten zu Shadow gewandt „Ich weiß nicht. Vielleicht war das sein Hauptproblem...er war immer gut gelaunt, weißt du? Er war nett zu jedem, selbst zu denen, die ihn quälten. Nur, um normal zu sein...vielleicht hat das ihn so zerfressen und kaputt gemacht.“

„War er auch im Waisenhaus?“

„Nein, dazu war er schon zu alt...man hat ihn mit 18 rausgeworfen...aber er war trotzdem in der Stadt und hat Quatsch gemacht. Er ist extra wegen mir nicht weggegangen. Er hat hart gearbeitet, damit wir später mal zusammen wohnen können...als Familie...wir hatten nur uns...“

Shadow runzelte die Stirn „Wie alt warst du, als er aus dem Waisenhaus gegangen ist?“

„Ich war 12 und er 18. Er war für mich wie ein großes Bruder...ich kannte ihn praktisch seit meiner Geburt...“, erzählte ich und merkte, wie ich log.

Nein, Nero war für mich wie kein großer Bruder. Er war viel mehr als das...ein Bruder, ein Vater, ein bester Freund, ein fester Freund...Nero hatte alle Lücken in meinem Leben ausgefüllt, die ich besaß.

„Er hat mich immer vor den anderen beschützt“, jetzt lächelte ich schwach „Raimi und Sichi habe ich erst kennen gelernt, als er...weg war.“

„Weg war?“

„Ja. Er hat...“, ich hielt inne, da meine Stimme erstickt klang und räusperte mich mühsam.

„...mich allein gelassen. Als ich 16 war.“

„Von heute auf morgen?“, fragte Shadow ungläubig, während er sein Essen aufaß. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er ernsthaft interessiert war.

„Ja. Nein. Ich weiß nicht. Es...es war unvermeidbar. Das habe ich von Anfang an gewusst...aber ich wollte es nie wahrhaben...“
 

„Wir bleiben für immer zusammen, richtig, Nero?“

„Natürlich, ich werde immer bei dir sein. Vielleicht nicht physisch, aber psychisch bin ich immer bei dir.“

„Was heißt das?“

„Ach, ist nicht so wichtig. Willst du nochmal eine Runde mit mir klettern?“

„Au ja!“
 

„Bist du...sehr sauer...auf mich...?“

„Ich...i-ich verstehe das nicht...w-warum hast du das getan?? Ich...ich dachte wir...wir stehen das durch! B-Bitte...bleib bei mir...“

„Tut mir leid...ich kann nicht mehr“
 

„Es ist nicht so, dass er von heute auf morgen depressiv wurde“, ich lächelte schmerzlich „Nein, die Wahrheit ist, dass er sein ganzes Leben lang so war. Aber er hat es nie offen gezeigt und er hat nie mit mir darüber geredet...fast nie...“
 

>>>Flashback<<<
 

Ich saß neben Nero auf der kleinen Mauer, die uns von den Reichen trennte. Wie üblich hatte er einen Apfel in der Hand, aber es war kein normaler Tag.

„Willst du morgen was Besonderes machen?“, fragte ich ihn, während er in sein künstliches Obststück biss.

„Warum?“

„Na du hast doch Geburtstag.“

„Da gibt es nichts zu feiern“, erwiderte er nur und ich sah ihn lange an.

„Warum bist du so?“

„Wie?“

„Schlecht gelaunt. Jedes Jahr an deinem Geburtstag bist du so. Warum?“

Er biss erneut in seinen Apfel, ehe er doch wieder grinste und zu mir sah.

„Hey, warum sollte man die Geburt des Bösen feiern?“

Ich stieß ihm leicht in die Seite und schmunzle „Wenn du das Böse bist, bin ich Gott.“

„Welche Ehre, ich wusste gar nicht, dass Gott eine Frau ist.“

„Nero!“

„Schon gut.“, sein Grinsen erlosch und sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklich „Die Wahrheit ist doch, dass meine Eltern mich an meinem Geburtstag ausgesetzt haben. Warum sollte ich diesen Tag feiern?“

Das hatte ich vergessen. Nero wurde damals in einer anderen Stadt ausgesetzt, kurz nach seiner Geburt. Und zwar in einer mobianischen Stadt...

Er hatte mir nie genaueres darüber erzählt. Ich wusste aber, dass das die schlimmsten Jahre seines Lebens waren.

„ Stimmt auch wieder.“, murmelte ich deswegen bloß und er warf den halben Apfel weg.

Das war auch ungewöhnlich. Nero war niemand, der Essen verschwendete bzw. Es einfach wegwarf. Normal verschenkte er es an ärmere Kinder weiter oder ließ keinen Rest übrig.

„Wenn du die Zeit umkehren könntest...was würdest du tun?“, fragte er mich plötzlich und ich sah ihn überrascht an.

„Die Zeit umkehren?“

„Ja. Würdest du deine Familie retten?“

Ich schwieg lange. Er wippte mit den Füßen auf und ab, so wie er es immer tat, wenn er warten musste.

„Ich glaube, das würde nichts bringen.“

„Wie jetzt?“

„Na ja, jeder hat doch ein bestimmtes Schicksal. Und ich glaube, meine Familie würde so oder so sterben, egal, was ich tun würde. Das ist eben ihr Schicksal.“

Nero sah mich verwirrt an „Du würdest es also nicht mal versuchen?“

„Ich weiß, das klingt herzlos, aber...es ist einfach so. Und wenn ich sie retten würde und bei ihnen gelebt hätte...da hätte ich dich nie kennengelernt.“

„Du...würdest auf deine Familie verzichten...nur wegen mir?“

Ich nickte leicht und starre dabei den Boden an.

Er hingegen legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

„Du bist so naiv.“

„Was?“, machte ich und verstand nicht ganz, was er damit meinte.

Dass ich Naiv war, hatte ich oft gehört...aber in welchem Zusammenhang stand das mit Nero?

„Du würdest auf deine Familie verzichten, nur um mit mir befreundet zu sein...mit einem Mörder, der nicht mal alleine zurechtkommt...du würdest wirklich alles aufgeben, nur um mit einem psychisch labilen Mörder befreundet zu sein?“

Ich wusste, was er meinte. Nero hatte aus irgendeinem Grund den Drang, anderen wehzutun. Aus diesem Grund bemühte er sich auch nett und fröhlich zu sein, aber manchmal...da brach es einfach aus ihm heraus.

Wir hatten schon so oft darüber geredet. Am Anfang war es ein heftiger Streit, dann wurden daraus Diskussionen und schließlich...schließlich hatten wir nicht mehr darüber geredet.

Ich mochte Neros andere Seite nicht. Sie machte mir einfach Angst.

Sie erinnerte mich zu sehr an...

„Du bist nicht psychisch labil.“, erwiderte ich bloß schwach, während er bitter lachte.

„Das meine ich. Du bist viel zu naiv. Ich habe einen schlechten Einfluss auf dich...du solltest gar nicht in meiner Nähe sein.“

Sofort nahm ich seine Hand und drückte sie leicht.

„Hör auf so was zu sagen“, ich merkte, wie meine Stimme leicht hochrutschte. Die Angst, er würde mich verlassen saß mir im Nacken. Jetzt, wo Nero nicht mehr im Waisenhaus war...da konnte er überall hin.

Ohne mich.

Und ich würde allein in dieser Stadt sein.

„Schwör mir, dass du mich hier nicht alleine lässt!“, sagte ich mit Nachdruck und sah ihm in die Augen.

Er hingegen schloss diese wieder.

„Das kann ich nicht.“

So direkt hatte er mir das noch nie gesagt. Er hatte früher das Thema gewechselt, mir vage geantwortet...aber so direkt hatte er es mir noch nie gesagt.

„Tut mir leid.“, fuhr er fort „Aber ich kann nicht mehr hier bleiben. Ich werde morgen die Stadt verlassen.“

„Deswegen...“, ich ließ seine Hand los.

Plötzlich fühlte ich mich wie eine Stoffpuppe. Kraftlos, leer und ich konnte mich nicht bewegen.

Deswegen war er den ganzen Tag bei mir gewesen. Deswegen war er so seltsam gelaunt.

Deswegen...hatte er mir nie versprochen bei mir zu bleiben.

„Ich habe jemanden kennengelernt.“, fuhr er fort, als wäre es noch nicht schlimm genug „Ihr Name ist Meiko. Sie wohnt in der nächsten Stadt...ich werde zu ihr ziehen. Sobald du 18 bist, holen wir dich auch...“

Seine Worte klangen stumpf an meinem Ohr.

Nero...hatte jemanden kennengelernt? Eine andere Frau? Mit der er zusammen ziehen wollte?

Und mich wollte er dafür zurücklassen??

Ich merkte, wie Wut in mir aufsteigt.

Eine andere Frau stahl mir einfach meine Nero. Ich kenne ihn schon seit meiner Geburt! Und er...entscheidet sich für jemand anderes?

Verlässt mich einfach, so wie alle anderen?

Natürlich würde er das tun. Das war doch nicht das erste Mal, dass man mich für eine andere sitzen ließ.

Nein. Nicht nochmal.

Diesmal würde es nicht so enden.

Meine Hand fuhr vor und im nächsten Moment hatte Nero einen rot glühenden Abdruck auf der Wange.

Er starrte mich an. In seinen Augen sah ich Verwirrung, Überraschung und Entsetzen.

„Du bist so ein mieser Lügner!“, schrie ich und ballte meine Hand zur Faust „Wir kennen uns seit mehr als 10 Jahren und du gehst einfach zu einer anderen? Du weißt genau, dass ich niemanden außer dir habe! Wenn du gehst, bin ich hier ganz allein...“

Ich merkte, wie ich anfing zu weinen und wischte mir nicht gerade sanft die Tränen aus den Augen.

„Mareike, ich...“, fing Nero an, doch ich unterbrach ihn mit einem ruckartigen Kopfschütteln.

„Nein! Halt bloß den Mund! Ich will nichts mehr von dir hören...ich kenne diese ganze Leier schon auswendig! Du behauptest zwar, dass du das nur tust um mich zu schützen, aber die Wahrheit ist doch einfach, dass du mich nicht mehr haben willst und zu feige bist, um es mir ins Gesicht zu sagen!“

„Ich...“

„Meinetwegen kannst du zu deiner neuen Freundin gehen! Aber wenn sie dich enttäuscht – Und glaub mir, das wird sie – komm bloß nicht zurück in diese Stadt! Oder sonst irgendwie in meine Nähe! Ich will dich nie wieder sehen, verstanden!?“, ich machte eine Pause um Luft zu holen und starrte ihn vor Wut kochend an. Er hingegen ließ die Schultern hängen und hatte die Augen geschlossen.

„Hast du noch etwas zu sagen?“, fragte ich ihn frostig.

„Nein.“, erwiderte er bloß und sah zur Seite „Ich bin einfach Scheiße.“

Ich widersprach nicht.

Ich wartete darauf, dass er nochmal versuchte mir alles zu erklären, doch er schwieg bloß und musterte den Boden, als wäre es das 8. Weltwunder.

So würde es also enden. Mein bester Freund würde mich für jemand anderes verlassen und mich hier alleine lassen.

In einer Stadt, in der mich alle hassten.

„Du hast Recht.“, ich spannte sämtliche Muskeln an und hatte das Bedürfnis, ihn wieder zu schlagen. Er sollte die gleichen Schmerzen haben wie ich, genauso leiden.

„Ich bin wirklich verdammt naiv.“

„Mareike...es war doch keine Absicht. Ich hole dich auch, wenn du 18 bist, dann können wir wieder zusammen rumhängen...“

„Du kapierst es einfach nicht“, unterbrach ich ihn scharf und schüttelte wieder den Kopf „Es ist mir egal, ob du mich holst oder nicht! Meinetwegen kannst du auch 30 Jahre lang weg sein und wieder zurückkommen, mir wäre es egal. Ich würde warten.“

„Was ist dann das Problem?“

„Das Problem“, erwiderte ich fast schon hysterisch „ist einfach, dass du mich für irgend so eine Tussi verlässt, die du gerade mal seit 3 Monaten kennst! Wir kennen uns unser ganzes Leben lang schon und du ziehst sie mir vor! Was soll ich denn davon halten? Bin ich dir wirklich so wenig wert?“

„Nein, das ist nicht so...“

„Bis jetzt wurde ich immer für eine andere verlassen. Sei es für eine andere Person oder für ein anderes Leben. Die Leute lassen mich zurück, weil sie etwas Besseres finden. Ich bin bloß die 2., 3. Oder 4. Wahl für sie.“, sagte ich jetzt leise und meine Wut war verraucht. Mir wurde klar, dass ich diese Szene immer und immer wieder durchlebt hatte. Nero war nur einer von vielen, der mir ein Messer ins Herz bohrte und eine schmerzende Narbe hinterließ.

„Das stimmt nicht. Du bist für mich nicht wie 2. Wahl...Neben meiner Freundin bist du die wichtigste Person in meinem Leben“, antwortete Nero bestimmt und ich lächelte bitter.

Neben meiner Freundin..., die Worte hallten in meinem Kopf nach.

Neben seiner Freundin.

Neben seiner Freundin war ich die 2. Wahl.

Schon wieder.

„Weißt du, ich habe damals so viel für dich empfunden. Und du hast es nie gemerkt.“, flüsterte ich, ehe meine Stimme lauter wurde „Aber meinetwegen kannst du gehen. Du bist genau wie alle anderen Idioten, von denen du damals behauptet hast, sie wüssten gar nicht was sie an mir hätten. Ich bin es leid, ständig allein gelassen zu werden. Deine Mordprobleme kannst du jetzt auch alleine klären, mal sehen, wie deine Freundin damit zurechtkommt! Wenn du die tötest, die den Tod verdienen, kannst du dich gleich selbst ins Messer werfen!“

Und damit hatte ich mich umgedreht und war weggerannt.
 

„Hm.“, machte Shadow nur und musterte mich über den Tisch hinweg.

Ich starrte auf den Teller vor mir. Meine Augen waren noch immer trocken, ich hatte es geschafft nicht zu weinen.

„Wenn ihr im Bösen auseinander gegangen seid“, sagte der Igel schließlich nachdenklich „Verstehe ich nicht, warum du ihn so vermisst.“

„Das war nicht alles“, erwiderte ich erstickt und nippte an meinem Glas Wasser.

„Nicht?“

„Nein. Nero...ist nie zu Meiko gezogen.“

„Warum denn?“

„Weil Meiko ihn verlassen hatte. Er hat...mich angelogen, damit ich wütend auf ihn bin.“

„Und warum wollte er, dass du wütend auf ihn bist?“
 

„Bist du...sehr sauer...auf mich?“
 

Ich lächelte traurig und merkte, wie mir doch eine Träne über die Wange kullerte und auf dem Tisch landete.
 

„Nicht weinen, Kleine. Es ist...okay so. Wirklich...“
 

Shadow sah mich abwartend an, während er mir ein Taschentuch gab.

Dankbar nahm ich es an und starrte auf den roten Stoff.

Rot wie Blut...
 

„Du hast doch gesagt ich solle jemanden töten, der den Tod verdient hätte“
 

„Er wollte doch nur glücklich sein“, flüsterte ich leise und ballte die Faust um das rote Tuch, während mein Blick in die Ferne rückte.
 

Nero wollte doch nur glücklich sein.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück