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Alpha

Werwölfe auf Rudelfindung
von

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Was uns verbindet

Sila und Ethan liefen langsam. Ins Wolfsgestalt hatte Ethan kaum Probleme damit, sich dennoch unauffällig zu bewegen. Seine Schwester hingegen lief unvorsichtig und plump. Äste brachten laut unter ihren Füßen. Raschelndes Laub verriet ihre Schritte. Das alles störte sie allerdings nicht.

Die ältere Werwölfin hing abwesend ihren Gedanken nach und fragte sich, ob sie zu hart zu den zwei Flüchtlingen gewesen war. Es war für sie nichts Neues, dass ihr scharfer Tonfall ihren Gedanken vorauseilte. Sie spürte Ethans Unruhe und sah zu ihrem kleinen Bruder hinüber. „Mach dir keine Gedanken.“, gab sie von sich und wuschelte mit der Hand über seinen Kopf. Seine Ohren zuckten nervös. „Sie folgen uns. Ganz sicher. Ihr Drang nach einer sicheren Zuflucht und einem Rudel wird sie früher oder später zu uns treiben.“ Den Zweifel aus ihrer Stimme verdrängend versuchte sie, so sicher wie möglich zu klingen.

Ethan neigte den Kopf. „Du musst nicht die Starke spielen, weißt du? Ich höre, dass du ebenso besorgt bist, wie ich.“ Er schüttelte ihre Hand ab und spähte nach hinten durch die Bäume. Als es unerwartet laut neben ihm knackte zuckte er zusammen und warf seinen Kopf herum. Sila war bereits in schnellerem Schritt weitergelaufen und achtete noch weniger als vorher darauf, wo sie hintrat. Ethan hastete ihr hinterher.

Den Rest des Weges schwiegen sie. Es hatte keinen Sinn, weiter darüber zu grübeln, ob sich die zwei fremden Werwölfe ihnen anschließen würden. Letztendlich war es so, wie bei allen anderen Fällen auch.

Sie trafen aufeinander, versuchten die Flüchtlinge und Einzelgänger davon zu überzeugen, sich ihnen anzuschließen und warteten dann einen Tag.

Kam keiner zu ihrem Verbund, zogen sie allein weiter.

Immer wieder. Immer in der Hoffnung, einen weiteren Werwolf vor dem sicheren Tod zu bewahren.
 

Derweil saßen Ray und Jake in ihrem schlechten Versteck und diskutierten über das Geschehene.

„Was glaubt sie eigentlich, wer sie ist?“, knurrte Jake. Er biss die Zähne zusammen und zog scharf die Luft dazwischen ein.

„Du meinst diese Werwölfin Sila?“ Ray kannte die Antwort. Es war offensichtlich, dass sein bester Freund sich von ihr provoziert fühlte. Daran war sie nicht unschuldig, aber Jake war ein Charakter, der sich schnell in seiner Autorität und Macht beeinflusst fühlte. Riet man ihm etwas, tat er häufig das Gegenteil und wusste man etwas besser, würde Jake manchmal am liebsten die Welt auf den Kopf stellen, nur um recht zu haben.

Aber er beruhigte sich auch schnell wieder. Er schaffte es, trotz jeglicher Meinungsverschiedenheiten am Ende immer eine Einigung zu finden. Vielleicht war er stur, aber das hieß nicht, dass er keinen klaren Verstand hatte.

Wenn Jake entscheiden würde, dass es besser wäre, sich dem Verbund zumindest zeitweilig anzuschließen, dann würde Ray ihm folgen.

Ray selbst war häufig eher nachdenklich. Er könnte niemals, wie Jake es tat, mit seinen Ansichten in die vorderste Reihe preschen und sie dort allen verkünden.

Jake schlug mit der flachen Hand auf den Boden. „Wer denn sonst, verdammt. Und so einer sollen wir folgen? Uns unterwerfen? Ich bin der Sohn eines stolzen Beta!“

Der schwarzhaarige Werwolf stand von einer Seite des schlechten Verstecks auf und drängelte sich neben den blonden. „Wir sind nur zu zweit, aber du weißt hoffentlich, dass ich dir überall hinfolgen werde.“ Ray sah Jake aus feuchten Augen an. „Egal, ob wir zu dem Verbund gehen oder du entscheidest, dass es besser ist, allein weiterzuziehen...“ Er schluckte seinen Tränen runter. „Du bist alles, was ich auf dieser Welt noch habe. Ich folge dir.“

Jake konnte dem Blick seines Freundes nicht standhalten und sah in die andere Richtung. Es war ihm zuwider, sich womöglich anderen zu unterwerfen. Sich eingliedern zu müssen. Andererseits wusste er, dass es das Beste für ihn und Ray sein würde.

Ethan hatte recht. Ein einsamer Werwolf ist ein toter Werwolf. Auch wenn sie zu zweit waren, würden sie früher oder später von Jägern zu Gejagten werden.

Ein Seufzen entwich ihm. Dann knuffte er den Schwarzhaarigen in die Schulter, stand schwungvoll auf und streckte Ray seine Hand entgegen.

„Aber wehe, jemand dort versucht den Alpha zu spielen. Der bekommt es mit mir zu tun.“

Ray nickte. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht und dankend ließ er sich auf die Beine ziehen. „Sie haben gesagt, es sei ein Verbund. Es gibt keinen Alpha.“, erklärte er schniefend und wischte sich mit den Handrücken über die Augen.

Als Antwort bekam er ein Schulterzucken. „Ich wollte es nur gesagt haben.“
 

Inzwischen kamen die Geschwister wieder im Lager des Verbundes an. Die meisten Werwölfe sahen desinteressiert weg und schenkten den Heimkehrern keine Aufmerksamkeit. Ein paar wenige standen allerdings auf und umringten die Geschwister. „Und? Habt ihr jemanden gefunden?“, fragte einer hoffnungsvoll und ängstlich zugleich. Die Nachricht davon, dass erneut eine Siedlung ausgerottet worden war, hatte bei jedem von ihnen grauenhafte Erinnerungen hervorgerufen. Sie alle teilten das Erlebnis, von einem solchen oder ähnlichen Schicksalsschlag betroffen gewesen zu sein. Jedes Mal hofften sie, dass es Überlebende gab und jedes Mal begleitete sie die Furcht, dass jedes letzte Leben vernichtet wurde.

Zur Erleichterung der Fragenden nickte Sila. Sie und Ethan drängelten sich zwischen den Werwölfen durch und setzten sich auf eine der vielen Decken, die auf dem Boden lagen und einen Kreis bildeten. Die anderen setzten sich dazu und Sila erzählte ihnen von Jake und Ray.

„Sie werden sicher bald auch zu uns stoßen.“, hob sie immer wieder hervor. Sie liebte es, wenn die Augen ihrer Verbundsmitglieder vor Erleichterung und Freude glänzten. In Zeiten der Not war Hoffnung das einzige, das einen am Leben hielt und sie war froh, ihren Begleitern diese Hoffnung schenken zu können.

Ethan hielt sich zurück. Er mochte seiner Schwester zuhören und war fasziniert davon, wie seine Schwester mit den Mitgliedern umging. Selbst ihm gab sie Hoffnung, obwohl er die Skepsis der fremden Werwölfe oft genug erlebt hatte. Er begleitete sie oft, wenn es darum ging, Überlebende zu finden. Sila sagte immer, dass er diese Erfahrung bräuchte, wenn es eines Tages darum ging, selbst Alpha zu sein.

Alpha... Er und Alpha? Hatte Sila das wirklich vor?

Ethan traute sich das nicht zu. Er lauschte lieber anderen, vor allem seiner Schwester. Sie war präsent, stark und mutig. Eigenschaften die er nicht mit ihr teilte. Als die Führungsqualitäten verteilt wurden, stand er vermutlich mit heiserer Stimme in der letzten Reihe.

Manchmal hoffte er, dass sie ihre dumme Idee vergaß, aber bisher hatte sie diesen Gedanken regelmäßig erfolgreich zerschlagen.

Immerhin beruhigte es ihn, dass sie in einem Verbund lebten und nicht in einem führerlosen Rudel. Das war ein großer Unterschied. Hier würde es nie einen Alpha geben können.

Dennoch wünschte sich der junge Werwolf ein Rudel. Er hatte es Sila nie erzählt, aber er sehnte sich schon lange wieder nach einer festen Zugehörigkeit.

Ständig herumzureisen und anderen eine Zuflucht zu gewähren war sicher eine ehrenvolle, wichtige Aufgabe, die Ethan nicht vollkommen aufgeben wollen würde, aber sollte das ewig so weitergehen? War es zu egoistisch von ihm, wenn er daran dachte, dass er das nicht mehr wollte? Wenn er sich ein ruhiges Leben wünschte?

Immer, wenn er es zuließ, dass seine Gedanken in diese Richtung wanderten, hatte er das Gefühl, er würde sein altes Rudel verraten.

Er und Sila wuchsen behütet in einer der vielen Siedlungen auf. Sie hatten nicht einmal eine größere Bedeutung, sondern fügten sich ohne Wiederworte in die Geheimschaft ein. Durch einen dummen Zufall überlebten sie den Anschlag. Der weiße Werwolf erinnerte sich nur noch an das heiße Knistern des Feuers vor ihm und das Knirschen der Balken, als die Häuser zu Asche zerfielen. Bis dahin waren bereits alle tot gewesen. Sila hatte ihm damals die Augen zugehalten und ihn angeschrien und geärgert. Sie hatte alles dafür getan, dass sich keine Schreckensbilder in sein Gedächtnis brannten. Dennoch hatte er Alpträume gehabt.

War er also ein Verräter, wenn er lernte, mit dem Untergang seines alten Rudels umzugehen? Hätte seine Familie etwas dagegen, wenn er mit ihrer schrecklichen Vergangenheit abschloss und versuchen würde, nach vorn zu sehen?

Alles, was er wusste war, dass Sila es nicht akzeptieren würde. Zumindest nicht als einfaches Mitglied. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihrem Rudel alle Ehre bringen und es neu aufbauen müssten. Mit ihm als Alpha. Er erinnerte sich noch gut an ihre Worte.

„Ethan.“, hatte sie damals gesagt. „In uns fließt das Blut all jener unseres Rudels, die ihr Leben geben mussten. In uns leben ihre Seelen weiter und warten darauf, dass wir ihnen ein neues Heim und eine Zuflucht bieten.“ Dabei hatte sie ihm wie sooft über den Kopf zwischen seinen Ohren gestreichelt und ihn leicht in sein rechtes, schwarzes Ohr gekniffen. Das hatte er noch nie gemocht, aber sie tat es immer dann, wenn sie seine volle Aufmerksamkeit wünschte.

„Eines Tages wirst du Alpha. Unter deiner Leitung wird unser Rudel auferstehen. Du bist es unserer Familie schuldig, ebenso wie ich dafür verantwortlich bin, dir diese Stärke mit auf den Weg zu geben.“ Dann hatte sie ihn in den Arm genommen und sein Fell mit ihren salzigen Tränen getränkt.

Für sie war es also beschlossene Sache.

Eines Tages würde er Alpha werden müssen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken und er schüttelte sich. Wie sollte all das nur weitergehen.

Sila bemerkte das Schütteln ihres Bruders. „Alles okay bei dir?“, fragte sie besorgt. Unsicher sah der Jüngere sie aus seinen Wolfsaugen an. „Ich bin nur erschöpft.“, gab er als Antwort.

Er legte sich nieder und bettete seinen Kopf auf Silas Schoß. Sie hatte Verständnis und kraulte Ethan im Nacken. Ihren Bericht über die zwei Überlebenden hatte sie bereits beendet. Ethan spürte, wie auch Sila sich merklich entspannte und ihre Ruhe auf ihn überging.

Beinahe wäre er tatsächlich eingeschlafen, wenn er nicht plötzlich aufgeschrecktes Jaulen gehört hätte.

Ruckartig hob er seinen Kopf vom Schoß seiner Schwester und warf hektisch den Kopf in Richtung des Jaulens. Er war gerade schnell genug gewesen, da auch Sila selbst blitzschnell aufgesprungen war und ihn beinahe mit dem Knie am Maul erwischt hätte.

„Was ist hier los?“, rief sie. „Wofür der Lärm?“

Ein dunkelfelliger Wolf kam auf sie zu. „Fremde. Ganz in der Nähe. Es sind zwei Männchen.“

„Das müssen Jake und Ray sein!“, rief Sila und versuchte den kleinen Aufruhr der Werwölfe zu beruhigen. Viele ließen sich davon nicht beeinflussen. Sie strahlten mit ihrer Haltung und ihren Blicken sowohl in Wolfs- als auch Menschengestalt Skepsis, Misstrauen und ein wenig Angst aus. Diese Situation war für alle nicht ungewohnt, aber dennoch war Vorsicht vor Fremden besser als blindes Vertrauen.

Tatsächlich traten eine knappe Minute später die zwei Freunde zwischen den Bäumen hervor.

„Wow, was für ein Empfang.“, murmelte Jake missmutig, als er die zur Verteidigung bereiten Werwölfe entdeckte. Sila ergriff erneut das Wort. „Kein Grund zur Aufregung. Es sind wirklich die zwei Wölfe, die mein Bruder und ich gefunden haben.“

Zögerlich betrat Jake das Lager. Seine Beine fühlten sich schwer an und er beobachtete, dass die vielen fremden Werwölfe jedes Mal einen Schritt zurück machten, wenn er einen nach vorn tat. Er spürte Rays Unsicherheit hinter sich und versteckte den Schwarzhaarigen so gut es ging hinter seinem Rücken.

Ein solcher Empfang war alles andere als einladend. Andererseits konnte Jake die anderen gut verstehen.

Sie alle verband Verrat, Verlust und Trauer. Ein Verbund von Abtrünnigen. Und sie beide würden sich ihnen anschließen.



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