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K -illing Project

von

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Kapitel 3

Fushimis Pov

Als die Tür hinter meinem Captain zufiel, konnte ich zum ersten Mal erleichtert aufatmen. Ich wischte den Atem, der sich über die Zeit des ‚Tränenversteckens‘ an meinen Händen kondensiert hatte an der Hose ab und schob die Decke von meinen Schultern. Mein Rücken schmerzte etwas von der gekrümmten Haltung, die ich ihm aufgezwungen hatte. Leicht stöhnend streckte ich mich und legte den Kopf in den Nacken. In dieser Position blieb ich einen Moment und betrachtete die schlichte weiße Zimmerdecke. Dann schloss ich die Augen und lauschte. Das Klopfen erschrak mich, aber im nächsten Augenblick realisierte ich, dass es die Bürotür gewesen sein musste, denn kurz darauf hörte ich, wie Munakata seinen Besuch hereinbat. Am Widerhall der Schritte erkannte ich den Lieutenant. Es schein eine stinknormale Besprechung zu sein, wie sie zu Dutzenden stattfanden. Das war gut. Meistens dauerten sie recht lange, was wiederum bedeutete, dass ich Zeit haben würde, mich hier umzusehen. Ich stand auf und stieß mit dem Schienbein gegen die Kante eines kleinen Couchtisches und brachte damit zwei Gläser unbenutzte Gläser zum Klirren, die auf der Ecke standen, als würde der Bewohner des Zimmers immer mit Besuch rechnen. Tragischer weise war ich mir sicher, dass er noch nie welchen gehabt hatte. Ich schob mich seitlich aus der doch recht engen Fläche zwischen Couch und Tisch und stand dann mitten im Raum der offensichtlich das Wohnzimmer sein sollte. Der Raum war nicht so groß wie ich es von dem Zimmer eines Königs erwartet hatte, konnte in Sachen Größe und Einrichtung trotzdem nicht mit meinem oder den Zimmern der anderen verglichen werden, aber so war das wohl eben, wenn man König war.

Einen Momentlang betrachtete ich das lange überfüllte Bücherregal und stellte fest, dass die Bücher penibel geordnet waren. Schmuckstücke internationaler Literatur sortiert nach Autoren, Sprache, Namen und Alter in einer komplizierten Art, die mich an diese absurde Vorliebe für Puzzle erinnerte, die ihr Besitzer hegte. Allerdings war mir seine kleine Privatbibliothek reichlich egal, solange ich nicht einen Plan B brauchte und versuchen musste, sein Zimmer in Brand zu stecken.

Ich sah mich weiter um, warf flüchtige Blicke durch die hohen Fenster, von deinen eins von dem schweren dunkelblauen Vorhang halb verhangen war. Wie auch jene in seinem Büro zeigten sie den Hof und die Straße dahinter. Die Scheiben waren penibel sauber. Ich fragte mich, ob er für die Ordnung hier drin jemanden bezahlte. Von dem, was er vermutlich verdiente, würde es ihn wohl kaum in den Ruin treiben. Wenn ich das hier alles sah, kam mir mein eigenes Gehalt etwas zu klein vor. Ich grinste leicht. Wenn ich mich schon an ihn ran machen musste, konnte ich vielleicht für die Zeit, die ich brauchte, um meinen Plan in die Tat umzusetzen, eine kleine Gehaltserhöhung durchsetzen. Verdient würde ich es haben, betrachtete ich den Ekel, der in mir aufstieg, wenn ich daran dachte, welche Reaktionen ich Munakata hatte zeigen und welche Dinge ich ihm hatte sagen müssen. Ich ergänzte die Gehaltserhöhung auf meine kleine To-Do-Liste, wenn auch mit einer sehr niedrigen Priorität knapp über ‚letztes bisschen Selbstachtung behalten‘ und lächelte ironisch. Ich würde tun, was immer nötig war, um meine letzte kleine Mission zu beenden.

Ich wandte mich wieder vom Fenster ab. Eigentlich gab es dahinter nichts Interessantes zu sehen. Des Weiteren gab es hier einen recht großen Fernseher, auf dem eine Fernbedienung lag, die mindestens so viele Knöpfe zu haben schien, wie unsere Helikopter. Was konnte er mit diesem Ding alles machen? So viele Tasten waren nicht normal. Ich beschloss sie später noch mal genauer in Augenschein zu nehmen.

Außerdem eine Kommode mit integrierter hohen Glasvitrine. Hinter den gläsernen Türen verbarg sich allerdings nur weniges, das es wert war, gesehen zu werden. Andere Menschen hätten schicken Schnickschnack dahinter verstaut, stolz eine Sammlung irgendwelcher Dinge, die keinen interessieren präsentiert, oder sie zweckmäßig genutzt. Diese war fast leer. Aber auf Augenhöhe erkannte ich von versteckten LEDs blau angeleuchtet, den Säbel. Sicher in seiner speziellen Halterung aufbewahrt und ihn dem Licht glänzend, wie unbenutzt. Aber wenn er eines nicht war, dann unbenutzt. Sicher war es nicht mehr zu sehen, nicht mehr mit dem kleinsten Partikel befleckt, aber an dieser Klinge hing das Blut des roten Königs. Und das des blauen und vierten Königs würde folgen. Bald schon.

Bedächtig öffnete ich den Schrank und besah mir die Halterung genauer. Ich wusste, dass ich nicht in der Lage sein würde, Schwert und Hülle davon zu befreien. Genauso wenig, wie ich es ziehen konnte. Gedankenverloren betrachtete ich es und suchte nach einem Weg auch in diesem System ein offenes Hintertürchen für mich zu finden. Um die Halterung zu öffnen brauchte es Munakata, ebenso wie für den Mechanismus in der Schwertscheide. Also lag das Problem nicht am Säbel selbst. Es waren die Dinge darum. Für meinen Plan brauchte ich nur die Klinge, doch die befand sich am sichersten Ort den es gab. Direkt vor meiner Nase und doch meilenweit entfernt. Kurz überlegte ich, ob es reichen könnte ihn mitsamt der Hülle zu erschlagen, aber der Gedanke war so unsinnig, dass ich ihn sofort wieder verwarf. Ich brauchte diese Klinge, aber ich bezweifelte, dass selbst in der lockersten und vertrauensvollsten Beziehung, die ich zu ihm aufbauen könnte, er jemals so unbedacht sein würde, diese Waffe offen liegen zu lassen. Am wenigsten über Nacht.

Also schied es schon mal aus, dass ich spontan aus Glück heraus an meine Mordwaffe käme. Ich musste mir einen Plan zurechtlegen. Ich musste sie ihm mindestens am Mittag vor seinem Tod abnehmen und er durfte es nicht bemerken. Eine vereinzelte Idee schoss mir in den Kopf, die sich nach und nach zu einem beinahe idealen Gerüst aufbaute. Ich würde die Waffen vertauschen. Möglichst vor einem freien Tag, denn beim ziehen der Waffe, würde er den Unterschied merken. Ich würde meinen Säbel in seine Hülle stecken und seinen in meine. Ein einfacher Tausch, der es mir ermöglichen würde, seinen Säbel zu benutzen, wann immer ich wollte. Jetzt musste ich nur noch auf die Gelegenheit warten. Für einen kurzen Moment berührte ich ganz sacht den glänzenden Griff.

„Bald“, flüsterte ich ihm verschwörerisch zu, ehe ich meine Hand zurückzog und die Tür wieder schloss.

Ich machte ein paar leise Schritte zur Tür und lauschte.

„Der Strain, der für die Vorfälle letzte Woche verantwortlich war, wurde gestern widerstandslos festgenommen. Es scheint sich aber um einen Jekyll&Hyde-Fall zu handeln“, hörte ich Awashima sagen.

Also hatten wir einen Mr.Hyde in unserer Gewalt? Das war sehr selten, würde mir aber sehr gelegen kommen, wenn das, was ich bisher darüber gehört hatte, so stimmte. Es könnte eventuell sogar die Gelegenheit bieten, die ich brauchte, um die Säbel zu vertauschen. Ich entfernte mich wieder von der Tür.

Ziellos stand ich jetzt mitten im Raum und überlegte, wie meine kleine Show weitergehen sollte. Immer noch vollkommen kaputt auf dem Sofa zu sitzen, wenn Munakata wiederkam war unrealistisch. Ich war mir sicher, dass die Besprechung länger dauern würde, erstrecht, wenn es jetzt um einen Fall wie diesen ging, aber mit Sicherheit konnte ich nicht davon ausgehen. Aber Wahrscheinlich würde es länger dauern, als ein Nervenzusammenbruch glaubwürdig erscheinen kann. Außerdem konnte ich damit rechnen, wieder hochkant rausgeworfen zu werden, sollte mein Zustand zu stabil wirken. Es war nicht, dass ich mich darum riss, in seiner Nähe zu bleiben, aber wie war das noch mal. Seinen Freunden nah sein, seinen Feinden noch näher? Es war ein gutes Motto.

Es brauchte also einen triftigen Grund, dass er mich hier behalten musste. Etwas, dass es ihm schwer oder gleich unmöglich machen würde, mich rauszuwerfen. Gedankenverloren führten mich meine Schritte in den nächsten Raum. Es handelte sich um das Schlafzimmer. Gerne hätte ich einen schlechten Witz über ein king-sized Bett gemacht, aber mir fehlte die Vorlage. Das Bett das sich an einem Raumende befand, hatte nicht einmal ganz die Größe eines Ehebettes. Auf der anderen Seite des Raumes- der, auf der ich jetzt stand- befand sich ein weiterer Schreibtisch, der unglaublich zerwühlt und unordentlich aussah. Er passte so gar nicht in diese ordentliche Wohnung. Ich warf einen Blick über die Akten, Blätter und Bücher, die darauf in wackeligen Stapeln und kleinen Haufen herumlagen, wurde aber nicht wirklich schlau daraus. Über den großen, verzierten Schrank an der Wand und eine Kommode, die fast genauso unordentlich von Blättern übersät war wie der Schreibtisch, allerdings nicht ganz so ins Gewicht fiel. Erneut blieb er an dem Bett hängen. Die Decke fehlte. Das Kissen lag leicht zerknittert am Kopfende und mir wurde bewusst, wie müde ich war. Vielleicht war das ein Plan. Ich könnte einfach so dreist und geistig verwirrt sein, mich in seinem Bett schlafen zu legen. Es würde mir die Chance geben sein Schlafverhalten genauer zu beobachten und gleichzeitig konnte ich vielleicht ein bisschen des Schlafes nachholen, den ich letzte Nacht versäumt hatte.

Ich ging zurück ins Wohnzimmer, um die Decke zu holen. Stille. Aus dem Büro kamen keine Stimmen. Konnte die Besprechung schon zu Ende sein? Ich beschleunigte das Tempo, schnappte mir die Decke, schlang sie mir um den Oberkörper und begab mich zurück ins Schlafzimmer. Ich ließ mich auf die Matratze fallen und kugelte mich leicht ein. Es sollte verletzlich aussehen, ich musste es nur schaffen jetzt auch in dieser Haltung einzuschlafen.
 


 

Munakatas Pov

Ich hatte bereits einen großen Teil der Besprechung überstanden, als das Thema unangenehmer wurde.

„Der Strain, der für die Vorfälle letzte Woche verantwortlich war, wurde gestern widerstandslos festgenommen. Es scheint sich aber um einen Jekyll&Hyde-Fall zu handeln.“

Ich atmete tief durch. Das würde wieder einmal Probleme geben.

„Wurde der Psychologe schon informiert?“, fragte ich.

„Bisher war keiner erreichbar, wir versuchen es weiter.“

Es war immer dasselbe mit den Jekyll&Hyde Fällen. Das war das Letzte, was mein Gewissen jetzt brauchte.

Der Code Jekyll&Hyde beschrieb die wohl verzwickteste Kategorie von Strains, mit denen wir bisher zu tun gehabt hatten. In meiner ganzen Zeit hier waren mir bisher nur 4 solche Fälle untergekommen und darüber war ich heilfroh, denn sie waren mit viel Arbeit und Gewissensbissen verbunden.

Die Mr.Hydes, wie wir sie hier umgangssprachlich nannten, waren Strains, mit zwei verschiedenen Bewusstseinszuständen. Wir wussten bisher nicht, wie diese Charakterspaltung erfolgte, aber es gingen Vermutungen um, das es schizophren Veranlagte oder Leute, die unter einem stark ausgeprägten Somnambulismus litten, handelte. Sicher konnte sich keiner sein, da der Umgang mit ihnen äußerst kompliziert war. In ihrem normalen Zustand waren sie meist ganz normale Bürger, die oft nur eine verschwommene Ahnung oder überhaupt keine Kenntnisse ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten hatten. Sie hatten nicht mehr oder weniger kriminelle Energien wie jeder andere. Der Moment aber, in dem ihr Bewusstseinszustand sich änderte, machte sie meist gemeingefährlich und es war schwer ihnen in ihrer oft amoklaufähnlichen Raserei Herr zu werden. Diese Momente waren unberechenbar und nur selten von einem äußeren Umstand provoziert. Zumindest sagten das die wenigen Psychologen, die wir mit diesen Fällen betrauten. Es waren außerdem mitunter die einzigen Fälle, in denen wir die Hilfe von Psychologen benötigten. Das Problem lag nämlich in ihrer Zurechnungsfähigkeit. Vor Gericht würden sie vermutlich freigesprochen und in psychiatrische Behandlung –mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer geschlossenen Abteilung- gegeben werden. Allerdings war das nicht möglich. Das hohe Gefahrenpotenzial und die Kräfte von Strains machten es in der Regel unmöglich, sie an normalen öffentlichen Einrichtungen wie Kliniken oder Gefängnissen festzuhalten. Es war eine unserer Hauptaufgaben, diese Strains aufzuspüren, zu kategorisieren und wieder in die Gesellschaft einzugliedern oder wenn nötig zu eliminieren. Anfangs fiel es allen schwer- mich eingeschlossen- dieses System zu akzeptieren, aber es war die sicherste Lösung für die Bevölkerung, Verbrecher, die ohne jegliche Reue ihre Kräfte gegen die Menschheit nutzten, aus dem Weg zu räumen. Aber was machte man jetzt mit einem Menschen, der sich seiner Schuld nicht bewusst war? Der nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein anderes Ich seiner selbst anstellte? Für diese Fälle war es meistens am wichtigsten einen Psychologen hinzuzuziehen, um dem Jekyll die Existenz seines Hydes klarzumachen, metaphorisch gesprochen. Aber wie immer war kein Psychologe erreichbar.

„Halten Sie mich auf dem Laufenden.“

Damit beendete ich das Thema. Ich wollte nicht daran denken, dass in den Gefängnis räumen eine tickende Zeitbombe saß, um die ich mich wahrscheinlich persönlich kümmern musste, sollte sie hochgehen. Ich war aufgestanden und sah aus dem Fenster hinter meinem Schreibtisch.

„Sonst noch etwas?“ ,fragte ich in der Hoffnung, die Sitzung beenden und zu Fushimi in meinem Wohnzimmer zurück zu können.

Eine kurze Stille entstand, wie es sie nur bei schlechten Nachrichten gab.

„Es gibt Gerüchte um die Sichtung eines neuen roten Königs.“

Meine Finger krallten sich in den Stoff des Vorhangs. Das ging zu schnell für mich. Mir wurde schlecht. Unglaublicherweise schien man es mir aber nicht anzumerken. Ich war froh, dass Awashima mein Gesicht nicht sehen konnte. Ich musste kreidebleich sein.

„Sind wir dem schon nachgegangen?“, fragte ich gepresst.

„Bisher gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass an den Gerüchten etwas Wahres dran ist, aber ich dachte, Sie sollten es wissen.“

Ich schloss die Augen. Ich konnte es auf meinen Händen spüren. Suohs Blut. Ich hatte das Gefühl, es würde noch Jahre dauern, bis dieses Gefühl verschwinden würde und jetzt sollte es schon einen neuen roten König geben? Ich versuchte mich zu beruhigen und meine Stimme auf einen normalen Level zu bringen.

„Sonst noch etwas?“, fragte ich erneut. Ich wünschte die Besprechung wäre vorbei.

Erneut eine kurze Pause.

„Vor dem Tor steht ein Mitglied des alten roten Clans.“

„Was?“ Ich war überrascht. Ich richtete meinen Blick aus dem Fenster auf das Tor, konnte aber nichts erkennen. „Wer ist es?“

„Yata Misaki-“ Sie redete weiter, um mir zu erklären wer es war, auch wenn ich es schon wusste.

Ich unterbrach ihre Erklärung.

„Was will er hier?“

„Er möchte Fushimi sehen.“

Ein Moment der Stille kehrte ein, in dem ich eine Entscheidung treffen musste.

„Schicken Sie ihn weg, aber Fushimi sollte nichts davon erfahren.“

Ich hatte mich wieder umgedreht, in dem Glauben, mich wieder im Griff zu haben und sah Awashimas verwirrten Blick auf mir ruhen.

Zur Bestätigung meiner Worte nickte ich noch einmal und immer noch verwirrt verließ sie den Raum.

Kaum war die Tür hinter ihr zugefallen ließ ich mich kraftlos in meinen Stuhl sinken und erlaubte mir einen kleinen Moment der Schwäche. Ich ließ meinen Kopf auf die kalte Tischplatte sinken und baute mit meinen Armen eine schützende Mauer darum. Ich seufzte langgezogen und schloss die Augen. Ich wartete bis das flaue Gefühl in meiner Magengegend abklang, dass mich bei dem Gedanken an einen neuen roten König-oder besser dem Tod seines Vorgängers- ergriffen hatte. Wenn ich so wie jetzt die Augen schloss, konnte ich den kalten Wind spüren, der das warme Blut an meinen Händen kontrastierte. Ich konnte Mikotos leblosen Körper spüren, den ich anfangs nicht hatte loslassen können, gefangen in dem Schockmoment über das, was ich getan hatte. Ich konnte die salzigen Tränen erneut spüren, die mir fast im Gesicht festgefroren waren, während ich mit dem Körper, des einzigen Menschen, der mich je hätte verstehen können, im halb geschmolzenen Schnee saß. Ich hatte zugesehen, wie die weißen Flocken begannen ihn zu bedecken und hatte es nicht glauben können. Ich hatte die Kälte seiner Glieder gespürt und den fernen Blick seiner Augen gesehen, aber ich hatte wahnsinnig lange gebraucht, um es wirklich zu realisieren. Es war nichtmehr auf der Insel passiert. Die ernüchternde Erkenntnis hatte mich erst viel später eingeholt. Weit nach dem Moment auf der Brücke, als ich der einzige war, der meine Rückkehr nicht feierte.

Ich spürte das kalte glatte Holz des Schreibtisches an meinem Körper und es war das einzige, das mich in diesem Augenblick im Hier und Jetzt hielt. Ich presste meine Finger dagegen, als wollte ich mich daran festhalten, während ich versuchte, diesen schrecklich vertrauten Moment zu verlassen, in dem meine Gedanken gefangen waren.

Als ich es schließlich geschafft hatte und die Augen öffnete konnte ich das Blut an meinen Fingern sehen. Mikotos Blut. Nein. Meines. In meinem krampfhaften versuch mich, am Tisch festzuhalten, hatte ich mir einen kompletten Nagel ausgerissen. Ich hatte es nicht gespürt. Ich spürte es immer noch nicht. Ich griff in meine Schublade und desinfizierte es. Zu mehr war ich gerade nicht fähig und eigentlich war es mir auch egal.

Geistesabwesend sah ich ins Nichts, bis ich mit einem Ruck energisch aufstand. Ich ließ mir nie viel Zeit für diese Trauer und Leere. Besonders nicht für die Leere. Und so erinnerte ich mich selbst daran, dass im Wohnzimmer vielleicht noch Fushimi saß, unschlüssig was er jetzt tun sollte. Ich atmete noch einmal tief durch und betrat meine Wohnung. Ich fand die Couch leer vor. Weder Fushimi, noch die Decke befanden sich im Raum. Ich fragte mich, ob er gegangen war. Zuzutrauen wäre es ihm. Vorausgesetzt er hatte seinen Nervenzusammenbruch vollständig überstanden. Ich seufzte und ließ mich selbst in die weichen Polster sinken. Einen Moment überlegte ich, Fushimis Aufenthaltsort auf den Überwachungskameras zu prüfen, fühlte aber eine innere Müdigkeit, die mich davon abhielt, die Fernbedienung zu holen. Stattdessen ließ ich mir von der Couch die süßesten Schlaflieder ins Ohr wispern, die es ohne Töne gab. Als ich aus einem Sekundenschlaf hochschreckte beschloss ich, dass es keinen Sinn hatte, mich weiter zu bemühen wach zu bleiben oder meine Gedanken zu klären. Ich hatte seit langem nicht mehr richtig geschlafen. Die letzten beiden Tage überhaupt nicht.

Ich ging in die Küche, um die Bettdecke zu holen. Ich hatte sie dort zum Lüften aus dem Fenster gehängt, wie ich es hin und wieder tat. Es war das einzige Fenster meiner Wohnung, das nicht zum Hof und der Straße hin ausgerichtet war. Deshalb war es für das Gelegentliche Lüften meine erste Wahl. Alles andere hätte von außen seltsam gewirkt.

Ich klemmte mir die kühle Decke unter den Arm und schloss das Fenster. Die Temperatur in der Küche war so winterlich wie die Außenluft. Selbiges galt für die Decke und ich legte sie im Wohnzimmer noch einen Moment auf die Heizung, ehe ich sie mit ins Schlafzimmer nahm und im Türrahmen vor Überraschung fallen ließ.

Fushimi hatte meine Wohnung doch nicht verlassen. Da lag er. Eingehüllt in die Sofadecke und zitterte im Schlaf. Die Decke hatte schon immer eher Trost als Wärme gespendet und nach dem ersten kurzen Überraschungsmoment deckte ich ihn vorsichtig zu. Er schlief. Und das sogar ziemlich ruhig. Vielleicht hatte es ihm gut getan, alles einmal rauslassen zu können.

Von meiner starken Müdigkeit übermannt zog ich nur die Uniform aus und legte mich in Hemd und Hose neben ihn auf das Bett. Einen Moment betrachtete ich den leicht in seiner Haltung gekrümmten Rücken, der vor mir lag und sah zu wie das Zittern, das diesmal tatsächlich von der Temperatur hergerührt zu haben schien, abebbte. Ich legte mich ebenfalls unter die Decke, wünschte ihm leise eine gute Nacht und schlief kurz darauf ein.
 

Fushimis Pov

Mitten in der Nacht wurde ich von einem plötzlichen Ruck des Bettes aus dem Schlaf gerissen. Müde drehte ich den Kopf und brauchte einen Moment, um zu realisieren wo ich war, und was passiert sein musste. Ich war in Munakatas Schlafzimmer. Es war stockfinster, doch ich sah seine Silhouette aufrecht im Bett sitzen und konnte den stoßweisen Atem hören, während er nach Fassung zu ringen schien. Ich ging davon aus, dass er einen Albtraum gehabt haben musste. Dabei dachte ich, sowas gab es nur für Normalsterbliche wie mich. Es war eine kleine Genugtuung, dass auch Könige in dieser Hinsicht wohl einfache Menschen waren. Trotzdem hätte das nicht sein müssen. Sein dummer Albtraum hatte mich geweckt und die Spannung machte es mir vorerst schwer, wieder einzuschlafen. Ohne auf eventuell verräterische Geräusche und Bewegungen zu achten drehte ich mich herum.

„Tut mir leid, dich geweckt zu haben“, hörte ich eine unglaublich müde Stimme leise sagen. Ich gähnte nur zur Antwort und stahl ihm etwas mehr von der Decke, die er irgendwann aus dem Nichts wieder hierher befördert haben musste. Es war mir egal, wo sie herkam; sie war unglaublich warm und kuschelig. Ich vergrub mich tiefer darin und versuchte auszublenden wo ich war, und wer da neben mir lag. Ich schloss die Augen und bemühte mich, sämtliche Anzeichen eines anderen Anwesenden auszublenden. Es war zu schwer. Schlaflos warf ich mich ein paar Mal hin und her, ehe ich ihm letztlich wieder den Rücken zugedreht hatte. Ich konnte es einfach nicht ignorieren. Das Geräusch seines Atems, auch wenn er jetzt wieder ruhig ging, hielt mich wach. Es war die sekündliche Erinnerung daran, mit wem ich in einem Bett lag. Ich presste die Lider zusammen und versuchte es zu verdrängen, ihn zu ersetzen, durch jemanden, den ich lieber hier haben würde. Meine Gedanken drifteten zu Misaki. Mein Misaki. Für ihn machte ich das alles hier. Ich würde es nicht lange machen müssen, dann wäre es vielleicht wirklich er, dessen Atmen ich bald nachts neben mir hören würde. Ein sanftes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich sein schlafendes Gesicht vor Augen sah. Er war wahrscheinlich wirklich das einzige, was mich hier hielt. Aber für ihn, würde ich meinen Plan durchsetzen. Erneut in meinen Absichten bestärkt gelang es mir viel besser, meine derzeitige Situation zu akzeptieren und tatsächlich schaffte ich es, wieder einzuschlafen.
 

Erneut wachte ich auf. Es war noch immer stockfinster in diesem Zimmer und ich fragte mich, was mich diesmal geweckt hatte, als es mir schlagartig bewusst wurde. Ganz langsam drehte ich den Kopf nach hinten und erkannte einen Teil von Munakatas Gesicht. Unglaublich nah. Er schlief. Er schlief viel zu nah hier drüben. Ich wollte weiter zur Kante rutschen ehe ich den Arm bemerkte, der schlaff um meinen Oberkörper geschlungen war. Oh Gott. Fast wurde mir schlecht. Diese Nähe gefiel mir überhaupt nicht. Ich wollte wegrutschen konnte es aber nicht. Genauso wenig wie fast jede andere Bewegung. Ich drehte den Kopf zurück nach vorne und erhaschte einen flüchtigen Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch. 3 Uhr morgens. Es würde mindestens 2 Stunden dauern, ehe diese Hände zwangsläufig und mit Sicherheit von mir verschwinden würden. Es war das Grauen. Ich atmete ein paarmal tief durch, um mich zu beruhigen und schloss die Augen. Ich schauderte. Ich konnte seinen Atem im Nacken und seine Wärme dicht an meinem Rücken spüren. Ich schluckte. Viel zu nahe. Ich spürte wie sich mein ganzer Körper anspannte und sich versuchte von ihm weg zu lehnen, was mir aber nicht das Geringste brachte. Ich kniff die Augen zusammen und zählte bis 20 ehe ich sie wieder öffnete und tief seufzte. Ich versuchte mich wieder zu entspannen. Es brachte mir nichts, die restliche Zeit damit zu verbringen, mich aus seiner Umarmung zu kämpfen. Ich hoffte nur, dass ich an dem Tag, an dem ich ihn töten wollte, mehr Bewegungsfreiheit haben würde.



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