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The Life Around Us

Evenfall-verse
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Seit jeher trug Tsunade einen Pferdeschwanz; bis zu jenem Tag im Sommer in ihrer Jugend, an dem ihr Haarband ins Wasser fiel. Komplett anzeigen

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"Sieh mal, Tsunade-chan."

Der große, archaisch wirkende Mann beugte sich zu seiner Enkelin und strich ihr liebevoll über die Wange. Das daneben kleine und zierlich wirkende Mädchen mit den roten Bäckchen begann begeistert über dieses Geschenk in die Hände zu klatschen. Seine Augen leuchteten im Glanz der wertvollen Kette, die eigentlich niemals hätte wertvoll werden sollen. Senju Hashirama, Shinobi no Kami, Shodaime Hokage, ein legendärer Ninja, ging vor ihr in die Knie und hielt das Schmuckstück vor dem lachenden Kindermund in die Höhe. Es war eine Kette, die seine Frau vor Jahren gefertigt hatte. Sie sollte ihn immer daran erinnern, was es bedeutete, Hokage zu sein.

Man sagte, in dieser Kette, gefertigt aus einer schwarzen Kordel, Kesshōseki und zwei Perlen, schlummerte der Wille des Feuers. Sie ließe sich nur von all jenen tragen, in denen dieser Wille innewohnte. Ein Mythos, den Hashirama niemals unterstützt hatte. Seine Frau war die Tochter eines wohlhabenden Großhändlers gewesen, dem durch Zufall dieser geheimnisvolle Edelstein in die Hände gefallen war, ohne zu wissen, welch atemberaubende Fähigkeiten er hatte.

Tsunade langte nach der Kette und stupste sie mit einem ihrer kleinen Finger an. "Sie funkelt", stellte sie begeistert fest, das tiefe Braun ihrer Iriden mit dem Kesshōseki um die Wette strahlend.

"Eines Tages wird sie dir gehören, Tsunade-chan."

"Wann?"

"Wenn du Hokage wirst. Aber bis dahin", er entzog die Kette ihrem schmalen Radius, lächelte jedoch versöhnlich, "musst du stark werden. Du musst besser werden als alle anderen. Weiser, klüger, schneller und schlauer. Denkst du, du schaffst das?"

Das kleine Mädchen von vier Jahren legte ihren Kopf schief, die Lippen nachdenklich geschürzt. Mit ihren runden Wangen, der gerümpften Nase und den verschränkten Armen sah sie aus wie eine niedliche Karikatur ihrer Mutter—seiner Tochter—die auf der anderen Seite der Küche hinter dem Tisch stand, auf dessen Stühlen er und sie sich niedergelassen hatten.

"Natürlich schaffe ich das. Ich bin immerhin eine Senju", versprach sie feierlich, indem sie ihre Arme ausbreitete und stolz auf sich selbst zeigte. Hashirama tätschelte lachend ihren Kopf.

"Unser Temperament hast du jedenfalls. Weißt du, es braucht sehr viel mehr, um ein guter Anführer zu sein. Du musst freundlich sein, dabei aber autoritär. Entschieden, aber gerecht. Entschlossen, aber auch bereit, die Vorschläge anderer Menschen anzuhören. Du musst alles sein, aber dir muss auch klar sein, dass du am Ende nur ein Teil des ganzen bist. Wichtiger als alle anderen, aber schlussendlich bloß das erste Glied einer langen Kette."

"So wie diese?" Sie deutete auf die Kristallkette, die er sich wieder umgelegt hatte.

"Viel länger. Sehr viel länger."

Das Mädchen legte seinen Kopf noch schiefer, als könne sie so ihre Gedanken besser in einer Ecke ihres Geistes schüren. Etwas schien sie zu beschäftigen. "Das klingt sehr anstrengend. Ich denke nicht, dass ich das will."

Er hob eine Augenbraue. Es gab nur wenige Kinder, die nicht den Traum hatten, irgendwann einmal Anführer des Dorfes zu werden und in seine Fußstapfen zu treten. Vielleicht war gerade die hohe Wahrscheinlichkeit, die Tsunade sehr wohl bewusst war und somit von anderen Kindern unterschied, der Grund für ihren Einwand.

"Fühlst du dich dieser Aufgabe nicht gewachsen?"

Sie zuckte die Schultern.

"Wenn das so ist, werden wir morgen mit deinem richtigen Training beginnen", schlug er vor, anerkennendes Nicken von ihrer Mutter einholend. "Hast du noch die Waffen, die wir dir zu deinem Geburtstag geschenkt haben?"

"Ja."

"Gut. Dann lauf und hole sie. Ich werde dir zeigen, wie man sie schleift und poliert, bevor wir morgen anfangen, damit zu werfen."

Begeistert von diesem Vorschlag, hüpfte sie ohne fremde Hilfe von dem hohen Stuhl, den sie zuvor nicht minder selbstständig erklommen hatte, und lief mit kleinen, aber schnellen Schritten aus der Küche in ihr Zimmer. Als sie außer Hörweite war, legte ihre Mutter das Tuch nieder, mit dem sie Geschirr getrocknet hatte.

"Stecken wir nicht zu hohe Erwartungen in sie?", stellte sie eine Frage, die Hashirama sich schon selbst oft gefragt hatte. "Sie ist doch noch so jung. Dieser Erwartungsdruck könnte zu viel für sie sein, Otousama."

Nachdenklich überprüfte er den Verschluss seiner Kette, die sich der Grube zwischen seinen Schlüsselbeinen angepasst hatte. Es war nicht einfach, diese Frage zu beantworten, zumal er selbst nicht hundertprozentig zufrieden mit seiner Entscheidung war.

"Sie kann ihr Blut nicht leugnen. In ihren Adern fließt, auf was Konoha gegründet wurde und irgendwann wird sie Hokage sein, weil sie keine Wahl hat. Bis es soweit ist, werden wir sie darauf vorbereiten. Es ist besser, zu hohe Erwartungen zu stellen, an denen sie wachsen kann, anstatt sie ihre Kindheit in ungenutztem Potenzial verleben zu lassen. Wenn ich einmal nicht mehr bin und sie dieses Dorf anführt, wird sie dankbar für alles sein, das sie alsbald hassen wird. Wir können uns nicht aussuchen, mit welchem Schicksal wir geboren werden. Sobald sie akzeptiert hat, wer sie ist, wird sie es annehmen."

"Ich hoffe, es dauert nicht zu lange", sprach seine Tochter aus, was er sich selbst wünschte.

Wann immer seine geliebte Enkelin ihr Amt antreten würde, sie würde es mit Stolz und aller Unterstützung tun, die sie in Konoha zu finden fähig war.
 

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Tsunade hatte immer versucht, überdurchschnittlich gut zu sein. Als Enkelin des Shodaime Hokage, Großenkelin des Nidaime Hokage und Schülerin des Sandaime Hokage, war es ihre Pflicht, ein Vorbild für Konoha zu sein. Sie war schon immer ein pflichtbewusster Mensch gewesen, der an seinen Aufgaben wuchs. So war sie zu dem geworden, was sie heute war.

Mutig. Stark. Eine Kämpferin. Seit ihrer frühesten Jugend hatte man sie zu einer Anführerin erzogen. Eine Anführerin, die sie niemals sein wollte.

Doch sie war mehr als das. Sie war eine wohlerzogene Tochter, eine ehrgeizige Schülerin, eine liebevolle Schwester. Als solche hatte sie ihrem Bruder, in den sehr viel weniger Hoffnungen gesteckt wurden, gestern die Kette ihres Großvaters vermacht. Dieser süße, pausbäckige Genin war gestern gerade einmal zwölf geworden, hatte aber bereits jetzt große Ziele. Ziele, die Tsunade niemals verstehen würde. Sobald er Hokage war, konnte sie endlich aufhören, ein Idol zu sein.

"Ein Idol?", wiederholte Jiraiya skeptisch. "In welcher verdrehten Welt bist du ein Idol von irgendjemandem?"

"Pah!" Sie zischte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ihr Freund und Teamkamerad saß auf dem Kopf eines mittelriesigen Frosches, den er soeben zum ersten Mal erfolgreich beschworen hatten. Dieser warzennäsige Tunichtgut war auch noch stolz auf seine Leistung, dabei hatte Orochimaru und sie die Kuchiyose no Jutsu schon vor Wochen gemeistert. Er hätte sich lieber sputen sollen, Gamabunta herholen zu können, anstatt lustige Balancespielchen auf dem taugrünen Amphib zu vollführen, die leicht ins Auge gehen konnten. Sie wandte sich beleidigt ab. "Ich erzähle dir nie wieder von meiner zarten Seele."

"Und in welcher noch verdrehteren Welt hat du—von allen Menschen gerade du—eine zarte Seele?" Er sprang vom Kopf des Frosches, als er gefahrlief, vornüberzukippen, und schickte den vertrauten Geist zurück in seine eigene Welt. "Tsunade, deine Seele ist robuster als ein Holzbrett."

"Ich verlange von einem minderbemittelten Chūnin nichts anderes als diesen flachen Kommentar. Du hast keine Ahnung."

"Und du missbrauchst mich als Kummerkasten für Kummer, den du gar nicht hast. Andere wären froh, mit solchen Privilegien geboren worden zu sein. Bisher hast du doch immer deine Vorteile daraus geschlagen." Jiraiya klopfte ihr aufmunternd auf die Schultern. "Wenn es soweit ist, wirst du einen ausgezeichneten Hokage abgeben. Glaub mir, mit diesem Blut bleibt dir gar nichts anderes übrig."

"Dummkopf", versetzte sie milde lächelnd. "Ich werde niemals Hokage. Zumindest nicht freiwillig. Sie werden sich einen anderen armen Tropf finden müssen, der seine restlichen Jahre eingesperrt hinter einem aktenüberladenen Schreibtisch verbüßt. Ich bin ein Krieger. Niemand wird mich jemals in die Bürokratie verfrachten."

Jiraiyas Mund verdrehte sich zu einem spitzbübischen Grinsen, das sie sehr gut an ihm kannte. Er hatte wieder eine seiner glorreichen Ideen ausgefressen, die meist nirgendwo hinführten, außer auf direktem Weg in ihre Faust. Seine Einfälle waren selten gut für seine Gesundheit.

"An dem Tag, an dem du Hokage wirst, gehen wir aus. Ich möchte ein richtiges Date mit Essen, Mondlichtspaziergang und einem Abschiedskuss."

Da hatte sie es; ein grenzdebil bescheuerter Versuch, sie zu etwas zu überreden, das sie ihm seit Jahren verweigerte. Als hätte es etwas genützt. "Vergiss es." Tsunade formte mit ihren Armen ein 'x' vor ihrem Gesicht, die Kreuzstelle unter ihr nach vorne gerecktes Kinn geschoben. "Wetten sind etwas moralische Verwerfliches. Vor allem, wenn es um etwas derart Widerliches geht. Hör auf, die Lippen zu schürzen, Jiraiya-chan, du bist kein Mädchen. Mondlichtspaziergang, pah!"

Beleidigt wandte er sich von ihr ab, wieder dem seichten Fluss zu, neben dem er seit Stunden trainierte. Eine Kaulquappe bahnte sich von einem früheren, fehlgeschlagenen Beschwörungsversuch ihren beschwerlichen Weg den schmalen Strand aus grobem Kies entlang hinab zum rettenden Wasser. Tsunade nahm sie auf und hielt sie ihm vor die Nase, ehe er einen neuen willkürlichen Frosch beschwören konnte.

"Siehst du das? Das ist der Grund, wieso ich niemals mit dir ausgehen werde. Du bist kindisch, unreif, untalentiert und du nervst!"

Jiraiya wich empört zurück. "Tatsächlich? Wenn ich das bin, wieso redest du dann mit mir über deine Probleme und nicht mit diesem kaltschnäuzigen, hypertalentierten Wichtigtuer Orochimaru? Ach ja, er ist ein kaltschnäuziger, hypertalentierter Wichtigtuer, der sich einen Scheißdreck für deine oder meine oder irgendjemandes Probleme interessiert! Ich höre dir wenigstens zu und versuche dich aufzuheitern!"

Tsunade machte einen bedrohlichen Schritt nach vorne, verfehlte seinen Kopf jedoch, als er schnell zurückwich. Er hatte wohl heimlich an seiner Schnelligkeit gefeilt. Orochimaru zu erwähnen—diese peinliche Schwärmerei, die sie vor Jahren während ihrer Geninzeiten gehabt hatte—war unter jeder Gürtellinie und das wusste er, denn er kam in einigem Sicherheitsabstand zum Stehen, von wo aus er sie ernst ansah. "Du bist doch nicht hier, um mich zu beleidigen oder dein pseudovolles Herz auszuschütten", stellte er trocken fest. "Was bedrückt dich wirklich?"

Sie wusste genau, wann sie verloren hatte. Es war schwierig, ihm auszuweichen, wenn er erst einmal durch ihre Fassade gebrochen war. Die Blockaden dahinter niederzureißen war eine leichte Sache. Man hatte es ihr gelehrt; undurchsichtig zu sein. Immer korrekt, immer professionell, immer hier und wach. Wenn ihr Großvater Probleme gehabt hatte, hatte er sie niemals gezeigt. Er war Shodaime Hokage gewesen, die oberste Macht Konohagakure no Satos. Ein Anführer durfte keine Schwäche zeigen, egal wie schlecht es ihm ging.

Sie war eine Anführerin.

Doch sie war auch eine große Schwester. Jiraiyas durchdringender Blick malträtierte sie in all seiner Intensität. Wieso musste er auch derart freundlich sein? Wieso musste er immer da sein, immer ein offenes Ohr haben, obwohl sie ihm gegenüber mit Beleidigungen um sich warf? Wieso musste er so quälend nett sein, dass es sie schmerzte, ihm nicht sagen zu können, was sie sie in diese deprimierende Stimmung versetzte. Er würde es nicht verstehen, oder doch? Sie verstand es ja selbst nicht. Diese böse Vorahnung, die sie hatte.

"Ich verstehe, wenn du nicht darüber reden willst. Wenn du soweit bist, werde ich da sein. Tsunade."

Er verschwand in einer dichten Rauchwolke, die sich samt seiner Chakrapräsenz nach seinem Abgang verflüchtigte. Plötzlich war die Lichtung leer. Tsunade fühlte sich nicht einsam. Sie fühlte sich verlassen. Irgendwie. Verlassen von allen guten Dingen dieser Welt.
 

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Der Himmel war am Morgen blau gewesen. Blau wie die stet fließende Wasseroberfläche, die sie flussabwärts in winzigen, langsamen Schritten barfuß entlangging. Der sanfte Wind streifte ihre nackte Haut an den Oberarmen und Unterschenkeln, hauchte seine kalte Brise durch das Netzteil, dessen Brustbereich von einem weißen Oberteil vor der Kühle geschützt wurde. Es war Sommer. Dass dennoch kühler Wind über die kurzen Grashalme, durch die saftig grünen Baumkronen strich, sie rascheln ließ und im Gleichtakt wippen ließ, hätte bereits ein schlechtes Omen sein sollen. Jiraiya hatte sich vor Stunden vor der morgendlichen Dämmerungsszenerie verabschiedet, in der sie gegen Nachmittag hin ziellos den seichten Fluss entlang wanderte. Er war bloß wadentief, sodass Tsunade kein Chakra aufwenden hätte müssen, um durch ihn zu waten; dass sie es dennoch tat, war eine verzweifelte Beschäftigungstherapie für ihre Konzentration, die in jenen Momenten, in denen sie die perfekte Balance minutenlang mühelos gehalten hatte, immer wieder zurück nach Shimo no Kuni wanderte, wohin ihr kleiner Bruder seit gestern mit seinem Geninteam und einem Sensei, den sie nur flüchtig kannte, unterwegs war.

Dieser Mann, Kamazu irgenwie, hatte den Ruf, kompetent, erfahren und loyal zu sein. Ein Ruf, den alle Jōnin hatten. Er war nichts Besonderes. Nicht kompetenter als andere Jōnin, nicht erfahrener, nicht loyaler. Nicht besser. Tsunade versuchte, Gutes daran zu finden, ihren Bruder in jemandes Obhut zu wissen, den sie so wenig kannte. Ihre Eltern hatten keine Einwände gegen ihn erhoben, als die Akademie die Teamzusammenstellung beschlossen hatte. Sie hatten es getan, als man sie jemand anderem als Sarutobi Hiruzen zuteilen hatte wollen. Irgendeiner Kunouchi mit blondem Haar, die schon vor Jahren gestorben war, keine neun Monate nach Tsunades Abschluss an der Akademie. Hiruzen war ein Freund der Familie, gehandelt als der nächste Hokage, wenn Tobirama abgedankt hatte. Sie hätten ihr Vorzeigekind niemals unter die Aufsicht eines weniger hohen Mannes gegeben als dem höchsten verfügbaren.

Tsunade war dankbar. Noch dankbarer wäre sie gewesen, wenn ihr Sensei sich Nawaki angenommen hätte, anstatt ihrem Großonkel auf Schritt und Tritt zu folgen, um später sein Amt zu übernehmen. Sie, Jiraiya und Orochimaru waren schon vor Jahren zu Chūnin geworden. Demnächst sollte eine Prüfung eingeführt werden; zur Stärkung des bröckelig gewordenen Friedens zwischen den Nationen und zur Beilegung der aufkeimenden Differenzen. Sie war politisch genügend unterrichtet worden, um zu wissen, dass diese Prüfung der Kontrolle diente. Man wollte damit versuchen, die Schlagkraft der anderen Länder zu evaluieren. Wenn es nach ihr ginge, würden diese lächerlichen Modalitäten niemals Einzug in das Rechtswesen haben. Eine bestandene Prüfung als Beweis ausreichender Shinobiqualitäten…die Welt der Ninjas war doch kein Bazar.

Ein Regentropfen fiel vor ihr ins Wasser, wo er kleine Wellen schlug, die nach außen hin größer wurden. Ein physikalischer Effekt.

Regen. Ein schlechtes Omen.

Sie sah in den düsteren Himmel, der inzwischen vollends zugezogen war. Dicke Wolken türmten sich übereinander, darum ringend, wer zuerst seine Last auf die Erde entladen durfte. Binnen einer Minute war ein Platzregen ausgebrochen, der kein Platzregen war. Er ergoss sich erbarmungslos auf die Wiese, den Fluss, durch das dichte Blätterwerk und traf Tsunade in all seiner Wucht. Sie verbat sich, zu frösteln. Eine Kunoichi fröstelte nicht bei Regen. Sie fröstelte überhaupt nicht. Mit ein wenig Chakra wärmte sie ihren Körper von innen heraus, um ihre Temperatur konstant zu halten, als sie ihren schleichenden Schlenderschritt mitten auf dem Fluss stoppte, der seinen vorherbestimmten Weg unter ihren Fußsohle weiterfloss.

"Glaubst du an das Schicksal?", fragte sie den Shinobi, der lautlos neben ihr aufgetaucht war. Sie hätte seine Chakrasignatur überall erkannt, selbst sie nicht aufgrund seines Versprechens gewusst hätte, dass er wiederkommen würde. Jiraiyas Instinkt ihren Stimmungen gegenüber war unfehlbar.

Er verharrte hinter ihr, wo der Regen auf ihn niederfiel, genauso wie auf sie und doch eine andere Bedeutung hatte. Sie hasste Regen. Er zuckte die Schultern. "Ich glaube an Chancen", antwortete er vage.

"Chancen, hm?" Tsunade richtete ihren Blick erneut nach oben, verengte ihre Lider, um ihre Iriden vor dem Niederschlag zu schützen, und streckte eine Hand nach oben hin aus, als könne sie die Tropfen greifen, die um sie tanzten.

"Wir bekommen jeden Tag neue Chancen. Ob wir sie nutzen oder nicht, bestimmt unser Schicksal. Niemand kann nur einen Weg gehen, Tsunade." Jiraiya trat neben sie, um seine Hand neben der ihren gen Himmel zu richten. "Wir dürften jeden Augenblick aufs Neue wählen, welche Abzweigung wir nehmen und wie schnell wir darauf gehen. Du kannst das Schicksal dafür verantwortlich machen, aber manchmal ist es einfach Pech, Glück oder Zufall."

"Was?"

Er zuckte die Schultern. "Sag du es mir."

Es dauerte, bis sie die Courage hatte, die Stimme zu der einen Wahrheit zu erheben, die sie plagte. Es auszusprechen, bedeutete, ihre Angst real zu machen. Jiraiya würde sie nicht schönreden. Es war nicht seine Art, Probleme von anderen zu Nichtigkeiten herabzuwürdigen. Er tat es bei jenen Schwierigkeiten, vor denen er selbst stand, um andere nicht glauben zu lassen, er lasse sich davon in seiner Sorglosigkeit beschneiden. Dieser Tollpatsch.

"Nawaki brach gestern zu seiner ersten Auslandsmission auf."

"Machst du dir Sorgen?"

Ihr Kopfschütteln war erstaunlicherweise keine Lüge. Sorgen waren das letzte, das sie derzeit beschäftigte. "Ich fürchte mich."

"Wovor?"

Der Mut verließ sie für den Moment. Weiter bis hierhin zu gehen, hieße, den Teufel an die Wand zu malen. Man sprach nicht über schlechte Dinge, die in der Zukunft verborgen liegen könnten. Das hieße, sie zu beschwören. Sie wusste nicht, ob es ein Sprichwort, eine Weisheit oder etwas war, das ihre Mutter bloß sagte, um sie vor allzu viel Selbstzweifel zu bewahren.

"Davor, recht zu haben."

Plötzlich fand sie sich in einer seichten Umarmung wieder. Jiraiya hatte sie an sich gedrückt, einen Arm um sie gelegt, den anderen auf ihrem Haar, dessen Haarband vom Regen durchnässt war wie auch ihre Kleidung, die an ihrem schlanken Körper klebte. Sie hätte sich behütet fühlen sollen, geliebt, respektiert, aber keines dieser Gefühle wollte sich einstellen, als sie zu weinen begann. Ihre Tränen vermischten sich mit dem verheißungsvollen Regen und wurden hinfort gespült, um den neuen Platz zu machen, die ungehindert kamen, nun, da Jiraiya sie mit seiner zweiten Hand dichter an sich presste. Sein Kinn streifte ihren Scheitel, der ruhig daran lehnte. Es waren stumme Tränen, die sie weinte, weil sie nicht anders konnte.

"Egal was passiert, mich wirst du niemals los", versprach er für jetzt und alle Zukunft. Alleine dieser Schwur machte ihr Angst. Egal was passierte. Egal wer sie verließ, er würde bleiben.

"Ich finde schon eine Möglichkeit, warte es nur ab", murmelte sie an seiner traditionellen Leinentunika mit dem roten Muster, das sie seit jeher als kindisch abgestempelt hatte.

"Vergiss es, Tsunade." Beharrlich strich er über ihren Rücken. "Selbst wenn die süße, unschuldige Tsunade-chan, die Wetten und Alkohol verabscheut, irgendwann einmal eine verrunzelte, ordinäre, spielsüchtige Alkoholikerin ist, bleibe ich dein Freund."

"Tsk", zischte sie abwertend über diese nicht gerade schmeichelhafte Beschreibung ihres zukünftigen Ichs. "Egal was ich einmal werde, bevor ich Falten bekomme, springe ich von einer Klippe."

Sie spürte den Druck auf ihrem Haar, als Jiraiya zu lächeln begann und sich sein Kiefer dadurch nach unten schob. "Geht es dir nun besser?"

Tsunade zögerte. Es war keine leichte Frage. Die Vorahnung war noch da. Die Furcht. Die Angst. Dieses Gefühl.

"Nein."

"Dann ist es vielleicht besser, ich bleibe bei dir, bis alles vorbei ist."

"Danke, Jiraiya. Für alles."
 

Als er erneut tröstend über ihr Haar strich, löste sich der Knoten des Haarbandes, das sich mit Regenwasser vollgesogen hatte. Sie hatte einst erzählt, dass es ein Geburtstagsgeschenk von Nawaki gewesen war, das er von seinem allersten Taschengeld im Alter von sechs Jahren für sie erstanden hatte. Es war rot und seither hatte sie ihre Kleidung immer daran angepasst. Sie hatte es nie abgenommen. Bis zum heutigen Tag, als er mit traurigem Blick beobachtete, wie das Rubinfarbene Stoffband ins Wasser fiel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  L-San
2013-05-31T14:24:50+00:00 31.05.2013 16:24
Yo Five. ;D

Mit etwas Verspätung kommt meine Review. ;D
Viel Spaß damit. ;D

Inhalt:
Das war ein guter OS, aber meiner Meinung nach nichts Besonderes, da hat mir irgendwie das gewisse Etwas, dieser Tiefgang gefehlt.
Dafür fand ich den Aufbau der Gefühle und Bindungen schön und klar.


Charaktere:
Die Charaktere fand ich gut getroffen, sie waren IC – zumindest was Tsunade und Jiraiya angeht.
Ob Klein-Ororchimaru wirklich auf die Sorgen seiner Teamkollegen pfeift, ist fraglich.
So viel ich weiß, waren seine Kameraden für ihn zunächst eine Art Familie.
Mir hat das Band zwischen den beiden Sannin sehr gut gefallen, vor allem wie du es durch Worte und Flashbacks vertieft hast.


Schreibstil:
Vielleicht irre ich mich, aber irgendwie hat dein Schreibstil am Anfang ein wenig nachgelassen, hat sich aber dann im Verlauf der Handlung verbessert.
In der ersten Hälfte hast du mich berührt, aber dann hat dieser Tiefgang kontinuierlich etwas abgebaut.
Ich hätte mir irgendwie mehr prägende Eindrucke gewünscht.
Ich hätte gerne mehr von der Melancholie gelesen.


Sonstiges:
Ab der Mitte ist dir vermutlich ein Formatierungsfehler passiert, denn da ist der Text komplett fett geschrieben und zentriert.
Ansonsten kann ich nur noch sagen, dass das ein schöner OS war, zwar nichts Besonderes , aber dennoch schön.
Ich hab noch ein Wort für dich: Five-Ära.
;DDD
Ja, ein neues Zeitalter hat durch dich begonnen.
Ich fänd es schön, mal über KakaSaku zu lesen.
;D

L-San
Antwort von:  4FIVE
31.05.2013 16:35
KakaSaku, omg...das habe ich mal gemacht. Vielleicht überarbeite ich den OS mal. Und du hast recht, der Tiefgang hätte mehr sein müssen, allerdings liegt mir das ja nicht sonderlich.
Was die Formatierung angeht, das habe ich bereits ausgebessert.
Phew, ich darf echt nicht mehr alle fünf Minuten online gehen, um Neuigkeiten zu prüfen. Ich stalke mich schon selbst. :/

Liebe Grüße
4FIVE

P.S. Mittlerweile denke ich, dass dein TOFU-Icon ein kaputtes Geodreieck ist.
Antwort von:  L-San
31.05.2013 16:40
;DDDDDDDD
Heut biste ja sehr lusstisch draf. ;DD
Auf KakaSaku bin ich sehr gespannt.
;]
Seltsamerweise bin ich in letzter Zeit offener für Crackpairings/seltene Pairings. O.o

L-San
Antwort von:  4FIVE
31.05.2013 16:42
^^
Wie gesagt, KakaSaku kann ich nicht versprechen, aber ich behalte es im Hinterkopf. Mit Crack/seltenen Pairings bist du dann in dieser Reihe ja eh gut bedient. Hayate/Yuugao gibt's ja denke ich zB überhaupt nicht.
Antwort von:  L-San
31.05.2013 20:57
Eines ist mir aufgefallen, nämlich, dass hier die Angabe Hetero fehlt.
Wenn du das angibst, würde dein OS mehr wahrgenommen werden.
;D

L-San
Antwort von:  4FIVE
01.06.2013 13:59
Habs geändert. Danke. :)
Von:  Skalli_Otori
2013-05-31T12:05:21+00:00 31.05.2013 14:05
Ich fand den OS sehr schön und geschmackvoll. Es muss ja nicht immer so triefend, dramatisch schmalzig sein, dass man davon eine Fettbemme schmieren könnte. Ich denke du hast den Nerv, für das was du aussagen wolltest gut getroffen. Es lass sich flüssig und fügte sich zu einem guten, ganzen zusammen. Hat mir sehr gefallen.
Von:  Kaidoh
2013-05-30T20:25:00+00:00 30.05.2013 22:25
Wow, mir hat der OS sehr sehr gut gefallen.
Super Stil, flüssig, keine komplexen Sätze die fünf Seiten lang sind... xD
Tiefgründig...hm für meinen (eigenen) Geschmack hat mir noch das gewisse etwas gefehlt - mehr Gefühl, oder mehr Beschreibung. Trotzdem fand ich das mit dem Regen/Fluss sehr hübsch eingerahmt und den Rück-/Einblick in ihre Kindheit.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass es sich sogar so abgespielt haben könnte :)
Und... ich weiß das irgendwo auf ein kleiner Fehler war, aber nicht wichtig genug ihn zu erwähnen...
Schreib fein weiter, freu mich schon auf die nächsten "kleinen" Werke von dir

P.S. Auch wenn du das Paaring gerade hattest, würde ich mich über JiraTsu trotzdem noch mal freuen und eventuell, so fern du damit etwas anfangen kannst, OroAnko ^_^
Antwort von:  4FIVE
30.05.2013 22:34
Danke für deinen Kommentar! JiraTsu kommt mindestens noch einmal wieder. OroAnko kann ich nicht versrprechen, wird aber in meinem anderen one-shot 'The Scarlet Centipede' implizit thematisiert. Fall du also Interesse hast, kannst du gerne reinschauen! :)


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