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Hoffnung riecht nicht

Ostergeschichte für FreeWolf
von

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Hoffnung riecht nicht

„Ich mache eine Liste mit Dingen, die ich mag“, sagt Ivan.

Gilberts Gesichtsausdruck ist unbezahlbar. Dieser fassungslose Blick, als würde er sich noch halb fragen, ob Ivan sich über ihn lustig macht, und halb schon überlegen, wie er sich über ihn lustig machen kann. Allein für diesen Blick hat sich die Antwort gelohnt, denkt Ivan schmunzelnd. Zu köstlich.

„Das ist nicht dein Ernst.“

„Doch, doch.“ Er deutete auf den Notizblock vor sich. Gilbert reckt den Hals, um einen Blick darauf zu werfen, aber Ivan bedeckt die Schrift mit der Hand.

„Hey! Lass mich gefälligst lesen!“

„Nicht so laut. Du willst doch Ludwig nicht bei seiner Rede stören.“

Gilbert wirft einen flüchtigen Blick auf seinen Bruder vorn am Rednerpult und knurrt etwas. „Du weißt genau, dass diese Konferenzen mich zu Tode langweilen. Erst machst du mich neugierig auf deine doofe Liste, und dann lässt du mich nicht lesen.“

Ivan gluckst in sich hinein und sagt nichts.

„Warum machst du das, Braginsky?“

„Weil ich dich gerne quäle?“

„Wer's glaubt! Ich kenne niemanden, der so hart für sein Image als Sadist arbeitet und ihm privat so wenig gerecht wird.“

„Findest du?“

„Was?“

„Findest du, ich werde meinem Image nicht gerecht?“

Gilbert knurrt irgendetwas.

„Ich dachte immer, du würdest mich hassen.“

„Habe ich das je bestritten?“

Ivan wendet das Gesicht ab und sieht zu Ludwig, der gerade eine neue Grafik erklärt. Der Beamer scheint schief zu stehen, das Kreisdiagramm sieht aus wie ein buntes Ei.

„Mit Fell gefütterte Handschuhe.“

„Was?“

„Das steht auf meiner Liste“, erklärt Ivan geduldig. „Mit Fell gefütterte Handschuhe. Kaninchenfell ist zum Beispiel wunderschön weich.“

Erneut hat Gilbert nur ein Knurren dafür übrig.

„Außerdem mag ich den Anblick von reifen Feldern bis zum Horizont“, liest Ivan weiter vor. „Ich mag alte Eisenbahnschienen und alte Zäune mit Stacheldraht, die verfallen und von Pflanzen überwuchert sind. So sehr, dass man sie kaum noch erkennt unter Brombeeren und Flieder und Wildrosen.“

„Seit wann bist du so ein Romantiker?“

Ivan geht nicht darauf ein. „Aber am meisten mag ich den Geruch der ersten Hyazinten nach einem langen Winter. Sie zeigen, dass der Frühling da ist.“

„Hyazinten? Oh, ich erinnere mich. Früher haben dir immer irgendwelche Parteibonzen Blumenzwiebeln geschenkt, sobald der Winter zu Ende ging. Du hast die Blumen herangezogen und das ganze Haus damit dekoriert. Nach spätestens einem Tag hat es überall gestunken wie sonstwas.“

„Sie riechen nach Hoffnung“, widerspricht Ivan.

„Hoffnung riecht nicht.“

„Tut sie doch. Sie duftet nach Hyazinten.“

Gilbert schnaubt abfällig. „Für mich wandert dieser Geruch jedenfalls direkt auf die Liste der Dinge, die ich hasse.“

„So eine Liste gibt es?“

„Ich bin gerade dabei, sie zu erstellen.“

„Warum konzentrierst du dich nicht lieber auf die schönen Dinge?“, fragt Ivan leise.

„Ich hasse den Winter. Den Schnee auf den Straßen, der einem die Stiefel durchnässt, und dass man so viel Zeit damit verschwenden muss, sich dick anzuziehen, bevor man vor die Tür gehen kann.“

Ivan spielt mit dem Kugelschreiber und überlegt, ob ihm noch etwas Schönes für seine Liste einfällt. Aus irgendeinem Grund ist sein Kopf völlig leer.

„Ich hasse Mäntel“, fährt Gilbert neben ihm fort. „Besonders in grau oder beige, das sind so unspektakuläre Farben! Und ich hasse Schals, weil sie so lang und wickelig und Schal-artig sind. Besonders die aus kratziger Wolle. Und ich hasse es, wenn es so kalt ist, dass ich diese komische Pelzmütze aufziehen muss, damit mir nicht die Ohren abfallen – Pelzmützen sind total uncool!“

Langsam steigert er sich ein wenig zu sehr in seine Liste hinein, denkt Ivan und betrachtet seine Finger. Eigentlich braucht er gar nicht weiter zuzuhören. Er weiß schon, womit die Liste früher oder später enden muss.

„Ich hasse... Wodka! Und Borschtsch kann ich auch nicht leiden! Ich hasse es, bevormundet und wie ein Kind behandelt zu werden! Ich hasse es, von jemandem geliebt zu werden, der gar nicht weiß, was lieben bedeutet! Aber am meisten...“

Er kann sich denken, wen oder was Gilbert am meisten hasst.

„...am allermeisten hasse ich Clowns!“

Ivan bricht in schallendes Gelächter aus und hört, wie Ludwig vorn auf den Tisch schlägt. „Ich bitte um Ruhe! Gilbert, Ivan, was zum Teufel macht ihr zwei da hinten?“

„Wir kriegen gerade unsere Beziehung in den Griff, Westen!“, blafft Gilbert ihn an. „Stör uns nicht!“

Ludwig verzieht die Lippen. „Könnt ihr eure Beziehung nicht vor der Tür klären?“

„Oder nehmt euch ein Zimmer“, schlägt Raivis arglos vor, aber Toris stößt ihm den Ellbogen in die Seite. Ein angeregtes Tuscheln kommt im Konferenzsaal auf. Anscheinend sehen die anderen Nationen den Zwischenfall als willkommene Abwechslung von der Eintönigkeit der Sitzung. Nur Ludwig spielt nicht mit.

„Ruhe! Wenn wir unsere Mittagspause nach Zeitplan einhalten wollen, müssen wir voran kommen! Ich fahre also fort. Wie ihr euch sicher erinnert, war ich gerade dabei, die Auswirkungen der Globalisierung auf die Produktion von handbetriebenen...“

„Dein Bruder ist die reinste Schlaftablette“, raunt Ivan Gilbert zu und kann ein Glucksen nicht unterdrücken. Clowns. Zu köstlich.

„Sag nichts gegen meinen Bruder!“, faucht Gilbert, aber er sagt nicht, dass er Ivan hasst. Zwar kann Ivan sich das nicht recht erklären, aber es macht ihn glücklich. Er steht nicht auf Gilberts Liste. Dafür steht Gilbert auf seiner.

„Was grinst du schon wieder so komisch?“

„Ich? Ich grinse gar nicht.“

Gilbert wirft ihm einen verächtlichen Blick zu. „Verarschen kann ich mich allein, Braginsky.“

Also gut, Ivan grinst wirklich, aber Gilbert kann nicht wissen, warum. Er bemerkt sicher nicht, dass plötzlich der Duft von Hyazinten in der Luft liegt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  FreeWolf
2013-04-03T09:08:32+00:00 03.04.2013 11:08
Clowns. *lach* XD
Ich habe gerade sehr, sehr laut herausgelacht und konnte wohl die letzten fünf Minuten nicht mehr damit aufhören. Danke für den Lacher!
Die FF ist wirklich herzig. Schon allein, dass Ludwig die beiden auf einer Konferenz nebeneinander Platz nehmen lässt, obwohl er bestimmt genau weiß, wohin das führen wird. Ich finde Ivans Liste, die er Gilbert nicht zeigen will, eine gute Beschäftigungstherapie, das mache ich in meinen Vorlesungen auch gerne mal.. ;) Und Gilbert, der ständig in seine Tagebücher kritzelt, darf nicht draufschauen, so wie er keinen in seine awesome Tagebücher reinschauen lässt. (Ich stelle mir gerade vor, wie Ivan vor seinem Tagebuch-Zimmer steht und an verschlossener Tür klopft.)
Was ich mag:
Lutz ist wunderbar getroffen!
Der Duft von Hoffnung = Hyazinthenduft. Einfach nur toll. XD
Gilbert hasst alles, was irgendwie mit Russland und Ivan zu tun hat. Aber er liebt ihn trotzdem.
>>Ich kenne niemanden, der so hart für sein Image als Sadist arbeitet und ihm privat so wenig gerecht wird.<< Dieser Satz. Und überhaupt der ganze Rest der Geschichte.

Ich glaube, ich könnte das noch ziemlich lange weiterführen - darum halte ich mich jetz doch etwas kürzer: vielen lieben Dank für die tolle Geschichte! <3 Du hast meinen Geschmack sowas von getroffen.
(Und: diese Zufälle. *lol* Zuerst das Wichteln, und dann die Wahl der Hauptcharaktere..:D)

Wolfi

Von:  Rix
2013-04-02T23:23:47+00:00 03.04.2013 01:23
Die kurze FF war wirklich süß!
Ich mochte es, wie du in so wenigen Worten, so eine in sich geschlossene und schöne FF hervorbringen konntest. Allein, dass Ivan und Gilbert bei einer Konferenz nebeneinander sitzen und ihre "Listen" erstellen, ist so simpel, dass es wieder toll ist. Auch die Kleinigkeit mit Lutz ewigen eintönigen Gerede und dem "Ei-Diagramm", sehr passend. Aber wohl am Besten hat mir gefallen, wie du Hoffnung mit dem Duft von Hyazinten gleichsetzt, das war einfach nur großartig!
Und das Ende war natürlich purer Zucker :3


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