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The One and Only!

Onsen OS
von

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Erster Tag

Das hier war seine große Chance!

Für die anderen mochte es ein bloßer Wochenendtrip sein, aber für Josh bedeutete es um einiges mehr! Das hier war seine Chance, sich zu beweisen! Sich und allen anderen zu beweisen, dass ER der echte und einzig wahre Joshua McKinnlay war!
 

Es waren inzwischen ein paar Monate vergangen seit Josh erfahren hatte, dass sein Doppelgänger ihm viel näher war, als Josh es je erwartet geschweigedenn gewollt hätte!

Genau genommen befanden sie sich in einer ähnlichen Lage. Sie beide saßen in Keijis Hauptquartier fest und auch wenn ihnen immer gesagt wurde, dass sie keine Gefangenen waren und theoretisch tun und lassen konnten, was sie wollten, wurde ihnen praktisch immer wieder nachdrücklich eingeschärft, dass sie am besten so wenig Zeit wie möglich außerhalb des Stützpunktes verbrachten. Und wenn, dann keinesfalls ohne schützende Begleitung und einer guten Verkleidung!

Denn dadurch dass Seth einer der Topleute auf Naganos Abschussrampe war und James McKinnlay seinerseits an nichts mehr interessiert zu sein schien, als seinen Sohn zurück in seine Gewalt zu bringen, war ihre Stadt für sie beide momentan kein sonderlich sicherer Ort.

Für Josh hätte dies nicht deprimierender sein können! Nach allem was geschehen war, allem was er erfahren und hatte durchmachen müssen, hatte er versucht, sich irgendwie mit seinem neuen Leben zu arrangieren und die positiven Aspekte daran zu sehen. Das Positive daran, alles mit einem Schlag zu verlieren, keine Familie, kein Zuhause, keine Zukunft mehr zu haben…

Ja, er hatte alles verloren, das sein damaliges, ohnehin schon mickriges Leben ausgemacht hatte, also hatte er gehofft, als eine Art Tauschgeschäft wenigstens das erlangt zu haben, was er damals nicht hatte – seine Freiheit!

Tja, Freiheit am Arsch! Statt in einer wenigstens luxuriösen Villa festzusitzen, mit einem großen, bequemen Bett, ausfahrbarem Flachbildfernseher, einer DVD-Sammlung die einer Videothek gerecht wurde, hochtechnischer Musikanlage, Schwimmbad, Fitnessraum, Musikzimmer und vielem mehr saß er nun in einem unterirdischen Maulwurfsbau fest!
 

Nachdem sich Joshs Zustand soweit gebessert hatte, dass er wieder länger als fünf Sekunden auf seinen eigenen Beinen hatte stehen können, und auch eine von Keiji inszenierte Befreiungsaktion für Georgio geglückt war, war es lediglich Rei und Georgio zu verdanken gewesen, dass Josh nicht in einer Kamikaze-Aktion versucht hatte, sich seine Villa zurückzuerobern, wie er es mehrfach angedroht hatte.

Ja, Rei und Georgio waren das einzig Gute, das er bei allem was geschehen war dazu gewonnen hatte. Sie waren es, die ihm die Kraft und den Mut gaben, nicht einfach aufzugeben und die anfangs langsam heilende Wunde an seinem Handgelenk wieder aufzureißen. Ohne die beiden und insbesondere Rei, die ihm die ganze Zeit über kaum von der Seite gewichen war, wäre er schlichtweg verloren gewesen.
 

Aber eine Sache gab es da neben all den offensichtlicheren Existenz betreffenden Problemen, die er dank seinem Vater hatte, die ihm dann und wann das Herz unbeschreiblich schwer werden ließ. Anfangs so unterschwellig, dass er nicht einmal genau definieren konnte, warum er sich so niedergeschlagen fühlte, doch inzwischen war ihm dies bewusst geworden und es war etwas, das er nicht mit Rei besprechen konnte.

Es war ihre Freundschaft zu diesem Seth, die ihn störte!
 

Bisher hatte Josh es immer abgelehnt, ihn näher kennen zu lernen, auch wenn Rei hin und wieder Andeutungen gemacht hatte, sie einander gerne mal vorzustellen. Aber Josh wollte davon nichts wissen! Es reichte ihm schon, Seth manchmal zufällig auf den Gängen zu sehen, obwohl er sich redlich darum bemühte, ihm aus dem Weg zu gehen.

Sein bloßer Anblick und fast noch mehr als dies, der Klang seiner Stimme, weckten in Josh Erinnerungen, die ihm das Gefühl gaben, sich am liebsten übergeben zu wollen. Und auch wenn es vielleicht ungerecht war oder irrsinnig oder einfach nur der klägliche Versuch sich einzureden, dass es anders hätte sein können und nicht seine eigene Schuld war, so konnte er nicht anders, als Seth als Mitverantwortlichen seiner Lage zu sehen. Zumindest was die Sache mit seinem Vater anbelangte!
 

Wie könnte Josh Seth verzeihen, ihn so gedemütigt zu haben?! In SEINEM Namen und mit einer billigen Josh-Verkleidung mit seinem Vater zu schlafen und dabei so zu tun, als würde es ihm gefallen! Dieses Stöhnen auf dem Band, die Willigkeit, die Seth zum Besten gegeben hatte, die Dinge, die er gesagt hatte…

Niemals! Niemals in seinem ganzen Leben würde Josh so etwas tun, so etwas sagen und erst recht nicht bei seinem eigenen gottverdammten Vater!!

Das war einfach nur krank! Krank und abartig! Das, was sein Vater von ihm gewollt hatte war psychopatisch und Josh wurde manchmal den Gedanken nicht los, dass sich das fehlgeleitete Verlangen seines Vaters nach ihm vielleicht abgebaut, vielleicht irgendwie relativiert hätte, wenn es da nicht Seth gegeben hätte, der ihm diese Szenen vorgespielt und ihn in seiner Abnormalität bestärkt hätte!

Natürlich, auch das hätte nichts an dem Umstand geändert, dass sein Vater ein kaltblütiger Mörder war und Josh sein Leben lang belogen hatte, aber so sehr Josh in dem letzten halben Jahr auch gelernt hatte, seinen Erzeuger aus tiefstem Herzen zu hassen und zu verabscheuen, hatte er auch gemerkt, dass der Schmerz nie von ihm väterliche Liebe erfahren zu haben, geblieben war…
 

Immer wieder musste er bei diesen Gedanken an Kazuya Iwaki und Seijiro Nagano denken, über die er ebenfalls noch viele erschreckende Grausamkeiten hatte erfahren müssen, die er aber nichts desto trotz auf eine Weise kennen gelernt hatte, die ihm gezeigt hatte, dass hinter all den schrecklichen Taten dennoch bloß fehlgeleitete Menschen steckten!

Es sollte keine Entschuldigung für das sein, was sie taten, aber… sie hatten ihm geholfen! Auch wenn er es nicht verstand, nachdem insbesondere Nagano dafür bekannt war, nicht sonderlich empfänglich für etwas wie Welpenschutz zu sein, aber sie hatten ihm das Leben gerettet und ihn – was ihm noch wichtiger war – davor bewahrt, seinem Vater ausgeliefert zu sein!

Bewies das nicht, dass auch solche Leute, die für opportunistische Beweggründe über Leichen gingen, Mitgefühl und Liebe empfinden konnten? Die einen Sinn für Familie hatten und verstanden, wie falsch es war, seinem Sohn so etwas antun zu wollen, wie James es gewollt hatte?

So kaputt und krank sein Vater also auch sein mochte, wäre es nicht möglich gewesen, dass er Josh dennoch auf väterliche Weise geliebt hätte, wenn man seinen Wahnsinn nicht dermaßen gefördert hätte?

Es mochte nie viel gewesen sein, was ihn mit seinem Vater verbunden hatte, aber er war eben immer der Einzige gewesen, den er gehabt hatte und auch wenn er nun Rei und Georgio hatte und seine Beziehung zu diesen wesentlich weniger schmerzvoll und einseitig war, so empfand er in so manch schweren Stimme dennoch tiefe Trauer über den Verlust einer einst geliebten Person. Selbst wenn diese niemals wirklich existiert hatte…
 

Aber dass Seth Joshs Namen für seine Prostitutionsgeschäfte missbraucht hatte, war nur einer der Punkte, weshalb ihm der andere ein Dorn im Auge war. Da gab es noch etwas anderes, das sich in Josh, insbesondere in Anbetracht der Freundschaft zwischen Rei und diesem Seth, geregt hatte – und das war Angst!

Auch wenn er es sich nur ungern eingestand und dies wohl der wesentliche Grund war, weshalb er mit niemandem darüber sprechen wollte, aber mittlerweile konnte er es wenigstens vor sich selbst nicht mehr leugnen – er hatte Angst, ersetzt zu werden!
 

Es mochte ein etwas bizarres Beispiel sein, doch auch wenn Seth seinen Vater auf eine Weise kennen gelernt hatte, auf die Josh gut und gerne verzichten konnte, wurde er manchmal den albernen Gedanken nicht los, dass sein Vater vermutlich mehr Zeit für diesen Seth geopfert hatte, als er es je für Josh getan hatte. Dass Seth es zudem offenbar geschafft hatte, ihn gut genug zu kopieren, um als Ersatz für ihn überhaupt dienen zu können, kam noch dazu.

Wie erwähnt kannte Josh von seinem Doppelgänger nicht viel mehr als seinen Namen – der wahrscheinlich nicht mal sein richtiger war – und sein Aussehen und so kam Josh nicht umhin, manchmal zu überlegen, ob Seth ihm womöglich ähnlich war?!

Dass sie vielleicht eine ähnliche Art hatten, sich auszudrücken, sie ähnliche Charakterzüge hatten, sie einen ähnlichen Wissensstand hatten und vor allem – einen ähnlichen Umgang mit Rei!
 

Jedes mal wenn Josh auf seinen Streifzügen durch das Hauptquartier die beiden zufällig (manchmal nicht ganz so zufällig) zusammen sah, war es für ihn wie ein Eimer kalten Wassers, der über seinem Kopf entleert wurde. Wenn er sah, wie sie miteinander lachten, sich gegenseitig aufzogen und Reis Angewohnheit, Seth als ihren Bruder zu bezeichnen…

Dann beschlichen ihn Zweifel!

Ständig hatte Rei davon gesprochen, dass Josh der einzige sei, den sie hatte, dass er ihr von allen Menschen der Wertvollste war und er hatte sich immer über diese Worte gefreut. Sich geschmeichelt und darin bestärkt gefühlt, dass er eben doch einen Wert hatte, selbst wenn sein Vater diesen nie erkannt hatte.

Aber dann sah er Rei mit Seth, den sie als ihren kleinen – was schon ironisch an sich war – Bruder bezeichnete und Keiji, den sie ihren großen Bruder nannte. Und sie hatte Mara und Mimi, die ebenfalls eine gemeinsame Vergangenheit mit Rei hatten, die sogar so viel Verbundenheit zueinander beinhaltete, dass die beiden sie hatten adoptieren wollen.

Alles in allem hatte Josh also feststellen müssen, dass er seinen Bedeutungswert in Reis Leben weit überschätzt hatte!
 

Sie beteuerte dann und wann zwar immer mal wieder, dass er ihr bester Freund war und ihr alles bedeutete – insbesondere in der Zeit, in der sie permanent zu befürchten schien, dass sich Joshs Zustand verschlechtern und er doch noch Hopps gehen könnte – aber auch wenn Josh ihr sein Leben anvertrauen würde, so war er sich manchmal nicht sicher, ob er ihr in diesem Punkt glauben konnte.

Er war einfach schon viel zu oft und zu lange und von zu vielen Menschen belogen worden, um nicht permanent an seinen eigenen Einschätzungen zweifeln zu müssen, denn genau genommen kannte er niemandem, der jemals wirklich einfach nur ehrlich zu ihm gewesen war.

Sein Vater, alle Angestellten, Keiji, Nagano, Iwaki, selbst Georgio und Rei hatten ihn in vielen Dingen belogen. Ja, wohl zu seinem Besten, aber wer sagte ihm, dass es hier nicht ebenso war? Dass Rei ihm nur sagte, dass er ihr bester Freund und so weiter war, damit er sich nicht mehr so verdammt erbärmlich fühlen musste? Gut möglich, dass sie Seth das selbe erzählte oder nicht?

Und wo der Kerl ihm doch offenbar ähnlich genug war, um seinem Vater als Ersatz zu genügen, wer wusste schon, ob es bei Rei nicht irgendwann genauso war? Wenn sie den echten Josh leid wurde und erkannte, dass Seth eigentlich der viel bessere Josh wäre?
 

Es wäre einfach nur ungerecht! Josh hatte ja eingesehen, dass Rei Zeit mit Seth verbrachte, als sich dessen Freunde noch in Gefangenschaft befunden hatten, aber nachdem diese nun auch bereits seit ein paar Monaten befreit waren, was wollte er dann noch von Rei?!

Seth hatte seine eigenen Freunde! Und er hatte mit Mara und Mimi, die sich entschlossen hatten ihn und dessen besten Freund zu adoptieren, seine eigene Familie!

Wo Josh selbst alles zu verlieren schien, schien sein falsches Ich mehr und mehr hinzuzugewinnen!

Aber warum konnte er ihm dann nicht wenigstens Rei lassen?! Seth hatte genug! Warum musste er dann auch noch nach dem einzigen greifen, das Josh noch irgendwie davor bewahrte, gänzlich unterzugehen?!
 

Aber genau darum war dieses Wochenende seine große Chance! Ihr kleiner Ausflug, der eigentlich dazu diente, die unruhig werdenden Jugendlichen mal etwas Abwechslung von den Hauptquartierswänden zu liefern und sie nebenbei für eine Weile fernab der für sie lebensgefährlichen Stadt zu wissen, würde es unvermeidlich machen, dass Josh und Seth auf noch engerem Raum gemeinsam festsaßen.

Und da dadurch ein direkter Vergleich zwischen ihnen möglich war, würde Josh seine Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, zu beweisen, dass es nur einen Joshua McKinnlay geben konnte und eine billige Kopie mit dem Original schlichtweg nicht mithalten konnte!
 

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So war der entscheidende Freitag gekommen und bisher verlief für Josh alles nach Plan.

Sie hatten eine fast siebenstündige Fahrt zu bewältigen und da sie zu viert verreisten passten sie alle gemeinsam in einen unauffälligen, durchschnittlichen PKW, der von einem von Keijis Kontaktmännern gefahren wurde, da dieser in der Nähe ihres Zielortes ohnehin noch Dinge zu erledigen hatte.

Keijis Vorhaben, sie für eine Weile zu einem Ryokan in den Bergen bringen zu lassen, hatte er ihnen schon vor ein paar Tagen bekannt gegeben und so hatte Josh die Zeit genutzt, um sich über diesen Ryokan und die Umgebung, in der sie sein würden, kundig zu machen und nebenbei auch ihre anzunehmende Reiseroute anzusehen, um sich auch über die Städte zu informieren, die sie auf dem Weg zu dem Ryokan durchfahren würden.

Es war seinem tadellosen Gedächtnis zu verdanken, dass er sich alles bei einmaligem Durchlesen merken konnte, ohne sich Notizen machen zu müssen und um dies auch den anderen Mitfahrenden zu verdeutlichen, war er die ganze Fahrt lang damit beschäftigt, sie über alles zu informieren, was es über die Städte, die sie durchfuhren zu wissen gab. Angefangen von Namensherkunft, zu Nachbarstädten, bis hin zu den Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten der Städte.
 

Bedachte man, dass es hautsächlich Rei und Seth waren, denen Josh etwas beweisen wollte, war es ein wenig ironisch, dass es dann der Vierte im Bunde war, der ihm am aufmerksamsten lauschte. Womöglich nur aus Höflichkeit, aber Josh freute sich darüber und war somit nur noch motivierter, seine Lehrstunden fortzusetzen.

Auch wenn Josh anfangs ein paar Vorurteile gehabt hatte, da er Hayato nie wirklich kennen gelernt hatte und von ihm nicht viel mehr wusste, als dass er Seth’ bester Freund war und wie dieser bis vor ein paar Monaten für Nagano seinen Körper verkauft hatte, so konnte er nicht lange an diesen Vorurteilen festhalten.

Hayato hatte etwas an sich, das ihn irgendwie zerbrechlich wirken ließ. Nicht aufgrund seiner Statur, auch wenn er ein wenig kleiner war als Josh selbst, so war er im Vergleich zu einem Hänfling wie Rei fast noch so etwas wie stattlich. Aber dennoch war da etwas an ihm, das Josh das Gefühl gab, dass er um einiges zerbrechlicher war als es zum Beispiel sein kleiner Giftzwerg war. Immerhin kannte er Rei inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie verdammt zäh war und sich nicht ohne weiteres kampflos unterkriegen ließ. Bei Hayato allerdings war keine Spur dieses Kampfgeistes zu erkennen.

Ja, womöglich war es eine gewisse Passivität und Ruhe, die von Hayato ausging und die Josh befürchten ließ, dass er sich eher wortlos beleidigen lassen würde, statt dass er es an sich abprallen oder gar zurückgeben würde.

Somit gehörte er zu der Sorte von Mensch, die man wohl am liebsten in Watte packen und vor allem Bösen der Welt abschirmen wollte. Dass Hayato in der Vergangenheit dennoch einige furchtbare Dinge widerfahren waren, war Josh bewusst und er würde es wohl nicht wagen, dies anzusprechen. Dafür kannte er den Jungen noch nicht gut genug und er stellte bei sich selbst immer wieder fest, dass ihm die beste Stimmung im Nullkommanichts zerstört werden konnte, sobald die Sprache auf seinen Vater fiel.

Auch ein Punkt, weshalb er sich freute, mal aus Keijis Stützpunkt herauszukommen, denn dort war das Misstrauen Josh gegenüber durch seine Verwandtschaft mit James McKinnlay zu präsent, als dass er es auf Dauer lange aus seinem Kopf verbannen könnte.
 

So verstrichen die Stunden und es war Rei zu verdanken, die ihm nach einer Weile mit einem genervten „Alter! Da!“ und einem ihm in die Hand gedrückten MP3-Player, den sie zuvor aus seiner Jackentasche entwendet hatte, zum Schweigen gebracht hatte. Zuerst wurde sein stetiges Wanderführergerede durch seine Musik zwar dann zu einem leisen Singen, gemeinsam mit gelegentlichen Luftgitarren- oder Airdrum-Einlagen, aber da sie bereits seit früh morgens unterwegs waren und die anderen trotz seiner erklärenden und – wovon er überzeugt war – durchaus spannenden Ausführungen gelegentlich die Stunden zum Schlafen genutzt hatten, wurde auch Josh schließlich von der Müdigkeit übermannt. Die Ohrstöpsel immer noch im Ohr, hatte er seine Wange sacht an Reis Haarschopf gebettet, die auf der Rückbank zu seiner Linken saß, und von den restlichen Fahrtstunden hatte er nichts mehr mitbekommen.
 

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Es war Mittag als sie schließlich bei dem Ryokan ankamen und als Josh durch das ungemütliche Ruckeln seines „Kissens“ verschlafen den Kopf anhob und die Augen öffnete, sah er Reis Gesicht vor sich, die ihm mit einem breiten Grinsen entgegenblickte und in einer Hand die beiden Ohrstöpsel hielt.

„Wir sin’ da, Schlafsack!“, gab sie ihm charmant zu verstehen und neben ihrem verschmitzten Tonfall, der sich wohl darauf bezog, dass Josh länger geschlafen hatte, als ihm selbst wohl recht gewesen war, klang noch etwas anderes in ihrer Stimme mit. Aufregung oder Vorfreude oder Begeisterung, wenn er es richtig deutete, und als er ihrem Kopfnicken folgte und nach draußen blickte, fehlten ihm selbst erstmal die Worte.

Wie in Trance folgte er Rei aus dem Auto und hatte das Gefühl, in einer völlig anderen Welt erwacht zu sein. Er spürte den Schnee unter seinen Stiefeln knirschen und die Kälte, die ihn daran erinnerte, dass er seine Jacke noch im Auto hatte, störte ihn erstmal nicht. Wie gebannt war er von dem weißen Wunderland, das sich vor ihm erstreckte!

Keine Hochhäuser! Keine bis zum überquellen gefüllten Straßen! Kein Abgasgestank! Kein Lärm!

Einfach bloße in einen weißen Mantel gehüllte Natur. Ein Tannenwald grenzte an die einsame Landstraße und die Einfahrt an, die sie eben noch befahren hatten und hinter diesem Wald erstreckten sich Gebirgsketten wohin das Auge reichte! Berge mit diesen schneeweißen Hauben, wie Josh es bisher nur von Fotos aus dem Internet oder Filmen kannte.

Ein paar reine, flauschige Wolken zogen an dem sonst klaren, hellblauen Himmel vorüber und trotz der kühlen Temperaturen sah man auch die Sonne, die den Schnee in ihrer Umgebung in allen Farben glitzern und funkeln ließ. Josh nahm mit einem tiefen Atemzug die Luft in sich auf, die so frisch und rein war, dass es nur eine Umschreibung für sie gab – der Duft der Freiheit!

Es war ein so idyllischer Anblick, so viel Schönheit an einem Ort, dass man fast den Eindruck hatte, dass alles Schreckliche, das in den letzten Monaten geschehen war, nicht mehr real war! Dass alles Grausame, all der Schmerz und das Leid, das er in der Stadt, in der er aufgewachsen war, kennen gelernt hatte und das nicht nur ihn selbst, sondern auch Rei, Georgio und so viele andere Menschen heimgesucht hatte, einfach hier nicht existierte!

Es berührte ihn so tief, dass er nicht verhindern konnte, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen, denn nach allem, was geschehen war, war es wie ein Zeichen! Wie ein Hinweis darauf, dass diese Welt trotz all ihrer Schattenseiten, trotz allem was schief ging, dennoch an sich rein und friedlich war! Und so schön, dass es sich lohnte, auf ihr existieren zu können! Dass es einfach kostbar war, noch am Leben zu sein…

„Meine Fresse! Du fängs’ jetz’ aber nich’ an rumzuheul’n oder?“, Reis Stimme, die trotz ihrer wie immer recht groben Worte, einen fast schon sanften Tonfall angenommen hatte, riss ihn aus seinen Gedanken und er schüttelte entschieden den Kopf.

„Schwachsinn! Hab nur zu lange in die Sonne geguckt und bin noch verschlafen!“, redete er sich heraus und wischte sich rasch mit dem Handrücken über die feuchten Augen. Er wusste nicht, ob Rei ihm diese Lüge abnahm, aber diesmal begnüget sie sich mit einem gemurmelten „Dann is’ ja gut!“ als er auch schon spürte, wie sie sich gegen seine Seite lehnte und sich ausgehend von diesem Körperkontakt eine angenehme Wärme in Josh ausbreitete. Wie selbstverständlich legte er einen Arm um ihre zierlichen Schultern, während sich schon unbewusst ein zärtliches Lächeln auf seine Lippen stahl.

Ja, sein Leben war nie sonderlich erfreulich gewesen und hatte dann noch eine Wendung genommen, die es um ein Vielfaches schlimmer gemacht hatte, aber… es hatte ihm nicht nur Schlechtes gebracht!
 

Aber Joshs Begeisterung hielt nicht lange an!

So schön die Umgebung auch war und so passend der im traditionellen Stil gehaltene Ryokan sich in dieser Natürlichkeit und Reinheit einbettete, so kam Josh einfach nicht aus seiner Haut.

Er hatte ja gewusst, auf was er sich vorzubereiten hatte und bis vor kurzem war er zuversichtlich gewesen, dass er es trotz seiner eindeutig westlichen Lebensweise für ein Wochenende auf die typisch japanisch-traditionelle Art aushalten würde, aber nun da er da war und es sah, hatte er doch Bedenken.

Es war nicht so, als würde er die Schönheit des japanischen Stils nicht anerkennen!

Wie die kunstvoll bemalten, dünnen Schiebewände, die bei den Zimmern als Eingangstür dienten oder die niedrigen Tischchen, an die man sich kniete, statt sich mit Stühlen an sie zu setzen oder auch die Laternen, die an den Zimmerdecken hingen und zwar durchaus mit Strom – ja, wenigstens Strom gab es! – betrieben wurden, aber eben ganz anders aussahen als die westlichen Modelle.

Es machte durchaus einen hübschen, authentischen Eindruck, aber auch wenn es nett aussah… konnte er sich einfach nicht vorstellen, so zu wohnen!

Die Zimmer in Keijis Hauptquartier waren ja schon eine Zumutung, aber wenigstens hatte er dort ein anständiges Bett und einen Fernseher und dank Georgio inzwischen auch einen DVD-Player und eine Musikanlage, aber hier… hier hatte er einen verdammten Futon, auf dem er auch noch schlafen sollte und sonst nichts!
 

Als sie von dem älteren Ehepaar Sakabashi, denen der Ryokan gehörte und die mit Keiji auf irgendeine Weise in Verbindung standen, mit einem kleinen Begrüßungstrunk empfangen wurden und im Anschluss ihre Zimmer gezeigt bekamen, hatte Josh sich beim Anblick des Zimmers, das er sich gemeinsam mit Rei teilen würde, nur mit Mühe und Not ein spöttisches Schnauben verkneifen können.

Allerdings nur solange, bis die Gastgeber damit fortfuhren, auch Seth und Hayato zu ihrem Zimmer zu bringen und Rei und Josh erstmal Zeit hatten, sich ein wenig einzurichten.

Aber Josh kam es eher so vor, als müsste man erstmal dieses Zimmer einrichten, ehe man selbst dort wohnen können sollte!

Es war einfach leer! Abgesehen davon dass es durchgehend mit Tatamimatten ausgelegt war und zwei vorbereitete Futons mit Decken und Kissen im Zentrum des Zimmers lagen, war da nur einer dieser niedrigen Tischchen und ein Schrank, der ebenfalls mit einer Schiebetür zu öffnen war und von Josh daher fast übersehen wurde.

Kein Fernseher! Kein Bett! Keine sonstigen Möbelstücke! Und das Laternen-Lämpchen, das seiner Meinung nach für einen normalgroßen Menschen viel zu niedrig über dem Tisch baumelte, hatte eine altmodische Kordel, an der es zu ziehen galt, um für Licht zu sorgen. Kein Lichtschalter! Nein, wie auch, wenn es kaum feste Wände gab?
 

„Wusste doch, bist’n Lackaffe!“, kommentierte Rei seine wohl deutlich entgeisterte Miene und zog sich mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen die Schuhe aus, um sich dann mit ihrer Tasche an ihm vorbei in das Zimmer zu schieben und nach Abladen ihres leichten Gepäcks die Schultern zu zucken, „Is doch ganz nett! Un vor all’m muss ma hier nich befürcht’n, dass irgend’n Wichser reinkommt, um dich kalt zu mach’n, weil de ja son scheiß Arschloch wie dein Alter sein könnt’st, oder?“

Die Erwähnung dieser Tatsache, versetzte Josh einen unangenehmen Stich, denn er wusste, dass Rei Recht hatte. Viele in Keijis Hauptquartier vertrauten ihm nicht! Seine Abstammung war immerhin nicht unbedingt die Vertrauenswürdigste und auch wenn Keiji immer betonte, dass er für jeden der Leute, die in seinem Hauptquartier ein- und ausgehen durften, die Hand ins Feuer legen würde, so verrieten einige Blicke, mit denen man Josh dort bedachte, dass sie was ihn anbelangten an Keijis Urteilsfähigkeit zweifelten.

Und das schon obwohl sie nicht einmal wussten, wie er wirklich in den Stützpunkt gelangt war!

Offiziell war bekannt gemacht worden, dass Reika Josh auf Keijis Anweisung hin „befreit“ hätte! Dass es zuvor eine Absprache mit Nagano und Iwaki bezüglich dieser Befreiung gegeben hatte, hatte Keiji wohlweislich für sich behalten. Wenn dies in Umlauf geraten würde, würde schließlich nur noch mehr der Eindruck entstehen, dass Josh ein eingeschleuster Spion wäre. Und da auch Keiji nur ein Mensch war, würde sich so manch selbsternannte Altruist im Stützpunkt vielleicht berufen sehen, Keijis Fehler zu bereinigen und den vermeintlichen Spion zu eliminieren!

Rei – die von Josh in das Geheimnis seiner Befreiung eingeweiht worden war – nahm dies allerdings noch wesentlich mehr mit als ihn selbst und er konnte sich an keine Nacht im Hauptquartier erinnern, in der Rei nicht an seiner Seite gewesen war und zuvor die Tür doppelt und dreifach verbarrikadiert hatte.

Josh wusste, dass Rei normalerweise die Natur nicht sonderlich behagte oder sonst irgendein Ort, an dem sie sich nicht auskannte, aber vermutlich war der Gedanke, wenigstens eine Nacht mal ohne Sorgen schlafen zu können, ein Grund für sie gewesen, Keijis Vorschlag der Wochenendreise sofort anzunehmen.

„Dafür werd ich hier aus anderen Gründen nicht schlafen können!“, erwiderte Josh und entledigte sich ebenfalls missmutig seiner Stiefel, ehe er ihr mit seinem um einiges schwereren Gepäck in den Raum folgte und die Schiebetür hinter sich zuzog.

„Wie soll man auf den Dingern denn anständig schlafen?“, fragte Josh mit einem abwertenden Nicken zu den Futons, während er seine große Reisetasche und seine mitgebrachte Akustik-Gitarre neben einer dieser „Dinger“ ablud. Rei allerdings schien heute prächtiger Laune zu sein und als müsse man ihm ernsthaft demonstrieren, wie man auf einem Futon schlief, legte sie sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf den ihren und grinste ihm besserwisserisch entgegen.

„So!“, meinte sie nur erklärend und erntete von Josh einen trockenen Blick.

„Scherzkeks!“, erwiderte er leise, tat es ihr dann allerdings gleich und legte sich probehalber auf den Futon, der unweit von ihrem lag, und seine Miene verfinsterte sich noch weiter.

„Das ist viel zu hart!“, beschwerte er sich und richtete sich wieder ein Stück weit auf um mit der Faust auf den Futon zu schlagen und damit zu demonstrieren, dass der Schlag bis zu den Tatamimatten durchging, „Da kann man ja auch gleich auf dem Boden schlafen!“

„Wenn’de müde bist, kannste überall penn’n!“, gab Rei nur knapp eine ihrer Straßenweisheiten zum Besten und Josh warf ihr einen finsteren Blick zu, der Rei wiederum mit einem genervten Stöhnen die Augen verdrehen ließ, „Jetz zick nich rum, Lackaffe! Im Bunker vom groß’n Bruder haste auch kein Bett gehabt un trotzdem tief un fest gepennt! Also hör auf rumzunerv’n!“

Kurz war Josh irritiert von ihren Worten als er mit dem „Bunker“ Keijis Hauptquartier assoziierte und er dort durchaus ein richtiges Bett hatte und Rei das auch wusste, weshalb Josh annahm, dass sie sich mit ihrer Aussage auf den Bunker bezog, in den Keiji ihn verschleppt hatte, in der Nacht als alles angefangen hatte. Dort hatte er nämlich wirklich kein Bett gehabt sondern nur eine unbequeme Pritsche, aber nichts desto trotz blieb die Erwähnung dessen ein mieses Beispiel!

„Nur weil mich dein netter >großer Bruder< zuvor KO geschlagen hatte und mir der Schädel gebrummt hat!“, erwiderte Josh mit einem leisen Schnauben, „Das war weniger Schlaf als Ohnmacht!“

„Hey!“, entgegnete Rei mit Nachdruck in der Stimme und als sie sich nun ebenfalls etwas in die Höhe stemmte und einen Finger hob, ahnte Josh schon, was kommen würde, „Erstens ma’ warste selber Schuld, wenn’de so bescheuert bis’ un vor ihm mit ’ner Knarre rumwed’lst! Echt ma!“, sie schüttelte entschieden den Kopf, ehe sie den zweiten Finger hob und fortfuhr, „Un zweitens…“, ein verschmitztes Grinsen breitete sich wieder auf ihrem Gesicht aus, während sie die erhobenen Finger nun zu einer drohend angehobenen Faust formte, „Willste damit etwa sag’n, dass ich dich einfach KO hau’n soll?“

Josh besah sich die kleine Faust und lachte amüsiert auf, bei diesen Worten nicht fähig, weiter miesepetrig zu sein.

„Willst DU damit etwa sagen, dass du’s könntest?“, konterte er mit einem überlegenen Grinsen und sah ihr herausfordernd entgegen, sich sicher, dass Rei schon daran versagen würde, dass sie ihn wohl nie schlagen würde! Vielleicht lag es daran, dass Josh die meiste Zeit, die sie sich nun kannten, mit Verletzungen zu kämpfen hatte, aber ihm war aufgefallen, dass Rei ihn in manchen Belangen mit Samthandschuhen anzufassen schien. Wo er manchmal beobachtete, wie sie diesem Seth gerne mal recht ordentlich gegen den Oberarm boxte, zog sie es bei ihm vor, ihm höchstens leicht gegen die Nase zu schnippen oder – nun, da seine Verletzungen verheilt waren – ihn in seine kitzeligen Seiten zu pieken.

„Leg’s nich’ drauf an!“, kam es nun noch mit überzeugend drohender Miene von Rei, doch als Josh daraufhin nur mit einem Grinsen die Mütze von ihrem Schopf klaute, war dies für sie das Angriffssignal! Mit einem unheilvollen aber unverkennbar vergnügten „Wart’ nur, Hundi!“ stürzte sie sich voller Eifer auf ihn, um es trotz Joshs verteidigender Hände zu schaffen, seine Jacke zu öffnen und ihn mit ihren geschickten kleinen Fingern so durchzukitzeln, dass Josh sich unter ihr nur noch haltlos lachend krümmen und winden konnte.

Erst als sich ein Klopfen an ihrer ungewohnt dünnen Zimmertür zwischen ihr beider Lachen mischte, hatte Rei Erbarmen und hielt in ihrem Tun inne, den Blick wohl schon aus Gewohnheit misstrauisch auf den Zimmereingang gerichtet.

„Ja?“, ließ Rei sich unwirsch vernehmen und da sie immer noch über ihm kniete, spürte Josh wie sie sich verspannte. Er wollte sie schon daran erinnern, was sie vorhin selbst auf den Punkt gebracht hatte, nämlich dass es hier keinen Grund zur Sorge gab, aber ehe er ansetzen konnte, sie zu beruhigen, klärte sich dies bereits von alleine.

Die Schiebetür öffnete sich und ein delphinblauer – Josh hatte Reis Umschreibung dieser Farbe mit Freuden übernommen – Haarschopf lugte herein. Während sich Joshs Miene damit schlagartig verfinsterte, spürte er mit noch mehr Verärgerung wie Reis Anspannung im Gegensatz dazu sogleich verflog.

„Ach du nur!“, murmelte sie offenbar erleichterter als sie zeigen wollte und Seth antwortete mit einem Grinsen.

„Stör ich etwa?“, fragte er mit einem zweideutigen Unterton und als Josh registrierte, dass ihre Stellung für einen Außenstehenden wohl so wirken musste, als habe man sie gerade in Flagranti erwischt, spürte er eine dezente Hitze in seinem Gesicht aufsteigen. Doch bevor Josh oder Rei, die wohl ohnehin jegliche Anspielung überhört oder nicht begriffen hatte, antworten konnten, stemmte Seth gespielt tadelnd die Arme in die Seiten und sah Rei mit hochgezogenen Brauen an: „Und wenn jemand klopft, sagt man >Ja, bitte?<! Da jetzt eh allmählich jeder weiß, dass du ’n Mädchen bist, kannst du dir von deinem Prinzen ruhig mal ein paar Manieren kaufen lassen!“

Josh, der sich gerade innerlich vorgenommen hatte, nie wieder die Hände in die Seiten zu stemmen, um nicht Gefahr zu laufen, dabei ebenso schwul auszusehen wie sein angebliches Double gerade, horchte bei Seth’ Worten auf und seine hellgrauen Augen verengten sich unheilvoll.

Eigentlich wusste er, dass Seth nur Spaß machte, dass er Rei einfach etwas aufzog und wenn Josh etwas besser auf den Exstricher zu sprechen wäre, würde er wohl auf seine Vorlage hin zu Bedenken geben, dass nicht mal er je genug Geld haben könnte um all die Manieren zu zahlen, die bei Rei fehlten, aber es war eben dieser lockere Umgang, den Seth und Rei gemeinsam pflegten, der ihm einmal mehr sauer aufstieß und ihn zu der wohl dümmsten Aussage verleitete, die er je gemacht hatte!

„An Reis Manieren gibt es nichts auszusetzen!“, erklärte er und kurz füllte Schweigen das Zimmer.

Rei, die offensichtlich gerade drauf und dran gewesen war, etwas Schlagfertiges auf Seth’ Spruch zu erwidern, war wie Seth von Joshs unerwarteten Einwand kalt erwischt worden und Josh konnte es ihnen nicht verdenken! Er spürte regelrecht, wie sich seine eigene Miene den überraschten Gesichten der anderen beiden anglich, als etwas verspätet die Erkenntnis zu ihm durchdrang, was für einen Unsinn er da gerade vom Stapel gelassen hatte.

Doch bevor er es relativieren, ergänzen oder irgendwie als dummen Scherz abtun konnte, sah er wie Seth und Rei einen Blick tauschten, ehe beide zeitgleich in belustigtes Gelächter ausbrachen. Es mochte vielleicht albern und kindisch von Josh sein, doch er konnte sich nicht dagegen erwehren, dass ihm dieser Anblick einen schmerzhaften Stich versetzte.

„Alter, was du laberst! Haste Fieber oder so?“, fragte Rei noch immer glucksend und legte ihre flache Hand auf seine Stirn, was ihn das vor Scham gerötete Gesicht abwenden ließ, im vergeblichen Versuch ihrer Hand auszuweichen.

Nicht nur, dass er hier so einen Scheiß redete, dass es klang, als würde er Rei gar nicht kennen, statt zu demonstrieren, dass er sie als ihr bester Freund natürlich viel besser kannte als jeder andere, wurde ihm gerade deutlich vor Augen geführt, dass alles, auf das er in seiner Beziehung mit Rei stolz war, auch Seth zuteil wurde!

Die Vertrautheit mit ihr, die Albereien und freundschaftlichen Sticheleien, die Fähigkeit, sie zum Lachen zu bringen, sie ohne Worte zu verstehen, sie sich sicher und geborgen fühlen zu lassen…

Wenn sie das alles doch auch mit Seth hatte, was sollte an Josh dann noch so besonders und einzigartig für sie sein, dass er ihr glauben könnte, dass ER ihr bester Freund war und sie ihn nicht einfach irgendwann mit Seth ersetzen würde?

„Hey, was’n los?“, Reis Miene nahm schlagartig einen besorgten Ausdruck an, kaum dass ihre Hand etwas länger auf seiner Stirn verweilte, „Du bis’ ja wirklich heiß!“

Dass sein erhitztes Gesicht weniger mit Fieber als eher mit seinem Wunsch zusammenhing, im Erdboden versinken zu können, schien sie nicht zu bedenken und da Josh vermutete, dass Seth die Sachlage etwas besser erfasste, machte es das nur noch schlimmer und sein Gesicht wohl noch heißer.

„Ich bin eben heiß! Hat zwar gedauert, bis du das auch endlich kapierst, aber besser spät als nie oder?“, versuchte Josh die Lage irgendwie noch zu retten, auch wenn seine Stimme und sein Grinsen womöglich nicht ganz so sicher saßen wie üblich, „Dennoch könntest du deine Triebe nun vielleicht wieder etwas in den Griff bekommen und allmählich von mir runtergehen?!“

„Boah, Lackaffe, du…“

Aber weiter kam sie nicht, denn es war Hayato, der ohne es zu wissen nun zu Joshs Rettung kam und diese grausamen Peinlichkeiten beendete! Er richtete ihnen das aus, was Seth wohl ursprünglich hatte sagen wollen, nämlich dass Essen für sie alle vorbereitet war, ehe die Gastgeber sie ein wenig herumführen wollten.
 

Es war ein kleines Büffet mit ein paar Zwischensnacks, das man für sie angerichtet hatte, um den groben Hunger zu stillen. Denn das richtige Abendessen, sollten sie sich dann heute Abend selbst zubereiten.

Ein Punkt, der Josh bereits schon etwas Sorgen machte, denn er hatte in seinem ganzen Leben noch nie gekocht! Aber da er Rei mal gesagt hatte, dass er durchaus kochen könnte und für Rei Essen eines der wichtigsten Dinge überhaupt zu sein schien, wollte er nicht, dass sie wusste, dass er gelogen hatte. Was war schließlich, wenn Seth kochen konnte?

Dann könnte Rei bei ihm nicht nur alles haben, was sie auch bei Josh hatte, sondern zusätzlich auch noch etwas Leckeres zu essen! Ob das schon ausreichen würde, um lieber Seth als ihren besten Freund zu haben?

Nein, das würde er nicht zulassen! Und wie schwierig konnte das schon sein? Er hatte sich bevor sie losgefahren waren vorsichtshalber im Internet ein paar Rezepte für traditionelles Essen angesehen. Das… würde er schon irgendwie hinkriegen!

Jetzt jedenfalls hatte Josh dank der Gedanken, die er sich um später machte und aufgrund der vorangegangenen Peinlichkeiten nicht viel Appetit, weshalb er sich nur sehr dürftig an den Snacks bediente, obgleich ihm das wiederum ein paar besorgte Seitenblicke von Rei einbrachte, für die Appetitlosigkeit immer ein Warnsignal bedeutete.

Dass er dann bei der anschließenden Führung größtenteils schwieg machte es wohl nicht besser. Der Grund dafür war allerdings, dass er zwar versucht hatte, sich im Vorhinein über den Sakura-Ryokan, in dem sie sich hier befanden, möglichst kundig zu machen, aber es einfach nicht viele Informationen dazu gegeben hatte. Nicht im Internet zumindest.

Der Grund dafür wurde ebenfalls von Herrn Sakabashi genannt, der ihnen erklärte, dass sie keinen öffentlichen Ryokan betrieben, sondern hauptsächlich spezielle Gäste aufnahmen. Und mit „speziellen Gästen“ waren Gäste gemeint, die von Keiji für eine Weile zu ihnen geschickt wurden. Was somit auch erklärte, weshalb sie abgesehen von zwei jungen Mädchen, die hier regelmäßig sauber machten und die Einkäufe tätigten, die einzigen Gäste waren.

Offenbar verdankte das Ehepaar Sakabashi Keiji sehr viel, was genau erläuterten sie nicht näher, nur dass sie es Keiji überhaupt erst zu verdanken hatten, diesen Ryokan betreiben zu können und dessen Freunde bei ihnen jederzeit willkommen waren.

Dass Hayato, Seth und Rei um einiges mehr an Begeisterung für den Ryokan übrig hatten als Josh wurde bei der Führung ebenfalls deutlich. Denn auch wenn es hübsch aussah und vor allem die japanischen Gärten und die Onsen einen schönen Anblick boten, so war Josh eben dennoch… eben mehr gewohnt!

Zuhause hatte er ein eigenes Schwimmbecken gehabt, sogar mit Rutschbahn, die zwar schnell langweilig geworden war und später nur noch dazu gedient hatte, rasch seine Bodyguards abzuhängen, aber gefehlt hatte es ihm diesbezüglich an nichts. Zudem hatte er auf seiner Terrasse einen Whirlpool gehabt, der zwar etwas kleiner gewesen war als der Onsen hier, aber dafür blubbern konnte! Er hatte eine Sauna gehabt und um im Winter, wenn die Sonne nicht so sehr schien, seinen gesunden Teint nicht einbüßen zu müssen hatte er eine eigene Sonnenbank gehabt. Seine Dusche in seinem angrenzenden Badezimmer war riesig gewesen und statt einer gewöhnlichen Duschbrause waren die Wasserventile so in die Badezimmerdecke eingearbeitet gewesen, dass es sich angefühlt hatte, als würde er unter einem warmen Regenschauer duschen.

Wie sollte ein billiges Freiluftbad und verzierte Gärten mit alledem mithalten können?

Aber um den anderen den Spaß nicht daran zu verderben und vor allem die Betreiber nicht zu kränken behielt er seine Gedanken für sich und bemühte sich ebenfalls etwas Begeisterung an den Tag zu legen. Als dies aber, egal wie sehr er sich bemühte, eher gekünstelt oder gar ungewollt sarkastisch klang, überließ er es den anderen, ihrer Freude Ausdruck zu verleihen und so stand ein Bad in den Onsen als nächstes auf dem Plan.
 

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Normalerweise war es üblich, dass Jungs und Mädchen in getrennte Bäder gingen, aber da Rei sich strikt weigerte, alleine in eines zu gehen, wurde eine Ausnahme gemacht. So durfte sie mit zu ihnen, was dann zu der weiteren Ausnahme führte, dass sie Badebekleidung anbehalten durften. Ein Umstand, der Josh sehr gelegen kam.

Seinen Körper hatte er wieder gestählt, nachdem er aufgrund der Verletzungen eine gewisse Zeit auf Sport hatte verzichten müssen. Das änderte zwar nichts daran, dass er aufgrund seiner eher hageren Gestalt in Klamotten etwas schmächtig wirkte (insbesondere wenn man ihn neben einem Hünen wie Georgio stehen sah), aber zumindest wenn man schonmal einen Blick auf sein Six-Pack hatte werfen können, würde man ihn vermutlich nicht mehr so schnell als Hänfling bezeichnen. Sein Körper war somit etwas, für das er hart gearbeitet hatte und auf das er durchaus stolz war, nur bei einer Sache war er sich immer etwas unsicher und die konnte er nun wenigstens unter seiner Badeshorts verstecken.

Was war schließlich, wenn Seth einen Größeren hatte? Musste man als Stricher nicht sogar gut bestückt sein?

Jedenfalls wollte er sich nicht die Blöße geben müssen, am Ende feststellen zu müssen, dass sein Double besser beschenkt war als er selbst. Denn was den Rest des Körpers anbelangte, so war er sich eigentlich fast sicher, dass Seth da nicht würde mithalten können!

Generell fragte er sich mehr und mehr, was an Seth ihm überhaupt ähnlich sehen sollte?!

Ja, sie waren etwa gleich groß, aber Joshs Meinung nach war es das dann auch schon gewesen. Ihre Augen könnten schließlich unterschiedlicher nicht sein, ihr Haar ebenfalls – und das nicht nur weil Seth auf Delphinblau stand – und während Seth deutlich asiatische Gesichtszüge hatte, so war bei Josh auch der westliche Einschlag zu erkennen.

Wenn man Josh fragen würde, fand er, dass er selbst definitiv besser aussah! Leider fragte ihn niemand…
 

„Hey, Hundi! Biste scharf auf’n oder was gaffste so?“, Reis Stimme riss ihn ein weiteres Mal an diesem Tag aus den Gedanken und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er Seth wohl länger oder zumindest auffälliger angestarrt hatte, als beabsichtigt gewesen war. Ob es Reis Absicht wiederum gewesen war, so laut zu sprechen, dass nun auch Seth und Hayato, die bis eben nebeneinander an den Beckenrand gelehnt und mit geschlossenen Augen scheinbar entspannt die Wärme des Bades genossen hatten, zu ihnen aufblickten, war fraglich, aber leider nicht zu ändern.

„Musst du so einen Unsinn gleich durchs ganze Haus plärren?“, erwiderte Josh in gedämpften aber deutlich gereizten Tonfall, der Rei zu missfallen schien.

„Pf! Als wär dein Gegaffe unauffälliger…“, murmelte sie trotzig und Josh hatte bereits den Mund geöffnet, um ihr zu sagen, dass er nicht gegafft hatte, sondern sich nur die Natur und die Gärten betrachtet hätte, die eben dummerweise hinter Seth zu sehen waren, als ihn eben dieser inne halten ließ. Seth neigte sich mit einem undefinierbaren Grinsen zu Hayatos Ohr und flüsterte diesem etwas zu, das Josh nicht verstehen konnte und somit schon genügte, um ihn misstrauisch werden zu lassen.

Wie er es hasste, wenn jemand in seiner Gegenwart mit einem anderen flüsterte! Seine Bodyguards hatten dies gerne getan und oft genug war ihnen anzusehen gewesen, dass sie sich wohl gerade auf irgendeine Weise über ihn amüsierten. Darum beobachtete er Hayatos Reaktion auf das Gesagte genauer und bemerkte, dass die durch die Wärme bereits geröteten Wangen des Exstrichers noch ein wenig mehr Farbe bekamen, ehe seine Augen etwas beklommen zu Josh huschten.

//Also doch!//, schoss es Josh durch den Kopf und sein Blick verfinsterte sich. Was erzählte dieser Mistkerl über ihn? Machte er sich lustig?

„Wenn du etwas zu sagen hast, kannst du es auch laut sagen, meinst du nicht?“, fragte Josh Seth kühl über das kleine Becken hinweg, aber Seth zeigte sich von der mitschwingenden Drohung seiner Worte unbeeindruckt.

„Nicht, wenn‘s dich nichts angeht, Joshilein!“, entgegnete er gelassen, nach wie vor mit diesem Grinsen auf den Lippen, und bereits diese höhnische Verniedlichung seines Namens ließ das Blut in Joshs Inneren kochen.

„Was hast du zu ihm gesagt?“, herrschte er ihn dann ohne falsche Zurückhaltung an und nun war es Hayato, der sich regte und sichtlich unwohl in seiner Haut fühlte.

„Josh, bitte reg dich nicht auf. Er hat nichts über…“

„Lass ihn doch, Hayato!“, mischte sich Seth nun ein und nach einem deutlich provozierenden Grinsen zu Josh wandte er sich gänzlich Hayato zu und legte diesem mit einem lasziven Lächeln die Hände auf die Hüfte und zog ihn ein Stück enger zu sich heran, „Wenn er denkt, dass sich alle Welt nur um ihn dreht, werden wir ihm eben das Gegenteil beweisen müssen.“

Weder Josh noch Hayato kamen zu einer Erwiderung, als Seth sein Gegenüber auch schon das letzte Stück zu sich heranzog, bis sich die nassen Körper berührten und er ihn in einen so innigen Kuss verwickelte, dass Josh schon allein dafür eine Altersbeschränkung angefordert hätte. Hayato schien kurz überrascht, versteifte sich leicht, aber sobald sich Seth’ Lippen auf die seine legten und dessen Zunge sich in seinen Mund schob, begann er den Kuss zu erwidern und wirkte dabei so selig, als habe er auf einmal alles um ihn herum vergessen.

Josh hingegen konnte nicht anders als sie mit offenem Mund anzustarren und der Kommentar, den er auf Seth’ Gehässigkeit hatte erwidern wollen, blieb ihm regelrecht im Halse stecken. Es war nicht so, dass er homophob war… zumindest war er das eigentlich nie gewesen. Aber womöglich hatte sich da etwas in ihm verändert seit er die Videos gesehen hatte, die Nagano ihm gezeigt hatte. Dass Seth sowohl dort als auch hier jetzt direkt vor ihm eine der Hauptrollen inne hatte, machte es nicht besser!

Joshs Körper verspannte sich unwillkürlich, während das beklemmende, kalte Gefühl zurückkehrte, das er immer verspürte, wenn er gegen die Bilder und Stimmen der Erinnerung anzukämpfen hatte. Das Bild vor seinen Augen begann sich immer wieder bruchstückhaft mit den Video-Aufnahen zu vermischen. Aus Hayato wurde dann sein Vater, aus Seth kurz darauf er selbst…

„HÖRT AUF!!“, fuhr Josh sie plötzlich an so laut und wütend… beinahe verzweifelt, dass er sich in einer anderen Situation über sich selbst gewundert hätte. Hier und jetzt wollte er nur, dass sie aufhörten und die Bilder verschwanden. Dass seine Reaktion für jeden anderen absolut unangebracht und überempfindlich wirken musste, registrierte er gerade nicht.

Hayato fuhr zusammen und schien sich tatsächlich von Seth abwenden zu wollen, aber dieser schien von Joshs Worten nur noch mehr angespornt zu sein und als Josh auch durch die verschwommene Wasseroberfläche sah, wie der „Delphinjunge“ eine seiner Hände zu dem Hintern des anderen gleiten ließ, tat Josh das einzige, das ihm einfiel, um Weiteres zu unterbinden – er machte einen energischen Schritt auf sie zu, formte seine Hände zu kleinen Schaufeln und schleuderte ihnen eine Ladung des warmen Wassers entgegen.

Es war eher Zufall, dass er dabei besonders Seth’ Gesicht erwischte, der nun tatsächlich von seinem Freund abließ und sich fluchend über die Augen wischte, in die wohl Wasser gekommen war.

Josh spürte einen Hauch von Genugtuung in sich aufkommen und konnte nicht verhindern, dass sich diese in Form eines Grinsens auf seinem Gesicht abzeichnete.

„Was denn? Ist’s dir zu feucht geworden?“, fragte Josh höhnisch und er ignorierte Rei, die wohl versuchte, ihn zu beruhigen oder ihn einfach nur dazu zu bringen, den Mund zu halten. Das hier war nicht ihr Kampf! Und wo Seth sich zuvor wohl noch bemüht hatte, irgendwie mit ihm auszukommen – irgendetwas sagte Josh, dass Rei und Hayato dahinter steckten –hatte auch er nun deutlich genug gezeigt, dass ihm diese geheuchelte Harmonie auf die Nerven ging! Sie konnten sich nicht ausstehen und Keiji schien anzunehmen, dass sich das änderte, wenn er sie nur gemeinsam einsperrte. Doch das konnte er vergessen!

Seth schnaubte verächtlich: „Ist das alles was du kannst?“

Und ehe Josh sich versah, hatte er selbst eine Ladung Wasser im Gesicht.

Was so gesehen nicht weiter schlimm wäre, denn die Augen hatte er schnell genug geschlossen und kalt war es schließlich auch nicht, nur seine Haare, die er zuvor sorgsam gestylt und bewusst über Wasser gehalten hatte, hingen ihm nun triefendnass im Gesicht. Ein gewaltiger Fehler! Und als es dann noch Seth’ überhebliches Grinsen war, das er zu Gesicht bekam, kaum dass er die Augen wieder öffnete, war für ihn Schluss mit lustig!

Er strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht und mit einem Blick, der bereits das Todesurteil verkündete, spritzte er Seth nun eine Wassersalve nach der anderen entgegen. Dass er dabei so herumplanschte, dass er selbst noch nasser wurde, störte ihn nicht mehr, solange er den anderen nur daran hinderte, weiter so dämlich zu grinsen. Und dies zumindest gelang ihm auch, wenn er es durch das Wasser richtig sah.

Hayato war inzwischen ein wenig außer Reichweite gegangen als auch Seth damit begann, Josh auf dieselbe Weise zu bekämpfen.

„Alter! Ihr spritzt’s ganze Wasser raus!“, warf Rei nun entgeistert ein und tatsächlich hielten sie kurz inne, um mit einem Blick zu kontrollieren ob sie Recht hatte. Natürlich war ein bisschen was auf den Fließen außerhalb des Beckenrandes gelandet, allerdings fand es Josh übertrieben, es als „das ganze Wasser“ zu bezeichnen.

„Schwachsinn! Hier ist ja wohl genug Wa…“, der Rest seiner Worte ging in einem heftigen Hustenanfall unter, als ihn ein weiterer Wasserschwall traf und sich ein paar Tropfen in seiner Luftröhre verirrt hatten. Dass Seth wenigstens davon abließ, ihn weiterzubespritzen, während Josh sich hustend zusammenkrümmte und erstmal wieder zu Luft zu kommen versuchte, ging in seiner aufkommenden Wut unter und kaum, dass der Hustenanfall ein wenig nachließ, funkelte er den „Delphinjungen“ finster an.

„Das reicht!“, knurrte er schließlich noch immer etwas erstickt, „Lass uns rausgehen und das wie richtige Männer klären! Auch wenn bei dir von einem richtigen Mann wohl kaum die Rede sein kann!“

„Sagt der Richtige!“, erwiderte Seth gehässig, nickte dann aber entschieden, „Dann lass deinen Worten mal Taten folgen, Großmaul!“

Mit einem letzten feindseligen Blick, den sie austauschten gingen sie beide wie auf Kommando in Richtung des Beckenrandes, während sie Reis und Hayatos Einwände zu ignorieren versuchten.

Seth versicherte Hayato nur, dass er schon gegen ganz andere Männer gewonnen hatte und mit einem „Hänfling“ wie Josh schon fertig werden würde, während Josh Rei mitteilte, dass sie sich keine Sorgen machen musste, da er ja nicht beabsichtigte „ihren Seth“ umzubringen.

„JOSH!“, es brauchte nicht mehr Reis verärgerten Ausruf und die Hand, die sich um sein Handgelenk legte, um Josh inne halten zu lassen, als sich plötzlich etwas in sein Blickfeld schob, das ihn regelrecht erstarren ließ.

Seth war gerade dabei aus dem Wasser zu steigen und da er dies unweit von Josh entfernt tat, konnte dieser nun zum ersten Mal den nackten, vom Wasser glänzenden Rücken des anderen sehen und damit die vielen Striemen, die diesen überzogen. Keine frischen Wunden, aber selbst Josh konnte erkennen, dass es sich um Narben von peitschenartigen Schlägen handelte.

„Was zum…“, die leisen Worte kamen unbewusst über seine Lippen, doch eigentlich war es unnötig Fragen zu stellen. Die Ursache lag auf der Hand und als Seth über die Schulter verwundert zu ihm sah, bemerkte Josh wie dieser sich für den Bruchteil einer Sekunde versteifte, als ihm bewusst wurde, wo Josh hinstarrte. Doch er fing sich schnell wieder und zuckte mit einem kühlen Lächeln die Schultern.

„Alte Berufsverletzung! Warum so überrascht?“, Seth stieg gänzlich aus dem Wasser und richtete sich wieder auf, „Brauchst keine Rücksicht nehmen, ich mach dich trotzdem fertig!“

Joshs Blick verfinsterte sich und so kletterte auch er aus dem Onsen, doch statt zuzuschlagen, standen sie sich einen Augenblick lang nur gegenüber, ehe Josh den Kopf schüttelte und sich abrupt abwandte.

„Vergiss es einfach!“, meinte er noch leise und ließ seinen überraschten Kontrahenten einfach stehen, während er sich eines von den bereit gelegten Handtüchern nahm, es sich über die Schulter warf und ohne einen Blick zurück nach drinnen ging.

Er konnte Rei noch seinen Namen rufen hören und Seth’ verwunderte Frage, was denn nun los sei, aber Josh ignorierte es und kaum aus der Reichweite der anderen beeilte er sich, in eine der Duschen zu kommen, um diese hinter sich zu verriegeln.
 

Rei würde ihm sicherlich folgen, so wie sie es immer tat, wenn Josh sich seltsam benahm, doch für den Moment wollte er alleine sein.

Er ließ sich mit dem Rücken an einer der Duschwände hinabsinken, ohne das Wasser anzustellen und legte eine seiner zittrigen Hände auf sein pochendes Herz.

So genau wusste er selbst nicht, was mit ihm los war. Nur, dass ihn der Anblick des entstellten Rückens nicht losließ und es ihn ärgerte, dass Seth es mit einem schlichten Schulternzucken abgetan hatte als wäre es nichts! Als sei es normal!

Josh zog die Beine an und schlang seine Arme um diese, als er spürte dass er fror. Es war kalt gewesen von dem warmen Wasser an die Winterluft zu treten, doch er hatte das Gefühl, dass diese Kälte hauptsächlich aus seinem Inneren kam.

Sein Ehrgeiz, Seth zu demonstrieren, dass er der geschicktere Kämpfer von ihnen war, hatte sich beim Anblick dessen Rückens in Luft aufgelöst und die Wut hatte sich zu einem drückenden Gefühl in seiner Brust gewandelt. Was war es? Mitleid? Schuld?

Unbewusst kam ihm die Frage in den Sinn, ob auch sein Vater für einige dieser Narben auf Seth’ Rücken verantwortlich war und die Kälte nahm weiter zu.

Bisher hatte Josh sich erfolgreich einreden können, dass Seth selbst Schuld an seinem Schicksal war. Dass er es wohl einfach so gewählt hatte, statt sich notfalls so durchzuschlagen, wie es auch Rei getan hatte. Dass ihm einfach der Stolz gefehlt hatte oder sein Körper ihm zu unbedeutend gewesen war. Aber… wie verzweifelt musste man sein, um solche Dinge mit sich machen zu lassen?

Und nicht nur er, sondern auch Hayato und auch Rei auf ihre Weise…

Josh erinnerte sich noch gut an den Tag, als er sie wegen diesem Brief verfolgt hatte und beim näheren Betrachten die blauen Flecken in ihrem Gesicht bemerkt hatte. Wie sie auf seine Frage hin nur die Schultern gestrafft hatte und gemeint hatte, dass dies eben mal passierte.

Sie alle taten so als wäre es selbstverständlich! Dass Kinder wie sie geschlagen, misshandelt und benutzt wurden! War es denn normal? War das die Welt, wie sie schon immer gewesen war?

Josh schluckte und spürte die heißen Tränen, die ihm über die Wangen rannen, während er die Augen zusammenkniff und vergeblich versuchte dagegen anzukämpfen.

„Das ist so falsch!“, murmelte er gegen seine eigenen Knie und senkte seine Stirn auf diese.

Verstand denn niemand wie falsch das alles war?! Dass es anders sein müsste? Niemand in diesem Alter sollte von solchen Narben gezeichnet sein! Nein, generell niemand!

Aber warum war es dann er, der nun hier saß und heulte? Es waren nicht seine Narben! Seth war nicht er! War es nicht das, das er die ganze Zeit zu beweisen versuchte? Warum tat es ihm dann selbst so weh? Weil es vielleicht seine Narben gewesen wären, wenn Seth nicht für ihn hätte herhalten müssen?

Das erklärte zumindest das Gefühl von Schuld in seinem Inneren, doch der Schmerz ging tiefer. Es war nicht nur Seth! Es schienen schlichtweg… alle zu sein! Die ganze Welt!

Nachdem er Rei kennen gelernt, sein Vater sein wahres Gesicht gezeigt hatte und alles aus dem Ruder gelaufen war, hatte Josh so viele Menschen kennen gelernt. Jeder auf seine Weise von dem Leben gezeichnet. Bei manchen so sichtbar wie die Narben auf Seth’ Rücken oder die, die er auch schon auf Reis Körper gesehen hatte. Bei anderen genügte ein Blick in die Augen, um all die Verzweiflung, den Schmerz, die Leere und die Verlorenheit zu erkennen.

Es war lächerlich aber… warum hatte er dann immer das Gefühl, etwas dagegen tun zu müssen? Als läge es an ihm, die Dinge zu ändern! Er wusste, dass er nur einer von ihnen war. Dass auch er Narben am Handgelenk und am Hals hatte, die ihn verrieten. Doch jedes Mal, wenn er eines weiteren ungerechten Schicksals gewahr wurde, war es als würde sein eigenes Herz Stückchen für Stückchen daran zerspringen, bis er nicht anders konnte als die Tränen für diejenigen zu vergießen, die selbst zu abgebrüht waren um es zu tun.
 

Es waren Reis Rufe, die ihn aus den Gedanken rissen und als er hörte, wie die Türklinke heruntergedrückt und vergeblich versucht wurde, die Tür zu öffnen, hob er den Kopf und wischte sich rasch über die Augen, doch es brachte nichts.

Darum wollte er sich wenigstens bemühen, seine Stimme fest genug klingen zu lassen um mitzuteilen, dass er gerade duschte, als ihn die Verzweiflung in Reis Stimme daran hinderte.

„JOSH?“, rief sie mit mehr Panik als bei einer verschlossenen Tür nötig wäre, „JOSH! Mach auf! MACH AUF!“

Sie hämmerte nun regelrecht gegen die Tür, dass Josh schon fürchtete, sie würde sie schneller eingeschlagen bekommen als er sie öffnen könnte und so richtete er sich rasch etwas auf, um sie zu entriegeln. Keine Sekunde später, stürzte Rei herein, beunruhigend blass im Gesicht und mit einer Miene, die von Angst und Sorge geprägt war. Es versetzte Josh einen Stich sie so zu sehen und ihm lag die Frage auf der Zunge, was passiert war, als sie bereits auf ihn zukam, seine linke Hand ergriff und diese zu sich umdrehte.

Ihm war als hätte ihn diesmal ein eiskalter Schwall Wasser erwischt, als er verstand, dass sie befürchtet hatte, er würde sich etwas antun wollen. Denn kaum, dass sie sah, dass die Narbe an seinem Handgelenk verschlossen war und nirgendwo Blut floss, atmete sie auf und schloss für einen Moment erleichtert die Augen.

„Wichser!“, fluchte sie dann und funkelte ihn wütend an, „Was rennste einfach weg, du… Josh?“

Ihr Zorn wandelte sich sofort wieder in Sorge als sie ihn ansah und die Tränen auf seinen Wangen bemerkte.

„Es ist… es ist nichts.“, brachte Josh nur etwas heiser hervor und versuchte sich an einem Lächeln, das ihm allerdings nicht so recht gelingen wollte. Er wusste nicht, ob Rei verstand, was ihn bedrückte. Vielleicht war es auch nicht wichtig, dass sie es verstand, denn sie wusste, wie sie ihm helfen konnte. Also verriegelte sie die Tür nun ihrerseits, bevor sie sich vor ihn kniete, sich zwischen seine angezogenen Knie drängte und ihre Hände an seine Wangen legte, um seinen Kopf näher zu sich heranzuziehen und an ihre Brust zu legen. Josh wehrte sich nicht dagegen, nahm den Halt an, den sie ihm geben wollte und gab das zittrige Lächeln auf, während er seine Stirn an ihre Halsbeuge lehnte und weitere Tränen über seine Wangen rannen.

„Ich wünschte, ich könnte etwas tun…“, flüsterte Josh leicht erstickt in ihren Armen, „Ich hasse es,… es nur sehen zu müssen und nichts… nichts tun zu können…“

Er brach ab und versuchte Luft zu holen, um ein Schluchzen zu ersticken, ehe er einfach die Augen schloss. Es war so viel einfacher gewesen, als er noch vor allem die Augen verschlossen gehalten hatte und in seiner eigenen kleinen Welt gelebt hatte. Jetzt ging das nicht mehr. All das Leid, die Schmerzen, die Verluste, die Ungerechtigkeiten, mit denen andere umzugehen hatten. Manchmal hatte er das Gefühl, dass es in dieser Welt nichts anderes gab.

Josh schwieg, während er spürte wie Reis Hände beruhigend über sein nasses Haar streichelten und gestattete es der Wärme, die von ihr ausging, die Kälte in ihm zu vertreiben.

Es war Rei, die ihn immer wieder daran erinnerte, dass es noch anderes gab. Wärme, Trost, Freundschaft, Hoffnung…

Er legte seine Arme ebenfalls um ihren schmalen Rücken und schwor sich einmal mehr, sie niemals zu verlieren!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  xXKikiXx
2012-12-31T09:19:15+00:00 31.12.2012 10:19
Der erste Teil is schon genial und man möchte Josh schütteln und wachrütteln, aber man versteht auch wunderbar wieso er so denkt.
Allein die Idee von Seth ersetzt zu werden is aus seiner Sicht alles andere als abwegig. Ich kann ihn so gut verstehen, auch wenn ich die ganze Zeit natürlich auch dachte „Junge, du musst mal sehen was du hast und nicht immer Panik und Paranoia haben“ *lach*

Joshs erste Ansicht von Inu (Hayato) is goldig und (so finde ich) sehr zutreffend. Süß das auch unser Dickschädel hier denkt Inu gehöre in Watte gepackt. Da hat er (auch wenn er das bestimmt nicht hören will) was mit Seth gemeinsam ^__^

Auch Joshs erster Eindruck der schneebedeckten Berge is einfach nur zauberhaft. Da hast du es geschafft die Schönheit dieser Umgebung (wie ich sie leider nur aus dem Netz kenne) wunderbar in Worte zu fassen so dass man sie selbst vor sich sehen kann *__*
Und Joshs Bedenken über den traditionellen japanischen Lebensstil sind goldig, ich hab mich dabei prima amüsiert *gg*

Josh und Rei, wie immer eine Freude sie zusammen zu erleben, Ihre große Klappe und Joshs nicht weniger große dazu, sind immer wieder ein Erlebnis das ich gerne immer und immer wieder genieße lesen zu dürfen.
Aber auch Josh der sich immer und immer wieder mit Seth vergleicht und sogar von bestimmten Gestiken abschwören möchte, is einfach nur göttlich zu lesen *lach*
Und trotzdem tut er mir auch schrecklich leid, weil man prima rauslesen kann wie er sich fühlt wenn Rei und Seth miteinander lachen oder scherzen. Da tut er mir richtig, richtig leid ;__;
(Allerdings waren seine Körpervergleiche wieder total zum lachen und er total süß weil er sich ja für den Schönsten und Besten hält^^)

Die Szene im Bad…
Großartig!
Zum einen weil du Seths Reaktion prima getroffen hast. So hätte ich ihn durchaus auch reagieren lassen den kleinen Provokateur.
Allerdings tut mir Josh auch da schon wieder schrecklich leid weil seine Erinnerungen ihm da Bilder vorgaukeln die wirklich nicht schön für ihn (und auch nicht für Seth) waren.
Trotzdem hatte ich Lachtränen in den Augen bei der Wasserschlacht. Ganz besonders als die zwei Helden wirklich kurz Pause gemacht haben um zu gucken ob sie wirklich das ganze Wasser rausplantschten wie Rei es ihnen gesagt hatte XD
Joshs Sicht aufs Seths Narben und die Reaktion von beiden darauf und danach, war auch wunderbar geschrieben. Ich weiß nicht was du hast aber Seth triffst du dauernd sehr, sehr Punktgenau^^
Ich find das einfach nur toll, und Joshs Überlegungen in der Dusche…da hab ich wieder mit ihm gelitten ♥
Und ich war abermals begeistert von Rei die kam um ihn zu trösten ♥♥♥

Alles in allem kann ich nur sagen: ICH WILL MEHR!!!
Und es is mir ganz egal wie lange du dafür brauchst. Das Warten hat sich tausendfach ausgezahlt XD
Danke für das tolle Kapitel *umknuddel*



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