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Rudolf mit der roten Nase

Weihnachts-FF
von

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Naokos Lächeln

„Warten Sie, Inspektor.“ Yamamura drehte sich überrascht um.

„Nanu? Was gibt es Herr Mori?“

„Es war kein Unfall, sondern Mord.“ Kogoros Stimme, schnitt scharf geschliffen wie die Eiszapfen, die vom Hausdach baumelten, durch den Raum. Alle sahen ihn an, in ihren Gesichtern Schock, Unglaube, Zweifel, Angst und Trauer, Gefühle, die jeden heimsuchten, zwickten und zwackten wie kleine Kobolde, der das erste Mal ein Mordopfer zu Gesicht bekam. Solche Gefühle ließen einen oft niemals mehr los. In ihrer Intensität und Grausamkeit kannten sie keine Gnade, nichts war so schlimm, wie einen geliebten Menschen sterben zu sehen. Sinnlos. Yamamura schluckte.

„T-tatsächlich? Inwiefern?“ Gespannt wartete er auf seine Schlussfolgerungen. Kogoro räusperte sich.
 

„Takeru wurde vor etwa einer Stunde blutüberströmt mit mehreren Wunden im Bauchbereich tot im Schnee aufgefunden. Von seinem Rentier Rudolf fehlte jede Spur, weshalb man vermutete, dass er ihn angegriffen hatte und dann weggelaufen war. Jedoch, war Rudolf sein bester Freund. Ein Rentier, dass er selbst großgezogen hatte und das ihn niemals angegriffen hätte, es sei denn…“ Er ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. „…jemand bringt ihn dazu.“ Makoto starrte ihn verblüfft an. „Sie wollen mir weismachen, dass jemand Rudolf überredet hat, meinen Bruder zu töten? Wie hirnverbrannt sind sie eigentlich?“

Kogoro schüttelte den Kopf.

„Nicht überredet. Sagen Sie, kennen sie das Lied Rudolf, the red-nosed reindeer?“ Der Blick der Versammelten wurde noch skeptischer. Makoto schnaubte.

„Wissen Sie, worauf mich das gebracht hat? Ein Mensch bekommt eine rote Nase, wenn er verschnupft ist, wenn er friert oder aber, wenn er betrunken ist.“

Er lächelte wissend.

„Auch Tieren kann das passieren.“ Er baute eine wirkungsvolle Pause ein, schloss kurz die Augen, senkte den Blick und öffnete sie dann, um alle im Raum sitzenden Verdächtigen mit der vollen Wirkung seiner siegesgewissen, stechenden Augen zu bedenken.

„Jemand hat dafür gesorgt, dass Rudolf betrunken wird, weil er wusste, dass Tiere, denen Alkohol verabreicht wird, zu gesteigerter Aggressivität neigen.“

Naoko musterte ihn entsetzt.

„Aber wie soll das derjenige angestellt haben? Ich will ihnen nicht zu nahe treten, aber es war immer jemand von uns im Stall und es wäre doch sicher aufgefallen, wenn man den Rentieren Glühwein gegeben hätte.“ Sein Lächeln wurde noch spöttischer.

„Nein, kein Glühwein, Verehrteste. Der Täter hat sich einem viel einfacheren Mittel bedient. Vergorenes Obst.“
 

Naoko zuckte zusammen.

„Nicht wahr, Frau Naoko Fujiwara? Sie haben Rudolf doch extra sein geliebtes Obst gebracht und sind im Stall zurückgeblieben, um ihn zu füttern.“

Sie sprang auf und starrte ihn ungläubig an.

„Sind Sie verrückt? Wie können Sie das behaupten?“

Auch Makoto erhob sich und kam bedrohlich auf ihn zu.

„Genau. Ich war schließlich auch draußen und hätte es tun können. Lassen Sie sie zufrieden, sie ist keine Mörderin!“

„Nein. Denn sie waren doch die ganze Zeit mit ihr zusammen, oder nicht? Naoko hat sich, als sie das Haus das zweite Mal verlassen hat, mit Ihnen getroffen. Mal abgesehen davon, haben sie selbst gesagt, dass sie sich vor großen Tieren fürchten. Sie hätten das Rentier also wohl kaum gefüttert.“

„Warum hätte sie das bitte tun sollen?“

Die beiden stierten sich an, wie zwei Kampfhähne. Kogoro zog die Augenbrauen zusammen und musterte ihn kalt.

„Nun, immerhin seid ihr ein Paar.“ Makoto starrte ihn wie vom Donner gerührt an.

„W-woher?“ Auf einmal wirkte er ganz kleinlaut. Auch Naoko sank betreten aufs Sofa zurück und schwieg.

„Ihr hattet eine Affäre, nicht wahr? Das ist auch der Grund, warum du sie deckst, du wusstest davon. Vermutlich, warst du vorhin noch im Stall und hast sie auf frischer Tat ertappt. Anschließend wolltest du ihr anbieten, dich mit ihr zu treffen, um ihr im Notfall ein Alibi zu verschaffen. Dummerweise habe ich ihren Trick durchschaut, sodass du es nicht mehr einwerfen konntest. So war es doch?“

„Nein, Sie lügen!“
 

„Hör auf, Makoto.“ Naoko war aufgestanden.

„Merkst du nicht, dass es zu spät ist? Alles, was wir jetzt noch sagen, wird uns noch mehr zerstören.“ Makoto trat einen Schritt zurück und sah seine Geliebte ungläubig an.

„Aber…“

„Ich habe Takeru geliebt. Trotz des Altersunterschieds. Er war ein wundervoller Mann, so mutig, so ehrenhaft, wie einer dieser Ritter aus den alten Märchen. Und ich seine Prinzessin, sein Augenstern. Aber…“ Ihr Gesicht verdüsterte sich. „Das änderte sich mit den Rentieren. Anfangs war es nett. Wir zogen sie gemeinsam auf, hatten Spaß, lachten viel und waren glücklich mit unserer kleinen Familie. Mit der Zeit wurde er aber regelrecht besessen. Er kaufte alles für seine Lieblinge, machte Schulden und wendete sich mehr und mehr von mir ab.“ Ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Ein Lächeln so schmerzerfüllt, so leer und voller Selbsthass, Abscheu und trauriger Offenbarung. Der seelenvolle Schrei des Ertrinkenden getarnt unter einer puppenhaften Maske. Er war sich nicht sicher, aber ein Mensch, der gerade in seinem Innersten zerbrach, musste so aussehen. Genau so, wie die lächelnde Naoko.

„Die Rentiere haben mir alles weggenommen. Deshalb…“ Eine Träne kullerte über ihre Wange. „Deshalb wollte ich, dass Rudolf ihn angreift. Ich wollte zeigen, dass die Rentiere gefährlich für ihn sind, dass sie eine Sucht sind, ein Fluch, der ihn kaputt macht und mehr und mehr von allem entfernt, dass ihm einst so wichtig war.“

Ihre Stimme war nur noch ein raues Flüstern.

„Ich wollte nicht, dass er stirbt. Ehrlich nicht.“
 

„Die arme Naoko.“ Die Kinder saßen geknickt hinten im Auto und blickten betreten auf ihre Hände.

„Sie wollte ihm nur eine Lektion erteilen und jetzt ist er tot.“

„Es ist Heiligabend.“ Ran blickte auf die kleine Digitaluhr vorne im Auto. 0 Uhr blinkte auf der Anzeige.

„Frohe Weihnachten, Paps.“

Rans Stimme war kaum mehr ein Flüstern. Behutsam streichelte Kogoro ihr über die Haare und lächelte.

„Naoko empfindet tiefste Reue. Sie ist keine Mörderin, lediglich eine junge Frau, die einen Fehler gemacht hat. Nichts auf der Welt bringt Takeru zurück und ich hasse sie dafür, dass sie ihn grundlos sterben ließ, aber Weihnachten ist nicht nur das Feste der Liebe, sondern auch das Fest des Verzeihens.“ Ran blickte ihn an.

Er lächelte wehmütig.

„Meinst du, Takeru würde Naoko verzeihen, wenn er noch leben würde?“

Sein Blick glitt wieder auf die leere Straße vor ihm.

„Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es für sie.“
 

„Meinst du, sie hat ihn wirklich geliebt?“ Kogoro nickte. Naoko hatte einen Fehler gemacht. Sie hatte dumm gehandelt, naiv und trotzig wie ein Einzelkind, dass plötzlich ein Geschwisterchen bekommen sollte. Aber sie war kein schlechter Mensch und sie hatte Takeru geliebt, so, wie er sie. Da war er sich sicher. Auch, wenn die beiden niemals im Leben mehr ihr Glück finden würden, so hatte Naoko doch zumindest noch eine Chance, etwas daraus zu lernen. So unglaublich der Gedanke manchmal scheinen mag, so unmöglich, verwegen, unmenschlich. Das Leben ging weiter. Trotz dieses Mordes würde es Geschenke geben, lachende Gesichter, Plätzchen und Tee, Glühwein und Gutenachtgeschichten. Das war der Preis des Lebens. Es ging immer weiter und es gab keine Möglichkeit anzuhalten und zu verschnaufen. Lediglich rausspringen konnte man, aus dem Zug, allerdings erreichte man so nie die Haltestelle, die das Leben lebenswert machte.

„Ihr Lächeln. In ihrem Lächeln habe ich es gesehen. Deshalb bin ich mir sicher.“

Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft.

„Frohe Weihnachten, mein Schatz.“



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