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Ein ungewöhnlicher Mitbewohner

von
Koautor:  Caracola

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11. Kapitel

Die Fahrt zum Restaurant war von Smalltalk geprägt. Ein wenig sprachen sie über die Arbeit, Emilys Umzug und andere Kleinigkeiten ohne Belang.

Bei dem Etablissement angekommen, das Richard für den Abend gewählt hatte, wurden Emilys Befürchtungen wahr. Es sah mehr als nur nobel aus.

Hinter der gläsernen Eingangstür wartete bereits ein Kellner hinter einem hohen Pult, um nach der Reservierung zu fragen und geleitete sie dann zu einem kleinen Tisch, direkt am Fenster, der für zwei Personen gedeckt war. Im Raum flogen die sanften Töne des Klaviers herüber, das von einer Dame in weinrotem Kleid gespielt wurde und von ihrem Platz aus – Richard hatte ihr, ganz Gentleman, den Stuhl zurückgeschoben – konnte sie in den Garten hinaussehen, in dem ein wunderschön beleuchteter Springbrunnen stand.

Emily fühlte sich in dieser Atmosphäre beinahe genötigt, zu flüstern. Sie fühlte sich nicht gerade wohl, was man bestimmt an ihren leicht zitternden Fingern sehen konnte. Allerdings verbarg sie diese vor Richard, indem sie ihre Tasche auf das Fensterbrett stellte und dann ihre Hände in den Schoß legte.

„Schönes Restaurant. Bist du öfter hier?“

Mit deinen Kolleginnen, die dich auf Geschäftsreise begleiten sollen?, fügte sie in Gedanken schnippisch hinzu.

Erst jetzt fiel ihr auf, wie prekär die Lage eigentlich war. Was, wenn Richard tatsächlich etwas von ihr wollte?

Emily würde die Reise nach Norwegen auf keinen Fall riskieren. Aber … Verdammt, was für eine Zwickmühle!

Sogleich wunderte sie sich, wie sie jetzt überhaupt etwas essen sollte, bei dieser unglaublichen Nervosität, die sich in ihr ausbreitete. Sie dachte an Adrian und wie gern sie gerade in diesem Augenblick mit ihm auf der Couch gesessen hätte. Der Gedanke brachte sie zum lächeln.

 

Richard konnte einfach nicht anders, er musste jede Gelegenheit nutzen, Emily anzusehen. Sie sah heute so anders aus, als er es von der Arbeit gewohnt war. Ansonsten trug sie eher immer strenge, unauffällige Kostüme. Jetzt aber wirkte sie sehr elegant und wie dafür geschaffen, hier an diesem Ort mit ihm zu sitzen. Er bemerkte noch nicht einmal die Aussicht auf den Garten, da er seinen Blick nicht von ihr abwandte.

„Vielleicht ein oder zwei Mal mit meinen Eltern“, beantwortete er ihre Frage und machte dabei eine Bewegung mit der Hand, die ihr klarmachen sollte, dass das nur irgendwelche Pflichttreffen der Verwandtschaft waren.

„Die Küche ist einfach exquisit und die Weinkarte unbedingt zu empfehlen.“ Was auch immer ihr daran gefiel, dass Emily auf einmal leicht verträumt lächelte, ließ seine Haut kribbeln. Er konnte es kaum erwarten, mit ihr in Norwegen zu sein. Sie war nicht nur intelligent, sondern auch noch äußerst reizvoll. Eine Mischung, die ihn schon früh dazu gebracht hatte, ein Auge auf sie zu werfen.

Ein Kellner kam, reichte ihnen Speisekarten und nahm die Bestellung für die Getränke auf, ehe er sie wieder alleine an ihrem Tisch ließ.

„Wie kommt es eigentlich, dass du mit einem Mann zusammenwohnst? Hast du keine Angst, dass er dich eines achts anfallen könnte? Man hört ja so einige Geschichten.“

 

Dass Richard sie in ein Restaurant ausführte, wo er schon mit seinen Eltern gewesen war und es vor ihr auch noch zugab, gefiel Emily irgendwie. Hätte er von wichtigen Geschäftsessen oder Ähnlichem geredet, wäre sie sich nur wie eine von vielen vorgekommen.

Gerade wollte sie sich entspannen, als er sie nach Adrian und ihrem Zusammenleben fragte.

Bei dem Gedanken, dass Adrian sie 'anfallen' könnte, musste sie kurz lachen, was Richard einen irritierten Blick entlockte, bis sie ihm die Situation erklärte.

„Zuerst wollte ich unbedingt eine Mitbewohnerin. Ich weiß gar nicht so genau, warum ich zugesagt habe, dass er sich die Wohnung ansehen konnte. Gleich bei der Besichtigung habe ich ihm mehr oder weniger das gesagt, was du erwähnt hast. Ich wollte keinen Mann in meiner Wohnung, weil ich die Befürchtung hatte, er könnte mich eines Nachts betrunken mit einer Eroberung verwechseln.“

Das war nett umschrieben, für die Ängste, die sie vor Adrians Einzug und auch noch eine oder zwei Nächte danach gehabt hatte, als er im Morgengrauen nach Hause gekommen war.

Richards Gesichtsausdruck spiegelte so etwas, wie echte Besorgnis wieder.

 „Adrian ist der Letzte, vor dem ich diesbezüglich Angst haben muss. Er steht auf Männer. Heute haben wir mehr oder weniger ein Date mit einem netten, gut aussehenden Verkäufer für ihn klargemacht.“

Ihr Lachen blieb ihr beinahe im Halse stecken, als eine Dame um die sechzig sich umdrehte und ihr einen vernichtenden Blick zuwarf. Beinahe hätte Emily bei dem Gespräch über Adrian vergessen, dass sie sich hier wie eine Dame zu benehmen hatte und nicht über ein schwules Date spaßen sollte. Gott, wann kam bloß der Wein?

Genau in diesem Moment kam der Kellner wieder auf leisen Sohlen an den Tisch geschwebt und hielt Richard die Flasche Wein zur Inspektion unter die Nase.

Nach genauer Probe befand ihr Begleiter sie als gut und der Kellner schenkte ihnen ein. Emily kippte beinahe gierig den ersten Schluck hinunter und sofort breitete sich ein warmes Gefühl in ihrem leeren Magen aus.

Der Kellner stand immer noch da und wartete auf die Bestellung. Emily entschied sich für einen Vorspeisensalat mit Garnelen und grünes Tofucurry. Sie liebte thailändisches Essen und war sehr froh, diese Speise auf der Karte zu finden, denn alles andere wäre ihr eindeutig zu viel und zu schwer gewesen. Mit einem Lächeln gab sie die Karte an den Kellner zurück.

 

„Dein Mitbewohner ist also schwul? Und da bist du dir ganz sicher? Ich meine, könnte ja sein, dass er dir einfach nur etwas vorspielt. Hast du ihn denn schon einmal mit einem anderen Mann gesehen, um dir da sicher zu sein?“ Er wollte eigentlich nicht so sehr auf dem Thema beharren, aber er machte sich wirklich ernsthafte Sorgen um Emily. Der Kerl, den er da im Flur gesehen hatte, mochte vielleicht ein schönes Lächeln haben, aber er sah nicht wie ein Milchbubi aus, der vor einer Frau ihres Kalibers davonlaufen würde. Eher das Gegenteil. Richard wäre eine weibliche Mitbewohnerin wirklich tausendmal lieber gewesen.

 

„Nein, gesehen habe ich ihn noch nicht mit jemandem. Er hat keinen festen Freund oder sowas. Aber er hat ein Bild von einem halbnackten Kerl in seinem Zimmer.“ Beim letzten Teil ihres Satzes hatte sie die Stimme gesenkt, damit der Drachen am Nebentisch sich nicht wieder belästigt fühlte.

„Und wie gesagt, wir haben heute einen hübschen jungen Kerl für ihn aufgetan. Er will sich am Montag mit ihm verabreden.“ Bei dem Gedanken musste sie lächeln.

Außerdem hätte Adrian schon einmal mehr als die Gelegenheit gehabt, über sie herzufallen, wenn er es gewollt hätte. Als sie auf der Couch neben ihm eingeschlafen war, hatte er nicht die kleinsten Anstalten gemacht, sich ihr zu nähern. Also machte sie sich auch keine Sorgen. Aber die Geschichte mit der Couch würde sie Richard sicher nicht auf die Nase binden.

 

„Schade, dass du in der Arbeit nicht öfter auf diese Weise lächelst“, gab Richard schließlich zu. „Die Kollegen wären sicher sehr überrascht.“

Vor allem dieser Brad, der ebenfalls ein Interesse an Emily zu haben schien. Diese Frau war wirklich in vielerlei Hinsicht reizvoll, so dass sich die Männer für sie prügeln würden. Gut, Richard vielleicht nicht, da er kein Freund von Gewalt war, aber das glich er gerne mit Geld aus.

Da sein Gegenüber das Weinglas in kürzester Zeit leerte, schenkte Richard ihr nach. Vielleicht würde viel Wein ihre Zunge etwas lockern und zugleich ihr Gehör für das öffnen, was er ihr schon die ganze Zeit so gerne sagen würde. Obwohl das für heute, vermutlich noch keine allzu gute Idee war. Er musste sich an sie langsam herantasten, um sie sich sicher zu sein. Dennoch, Freund Alkohol hatte schon so manches gerichtet.

 

Richards Kommentar zu ihrem Lächeln ließ sie erröten, was sie mit dem starken Wein herunterzuspülen versuchte. Als die Vorspeise kam, war sie bereits bei der Hälfte des zweiten Glases.

Wäre sie doch bloß nicht so nervös …

Aber Richard hatte ihr mit den Kollegen ein gutes Stichwort gegeben.

„Gibt es denn Neuigkeiten aus Norwegen? Werden sie die beiden rausgeben? Ich hoffe doch, dass wir sie bekommen. Gerade die Moorleiche würde sich in der neuen Ausstellung großartig machen.“

Mit einem leicht besorgten Tonfall fügte sie hinzu: „Wenn der Zustand in Ordnung ist.“

Das konnte man nicht sagen. Jedes Museum übertrieb ein wenig, wenn es um die Qualität ging. Immerhin wollten sie die Exponate zu einem Preis verkaufen, der sich für das Museum lohnte.

 

Richard musste schlucken, als er die bezaubernde Röte auf Emilys Wangen entdeckte. Offenbar hatte sein Kommentar über ihr Lächeln sie verlegen gemacht. Da ihr dieser Hauch von Rot auf ihren Wangen sehr gut passte, hätte er am liebsten gleich noch mehr solcher Kommentare abgegeben. An Einfällen mangelte es sicherlich nicht, doch sie brachte ihn auf ein Thema, das er sowieso mit ihr heute Abend hatte besprechen wollen.

Während er in seinem Fisch auf Blattsalat mit Dillsoße herumstocherte – ohne sich bewusst zu sein, dass er das bestellt hatte – sah er sie erfreut an. „Ich habe eine gute Nachricht für dich. Wir können noch in der nächsten Woche nach Norwegen fliegen, um uns gleich Vorort über den Zustand der Exponate ein Bild zu machen. Ich habe bereits mit den Verkäufern abgesprochen, dass wir uns erst nach einer Besichtigung dafür entscheiden, ob wir sie kaufen wollen. Wenn alles in Ordnung ist und auch der Preis passt, können wir die Ausstellungsstücke gleich mitnehmen. Ich hätte mir gedacht, es wäre dir vielleicht lieber, selbst dabei zu sein, um den Transport so sicher wie möglich vorzubereiten. Was das angeht, vertraue ich ganz auf dein Fachwissen. Ich selbst kann ja lediglich nur mit Zahlen jonglieren und mich um die Papiere kümmern.“

Er schenkte ihr ein charmantes Lächeln über den Tisch hinweg und musterte kurz das fast leer getrunkene Glas. Er würde noch abwarten, bis sie es ganz geleert hatte, bevor er ihr nachschenkte.

Richard wollte nicht zu offensichtlich vorgehen, als wolle er sie abfüllen. Es war alleine ihre Entscheidung, wie viel sie vertragen konnte und somit trinken wollte. Sein eigenes Glas war noch immer bis zur Hälfte gefüllt, da er nur gelegentlich daran nippte und einen klaren Kopf bewahren wollte.

 

„Nächste Woche schon? Das ist ja fantastisch!“ Vor Begeisterung ließ sie ihre Gabel wieder sinken, die sie gerade angehoben hatte, um sich eine Garnele in den Mund zu stecken.

„Richard, das ist wirklich unglaublich … großzügig von dir, mich mitzunehmen.“

Emily war sich nicht sicher, ob es von Richard nicht mehr als nur großzügig war. Normalerweise wurde bei Ankäufen dieser Art keine Restauratorin mitgeschickt, sondern die Meinung des Kurators eingeholt. Wie dieser verfuhr, war seine Sache, aber Emily war sich sicher, dass Richard sie aus privaten Gründen mit auf diese Reise nehmen wollte.

Sie hätte ihn gern darauf angesprochen und sah ihm in die Augen, um herauszufinden, was er vorhatte. Den ganzen Abend über war er freundlich gewesen und hatte sich so verhalten, wie sie ihn kannte. Vielleicht teilweise ein bisschen geistesabwesend, aber er konnte genauso nervös sein wie sie. Auch wenn Emily dafür kein Grund einfiel, immerhin hatte Richard dieses Treffen anberaumt. Sie würde ihn nicht nach seinen Beweggründen fragen, auch wenn ihr das wie ein Tropfen Säure auf der Zunge brannte. Denn nach seiner Antwort hätte sie sich überlegen müssen, was ihre Einstellung dazu war.

Unvermittelt dachte sie darüber nach, was am Ende dieses Essens und damit vielleicht des Abends stehen könnte.

 

Es freute ihn über die Maßen, wie glücklich er Emily offenbar mit seiner Neuigkeit machte. So sah er sie gerne. Wie ihre Augen dabei strahlten, ihr Gesicht wie erhellt zu sein schien. Ja, sie war wirklich wunderschön.

„Ich weiß, es ist eigentlich nicht üblich, aber es ist ein wichtiger Kauf für das Museum und daher wollte ich mich nicht mit der Meinung eines Fremden zufriedengeben, sondern von meinen eigenen Leuten eine ehrliche Antwort hören.“

Er schenkte ihr einen langen Blick.

„Den Menschen, denen ich vollkommen vertraue“, fügte er noch etwas leiser hinzu und legte sein Besteck ordentlich hin.

 

Ihr Blick wanderte über sein Gesicht. Die braunen Augen unter den hellen Brauen und Wimpern, seine schmale Nase und die ebenso schmalen Lippen. Emily überlegte, ob er sie küssen würde, wenn er sie nach Hause brachte.

Sofort lief sie wieder rot an und sah auf ihren Teller, während sie konzentriert mit der Gabel auf die Jagd nach der nächsten Garnele ging.

Es war ihr vor ihr selbst peinlich, über so etwas nachzudenken. Aber Richard war so … Sie konnte es auch nicht erklären, aber sie glaubte zu spüren, dass er mehr im Sinn hatte als dieses Abendessen. Und Emily konnte nicht leugnen, dass sie gegen ein bisschen Zweisamkeit nichts einzuwenden gehabt hätte. Vielleicht war sie nach Zach jetzt schon bereit für einen Übergangsmann? So drückte Mona sich gerne aus.

Nach einer Trennung besorgte Frau sich einen Mann, in den sie zwar verliebt war, aber der nur für eine kurze Zeit an ihrer Seite bleiben würde, weil sie einfach noch nicht bereit war. Er war der Mann, bei dem man sich wohlfühlte und mit dem man – laut Mona – verdammt befriedigenden Sex hatte, aber eben nicht mehr.

Fast hätte Emily sich an der Salatsauce verschluckt, als ihr auffiel, an was sie gerade dachte.

Sex mit Richard? Absurde Vorstellung. Er war ihr Chef. Ein eleganter, selbstständiger Kerl, der wahrscheinlich jede Frau haben konnte, die er wollte … Und doch war er nicht mit jeder Frau hier, sondern mit Emily.

Nun legten sich ihre dunklen Augen nachdenklich, aber mit einem offenen Ausdruck auf sein gutaussehendes Gesicht.

 

Neugierig faltete er die Hände unter seinem Kinn und beobachtete Emily schweigend dabei, wie sie sich offenbar allerhand durch den Kopf gehen ließ.

„Einen Penny für deine Gedanken“, raunte er leise unter leicht gesenkten Wimpern hervor, sich deutlich bewusst, was das für eine Wirkung auf sie erzielen musste. Aber da sie ihn ohnehin so ansah, als würde sie Fragen in ihrem Kopf herumwälzen, konnte er ihr auch dabei behilflich sein.

„Gibt es etwas, das du gerne wissen möchtest?“ Bezüglich der Arbeit? Der Reise? Ihn?

Er benetzte seine trocken werdenden Lippen, als sie ihm nicht nur ihren Blick, sondern auch wieder ihre Aufmerksamkeit schenkte.

Spannung lag leicht in der Luft, zumindest empfand er dieses Warten auf ihre Antwort so.

 

Mit seiner Frage brachte Richard sie völlig aus der Fassung. Es war also so offensichtlich gewesen, dass sie derartig nachgedacht hatte? Natürlich, immerhin hatte sie weder gegessen, noch etwas gesagt. Weder sonderlich höflich, noch sonderlich freundlich von ihr, wo er sie doch zum Essen eingeladen hatte.

Wenn Richard allerdings wüsste, worüber sie genau nachgedacht hatte, hätte sich der Rest des Essens sicher sofort erledigt.

Auf die eine oder andere Weise, fügte sie gedanklich noch hinzu, als sie seinen Blick sah.

Er flirtete mit ihr. Richard flirtete tatsächlich mit ihr! Oder, wie sollte man diesen Blick unter seinen langen, blonden Wimpern heraus deuten. Noch dazu diese Frage.

„Ich …“, begann sie leise und beinahe war sie versucht gewesen, ihm ein wenig Hoffnung zu machen. Aber sie wollte sich nicht aus dem Fenster lehnen. Die Trennung von Zach hatte wehgetan. Mehr, als sie es bei ihrer seltsamen Beziehung erwartet hätte. Wenn Richard sie wollte, dann würde er es ihr zeigen müssen, und zwar unmissverständlich. Aber gleichzeitig durfte er sie zu nichts zwingen, denn Emily wusste genau, dass sie dann Angst bekommen würde. Denn eigentlich war es zu früh. Sie war nicht bereit, sich auf Richard einzulassen. Nicht für eine Beziehung …

Wieder hörte sie Monas Stimme in ihrem Kopf, versuchte sie aber abzuschütteln. Sie würde einfach abwarten, was passierte. Bis dahin würde sie den Abend genießen, wie sie es getan hätte, wenn da nicht diese Sache mit Zach gewesen wäre. Warum sollte Zach gerade jetzt Einfluss auf sie nehmen? Das wäre totaler Blödsinn. Also straffte Emily sich innerlich ein wenig und schenkte Richard ein Lächeln. Das erste dieses Abends, das allein ihm gehörte.

„Eigentlich möchte ich gern mehr über die Reise erfahren. Wie lange hast du vor, in Norwegen zu bleiben?“

 

„Ich denke, die Frage sollte richtiger lauten: Wie lange haben wir vor, in Norwegen zu bleiben? Also eingeplant sind drei Tage. Was natürlich auf die Umstände ankommt. Ich will uns nicht hetzen und wir sollten die Möglichkeit haben, alles in Ruhe anzusehen und zu überdenken. Also eine Verlängerung des Aufenthalts ist immer drin. Falls alles reibungslos läuft, könnten wir auch schon früher wieder zurück sein … je nachdem.“

Er schenkte ihr nun wieder Wein nach, da er den Boden ihres Glases bereits sehen konnte. Auch seines füllte er wieder auf, um ihr nicht den Anschein zu vermitteln, sie würde hier die Flasche alleine leeren. Alles was ihr Unbehagen bereitete, wollte er bereitwillig für sie aus dem Weg räumen. Es sollte ein schöner Abend werden und dafür würde er auch sorgen.

 
 

***

 

Richard konnte nicht mehr genau sagen, über was sie eigentlich so lachten, dass es fast schon das ganze Haus aufwecken müsste, aber das war auch egal. Er selbst spürte nun den Wein ganz schön deutlich, den sie den ganzen Abend über hatten fließen lassen. Aber Emily schien es etwas mehr getroffen zu haben. Sie schwankte schon leicht auf ihren hohen Schuhen, so dass er ihr die Treppen hinaufhalf und sie beide wieder zu kichern anfingen, als wäre diese Tatsache alleine das Witzigste überhaupt.

Richard gab es gerne zu, so sehr wie heute Abend hatte er sich schon seit Jahren nicht mehr amüsiert. Nachdem Emily durch den Wein entspannter geworden war, hatten sie offener zueinander sein können. Da er ohnehin etwas für sie empfand, war es nicht allzu schwer gewesen, sich ihr zu öffnen. Sie jedoch, hatte da noch so ihre Startschwierigkeiten gehabt. Aber jetzt lief der Motor und genau das war das Problem. Der Alkohol war der Grund dafür, nicht er.

Vor ihrer Tür musste er ihr dabei helfen, den richtigen Schlüssel zu suchen, damit sie in ihre Wohnung gelangen konnte. Wobei auch das Lachen langsam erstarb und sich die Luft knisternd auflud.

Emily sah ihn mit ihren großen dunklen Augen an und seine funkelten zurück.

Gott, wie sehr sein Herz dabei schlug. Doch er konnte die Röte ihrer Wangen nicht übersehen und auch nicht den glasigen Blick.

Sie war betrunken. Mehr noch als er selbst.

 

Emily fühlte sich betrunken. Nicht so schlimm, wie an dem Abend im Shadow – bei weitem nicht – aber doch so angeheitert, dass sie aufpassen musste, was sie tat. Bereits als ihr Richard die Treppen hinaufhalf, war sie sich darüber im Klaren, dass nun das kommen würde, was ihr schon den ganzen Abend über immer wieder Sorgen bereitet hatte. Sie mussten sich verabschieden und von dieser Verabschiedung hing einiges ab. Zumindest fühlte es sich für Emily so an.

Während Richard ihr bei der Suche nach dem Schlüssel half, kam er ihr so nahe, dass sie wieder sein Aftershave riechen konnte. Außerdem fiel ihr das erste Mal auf, wie groß er war. Er überragte sie um einen Kopf und dabei war Emily nicht gerade klein und trug noch dazu Absätze.

Weil sie sich zu schnell zu ihm umdrehte, geriet sie ins Schwanken und hielt sich an ihm fest.

Sie konnte spüren, dass es jetzt passieren würde.

Richard strich ihr sanft über die Wange und sah ihr in die Augen. Ein wenig erschrocken prüfte sie, was sie fühlte oder ob sie überhaupt etwas für ihn empfand. Doch da war kein aufgeregtes Kribbeln oder erwartungsvolles Herzklopfen. Sie mochte ihn, das stand außer Frage. Und wenn er sie küssen sollte, hätte sie nichts dagegen. Aber von ihrer Seite aus steckte nichts dahinter. Wenn er sie wollte, könnte er sie haben, heute Nacht. Allerdings nur ihren Körper, nicht ihr Herz.

 

„Das war ein schöner Abend, Emily. Ich hatte schon lange keinen so großen Spaß mehr“, gestand er ihr offen und freiheraus, während er ihr flüchtig eine Wimper mit dem Daumen von der Wange wegwischte. Dabei huschte sein Blick immer wieder zu ihren Lippen.

Bestimmt waren sie so seidig und weich, wie sie aussahen. Er hätte sie in diesem Augenblick so gerne geküsst. Allerdings wollte er ihre Situation nicht ausnutzen, also hauchte er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und löste sich wieder von ihr. „Ich würde mir sehr wünschen, unseren Abend bald wieder einmal zu wiederholen.“

 

Emily war beinahe erleichtert, als er die Spannung mit einem Kuss auf ihre Wange durchbrach. Sie sah ihn wieder mit einem Lächeln an und dankte ihm in Gedanken dafür, dass er nicht mehr von ihr verlangte als diesen schönen Abend. Und schön war es gewesen. Sie hatte trotz ihrer anfänglichen Befürchtungen sehr großen Spaß gehabt.

Sie drückte seine Hand, an der sie sich immer noch festhielt, und lächelte weiter. „Natürlich, das würde mich auch freuen. Aber wir sehen uns sowieso am Montag in der Arbeit.“

Ja, und bereits Dienstag würden sie zusammen nach Norwegen fliegen. Für drei Tage. Allein dafür hatte sich das Abendessen gelohnt. Emily hatte keinerlei Bedenken mehr, mit Richard dorthin zu fliegen und drei Tage oder mehr mit ihm zu verbringen.

„Und ich freue mich auf Norwegen mit dir.“

Sie wünschten sich eine gute Nacht und Emily schloss die Tür, so leise sie konnte, nachdem Richard etwas unsicher die knarrende Treppe hinuntergegangen war und sie draußen die Tür des Taxis hatte zuschlagen hören.

Drinnen streifte sie erst einmal die Schuhe ab und hängte ihren Schal an die Garderobe. Ihre Füße brachten sie fast um, obwohl sie nicht lange hatte darin gehen müssen. Sie war so angeschwipst, dass sie sich immer wieder konzentrieren und an der Wand festhalten musste, um den Weg ins Bad zu finden.

Dort duschte sie noch einmal, kämmte sich die Haare und machte sich bettfertig. Allerdings war ihr nicht aufgefallen, dass sie auf ihrer konzentrierten Reise ins Bad völlig vergessen hatte, ihren Pyjama aus dem Schlafzimmer zu holen.

„Egal.“ Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber Adrian war sicher noch nicht zu Hause, also warf sie sich ihr Kleid über den Unterarm und machte sich nur im Slip, den sie sich aus purem Anstand noch übergezogen hatte – man konnte schließlich nie wissen – auf den Weg in ihr Zimmer.

 
 

***

 

Adrian tanzte so wütend, aggressiv und rücksichtslos wie noch niemals zuvor in seinem Job. All das, was er in Emilys Nähe unterdrücken, verstecken und verleugnen musste, tanzte er an diesem Abend hinaus.

Ja, er war wütend. Auf sich und seine Gefühle, die ihn so aufwühlten, obwohl er den Grund dafür nicht verstand. Vielleicht wollte er aber Emily auch einfach nur vor etwas beschützen. Vielleicht vor Typen, wie ihrem Ex, aber Richard hatte nicht so ausgesehen, als gehöre er zu dieser Sorte.

Ja, er war aggressiv, weil er sie belügen musste und ihr niemals zeigen durfte, dass er sie als Freundin gerne hatte, sich sogar für mehr interessierte, was ihn auf den nächsten Punkt seiner Gefühle brachte.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der er sich die Seele aus dem Leib tanzte.

Er glaubte nicht, dass er mehr für Emily empfand, als Zuneigung, und immer mal wieder Eifersucht, aber wie zum Teufel sollte er diese Gefühle auch richtig einordnen können, wenn er sie noch nie in diesem Ausmaße erlebt hatte? Hatte er denn schon einmal eine weibliche Freundin, mit der er sich einfach so gut verstanden hatte und wo die Beziehung nicht auf heißen, hemmungslosen Sex basierte? Definitiv nicht.

Gierige Frauenhände griffen nach ihm, streichelten die Haut seiner Schenkel, liebkosten seinen Hintern, seinen Rücken und kniffen ihm in den Po, während er sie beinhart ignorierte und sie somit noch mehr aufstachelte, da er hier den unnahbaren, wütenden Racheengel mimte, der in ihm hervorgebrochen war. Je mehr sie ihn berührten, umso wütender wurde er und umso wilder tanzte er.

 

Als sein Boss nach der Arbeit auf ihn zukam, befürchtete Adrian schon, einen schlimmen Fehler begangen zu haben. Doch seine Befürchtung war unbegründet. Der Kerl wollte ihm mehr freie Nächte geben, dafür musste er öfter auf der großen Bühne auftreten und so eine Show abziehen, wie vorhin eben. Er würde sogar eine Gehaltserhöhung bekommen, wenn er zusagte.

Bei dem, was gerade in Adrian vorging, konnte er nur zusagen. Vermutlich würde er einen Indikator brauchen, um nicht wahnsinnig zu werden. Wahnsinnig vor Eifersucht!

Gott, warum musste ausgerechnet ihm das passieren?



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