Das Vorbild - Part 2
Das Chòu Dòufu trugen sie in einem versiegelten Plastikbeutel mit sich, als sie sich auf den Weg zu den Unterkünften der Erstsemester machten. Es nur anzusehen, verursachte bei Shiro bereits leichte Übelkeit.
„Es sieht wie Hundescheiße aus.“, kommentierte Yasuda, während er das Gebilde im Beutel betrachtete. „Ich bin früher häufig mit dem Hund meiner älteren Nachbarin Gassi gegangen. Sie war ein Geizkragen und benutzte gebrauchte Plastik-Einkaufstüten vom Supermarkt anstatt die schwarzen Beutel für Hundekot. Es sah genauso aus, wie das da.“
„Danke, Yasuda-san, echt jetzt. Ich werde diesen Beutel zwischen meine Zähne klemmen müssen, wenn ich hochklettere. Wie geht’s der Eule?“ Yasuda formte seine Hände vor dem Mund zu einem Trichter und gab einen leisen, dumpfen Eulenschrei von sich. „Gut. Und die Taube?“ Fuji gurrte durch seine Hand.
„Perfekt! Okay, Fuji-san platziert sich am Westseite des Gebäudes, Yasuda-san an der Ostseite. Wenn ein Schüler vorbeikommt dann gebt ihr mir ein Signal, bei einem Lehrer zwei. Drei Signale bedeuten, dass die Luft rein ist. Alles klar soweit?“
Er brauchte keine Antwort abzuwarten. Beide Jungs waren bereits ausgeschwärmt, um ihre Posten zu beziehen. Die gemeinsamen Schuljahre hatten sie bereits zu so etwas wie eine Special Taskforce verschweißt, so dass, wenn etwas schief lief, sie die Aktionen der Anderen gut genug vorhersehen konnten, um mehr oder weniger koordiniert zu agieren. Und sie deckten sich immer gegenseitig. Es war schön, verlässliche Freunde an seiner Seite zu haben. Nicht so wie daheim.
Der Stromgenerator schien eine perfekte Ausgangsposition zu sein. Shiro sprang darauf, den Plastikbeutel fest zwischen die Zähne geklemmt, und begann zu klettern. Regenrinne, Fenstersimse, Lampen und Balkone boten ihm genug Halt für seinen Weg hinauf aufs Dach. Sicher, es gab auch Feuerleitern. Sie machten allerdings höllisch viel Lärm. Und außerdem waren sie keine Herausforderung.
Auf dem Dach nahm er den Plastikbeutel in die Hand spazierte gemächlich hinüber zum ersten Lüftungsschacht. Er erinnerte sich von der Wasserversorgungssabotage-Aktion daran, dass die Dachziegel auf den älteren Gebäuden der Akademie nicht festgenagelt, sondern nur aufgelegt, waren. Sie waren damals fast geschnappt worden, weil ein Ziegel sich gelöst hatte, auf dem Boden zerschellt war und dadurch einige Schüler aufgeweckt hatte.
Dies hier war wirklich eine einfache Aufgabe. Er hatte gerade das letzte bisschen von der stinkenden Speise im letzten Schacht platziert, als eine scharfe Brise ihm die Plastiktüte aus der Hand riss.
Shiro biss sich auf die Zunge. Hinterlasse niemals Spuren, das war die goldene Regel. Allerdings war es auch bloß eine durchsichtige Plastiktüte, eine von der Sorte, wie man sie in jedem Lebensmittelgeschäft bekam. Niemand konnte daraus etwas schlussfolgern. Und er war sich ziemlich sicher, dass Suchhunde nicht fähig dazu waren, seinen Geruch unter dem Gestank des Chòu Dòufu zu wittern...
„Jetzt werde ich aber wirklich paranoid. Ernsthaft? Suchhunde für einen Schulstreich?“ Er kicherte leise über sich selbst.
Auf dem Rückweg gönnte er sich die Zeit den Himmel hinter den vorbei schwebenden Wolkenfetzen zu betrachten. Was für eine andere Welt dies doch war. Auf der einen Seite so vertraut wie die Alltäglichkeit, aber anderseits so komfortabel wie eingetragene Kleidung. Ein paar harmlose Scherze – nun, mehr oder weniger harmlos – und hin und wieder eine Schlägerei. Das waren alles nur Späße oftmals gepaart mit einer Dose voll Bier, um den Zigarettenrauch hinunterzuspülen. Sicher, man konnte ermahnt werden, aber das gehörte eben dazu.
Bislang war ja noch nie etwas Ernstes passiert.
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