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Die Spur in der Asche

von

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Lachen

Was ist Moral?

Er entsicherte seine Waffe.

Warum handeln wir so, wie wir handeln? Werfen unsere Fehler dem Staat vor, dem Lehrer, den Eltern?

Er zielte auf ihren Kopf.

Merken wir nicht, dass die einzigen, denen wir uns zu verantworten haben, wir selbst sind?

Er drückte ab.

Vor Wollust geifernde Flammen fraßen die nächtliche Welt vor ihm, die nur aus Silhouetten und Nachtmahren bestand mit hungrigen Zähnen, griffen mit schwarzen, bluttriefenden Klauen nach den in einem stummen Hilfeschrei gefangenen Leichen, die auf ihre Art grotesk, ordentlich aufgereiht da lagen und darauf warteten, ebenfalls verschlungen zu werden. Staub zu Staub, Asche zu Asche.

Der einzige, vor dem wir uns rechtfertigen müssen, sind wir selbst.

Er lachte.
 

Der Wind strich mit der Sanftheit einer nichtssagenden Eleganz über meine Wangen, tanzte auf- und abwärts, spielte vergnügt mit meinen Haaren und verlor sich in der anonymen Weite der Großstadt, die jeden Zentimeter vor dem Gebäude fraß, wie ein hungriges Monster.

„Wie geht es dir?“

Jodie Starling, eine Kollegin, aber vor allem eine gute Freundin, sah mich mitfühlend an. In den Händen hielt sie zwei Tassen Kaffee. „Ich dachte, das kannst du jetzt vielleicht gebrauchen.“ Sie lächelte schief und reichte mir eine der von Rissen durchzogenen Keramiktassen, die mit kitschigen Motiven verziert waren.

Ich erwiderte er Lächeln und ließ mir das angenehm warme Getränk reichen. „Danke. Ja, sagen wir, es geht so.“

Ihre Hand streifte für einen kurzen Augenblick meine blaue Lederjacke, die schon bessere Tage gesehen hatte. Sie lehnte sich neben mir über das Geländer und blickte mit deutlich ebenso gemischten Gefühlen hinaus auf die dunkle, von Lichtpunkten, wie von einem Spinnennetz, durchwobene Stadt zu unseren Füßen.

„Es waren zwei, oder?“

Ich zuckte unmerklich zusammen, sammelte mich aber sofort wieder und konzentrierte mich auf ein fernes Leuchten, vielleicht ein Fenster oder eine der zahlreichen Straßenlaternen. „Ja, zwei Familien, die dieser Mistkerl ausgelöscht hat und wir tappen immer noch im Dunkeln.“

Beziehungsweise ich tappe im Dunkeln.

Es war kein Geheimnis, dass mir aufgetragen worden war, mich mit diesem Fall zu befassen, nachdem man mir nachgesagt hatte, ich hätte ein gewisses Näschen für diese Dinge, wobei ich das vermutlich selbst wenn es um mein Leben gegangen wäre, bestritten hätte. Ich war nicht gut darin, zuzugeben, dass andere in etwas gut waren oder gar besser, zumindest nicht, wenn ich ehrlich war, aber noch viel schlechter war ich darin mir klarzumachen, dass ich in etwas gut war. Manchmal war es mir immer noch ein Rätsel, wie ich es zur FBI-Agentin gebracht hatte, vielleicht war es wirklich meine Rettung gewesen, dass Jodie mich immer mitgezogen hatte. Jodie, die mir Mut zusprach, wenn ich verzweifelt war, Jodie, die an mich glaubte, auch wenn es nicht leicht war, sich das einzugestehen, ohne Jodie wäre ich niemals so weit gekommen.

Bis hierhin und nicht weiter.

Ich versuchte die Stimme in meinem Inneren, die sich sogleich spöttisch zu Wort meldete, zu ignorieren, doch es war zwecklos. Natürlich hatte sie nicht ganz Unrecht. Ich hatte in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, das stand außer Zweifel, auch wenn ich sie stets mit einem selbstironischen Lächeln unter den Tisch kehrte, um ja nicht unangenehm durch Arroganz oder übertriebene Selbstüberzeugung aufzufallen. Leider hatte ich bei diesem Fall nicht wirklich das Problem, etwas Derartiges zu unterdrücken. Es gab einfach nichts, mit dem ich mich brüsten konnte. Bislang waren meine Ideen zu diesem Fall nicht gerade glorreich, ja nicht einmal nützlich gewesen. Wir hatten den Täter weder eingrenzen noch identifizieren können, im Gegenteil, er mordete munter weiter, während sich die Schlinge um meinen Hals langsam enger zog und ich merkte, wie mir die Luft zum Atmen ausging, wie dem sprichwörtlichen Fisch auf dem Trockenen.

„Du packst das schon. Black hätte dir den Fall nicht übertragen, wenn er nicht vollstes Vertrauen in dich hätte.“ Sie trank einen Schluck aus ihrer Tasse und zwinkerte mir zu. Dann verzerrte ihr Gesicht sich plötzlich zu der Maske eines unglücklichen Harlekins und sie hustete aus vollem Leib. „Wah, ist das heiß.“

Obwohl ich eher melancholisch gestimmt war, wie oft in letzter Zeit, konnte ich nicht anders, als zu kichern, wofür ich mir sofort einen Boxschlag in die Seite einfing.

„Sei nicht so kindisch, über sowas lacht man nicht.“

Ich streckte ihr die Zunge raus und grinste sie herausfordernd an. „Ach, man lacht also nicht über knapp 30-Jährige, die immer noch nicht dazu in der Lage sind, ihren Kaffee zu trinken? Ich sollte mit Black darüber sprechen, dich zu degradieren.“

Unser Lachen schallte noch lange laut und fröhlich durch die matte Teilfinsternis, wurde vom Wind mit nebulösen Armen getragen und an die Ohren eines Mannes geweht, der seit Stunden unbeweglich wie eine Statue in seinem Versteck ausharrte und uns verborgenen, fremden Melodien lauschte.
 

Stille. Lachen. Stille. Leises Lachen. Ein Vogel, der aufschreckt. Eine Laterne, die flackert. Ein Insekt, das in ihrem Innern stirbt. Ein Herz schlägt. Eins. Zwei. Stille. Drei. Ein Auto fährt los. Das Geräusch trotz der Ferne deutlich hörbar.

Seufzend setzte er sich ein wenig auf. Seine Beine waren eingeschlafen und hatten das lange Sitzen anstrengender gemacht, als es hätte sein müssen. Vielleicht lag es auf einfach daran, dass Bäume nicht gemacht waren, um lange auf ihnen zu sitzen. Letztendlich war es ja nicht wichtig. Natürlich konnte auch die Zeit einen entscheidenden Faktor ausmachen, immerhin hockte er schon eine ganze Weile hier und lauschte. Mehr tat er nicht. Er horchte, hörte zu und merkte sich das, was er hörte. Unzählige Geräusche waren in den Stunden bereits an seine Ohren gedrungen. Doch das, das am schärfsten in sein Gedächtnis eingebrannt war, war dieses glockenhafte Lachen der beiden Frauen, die nicht weit von seinem Versteck am Balkon gelehnt und sich unterhalten hatten. Er war zu weit weg gewesen, um alles zu verstehen, aber das machte nichts. Im Gegenteil, es interessierte ihn nicht einmal sonderlich. Er hatte nur das Lachen hören wollen. Das Lachen, das lebendig machte. Etwas, das so wundervoll war, dass er es niemals vergessen wollte. Lachen. Der einzige Moment, der Dankbarkeit in ihm. Dankbarkeit für seine bloße Existenz, die ihn vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen und tief drinnen, dort in dem Nichts, das die Menschen Seele nannten, erfüllte und Glück, ja beinahe Freude, Freude darüber der zu sein, der er war. Wieder dieses Lachen. Der Klang von Morgentau, der von den sommerfeuchten Blätter auf die kalten Kiesel am Wegesrand tropft, der Klang von Vögeln, die sich liebestoll hinterherjagen, verstrickt in einem wundersamen Spiel, das gleichwohl fasziniert und ängstigt. Dann war es fort. Weniger deutlich konnte er noch das Klicken hören, mit dem das Schloss der Glastür einrastete, dann war es still. Die Frauen waren in die Wohnung gegangen, hüllten ihre Stimmen in Gewänder aus schwarzer Seide und legten schwere, schattenhafte Tücher über sie, um ihn, den ungewollten Zuhörer, auszuschließen. Obwohl er wusste, dass sie seine Existenz unmöglich erahnen konnte, kam ihm dieser Gedanke plötzlich. Er musste ungewollt lachen. So waren die Menschen nun einmal. Sie neigten dazu ihre Welt zu verklären und zu poetisieren, den Stalker zum ehrenhaften Liebhaber, den Mörder zum tollkühnen Ritter zu machen. Dumme, dumme Welt. Es gab nicht für alles eine Erklärung, einen logischen Grund. Nicht alle Menschen handeln, weil sie es müssen oder weil man es nicht anders erwartet, wenn man ihr Leben, ihre Vergangenheit wie ein verstaubtes Buch öffnet, zärtlich über das nach Druckerschwärze duftende Papier fährt und daraus vorliest. Manche Menschen handeln einfach, weil sie es so wollen. Ein Wagen verließ die Tiefgarage des Wohnblocks und er zog sich hastig tiefer in die Schatten zurück. Es wurde Zeit zu gehen.



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