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Delilah – Die Liebe einer Wölfin

von

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42. Kapitel

„Das sieht nicht besonders gut aus.“ Young ließ die Bombe hochgehen, nachdem die nervöse Anspannung kaum noch auszuhalten gewesen war und jeder Blick im Raum sich in seinen Rücken gebohrt hatte.

Auf diese negative Aussage hin, verschlang Delilah ihre zittrigen Finger fest miteinander und schluckte einmal hart an dem Kloß vorbei, der sich schon seit einer ganzen Weile in ihrem Hals festgesetzt und inzwischen immer weiter breit gemacht hatte. Das war so ziemlich das Letzte, was man von einem Arzt in so einer Situation hören wollte. Einmal vom Feststellen des Todes beim Patienten abgesehen. Aber davon war James Gott sei Dank weit entfernt. Auch wenn es ihr dadurch auch kein Bisschen besser ging.

Delilahs Blick huschte zu James hinüber, der immer noch ziemlich blass, aber zumindest weitestgehend schmerzfrei und vor allem aufrecht im Krankenbett saß und Youngs Rücken anstarrte, als hoffte er, doch noch etwas anderes von dem Vampir zu hören. Aber da war wohl jegliche Hoffnung vergebens. Young würde so etwas nicht sagen, wenn er es nicht auch genau so meinte.

Wieder wandte sie sich an den Vampir, der immer noch seine vollste Konzentration auf das Röntgenbild von James’ Schulter gerichtet hatte, aus dem sie selbst nicht wirklich schlau geworden war. Von Löchern in seinem makellosen Arztkittel, war allerdings immer noch nichts zu sehen.

Schon erstaunlich, dass man dem Arzt die Strapazen des Fluges und der Reise an sich nicht anmerkte. Dabei war er direkt vom Flughafen hierher gekommen, um nach James zu sehen, den sie kurzerhand ins Auto gepackt und so schnell wie möglich in die Klinik gefahren hatten.

Young war zu der Zeit noch nicht einmal im Flieger gewesen, aber eine seiner Krankenschwestern hatte James an einen Tropf mit Schmerzmittel gehängt, um ihm zumindest das Warten zu erleichtern und auch die Anderen hatten dadurch etwas leichter durchatmen können. Allerdings war dieser Eindruck mit der vernichtenden Aussage des Vampirs nun endgültig verflogen.

Sie war wohl nicht die Einzige, die das so sah.

„Jetzt mach‘ es nicht so spannend. Was stimmt nicht mit der Schulter, Doc?“

James wurde ungeduldig und auch Delilah wollte endlich wissen, was Sache war.

„Ich muss leider operieren.“ Young drehte sich endlich zu ihnen herum und konnte in drei entsetzte Gesichter sehen – Elija war der Einzige, der wie immer seine Maske aus kühler Gelassenheit aufgesetzt hatte.

Es war wie ein Schlag tief in die Eingeweide. Für sie alle, aber am härtesten traf es wohl James. Wenn er vorher schon blass gewesen war, so schien das Blut in seinem Gesicht ihn endgültig verlassen zu haben. Dafür spiegelte sich nun deutlich Angst in seinen Augen wider, ehe er den Blick senkte und auf seine Finger starrte, die er so fest zur Faust geballt hatte, dass die Knöchel ebenfalls leuchtend weiß hervortraten.

„Es ist nur ein kleiner Eingriff. Eine Routineoperation. Nichts Außergewöhnliches.“, versuchte Young ihn zu beruhigen, woraufhin James seinen Kopf noch tiefer hängen ließ. Es war wirklich nicht besonders beruhigend. Ganz im Gegenteil. Der Kloß in Delilahs Hals nahm ein Ausmaß an, das ihr regelrecht den Atem abschnürte. Zugleich breitete sich ein schwerer Druck auf ihrer Brust aus, als hätte sich jemand draufgesetzt. Sie musste sich dazu zwingen, Luft in ihre Lungen zu pressen, um den Schwindel zu vertreiben, der sich ihrer Sinne bemächtigen wollte. Dabei war sie noch nicht einmal die Betroffene, aber das tröstete sie keine Sekunde lang. Hier ging es schließlich um James!

„Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“ Young ließ sich von der niederschmetternden Stimmung im Raum nicht unterkriegen, auch wenn er vergebens auf eine Antwort seitens seines Patienten wartete.

„Heu-“ Delilah räusperte sich kräftig, um aus dem leisen Krächzen einen richtigen Ton zu formen. Die Worte wollten ihr kaum über die Lippen kommen und sie musste sich dabei an dem metallenen Fußende des Krankenbettes festhalten, um nicht einfach umzukippen.

„Heute Morgen. Ungefähr um neun Uhr rum.“ Sie fühlte sich absolut nicht wohl dabei, diese Auskunft zu geben, ahnte sie doch, dass Young diese Frage nicht einfach so umsonst gestellt hatte.

„Und zuletzt getrunken?“

Sie schluckte hart, aber es ging hier nun einmal um James‘ Gesundheit und die hatte vor allem anderen Vorrang. „Ungefähr eine Stunde später noch etwas Wasser.“

Seit dem hatte er nichts mehr hinunter bekommen. Die Schmerzen waren einfach zu groß gewesen.

Der Vampir sah überlegend auf seine Armbanduhr. „Das ginge sich aus.“, stellte er nüchtern fest. „Ich könnte die OP in einer Stunde beginnen, wenn ihr einverstanden seid.“

James zuckte heftig zusammen, ehe sein Atem sich deutlich beschleunigte, aber immer noch sagte er nichts zu alledem. Viel mehr sah er so aus, als befände er sich vor einem Erschießungskommando und zähle die letzten Herzschläge bis zum Betätigen des Abzugs.

Für Delilah hingegen schien die Welt um sie herum zu schwanken und sie klammerte sich noch fester an dem Metallgestell fest, um nicht endgültig den Halt zu verlieren.

„Ist das denn wirklich notwendig?“ Elija meldete sich zum ersten Mal zu Wort und obwohl er mehr denn je den Alphawolf heraushängen ließ, konnte seine Stimme ihr dieses Mal keinen Halt geben. Sie hatte einfach nur panische Angst um James.

„Nun ja. Die Alternative wäre ein langwieriger Heilungsprozess, der im schlimmsten Fall zu einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit der Schulter und des betroffenen Arms führt.“ Youngs Blick zeigte deutlich, was er von dieser Lösung hielt.

„Und wie sieht es nach dieser OP aus? Muss er dann auch mit Einschränkungen rechnen?“

Der Vampir schüttelte den Kopf und lächelte beruhigend. „Nein. Er würde vollkommen genesen. Zudem wäre das Schlimmste in einer Woche ausgestanden, auch wenn er sich danach noch eine Weile schonen sollte. Dennoch hätte er es sehr viel schneller ausgestanden.“

Elija schwieg und da sich auch sonst keiner zu Wort meldete, richtete der Arzt sich schließlich an seinen Patienten. „Was sagst du dazu?“

„Habe ich denn wirklich eine Wahl?“ James hob langsam den Kopf, sein Gesicht eine Maske aus Entschlossenheit, auch wenn ihm immer noch deutlich die Angst in den Augen stand und sein Geruch ihn mehr als nur verriet. Was ihrer aussagte, wollte sie gar nicht erst wissen.

„Das sind leider alle Optionen, die ich dir anbieten kann.“ Der Arzt seufzte. Man sah ihm an, dass er nur zu gerne bessere Nachrichten für sie alle gehabt hätte.

„Schon gut, Doc. Dann bringen wir’s einfach hinter uns.“

Ein Ruck ging durch ihren Körper. Nein! heulte die Wölfin stumm in ihrem Kopf und auch Delilah war alles andere als bereit dazu, James einfach so gehen zu lassen.

Was wenn etwas schief ging? Was wenn er die Narkose nicht vertrug? Menschen waren schon daraus nicht mehr aufgewacht und von Hunden und Katzen hatte sie das sogar noch öfter gehört. Immerhin war er auch ein Wolf!

Was, wenn er…?

„Ich bin bereit.“ James‘ Entschluss stand fest und für einen Augenblick lang wirkte er tatsächlich so, als könne ihn nichts mehr davon abbringen. Aber das war nur die typische McKenzie-Fassade, hinter die Delilah nur allzu leicht blicken konnte. James war nie so perfekt darin gewesen, wie sein Vater oder Bruder. Er würde sie nie völlig täuschen können. Aber letztendlich war diese Angelegenheit nicht ihre Entscheidung, sondern vielmehr ihr alleiniges Verschulden. Wäre sie nicht gewesen, wäre James niemals in diese Lage gekommen.

„Gut, dann lasse ich den OP vorbereiten.“ Young nahm die Röntgenbilder und James‘ Krankenakte an sich und ließ sie alleine.

Das Klicken der sich schließenden Tür klang mehr als endgültig.

„Und du bist dir da wirklich sicher?“ Dean trat neben seinen Bruder ans Bett und berührte sanft dessen gesunde Schulter.

Wie gerne hätte sie das gleiche getan. Ihn ein letztes Mal berührt, für den Fall dass…

„Es bleibt mir wohl kaum eine andere Wahl. Außerdem meinte Young, dass es reine Routine für ihn sei. Wird schon gut gehen. Und ich bin froh, wenn es endlich vorbei ist.“

„Logisch, Mann. Der Doc hat schon härtere Fälle wieder zusammengeflickt. Wirst sehen, bald kannst du uns allen wieder gehörig auf die Nerven gehen.“ Dean klang absolut sicher und das tat nicht nur James gut. Denn er lächelte sogar für einen flüchtigen Augenblick. „Idiot.“

Als auch noch Elija ans Bett trat, beschloss Delilah, dass es für sie an der Zeit war, den Rückzug anzutreten. Außerdem fühlten sich ihre Beine wie Wackelpudding an, weshalb ihr Weg sie zum nächsten Stuhl im Raum führte, auf den sie sich schwer sinken ließ. Sie wollte die Vertrautheit der drei McKenzies auch nicht stören, kam sie sich dabei doch immer irgendwie deplatziert vor, obwohl sie bereits die nächste McKenzie-Generation in ihrem Bauch trug.

Viel zu schnell kam der Vampir zurück und teilte ihnen mit, sie sollten sich langsam von James verabschieden, damit man ihn für die OP vorbereiten konnte.

Nur zu deutlich konnte man James‘ aufflammende Panik sehen und selbst Dean konnte ihn nicht mehr beruhigen, obwohl er es mit aller Macht versuchte. Doch schließlich nahm Elija seine Stelle ein und Dean zog sich nur widerwillig zurück. Es war nur zu offensichtlich, dass er seinen Bruder nicht allein lassen wollte, aber auch er musste sich am Ende geschlagen geben.

„Kommst du?“ Dean trat vor sie, seine Stimme gedämpft aber unüberhörbar geknickt.

Delilah warf einen kurzen Blick zu den beiden anderen Werwölfen hinüber. Elija hielt James‘ Nacken beinahe zärtlich mit einer Hand fest, während er sich soweit über seinen Sohn gebeugt hatte, dass sie sich an der Stirn berührten. Man verstand zwar nichts, aber Elijas Lippen bewegen sich und ab und zu konnte man James schwach nicken sehen. Was auch immer sein Vater zu ihm sagte, er schien sich dadurch sichtlich zu beruhigen und sie musste zugeben, dass sie den alten Werwolf noch nie so einfühlsam erlebt hatte. Eigentlich hätte sie ihm diese Art von Vertrautheit zwischen seinen Söhnen noch nicht einmal zugetraut. Eigentlich wirkte er immer äußerst distanziert.

„Ich will mich auch noch verabschieden und ihm alles Gute wünschen.“, kam es viel zu verspätet von Delilah, aber Dean schien das gar nicht weiter aufgefallen zu sein.

„Natürlich.“, murmelte er fast geistesabwesend, während er seinem Vater und Bruder noch einen letzten Blick schenkte, bis er sich endgültig von der Szene losriss. „Ich warte dann draußen.“

Dean strich ihr zart über die Schulter und ging. Sein angespannter Gesichtsausdruck verriet ihr alles, was sie wissen musste. Er stand kurz vorm Durchdrehen und doch zwang Delilah sich dazu, ihn vorerst in Ruhe zu lassen und stattdessen darauf zu warten, bis auch Elija fertig war.
 

James wirkte eindeutig gefasster, als sie an sein Bett herantrat. Er lächelte sogar leicht, auch wenn er sich sichtlich dazu durchringen musste.

Delilah wusste nicht, was sie sagen sollte. Sollte sie ihm denn wirklich viel Glück wünschen? Aber das hieße dann auch, dass er es brauchen würde und daran wollte sie gar nicht erst denken. Doch was sollte sie ihm sonst sagen?

Wieder einmal nahm er ihr einfach die Entscheidung ab, indem er leise fragte: „Darf ich es noch einmal berühren?“ James deutete mit einem Nicken auf ihren Bauch, um noch deutlicher zu werden. Was auch nötig war. Delilah schaltete erst einen Moment später wirklich.

„Sicher.“ Immer noch mit ihrer Gefühlswelt völlig auf Kollisionskurs ergriff sie den Saum ihres Tops und zog ihn kurzerhand einfach hoch. Danach griff sie nach James‘ Hand, nachdem er beim Anblick ihres nackten Bauches kurz gezögert hatte und legte sie direkt darauf. Er fühlte sich warm an und als er dieses Mal lächelte, erreichte es auch seine Augen.

„Ich freu mich schon darauf, wenn man es spüren kann.“ James strich ein paar Mal vorsichtig über die Wölbung, ehe er seine Hand wieder wegnahm und Delilah stattdessen mit seinem Blick zu fixieren begann. Sein Lächeln war erloschen.

Langsam zog Delilah den Saum ihres Tops wieder herunter, ohne auch nur einmal von seinen Augen abzulassen. Er sagte zwar nichts, aber in seinem Blick waren Dinge zu lesen, die für sie beide unmöglich in Worte zu fassen waren, gerade weil sie ihn nicht missverstehen konnte.

Das Schweigen dehnte sich aus, schuf so eine Art kleiner Welt, in der nur sie beide zu existieren schienen, während sich zwischen ihnen eine so derartig heftige Intensität aufbaute, wie Delilah sie noch nie erlebt hatte. Noch nicht einmal mit Dean.

Bestimmt lag es an ihren völlig durchdrehenden Nerven. An den ganzen Schuldgefühlen, den Hormonen, der Angst um James und weiß der Teufel was noch alles, aber mit einem Mal wusste sie, was sie tun wollte.

Sie hatte keine Worte für James, die ihn trösten oder aufbauen könnten. Nichts, was sie sagen könnte, würde ihm oder ihr selbst auch nur annähernd helfen. Also setzte sie sich zu ihm aufs Bett und berührte leicht seine gesunde Schulter, so wie Dean es vorhin noch getan und sie es sich ebenfalls gewünscht hatte. Doch das war ihr bei weitem noch nicht genug.

Sie brauchte seine Nähe. Sie wollte seine Nähe und der Gedanke daran, dass das hier vielleicht das letzte Mal für sie beide sein könnte, brach ihr schier das Herz.

Sie war noch lange nicht bereit dazu, ihn einfach aufzugeben. Vielleicht würde sie das niemals sein, selbst wenn alles glattlief.

Als Delilah ihre Hand zu seiner Wange gleiten ließ und James sich vorsichtig dagegen schmiegte, begann sie zu weinen.

Dicke Tränen rollten ungebremst über ihre Wangen und benetzten seinen Oberkörper. Für einen Augenblick lang verweilten sie so, bis er seinen gesunden Arm hob, um ihr die Tränen wegzuwischen. Das glaubte Delilah zumindest, doch das tat er nicht. Stattdessen ergriff er ihren Nacken und zog sie zu sich herunter.

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als ihre Lippen sich berührten.

Für einen Moment war sie völlig erstarrt, doch dann warf James jegliche Zurückhaltung über Bord und ließ sie seine Lippen noch heißer und intensiver auf ihrem Mund spüren, wodurch er endgültig alle Dämme in ihr niederriss.

Delilahs Hände krallten sich in James‘ Haar und zogen ihn zu sich heran, während sie sich ihm auf eine Weise entgegen presste, als könnte sie nur dadurch verhindern, dass er sie verließ.

Es war ein unglaublicher Kuss. Voller verzweifelter Zuneigung und dem Gefühl etwas absolut Verbotenes zu tun, obwohl es sich so verdammt richtig anfühlte. Nichts daran schien falsch zu sein. Weder für ihre Wölfin noch für sie selbst und doch war es das. Mehr als das. Ihr Herz konnte es ignorieren, ihr Verstand jedoch nicht.

Delilah war wie benommen, als sie James endlich frei gab und sich wieder aufrichtete. Ihre Tränen waren versiegt, aber dafür war sie umso verwirrter.

James schien es auch nicht wesentlich besser zu gehen. Er sah sie beinahe überrascht an, obwohl er es gewesen war, der sie geküsst und mit seiner Zunge ihren Mund erforscht hatte. Aber mit dieser Heftigkeit ihrer Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet.

„Keine Ohrfeige dieses Mal?“ Seine Stimme klang so rau und kraftlos, als hätte er stundenlang geschrien.

Zögerlich berührte Delilah ihre geschwollenen Lippen, ohne ihm zu antworten. Sie wollte ihn fragen, was das gerade eben gewesen war. Warum er sie geküsst und es sie dabei so stark berührt hatte. Doch ein dezentes Räuspern hinter ihr ließ sie erschrocken hochfahren und vom Bett springen.

„Es ist an der Zeit.“ Young schenkte ihr ein warmes Lächeln, während Elija James und sie so ausdruckslos anstarrte, dass es ihr eine Gänsehaut die Arme hochjagte.

Delilah wischte sich kurzerhand die Wangen trocken und wandte sich noch einmal an James, doch auch jetzt brachte sie nichts weiter zu Stande als ein schwaches Kopfschütteln. Ihre Antwort auf seine Frage. Danach verließ sie den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Im Wartezimmer angekommen, ließ sie sich neben Dean auf die Couch fallen und realisierte immer noch nicht ganz, was gerade eben passiert war.

Sie wusste nur, dass sie James um nichts auf der Welt verlieren wollte und dabei gerade etwas getan hatte, was Dean das Herz brechen könnte.

Es gelang ihr noch nicht einmal, seine Berührung zu erwidern, als er einen Arm um sie schlang und sie an sich zog.

„Es wird alles gut werden. Du wirst schon sehen.“, versuchte er wohl sie beide zu beruhigen.

Würde es das? Delilah zweifelte mehr denn je daran, selbst wenn James die Operation gut überstehen sollte.
 

Delilah schloss leise die Tür der Damentoilette hinter sich und drehte den Schlüssel herum. Kurz lehnte sie noch mit dem Rücken dagegen, ehe sie am Holz entlang zu Boden glitt und zu einem Häufchen Elend zusammensank.

Eigentlich hatte sie den beiden Männern im Wartezimmer gesagt, sie sei nur schnell für kleine Wölfe, aber das entsprach nicht einmal annährend der Wirklichkeit. Sie brach auseinander.

Das beklemmende Gefühl in ihrer Brust war inzwischen so schlimm, dass sie nur noch kurze, flache Atemzüge zu Stande brachte, während heiße Tränen ihr über die kalten Wangen liefen.

Zunächst versuchte sie sie energisch wegzuwischen, doch irgendwann gab sie den Versuch auf und schlang stattdessen die Arme um ihre angewinkelten Knie, um sich irgendwie zusammen zu halten, aber mit ihren Gefühlen gelang ihr das nicht.

Sie war hin und her gerissen. Zwischen Schuld, unerreichbaren Wünschen und Panik. Aber obwohl die Angst um James fast alle anderen Empfindungen überwog, hatte sie doch immer noch Herzklopfen, wenn sie an den Kuss zwischen ihnen beiden zurückdachte.

Delilah hätte nicht gedacht, dass es sich immer noch so intensiv anfühlen würde wie beim ersten Mal, als sie noch nicht beschlossen hatte, sich voll und ganz auf Dean einzulassen.

Was hatte sie nur getan?

Man konnte es zwar auf die Situation schieben und dass sie sich James’ Wunsch nicht hatte verweigern wollen, aber das wäre gelogen. Sie hatte es ebenso sehr gewollt, wie sie es genossen hatte und sie würde es mit Sicherheit wieder tun wollen, wenn James die OP gut überstand, auch wenn sie Dean damit erneut hintergehen würde.

Dieser Kuss konnte noch als Fehler oder Ergebnis dieser bedrückenden Situation angesehen werden. Der nächste wäre mutwillig begangen. Delilah könnte Dean das nicht antun. Nicht nachdem was heute Morgen noch zwischen ihnen gewesen war.

Oder etwa doch?

Noch mehr Tränen fluteten ihre Wangen, so dass Delilah gezwungen war, sich auf ihre wackeligen Füße hoch zu kämpfen und nach mehreren Papierhandtüchern zu greifen, um sich die Nase zu putzen.

Ein Blick in den Spiegel genügte und sie wusch sich auch noch gründlich das verweinte Gesicht.

Nicht nur Dean würde sich wundern, wenn sie so verheult zurückkam. Elija war auch noch da und was der nun von ihr dachte, wollte sie gar nicht so genau wissen.

Hoffentlich erzählte er Dean nicht von dem Kuss, denn es wäre unnötig, ihn damit zu verletzen, wo es doch eine einmalige Sache gewesen war. Es musste einfach bei diesem einen Mal bleiben. Alles Andere wäre nicht fair gewesen und sie würde verdammt noch mal dafür sorgen, dass sie sich daran hielt.

James würde sich einfach damit abfinden müssen. Sofern er die OP überlebte.

„Oh Gott...“ Allein bei diesem Gedanken wurde ihr eiskalt ums Herz und obwohl Delilah sich eigentlich schon zu lange hier auf der Damentoilette versteckte, tat sie doch etwas, das sie nie wieder hatte tun wollen.

Sie faltete schließlich die Hände und begann leise zu beten.
 

Dean sah nur kurz hoch, als sie zurückkam und sich neben ihn setzte. Erneut legte er seinen Arm um sie, aber es hatte viel mehr etwas von einem Automatismus als einer wirklich bewusst gesteuerten Handlung. Er war mit den Gedanken eigentlich ganz wo anders.

„Wo ist dein Dad hin?“ Elija saß nicht mehr wie zuvor auf dem breiten Ledersessel ihnen gegenüber.

„Kaffeeholen.“, war Deans einzige Antwort, ehe er sich seufzend den Nacken knetete und dann nervös mit dem Fuß zu wippen begann.

Delilah kuschelte sich daraufhin enger an seinen Körper und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Oberschenkel.

Eigentlich wusste sie selbst nichts mit sich anzufangen und ein Blick auf die Uhr über der Tür machte deutlich, dass sie wohl doch nicht so viel Zeit in der Damentoilette verbracht hatte. Dabei war ihr Gebet wirklich ausführlich gewesen, dennoch würde es noch eine Ewigkeit dauern, bis die OP zu Ende war. Eine Zeit die nicht nur ihr zu schaffen machte.

Ihr ansonst beruhigender Einfluss auf Dean versagte in voller Länge, denn nach wenigen Minuten stieß er erneut ein Seufzen aus, ließ sie los und stand schließlich auf.

„Ich geh mir etwas die Beine vertreten.“, kündigte er an und war auch schon aus der Tür verschwunden.

So allein gelassen schlüpfte Delilah aus ihren Ballerinas, stellte die Füße auf der Kante der Couch ab und schlang die Arme um sich.

Alleine fühlte sie sich in dieser unheimlichen Stille nicht besonders wohl, denn obwohl es auch noch andere Patienten gab, die derzeit in der Klinik bleiben mussten, so war doch mitten in der Nacht nicht viel los. Dennoch zog sie die Einsamkeit der Gesellschaft von Elija vor, der mit zwei dampfenden Kaffeebechern keine Minute später zur Tür hereinkam.

Sofort bekam sie Herzrasen, als sie ihn sah und auch ein bisschen Angst.

Bisher hatte er sich noch nicht zu dem Kuss geäußert, aber das könnte sich jetzt ändern, nun da Dean mit seiner Abwesenheit glänzte.

Ohne dass sie etwas gesagt hatte, drückte er ihr einen der Becher in die Hand. Dass seiner Kaffee beinhaltete, konnte sie riechen. Überraschenderweise enthielt ihrer Früchtetee.

„Danke.“ Delilah schlang ihre Finger um den Becher. Zum Trinken war der Tee zwar noch zu heiß, aber dafür konnte sie sich daran ihre Hände wärmen.

Der alte Werwolf ließ sich wieder auf seinem Platz nieder, pustete ein paar Mal in seinen Becher und nippte an seinem Kaffee. Seine ganze Haltung war ruhig und gelassen. Beinahe zu ruhig.

Machte es ihm denn so gar nichts aus, dass sein Sohn gerade operiert wurde? War er so kalt und herzlos?

Wenn man ihn so sah, könnte man das durchaus glauben, aber ein Gefühl sagte Delilah, dass es nicht so war, wie es den Anschein hatte. Er mochte vielleicht hart und gefühlskalt wirken, aber auch in seiner Brust schlug ein Herz und das hing ganz bestimmt an seinen beiden Söhnen.

Es dauerte nicht lange und Elija bemerkte ihren musternden Blick.

Wie jedes Mal glich es einer kleinen Naturgewalt, als seine Augen sich auf Delilah richteten. Zu schnell, als dass sie noch so einfach hätte wegsehen können, ohne dass es besonders aufgefallen wäre. Also erwiderte sie den Blick solange sie konnte. Dass Elija nur stumm zurückschaute, machte es nicht gerade leichter.

Delilah begann sich immer unwohler in ihrer Haut zu fühlen. Der alte Werwolf sagte vielleicht nichts, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, etwas vorgeworfen zu bekommen und verdammt, damit hätte er sogar Recht, aber das war doch schließlich ihre Sache, oder nicht?

Ein paar Sekunden lang hielt Delilah es unter diesem Blick noch aus, bis es einfach nicht mehr ging.

„Könntest du bitte die Sache mit dem Kuss für dich behalten?“, platzte es einfach aus ihr heraus. „Ich meine, das war... James wird schließlich...“

Delilah stieß einen tiefen Seufzer aus und starrte in ihren Tee. „Ich will Dean einfach nicht unnötig verletzen. Es wird ohnehin nicht wieder vorkommen.“

Auch wenn sie es nicht versprechen konnte. Zumindest soweit sollte sie ehrlich zu sich selbst sein.

Was Elija anging, so hob er nur seine zerfurchte Augenbraue, ehe er einen weiteren Schluck von seinem Kaffee trank.

Keine Antwort war wohl auch eine Antwort.

Wie sollte sie Dean das bloße erklären?

„Die McKenzies waren schon immer sehr speziell, was die Liebe angeht.“

Überrascht über Elijas Worte hob Delilah verblüfft den Kopf.

Der alte Werwolf bestätigte mit seinem Nicken, dass sie sich die Worte nicht einfach eingebildet hatte. „Das hat schon mit meinem Großvater begonnen. Mein Vater hat weiter gemacht und ich bin mitgezogen. Warum sollte es also mit meinen Söhnen anders sein?“

„Aber...“, begann sie, aber weiter gingen ihre Gedanken nicht.

„Ich bin wirklich der Letzte, der das Recht hat, jemanden in dieser Sache zu verurteilen. Schließlich habe ich selbst eine menschliche Frau geheiratet, egal was das für Folgen mit sich brachte und obwohl ich das schon vorher gewusst hatte. Und was dich und meine Söhne angeht, halte ich mich raus. Ihr müsst euren Weg selbst finden.“

Also ... das war ... unerwartet...

Delilah hätte wirklich nicht erwartet, dass Elija so über diese Situation dachte. Um ehrlich zu sein, hätte sie das nie für möglich gehalten. In tausend Jahren nicht.

„Danke. Ich meine, dass du mich nach all den Problemen, die ich verursacht habe, nicht verurteilst.“ Und was für Probleme...

Der Gedanke traf sie erneut tief, so dass sie geschlagen das Haupt senkte und ihre zittrigen Finger noch fester um den warmen Becher schloss.

Dean war immer noch nicht zurück und im Augenblick hatte sie selbst nicht die Kraft dazu, ihm nachzugehen. Eigentlich fühlte sie sich nur total hilflos und unnütz.

„James kommt wieder in Ordnung. Young hat schon schlimmere Fälle wieder zusammengeflickt.“ Elija zerdrückte den leeren Pappbecher und warf ihn quer durch den Raum, wo er zielgenau im Mülleimer neben dem Fenster landete.

„Sogar mich hat er wieder mehr oder weniger hinbekommen.“

Wäre Delilah nur eine Spur langsamer gewesen, sie hätte das winzige Zucken von Elijas Mundwinkel verpasst.

Dieses kleine Lächeln war mit Abstand das Erstaunlichste an diesem ganzen Gespräch und sie würde es mit Sicherheit so schnell nicht wieder vergessen.

Elija schaffte es doch immer wieder, sie zu überraschen.
 

Als die Tür zum Wartezimmer aufschwang, war es bereits früher Morgen und Delilah zuckte aus ihrem leichten Schlaf hoch, dessen sie sich an Deans Seite nicht hatte erwehren können.

Es war Young, der – kaum dass er den Raum betreten hatte – fast von Dean und ihr überrannt wurde. Elija war der Einzige, der sich wenigstens ein bisschen zurückhielt, aber trotzdem aufstand, um die Nachricht zu hören, die der Arzt ihnen allen mitteilen wollte.

Young hob beschwichtigend die Hände, um den Ansturm abzuwehren: „Es ist alles so gekommen, wie ich es erwartet habe. Die OP verlief ohne Komplikationen und James wird schon bald wieder auf den Beinen sein.“

„Wann können wir zu ihm?“, platzte es aus Dean heraus und seine Ruhe war endgültig dahin. Man sah ihm nur zu deutlich am Gesicht an, dass er endlich wieder zu seinem Bruder wollte.

„Ihr müsst euch noch etwas gedulden, bis ihr ihn sehen könnt. Er ist zwar schon wieder wach, aber noch nicht wirklich ansprechbar. Von ein paar deftigen Flüchen einmal abgesehen, aber dahingehend habe ich nichts anderes erwartet.“

Bei diesem letzten Satz warf Young einen vielsagenden Blick zu Elija hinüber. Der zuckte nur kurz mit den Schultern.

„Und wie lange müssen wir jetzt noch warten?“ Dean schien kurz davor zu stehen, die Antworten einfach aus dem Arzt herauszuschütteln. Delilah ging es nicht besser, aber sie hielt sich zurück.

„Nicht mehr lange. Versprochen. Aber was den weiteren Verlauf seiner Genesung angeht, möchte ich ihn gerne noch eine Woche hier behalten, damit er nicht noch mehr Dummheiten anstellen kann, aber dann dürfte er wieder auf den Beinen sein. Trotzdem sollte er den Arm danach noch die nächsten Tage so viel wie möglich schonen.“

„Wir werden schon dafür sorgen, dass der Idiot das tut.“, verkündete Dean ernst und doch so offensichtlich erleichtert zugleich. Delilah hatte außerdem keinen Zweifel daran, wen er mit wir gemeint hatte. Sie würden definitiv dafür sorgen, dass James keinen Blödsinn mehr anstellte.

„Übrigens gute Arbeit mit den Nähten, Delilah. Die Narben werden dank deiner Fürsorge gut verheilen.“ Young schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln.

Überrascht von diesem unerwarteten Lob, senkte sie den Blick. „Das war doch das Mindeste, was ich tun konnte.“ Aber bei weitem noch nicht genug.



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